Das Haus Atreides - Brian Herbert - E-Book

Das Haus Atreides E-Book

Herbert Brian

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Beschreibung

Herzog Letos Geschichte

Leto Atreides‘ Schicksal erfüllte sich auf Arrakis – doch wer war der Mann, der den Wüstenplaneten von den Harkonnen übernahm und dessen Sohn, Paul Muad’dib, die Galaxis mit seinem Heiligen Krieg überzog? Sein Leben war schon immer aufs engste mit dem seiner ärgsten Feinde verwoben – und mit den geheimen genetischen Zuchtplänen der Schwesternschaft der Bene Gesserit. Dies ist seine Geschichte …

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Seitenzahl: 1124

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BRIAN HERBERT &

KEVIN J. ANDERSON

 

 

 

DAS

HAUS ATREIDES

Ein Roman aus dem Wüstenplanet-Zyklus

 

 

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Mit dem Wüstenplanet-Zyklus hat Frank Herbert eine Zukunftssaga geschaffen, die in ihrer epischen Wucht und ihrem außerordentlichen Detailreichtum nur mit J. R. R. Tolkiens »Herr der Ringe« zu vergleichen ist. Nach dem Tod des Autors 1986 schien diese Saga – zum Bedauern von Millionen von Leserinnen und Lesern rund um die Welt – zu einem Abschluss gekommen zu sein.

 

Doch nun geht das Abenteuer weiter: Gestützt auf den umfangreichen Nachlass seines Vaters und gemeinsam mit dem bekannten Star-Wars-Autor Kevin J. Anderson, erzählt Frank Herberts Sohn Brian Herbert die unmittelbare Vorgeschichte dieses atemberaubenden Epos und beleuchtet jene Charaktere, Motive und Konflikte, die zu den Ereignissen in »Der Wüstenplanet« führen: Die ehrgeizigen genetischen Zuchtpläne der Bene Gesserit, die desolaten Zustände und Intrigen am Kaiserhof, die hinterlistigen Machenschaften der Tleilaxu, das schreckliche Schicksal des jungen Duncan Idaho und der Traum des Kaiserlichen Planetologen Pardot Kynes, der den Fremen, den Ureinwohnern von Arrakis, die Vision einer wasserreichen grünen Welt schenkt …

 

 

 

 

Die Autoren

Brian Herbert, der Sohn des 1986 verstorbenen Wüstenplanet-Schöpfers Frank Herbert, hat selbst SF-Romane verfasst, darunter den in Zusammenarbeit mit seinem Vater entstandenen »Mann zweier Welten«.

 

Kevin J. Anderson ist einer der meistgelesenen SF-Autoren unserer Zeit. Die Auflage seiner Bücher, darunter zahlreiche »Star Wars«- und »Akte X«-Romane, beträgt weltweit über 12 Millionen Exemplare.

 

Eine chronologische Liste des Wüstenplanet-Zyklus finden Sie am Ende dieses Buches.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

 

 

Titel der Originalausgabe

DUNE: HOUSE ATREIDES

 

Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen

 

 

 

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1999 by Herbert Limited Partnership

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlagbild: Frank M. Lewecke

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz: Thomas Menne

 

ISBN 978-3-641-21015-1V002

 

 

 

Dieses Buch ist für unseren Mentor

Frank Herbert, der als Persönlichkeit

genauso faszinierend und komplex

war wie das wunderbare Universum

des Wüstenplaneten, das er schuf.

Danksagung

 

Ed Kramer, weil er die Brücke war, die uns überhaupt zusammengeführt hat.

Rebecca Moesta Anderson wegen ihres unerschöpflichen Ideenreichtums und ihrer harten Arbeit, die dieses Buch so gut wie möglich machte.

Jan Herbert, weil sie gestattete, dass dieses Projekt während einer Reise zu einer Hochzeitsfeier in Europa fortgesetzt werden konnte, und für so vieles mehr.

Pat LoBrutto, unsere Redakteurin im Verlag Bantam, weil sie uns geholfen hat, dieses Buch mit größtmöglicher Klarheit auf den Punkt zu bringen.

Robert Gottlieb und Matt Bialer von der Agentur William Morris, Mary Alice Kier und Anna Cottle von Cine/Lit Representation, weil sie mit Zuversicht und Engagement das Potenzial des Gesamtprojekts erkannten.

Irwyn Applebaum und Nita Taublib im Verlag Bantam, weil sie ein solch gewaltiges Unterfangen mit Begeisterung unterstützten.

Penny und Ron Merritt, deren begeisterte Unterstützung dieses Projekt möglich machte.

Beverly Herbert für ihre Ideen und redaktionelle Mitwirkung an den Wüstenplanet-Romanen von Frank Herbert.

Marie Landis-Edwards für ihre Anregungen.

Die Herbert Limited Partnership, bestehend aus David Merritt, Byron Merritt, Julie Herbert, Robert Merritt, Kimberly Herbert, Margaux Herbert und Theresa Shackelford.

Besonderer Dank gebührt Catherine Sidor von WordFire Inc., die viele Stunden Schwerstarbeit investierte, um das Manuskript vorzubereiten und zu revidieren, und Sarah Jones für ihre Hilfe, viele alte Bücher und Dokumente in eine brauchbare Form zu konvertieren.

Und den Millionen ergebener Fans, die den Ursprungsroman dreieinhalb Jahrzehnte lang lebendig erhalten haben.

Übertragung von der Raumgilde an das galaktische Handelskonglomerat »Merkantile Allianz für Fortschritt und Entwicklung im All« (MAFEA):

 

Die spezifische Zielsetzung unserer inoffiziellen Mission bestand in der Suche nach unbewohnten Welten, um eine weitere Quelle der kostbaren Gewürzmelange zu finden, von der das Imperium in so vieler Hinsicht abhängig ist. Wir haben zahlreiche Reisen unserer Navigatoren und Steuermänner dokumentiert, die Hunderte von Planeten besuchten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir jedoch keinerlei Erfolg. Die einzige Melange-Quelle im Bekannten Universum ist nach wie vor der Wüstenplanet Arrakis. Die Gilde, die MAFEA und alle anderen, die davon abhängig sind, müssen sich weiterhin der Knechtschaft des Harkonnen-Monopols unterwerfen.

Doch die Erkundung entlegener Regionen nach neuen Planetensystemen und neuen Rohstoffquellen trägt inzwischen eigene Früchte. Die detaillierten Ergebnisse und orbitalen Kartographiedaten auf den beigefügten Seiten werden zweifellos von großer kommerzieller Bedeutung für die MAFEA sein.

Nachdem wir unsere Seite des Vertrages gemäß den zuvor vereinbarten Spezifikationen erfüllt haben, bitten wir hiermit um Überweisung der entsprechenden Summe durch die MAFEA an die Zentrale der offiziellen Gildebank auf Junction.

An Seine Kaiserliche Hoheit, Padischah-Imperator Elrood IX., Herrscher des Bekannten Universums – Von Seinem Ergebenen Untertan, Baron Wladimir Harkonnen, planetarischer Gouverneur von Arrakis, Titular-Oberhaupt des Hauses Harkonnen und Oberherr von Giedi Primus, Lankiveil und alliierten Planeten:

 

Majestät, erlauben Sie mir, Ihnen erneut zu versichern, dass ich Ihr treuer Diener auf dem Wüstenplaneten Arrakis bin. Denn sieben Jahre nach dem Tod meines Vaters muss ich Ihnen zu meiner Schande mitteilen, das mein inkompetenter Halbbruder Abulurd zugelassen hat, dass die Gewürzproduktion ins Stocken gerät. Es gab hohe maschinelle Verluste, wodurch die Exportrate auf einen katastrophalen Tiefstand fiel. Angesichts der Abhängigkeit des Imperiums von der Gewürzmelange hätte dieser Engpass zu dramatischen Konsequenzen führen können. Seien Sie versichert, dass meine Familie Maßnahmen ergriffen hat, um diese bedauernswerte Situation zu korrigieren: Abulurd wurde seiner Pflichten enthoben und auf den Planeten Lankiveil abgeschoben. Sein Adelstitel wurde ihm aberkannt, auch wenn er eines Tages wieder in den Rang eines Bezirksgouverneurs aufsteigen könnte.

Nachdem ich nun der unmittelbare Aufseher von Arrakis bin, möchte ich mich Ihnen gegenüber persönlich dafür verbürgen, dass ich jede erforderliche Maßnahme ergreifen werde – in Form von Geld, Engagement und einer eisernen Hand –, um zu gewährleisten, dass die Melange-Produktion wieder die früheren Rekordraten erreicht oder gar übertrifft.

Wie Sie in Ihrer Weisheit befohlen haben: Das Gewürz muss fließen!

1

 

Die Melange ist das finanzielle Herz aller MAFEA-Aktivitäten. Ohne das Gewürz könnten die Ehrwürdigen Mütter der Bene Gesserit ihre Aufgaben der Beobachtung und Einflussnahme nicht erfüllen, die Navigatoren der Gilde könnten keine sicheren Wege durch den Raum erkennen und Milliarden Bürger des Imperiums würden an Suchtdrogenentzug sterben. Selbst ein Dummkopf erkennt, dass eine solche Abhängigkeit von einem einzigen Grundstoff zum Missbrauch führen muss. Wir alle schweben in großer Gefahr.

MAFEA, Ökonomische Analyse

der Güterversorgung

 

 

Baron Wladimir Harkonnen, ein schlanker und muskulöser Mann, kauerte neben dem Piloten des Ornithopters. Mit pechschwarzen Augen blickte er durch das zerkratzte Plazfenster und roch den allgegenwärtigen Staub.

Tief unter dem gepanzerten Thopter strahlte der Sand im unerbittlichen Licht der weißen Sonne von Arrakis. Die endlose Dünenlandschaft, die in der Tageshitze glühte, ließ seine Netzhaut brennen. Land und Himmel waren ausgebleicht und farblos. Hier gab es nichts, was ein menschliches Auge erfreuen konnte.

Ein Höllenplanet.

Der Baron wünschte sich in die industrielle und zivilisierte Wärme und Komplexität von Giedi Primus zurück, der Zentralwelt des Hauses Harkonnen. In der Familienresidenz in der Stadt Carthag hätte er anderen Aufgaben und vor allem angenehmeren Ablenkungen nachgehen können, die seinem anspruchsvollen Geschmack angemessener waren.

Aber die Gewürzernte hatte Vorrang. Jederzeit. Insbesondere ein so großes Feld wie jenes, das seine Späher gemeldet hatten.

Im engen Cockpit bemühte sich der Baron um eine selbstbewusste Haltung und ignorierte das Rütteln und Schaukeln des Thopters in den Luftströmungen. Die mechanischen Flügel schlugen rhythmisch wie die einer Wespe. Dunkles Leder spannte sich straff über seine ausgeprägten Brustmuskeln. Mit Mitte Vierzig sah er auf verwegene Weise gut aus; sein rotgoldenes Haar war nach exakten Vorgaben geschnitten, so dass sein spitzer Haaransatz betont wurde. Der Baron hatte glatte Haut und hohe, ausgeprägte Wangenknochen. Sehnige Muskeln zeigten sich an Hals und Unterkiefer, jederzeit bereit, sein Gesicht je nach Bedarf zu einem mürrischen Ausdruck oder einem harten Lächeln zu verziehen.

»Wie weit noch?« Er warf dem Piloten, der erste Anzeichen der Nervosität erkennen ließ, einen Seitenblick zu.

»Die Stelle liegt tief in der Wüste, Mylord. Alles deutet darauf hin, dass es sich um eins der reichhaltigsten Gewürzvorkommen handelt, die jemals entdeckt wurden.«

Das Fluggefährt wurde durchgeschüttelt, als sie in die Thermik über einem Felsen aus schwarzer Lava gerieten. Der Pilot schluckte und konzentrierte sich auf die Steuerung des Ornithopters.

Der Baron lehnte sich im Sitz zurück und beherrschte seine Ungeduld. Er war froh, dass die neue Lagerstätte weit von neugierigen Augen entfernt lag, außer Reichweite der Vertreter des Imperiums oder der MAFEA, die unangenehme Berichte weiterleiten konnten. Der senile Imperator Elrood IX. musste nicht jede verdammte Einzelheit über die Gewürzproduktion der Harkonnens auf Arrakis erfahren. Durch sorgfältig redigierte Berichte und manipulierte Rechnungsbücher sowie Bestechungen ließ der Baron den Kontrolleuren außerhalb des Planeten nur die Informationen zukommen, die er für angemessen hielt.

Mit einer kräftigen Hand wischte er sich den Schweißfilm von der Oberlippe und korrigierte die Klimakontrollen des Thopters, damit die Luft im Cockpit kühler und feuchter wurde.

Der Pilot, dem es offensichtlich unangenehm war, für einen so bedeutenden und launischen Passagier verantwortlich zu sein, bemühte sich, etwas mehr Geschwindigkeit aus den Triebwerken herauszuholen. Wieder konsultierte er die Projektion der Landkarte auf seinen Armaturen und verglich die Linien mit der Gestalt der Wüstenlandschaft, die sich unter ihnen erstreckte, so weit das Auge reichte.

Der Baron, der die kartographischen Projektionen selbst studiert hatte, war sehr unzufrieden über ihren Mangel an Details gewesen. Wie sollte irgendjemand einen Weg durch eine solche Einöde finden? Wie war es möglich, dass ein Planet von solch überragender Bedeutung für die wirtschaftliche Stabilität des Imperiums praktisch unerforscht geblieben war? Wieder ein Punkt, in dem sein schwächlicher Halbbruder Abulurd versagt hatte.

Doch Abulurd war abgesetzt, und nun trug der Baron die Verantwortung. Nachdem Arrakis jetzt mir gehört, werde ich alles in Ordnung bringen. Wenn er nach Carthag zurückkehrte, würde er seine Leute damit beauftragen, den Planeten neu zu vermessen und neue Karten zu zeichnen – sofern die verdammten Fremen nicht wieder die Landvermesser umbrachten oder die Orientierungsmarken zerstörten.

Seit vierzig Jahren war diese Wüstenwelt das Quasi-Lehen des Hauses Harkonnen, eine vom Imperator gewährte politische Übereinkunft mit dem Segen der treibenden Finanzmacht der MAFEA – der Merkantilen Allianz für Fortschritt und Entwicklung im All. Arrakis war ein erbarmungsloser und unangenehmer Planet, aber trotzdem eine der wichtigsten Juwelen in der Krone des Imperiums – aufgrund der kostbaren Substanz, die es hier gab.

Doch anlässlich des Todes von Dmitri Harkonnen, dem Vater des Barons, hatte der alte Imperator aufgrund einer geistigen Schwäche die Macht an den weichherzigen Abulurd weitergegeben, dem es gelungen war, die Gewürzproduktion in nur sieben Jahren in eine schwere Krise zu manövrieren. Die Profite gingen nach unten, und er war hilflos dem Treiben von Schmugglern und Saboteuren ausgeliefert. Der Narr fiel in Ungnade und verlor seine Stellung, um ohne offiziellen Titel nach Lankiveil verbannt zu werden, wo selbst er im mühelos florierenden Walpelzgeschäft kaum Schaden anrichten konnte.

Unmittelbar nachdem er zum Gouverneur ernannt worden war, hatte Baron Wladimir Harkonnen begonnen, Arrakis auf den Kopf zu stellen. Er würde der Welt seinen Stempel aufdrücken und die Erblast schwerer Fehler und mangelnden Urteilsvermögens auslöschen.

Arrakis – eine Hölle, die von manchen nicht als Belohnung, sondern als Strafe betrachtet wurde – war im gesamten Imperium die einzige bekannte Quelle der Gewürzmelange, einer Substanz, die wertvoller als das kostbarste Metall war. Auf dieser ausgetrockneten Welt war es sogar noch wertvoller als die gleiche Menge Wasser.

Ohne das Gewürz wäre die effiziente Raumfahrt unmöglich … und ohne die Raumfahrt würde das Imperium zerfallen. Das Gewürz verlängerte das Leben, bewahrte die Gesundheit und verlieh dem Dasein Elan. Der Baron, der es selbst in Maßen benutzte, schätzte die Wirkung, die es auf seine Stimmungslage hatte. Natürlich war das Gewürz gleichzeitig äußerst suchterregend, was den Preis zusätzlich in die Höhe trieb …

Der gepanzerte Thopter flog über einen ausgedörrten Gebirgszug hinweg, der wie ein abgebrochener Unterkiefer mit verfaulten Zähnen aussah. Ein Stück weiter erkannte der Baron nun eine Staubwolke, die sich ambossförmig in den Himmel erhob.

»Das ist die Erntemaschine, Baron.«

Schwarze Punkte im monochromen Himmel wuchsen zu falkengleichen Kampfthoptern und kamen auf sie zu. Der Kommunikator gab ein Signal von sich, worauf der Pilot einen Identifikationscode sendete. Die bezahlten Verteidigungstruppen – Söldner mit dem Befehl, unwillkommene Beobachter fernzuhalten – drehten ab und schlossen wieder den Verteidigungsring am Himmel.

Solange das Haus Harkonnen die Illusion von Fortschritt und Profit aufrechterhielt, musste die Raumgilde nicht von jedem einzelnen Gewürzfund erfahren. Das gleiche galt für den Imperator und die MAFEA. Der Baron würde die Melange für sich behalten und damit seine gewaltigen Vorräte aufstocken.

Nachdem sich Abulurd jahrelang durchgewurstelt hatte, wäre es in den Augen des Imperators und der MAFEA bereits eine erhebliche Verbesserung, wenn der Baron nur die Hälfte dessen erreichte, wozu er in der Lage war. Wenn er sie glücklich machte, würden sie niemals bemerken, welche Mengen er abschöpfte, und würden niemals darauf kommen, dass er geheime Gewürzvorräte hortete. Eine gefährliche List, falls sie jemals entdeckt wurde … aber der Baron verfügte über Mittel, neugierige Blicke zu verhindern.

Als sie sich der Staubwolke näherten, nahm er sich ein Fernglas und fokussierte die Öl-Linsen. In der Vergrößerung konnte er die Gewürzfabrik bei der Arbeit beobachten. Mit den gigantischen Raupenketten und der enormen Ladekapazität kostete diese mechanische Monstrosität ein Vermögen – und sie war jeden Solari wert, der ausgegeben werden musste, um sie zu warten. Die Grabschaufeln wirbelten zimtroten Staub, grauen Sand und Steinsplitter auf, während sie sich in die Wüstenoberfläche gruben und das aromatische Gewürz aussiebten.

Mobile Bodeneinheiten verteilten sich in der Nähe der Fabrik über den freien Sand, drangen mit Sonden in den Boden ein, nahmen Proben und vermaßen den Umfang der unterirdischen Gewürzader. In der Luft kreisten wartend schwerere Maschinen, getragen von Jumbo-Ornithoptern. An der Peripherie kreuzten Späher mit aufmerksamen Wächtern, die nach den verräterischen Sandwellen eines Wurmzeichens Ausschau hielten. Einer der großen Sandwürmer von Arrakis konnte die komplette Maschinerie verschlucken.

»Baron«, sagte der Pilot und reichte den Kommunikator an ihn weiter, »der Hauptmann der Arbeitermannschaft möchte mit Ihnen reden.«

»Hier spricht Ihr Baron.« Er hielt sich das Kommunikationsgerät ans Ohr. »Bringen Sie mich auf den neuesten Stand. Wie viel haben Sie gefunden?«

Der Hauptmann der Arbeiter antwortete ihm in barschem Tonfall und schien sich nicht im Geringsten von der Bedeutung des Mannes, mit dem er sprach, beeindrucken zu lassen. »Ich arbeite jetzt seit zehn Jahren im Gewürzabbau, aber dieses Vorkommen übersteigt alles, was ich bisher gesehen habe. Das Problem ist, dass es recht tief liegt. Normalerweise finden wir das Gewürz an der Oberfläche, nachdem es von den Elementen freigelegt wurde. Diesmal ist es extrem konzentriert, aber …«

Der Baron wartete nur einen kurzen Moment. »Was ist damit?«

»Hier geht etwas Seltsames vor sich, Mylord. Chemisch, meine ich. Von unten strömt Kohlendioxid an die Oberfläche, aus einer Art Blase, die sich genau unter uns befinden muss. Der Ernter gräbt sich durch die oberen Sandschichten, um an das Gewürz zu gelangen, aber hier gibt es außerdem Wasserdampf.«

»Wasserdampf!« So etwas war auf Arrakis so gut wie unbekannt, wo der Feuchtigkeitsgehalt der Luft selbst an den besten Tagen praktisch unmessbar war.

»Vielleicht sind wir auf eine uralte Wasserader gestoßen, Mylord. Sie könnte unter einer Felskappe liegen.«

Der Baron hatte es für völlig unmöglich gehalten, unter der Oberfläche von Arrakis jemals auf fließendes Wasser zu stoßen. Rasch überschlug er die Möglichkeiten der Ausbeutung eines Wasservorrats, der an die Bevölkerung verkauft werden konnte. Das würde zweifellos den Zorn der Wasserhändler erregen, die ohnehin viel zu viel Einfluss und Selbstbewusstsein entwickelt hatten.

Er antwortete mit grollendem Bass. »Glauben Sie, es könnte irgendwie das Gewürz kontaminieren?«

»Kann ich nicht sagen, Mylord«, erwiderte der Hauptmann. »Das Gewürz ist ein seltsames Zeug, aber ich habe noch nie eine Ader wie diese gesehen. Es erscheint mir … irgendwie nicht richtig.«

Der Baron warf dem Thopterpiloten einen Seitenblick zu. »Nehmen Sie Kontakt mit den Spähern auf. Erkundigen Sie sich, ob sie schon Wurmzeichen entdeckt haben.«

»Keine Wurmzeichen, Baron«, sagte der Pilot, nachdem er die Rückmeldungen entgegengenommen hatte. Der Baron bemerkte, dass dem Mann winzige Schweißperlen auf der Stirn standen.

»Wie lange ist der Ernter schon da unten?«

»Fast zwei Standardstunden, Mylord.«

Jetzt runzelte der Baron die Stirn. In dieser Zeit hätte sich längst ein Wurm zeigen müssen.

Der Pilot hatte versehentlich den Kommunikationskanal geöffnet gelassen, über den der Hauptmann die Angabe mürrisch bestätigte. »Wir hatten noch nie so viel Zeit, Mylord. Jedes Mal kommen die Würmer. Immer. Aber da unten geschieht etwas. Der Gasstrom wird stärker. Man riecht es.«

Als der Baron einen tiefen Atemzug von der aufbereiteten Kabinenluft nahm, roch er den moschusartigen Zimtduft des frisch aus der Wüste geschürften Rohgewürzes. Der Ornithopter hielt nun seine Position am Himmel mehrere hundert Meter von der großen Erntefabrik entfernt.

»Wir haben außerdem unterirdische Vibrationen festgestellt, eine Art Resonanz. Das gefällt mir überhaupt nicht, Mylord.«

»Sie werden nicht dafür bezahlt, dass es Ihnen gefällt«, erwiderte der Baron. »Ist es ein tiefer Wurm?«

»Das glaube ich nicht, Mylord.«

Er überflog die geschätzten Werte, die vom Ernter übermittelt wurden. Die Zahlen waren enorm. »Diese eine Schürfaktion bringt uns genauso viel ein, wie an anderen Stellen innerhalb eines ganzen Monats gewonnen wird!« Er trommelte rhythmisch mit den Fingern auf seinem rechten Oberschenkel.

»Trotzdem schlage ich vor, Mylord, dass wir uns bereitmachen, die Ernteaktion abzubrechen. Die möglichen Verluste …«

»Auf gar keinen Fall, Hauptmann!«, sagte der Baron. »Es gibt keine Wurmzeichen, und Sie haben schon fast eine volle Fabrikladung an Bord. Wir können mit einem Carryall einen leeren Ernter absetzen, wenn Sie ihn benötigen. Ich werde kein Vermögen im Stich lassen, nur weil Sie nervös werden … nur weil sie ein seltsames Gefühl haben. Lächerlich!«

Als der Vorgesetzte der Arbeiter seine Ansicht verteidigen wollte, wurde er vom Baron unterbrochen. »Hauptmann, wenn Sie ein nervöser Feigling sind, haben Sie den falschen Beruf gewählt und stehen in den Diensten des falschen Hauses. Machen Sie weiter!« Er schaltete den Kommunikator ab und machte sich einen mentalen Vermerk, diesen Mann baldmöglichst von seinem Posten zu entfernen.

Weiter oben schwebten Carryalls und hielten sich bereit, die Gewürzfabrik und ihre Besatzung aufzunehmen, sobald ein Wurm erschien. Aber warum dauerte es so lange, bis eins dieser Geschöpfe auftauchte? Die Würmer versuchten sonst immer, die Melange zu schützen.

Melange. Stumm sprach er das Wort aus und kostete seinen Geschmack.

Von abergläubischen Vorstellungen umwoben war diese Substanz eine unbekannte Größe, die moderne Entsprechung eines Einhorns. Und die Unbewohnbarkeit von Arrakis hatte bislang verhindert, dass die Herkunft des Gewürzes geklärt werden konnte. In den Weiten des riesigen Imperiums hatte bislang kein Entdecker oder Prospektor auf einem anderen Planeten Melange gefunden, und trotz jahrhundertelanger Versuche war es bisher niemandem gelungen, einen Ersatzstoff zu synthetisieren. Seit das Haus Harkonnen die planetarischen Gouverneure von Arrakis stellte und damit die gesamte Gewürzproduktion beherrschte, war der Baron gar nicht mehr daran interessiert, dass ein Ersatzstoff entwickelt oder eine andere Quelle entdeckt wurde.

Experten lokalisierten das Gewürz in der Wüste, und das Imperium benutzte es – alles weitere ging ihn nichts mehr an. Die Gewürzarbeiter schwebten ständig in Gefahr, stets konnte ein Wurm zu früh angreifen oder ein Carryall versagen, so dass eine Gewürzfabrik nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden konnte. Sandstürme konnten sich mit unvorhersehbarer Gewalt und Geschwindigkeit bilden. Die Verluste des Hauses Harkonnen an Menschenleben und Maschinen waren erschreckend … aber die Melange machte fast alle Kosten in Form von Blut oder Geld wieder wett.

Während der Ornithopter im gleichmäßigen, wummernden Rhythmus am Himmel schwebte, studierte der Baron das arbeitsame Treiben am Boden. Die grelle Sonne spiegelte sich auf der staubigen Verkleidung der Gewürzfabrik. Späher kreisten unablässig, während dazwischen Bodenfahrzeuge verkehrten und Proben nahmen.

Immer noch keine Anzeichen für einen Wurm. Jeder gewonnene Augenblick erlaubte der Mannschaft, mehr Gewürz zu gewinnen. Die Arbeiter würden eine Prämie erhalten – mit Ausnahme des Hauptmanns – und das Haus Harkonnen würde noch reicher werden. Die Aufzeichnungen konnten später frisiert werden.

Der Baron wandte sich an den Piloten. »Rufen Sie die nächstgelegene Basis. Ein Carryall soll eine weitere Erntefabrik bringen. Diese Ader scheint unerschöpflich.« Er verstummte für einen Moment. »Wenn sich bis jetzt noch kein Wurm gezeigt hat, könnte vielleicht noch genügend Zeit sein …«

Der Hauptmann der Bodenmannschaft rief zurück. Er sendete auf einer allgemeinen Frequenz, da der Baron seinen Empfänger abgeschaltet hatte. »Mylord, unsere Sonden deuten darauf hin, dass die Temperatur im Boden ansteigt – auf dramatische Werte! Da unten geht irgendetwas vor sich, eine chemische Reaktion. Und eins unserer Bodenteams ist gerade auf ein wimmelndes Nest aus Sandforellen gestoßen.«

Der Baron knurrte verärgert, weil der Mann auf einem unverschlüsselten Kanal kommunizierte. Was war, wenn MAFEA-Spione mithörten? Außerdem waren Sandforellen völlig uninteressant. Die gallertartigen Wesen, die tief im Sand lebten, waren für ihn genauso unwichtig wie Fliegen, die eine längst vergessene Leiche umschwirrten.

Er nahm sich vor, diesem Schwächling von Hauptmann Schlimmeres anzutun, als ihn nur seines Postens zu entheben und ihm eine Prämie zu verweigern. Dieser saftlose Bastard ist vermutlich von Abulurd persönlich ausgesucht worden.

Der Baron sah, wie sich die winzigen Gestalten der Kundschafter durch den Sand bewegten. Sie liefen aufgeregt umher, wie Ameisen im Säuretaumel. Sie eilten zur großen Erntefabrik zurück. Ein Mann sprang von seinem verdreckten Geländefahrzeug und hastete in Richtung der offenen Tür der gewaltigen Maschine.

»Was tun die Männer? Warum verlassen sie ihre Posten? Bringen Sie uns näher heran, damit ich mehr erkennen kann!«

Der Pilot neigte den Ornithopter und stieß wie ein angreifendes Insekt auf den Sand hinunter. Die Männer am Boden gingen gebeugt, husteten und würgten, während sie versuchten, sich Filter über die Gesichter zu ziehen. Zwei stolperten im Sand, der in Bewegung geraten war. Andere bereiteten hektisch die Fabrik auf den Abtransport vor.

»Wo bleibt der Carryall? Der Carryall soll kommen!«, schrie jemand.

Alle Späher machten Meldung. »Ich sehe kein Wurmzeichen.«

»Immer noch nichts.«

»Hier ist alles klar«, sagte ein dritter.

»Warum ziehen sie sich zurück?«, verlangte der Baron zu wissen, als könnte der Pilot ihm eine Antwort geben.

»Irgendetwas geschieht hier!«, brüllte der Hauptmann der Fabrik. »Wo bleibt der Carryall? Wir brauchen ihn jetzt!«

Der Boden wölbte sich auf. Vier Arbeiter stolperten und stürzten mit dem Gesicht voran in den Sand, bevor sie die Rampe der Gewürzfabrik erreichen konnten.

»Schauen Sie, Mylord!« Der Pilot zeigte nach unten, während er voller Ehrfurcht sprach. Der Baron konzentrierte sich nicht mehr auf die feigen Männer und sah nun, dass der Sand rings um das Abbaugebiet zitterte, wie ein straffes Trommelfell vibrierte.

Die Gewürzfabrik neigte sich und kippte zur Seite. Im Sand öffnete sich ein Spalt, dann wölbte sich überall der Boden auf, stieg empor wie Luftblasen in einem kochenden salusianischen Schlammtopf.

»Bringen Sie uns sofort weg von hier!«, rief der Baron. Als der Pilot einen Sekundenbruchteil zu lange zögerte und auf die Szene starrte, schoss die Hand des Barons mit der Geschwindigkeit einer Peitsche durch die Luft und versetzte dem Mann eine Ohrfeige. »Los!«

Der Pilot packte die Steuerung des Thopters und riss die Maschine steil nach oben. Die gegliederten Flügel schlugen hektisch.

Unter ihnen erreichte die angeschwollene Sandblase ihren Gipfel – dann platzte sie und wirbelte die Gewürzfabrik, die mobilen Einheiten und alles andere in die Luft. Eine gewaltige Sandexplosion breitete sich aus und verstreute Felstrümmer und flüchtiges orangefarbenes Gewürz. Die riesige Fabrik wurde in Stücke gerissen und verwehte wie Staub in einem Coriolissturm.

»Was, zum Teufel, ist passiert?« Die dunklen Augen des Barons weiteten sich ungläubig angesichts des Ausmaßes dieser Katastrophe. All die kostbare Melange war verloren, innerhalb eines Augenblicks vom Boden verschluckt. Die gesamte Maschinerie war zerstört. Über die Verluste an Menschenleben dachte er kaum nach – nur was die vergeudeten Kosten für die Ausbildung der Mannschaft betraf.

»Festhalten, Baron!«, rief der Pilot. Die Knöchel seiner Hände, die sich um die Steuerung klammerten, traten weiß hervor.

Die Druckwelle traf sie wie ein Hammerschlag. Der gepanzerte Ornithopter überschlug sich in der Luft, während die Flügel hilflos flatterten. Der Motor heulte und ächzte, als er versuchte, die Fluglage zu stabilisieren. Sandkörner prasselten mit hoher Geschwindigkeit wie Schrotladungen gegen die Plazfenster. Die Maschinen des Thopters kämpften gegen den Staub und gaben ein besorgniserregendes Husten von sich. Das Gefährt verlor an Höhe und stürzte dem brodelnden Abgrund der Wüste entgegen.

Der Pilot schrie unverständliche Worte. Der Baron klammerte sich an seine Sitzgurte und sah, wie der Boden auf sie zukam, wie ein umgekehrter Stiefelabsatz, der ein Insekt zertreten wollte.

Als Oberhaupt des Hauses Harkonnen war er immer davon ausgegangen, dass er eines Tages durch die Hand eines heimtückischen Attentäters sterben würde … Dass er stattdessen einer unvorhersehbaren Naturkatastrophe zum Opfer fiel – dieser Gedanke wirkte auf den Baron beinahe erheiternd.

Während sie in die Tiefe stürzten, öffnete sich der Sand wie ein eitriges Geschwür. Der Staub und das Rohgewürz wurden nach unten gesaugt und durch Konvektionsströme und chemische Reaktionen vermischt. Was noch vor wenigen Augenblicken eine reiche Gewürzader gewesen war, hatte sich in ein lepröses Maul verwandelt, das sie alle verschlingen wollte.

Doch der Pilot, der während des Fluges schwach und zerstreut gewirkt hatte, war nun voller Konzentration und Entschlossenheit. Seine Finger huschten zwischen dem Luftruder und den Maschinenreglern hin und her, während er die Luftströmungen auszugleichen versuchte, indem er von einem Motor auf den anderen schaltete, um zu verhindern, dass sich die Ansaugdüsen mit Staub verstopften.

Endlich befreite sich der Ornithopter aus dem Sturm, erlangte wieder eine stabile Fluglage und schwebte tief über die Dünenebene hinweg. Der Pilot stieß einen hörbaren Seufzer der Erleichterung aus.

Wo das große Loch die Sandschichten aufgerissen hatte, sah der Baron nun glitzernde, durchscheinende Gestalten, die wie Maden auf einem Kadaver wimmelten: Sandforellen, die zum Explosionsherd strebten. Bald würden auch die riesigen Würmer eintreffen. Dem konnten die Ungeheuer unmöglich widerstehen.

Es half nichts – der Baron verstand einfach nicht, was es mit dem Gewürz auf sich hatte. Es war ihm ein Rätsel.

Der Thopter gewann an Höhe und näherte sich wieder den Spähern und Carryalls, die völlig von den Ereignissen überrascht worden waren. Es war ihnen nicht gelungen, die Gewürzfabrik und ihre kostbare Fracht vor der Katastrophe zu bergen, aber der Baron konnte deswegen niemandem einen Vorwurf machen – außer sich selbst. Er selbst hatte die ausdrückliche Anweisung erteilt, die Aktion fortzusetzen.

»Sie haben mir soeben das Leben gerettet, Pilot. Wie ist Ihr Name?«

»Kryubi, Mylord.«

»Nun, Kryubi – haben Sie so etwas schon einmal gesehen? Was ist dort unten geschehen? Was hat diese Explosion verursacht?«

Die Pilot atmete tief durch. »Ich habe gehört, wie die Fremen über etwas sprachen, das sie als … Gewürzblasen oder Gewürzeruption bezeichnen.« Er wirkte jetzt wie eine Statue, als hätte der Schrecken ihn in etwas viel Stärkeres verwandelt. »Es geschieht tief in der Wüste, wo es nur wenige Menschen miterleben.«

»Wen schert es, was die Fremen sagen?« Er verzog die Lippen beim Gedanken an die schmutzigen, nomadischen Habenichtse der großen Wüste. »Wir alle haben schon von Gewürzeruptionen gehört, aber niemand hat bisher eine gesehen. Verrückter Aberglaube!«

»Ja, aber jeder Aberglaube hat gewöhnlich eine reale Grundlage. Diese Leute sehen viele Dinge in der Wüste.« Unwillkürlich bewunderte der Baron den Mann, weil er bereit war, offen seine Meinung zu sagen, obwohl Kryubi von der launischen Unberechenbarkeit des Barons wissen musste. Vielleicht wäre es klug, ihn zu befördern …

»Es heißt, eine Gewürzeruption sei eine chemische Reaktion«, fuhr Kryubi fort, »möglicherweise als Resultat einer konzentrierten Vorgewürzmasse unter dem Sand.«

Der Baron dachte darüber nach; er konnte schließlich nicht verleugnen, was er mit eigenen Augen gesehen hatte. Eines Tages würde man vielleicht die wahre Natur der Melange verstehen und wäre in der Lage, derartige Katastrophen zu vermeiden. Da das Gewürz bislang für jene, die bereit waren, die Mühen auf sich zu nehmen, in scheinbar unerschöpflichen Mengen zur Verfügung stand, hatte noch niemand eine detaillierte Analyse durchgeführt. Warum sollte man seine Zeit mit Untersuchungen vergeuden, während man ein Vermögen verdienen konnte? Der Baron hatte das Monopol auf Arrakis – aber es war gleichzeitig ein Monopol, das sich auf Unwissenheit gründete.

Er knirschte mit den Zähnen und nahm sich vor, etwas Dampf abzulassen, sobald er nach Carthag zurückgekehrt war, um seine aufgestauten Spannungen mit »Belustigungen« abzureagieren, vielleicht sogar etwas deftiger, als er ursprünglich beabsichtigt hatte. Diesmal musste er sich einen ganz besonderen Kandidaten aussuchen – nicht einen seiner regulären Liebhaber, sondern jemanden, der ihm in Zukunft nicht mehr von Nutzen sein würde. So konnte er alle Hemmungen abwerfen.

Als er nach unten schaute, dachte er: Jetzt gibt es keinen Grund mehr, dieses Schürfgebiet vor dem Imperator geheim zu halten. Sie konnten den Gewürzfund dokumentieren und die Vernichtung von Mannschaft und Ausrüstung bekanntgeben. Es war überflüssig geworden, die Berichte irgendwie manipulieren zu wollen. Der alte Elrood würde mit Verstimmung reagieren, und das Haus Harkonnen musste sich mit einem finanziellen Rückschlag abfinden.

Während der Pilot über der Stelle kreiste, trafen per Kommunikationsverbindung die ersten Meldungen der überlebenden Gewürzarbeiter ein. Als sich der Baron die Verluste an Männern, Maschinen und Melange anhörte, spürte er, wie ein immer größerer Zorn in ihm aufkochte.

Arrakis sei verdammt!, dachte er. Das Gewürz sei verdammt! Und unsere Abhängigkeit sei verdammt!

2

 

Wir sind Generalisten. Planetenweite Probleme lassen sich nicht mit klaren Trennlinien umreißen. Die Planetologie ist eine pragmatische Wissenschaft.

Pardot Kynes, Die ökologische Sanierung

von Salusa Secundus nach dem Holocaust

 

 

Auf dem Imperiumsplaneten Kaitain ragten gewaltige Gebäude in den Himmel. Prächtige Skulpturen und opulente mehrstöckige Brunnen säumten die mit Kristall gepflasterten Boulevards, die einem Traum entsprungen schienen. Man konnte Stunden mit Starren verbringen.

Pardot Kynes gelang es kaum, mehr als einige flüchtige Blicke an das urbane Spektakel zu verschwenden, während ihn die kaiserlichen Wachen in schnellem Schritt in den Palast eskortierten. Sie hatten weder Verständnis für die Neugier eines einfachen Planetologen noch schienen sie sich für die Wunder der Stadt zu interessieren. Ihre Aufgabe bestand darin, ihn in den Thronsaal mit der gewaltigen Kuppel zu geleiten, und zwar ohne Verzögerung. Man durfte den Imperator des Bekannten Universums nicht wegen irgendwelcher Sehenswürdigkeiten warten lassen.

Die Mitglieder von Kynes' Eskorte trugen grau-schwarze Uniformen, die tadellos sauber und mit Tressen und Orden geschmückt waren; jeder Knopf und jeder Flitter war poliert, jedes Band gestrafft und geglättet. Fünfzehn Männer aus dem handverlesenen Stab des Imperators – die Sardaukar – umzingelten ihn wie eine Armee.

Trotz allem war Kynes vom Glanz der Hauptwelt überwältigt. Er wandte sich an einen Wachmann in der Nähe. »Normalerweise halte ich mich draußen im Dreck auf oder stapfe durch die Sümpfe eines Planeten, den sonst niemand freiwillig betreten würde«, sagte er. Einen Anblick wie diesen hatte er nie zuvor gesehen – und ihn sich nicht einmal vorstellen können, wenn er all die zerklüfteten und abgelegenen Landschaften studiert hatte.

Der Wachmann gab dem großen, schlanken Fremdweltler keine Antwort. Sardaukar waren ausgebildet, als Kampfmaschinen zu funktionieren, nicht um Konversation zu treiben.

»Und jetzt bin ich bis hinunter zur dritten Hautschicht saubergeschrubbt und wie ein Aristokrat gewandet.« Kynes zerrte am dicken Cordstoff seiner dunkelblauen Jacke und nahm den Geruch der Seife auf seiner Haut wahr. Über seiner hohen Stirn wuchs schütteres, rotblondes Haar, das streng nach hinten gekämmt war.

Die Eskorte näherte sich zügig einem scheinbar endlosen Wasserfall aus polierten steinernen Stufen, die kunstvoll mit goldenen Filigranarbeiten und cremefarben funkelnden Soosteinen verziert waren.

Kynes wandte sich an den Wachmann zu seiner Linken. »Dies ist mein erster Besuch auf Kaitain. Ich wette, Sie nehmen die Sehenswürdigkeiten überhaupt nicht mehr wahr, wenn sie ständig hier arbeiten.« Seine Worte riefen ein wehmütiges Lächeln hervor, doch ansonsten stießen sie erneut auf taube Ohren.

Kynes war ein fähiger und allgemein anerkannter Ökologe, Geologe und Meteorologe mit zusätzlichen Qualifikationen in Botanik und Mikrobiologie. Er genoss es, die Geheimnisse ganzer Welten zu atmen, doch die Menschen blieben ihm häufig ein Rätsel – genauso wie diese Wachen.

»Kaitain ist wesentlich … angenehmer als Salusa Secundus. – Dort bin ich aufgewachsen, müssen Sie wissen«, fuhr er fort. »Ich war auch auf Bela Tegeuse, wo es unter den zwei Zwergsonnen fast genauso schlimm, düster und trostlos ist.«

Schließlich wandte Kynes den Blick wieder geradeaus und begnügte sich damit, leise vor sich hinzumurmeln. »Der Padischah-Imperator hat mich durch die halbe Galaxis zu sich gerufen. Wenn ich nur wüsste, warum.« Keiner seiner Begleiter machte Anstalten, ihm darauf eine Antwort zu geben.

Das Gefolge marschierte unter einem pockennarbigen Bogen aus rotem Lavagestein hindurch, der aus einer uralten Epoche zu stammen schien. Kynes blickte auf, und sein geologischer Sachverstand konnte das harte und seltene Gestein sofort einordnen: Dieser Bogen stammte von der verwüsteten Welt Salusa Secundus.

Es verblüffte ihn, dass man ein solches Relikt zu bewahren versuchte, das vom Planeten stammte, auf dem Kynes so viele Jahre verbracht hatte, einer isolierten Gefängniswelt mit ruiniertem Ökosystem. Doch dann erinnerte er sich – wobei er sich einen Narren schalt, weil er es vergessen hatte –, dass Salusa einst die Hauptwelt des Imperiums gewesen war, vor vielen Jahrtausenden … bevor die Katastrophe alles verändert hatte. Zweifellos hatte das Haus Corrino diesen Bogen als Denkmal der Vergangenheit herschaffen lassen – oder als eine Art Trophäe, um zu demonstrieren, wie die kaiserliche Familie die Widrigkeiten überwunden hatte, denen ein ganzer Planet zum Opfer gefallen war.

Als die Sardaukar-Eskorte durch den Bogen aus Lavagestein schritt und in die hallende Pracht des eigentlichen Palasts trat, ertönte eine Fanfare aus Blasinstrumenten, die Kynes unbekannt waren. Er hatte sich nie besonders für Musik oder andere Künste interessiert, nicht einmal als Kind. Wozu auch, wenn es doch so viel Naturwissenschaft zu lernen gab?

Kurz bevor sie unter das mit funkelnden Juwelen besetzte Dach des gewaltigen imperialen Palasts traten, reckte Kynes noch einmal den Hals, um einen letzten Blick auf den klaren Himmel in vollkommenem Blau zu werfen.

Während der Reise hierher hatte Kynes in einer abgeriegelten Sektion des Gilde-Heighliners die Zeit genutzt, so viel wie möglich über die Hauptwelt zu lernen, obwohl er niemals zuvor seine fachlichen Fähigkeiten auf einen so zivilisierten Planeten angewendet hatte. Kaitain war vorbildlich geplant und angelegt worden – mit Bäumen entlang der Prachtstraßen, hervorragender Architektur, gut gewässerten Gärten, Blumenrabatten … und so vielem mehr.

In den offiziellen Berichten des Imperiums hieß es, dass es stets warm war, dass ständig ein gemäßigtes Klima herrschte. Stürme waren unbekannt. Keine Wolken verunzierten den Himmel. Zuerst hatte er gedacht, die Berichte wären vielleicht nur touristische Propaganda, doch als das prachtvolle Eskortschiff niedergegangen war, hatte er die Flotte der Wettersatelliten bemerkt, die – mit brutaler Gewalt – das Klima kontrollierten und Kaitain zu einem friedlichen Ort machten.

Klima-Ingenieure konnten das Wetter zweifellos so verändern, dass es dem entsprach, was irgendjemand als optimal betrachtete, doch sie gingen immer ein großes Risiko ein, wenn sie eine Umwelt schufen, die letztlich den Geist, den Körper und die Seele krank machte. Diese Tatsache würde die kaiserliche Familie niemals verstehen. Sie entspannte sich weiterhin unter ihrem sonnigen Himmel und spazierte durch ihre gut gewässerten Parks, ohne etwas von der ökologischen Katastrophe zu bemerken, die sich unmittelbar vor ihren verschlossenen Augen anbahnte. Es wäre interessant, auf diesem Planeten zu bleiben und die Auswirkungen zu studieren – aber irgendwie bezweifelte Kynes, dass das der Grund war, warum Imperator Elrood IX. ihn hatte rufen lassen …

Die Eskorte führte ihn immer tiefer in den hallenden Palast, an Statuen und klassischen Gemälden vorbei. Der weitläufige Audienzsaal hätte als Arena für altertümliche Gladiatorenkämpfe dienen können. Der Boden erstreckte sich wie eine in vielen Farben glänzende Ebene aus Steinquadraten – jeder einzelne Stein stammte von einem anderen Planeten des Imperiums. Im Zuge der Erweiterung des Imperiums waren Nischen und Flügel angebaut worden.

Hofbeamte in prächtigen Gewändern mit farbenfrohen Dekorationen stolzierten herum und protzten mit Textilien, in die Fäden aus wertvollen Metallen eingewoben waren. Sie trugen Dokumente hin und her und gingen ihren undefinierbaren Geschäften nach, eilten zu Konferenzen und sprachen sich im Flüsterton an, als würden nur sie selbst verstehen, worin ihre wahre Funktion bestand.

Kynes war ein Fremder in dieser Welt der Politik; in der Wildnis fühlte er sich eindeutig wohler. Obwohl ihn die Pracht faszinierte, sehnte er sich nach Einsamkeit, unerforschten Landschaften und den Geheimnissen fremdartiger Flora und Fauna. Von der hier herrschenden Hektik würde er bald Kopfschmerzen bekommen.

Die Sardaukar-Wachen dirigierten ihn über eine lange Promenade, die von einem Prismensystem beleuchtet wurde. Ihre knappen, rhythmischen Schritte klangen wie Feuersalven; Kynes' Gestolper war die einzige Dissonanz.

Auf einem erhöhten Podium aus blaugrünem Kristall stand der strahlende Goldene Löwenthron, der aus einem einzigen Stück Hagal-Quarz gehauen war. Und auf diesem prachtvollen Sitz hockte der alte Mann höchstpersönlich – Elrood Corrino IX., der Imperator und Herrscher des Bekannten Universums.

Kynes starrte ihn an. Der Imperator war ein beunruhigend magerer Mann, vom Alter skelettiert, mit einem unförmig großen Kopf auf dünnem Hals. Inmitten dieses unglaublichen Luxus und des inszenierten Reichtums wirkte der gealterte Herrscher beinahe unbedeutend. Dennoch konnte der Imperator mit einem Schnippen seiner knochigen Finger ganze Planeten zur Auslöschung und Milliarden Menschen zum Tod verurteilen. Elrood hatte fast anderthalb Jahrhunderte lang auf dem Goldenen Löwenthron gesessen. Wie viele Planeten umfasste das Imperium? Über wie viele Menschen herrschte dieser Mann? Kynes fragte sich, wie irgendjemand über solch schwindelerregende Informationsmengen Buch führen konnte.

Als er zur Basis des Podiums geführt wurde, lächelte Kynes den Herrscher unsicher an, dann schluckte er, wandte den Blick ab und verbeugte sich tief. Niemand hatte es für nötig erachtet, ihn in das angemessene Protokoll einzuweihen, und ihm lag nicht viel an artigen Umgangsformen und Höflichkeiten. Seine Nase registrierte den schwachen Zimtduft von Melange, der aus einem Krug mit Gewürzbier stieg, welcher in Griffweite auf einem kleinen Tisch neben dem Thron des Imperators stand.

Ein Page trat vor, nickte dem Anführer des Wachtrupps der Sardaukar zu, drehte sich um und verkündete laut in Galach, der allgemeinen Sprache des Imperiums: »Der Planetologe Pardot Kynes!«

Kynes richtete sich auf und bemühte sich um eine gerade Haltung, während er sich fragte, warum man ihn mit solchem Getöse vorstellte, obwohl der Imperator doch offensichtlich wusste, wer er war. Warum hätte er ihn sonst zu sich gerufen? Kynes überlegte, ob er den Mann irgendwie begrüßen sollte, doch dann entschied er, lieber abzuwarten, damit der Hof den Ablauf der Ereignisse vorgeben konnte.

»Kynes«, sagte der alte Imperator mit durchdringender, krächzender Stimme, die unter jahrelangem Befehlston gelitten hatte, »Sie wurden gerufen, weil Sie mir wärmstens empfohlen wurden. Unsere Berater haben viele Kandidaten geprüft, doch Sie erhielten die besten Referenzen. Was sagen Sie dazu?« Der Imperator beugte sich vor und hob die Augenbrauen, so dass sich seine gesamte hohe Stirn in tiefe Falten legte.

Kynes murmelte etwas, wie geehrt und dankbar er sich fühlte, dann räusperte er sich und stellte die eigentliche Frage: »Dennoch wüsste ich gerne, Herr, wozu ich empfohlen wurde.«

Darüber lachte Elrood meckernd und lehnte sich zurück. »Wie erfrischend, jemanden zu erleben, dem mehr daran liegt, seine Neugier zu befriedigen, als die angemessenen Worte zu wählen oder sich bei diesen dummen Kletten und Marionetten beliebt zu machen.« Als Elrood lächelte, verzog sich sein Gesicht wie eine faltige Gummimaske. Seine Haut hatte einen gräulichen Ton, wie Pergament. »Im Bericht heißt es, dass Sie auf Salusa Secundus aufgewachsen sind und fundierte, bedeutende Abhandlungen über die Ökologie des Planeten verfasst haben.«

»Ja, Herr … äh … Eure Majestät. Meine Eltern waren beamtete Funktionäre mit dem Auftrag, in Ihrem dortigen kaiserlichen Gefängnis zu arbeiten. Ich war noch ein Kind, als sie damals auf den Planeten versetzt wurden.«

In Wirklichkeit wusste Kynes von Gerüchten, nach denen seine Mutter oder sein Vater irgendwie das Missfallen Elroods erregt hatten, worauf sie in Ungnade gefallen und auf den Strafplaneten verbannt worden waren. Doch der junge Pardot Kynes war von den Ödländern fasziniert gewesen. Wenn seine Privatlehrer ihren Unterricht beendet hatten, verbrachte er den Rest des Tages mit der Erkundung der kargen Wildnis. Er machte Notizen, studierte die Insekten und Pflanzen und widerstandsfähigen Tiere, denen es gelungen war, den vor Urzeiten erfolgten atomaren Holocaust zu überleben.

»Ja, ja, dessen bin ich mir bewusst«, sagte Elrood. »Nach einer Weile wurden Ihre Eltern auf eine andere Welt versetzt.«

Kynes nickte. »Ja, Mylord. Sie zogen nach Harmonthep.«

Der Imperator tat seine Bemerkung mit einer ungeduldigen Geste ab. »Aber später kehrten sie nach Salusa zurück. Geschah es aus freien Stücken?«

»Nun ja, für mich gab es auf Salusa noch Vieles zu erkunden«, antwortete er, während er ein verlegenes Achselzucken unterdrückte.

Kynes hatte viele Jahre völlig allein in der Wildnis verbracht und sich mit klimatischen und ökologischen Rätseln beschäftigt. Er hatte große Entbehrungen und manche Unbequemlichkeit ertragen. Einmal war er sogar von Laza-Tigern verfolgt worden und hatte es überlebt. Anschließend hatte Kynes eine umfangreiche Abhandlung über seine Jahre auf dem Planeten veröffentlicht und damit das Fenster zu einem völlig neuen Verständnis der einstmals lebendigen und nun verlassenen Hauptwelt des Imperiums aufgestoßen.

»Die lebensfeindliche Wildnis regte mein Interesse für die Ökologie an. Es ist wesentlich faszinierender, eine … verwüstete Welt zu studieren. Es würde schwer fallen, derartige Erkenntnisse auf einer zivilisierten Welt zu gewinnen.«

Elrood lachte über die Bemerkung seines Besuchers und blickte sich um, worauf die übrigen Mitglieder des Hofs pflichtschuldigst in das Gelächter einstimmten. »Wie auf Kaitain, wollen Sie sagen?«

»Nun, ich bin mir sicher, dass es auch hier interessante Stellen gibt, Herr«, sagte Kynes, während er hoffte, keinen unverzeihlichen Fauxpas begangen zu haben.

»Elegant formuliert!«, tönte Elrood. »Meine Berater haben klug entschieden, Sie zu erwählen, Pardot Kynes.«

Da er nicht wusste, was er sonst tun oder sagen sollte, verbeugte sich der Planetologe unbeholfen.

Nach seinen Jahren auf Salusa Secundus hatte er sich im sumpfigen Dickicht der düsteren Welt Bela Tegeuse aufgehalten und weitere Orte aufgesucht, die ihn interessiert hatten. Er konnte fast überall von dem leben, was das Land ihm bot, da seine Bedürfnisse bescheiden waren. Für ihn war es das Allerwichtigste, wissenschaftliche Erkenntnisse zu ernten, Steine umzudrehen und nachzusehen, welche Rätsel die natürlichen Vorgänge dort für ihn hinterlassen hatten.

Doch nun war seine Neugier geweckt. Wodurch hatte er die kaiserliche Aufmerksamkeit erregt? »Wenn ich erneut danach fragen darf, Eure Majestät … was genau haben Sie mit mir vor?« Hastig fügte er hinzu: »Natürlich ist es mir stets eine Ehre, dem Imperator zu dienen, ganz gleich, wo ich benötigt werde.«

»Sie sind als großer Weltenleser anerkannt, Kynes, als Mann, der es versteht, komplexe Ökosysteme zu analysieren, um sie für die Bedürfnisse des Imperiums nutzbar zu machen. Wir haben Sie erwählt, sich zum Wüstenplaneten Arrakis zu begeben und dort Ihre Zauberkunst einzusetzen.«

»Arrakis!« Kynes war nicht in der Lage, sein Erstaunen – und seine Befriedigung – über diese Aussicht zu verbergen. »Ich glaube, die nomadischen Einwohner, die Fremen, bezeichnen ihn als Dune.«

»Wie auch immer man ihn nennen mag«, erwiderte Elrood mit leichter Ungeduld, »jedenfalls ist es eine der unangenehmsten und gleichzeitig bedeutendsten Welten des Imperiums. Sie wissen natürlich, dass Arrakis die einzige bekannte Quelle für die Gewürzmelange ist.«

Kynes nickte. »Ich habe mich schon häufig gefragt, warum kein Forscher jemals auf einer anderen Welt Gewürz gefunden hat. Und warum niemand versteht, wie das Gewürz entsteht oder abgelagert wird.«

»Sie sollen es für Uns verstehen«, sagte der Imperator. »Und zwar schnell, weil die Zeit drängt.«

Kynes wurde plötzlich bewusst, dass er vielleicht etwas zu weit gegangen war, und er schrak ein wenig zurück. Hier stand er im grandiosen Thronsaal, von dem aus Millionen Welten beherrscht wurden, und führte wahrhaftig ein Gespräch mit Imperator Elrood IX. Die übrigen Mitglieder des Hofes starrten ihn an, manche mit offener Missbilligung, manche mit Entsetzen, andere mit heimlicher Schadenfreude, als würden sie jeden Augenblick eine schwere Bestrafung erwarten.

Doch Kynes dachte nur noch an weite Landschaften aus glühendem Sand, majestätischen Dünen und monströsen Sandwürmern – Bilder, die er nur aus Filmbüchern kannte. Er vergaß seinen geringfügigen Lapsus, hielt den Atem an und wartete auf weitere Einzelheiten seines Auftrags.

»Für den künftigen Fortbestand des Imperiums ist es überlebenswichtig, das Geheimnis der Melange zu lüften. Bislang hat niemand Zeit oder Mühe darauf verwendet, dieses Rätsel zu lösen. Die Menschen halten Arrakis für eine unerschöpfliche Quelle des Reichtums; niemand interessiert sich für die Hintergründe oder Details. Eine Nachlässigkeit.« Er hielt einen Moment lang inne. »Dieser Herausforderung werden Sie sich stellen, Pardot Kynes. Wir ernennen Sie zu Unserem offiziellen Imperialen Planetologen auf Arrakis.«

Während Elrood diese Entscheidung verkündete, blickte er auf den wettergegerbten Mann mittleren Alters herab und versuchte sich ein eigenes Bild von ihm zu machen. Er sah sofort, das Kynes keine sehr komplexe Persönlichkeit war: Seine Gefühle und Neigungen ließen sich mühelos von seinem Gesicht ablesen. Die Hofberater hatten darauf hingewiesen, dass Pardot Kynes ein Mann ohne jeglichen politischen Ehrgeiz war. Seine einzigen Interessen galten seiner Arbeit und der natürlichen Ordnung des Universums. Er entwickelte eine kindliche Faszination für fremde Welten und raue Lebensbedingungen. Er würde die Aufgabe mit grenzenlosem Engagement erfüllen und ehrliche Antworten liefern.

Elrood hatte den größten Teil seiner politischen Karriere in Gesellschaft von säuselnden Speichelleckern und hirnlosen Jasagern verbracht, die ihm nach dem Mund zu reden versuchten. Doch dieser Mann war ganz anders; er hatte Ecken und Kanten und nahm keine Rücksicht auf höfliche Konventionen.

Es war immer wichtiger geworden, die Fakten im Zusammenhang mit dem Gewürz zu verstehen, um die Effizienz der Maßnahmen zu verbessern – der lebenswichtigen Maßnahmen. Nachdem Abulurd Harkonnen sieben Jahre lang als unfähiger Gouverneur gewirkt hatte, gefolgt von den jüngsten Unfällen und Fehlern, die auf das Konto des allzu ehrgeizigen Barons Wladimir Harkonnen gingen, sorgte sich der Imperator um einen möglichen Engpass in der Produktion und Distribution der Melange. Das Gewürz musste fließen.

Die Raumgilde benötige gewaltige Gewürzvorräte, um die isolierten Tanks zu füllen, in denen ihre mutierten Navigatoren lebten. Er selbst sowie die gesamte Oberklasse des Imperiums benötigte eine tägliche (und stetig zunehmende) Melange-Dosis zur Erhaltung der Gesundheit und Verlängerung des Lebens. Die Schwesternschaft der Bene Gesserit benötigte es zur Ausbildung neuer Ehrwürdiger Mütter. Mentaten benötigten es zur geistigen Konzentration.

Obwohl er mit vielen der harten Verwaltungsmaßnahmen des Barons Harkonnen in der letzten Zeit nicht einverstanden war, konnte der Imperator Arrakis nicht einfach seiner eigenen Verantwortung unterstellen. Nach Jahrzehnten politischer Intrigen war das Haus Richese ausgebootet und dem Haus Harkonnen das Lehen übertragen worden.

Die Verwaltung von Arrakis war nun schon seit tausend Jahren eine Gunst, die der Imperator einer auserwählten Familie gewährte. Dieses Haus durfte dann für eine Zeitdauer, die ein Jahrhundert nicht überstieg, Reichtümer aus dem Sand schürfen. Jedes Mal, wenn das Lehen erneuert werden sollte, wurde der Palast mit einem Hagel aus Bitten und Anträgen bombardiert. Auch der Landsraad zog seine Fäden, die für Elrood gelegentlich zu Würgeschlingen wurden.

Obwohl er der Imperator war, beruhte seine Macht auf einem sorgfältig austarierten, aber labilen Gleichgewicht aus Allianzen mit zahllosen Kräften, darunter die Großen und Kleinen Häuser des Landsraads, die Raumgilde und die allumfassenden wirtschaftlichen Kombinate wie die MAFEA. Mit anderen Kräften war der Umgang noch viel schwieriger – Mächte, die es vorzogen, hinter den Kulissen zu wirken.

Ich muss das Gleichgewicht zerstören, dachte Elrood. Sonst wird das Arrakis-Problem mich zerstören.

Der Imperator beugte sich vor und sah, dass Kynes vor Freude und Begeisterung beinahe platzte. Er brannte geradezu darauf, auf die Wüstenwelt beordert zu werden. Um so besser! »Finden Sie alles heraus, was Sie über Arrakis in Erfahrung bringen können, und schicken Sie mir regelmäßig Berichte, Planetologe. Das Haus Harkonnen erhält die Anweisung, Ihre Arbeit in jeder erdenklichen Weise zu unterstützen.« Obwohl es ihnen mit Sicherheit nicht passt, wenn ein imperialer Beobachter herumschnüffelt.

Als kürzlich ernannter planetarischer Gouverneur war Baron Harkonnen in nächster Zeit noch in hohem Grade von der Gunst des Imperators abhängig. »Wir werden Ihnen alles zur Verfügung stellen, was Sie für die Reise brauchen. Fertigen Sie eine Liste an und geben Sie sie meinem Kammerherrn. Wenn Sie Arrakis erreicht haben, werden die Harkonnens Ihnen jegliche weitere Unterstützung zukommen lassen.«

»Ich habe nur wenige Bedürfnisse«, sagte Kynes. »Alles, was ich wirklich brauche, sind meine Augen und mein Verstand.«

»Ja, aber sehen Sie zu, dass der Baron Ihnen etwas mehr als nur das gibt.« Elrood lächelte erneut, dann entließ er den Planetologen. Der Imperator bemerkte, dass Kynes' Schritte sichtlich schwungvoller ausfielen, als er aus dem imperialen Audienzsaal geführt wurde.

3

 

Du sollst keine Maschine nach deinem geistigen Ebenbilde machen.

Das Hauptprinzip von Butlers Djihad,

zitiert nach der Orange-Katholischen Bibel

 

 

»Das Leid ist der große Lehrmeister der Menschen«, sprach der Chor der alten Schauspieler auf der Bühne in vollkommenem Gleichklang. Obwohl es einfache Dorfbewohner aus der Siedlung unterhalb von Burg Caladan waren, hatten sie die alljährliche Aufführung des offiziellen Haus-Dramas gut einstudiert. Ihre Kostüme waren farbenprächtig, wenn auch nicht unbedingt authentisch. Der Realismus der Kulissen – die Fassade von Agamemnons Palast, der gepflasterte Hof – basierte lediglich auf dem Enthusiasmus der Beteiligten und einigen wenigen Filmbuch-Illustrationen des antiken Griechenland.

Das lange Stück von Aischylos lief bereits seit einiger Zeit, und die Luft im Theater war warm und leicht stickig geworden. Leuchtgloben erhellten die Bühne und die Sitzreihen, während die Fackeln und Kohlenbecken rund um die Schauspieler ihren aromatischen Duft verbreiteten.

Obwohl die Hintergrundgeräusche eigentlich laut genug waren, drohte Gefahr, dass das Schnarchen des alten Herzogs bis zu den Akteuren vordrang.

»Vater, wach auf!«, flüsterte Leto Atreides und stieß Herzog Paulus in die Rippen. »Das Stück ist noch nicht einmal zur Hälfte um.«

Paulus regte sich auf dem Sitz in seiner Privatloge, richtete sich auf und klopfte sich nicht vorhandenen Staub von seiner breiten Brust. Schatten spielten über das zerknitterte, schmale Gesicht und den voluminösen, grau gesprenkelten Bart. Er trug eine schwarze Atreides-Uniform mit dem Wappen des roten Falken auf der linken Brustseite. »Es wird doch sowieso nur die ganze Zeit geredet und herumgestanden, mein Junge.« Er schaute blinzelnd zur Bühne, wo sich die alten Männer kaum von der Stelle gerührt hatten. »Außerdem ist es jedes Jahr dasselbe.«

»Darum geht es nicht, Paulus. Die Leute beobachten dich«, warf Letos Mutter ein, die auf der anderen Seite des Herzogs saß. Die dunkelhäutige Lady Helena, die ihr bestes Kleid trug, nahm die tiefgründigen Worte des griechischen Chors sehr ernst. »Achte auf den Inhalt. Schließlich ist es deine Familiengeschichte, nicht meine.« Leto blickte von einem Elternteil zum anderen. Er wusste, dass die Familiengeschichte des Hauses Richese – das seiner Mutter – nicht weniger Glanz und Tragik enthielt als die der Atreides. Richese war von einem höchst lukrativen »Goldenen Zeitalter« in die gegenwärtige wirtschaftliche Flaute gesunken.

Das Haus Atreides behauptete, seine Wurzeln mehr als zwölftausend Jahre zurückverfolgen zu können, bis zu den Söhnen des Atreus auf Alt-Terra. Heute hatte die Familie ihre lange Geschichte akzeptiert, obwohl sie zahllose tragische und unehrenhafte Zwischenfälle enthielt. Die Herzöge hatten die Tradition der alljährlichen Aufführung des klassischen Dramas Agamemnon eingeführt – über den berühmtesten der Atreus-Söhne und den General, der Troja erobert hatte.

Mit dem pechschwarzen Haar und dem schmalen Gesicht ähnelte Leto Atreides sehr seiner Mutter, obwohl er die Adlernase und das Raubvogelprofil von seinem Vater hatte. Der junge Mann trug unbequeme repräsentative Kleidung und verfolgte leicht geistesabwesend die Geschichte des Stücks, das in einer fernen Epoche angesiedelt war. Der Autor der uralten Tragödie hatte darauf vertraut, dass sein Publikum die exotischen Anspielungen verstand. General Agamemnon war ein bedeutender militärischer Befehlshaber in einem der legendären Kriege der menschlichen Geschichte gewesen, lange bevor die Menschheit durch die selbst geschaffenen Denkmaschinen versklavt wurde, lange bevor Butlers Djihad die Menschheit befreit hatte.

Zum ersten Mal in seinem vierzehnjährigen Leben spürte Leto das Gewicht der Legenden auf seinen Schultern lasten, als er die Verbindung zu den Gesichtern und Persönlichkeiten der schicksalhaften Vergangenheit seiner Familie wahrnahm. Eines Tages würde er seinem Vater nachfolgen und ebenfalls zu einem Teil der Atreides-Geschichte werden. Die Ereignisse ließen bereits seine Jugend zerbröckeln und verwandelten ihn in einen Mann. Er sah es ganz deutlich.

»Das ungeneidete Glück ist das Beste«, deklamierten die alten Männer im Chor, »ruhmreicher als Städte zu plündern, besser als den Befehlen anderer zu folgen.«

Bevor er nach Troja aufgebrochen war, hatte Agamemnon seine Tochter geopfert, damit die Götter ihm günstige Meereswinde gewährten. Seine verzweifelte Frau Klytämnestra hatte die zehn Jahre der Abwesenheit ihres Gatten mit der Planung ihrer Rache verbracht. Und nun, nach der Entscheidungsschlacht um Troja, hatte man eine Kette aus Signalfeuern entlang der Küste entfacht, um in der Heimat die Botschaft des Sieges zu verkünden.

»Die gesamte Handlung findet außerhalb der Bühne statt«, murmelte Paulus, obwohl er sich niemals als Leser oder Literaturkritiker hervorgetan hatte. Er lebte nur für den Augenblick und genoss jeden Tropfen seiner Erfahrungen und Errungenschaften. Meistens zog er die Gesellschaft seines Sohnes oder seiner Soldaten vor. »Alle stehen nur in den Kulissen herum und warten darauf, dass Agamemnon endlich eintrifft.«

Paulus verabscheute Tatenlosigkeit und hatte seinem Sohn immer wieder gesagt, dass selbst eine falsche Entscheidung besser als gar keine Entscheidung war. Leto war überzeugt, dass der alte Herzog am meisten mit der Figur des großen Generals sympathisierte, einem Helden ganz nach seinem Geschmack.

Die alten Männer tönten weiter im Chor, Klytämnestra kam aus dem Palast, um eine Ansprache zu halten, dann setzte wieder der Chor ein. Ein Herold, der vorgab, einem Schiff entstiegen zu sein, kam auf die Bühne, küsste den Boden und lieferte einen langen Monolog ab.

»Agamemnon, ruhmreicher König! Wir heißen dich willkommen, weil du Troja und die Heimat der Trojaner dem Erdboden gleichmachtest. Die Tempel unsrer Feinde sind zerstört, nie mehr werden sie zu ihren Göttern beten, und ihre Felder sind unfruchtbar.«

Krieg und Verwüstung – das erinnerte Leto an die jungen Jahre seines Vaters, als er losgestürmt war und sich für den Imperator in die Schlacht geworfen hatte, als er eine blutige Rebellion auf Ecaz niedergeschlagen hatte, an der Seite seines Freundes Dominic, der nun der Graf des Hauses Vernius auf Ix war. Wenn er allein mit Leto war, erzählte der alte Herzog gerne voller Begeisterung von diesen Zeiten.

Im Halbdunkel ihrer Loge stieß Paulus einen etwas zu lauten Seufzer aus, mit dem er seiner Langeweile Ausdruck gab. Lady Helena maß ihn mit einem durchdringenden Blick, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit dem Fortgang des Stückes zu, wobei sie wieder das beschauliche Lächeln auf ihr Gesicht zauberte – für den Fall, dass irgendjemand in ihre Richtung blickte. Leto sah seinen Vater mit einem schiefen Grinsen voller Mitgefühl an, worauf Paulus mit einem Augenzwinkern antwortete. Der Herzog und seine Frau spielten wieder einmal die Rollen, die ihnen am meisten ans Herz gewachsen waren.

Endlich traf auf der Bühne der siegreiche Agamemnon im Streitwagen ein, in Begleitung seiner im Krieg erbeuteten Mätresse, der halb verrückten Prophetin Kassandra. Unterdessen bereitete sich Klytämnestra auf die Rückkehr ihres verhassten Gatten vor und heuchelte Liebe und Unterwürfigkeit.

Der alte Paulus wollte den Kragen seiner Uniform lockern, doch Helena hielt im letzten Augenblick seine Hand zurück – ohne dass ihr Lächeln beeinträchtigt wurde.

Leto grinste insgeheim, als er dieses Ritual seiner Eltern beobachtete. Seine Mutter bemühte sich ständig darum, »den Anstand zu wahren«, wie sie sich ausdrückte, während der alte Mann längst nicht so förmlich auftrat. Von seinem Vater hatte Leto viel über Staatskunst und Menschenführung gelernt, während Lady Helena ihn in protokollarischen und religiösen Dingen unterrichtet hatte.

Als geborene Richese war Lady Helena Atreides in einem Großen Haus aufgewachsen, das durch fehlgeschlagene wirtschaftliche Investitionen und politische Intrigen sehr viel an Macht und Prestige verloren hatte. Nachdem ihrer Familie die Verwaltung von Arrakis entrissen worden war, hatte das Haus durch eine arrangierte eheliche Verbindung mit den Atreides einen Teil seiner Ehre wiederherstellen können. Mehrere ihrer Schwestern hatten in andere Häuser eingeheiratet.

Trotz ihrer offensichtlichen Unterschiede hatte der alte Herzog einmal zu Leto gesagt, dass er Helena in den ersten Jahren ihrer Verbindung wirklich geliebt hatte. Mit der Zeit hatten diese Gefühle nachgelassen, worauf er sich mit vielen Mätressen vergnügt und möglicherweise mehrere illegitime Kinder gezeugt hatte. Trotzdem blieb Leto sein einziger offizieller Erbe. Im Verlauf der Jahrzehnte hatte sich eine gewisse Feindseligkeit zwischen den Ehepartnern aufgebaut und zu einer tiefen Kluft erweitert. Inzwischen war ihre Verbindung nur noch rein politischer Natur.

»Ich habe überhaupt nur aus politischen Gründen geheiratet, mein Junge«, hatte er dazu gesagt. »Ich hätte nie versuchen sollen, etwas anderes daraus zu machen. In unseren Kreisen ist die Ehe ein Werkzeug. Man sollte nicht alles verderben, indem man versucht, Liebe ins Spiel zu bringen.«

Leto fragte sich gelegentlich, ob Helena seinen Vater jemals geliebt hatte oder ob sie nur an seinem Titel und seiner Stellung interessiert war. In letzter Zeit schien sie die Rolle der Geschäftsführerin des Hauses übernommen zu haben und kümmerte sich fast nur noch darum, dass er sich ordentlich und gepflegt in der Öffentlichkeit präsentierte. Schließlich stieg und fiel ihr Ruf mit seinem.

Auf der Bühne begrüßte Klytämnestra ihren Gatten und legte den Boden mit purpurroten Gobelins aus, damit er nicht durch den Dreck laufen musste. Begleitet von Jubel und Fanfaren marschierte Agamemnon in den Palast, während die Seherin Kassandra sprachlos vor Entsetzen war und sich weigerte, ihm zu folgen. Sie hatte ihren eigenen Tod und den Mord am General geweissagt, obwohl natürlich niemand auf sie gehört hatte.

Über sorgsam kultivierte politische Kanäle hatte Letos Mutter den Kontakt zu anderen mächtigen Häusern aufrechterhalten, während Herzog Paulus intensive Bindungen zum einfachen Volk von Caladan pflegte. Die Herzöge der Atreides führten ihre Untertanen, indem sie ihnen dienten und sich selbst nur einen angemessenen Betrag aus den geschäftlichen Unternehmungen der Familie auszahlten. Es war eine wohlhabende, aber keineswegs ausschweifende Familie – zumindest nicht auf Kosten der Bürger.

Als der zurückgekehrte General im Stück das Bad aufsuchte, fesselte seine verräterische Frau ihn in purpurne Gewänder und erstach ihn sowie seine prophetische Mätresse. »Bei den Göttern! Mir wurde ein tödlicher Stich zugefügt!«, klagte Agamemnon von außerhalb der Bühne.

Der alte Paulus schmunzelte und beugte sich zu seinem Sohn hinüber. »Ich habe in der Schlacht schon viele Männer getötet, aber ich habe noch nie gehört, wie jemand sterbend so etwas sagte!«

Helena ermahnte ihn, still zu sein.

»Die Götter mögen mich bewahren! Ein weiterer Stich! Ich werde sterben!«, rief Agamemnons Stimme.

Während sich das Publikum von der Tragödie fesseln ließ, versuchte Leto über die Situation nachzudenken, in welcher Beziehung sie zu seinem Leben stand. Schließlich handelte es sich hierbei um das Erbe seiner Familie.

Klytämnestra gestand den Mord und rechtfertigte ihn als Rache an ihrem Gatten, weil er ihre Tochter geopfert, sie in Troja mit Huren betrogen und am Ende auch noch unverfroren seine Mätresse Kassandra in ihr Haus gebracht hatte.

»Ruhmreicher König«, klagte der Chor, »unsere Liebe zu dir ist grenzenlos, unsere Tränen werden nie versiegen. Die Spinne hat dich in ihrem geisterhaften Netz des Todes gefangen.«

Letos Eingeweide kochten. Das Haus Atreides hatte sich in ferner Vergangenheit schrecklicher Verbrechen schuldig gemacht. Aber seitdem hatte sich die Familie geändert, vielleicht angesichts der Gespenster ihrer Geschichte. Der alte Herzog war ein ehrenwerter Mann, der im Landsraad hohes Ansehen genoss und von seinem Volk geliebt wurde. Leto hoffte, dass er dasselbe von sich behaupten konnte, wenn es an ihm war, die Führung des Hauses Atreides zu übernehmen.

Die letzten Zeilen des Stücks wurden gesprochen, und das Schauspielerensemble erschien auf der Bühne, um sich vor der versammelten politischen und wirtschaftlichen Prominenz zu verbeugen, die sich in statusgemäßer Kleidung eingefunden hatte.

»Ich bin froh, dass es vorbei ist«, sagte Paulus seufzend, als die großen Leuchtgloben im Theatersaal erstrahlten. Der alte Herzog erhob sich und gab seiner Gattin einen Handkuss, bevor sie die Fürstenloge verließen. »Geh schon voraus, meine Liebe. Ich habe noch etwas mit Leto zu besprechen. Warte im Empfangsraum auf uns.«

Helena warf ihrem Sohn einen kurzen Blick zu und machte sich auf den Weg durch den Korridor des uralten, aus Stein und Holz erbauten Theaters. Diese Geste besagte, dass sie genau wusste, was Paulus mit seinem Sohn zu bereden hatte, jedoch bereit war, sich der archaischen Tradition zu beugen, dass die Männer »wichtige Themen« unter sich besprachen, während sich die Frauen anderweitig beschäftigten.

Händler, einflussreiche Geschäftsleute und andere ehrenwerte Bürger strömten in den Korridor, um caladanischen Wein zu trinken und sich am Büfett zu stärken. »Hier entlang, Junge«, sagte der alte Herzog und nahm einen Hinterausgang. Sie kamen an zwei Atreides-Wachen vorbei, die bei ihrem Anblick salutierten. Dann fuhren sie mit einem Lift vier Stockwerke höher, wo sie in ein vergoldetes Ankleidezimmer traten. Balutanische Kristall-Leuchtgloben schwebten in der Luft und verstrahlten warmes, orangefarbenes Licht. Dieser Raum hatte zu den Gemächern eines legendären caladanischen Schauspielers gehört und wurde heutzutage ausschließlich von den Atreides und ihren engsten Beratern benutzt, wenn sie sich zu einem vertraulichen Gespräch zurückziehen wollten.