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Vor Jahren hat Lady Jessica, die Geliebte von Herzog Leto Atreides und Mutter Pauls, eine Entscheidung getroffen, die schon bald das Gefüge des gewaltigen Sternenreichs erschüttern wird. Doch zunächst muss sie ihre neue Heimatwelt Caladan verlassen, denn die Schwesternschaft der Bene Gesserit hat sie in ihr Hauptquartier zitiert. Während am Hof des Imperators die gewaltige Intrige anläuft, durch die die Familie Atreides schließlich Arrakis, den Wüstenplaneten, zum Lehen erhalten wird, steht Jessica vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens: Ist ihre Loyalität zur Schwesternschaft größer als die Liebe zu ihrer Familie?
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Seitenzahl: 880
DAS BUCH
Die ferne Zukunft. Vor Jahrzehnten hat Lady Jessica, die Geliebte von Herzog Leto Atreides und Mutter seines Erben Pauls, eine Entscheidung getroffen, die schon bald das Gefüge des gewaltigen Sternenreichs erschüttern wird. Doch zunächst muss sie ihre Heimatwelt Caladan verlassen, denn die Schwesternschaft der Bene Gesserit hat sie in ihr Hauptquartier zitiert. Denn Jessicas Entscheidung hat die Pläne der Ehrwürdigen Mutter Gaius Helen Mohiam durchkreuzt, und jetzt will sie dafür sorgen, dass das Haus Atreides bis zum letzten Mann vernichtet wird. Während am Hof des Imperators die gewaltige Intrige anläuft, durch die Herzog Leto schließlich Arrakis, den Wüstenplaneten, zum Lehen erhalten wird, steht Jessica vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens: Ist ihre Loyalität zur Schwesternschaft größer als die Liebe zu ihrer Familie?
DIE AUTOREN
Brian Herbert hat selbst Science-Fiction-Romane verfasst, darunter den in Zusammenarbeit mit seinem Vater Frank Herbert entstandenen Mann zweier Welten.
Kevin J. Anderson ist einer der meistgelesenen Science-Fiction-Autoren unserer Zeit. Zuletzt ist von ihm die gefeierte Saga derSieben Sonnen erschienen.
Mit seinem Zyklus um Arrakis, den Wüstenplaneten, hat Frank Herbert eine Zukunftssaga geschaffen, die in ihrer epischen Wucht und ihrem außerordentlichen Detailreichtum nur mit J. R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe zu vergleichen ist. Nach dem Tod des Autors 1986 schien diese Saga – zum Bedauern von Millionen von Leserinnen und Lesern rund um die Welt – zu einem Abschluss gekommen zu sein, bis Frank Herberts Sohn Brian, gestützt auf den umfangreichen Nachlass seines Vaters und gemeinsam mit dem bekannten Star-Wars-Autor Kevin J. Anderson, das atemberaubende Epos fortsetzte. Nach »Die Chroniken des Wüstenplaneten« und »Die Legenden des Wüstenplaneten« erzählen die beiden Autoren nun mit der »Caladan«-Trilogie die große Vorgeschichte von Frank Herberts Epos.
Mehr über die große Wüstenplanet-Saga erfahren Sie auf:
Brian Herbert
Kevin J. Anderson
DER WÜSTENPLANET
DIE HERRIN VON CALADAN
Roman
Aus dem Amerikanischen vonJakob Schmidt
WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN
Titel der Originalausgabe:
DUNE – THE LADY OF CALADAN
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Deutsche Erstausgabe 06/2022
Redaktion: Bernhard Kempen
Copyright © 2020 by Herbert Properties LLC
Copyright © 2022 dieser Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (Liu Zishan, Alexandros Petrakis, Kotenko Oleksandr, Dr. Norbert Lange)
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-28784-9V002
www.diezukunft.de
Das Kwisatz-Haderach-Zuchtprogramm wurde zum Wohle der Menschheit entwickelt, aber um welchen Preis? Um welchen menschlichen Preis?
Lady Jessica, private Tagebücher
In ihren Gedanken und im Herzen fand sich Jessica tief in einem Abgrund. Jeder Augenblick entfernte sie weiter von Caladan, Herzog Leto und Paul.
Nachdem die Bene Gesserit ihr ein Ultimatum gestellt und ihre Familie bedroht hatten, war Jessica an Bord eines Heighliners der Raumgilde wie ein trotziges Kind nach Wallach IX zurückgekehrt. Sie empfand keine anheimelnde Vertrautheit, als sie mit einer Fähre von dem riesigen Schiff in der Umlaufbahn auf die trostlose, kalte Hauptwelt der Schwesternschaft übersetzte.
Würde sie Caladan jemals wiedersehen? Oder Leto oder Paul? Sie rückte sich auf dem harten Sitz an Bord der Fähre zurecht. Die Antwort auf diese Frage hing davon ab, was Mutter Oberin Harishka von ihr wollte.
Außergewöhnlich starke Windböen rüttelten an der Fähre, was den Piloten dazu veranlasste, den Kurs anzupassen und in einem weiten Bogen wieder aufzusteigen, bis die Turbulenzen sich legten. Einige der anderen Passagiere murmelten beunruhigt vor sich hin, doch Jessica schwieg. Sie hatte genug mit ihren eigenen Turbulenzen zu tun.
Durch das viereckige Bullauge sah sie aufgewühlte Wolken, die zu ihren sorgenvollen Gedanken passten. Sie hasste die Schwesternschaft für den eisernen Griff, in dem sie sie hielt. Sie hatte viele Jahre fernab des Ordens verbracht und sich auf Caladan für unabhängig gehalten, aber nun hatte die Schwesternschaft mit der Peitsche geknallt. Die Bene Gesserit hatten sie gerufen und sie duldeten keine Widerworte. Die Ehrwürdige Mutter Mohiam hatte damit gedroht, den Herzog und die Zukunft des Hauses Atreides zu vernichten, wenn sie nicht gehorchte, und die Schwesternschaft konnte eine solche Drohung zweifellos in die Tat umsetzen.
Sie wollten Jessica für ihre eigenen Zwecke benutzen und hatten sie – auf Dauer? – von Caladan abgezogen. Nie zuvor im Leben hatte sie sich derart elend gefühlt, derart abgeschnitten von allen, die sie liebte, und allem, was ihr am Herzen lag. Aber sie hatte nicht vor, sich still zu fügen.
Die Fähre erzitterte in der unruhigen Luft und ging, nachdem sie den Sturm umflogen hatte, erneut in den Sinkflug über. Jessica sah, dass sie sich dem Komplex der Mütterschule näherten. Durch einen Schleier aus Wolken konnte sie die uralten Gebäude und die neuen Anbauten ausmachen, die Giebel der roten Ziegeldächer, die niedrigen Sträucher, die auf dem Gelände wuchsen. Der Herbst hatte die Blätter hellrot und orange gefärbt. Die Gebäude waren miteinander verbunden, genau wie die zahllosen Frauen der Schwesternschaft, allesamt Teil einer vielschichtigen und mächtigen politischen Maschinerie.
Jessica war hier aufgewachsen, ohne Eltern. Die Schwesternschaft hatte sie großgezogen und sie indoktriniert, sie gab ihrem Leben von der Geburt bis zu ihrem unausweichlichen Tod den Rahmen. Jessica gehörte den Bene Gesserit.
Mit eben den Methoden, die sie an der Mütterschule erlernt hatte, konzentrierte Jessica sich auf eine Atemübung, die ihr Klarheit und Ruhe verschaffte. Sie spürte, wie ihre Muskeln sich entspannten. Sie musste körperlich und geistig in Bestform sein, um sich dem zu stellen, was sie erwartete.
Während sie ihre innere Mitte fand, ließen die Turbulenzen draußen nach, und die verbliebenen Wolken teilten sich über dem Landefeld am Rande der Anlage. Mit ihrer Kleidung von Caladan fühlte Jessica sich fehl am Platze, aber bald würde man sie ohnehin anweisen, die traditionellen dunklen Gewänder der Schule anzulegen, um sie daran zu erinnern, dass sie nach wie vor und auf ewig ein Teil der Schwesternschaft war.
Wallach IX mit seiner schwachen Sonne und dem kühlen Klima war lange ein Ort gewesen, an dem junge Frauen aus den Reihen des Ordens entweder an ihren Herausforderungen wuchsen oder scheiterten. Jessica verspürte eine seltsame Wehmut beim Gedanken an diese uralte Ausbildungsstätte, hin und her gerissen zwischen ihrer Treue zur Schwesternschaft und zu ihrer Familie. Sie hatte hier viele Jahre verbracht, als weicher Ton, den man nach Belieben hatte formen können, bis man sie schließlich als gebundene Konkubine einem jungen Herzog mit großem Potenzial zugewiesen hatte.
Und jetzt war sie zurück. Tief in ihrem Innern regten sich düstere Vorahnungen.
Mutter Oberin Harishka persönlich begrüßte sie auf dem Landefeld. Die Ehrwürdige Mutter hatte einen durchdringenden Blick und eine strenge, unnachgiebige Körperhaltung. Trotz ihres Alters war ihre Haut bemerkenswert straff und glatt, was vielleicht von der geriatrischen Wirkung der Melange herrührte, die sie regelmäßig zu sich nahm. Ihre gegenwärtige Position hatte sie schon seit Jahrzehnten inne und hatte dem Orden ihr Leben lang gedient. »Begleite mich. Du wirst sofort gebraucht.« Sie erklärte nicht, was für eine wichtige Angelegenheit es war, die Jessicas Leben durcheinandergewirbelt hatte.
Trotz ihres hohen Alters schritt Harishka rasch aus, wie eine Militärkommandantin, die den Sturm auf die feindliche Front anführte. Sie betraten ein weitläufiges neues Verwaltungsgebäude, das mithilfe einer großzügigen Spende des alten Grafen Alfred Tull errichtet worden war. Auf einer Tafel am Eingang stand sein Name. »Ich möchte, dass du es dir zunächst einmal ansiehst, bevor du dich hier eingewöhnst. Wir haben vielleicht nicht viel Zeit«, sagte Harishka. »Du musst den Grund für dein Hiersein erfahren und verstehen, warum es so wichtig ist.«
Ja, dachte sie. Das muss ich.
Während Jessica ihr über breite Treppen und durch lange Korridore folgte, nahm sie zahlreiche Umgebungsdetails auf, stellte aber keine Fragen, obwohl die Neugier in ihr rumorte. In einem abgesonderten Bereich in der dritten Etage führte Harishka sie zu einem Innenfenster, durch das man ein großes Krankenzimmer mit geschlossener Tür sah. Zwei weitere Schwestern standen wie Wächterinnen vor der Plazscheibe, doch Jessica trat dicht an das Fenster. Sie wollte unbedingt sehen, womit sie es zu tun hatte.
Harishka erklärte: »Das Zimmer ist versiegelt und verschlossen, aber unterschätze nicht die Gefahr. Das hier ist durchsichtiges Panzerplaz, und wenn sie wach genug ist, kann sie uns sehen. Aber zu unserem Schutz können wir das Plaz nötigenfalls jederzeit auf ihrer Seite undurchsichtig werden lassen.«
Angesichts all dieser Vorsichtsmaßnahmen erwartete Jessica, eine Art Ungeheuer in dem Zimmer zu sehen. Stattdessen lag dort eine alte Frau auf einem Bett ausgestreckt und warf sich unruhig im Schlaf hin und her. Sie trug nichts außer einem Krankenhemd und war an Schläuche und Überwachungsgeräte angeschlossen. Ihr Gesicht war zu einer Grimasse verzerrt, und sie schrie auf, doch das dicke Plaz ließ keinen Ton durchdringen. Ihr Hals, ihre Arme und ihre Hände waren faltig und voller Altersflecken, aber ihr Gesicht war nicht annähernd so verschrumpelt wie der Rest ihres Körpers.
Jessica verstand nichts. »Sie … ist die Gefahr? Was hat das mit mir zu tun?«
Die Antwort der Mutter Oberin war alles andere als direkt. »Das ist Lethea, eine ehemalige Kwisatz-Mutter. Nun dient sie uns in einer anderen Funktion, solange sie noch lebt … und solange sie uns das vorenthält, was wir brauchen.«
Kwisatz-Mutter. Jessica erinnerte sich an die erste Frau Shaddam Corrinos, Anirul, die bei Pauls Geburt anwesend gewesen war und sich sehr für den kleinen Jungen interessiert hatte. Anirul war eine Bene Gesserit von »verborgenem Rang« gewesen, während sie im Geheimen einen bedeutenden Titel innegehabt hatte. Sie war sehr kurz nach Pauls Geburt gestorben.
»Und was macht eine Kwisatz-Mutter?«, fragte Jessica. Und warum hat sie die Befugnis, mich herzubeordern?
»Wie ein Gildennavigator, der sichere Wege zwischen den Sternen vorhersieht, kann eine Kwisatz-Mutter jeden Faden im gewaltigen Gewebe unserer Zuchtpläne sehen. Lethea wurde wegen geistiger Instabilität aus ihrem Dienst entlassen. Sie ist uns immer noch von Nutzen – obwohl sie gefährlich ist.«
Jessica konnte den Blick nicht von der Greisin losreißen, die sich auf dem Krankenbett wand, allein, weggesperrt. Sie wirkte kaum bewegungsfähig. »Sie soll gefährlich sein?«
Harishka starrte geradeaus, als könnte ihr Blick sich durch die Schutzwand bohren. »Sie hat bereits mehrere von uns ermordet. Deshalb brauchen wir all diese Sicherheitsvorkehrungen.«
Die Mutter Oberin nickte einer der beiden Frauen zu, die hier über Lethea wachten. Sie war um die dreißig, hatte schwarzes Haar und olivfarbene Haut. »Schwester Jiara hat Lethea genau beobachtet, aber ich fürchte, dass sie kaum Antworten auf unsere Fragen hat.«
Jiara blickte durch das Plaz. »Ihr Geist verfällt, doch er ist nach wie vor unglaublich mächtig.« Sie hielt für einen kurzen Moment inne. »Stark genug, um mehrere Schwestern durch reine Willenskraft zu töten.«
Als spürte sie ihre Anwesenheit, öffnete Lethea die Augen zu schmalen Schlitzen und starrte Jessica direkt von der anderen Seite des Panzerplaz an. Jessica erschauerte. »Wofür braucht ihr sie?«, fragte sie die Mutter Oberin. »Was ist so wichtig?«
»Lethea verfügt über eine besondere hellsichtige Gabe, die die Schwesternschaft benötigt, die Fähigkeit, die Zukunft unseres Ordens vorherzusagen. Sie hat sich als sehr akkurat erwiesen und ist für uns von Wert, weil sie es uns ermöglicht, kalkulierte Entscheidungen zu treffen. Darum halten wir sie am Leben, trotz der Gefahr. Aber ihre mentale Gabe kommt und geht, und langsam entgleitet Lethea die Kontrolle darüber.«
»Sie hat den Verstand verloren«, fügte Jiara verbittert hinzu. »Aber sie hat darauf bestanden, dass wir dich herbringen.«
Jessica hatte so viele Fragen, dass sie nicht länger an sich halten konnte: »Was hat das alles mit mir zu tun? Ich sehe diese Kwisatz-Mutter zum ersten Mal.«
Harishka wandte sich Jessica zu und sagte: »Du bist hier, weil Lethea gesagt hat: ›Bringt sie hierher. Unsere Zukunft hängt davon ab.‹ Und dann hat sie darauf bestanden, dass man dich von deinem Sohn trennt. Sie sagt, dass du das Ende der Schwesternschaft herbeiführen könntest.«
Jessica hatte das Gefühl, von einer Klippe zu stürzen. »Mich von Paul trennen?« Das ergab nicht das geringste bisschen Sinn. »Warum? Wozu soll das gut sein?«
Harishkas Miene fiel in sich zusammen. »Die Antwort auf diese Frage musst du für uns herausfinden. Sie hat Schrecken, Blutvergießen und eine Katastrophe vorhergesagt. Deshalb haben wir dich so schnell hierher beordert.«
Hinter der Plazwand hielt Lethea den Blick fest auf Jessica gerichtet, bevor sie ihn weiterwandern ließ und Mutter Oberin Harishka, Jiara und die andere Schwester finster anstarrte. Schließlich schloss die alte Frau die Augen und sank wie ein alter Lumpen auf das Krankenbett zurück.
»Sie ist hinterlistig«, flüsterte Jiara. »Schau sie dir an. Sie wird noch mehr von uns töten, wenn wir ihr die Gelegenheit dazu geben.«
»Schläft sie jetzt wirklich?«, fragte die andere Schwester.
Harishka berührte einen Knopf an der Wand, und mit einem leisen Zischen öffnete sich die Tür zu dem Krankenzimmer. Sie rief drei Arztschwestern, die durch den Gang zu ihnen eilten. »Kümmert euch schnell um sie, solange ihr Zeit habt.« Die drei rannten hinein, rollten eine Maschine an das Bett der alten Frau und schlossen sie daran an, befestigten neue Schläuche und Kabel und bemühten sich dabei, sie nicht zu wecken. Zwei der Schwestern lasen Monitore ab, während die dritte wachsam beobachtete, als wäre sie jederzeit auf einen Angriff vorbereitet.
»Intravenöse Ernährung«, erklärte Harishka. »Lethea weigert sich, selbst zu essen. Wir erhalten sie am Leben, mag sie sich auch noch so sehr dagegen sträuben. Und wir erwarten, dass du ihr Antworten abringst.«
Die beiden Frauen verrichteten ihre Arbeit schnell, aber als sie den Schlauch mit der Nährlösung entfernten, regte sich die Patientin. Erschrocken ließen die Arztschwestern die Ernährungsmaschine stehen und stürmten zur Tür.
Lethea war nun ganz wach und rief auf seltsame Art: »Halt!«
Jessica erkannte die unwiderstehliche Macht der Stimme. Tötete sie auf diese Art?
Zwei Schwestern hatten es durch die Tür geschafft, aber die dritte, die Wache gehalten hatte, kam mit einem Ruck zum Stehen. Entsetzt wehrte sie sich, doch sie konnte sich nicht regen. Es war, als hätte man sie mit einem Lasso eingefangen. Ihre Gefährtinnen drehten sich um und packten sie, zogen sie auf den Korridor hinaus und knallten die Tür hinter sich zu.
Lethea wand sich auf ihrem Krankenbett und starrte finster durch das Glas.
»Wir müssen immer Dreiergruppen hineinschicken«, sagte Harishka. »Anscheinend kann sie jeweils nur eine Schwester auf einmal kontrollieren, und so können die anderen beiden das Opfer davon abhalten, sich umzubringen.«
»Für sie ist es ein Spiel«, sagte Jiara. »Sie versucht, eine von uns allein zu erwischen.«
Lethea warf Jessica durch das Fenster einen feindseligen, Furcht einflößenden Blick zu, doch Jessica wandte sich nicht ab, sondern begegnete ihm. »Will Lethea mich deshalb sehen? Weil sie mich töten will?«
»Das ist möglich«, sagte die Mutter Oberin. »Das ist sehr gut möglich.«
Das Haus Atreides hat seinen Wert immer nach seiner Ehrenhaftigkeit bemessen, nicht nach seinen Gütern. An dem, was für uns wichtig ist, sind wir weitaus reicher als jedes andere Haus im Landsraad.
Leto Atreides bei seiner Ernennung zum Herzog von Caladan
All wichtigen Gildenrouten führten früher oder später an Kaitain vorbei, der schillernden Hauptwelt des Imperiums.
An Bord eines Heighliners vom fernen Caladan traf Leto Atreides in der luxuriösen Fregatte seiner Familie ein. Sein Stab, der erheblich mehr Bedienstete umfasste, als er brauchte, trug Grün und Schwarz, und auf jeder Tunika oder Jacke war gut sichtbar das Falkenwappen der Atreides angebracht. Ein solches Maß an Selbstdarstellung war der Landsraad von Herzog Leto nicht gerade gewohnt.
Seit dem Terroranschlag auf Otorio galten im Imperium andere Regeln. Und nach den Problemen mit Jessica … Gefühle wallten in ihm auf. Nach der Sache mit Jessica hatte auch Leto sich gewandelt. Er war nun ein anderer Mann mit neuem Zielbewusstsein und neuen Prioritäten. Nun machte er sich lange unbeachtete Ambitionen für sein Haus und seinen Sohn zu eigen, und an diesen Entschluss klammerte er sich. Sonst war ihm nichts geblieben.
Der Protokollminister der Atreides, ein dünner und unsicherer Mann namens Eli Conyer, füllte während des Transits Formulare aus, und als das Gildenschiff den Schwarm von Fregatten, Fähren und Passagierschiffen in die Umlaufbahn von Kaitain entließ, übermittelte Conyer die Nachricht vom Eintreffen des Herzogs. Er bestand auf den gebotenen Empfangsformalitäten und schickte ebenfalls Mitteilungen an den Landsraadssekretär, den Palast des Imperiums und verschiedene Nachrichtenagenturen.
Auf dem Passagierdeck der Atreides-Fregatte konnte Conyer ein Lächeln nicht verbergen. »Alles ist so, wie es Ihrem Stand entspricht, Mylord. Die Hauptwelt soll wissen, dass der Herzog von Caladan eingetroffen ist!« Er sagte es, als wäre eine Art Messias gekommen.
Vor gar nicht allzu langer Zeit, als er bei der Einweihung des protzigen Corrino-Museums auf Otorio zugegen gewesen war, hatte Leto noch die Augen verdreht angesichts der adligen Laffen, die sich in der Hoffnung, von Shaddam Corrino IV. bemerkt zu werden, selbst zur Schau gestellt hatten. Jetzt lief er Gefahr, sich genauso zu verhalten.
Es war Leto unangenehm, wenn sich so viel Aufmerksamkeit auf ihn richtete, aber letztendlich tat der Minister genau das, was man ihm aufgetragen hatte. Dies war sein erster Vorstoß bei dem Versuch, das Haus Atreides stärker ins Rampenlicht zu rücken. »Machen das nicht alle anderen Landsraadsadligen auch?«
Conyer schnaubte. »Es ist absolut üblich, Sire, aber Sie haben es bisher nie getan. Deshalb handelt es sich hier um einen denkwürdigen Besuch.«
Zeit seines Lebens war Leto damit zufrieden gewesen, sein Volk gut zu führen, dem Pfad der Ehre zu folgen und seinen Sohn ebenfalls dazu zu erziehen. Doch dadurch waren ihm viel Reichtum und Macht – und damit auch Sicherheit für das Haus Atreides – durch die Finger geschlüpft. Er hatte viele Gelegenheiten verpasst. Was, wenn er den Wert dessen, was er Paul vererben würde, gemindert hatte? Leto fragte sich, ob andere Adlige ihn insgeheim für unfähig auf dem politischen Parkett hielten.
Jaxson Arus Terroranschlag hatte viele leere Plätze im Landsraad hinterlassen, und die Adligen konkurrierten um sie wie Schweine am Futtertrog. So würde Leto sich zwar nicht verhalten, aber ihm war klar, dass er deshalb noch lange nicht schwach sein musste. Er war nach Kaitain gekommen, um einen Teil dessen zu beanspruchen, was das Haus Atreides verdiente. Das war überfällig.
Conyer betrachtete einen Bildschirm und lächelte. »Ich habe mich darum gekümmert, dass wir am imperialen Raumhafen einen Gardeempfang und eine Eskorte bekommen, Sire.« Anscheinend beschämt wandte er den Blick ab. »Es handelt sich um eine kommerzielle Dienstleistung, die wir uns aber problemlos leisten können.«
»Das haben Sie gut gemacht«, sagte Leto, als das prunkvoll verzierte Schiff auf dem zugewiesenen Landefeld aufsetzte. »Stehen angemessene Gästequartiere für mich und mein Gefolge bereit?«
Conyer wirkte gekränkt. »Selbstverständlich, Mylord! Im Promenadenflügel des Palasts, eine erstklassige Suite mit Zimmern für Ihr Gefolge und Ihr Wachpersonal. Wann immer Sie Ihren Geschäften nachgehen, wird man Sie sehen und wahrnehmen.«
Die Hauptstadt war eine einzige Zurschaustellung von Regierungsgebäuden, Monumenten, Museen, Türmen, Statuen, Springbrunnen, Prismen, Obelisken, Torbögen und Sonnenuhren unter einem klaren blauen Himmel, den die Wetterkontrolle garantierte. Die Kakofonie und die visuelle Überladung ließen Leto für einen Moment innehalten, als er seine protzige Fregatte verließ. Er vermisste das Rauschen der Ebbe auf Caladan, den Klang der Wellen, die die Docks der Hafenstadt umspülten. Er erinnerte sich daran, wie er mit Jessica zwischen den Gezeitenbecken umherspaziert war, ihr Seeanemonen, umherflitzende Krebse und stachelige Seesterne gezeigt hatte. Er erinnerte sich an einen Sturm weit draußen auf See, an helle Blitze in den Wolken …
Jetzt wappnete er sich innerlich, als er den Blick über die riesige Stadt schweifen ließ und sich in Erinnerung rief, warum er hier war. Sobald er ein mächtiger, reich begüterter Fürst war, konnte er wieder die Herrlichkeit des Ozeans auf dem Planeten seiner Vorväter genießen.
Aber nicht mehr mit Jessica. Diese Beziehung war irreparabel beschädigt, und die Bene Gesserit hatten sie offiziell nach Wallach IX zurückbeordert. Er fragte sich, ob er sie je wiedersehen oder mit ihr sprechen würde.
Ein Trupp Soldaten marschierte steif auf die Atreides-Fregatte zu. Sie sahen aus, als gehörten sie der Palastgarde an, aber es handelte sich nur um das Geleit, das Conyer für Geld engagiert hatte, damit Leto Eindruck schinden konnte. Zwei Fahnenträger hielten eine scharlachrote und goldene Flagge mit dem Corrino-Löwen und eine grün-schwarze Flagge mit dem Atreides-Falken empor. Einer der Wachleute bellte mit dröhnender Stimme: »Kaitain heißt den Herzog von Caladan willkommen!«
Zwölf uniformierte Wachleute verneigten sich gleichzeitig und stellten geübt ihre Unterwürfigkeit zur Schau. Auf den benachbarten Landeplätzen sah Leto weitere Passagierfähren und Privatfregatten, die alle mit demselben Heighliner angekommen waren. Ähnliche bezahlte Empfangskomitees begrüßten die anderen eingetroffenen Adligen.
Während sein Gefolge ihm aus der Fregatte folgte, strich Leto sein schwarzes Haar zurück und hob das Kinn. Seine Adlernase und sein kantiges Kinn verliehen ihm ein auffälliges Profil. Harsch befahl er der bezahlten Eskorte: »Bringt mich zum Imperialen Palast, wo Imperator Shaddam mich empfangen wird.« Er hatte keine Ahnung, ob das der Wahrheit entsprach, und sein hochmütiger Tonfall kam ihm unnatürlich vor, aber die uniformierten Wachen gingen in Habachtstellung und setzten sich mit ihm in Bewegung. Letos persönlicher Stab würde derweil sein Gepäck in seine neuen Gemächer bringen.
Er dachte an seinen vierzehnjährigen Sohn Paul – seinen Erben, obwohl Paul das Kind einer Konkubine und nicht der Spross einer legitimen Ehe war. Leto weigerte sich seit jeher, sich am Spiel um politische Ehen zu beteiligen. Sein einziger solcher Versuch hatte mit Blutvergießen und einer Tragödie bei der Hochzeitszeremonie geendet, und er hatte sich geschworen, seiner Familie nie wieder etwas Derartiges zuzumuten. Seiner Familie.
So viel hatte sich verändert.
Stattdessen hatte Leto seine Aufmerksamkeit der Suche nach möglichen Ehekandidatinnen für den jungen Paul zugewandt, aber zu seiner Überraschung hatte er feststellen müssen, dass manch andere Adlige das Haus Atreides als zu unwichtig für eine Hochzeitsallianz betrachteten. Auflodernde Wut trieb Leto die Röte ins Gesicht, als er daran dachte, wie höhnisch Herzog Fausto Verdun auf die bloße Vorstellung reagiert hatte, dass seine Tochter Paul Atreides heiraten könnte.
Wenn Leto bei seinem Vorhaben auf Kaitain erfolgreich war, würde sich diese Haltung bald ändern.
Als er den spektakulären Palast des Imperators betrat, war Leto nur einer von Hunderten ähnlich wichtigen Besuchern. Seine Eskorte brachte ihn ins riesige große Foyer, doch dort verließ sie ihn nach vollendetem Auftrag. Mit einem Mal kam er sich wie ein einziges Blütenblatt einer Blume auf einer weiten Bergwiese vor. Inmitten der Betriebsamkeit des Imperialen Hofes zog er kaum Aufmerksamkeit auf sich.
Er zuckte zusammen, als überraschend nah eine Stimme erklang. »Ahhh, hmmm, mein lieber Herzog Leto, ich hatte gehofft, Sie hier abfangen zu können!« Leto drehte sich um und sah einen schlanken, dunkelhaarigen Mann mit schmalem Gesicht, großen Augen und einem fliehenden Kinn. Seine schwarz-purpurfarbene Kleidung wies all die Accessoires auf, die man bei einem wichtigen Mann bei Hofe erwartete. »Gestatten Sie mir, Sie willkommen zu heißen. Ich werde Sie hier unterstützen, so gut ich kann.«
Leto erkannte den Mann und verneigte sich kurz. »Graf Fenring, ich weiß diese Geste zu schätzen.« Er hielt inne und erkannte, dass sich ihm eine unerwartete Gelegenheit bot. »Vielleicht können Sie mir bei meinen Angelegenheiten hier auf Kaitain behilflich sein.«
Hasimir Fenring gehörte zu den engsten Freunden und Beratern des Imperators Shaddam. Sein offizieller Titel war der des Gewürzministers auf Arrakis, aber er verbrachte auch viel Zeit damit, bei Hofe Intrigen zu spinnen. Er konnte sicher ein mächtiger Verbündeter für Leto sein, aber er war kein Mann, der sich von irgendjemandem außer Shaddam kontrollieren ließ. Warum legte er Wert darauf, Leto zu begrüßen?
Erneut verbeugte sich der Graf knapp. »Weder der Padischah-Imperator noch ich werden je vergessen, wie Sie uns auf Otorio vor diesem Wahnsinnigen gerettet haben. Wir sind nur dank Ihrer Warnung entkommen, und ich bin mir sicher, dass Shaddam Ihnen jeden erbetenen Gefallen gewähren wird.«
»Danke. Ich bin nach Kaitain gekommen, um zu versuchen, dem Haus Atreides auf eine neue Art etwas mehr Respekt zu verschaffen.« Leto holte tief Luft und verdrängte seine Verärgerung.
»Mehr Respekt?« Fenring hob fragend die Augenbrauen.
Inmitten des lauten und bunten Treibens im großen Empfangssaal machte Leto eine dunkel gewandete Bene Gesserit aus – und erstarrte. Es war die Ehrwürdige Mutter Mohiam, die Wahrsagerin des Imperators, die sich ihnen weit genug genähert hatte, um sie zu belauschen. Der Schmerz über das, was die Schwestern Jessica und ihm angetan hatten, saß nach wie vor tief. Demonstrativ stellte Leto sich so auf, dass sie nur seinen Rücken sehen konnte.
»Bitte entschuldigen Sie meine Direktheit, Graf Fenring. Meine Familie wurde kürzlich durch ein anderes Adelshaus beleidigt und ich bin ziemlich aufgebracht.« Er straffte die Schultern und rückte seinen grün-schwarzen Umhang zurecht.
Fenring bemerkte die alte Ehrwürdige Mutter anscheinend nicht. »Ihre Familie wurde beleidigt? Ahhh, also geht es hier um kanly?«
Der Gedanke erschreckte Leto. Herzog Verdun mochte sich verächtlich über ihn und seinen Sohn geäußert haben, aber Leto wollte die Fehde nicht blutig eskalieren lassen. »Nein, darum geht es mir nicht. Anscheinend betrachtet das Haus Verdun meinen Sohn als unwürdigen Freier und Herzog Fausto hält das Haus Atreides für zu unwichtig im Landsraad. Ich bin hier, um meinen Reichtum und Einfluss zu mehren, damit ich diesen Eindruck korrigieren kann.«
»Ahhh, hmmm …« Fenrings Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Normalerweise arbeiten Adlige eher hinter den Kulissen daran, Einfluss zu gewinnen, aber Sie sind so direkt! Das gefällt mir. Vielleicht kann ich Ihnen helfen, Herzog Leto. Ich verfüge selbst über einen gewissen Einfluss, und natürlich hat der Imperator ein offenes Ohr für mich.« Er lachte leise. »Über Herzog Verdun würde ich mir allerdings keine Gedanken machen!«
Aus dem Augenwinkel sah Leto, wie die Wahrsagerin sich näher an sie heranschob. »Aus welchem Grund?«, fragte er.
Fenring hob die Augenbrauen. »Ahhh, weil das Haus Verdun vernichtet wurde. Herzog Fausto war ein Rebell und Verräter, der mit den Aufständischen des Adelsbunds gemeinsame Sache gemacht hat. Imperator Shaddam hat ihn dafür bestraft, und seine gesamte Familie ist tot.«
Leto schnappte nach Luft. Damit hatte er nicht gerechnet.
Später am selben Nachmittag, in Shaddams privatem Meditationsraum – wo der Imperator in der Regel nicht besonders viel meditierte –, erzählte Fenring, was Leto Atreides ihm über den Grund für seinen Besuch auf Kaitain mitgeteilt hatte.
Mit ihrem rabenschwarzen Haar, ihren großen Augen und vollen Lippen hatte Imperatorin Aricatha Shaddam um den kleinen Finger gewickelt. Sie stand neben der Tür und wollte lauschen, aber Fenring bedachte sie mit einem ungeduldigen Blick. Er war immer noch zu keinem Schluss darüber gelangt, ob sie eine Verbündete oder eine Feindin war.
Shaddam räkelte sich in einer Freizeituniform, die entschieden zu viel Brokat aufwies, um bequem zu sein. Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Lass uns das besprechen, meine Liebste. Anschließend erzähle ich dir alles, was du wissen musst.«
Weil er sie so genau beobachtete, sah Fenring das kurze Aufblitzen in Aricathas Blick, bevor sie rasch nickte und zur Tür hinausschlüpfte.
Als sie weg war, sagte Shaddam: »Also, mein Cousin Leto interessiert sich nun endlich für die Macht, die er schon vor so langer Zeit hätte haben können. Sollen wir ihm jetzt eine Belohnung für seinen Einsatz auf Otorio hinwerfen?« Er strich sich übers Kinn. »Auf den Rest den Landsraads würde das einen guten Eindruck machen.«
»Nach Macht zu streben erscheint mir uncharakteristisch für ihn«, sagte Fenring. »Bringt er sich für irgendetwas in Stellung? Kann es sein, dass er insgeheim selbst etwas mit dem Adelsbund zu tun hat? Leto Atreides ist genau die Art von Adligen, die die Rebellen rekrutieren wollen.«
Shaddam schnaubte. »Leto Atreides? Ein Rebell und Verräter?«
Die Ehrwürdige Mutter Mohiam hatte unterdessen steif auf ihrem Sessel verharrt, wartend. Jetzt meldete sie sich zu Wort. »Ich habe beobachtet, und ich kann bestätigen, dass er ehrlich erschrocken über das Schicksal von Herzog Verdun war. Ich habe seinen Gesichtsausdruck studiert, die Anspannung seiner Muskeln, seinen Tonfall. Seine Abneigung gegen ihn war nicht vorgetäuscht. Wenn Fausto Verdun ein Teil der Rebellion war, dann hat Leto Atreides ihn jedenfalls nicht als Verbündeten betrachtet.«
»Ich hatte auch keine besonders hohe Meinung von Verdun«, sagte Shaddam. »Es fällt leicht, gegen so jemanden eine Abneigung zu haben.« Dann lachte er. »Aber der gute und edle Herzog Leto? Ich habe mir oft gewünscht, dass der Mann ein bisschen mehr Ehrgeiz an den Tag legt und eine dunklere Seite seiner Persönlichkeit offenbart. Dann würde ich ihn verstehen.«
»Es würde ihn menschlicher machen«, pflichtete Mohiam ihm bei. »Nun, da seine Konkubine fort ist, hat er Zeit, andere Prioritäten in Erwägung zu ziehen.«
Fenring kratzte sich am Nasenrücken. »Vielleicht ist er auch gut darin, seinen wahren Charakter zu verbergen, hmmm?«
Mohiam überlegte einen Moment lang und schüttelte dann den Kopf. »Nein, er ist offen und aufrichtig.«
Die Gefahr, die ein Feind darstellt, ist direkt proportional zu der Angst, die er einem einflößt.
Aus dem Kampftrainingshandbuch der Sardaukar
Imperiale Kanonenboote, gekennzeichnet mit dem Scharlachrot und Gold der Corrinos, schwärmten über dem Planeten Elegy aus. Es war kein diplomatisches Gefolge, sondern eine schreckenerregende Zurschaustellung von Macht. Die Sardaukar-Truppen des Imperators würden dafür sorgen, dass der Gouverneur des Planeten kooperierte, und den gewalttätigen Rebellenführer Jaxson Aru aus seinem Versteck treiben.
Oberst-Baschar Jopati Kolona war noch nicht einmal davon überzeugt, dass der Terrorist sich wirklich auf Elegy aufhielt, aber Shaddam ging jedem Gerücht zügig und gnadenlos nach. Zehn Truppentransporter mit Hunderten von Soldaten an Bord brachen unter Kolonas Kommando wie eine Lawine über den Raumhafen von Elegy herein. Sie gaben keine Flugpläne durch und baten auch nicht bei den planetaren Kontrolltürmen um Landeerlaubnis. Die Sardaukar drängten den kommerziellen Verkehr einfach aus dem Weg. Kolona gab weniger Befehle, als dass er zusah, wie seine Wünsche sich mit tödlicher Unausweichlichkeit entfalteten.
Auf dem Weg von den Kriegsfregatten in der Umlaufbahn nach unten hatte der Oberst-Baschar dem Grafen Giandro Tull gelassen seine Forderung übermittelt, die Schiffe an seinem Raumhafen zu empfangen. Tull würde es irgendwie einrichten, dort zu sein und uneingeschränkt mit ihm zusammenzuarbeiten, oder sich den Konsequenzen stellen müssen.
Kaum waren die Kanonenboote gelandet und hatten die Luken geöffnet, strömten auch schon Truppen aus ihnen hervor und schwärmten über das Landefeld aus, in einem Gleichschritt, der ihnen über Jahre der Ausbildung hinweg zur zweiten Natur geworden war. Die Kanonenboote hielten die Geschütze bereit, und die Kanoniere behielten ihre Zielvorrichtungen im Blick, bereit, den gesamten Raumhafen einzuebnen, falls ihr Kommandant den Befehl dazu gab.
Langsam gewöhnten sich Kolonas Augen an das dunstige Sonnenlicht, als er von Bord ging. Tief atmete er den fremdartigen Duft der allgegenwärtigen Flechtenwälder ein, für die der Planet berühmt war, bevor er hinaustrat und sich an die Arbeit machte.
Wie erwartet wurde er von Graf Tull empfangen. Der Adlige hatte sogar noch Zeit gefunden, eine mit Girlanden verzierte Empfangstribüne am Rande des Landefelds errichten zu lassen. Er verhielt sich, als wäre diese Sardaukar-Razzia eine Art Parade.
Als Sardaukar hatte Kolona ein gnadenloses Überlebenstraining auf Salusa Secundus absolviert, und er nahm seine Umgebung mit allen Details wahr und achtete aufmerksam auf jede mögliche Bedrohung. Sein Blick war wie ein Lasgun-Fadenkreuz mit dem Grafen im Visier.
Gekleidet in schillernde Stoffe, die aus den besonderen, an auffälligen Felsformationen wachsenden Flechten Elegys gefertigt waren, stand Giandro Tull auf der Tribüne. Das kastanienbraune Haar des Adligen war schulterlang, sein Gesicht war schmal und gut aussehend. Sein Lächeln war ebenso kunstvoll wie künstlich. Er stand stocksteif da, während Kolona sich in einer Galauniform näherte, bei der es sich um den Inbegriff militärischer Pracht handelte. Seine Bügelfalten waren so sauber und scharf gezogen, dass man sich an ihnen hätte schneiden können.
Kolona und seine Ehrengarde von dreißig Soldaten trugen Energieschilde und ein Arsenal langer Klingen und kurzer Dolche, gekrümmter Hinrichtungshaken und Wurfmesser. Giandro Tull hatte nur in kostbaren Flechtenschuppenstoff gekleidete Berater mitgebracht, denen offenbar recht unbehaglich zumute war. Eingeschüchtert standen sie da, darauf bedacht, die Situation nicht eskalieren zu lassen. Gut, genau so war es Jopati Kolona am liebsten.
Das gelassene Lächeln des Grafen verblasste nicht. Kolona war von seiner Selbstkontrolle beeindruckt. »Wie kommen wir zu dieser unerwarteten Ehre, Oberst-Baschar?«
Er antwortete ebenso förmlich. »Der Padischah-Imperator hat uns hergeschickt, damit wir besorgniserregenden Berichten nachgehen, dass der Kriminelle Jaxson Aru auf Elegy gesichtet wurde. Ich bin hier, um festzustellen, ob die Rebellenbewegung Ihren Planeten infiziert hat.«
Tull wirkte kein bisschen erschüttert. »Wo haben Sie denn einen derartigen Unsinn gehört?«
»Es steht mir nicht frei, unsere Quellen offenzulegen, Mylord.« Tatsächlich wusste Kolona nicht, woher der Bericht stammte, aber Shaddam sah inzwischen überall Verschwörer. Ein Verdacht genügte ihm, um jemanden genau unter die Lupe zu nehmen, und die Offiziere befolgten ihre Befehle.
»Das bespreche ich gern ausführlicher mit Ihnen.« Tull verneigte sich knapp. »Ich möchte Sie in mein Anwesen einladen. Ich lasse Ihnen ein gutes Abendessen auftragen, und Sie können mir alle Hinweise vorlegen, die Sie in dieser Sache gegen mich haben. Ich bin ein treuer Untertan des Imperiums.«
Kolona fühlte sich von der Einladung überrumpelt. »Das hier ist kein Höflichkeitsbesuch, Sir. So viel sollte deutlich geworden sein.«
Der Tonfall des gut aussehenden Grafen wurde kühler. »Ich bin weder blind noch ein Dummkopf, Oberst-Baschar. Ich weiß, dass Ihre Sardaukar bereits das Haus Verdun auf Dross ausgelöscht haben und dass meinen Gütern das Gleiche widerfahren kann.« Sein falsches Lächeln wuchs in die Breite. »Aber wenn Sie es nicht unbedingt für nötig halten, all das möglichst unerquicklich zu machen, würde ich lieber ein Gespräch im Geiste der Zusammenarbeit führen. Dann kann ich Sie und ihre Sardaukar beruhigen, damit wir diesen Unsinn hinter uns lassen und Sie so schnell wie möglich wieder abreisen können.«
Kolona gab seiner Ehrengarde ein Zeichen. »Meine Truppen werden in der Stadt ausschwärmen und zu einigen kleineren Ortschaften reisen, in denen Jaxson Aru oder seine Rebellen sich verstecken könnten. Die Sardaukar werden beobachten und nötigenfalls Verhöre durchführen.«
Graf Tull schluckte sichtlich. »Bitte versichern Sie mir, dass Ihre Soldaten sich genau ans Protokoll halten und keinen unnötigen Schaden anrichten werden.«
Kolona gab die einzig mögliche Antwort. »Sie sind Sardaukar.«
Seine Soldaten schwärmten aus wie Stahlnadelgeschosse aus einer Flechette-Waffe und fielen über die Hauptstadt von Elegy her, geflüsterten Gerüchten auf der Spur. Graf Tull verhielt sich sehr umsichtig und das wusste Kolona zu schätzen. Der Oberst-Baschar verabscheute es, sinnlos Gewalt, Tod und Zerstörung zu bringen, wie es dem Haus Verdun widerfahren war.
Außerdem erinnerte er sich daran, wie vor vielen Jahren eine ähnlich rasche und unerwartete Operation unter der Führung von Herzog Paulus Atreides die Familie Kolona um ihre Güter gebracht und ausgelöscht hatte …
Das üppige Bankett, das im Anwesen aufgetragen wurde, beeindruckte Jopati Kolona nicht. Ein Leben mit Rationen aus konzentrierten Nährstoffen hatte ihm jeden erlesenen Geschmack ausgetrieben, aber trotzdem spielte der Offizier seine Rolle wie bei einem offiziellen militärischen Empfang. Da er wusste, dass es nicht in Tulls Interesse lag, ihn zu vergiften, aß Kolona genug, um nicht unhöflich zu erscheinen. An leichter Konversation war er allerdings nicht interessiert.
Die beiden Männer saßen allein in einem privaten Speisesaal, der mit verzierten Nebelspringbrunnen und sägezahnförmigen Flechtensträußen geschmückt war. Wortlos brachten Bedienstete ein Tablett nach dem anderen herein, stellten die Speisen ab und gingen wieder.
»Ich könnte Sie in meine Stallungen mitnehmen und Ihnen meine erstklassigen Pferde zeigen, die kostbarsten aller Züchtungen, deren Stammbäume sich bis zur Alten Erde zurückverfolgen lassen.« Tull lächelte. »Ein Soldat wie Sie dürfte die hervorragende Qualität dieser Reittiere zu schätzen wissen.«
»Sardaukar reiten nicht oft auf Tieren«, sagte Kolona. »Und es handelt sich hier nicht um einen Höflichkeitsbesuch.« Seine Sardaukar würden herausfinden, ob etwas Wahres an den Gerüchten war.
Tull, der immer noch auf eine Erklärung wartete, sagte schließlich: »Und, werden Sie mir verraten, wie ich den Verdacht des Imperators auf mich gezogen habe?«
»Dafür gibt es viele Gründe. Der wichtigste ist Ihre Abwesenheit während der Gala auf Otorio und Jaxson Arus Terroranschlag. Viele Landsraadsadlige sind gekommen, um dem Imperator ihre Unterstützung zu bekunden, aber Sie haben auffälligerweise gefehlt – und deshalb überlebt. Wussten Sie vielleicht vorher von dem bevorstehenden Anschlag?«
Nun verlor Tull die Fassung. »Mein Vater war soeben gestorben, Sir! Ganz Elegy stand unter Schock und ich musste mir die politische Kontrolle sichern. Denken Sie etwa, ich hätte seinen Tod irgendwie als Vorwand herbeigeführt?« Vor Wut stockte seine Stimme.
Kolona wahrte einen unveränderten Gesichtsausdruck. »Das ist ein mögliches Szenario. Im Wissen um den Anschlag könnten Sie die Gelegenheit ergriffen haben, Ihren Vater zu stürzen und die Kontrolle über das Haus Tull zu übernehmen.«
Tull wirkte ehrlich empört. »Ich finde es widerwärtig, dass Sie als Sardaukar-Offizier und auch als Mensch mir so etwas unterstellen.«
Kolona stocherte in seinem Essen herum, bevor er fortfuhr. »Hinzu kommt, dass die Wahrsagerin des Imperators gewisse Verdächtigungen bezüglich Ihres neuen Amts als Herr von Haus Tull geäußert hat. Sie behauptet, Hinweise in Ihrem Verhalten zu entdecken, die nur sie feststellen kann. Der Imperator hört auf sie.«
Nun schnaubte der Graf abfällig. »Die Einlassungen der Ehrwürdigen Mutter Mohiam sind verfälscht. Sie ist eine Bene Gesserit, und die Schwesternschaft befindet sich im offenen Streit mit mir. Die Motive der Bene Gesserit sind kindisch durchsichtig und ich würde nicht viel auf ihr Wort geben.«
Er rümpfte die Nase und fuhr fort: »Die Hexen hatten meinen Vater sein Leben lang in ihrem Bann, und er hat ihnen große Geldsummen gegeben, die sie für den Ausbau ihrer Mütterschule verwendet haben. Wenn Sie mich fragen, hat er damit den Reichtum unserer Familie verschleudert! Als mein Vater starb, habe ich ihnen die Mittel gestrichen und seine Konkubine verbannt. Die Hexe hat mich zu verführen versucht, bevor das Bett meines Vaters kalt war.« Tull wirkte angeekelt und seine Stimme klang nun harscher. »Wenn Sie all das nicht schon über mich wissen, Oberst-Baschar, dann bin ich nicht besonders beeindruckt von Ihren Fähigkeiten als Ermittler.«
Kolona nickte respektvoll. Natürlich waren ihm all diese Einzelheiten bekannt gewesen.
Graf Tull wartete und bohrte dann in scharfem Tonfall nach: »Sonst noch etwas?«
»Der Imperator ist besorgt wegen Ihrer engen geschäftlichen Verbindungen zum Haus Verdun. Laut der öffentlich zugänglichen Unterlagen der MAFEA sind Ihre kommerziellen Aktivitäten miteinander verflochten.«
»Natürlich sind sie das. Trotz der Schönheit unserer Hauptwelt und der Gewinne, die wir durch die Kultivierung seltener Flechten erzielen, konzentrieren wir uns auf extraplanetare Industrien. In unserem Asteroidengürtel schürfen wir Metalle und schicken das Erz zur Weiterverarbeitung nach Dross.« Tulls Miene verfinsterte sich. »Ihr Überfall auf das Haus Verdun war ein schwerer finanzieller Schlag für mein Volk, und ich habe in aller Form Beschwerde beim Landsraad eingelegt.«
»Woher sollen wir wissen, dass Ihre sogenannten Handelsaktivitäten nicht ein Mittel zur Finanzierung des Adelsbunds sind?«, fragte Kolona.
Tull erwiderte: »Woher wissen wir überhaupt, dass Fausto Verdun ein Verräter war? Ich warte seit der Exekution des Herzogs und seiner gesamten Familie darauf, dass dem Landsraad irgendwelche Beweise dafür vorgelegt werden.« Er hielt seine Wut kaum im Zaum.
Kolona wahrte eine neutrale Miene. Auch er hegte große Zweifel an Verduns Schuld, aber ein Sardaukar konnte keine Vorbehalte gegenüber den Befehlen seines Imperators zeigen. »In meinen Augen waren die Beweise hinreichend.«
Tull sah ihn in offenem Zorn an. »All diese Menschen wurden ohne Gerichtsurteil abgeschlachtet, ohne die Vorlage von Beweisen, ohne eine Chance auf Berufung, und ich soll mich einfach mit Ihrem Wort zufriedengeben?«
»Sie sollen sich mit Imperator Shaddams Wort zufriedengeben«, sagte Kolona, und damit war das Gespräch faktisch beendet.
Sie aßen und tranken schweigend. Gedämpft und verbittert sagte Tull: »Stellen Sie hier nach Herzenslust Untersuchungen an, Oberst-Baschar. Sie werden jedenfalls keine Hinweise auf eine Rebellion finden.« Er schob seinen Teller von sich und signalisierte damit, dass das Essen vorbei war. »Es sei denn, Sie fälschen welche.«
Kolona gab erneut eine unbeirrbare Antwort. »Wir sind Sardaukar.« Damit stritt er diese Möglichkeit nicht direkt ab, obwohl er die Worte so meinte.
Der Offizier verließ das extravagante Anwesen und kehrte zu dem Personentransporter am Raumhafen zurück, wo er einen Feld-Kommandoposten einrichtete.
Seine Truppen blieben noch vier Tage und führten sorgfältige Nachforschungen durch, aber sie fanden keine Beweise gegen Graf Tull. Insgeheim war Jopati Kolona erleichtert.
Um ein guter Anführer zu sein, ist es nötig, unbefangen – und unablässig – das psychologische Wohlergehen aller Menschen um einen herum zu beurteilen.
Mahnung Muad’Dibs
Ich habe das Kommando, aber nicht in Wirklichkeit, dachte Paul – der junge Meister mit der Bürde eines Herzogs.
Mit vierzehn erfüllte er diese Rolle nun zum ersten Mal allein. In Abwesenheit seines Vaters erwog er die große Verantwortung, die auf seinen Schultern lastete, und nahm sie an. Er verstand zwar, dass er vorübergehend die Rolle des Herzogs übernehmen musste, aber ihm war völlig unklar, was zwischen seinen Eltern vorgefallen war. Warum waren Leto und Jessica so unvermittelt getrennter Wege gegangen?
An einem nebligen Morgen stand der junge Mann auf einem der seeseitigen Wehrgänge von Schloss Caladan, einem uralten Verteidigungswall, der in heutiger Zeit kaum noch einen praktischen Zweck erfüllte. Ein kalter Wind wehte vom Meer her.
Er hatte seine vier engsten Berater und Lehrer zu sich gerufen. Nun, da Herzog Leto fort war, musste Paul Rahmenbedingungen für seine Rolle festlegen, und nötigenfalls musste er seiner Autorität Geltung verschaffen, obwohl er hoffte, dass Caladan von keiner Krise heimgesucht wurde. Diese vier Menschen würden ihm dabei helfen, der bestmögliche Anführer zu sein.
Er hatte Thufir Hawat, Gurney Halleck, Duncan Idaho und Dr. Yueh seit jeher als seine Mentoren betrachtet. Obwohl er der Erbe des Herzogs war, tadelten sie ihn und korrigierten seine Irrtümer, wenn sie sahen, dass er drauf und dran war, einen fatalen Fehler zu begehen. Zu jeder anderen Zeit hätte der junge Mann auch auf den weisen Rat seiner Mutter zurückgegriffen, doch Lady Jessica war ebenfalls fort …
Paul begriff nicht, was geschehen war.
Bevor Herzog Leto nach Kaitain aufgebrochen war, war er seltsam kurz angebunden gewesen, auf eine Art besorgt, die Paul seinerseits Sorgen machte. So viel war im Umbruch, und er verfügte nicht über alle Antworten, die er brauchte. Sein Vater war nicht zum ersten Mal fort, erst kürzlich war er zur Gala des Imperators auf Otorio gereist – und seine Stellvertreter und die Befehlskette während seiner Abwesenheit standen schon seit langer Zeit fest. Ja, technisch gesehen war Paul in seiner Abwesenheit der Herzog, aber seine Mutter war immer seine Säule der Weisheit gewesen, auch als Paul noch zu jung gewesen war. Nie zuvor hatte sich jemand Gedanken darüber machen müssen, wer Caladan führen sollte.
Aber seine Mutter war nicht hier.
Vom Wehrgang aus sah er aufs Meer hinaus und dachte an die Generationen von Atreides, die hier geherrscht hatten. Hinter ihm warteten die anderen. Sie schwiegen, aber mit Sicherheit waren sie neugierig zu erfahren, was er vorhatte. Paul sprach, während er den Blick über die grauen Wolken und das aufgewühlte Wasser schweifen ließ. »Solange meine Eltern fort sind, bin ich der Herzog von Caladan. Das ist das erste Mal, dass ich diese Aufgabe allein erfülle.«
»Nicht allein, junger Meister«, warf Duncan Idaho ein. »Wir sind für dich da.«
Paul drehte sich zu ihnen um. »Würde jeder von euch jeden Befehl befolgen, den ich euch gebe?«
»Aye, junger Meister.« Gurney Halleck, der Troubadour-Krieger, trug sein Balisett über der Schulter, allzeit bereit, die Saiten zu zupfen oder einen passenden Vers aus der Orange-Katholischen Bibel zu zitieren. »Sofern du uns nicht dazu aufforderst, von einer Klippe hinab ins Meer zu springen.«
Paul blieb ernst und trieb die Frage weiter. »Selbst das, Gurney. Wenn es zu so etwas käme? Hör zu, das ist kein Witz. Wenn ich als Herzog fungiere, würdest du jeden Befehl so befolgen, als käme er direkt von meinem Vater?«
Duncan trat näher an den jungen Mann heran. Der Schwertmeister war tödlich und einschüchternd und gehörte zu Pauls engsten Freunden. »Natürlich. Wir würden für das Haus Atreides sterben.« Er verneigte sich knapp.
»Aber würdet ihr für mich sterben?«
Trotz der ernsten Frage bedachte Duncan ihn mit einem schiefen Lächeln. »Ohne Frage. Du bist das Haus Atreides. Aber wenn wir unsere Pflichten richtig erfüllen, sollte das nicht nötig sein.« Er war einen Kopf größer als Paul, sein dunkles Haar war dicht gelockt, und seine Augen blitzten neugierig.
Mit einem Blick zu Thufir Hawat stellte Paul fest, dass der alternde Krieger-Mentat nachdenklich wirkte, während er Pauls Frage im Kopf drehte und wendete, mögliche Szenarien berechnete und Pauls Taktik bewertete. »Leitest du uns nun selbst bei Übungen und Gedankenexperimenten an, junger Meister? Drehst du den Spieß für deine Lehrer um?«
Paul wandte sich dem Mentaten zu. »Stimmst du den anderen zu?«
Der grauhaarige alte Mann befand sich anscheinend mitten in einer seiner geistigen Übungen. »Wie alle anderen hier auch stehe ich dir zu Diensten, genau, wie ich deinem Vater und vor ihm dem Alten Herzog gedient habe. Wir haben dem Haus Atreides die Treue geschworen. Es ist meine Pflicht zu beraten, und wenn ich das getan habe, muss ich gehorchen.«
Der Einzige, der bis jetzt still geblieben war, war der blässliche Suk-Arzt, der eher verwirrt als besorgt erschien. Dr. Yueh war dünn, kleiner als die anderen drei und kein Krieger. Sein langes Haar wurde von einem silbernen Ring zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Eine rautenförmige Tätowierung auf seiner Stirn zeigte an, dass er die strengste aller imperialen Konditionierungen durchlaufen hatte. Als Arzt der Atreides kümmerte sich Yueh um Pauls Kratzer und blaue Flecken und hatte dem jungen Mann sogar kürzlich das Leben gerettet, als er beinahe einer Mondfischvergiftung erlegen war. Yuehs steife Förmlichkeit stand im Kontrast zur warmen Loyalität der anderen.
Der Doktor stand vor einer Schießscharte, einem abgesenkten Stück Mauer, von dem aus die Soldaten früher ihre Waffen hatten abfeuern können. Paul legte die Hände auf Yuehs Schultern und übte Druck aus. Er löste seinen Griff auch nicht, als er spürte, wie der Arzt sich anspannte. »Und Sie, Yueh? Würden Sie meine Befehle befolgen, was auch immer ich als ausführender Herzog sage?«
»Wenn es gute Befehle sind, ja, Mylord.«
Die vage Antwort überraschte Paul. »Und wenn es schlechte Befehle sind?«
»Dann würde ich es als meine Pflicht betrachten, Sie zu beraten.«
Paul wusste diese komplexe Antwort zu schätzen. »Und wenn ich anderer Meinung wäre?«
»Dann würde ich davon ausgehen, dass ich mich irren muss, und Ihre Befehle selbstverständlich aufs Wort befolgen, junger Herr.«
Paul blieb, wo er war, und nickte. Die anderen beobachteten ihn und fragten sich offenbar, was er beabsichtigte. Er hielt weiter die Schultern des Suk-Arztes umfasst, und sie standen beide am Rande der hohen Mauer über den anbrandenden Wellen. »Wenn ich Ihnen befehlen würde, von diesen Zinnen ins Meer zu springen, würden Sie es tun?«
Yueh blinzelte erschrocken, aber er rührte sich nicht von der Stelle. »Mein Leben liegt in Ihren Händen, genau wie das aller auf Caladan … ach, Mylord. Sie könnten mich einfach über die Kante stoßen. Sie befinden sich nun in der Position Ihres Vaters.« Ihm und den anderen war offensichtlich ziemlich unbehaglich zumute.
Paul ließ ihn los und ging vor den Männern auf und ab. »Was, wenn ich euch allen befehlen würde, von hier oben hinunterzuspringen, jetzt sofort? Würdet ihr es tun?« Er sah sie an. »Natürlich nicht! Weil ein solcher Befehl willkürlich und unmoralisch wäre, und einen solchen Befehl sollt ihr nicht befolgen. Ich stehe hier an der Stelle meines Vaters, aber so etwas würde er nie befehlen. Ihr sollt nur rechtmäßige und moralische Befehle befolgen, selbst von mir.«
Thufir legte die Stirn in Falten, und Duncan lächelte erleichtert. Gurney lachte laut heraus.
Schließlich sagte Yueh: »Als Arzt habe ich nicht nur körperliche Krankheiten studiert, sondern auch geistige Leiden. Kaum jemand ist so gefährlich wie ein instabiler Befehlshaber.« Er presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. »Aber Sie sind nicht instabil, Paul Atreides. Das hier war eine Prüfung für uns.«
»Und für mich«, sagte Paul.
Gurney fügte hinzu: »Wir kennen dich schon dein ganzes Leben lang, Junge, und du würdest nie einen solchen Befehl geben. Das würde nur … ein Harkonnen tun.«
»Als meine engsten Berater und die wichtigsten Beamten des Hauses Atreides ist es also eure Pflicht, euch zu vergewissern, dass ich geistig nicht beeinträchtigt bin – stimmt das?«
Mit leichtem Schritt sprang er auf die Brüstung, den höchsten Punkt auf dem niedrigen Wehrgang. Auf der anderen Seite konnte er auf die spitzen Felsen und das Meer hinabblicken. Ein Moment der Umnachtung konnte ihn jetzt das Leben kosten.
Gurney sprang vor wie ein Tier auf der Pirsch, schnell, aber umsichtig.
Thufir blaffte: »Junger Meister, ich bestehe darauf, dass du wieder herunterkommst.«
»Du warnst mich immer davor, Risiken einzugehen, Thufir«, sagte Paul. Dann fügte er in einem Singsang hinzu: »Sitze nicht mit dem Rücken zur Tür. Vertraue deinen Instinkten. Achte immer darauf, dass dir ein Ausweg offensteht. Lass nie in deiner Wachsamkeit nach. Habe ich recht?«
Der Krieger-Mentat nickte. »In diesem Moment würde ich dir außerdem dazu raten, nicht oben auf dieser Mauer zu stehen.«
Paul warf Gurney einen Blick zu. Der Troubadour wirkte ernstlich besorgt. Dr. Yueh betrachtete ihn mit einem leichten Stirnrunzeln. Aber in Duncans Blick sah Paul ein Funkeln.
»Duncan hat mich dazu ausgebildet, an meine Grenzen zu gehen, mich Gefahren zu stellen, für jede wirkliche Situation bereit zu sein. Unser ganzes Leben ist eine Lektion – sagst du das nicht auch immer, Thufir?«
Der Mentat wahrte eine steinerne Miene. »Und ein jäh beendetes Leben würde mit Sicherheit auch das Ende deiner Ausbildung bedeuten.«
Paul lachte. »Duncan und ich sind an den Klippen unterhalb des Schlosses geklettert und haben uns beim Besteigen dieser unmöglichen Wand nur mit den Fingern festgehalten. Er hat mich angefeuert.«
Der Schwertmeister verzog das Gesicht. »Ich habe dich vor deiner eigenen Dummheit bewahrt.«
»Und jetzt weiß ich, dass ich es schaffen kann. Deshalb zweifle ich nicht an mir.«
Mit völliger Zuversicht sprang Paul über eine der Schießscharten und tänzelte rasch und elegant weiter über die Zinnen. Dann vertat er sich, glitt auf einem nebelfeuchten Stein aus, fing sich wieder und schaffte es mit Mühe und Not, nicht in die falsche und tödliche Richtung zu kippen.
Gurney und Duncan, die als Wächter neben ihm hergelaufen waren, griffen nach Paul, doch der junge Mann hatte sich bereits selbst gerettet.
Thufir Hawat rief: »Ich würde dir außerdem dazu raten, nicht über die Schießscharten zu springen! Das finde ich nicht besonders lustig.«
»Du hast mich mein ganzes leben lang beraten, und ich weiß zu schätzen, was du für mich getan hast, aber heute erkläre ich mich zu einem Mann, der fähig ist, seine eigenen Entscheidungen zu treffen, zum Guten oder zum Schlechten.« Er stand mit dem Rücken zum Meer, die Arme weit ausgebreitet, die Hände geöffnet. »Nur ein Mann kann über einen Planeten herrschen. Das überlässt man nicht einem Jungen.«
»Dein Tun hier erfüllt uns nicht gerade mit Zuversicht, Bursche«, tadelte ihn Gurney.
Grinsend sprang Paul auf den Wehrgang zurück. »Ich wollte euch etwas über mich beibringen. Duncan und Gurney haben immer darauf beharrt, dass ich beim Training bis an die Grenzen gehe, dass ich Risiken eingehe, um mich zu verbessern – kalkulierte Risiken. Ich bin nie zuvor so über die Mauer gelaufen, nie über die Lücken gesprungen. Aber ich war der Meinung, dass ich es kann, und ich hatte recht.«
»Größtenteils«, sagte Duncan.
Paul kam auf sie zu und fuhr sich mit den Händen durchs windzerzauste Haar. »Dank eurer Ausbildung und eures Rats verfüge ich über die Fähigkeit, mich bei einem kleinen Fehltritt selbst zu retten. Ich trage die Verantwortung für meine Handlungen und Entscheidungen und stelle mich den Folgen meines Tuns … aber ich bin auch dafür verantwortlich, auf meine Berater zu hören. Ich werde mich weiterhin auf jeden Einzelnen von euch verlassen. Obwohl ich mich heute vielleicht ein bisschen aufgeplustert habe mit meiner Erklärung zum Mann, brauche ich nach wie vor euch alle. Ohne euch könnte ich nicht herrschen.«
Sie verbeugten sich.
»Das Haus Atreides hat Feinde, und wenn sie beschließen, uns anzugreifen, wird es keine Vorwarnung geben. Logischerweise ist das Risiko für Caladan größer, nachdem mein Vater nun fort ist. Thufir, versetze die Truppen in volle Alarmbereitschaft, und halte die Augen offen – nur für den Fall.«
Der alte Mentat lachte leise. »Für dein Alter bist du wirklich klug, Meister Paul. Ja, das habe ich bereits getan.«
Als Paul das Arbeitszimmer seines Vaters im alten Schloss betrat, kam ihm der schmuckvoll eingerichtete Raum ohne ihn leer vor. Genau genommen mutete das ganze Schloss ohne seinen Herzog und die Lady von Caladan leer an.
Paul setzte sich nicht auf den Stuhl seines Vaters. Es widerstrebte ihm auf seltsame Art, sich allein in diesem Zimmer aufzuhalten. Er berührte die Platte des massiven Elakkaholz-Schreibtisches seines Vaters, und ihm fielen die Spuren des jahrzehntelangen Gebrauchs auf. Der Tisch hatte schon Pauls Großvater gehört und davor anderen Herzögen. So viele wichtige Entscheidungen waren hier in diesem Zimmer getroffen worden.
Er riss sich zusammen und fragte sich, warum er alles so intensiv empfand. Sein Vater würde nicht länger als einen oder zwei Monate auf Kaitain bleiben, und er hoffte, dass seine Mutter ebenfalls zurückkehren würde, trotz ihres Streits. Er wünschte sich, dass das Leben wieder seinen normalen Gang nehmen würde.
Als er ein Geräusch hörte, drehte er sich zur offenen Tür um und sah Thufir Hawats massige Gestalt im Durchgang. Das Haar des alten Mentaten sah zerzaust aus, und sein Gesichtsausdruck war nicht weniger zerknautscht. Ein leuchtend roter Fleck auf seinen Lippen verriet, dass er gerade ein Fläschchen Saphosaft zu sich genommen hatte.
Thufir verschränkte die Hände hinter dem Rücken und erstattete Bericht. »Mylord, soeben haben uns beunruhigende Neuigkeiten erreicht.« Er hielt für einen Moment inne, als wollte er Paul Zeit geben, sich zu wappnen. War seinen Eltern etwas zugestoßen? »Das Haus Verdun auf Dross wurde ausgelöscht. Man hat den Herzog zum Verräter erklärt, und der Lord und seine Güter wurden von Sardaukar-Legionen vollständig vernichtet. Seine gesamte Familie wurde getötet.«
Paul blinzelte. Herzog Fausto Verdun? Seine Tochter, Junu Verdun, war als mögliche künftige Frau für ihn in Betracht gezogen worden. Leto hatte sogar ein Verlobungsangebot an die Familie Verdun geschickt, das allerdings auf beleidigende Art und Weise ausgeschlagen worden war. Aber … Verräter? Alle tot? Selbst das hübsche, talentierte und intelligente junge Mädchen? »Wie ist das möglich, Thufir? Warum?« Er straffte und räusperte sich. »Erkläre.«
Der alte Mentat wirkte unsicher, als hätte seine Auswertung keine zufriedenstellende Antwort zutage gefördert. »Der Imperator glaubt, dass Herzog Verdun in die Umtriebe des Adelsbunds verwickelt war. Er hat vorsorglich eine überwältigende Streitmacht entsandt, um ohne Vorwarnung gegen Verduns Heimatplaneten loszuschlagen. Die Hauptstadt wurde dem Erdboden gleichgemacht und die gesamte Adelsfamilie bei dem Angriff getötet.«
Paul versuchte, diese völlig unerwartete Nachricht zu verarbeiten. »Junu Verdun … sie war doch mit Sicherheit unschuldig.«
»Alle sind tot, Mylord. Es ist ein schrecklicher Verlust.«
Etwas in Paul verhärtete sich. »Waren sie wirklich Rebellen? Als du dich mit meinen Verlobungsaussichten befasst hast, hast du die Verduns da nicht eingehend unter die Lupe genommen? Hast du etwas übersehen?«
Thufir wirkte zutiefst verstört. »Ich habe nichts gefunden, was das Haus Verdun belastet hätte, Sir. Nicht das Geringste. Vielleicht wird der Imperator beizeiten eine Erklärung abgeben.«
Paul hatte die junge Frau nie kennengelernt, er hatte nur die Bilder von ihr in dem Dossier gesehen, das seine Mutter und der Krieger-Mentat zusammengestellt hatten. Es musste sich bei diesem Vorfall um eine Art politischen Aderlass handeln, um von Imperator Shaddam befohlene Morde. So etwas geschah nicht zum ersten Mal in der Politik des Imperiums.
Und Herzog Leto war nach Kaitain gereist und steckte mittendrin im Spiel der Macht.
Paul ließ sich nun doch in den Stuhl seines Vaters sinken. »Thufir, bitte lass mich eine Weile allein, damit ich über diese schlimme Neuigkeit nachdenken kann.«
Der treue Mentat verbeugte sich. »Ich werde unsere Streitkräfte inspizieren, mich um Sicherheitsmaßnahmen kümmern und mich vergewissern, dass Caladan keine Schwachstellen aufweist. Der Imperator hat keinen Grund, uns anzugreifen, insbesondere nicht, nachdem dein Vater ihm auf Otorio das Leben gerettet hat, aber … es sind gefährliche Zeiten.«
»Ja, so ist es.«
Als der Mentat gegangen war, trieb Paul in seinen Gedanken dahin. Nun würde er Junu Verdun niemals kennenlernen … Junu Verdun, deren Vater das Heiratsangebot so grob zurückgewiesen und Paul für ungeeignet erklärt hatte. Trotzdem, die junge Frau hatte ihm nichts Böses getan. Sie war eine unschuldige Zuschauerin gewesen, ein Kind der falschen Adelsfamilie. Ein solch schreckliches Schicksal hatte sie nicht verdient.
Beim Gedanken an Junu, die seine Ehefrau hätte werden können, fiel ihm ein Mädchen ein, das ihn in seinen Träumen aufgesucht hatte. Erzähl mir von den Wassern deiner Heimatwelt …
Das war die junge Frau, die er finden musste.
Er beugte sich über den Schreibtisch und nahm sich mehrere leere Blätter Papier und einen Federhalter. Tief in Gedanken versunken, versuchte er, das Mädchen zu skizzieren, aber er bekam die Zeichnung einfach nicht richtig hin. Er knüllte das Papier zusammen, warf es beiseite und unternahm einen zweiten Versuch.
Duncan Idaho schlüpfte ins Studierzimmer, und Paul bemerkte ihn erst, nachdem er bereits eine Weile neben seinem Schreibtisch gestanden hatte. »Lass nie in deiner Wachsamkeit nach, junger Meister«, sagte er. Er hatte sein Schwert gezogen und hob es nun. »Es ist Zeit für deine Übungsstunde. Ich bin gekommen, um zu sehen, was dich aufhält.«
Doch Paul hatte im Moment andere Sorgen. Er war fest entschlossen, mit seiner Zeichnung das Gesicht einzufangen, das seine Träume heimsuchte. Einmal hatte er in Cala City, nicht weit vom Schloss, einen Blick auf das Mädchen erhascht, aber seither entzog sie sich ihm.
Duncan steckte das Schwert weg und beugte sich über den Schreibtisch, um zu sehen, was der junge Mann machte. »Ein hübsches Mädchen ist das. Du bist künstlerisch begabt, so wie Gurney musisch begabt ist.« Behutsam schob er Pauls Hand beiseite, damit er die ganze Zeichnung sehen konnte. »Ist das eine Wüste im Hintergrund?«
»Jedes Mal, wenn sie in meinen Träumen zu mir kommt, sehe ich sie an einem sandigen Ort mit Felsen und Dünen. Und schau jetzt nicht so herablassend, Duncan Idaho. Träume sind wichtig.«
»Mir würde niemals in den Sinn kommen, herablassend zu schauen, auch wenn es sich vielleicht nur um die lebhaften Träume eines jungen Mannes handelt. Aber Dünen auf Caladan, hmmm. Ah, ich weiß von einem solchen Ort, südwärts von hier an der Küste. Ich bin einmal mit deinem Vater in einem Militärthopter darüber hinweggeflogen. Wenn das Mädchen aus deinen Träumen von Dünen umgeben ist, wüsste ich nicht, wo man es suchen sollte, wenn nicht dort.«
Paul war überrascht, aber er wollte sich keine zu großen Hoffnungen machen. »Du glaubst, sie könnte dort sein?«
»Ein Versuch kann nicht schaden, Mylord. Wir können gemeinsam einen Ausflug dorthin unternehmen und zumindest nachsehen … wenn es dazu beiträgt, das Rätsel zu lösen, das dir keine Ruhe lässt.«
Sogar Vertrauen ist eine Ware, die ge- und verkauft wird.
Geheimes Kommuniqué des Adelsbunds
Obwohl er gesucht wurde, reiste Jaxson Aru frei umher. Seine langjährigen Verbindungen und MAFEA-Ressourcen eröffneten ihm zahlreiche Möglichkeiten. Seine Mutter war die Ur-Direktorin der MAFEA und sein Bruder als Präsident deren Galionsfigur.
Seine Familie mochte sich von ihm losgesagt haben, aber er war trotzdem in der Lage, sich die benötigte Verschwiegenheit zu kaufen. Die Tleilaxu würden seine Geheimnisse mit Sicherheit bewahren.
Getarnt als einfacher Geschäftsmann, der genmanipuliertes Getreide kaufen wollte, reiste Jaxson ins Tleilaxu-System und ging auf der Station in der Umlaufbahn von Bord, in der alle Besucher von Außenwelten ihre Quarantäne absolvieren mussten. Nur wenigen »unreinen powindah« gestattete man es, einen Fuß in die geheiligte Stadt Bandalong zu setzen.
Andere Gildenrepräsentanten füllten Formulare aus und ließen sich an Bord der Station in Isolation bringen. Jaxson tat einfach so, als wäre er einer von ihnen, aber er erfuhr eine Sonderbehandlung. Er hatte eine privilegierte Beziehung zu diesem Volk.
Nach weniger als einer Stunde öffnete sich die Tür seiner Zelle und gab den Blick auf zwei Meister frei. Sie trugen Roben, waren klein und von leichenhafter Blässe. Die Gesichter der beiden waren ausgemergelt, mit schmalen Kinnpartien und Nasen. Über zahllose Generationen hinweg hatten diese genetischen Zauberkünstler solche Eigenschaften selektiert, um ihr Volk zu homogenisieren. Jaxson fand es verwunderlich, dass die Tleilaxu kein traditionell schönes Erscheinungsbild gewählt hatten, aber vielleicht fassten sie ihr seltsames Aussehen in ihrer fanatischen Religiosität als eine Art Ehrenabzeichen auf.
Die Antwort war unwichtig für Jaxson. Er war es ebenfalls gewohnt, verabscheut zu werden. Nach Otorio wollte ihn das gesamte Imperium tot sehen, aber das schockierende Massaker an Shaddam Corrinos Speichelleckern hatte ein helleres Licht auf die Sache der Rebellen geworfen, als es mit den Plänen aus den Konferenzzimmern seiner Mutter seit Jahrzehnten gelungen war, und sie für viele unwiderstehlich gemacht. Und dass die Tleilaxu mit ihnen sympathisierten, brachte ebenfalls große Vorteile mit sich, auch wenn die meisten Angehörigen des Adelsbunds nichts davon ahnten.