Der Kreuzzug - Brian Herbert - E-Book

Der Kreuzzug E-Book

Herbert Brian

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Beschreibung

Butlers Djihad breitet sich über die Galaxis aus

Serena Butler entzündete ein Feuer, das in die Geschichte der Galaxis eingehen wird. Ihre Anhänger, darunter auch Vorian Atreides, lehnen sich weiter gegen die Künstlichen Intelligenzen auf, die alle Lebensbereiche der Menschen kontrollieren und ganze Planeten versklavt haben. Sie infizieren die KIs mit Viren oder schlagen sie mit purer Gewalt. Inmitten des Chaos im Universum gelingt es einem Roboter, den Menschen Gilbertus Albans nach seinem Ebenbild zu formen, und macht ihn so zum ersten wahren Mentaten. Und in den Wirren des Krieges finden auch die ersten Siedler nach Arrakis, den Wüstenplaneten ...

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Seitenzahl: 1258

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BRIAN HERBERT &

KEVIN J. ANDERSON

 

 

 

DER

KREUZZUG

Ein Roman aus dem Wüstenplanet-Zyklus

 

 

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Titel der Originalausgabe
DUNE: THE MACHINE CRUSADE
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen
Überarbeitete NeuausgabeCopyright © 2003 by Herbert Enterprises LLCCopyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe byWilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenUmschlagbild: Frank M. LeweckeUmschlaggestaltung: Nele Schütz Design, MünchenSatz: Thomas Menne
ISBN 978-3-641-21031-1V002
www.penguinrandomhouse.de

Das Buch

Mit dem Wüstenplanet-Zyklus hat Frank Herbert eine Zukunftssaga geschaffen, die den größten Teil unserer Galaxis und einen Zeitraum von Tausenden von Jahren umfasst und in ihrer epischen Wucht und ihrem außerordentlichen Detailreichtum nur mit J. R. R. Tolkiens »Herr der Ringe« zu vergleichen ist. Nach dem Tod des Autors 1986 schien diese Saga – zum Bedauern von Millionen von Leserinnen und Lesern rund um die Welt – zu einem Abschluss gekommen zu sein. Doch nun geht das Abenteuer weiter: Gestützt auf den umfangreichen Nachlass seines Vaters und gemeinsam mit dem bekannten Star-Wars-Autor Kevin J. Anderson erzählt Frank Herberts Sohn Brian Herbert die »Legenden des Wüstenplaneten«, die Vorgeschichte dieses atemberaubenden Epos, und beleuchtet dabei jene Charaktere, Motive und Konflikte, die zu den Ereignissen in »Der Wüstenplanet« führen.

 

So berichtet »Der Kreuzzug« von einem sagenumwobenen Ereignis in ferner Vergangenheit, von dem in den »Wüstenplanet«-Romanen immer wieder die Rede ist: Die Rebellion der Menschen gegen die Künstlichen Intelligenzen, die den Aufstieg des Bene-Gesserit-Ordens und der Häuser des Imperiums überhaupt erst ermöglichte. Doch der Weg dorthin ist mit zahllosen Unwägbarkeiten verknüpft – und tödlichen Gefahren: Denn die Maschinen haben längst die Herrschaft über sämtliche menschlichen Lebensbereiche an sich gezogen und schrecken auch nicht davor zurück, die Bevölkerung ganzer Planeten zu versklaven. Nur eine Frau hat den Mut, sich ihnen entgegenzustellen. Ihr Name ist Serena Butler …

 

 

 

 

Die Autoren

Brian Herbert, der Sohn des 1986 verstorbenen Wüstenplanet-Schöpfers Frank Herbert, hat selbst SF-Romane verfasst, darunter den in Zusammenarbeit mit seinem Vater entstandenen »Mann zweier Welten«.

 

Kevin J. Anderson ist einer der meistgelesenen SF-Autoren unserer Zeit. Zuletzt ist von ihm die gefeierte »Saga der Sieben Sonnen« erschienen – mit den Bänden »Das Imperium«, »Der Sternenwald« und »Sonnenstürme«.

 

Eine chronologische Liste des Wüstenplanet-Zyklus finden Sie am Ende dieses Buches.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

 

 

 

Für Penny und Ron Merritt,

 

unsere Reisebegleiter im Universum

des Wüstenplaneten,

in Liebe und Anerkennung für

die Hilfe bei der Wahrung

des Vermächtnisses von Frank Herbert

Danksagung

 

Nach Beendigung des Manuskripts dieses Buches begann erst die eigentliche Arbeit. Pat LoBrutto und Carolyn Caughey bewiesen ihr editorisches Genie, indem sie uns bei der Erstellung der endgültigen Version durch zahlreiche Wiederholungen und Feinabstimmungen führten. Unsere Agenten Robert Gottlieb, John Silbersack und Matt Bialer von der Trident Media Group, haben dieses Projekt von Beginn an mit Begeisterung unterstützt. Tom Doherty, Linda Quinton, Jennifer Marcus, Heather Drucker und Paul Stevens von Tor Books und Julie Crisp von Hodder & Stoughton hielten die Produktion und Vermarktung am Laufen, ohne dass ihre Begeisterung für einen Moment nachgelassen hätte.

Wie immer war Catherine Sidor von WordFire Inc. unermüdlich damit beschäftigt, Dutzende von Mikrokassetten zu transkribieren, Korrekturen einzufügen und angesichts eines mit Volldampf laufenden Arbeitstempos die Stimmigkeit zu erhalten. Diane E. Jones diente als Testleserin und Versuchskaninchen; sie sagte uns ihre ehrliche Meinung und schlug zusätzliche Szenen vor, die aus dem Text ein stärkeres Buch machten.

Rebecca Moesta Anderson widmete uns ungezählte Stunden voller Energie, Konzentration, Ratschläge und Kritik (immer liebenswürdig abgemildert), ohne dabei die Phrase »gut genug« in ihrem Vokabular zuzulassen. Wie immer reagierte Jan Herbert mit Unterstützung, Geduld und Verständnis auf die unvorhersagbaren Bedürfnisse eines Autors.

Javier Barriopedro und Christian Gossett schenkten uns »schwertmeisterliche« Erleuchtung. Dr. Attila Torkos nahm das endgültige Manuskript genau unter die Lupe und half uns, Widersprüche zu vermeiden.

Penny und Ron Merritt, David Merritt, Byron Merritt, Julie Herbert, Robert Merritt, Kimberly Herbert, Margaux Herbert und Theresa Shackelford von der Herbert Limited Partnership gaben uns ihre enthusiastische Unterstützung und vertrauten uns das Sorgerecht für Frank Herberts Vision an.

Ohne Beverly Herberts beinahe vier Jahrzehnte andauernde Unterstützung und Hingabe hätte Frank Herbert kein so unermessliches und faszinierendes Universum erschaffen, das wir nun erforschen können. Beiden sind wir zu großem Dank verpflichtet.

Prolog

 

Historiker sind unterschiedlicher Auffassung bezüglich der Botschaften, die im Geröll der fernen Vergangenheit verborgen sind.

Wenn man in die Geschichte eintaucht – solch ferne, chaotische Zeiten! –, werden die Fakten zunehmend schwammig und die Ereignisse widersprüchlich. Jenseits des Ozeans der Zeit und fehlbarer Erinnerungen verwandeln sich wahre Helden in Archetypen; Schlachten erhalten eine größere Bedeutung, als sie tatsächlich hatten. Legende und Wahrheit sind schwer in Einklang zu bringen.

Als Oberster Offizieller Historiker des Djihad muss ich diese Aufzeichnung so gut wie möglich niederschreiben, wobei ich mich auf mündliche Überlieferungen und fragmentarische Dokumente, die sich über hundert Jahrhunderte erhalten haben, verlassen muss. Was ist genauer – eine sorgfältig belegte Geschichtsschreibung wie die meine oder eine Ansammlung von Mythen und volkstümlichen Geschichten?

Ich, Naam der Ältere, muss diese Darstellung aufrichtig niederschreiben, selbst wenn dies den Zorn meiner Vorgesetzten hervorruft. Lest diese Geschichte sorgfältig, wenn ich mit Rendik Tolu-Fars Manifest des Protests beginne, einem Dokument, das von der Djipol konfisziert wurde:

»Wir sind des Kämpfens müde – todmüde! Milliarden über Milliarden wurden in diesem Kreuzzug gegen die Denkmaschinen bereits dahingeschlachtet. Die Verluste umfassen nicht nur uniformierte Soldaten des Djihad und gedungene Söldner, sondern gleichermaßen unschuldige Kolonisten und menschliche Sklaven der Synchronisierten Welten. Keiner macht sich die Mühe, die Zahl der zerstörten feindlichen Maschinen zu ermitteln.

Der Computer-Allgeist Omnius hat über ein Jahrtausend lang viele Planeten beherrscht, doch vor vierundzwanzig Jahren geschah es, dass die Ermordung des unschuldigen Kindes der Priesterin Serena Butler eine Revolte auslöste, die die gesamte Menschheit einschloss. Serena Butler nutzte diese Tragödie, um in der Liga der Edlen ein Feuer zu entfachen, das den Großangriff der Armada und die atomare Zerstörung der Erde heraufbeschwor.

Ja, es war ein schwerer Schlag für Omnius, doch er tötete das letzte menschliche Leben auf diesem Planeten und verwandelte den Geburtsort der Menschheit in eine radioaktive Hölle, die auf Jahrhunderte unbewohnbar sein wird. Welch horrender Preis! – Und es war kein Sieg, kein Ende, sondern nur der Auftakt zu dieser langen Auseinandersetzung.

Über zwei Jahrzehnte lang wütete Serenas heiliger Krieg gegen die Denkmaschinen. Unsere Angriffe gegen Synchronisierte Welten wurden mit Überfällen der Roboter auf Kolonien der Liga beantwortet. Wieder und wieder.

Die Priesterin Serena scheint eine fromme Frau zu sein, und ich würde gerne an ihre Reinheit und Heiligkeit glauben. Sie hat Jahre ihres Lebens dem Studium der noch verfügbaren Schriften und Lehren der alten menschlichen Philosophen gewidmet. Kein anderer Mensch hat so viel Zeit im Gespräch mit Kwyna verbracht, der in der Stadt der Introspektion residierenden Kogitorin. Serenas Leidenschaft ist offenkundig und ihr Glaube über alle Zweifel erhaben. Doch ist sie sich aller Dinge bewusst, die in ihrem Namen geschehen?

Serena Butler ist kaum mehr als eine Galionsfigur, während Iblis Ginjo ihr politischer Stellvertreter ist. Er bezeichnet sich selbst als den ›Großen Patriarchen des Djihad‹ und leitet den Djihad-Rat, eine Notstandskörperschaft der Regierung, die ohne Kontrolle durch das Liga-Parlament herrscht. Und wir lassen zu, dass dies geschieht!

Ich habe erlebt, wie der Große Patriarch – ein ehemaliger Sklavenaufseher auf der Erde – seine charismatischen Rednerfähigkeiten einsetzte, um Serenas Tragödie in eine Waffe zu verwandeln. Erkennt niemand, wie er seine politische Machtstellung ausbaut? Weshalb sonst hätte er Camie Boro heiraten sollen, die ihre Abstammung tausend Jahre zurückverfolgen kann, bis hin zum letzten schwachen Herrscher des Alten Imperiums? Niemand heiratet den letzten lebenden Nachkommen des letzten Imperators nur aus Liebe!

Um menschliche Verräter und verborgene Saboteure aufzuspüren, hat Iblis Ginjo seine Djihad-Polizei gegründet, die Djipol. In den letzten Jahren sind viele tausend Menschen verhaftet worden. Kann es wirklich so viele Verräter gegeben haben, die für die Maschinen arbeiteten, wie die Djipol behauptet? Ist es nicht auffällig, dass viele von ihnen politische Feinde des Großen Patriarchen waren?

Ich kritisiere nicht die militärischen Führer des Djihad, die tapferen Soldaten und auch nicht die Söldner, denn sie alle kämpfen nach ihrem besten Vermögen. Menschen von allen freien Planeten wurden ausgesandt, um Vorposten der Maschinen zu zerstören und Plünderungen der Roboter zu stoppen. Doch können wir noch hoffen, jemals den Sieg zu erringen? Omnius kann jederzeit neue Kampfmaschinen bauen … und sie werden immer wiederkommen.

Wir sind von diesen endlosen Kampfhandlungen erschöpft. Gibt es noch Hoffnung auf Frieden? Gibt es noch Möglichkeiten für ein Abkommen mit Omnius? Denkmaschinen ermüden nie.

Und sie vergessen nie.«

 

 

 

177 V.G.

(Vor Gilde)

 

 

 

 

25. Jahr des Djihad

1

 

Die Schwäche der Denkmaschinen besteht darin, dass sie tatsächlich all die Informationen glauben, die sie erhalten, und entsprechend reagieren.

Vorian Atreides, aus der vierten

Einsatzbesprechung mit der Liga-Armada

 

 

Primero Vorian Atreides stand mit seinen fünf Ballistas im Orbit über dem von Schluchten zernarbten Planeten und musterte die feindlichen Roboter-Streitkräfte. Die Einheiten mit dem effizienten, funktionalen Design waren schlank und silbern wie Raubfische und hatten die Grazie scharfer Messer.

Die Monstrositäten von Omnius waren den Schiffen der Menschen zahlenmäßig um das Zehnfache überlegen, aber weil die Djihad-Schlachtschiffe mit sich überlappenden Holtzman-Schilden ausgestattet waren, konnte die feindliche Flotte die Schiffe der Menschen bombardieren, ohne den geringsten Schaden anzurichten und ohne zur Oberfläche von IV Anbus vorrücken zu können.

Obwohl die Verteidigungskräfte der Menschen nicht die nötige Feuerkraft besaßen, um die Maschinen-Armee zu vernichten oder wenigstens zurückzuschlagen, setzten die Djihadis den Kampf dennoch fort. Es war eine Pattsituation zwischen Menschen und Maschinen.

Omnius hatte mit seinen Streitkräften in den vergangenen sieben Jahren viele Siege errungen, abgelegene kleine Kolonien erobert und Vorposten eingerichtet, von denen unbarmherzige Angriffswellen gestartet wurden. Aber nun hatte sich die Djihad-Armee geschworen, diesen Unverbündeten Planeten um jeden Preis gegen die Denkmaschinen zu verteidigen – mit oder ohne Einverständnis der einheimischen Bevölkerung.

Auf der Planetenoberfläche bemühte sich gleichzeitig sein Kamerad Primero Xavier Harkonnen um eine diplomatische Einigung mit den Ältesten der Zenschiiten, den Anführern einer buddhislamischen Sekte. Vor bezweifelte, dass sein Freund große Fortschritte machte. Als Unterhändler war Xavier nicht flexibel genug, er ließ sich zu sehr von seinem Pflichtgefühl und der strikten Verfolgung der Ziele dieser Mission beherrschten.

Außerdem war Xavier gegenüber diesen Menschen voreingenommen … was sie zweifellos spürten.

Die Denkmaschinen hatten es auf IV Anbus abgesehen, und die Djihad-Armee musste sie aufhalten. Wenn sich die Zenschiiten aus dem galaktischen Konflikt heraushalten und nicht an der Seite der tapferen Soldaten kämpfen wollten, die sich für die Freiheit der Menschheit einsetzten, dann waren sie wertlos. Vor hatte Xavier einst scherzhaft mit einer Maschine verglichen, weil er die Welt nur in Schwarz oder Weiß sah, worauf dieser nur eine eisige, finstere Miene zur Schau gestellt hatte.

Laut Berichten von der Oberfläche verhielten sich die religiösen Anführer der Zenschiiten genauso halsstarrig wie Primero Harkonnen. Keine Seite war zum Nachgeben bereit.

Vor stellte den Kommandostil seines Freundes nicht in Frage, obwohl er sehr von seinem abwich. Nachdem er unter den Denkmaschinen aufgewachsen und zu deren Trustee ausgebildet worden war, genoss Vor nun das »Menschsein« in allen Facetten und ging manchmal zu leichtfertig mit der neu entdeckten Freiheit um. Er genoss es, mit anderen Offizieren Sport zu treiben oder zu spielen, Kontakte zu knüpfen oder herumzualbern. Es war ganz etwas anderes als das, was Agamemnon ihm beigebracht hatte …

Hier draußen wusste Vor, dass sich die Schlachtschiffe der Roboter niemals zurückziehen würden, außer wenn sie davon überzeugt waren, dass sie statistisch gesehen unmöglich gewinnen konnten. In den vergangenen Wochen hatte er an einer komplizierten Strategie gearbeitet, mit der er Omnius' Flotte in die Flucht schlagen wollte, aber noch war er nicht in der Lage, sie in die Tat umzusetzen.

Dieses orbitale Patt war etwas ganz anderes als die Kriegsspiele, die Vor gerne mit Djihadis auf Patrouille spielte, oder die unterhaltsamen Wettkämpfe, die er und der Roboter Seurat sich Jahre zuvor während langer Reisen zwischen den Sternen geliefert hatten. Diese schwierige Sackgasse bot wenig Gelegenheit, sich zu amüsieren.

Er hatte immer wieder bestimmte Angriffsmuster beobachtet.

Bald würde sich die Roboter-Flotte ihnen in einem rückläufigen Orbit nähern wie ein Schwarm Piranhas. Vor würde stolz in seiner adretten, dunkelgrünen, karmesinrot abgesetzten Militäruniform dastehen, in den Farben des Djihad, die Leben und vergossenes Blut symbolisierten. Er würde den Kriegsschiffen in seiner Wachflotte befehlen, die Holtzman-Schilde zu aktivieren und darauf zu achten, dass sie sich nicht überhitzten.

Es war geradezu bestürzend, wie berechenbar die waffenstrotzenden Roboter-Kriegsschiffe waren, und seine Männer schlossen häufig Wetten über die genaue Zahl der Schüsse ab, die der Feind abfeuern würde.

Er beobachtete, wie seine Streitkräfte ihre Position veränderten, wie er es ihnen befohlen hatte. Xaviers Adoptivbruder Vergyl Tantor war der Captain des Vorhut-Ballistas und brachte sein Schiff in Position. Vergyl diente seit siebzehn Jahren in der Djihad-Armee, stets aufmerksam von Xavier beobachtet.

Seit Tagen hatte sich hier nichts geändert, und die Kämpfer wurden immer ungeduldiger. Sie zogen wiederholt am Feind vorbei und konnten nichts tun, außer sich aufzuplustern und wie exotische Vögel ihr Kampfgefieder zu präsentieren.

»Man sollte meinen, die Maschinen würden langsam dazulernen«, murmelte Vergyl über die Komverbindung. »Hoffen sie etwa immer noch, dass wir einen Fehler machen?«

»Sie testen uns nur, Vergyl.« Vor sparte sich die Förmlichkeiten der Rangbezeichnung und der Befehlshierarchie, weil es ihn zu sehr an die strengen Vorschriften der Maschinen erinnerte.

Früher an diesem Tag, als die Wege der beiden Flotten sich flüchtig kreuzten, hatten die Roboter-Kriegsschiffe eine Salve explosiver Projektile abgefeuert, die auf die unüberwindlichen Holtzman-Schilde geprasselt waren. Vor hatte nicht gezuckt, als er die sinnlosen Explosionen gesehen hatte. Einen kurzen Moment lang hatten sich die Schiffe der Kontrahenten in chaotischem Durcheinander vermischt, dann waren sie aneinander vorbeigezogen.

»Na gut, wie viele waren es?«, rief er.

»Achtundzwanzig Schuss, Primero«, meldete einer der Brückenoffiziere.

Vor hatte genickt. Es waren immer zwischen zwanzig und dreißig Geschosse, aber seine Schätzung war zweiundzwanzig gewesen. Er und die Offiziere seiner anderen Schiffe hatten Glückwünsche hin und her geschickt und gutmütig darüber lamentiert, dass sie sich um ein oder zwei Schüsse verschätzt hatten. Dann hatten sie Vereinbarungen über die Begleichung der abgeschlossenen Wetten getroffen. Dienststunden und Luxus-Rationen waren zwischen Gewinnern und Verlierern von einem Schiff zum anderen verschoben worden.

Die gleichen Szenen hatten sich schon fast dreißigmal abgespielt. Aber jetzt, wo sich die Kriegsparteien berechenbar aufeinander zubewegten, hatte Vor eine Überraschung im Ärmel.

Die Djihad-Flotte blieb in perfekter Formation, diszipliniert wie Maschinen sind.

»Es geht wieder los!« Vor wandte sich an die Brückenbesatzung. »Bereiten Sie sich auf das Gefecht vor. Fahren Sie die Schilde auf volle Kraft hoch. Sie wissen, was zu tun ist. Wir haben es oft genug geübt.«

Auf dem Deck breitete sich ein Vibrieren aus, das auf der Haut kribbelte, als die riesigen Generatoren die Schichten des schimmernden Schutzfeldes aufbauten. Die Kommandanten aller Schiffe würden sorgfältig darauf achten, dass sich die Schilde nicht überhitzten – ein fataler Fehler des Systems, von dem die Maschinen vorläufig nichts ahnten.

Er beobachtete den Ballista, der im Orbit die Vorhut bildete. »Vergyl, bist du bereit?«

»Schon seit Tagen, Sir. Nichts wie los!«

Vor erkundigte sich bei seinen technischen und taktischen Spezialisten, die von Zon Noret, einem der Ginaz-Söldner, angeführt wurden. »Mr. Noret, haben Sie alle unsere … Mausefallen aufgebaut?«

Die Rückmeldung kam prompt. »Jede ist perfekt positioniert, Primero. Ich habe allen unseren Schiffen die genauen Koordinaten übermittelt, damit wir ihnen ausweichen können. Die Frage ist nur, ob die Maschinen es nicht bemerken werden?«

»Ich werde sie schon auf Trab halten, Vor!«, sagte Vergyl.

Die Maschinen-Kriegsschiffe näherten sich dem Abfangpunkt. Obwohl die Denkmaschinen keinen Sinn für Ästhetik hatten, brachten ihre Berechnungen und das effiziente technische Design Schiffe mit präzisen Kurven und fehlerfreiem glattem Rumpf hervor.

Vor lächelte. »Los!«

Als die Omnius-Flotte wie ein Schwarm angriffslustiger Raubfische vorrückte, machte Vergyls Ballista plötzlich mit hoher Beschleunigung einen Ausfall nach vorn und feuerte Geschosse nach einem neuen Intervallsystem ab, das die Bugschilde in Millisekundenabständen ein- und ausschaltete, um in präziser Abstimmung die Projektile durchzulassen.

Hochleistungsraketen bombardierten das nächste Schiff der Maschinen, und im nächsten Augenblick hatte Vergyl schon wieder den Kurs geändert und pflügte wie ein wild gewordener salusanischer Stier durch die zusammengedrängten Roboter-Schiffe.

Vor gab den Befehl zum Ausschwärmen, und der Rest seiner Schiffe löste die Formation auf und verteilte sich.

Die Maschinen versuchten auf die unerwartete Situation zu reagieren, konnten aber nicht viel mehr tun, als das Feuer auf die mit Holtzman-Schilden ausgestatteten Djihad-Schiffe zu eröffnen.

Vergyl stieß erneut mit seinem Ballista vor. Er hatte den Befehl, seine Munition im wilden Angriff zu verfeuern. Ein Geschoss nach dem anderen detonierte an den Roboter-Schiffen, was erheblichen Schaden anrichtete, sie aber nicht zerstörte. Über die Komverbindungen hallten Beifallsrufe.

Aber Vergyls Gambit war nur ein Ablenkungsmanöver. Der Hauptteil der Omnius-Streitkräfte folgte weiter dem vorgegebenen Kurs – direkt in das Minenfeld, das der Söldner Zon Noret und seine Mannschaft im Orbit vorbereitet hatte.

Die riesigen Annäherungsminen waren mit Tarnbeschichtungen überzogen, die sie für Sensoren fast unsichtbar machten. Mit einer gründlichen Suche hätte man sie aufspüren können, doch Vergyls rasender Überraschungsangriff hatte die Aufmerksamkeit der Maschinen abgelenkt.

Die vordersten zwei Roboterschiffe explodierten, als sie mit einer Minenkette kollidierten. Gewaltige Detonationen rissen Löcher in Bug, Rumpf und die Verkleidung der unteren Triebwerke. Sie kamen vom Kurs ab und gingen in Flammen auf. Eins der verwüsteten Feindschiffe traf auf eine weitere Mine.

Da die Denkmaschinen noch nicht gemerkt hatten, was geschah, kollidierten drei weitere Roboterschiffe mit unsichtbaren Raumminen. Dann sammelte sich das Maschinen-Bataillon. Die restlichen Kriegsschiffe ignorierten Vergyls Angriff, verteilten sich und setzten ihre Sensoren ein, um den Rest der verstreuten Minen aufzuspüren, die sie mit einem Hagel präzise gezielter Schüsse beseitigten.

»Vergyl – Angriff abbrechen!«, übermittelte Vor. »Alle anderen Ballistas wieder sammeln. Wir hatten unseren Spaß.« Er lehnte sich mit einem zufriedenen Seufzer in seinem Kommandosessel zurück. »Schicken Sie vier schnelle Kindjal-Späher los, die den Schaden begutachten sollen, den wir angerichtet haben.«

Er aktivierte eine private Komverbindung, und das Gesicht des Ginaz-Söldners erschien auf dem Bildschirm. »Noret, dafür bekommen Sie und Ihre Männer Orden.« Wenn sie keine Tarnkleidung für das Legen von Minen und andere Geheimoperationen angelegt hatten, trugen die Söldner lieber ihre eigenen, selbst entworfenen gold-roten Uniformen. Gold stand für die beträchtlichen Summen, die sie erhielten, und Rot für das Blut, das sie vergossen.

Hinter ihnen setzte die angeschlagene Omnius-Flotte unbeirrt ihre Patrouille im Orbit fort, wie Haie auf Nahrungssuche. Die Schiffe hatten bereits Schwärme von Robotern ausgestoßen, die wie Läuse über die Außenhüllen krabbelten, um größere Reparaturen durchzuführen.

»Es sieht nicht so aus, als hätten wir ihnen auch nur die Federn zerzaust!«, sagte Vergyl, als sein Ballista sich wieder der Djihad-Flotte anschloss. Er klang enttäuscht und fügte hinzu: »Trotzdem werden sie IV Anbus nicht kriegen!«

»Richtig! Wir haben ihnen in den letzten Jahren genug durchgehen lassen. Es wird Zeit, diesem Krieg eine andere Wendung zu geben.«

Vor fragte sich, weshalb die Roboter-Streitkräfte so lange untätig blieben, ohne diesen Konflikt eskalieren zu lassen. Es passte nicht zu ihrem üblichen Verhaltensmuster. Als Sohn des Titanen Agamemnon wusste er besser als irgendein anderer Djihad-Kämpfer darüber Bescheid, wie Computergehirne arbeiteten. Als Vor jetzt darüber nachdachte, wurde er sehr misstrauisch.

Bin ich derjenige, der zu berechenbar geworden ist? Was ist, wenn die Roboter mich nur glauben lassen wollen, dass sie ihre Taktik nicht ändern werden?

Stirnrunzelnd öffnete er die Komverbindung zum Vorhut-Ballista. »Vergyl? Ich habe kein gutes Gefühl bei dieser Sache. Schicke Erkundungsschiffe los, um die Landmassen des Planeten zu kartographieren. Ich glaube, die Maschinen führen etwas im Schilde.«

Vergyl stellte die Intuition Vors nicht in Frage. »Wir werden einen vorsichtigen Blick nach unten werfen, Primero. Wenn sie auch nur einen Stein umgedreht haben, werden wir es herausfinden.«

»Ich befürchte, dass es um mehr als das geht. Sie versuchen uns auszutricksen – soweit es ihre berechenbare Art zulässt.« Vor warf einen flüchtigen Blick auf das Chronometer und wusste, dass ihm noch ein paar Stunden blieben, bevor er sich um das nächste orbitale Gefecht Sorgen machen musste. Er war unruhig. »Vergyl, übernimm inzwischen das Kommando über die Flotte. Ich werde mit einem Shuttle runterfliegen und nachsehen, ob es deinem Bruder gelungen ist, vernünftig mit unseren Zenschiiten-Freunden zu reden.«

2

 

Um die Bedeutung des Sieges zu verstehen, muss man zuerst seine Feinde definieren … und seine Verbündeten.

Primero Xavier Harkonnen,

Vorlesungen zur Kriegsführung

 

 

Seit der Abwanderung aller buddhislamischen Religionsgemeinschaften aus der Liga der Edlen vor einigen Jahrhunderten hatte sich IV Anbus zum Zentrum der zenschiitischen Kultur entwickelt. Die Hauptstadt Darits war das religiöse Herz der unabhängigen und isolierten Gemeinschaft. Sie wurde von Fremdweltlern weitgehend ignoriert, die kein Interesse an den knappen Rohstoffen des Planeten und den lästigen religiösen Fanatikern hatten.

Die Landmassen auf IV Anbus waren von großen seichten Meeren durchsetzt, von welchen einige Süßwasser und andere extrem salziges Wasser enthielten. Die Gezeiten, die von nahe um den Planeten kreisenden Monden hervorgerufen wurden, zogen die Meere wie Putzlappen über die Landflächen. Sie wuschen den Mutterboden durch tiefe Schluchten aus und erodierten Höhlen und Täler aus dem weicheren Sandstein. Im Schutz gewaltiger Überhänge hatten die Zenschiiten ihre Städte errichtet.

Zwischen den Meeren sorgten die Flüsse im Wechsel der Gezeiten für natürliche Entwässerung. Die Bewohner von IV Anbus hatten außerordentliche mathematische, astronomische und technische Fähigkeiten entwickelt, um die steigende und sinkende Flut vorherzusagen. Schlammwäscher gewannen kostbare Mineralien, indem sie das trübe Wasser siebten, das durch die Schluchten floss. Das stromabwärts gelegene Tiefland bot fruchtbare Böden und reiche Erträge, solange die landwirtschaftlichen Arbeiter zur richtigen Zeit aussäten und ernteten.

In Darits hatten die Zenschiiten einen gigantischen Damm an einer engen Stelle der roten Felsenschlucht gebaut – eine trotzige Geste, die zeigen sollte, dass ihr Glaube und ihr Erfindungsreichtum groß genug waren, selbst den mächtigen Strom zu bändigen. Hinter dem Damm hatte sich ein gewaltiges Reservoir tiefblauen Wassers aufgestaut. Rund um den See brachen zenschiitische Fischer in zierlichen Ruderbooten auf. Mit großen Netzen ergänzten sie das Nahrungsangebot aus Getreide und Gemüse, das auf den Flutebenen angebaut wurde.

Der Darits-Damm war keine bloße Mauer, er war mit gewaltigen Steinstatuen geschmückt, die talentierte und gläubige Handwerker geschaffen hatten. Die hundert Meter hohen Zwillingsmonolithen stellten die idealisierten Gestalten von Buddha und Mohammed dar, deren Züge von der Zeit, der Legendenbildung und den Vorstellungen idealisierter Verehrung verwischt waren.

Die Gläubigen hatten schwere hydroelektrische Turbinen installiert, die von der Kraft der Strömung betrieben wurden. Im Zusammenspiel mit unzähligen Solarkraftwerken, die das Hochland überzogen, erzeugte der Darits-Damm genug Energie, um alle Städte auf IV Anbus zu versorgen, die im Vergleich zu denen anderer Welten nicht groß waren. Der gesamte Planet hatte gerade einmal neunundsiebzig Millionen Bewohner. Und doch verbanden das Kommunikations- und Energieversorgungsnetz die Siedlungen mit genügend technischer Infrastruktur, um den Planeten zur zivilisiertesten aller buddhislamischen Rückzugswelten zu machen.

Was genau der Grund war, weshalb die Denkmaschinen so sehr an IV Anbus interessiert waren. Mit geringem Aufwand ließ er sich in einen Brückenkopf verwandeln, von dem Omnius größere Angriffe auf Welten der Liga vorbereiten konnte.

Serena Butlers Djihad war seit mehr als zwei Jahrzehnten in vollem Gange. In den dreiundzwanzig Jahren seit der atomaren Zerstörung der Erde war das Kriegsglück auf beiden Seiten mehrmals von Sieg zu Niederlage gewechselt.

Doch vor sieben Jahren hatten die Denkmaschinen begonnen, Unverbündete Planeten anzugreifen, die einfacher zu erobern waren als die gut geschützten, dichter besiedelten Liga-Welten. Auf den verwundbaren Unverbündeten Planeten waren die verstreuten Händler, Minenarbeiter, Bauern und buddhislamischen Flüchtlinge nur selten in der Lage, ausreichende Streitkräfte zu mobilisieren, um Omnius Widerstand zu leisten. In den ersten drei Jahren waren fünf dieser Planeten von den Denkmaschinen überrannt worden.

Auf Salusa Secundus hatte der Djihad-Rat nicht verstanden, weshalb Omnius sich mit solchen unbedeutenden Zielen begnügte – bis Vorian das Muster erkannt hatte. Angetrieben von den Berechnungen und Extrapolationen des Computer-Allgeistes, kreisten die Denkmaschinen die Liga-Welten wie mit einem Netz ein, das immer enger zusammengezogen wurde, um einen tödlichen Vorstoß gegen die Hauptwelt der Liga vorzubereiten.

Kurz nachdem Vorian Atreides – mit Xaviers Unterstützung – gefordert hatte, dass die militärischen Mittel des Djihad zur Verteidigung der Unverbündeten Planeten eingesetzt werden sollten, gelang es mit einem schweren und unerwarteten Gegenschlag, den Maschinen Tyndall wieder zu entreißen. Jeder Sieg war ein guter Sieg.

Xavier war froh, dass die Armee des Djihad dank der Warnungen eines Sklavenhändlers namens Rekur Van rechtzeitig auf IV Anbus eingetroffen war. Der Tlulaxa hatten auf dieser Welt Zenschiiten gefangen genommen, um sie auf den Sklavenmärkten von Zanbar und Poritrin zu verkaufen. Nach ihrem Überfall hatten die Sklavenhändler einen Kundschafter der Roboter entdeckt, der den Planeten kartographiert und analysiert hatte – wie es die Maschinen stets zur Vorbereitung einer Eroberung taten. Rekur Van war sofort zurück nach Salusa Secundus geeilt und hatte dem Djihad-Rat die unheilvolle Nachricht überbracht.

Um die Bedrohung abzuwenden, hatte der Große Patriarch Iblis Ginjo hastig eine militärische Einsatztruppe zusammengestellt. »Wir können es uns nicht leisten, eine weitere Welt in die Hände der dämonischen Denkmaschinen fallen zu lassen«, hatte Iblis bei der Verabschiedungszeremonie gerufen, während das Publikum begeistert gejubelt und orangegelbe Blumen in die Luft geworfen hatte. »Wir haben bereits Ellram, die Peridot-Kolonie, Bellos und andere Welten verloren. Aber vor IV Anbus wird die Armee des Djihad den Maschinen einen Riegel vorschieben!«

Obwohl Xavier die Zahl der Schiffe unterschätzt hatte, die Omnius zu dieser abgelegenen Welt entsenden würde, war es den Streitkräften des Djihad bisher gelungen, die versuchte Invasion zu vereiteln, auch wenn sie die Roboter nicht in die Flucht schlagen konnten.

Während einer Pause in den Gesprächen mit den Zenschiiten fluchte Xavier leise. Genau die Menschen, die er zu retten versuchte, hatten kein Interesse an seiner Hilfe und weigerten sich, gegen die Denkmaschinen zu kämpfen.

Die Stadt in der roten Felsenschlucht beherbergte Reliquien und den originalen handgeschriebenen Kanon der Zenshia-Interpretation des Buddhislams. In Höhlengewölben bewahrten weise Männer uralte Manuskripte der Koran-Sutras auf und beteten fünfmal täglich, wenn sie die Rufe von den Minaretten hörten, die am Rand der Schlucht aufragten. Aus Darits sandten die Ältesten ihre Kommentare, die dazu gedacht waren, die Gläubigen durch den Dschungel der esoterischen Lehre zu führen.

Xavier Harkonnen konnte seine Enttäuschung kaum verbergen. Er war Soldat und daran gewöhnt, zu kämpfen, seine Truppen zu führen und Befehle zu erteilen. Er wusste einfach nicht, was er tun sollte, wenn diese pazifistischen buddhislamischen Einwohner des Planeten sich einfach … verweigerten.

Auf den Liga-Welten gab es eine zunehmende Protestbewegung gegen den Djihad. Die Menschen waren nach über zwei Jahrzehnten Blutvergießen ohne sichtbare Fortschritte kampfesmüde geworden. Einige hatten sich mit ihren Transparenten sogar in die Nähe des Heiligtums von Manion dem Unschuldigen gewagt und »Frieden um jeden Preis!« gefordert.

Ja, Xavier konnte ihre Erschöpfung und Verzweiflung verstehen, denn sie hatten viele geliebte Menschen sterben sehen. Aber diese isolierten Anhänger des Buddhislams hatten nie ihre Hand zum Widerstand erhoben – ein Beweis für die große Dummheit extremer Gewaltlosigkeit.

Das Angriffsziel der Maschinen war offensichtlich, und Omnius würde sicherlich kein Verständnis für irgendwelche Vorlieben religiöser Fanatiker zeigen. Xavier hatte hier im Namen des Djihad eine lebenswichtige Aufgabe zu erledigen – und diese Aufgabe verlangte von den Planetenbewohnern ein wenig Zusammenarbeit auf der Basis des gesunden Menschenverstandes. Er hatte nicht erwartet, auf so große Probleme zu stoßen, wenn er versuchte, diesen Menschen näher zu bringen, was die Armee des Djihad für sie riskierte.

Die Ältesten der Zenschiiten schlurften zurück in den Konferenzraum, eine Einfriedung, die mit alten religiösen Artefakten aus Gold und Edelsteinen verziert war.

Der religiöse Führer Rhengalid starrte ihn mit steinernen Augen und offener Ablehnung an, wie er es schon seit Stunden getan hatte. Den großen rasierten Kopf hatte er mit glitzernden exotischen Ölen eingerieben, seine dichten Augenbrauen waren gekämmt und künstlich gedunkelt. Sein Kinn war von einem dichten, quadratisch geschnittenen Bart bedeckt, den er als ein Zeichen seines Stolzes trug. Seine Augen waren von einem hellen Grau-Grün, das in irritierendem Kontrast zu seiner braun gebrannten Haut stand. Dieser Mann ließ sich weder von der bedrohlichen Kriegsflotte der Denkmaschinen am Himmel oder der massiven Feuerkraft der Armee des Djihad beeindrucken oder einschüchtern. Er schien blind zu sein.

Es kostete Xavier große Mühe, mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Wir versuchen, Ihre Welt zu beschützen, Ältester Rhengalid. Wenn wir nicht genau zu diesem Zeitpunkt gekommen wären, wenn unsere Schiffe nicht weiterhin jeden Tag die Denkmaschinen zurückdrängen würden, wären Sie und Ihr Volk längst Sklaven von Omnius.« Steif saß er dem Führer der Zenschiiten auf der harten Bank gegenüber. Nicht ein einziges Mal hatte Rhengalid ihm irgendeine Erfrischung angeboten, obwohl Xavier vermutete, dass die Ältesten jedes Mal etwas zu sich nahmen, wenn die Soldaten den Raum verließen.

»Sklaven? Wenn Sie so sehr um unser Wohlergehen besorgt sind, Primero Harkonnen, wo waren Ihre Schlachtschiffe vor wenigen Monaten, als die Fleischhändler der Tlulaxa gesunde junge Männer und fruchtbare Frauen aus unseren landwirtschaftlichen Siedlungen raubten?«

Xavier bemühte sich, keine Bestürzung zu zeigen. Er hatte nie Diplomat sein wollen, dazu hatte er nicht die nötige Geduld. Er diente der Sache des Djihad mit all der Loyalität und Hingabe, die er besaß. Das tiefe Rot seiner Uniform symbolisierte das vergossene Blut der Menschheit, und sein Sohn Manion der Unschuldige war – mit gerade einmal elf Monaten – zum ersten Märtyrer geworden.

»Ältester, was haben Sie zur Verteidigung Ihres Volkes getan, als die Plünderer kamen? Ich wusste bis jetzt nichts von diesem Vorfall und kann Ihnen nicht bei Dingen helfen, die in der Vergangenheit geschehen sind. Ich kann Ihnen nur versichern, dass das Leben unter der Herrschaft der Denkmaschinen viel schlimmer sein wird.«

»Das sagen Sie, aber Sie können die Scheinheiligkeit Ihrer eigenen Gesellschaft nicht leugnen. Weshalb sollten wir dem Wort eines Sklavenhändlers mehr Glauben schenken als dem eines anderen?«

Xaviers Nasenflügel bebten. Ich habe für so etwas keine Zeit! »Wenn Sie darauf bestehen, die Vergangenheit zu beschwören, dann erinnern Sie sich bitte an den Beginn unseres Freiheitskampfes. Die Weigerung Ihres Volkes, den Denkmaschinen Widerstand zu leisten, hat Milliarden von Menschen die Freiheit gekostet und Ungezählten den Tod gebracht. Viele glauben, dass Sie große Schuld auf sich geladen haben.«

»In dieser Auseinandersetzung sympathisieren wir mit keiner Seite«, erwiderte der graubärtige Mann. »Mein Volk will nichts mit Ihrem sinnlosen, blutigen Krieg zu tun haben.«

Xavier verbiss sich eine hitzige Erwiderung. »Dennoch sind Sie zwischen die Fronten geraten und müssen sich nun für eine Seite entscheiden.«

»Sind menschliche Unterdrücker besser als Maschinen? Wer kann das sagen? Doch ich weiß, dass dies nicht unser Kampf ist, dass es nie unser Kampf gewesen ist.«

Im Darits-Damm wurden Schleusentore bewegt, worauf klares Wasser in zwei gleichen spektakulären Wasserfällen aus den offenen Händen der gigantischen Statuen von Buddha und Mohammed hinabstürzte. Als er das plötzlich einsetzende Rauschen hörte, blickte Xavier nach oben und sah zu seiner Überraschung Primero Vorian Atreides, der über den Felsenpfad vom Landeplatz seines Shuttles auf dem primitiven Raumhafen schritt. Der dunkelhaarige Mann kam lächelnd näher und wirkte noch immer so gesund, kraftvoll und jung wie nach seiner Flucht von der Erde vor vielen Jahren, als Xavier ihm zum ersten Mal begegnet war. »Du kannst ihnen schmeicheln, so sehr du willst, Xavier, aber die Zenschiiten sprechen eine andere Sprache … nicht nur im linguistischen Sinne.«

Die Ältesten von Darits reagierten entrüstet. »Ihre gottlose Zivilisation hat uns verfolgt. Soldaten des Djihad sind hier nicht willkommen – vor allem nicht in unserer heiligen Stadt Darits.«

Xavier hielt den Blick auf Rhengalid gerichtet. »Ich muss Ihnen Folgendes mitteilen, Ältester: Ich werde nicht zulassen, dass die Denkmaschinen diesen Planeten erobern, ob Sie uns nun helfen oder nicht. Sollte IV Anbus fallen, hätte der Feind einen weiteren Trittstein zu den Liga-Welten gewonnen.«

»Dies ist unser Planet, Primero Harkonnen. Sie haben hier nichts zu suchen.«

»Genauso wenig wie die Denkmaschinen!« Xaviers Gesicht war rot angelaufen.

Vorian legte ihm sichtlich amüsiert eine Hand auf den Arm. »Wie ich sehe, hast du ganz neue Methoden der Diplomatie entwickelt.«

»Ich habe mich nie darum gedrängt, als Vermittler tätig zu werden.«

Vor nickte lächelnd. »Wenn diese Leute deinen Befehlen folgen würden, hätte es die Dinge sicherlich vereinfacht, nicht wahr?«

»Ich werde diesen Planeten nicht aufgeben, Vor.«

In der Kommando-Komverbindung knisterte es, bis eine verständliche Botschaft hereinkam. Vergyl Tantors Stimme war aufgeregt und atemlos. »Primero Atreides, Ihre Vermutungen waren richtig! Wir haben ein geheimes Basislager der Denkmaschinen entdeckt, das auf einem Plateau errichtet wurde. Es scheint ein militärischer Brückenkopf mit Industriemaschinen, schweren Waffen und Kampfrobotern zu sein.«

»Gute Arbeit, Vergyl«, sagte Vor. »Jetzt geht der Spaß los.«

Xavier blickte sich über die Schulter zum selbstvergessenen Rhengalid um, der den Eindruck machte, als wollte er die Kämpfer des Djihad niemals wiedersehen. »Wir sind hier fertig, Vor. Wir kehren zum Flaggschiff zurück. Auf uns wartet Arbeit.«

3

 

So etwas wie eine Zukunft gibt es nicht. Die Menschheit steht vor mannigfachen möglichen Zukünften, die häufig von scheinbar bedeutungslosen Ereignissen abhängen.

Die Muadru-Chroniken

 

 

Zimia war eine überwältigende Stadt, die kulturelle Hochburg der freien Menschheit. Von Bäumen gesäumte Boulevards führten wie die Speichen eines Rades zu einem Komplex von Regierungsgebäuden und einem gigantischen Gedenkplatz. Männer in eleganten Zweiteilern und Damen in verzierten Dienstkleidern liefen auf dem Platz umher.

Iblis Ginjo runzelte die Stirn, als er über die weite Fläche auf das imposante Parlamentsgebäude zueilte. Eine solche Ordnung konnte einem die Illusion von Sicherheit geben, dass sich die Umgebung niemals ändern würde.

Doch nichts ist für immer. Nichts ist sicher.

Es war seine Aufgabe, Menschen zu inspirieren, sie zum Handeln zu animieren, indem er sie überzeugte, dass die bösen Maschinen jederzeit jede Welt angreifen konnten, und dass es selbst hier im Herzen der Liga menschliche Spione gab, die im Geheimen Omnius Loyalität geschworen hatten.

Manchmal musste Iblis die Wahrheit ausschmücken, für den größeren Nutzen des Kampfes.

Er war ein breitschultriger Mann mit kantigem Gesicht und glattem dunkelbraunem Haar und trug einen weiten schwarzen Blazer, der mit goldenen Stickereien und funkelnden Ringen verziert war. Wenige Schritte hinter ihm folgte ein halbes Dutzend Djipol-Agenten, Mitarbeiter der Djihad-Polizei, die Hände in ständiger Alarmbereitschaft an den Waffen. Abtrünnige Menschen oder den Maschinen loyal ergebene Attentäter konnten überall lauern.

Vor zwei Jahrzehnten hatte Iblis den Titel »Großer Patriarch des Djihad« angenommen, und jedes Mal, wenn er in der Öffentlichkeit auftrat, gewann er die Sympathie der versammelten Menge. Er sprach zu den Menschen, rüttelte sie auf, sagte ihnen, was sie denken und wie sie handeln sollten. Wie Vorian Atreides war Iblis einst ein Trustee der Denkmaschinen auf der Erde gewesen. Nun war er ein Redner und Staatsmann höchsten Ranges: König, Politiker, religiöser Führer und militärischer Befehlshaber in einem. Ein charismatischer Mann, der seinen eigenen Weg gegangen war, einen beispiellosen Weg, der ihm völlige Bewegungsfreiheit innerhalb der höchsten Kreise der menschlichen Führung gestattete. Er kannte die Geschichte, und er sah deutlich, welchen Platz er darin einnahm.

Als er die breiten Stufen des Parlamentsgebäudes erstieg und das Foyer mit der hohen, von Fresken verzierten Decke betrat, verstummten die Abgeordneten und Sekretäre. Iblis liebte es, wenn die Menschen ehrfürchtig, stotternd und mit roten Gesichtern vor ihm umhertappten.

Mit dem gebührenden Respekt hielt er am verzierten Alkoven mit dem Schrein für Serena Butlers ermordetes Kind Manion stehen, einer engelgleichen Skulptur mit weit ausgestreckten Armen, in die täglich frische Blumen gelegt wurden, orangegelbe Ringelblumen, die wie kleine helle Supernovae aussahen, die als »Manions Blumen« eingeführt worden waren.

Im großen Plenarsaal war jeder Stuhl von einem Adligen oder planetaren Abgeordneten besetzt. Selbst in den Gängen drängten sich bedeutende Gäste, die sich in mobilen Suspensorsesseln im neuesten Design räkelten.

Ein Mönch in safrangelbem Gewand saß nahe der vordersten Reihe der Versammlung und bewachte einen schweren durchsichtigen Behälter, der ein lebendes menschliches Gehirn in lebenserhaltendem bläulichem Elektrafluid enthielt. Als Iblis einen Blick zur verehrten Kogitorin warf, erinnerte er sich mit aufrichtiger Freude an das uralte Philosophengehirn namens Eklo, das sein Wissen mit ihm geteilt hatte, als Iblis nicht mehr als ein Sklavenaufseher auf der Erde gewesen war. Es waren berauschende Tage voller Möglichkeiten gewesen …

Diese Kogitorin namens Kwyna zeigte weniger Bereitschaft, ihm zu helfen, ihm ihren Rat anzubieten. Trotzdem suchte Iblis häufig die ruhige Stadt der Introspektion auf, um an Kwynas Konservierungsbehälter zu sitzen, in der Hoffnung, etwas von ihr zu lernen. Er hatte in seinem Leben nur zwei Kogitoren getroffen, aber die großartigen organischen Denkeinheiten beeindruckten ihn immer wieder. Sie waren Omnius weit überlegen, sie besaßen Eleganz und – Menschlichkeit, trotz ihrer offensichtlichen körperlichen Einschränkungen.

Das Parlament tagte bereits seit Stunden, doch vor seinem Eintreffen würde nichts Wesentliches geschehen. Alles war genau geplant. Seine stillen Verbündeten unter den Abgeordneten der Liga hatten die Regierungsgeschäfte mit unwichtiger Bürokratie behindert, damit er einen umso größeren Eindruck machte, wenn er mit einem Handstreich das Zaudern beendete.

Auf dem Podium leierte Hosten Fru, der planetare Abgeordnete von Hagal, seine Rede über ein kleineres Handelsproblem herunter, eine Auseinandersetzung zwischen der Firma VenKee Enterprises und der Regierung von Poritrin, in der es um Patente und Vertriebsrechte für Leuchtgloben ging, die sich zunehmender Beliebtheit erfreuten.

»Das ursprüngliche Konzept basiert auf Arbeiten einer Assistentin des Weisen Tio Holtzman, doch VenKee Enterprises hat diese Technik vermarktet, ohne die geringste Vergütung an Poritrin zu leisten«, legte Hosten Fru dar. »Ich schlage vor, ein Komitee zu beauftragen, das sich der Sache annimmt, und ihr die gebührende Beachtung zu widmen …«

Iblis lachte innerlich. Ja, ein Komitee wird sicherstellen, dass es diesem Fall an jeglicher Beschlussfassung fehlen wird. Hosten Fru war ein offensichtlich unfähiger Politiker, der die Arbeit der Liga mit banalen Problemen blockierte und damit die schwerfällige Regierung so wenig effektiv wie das passive Alte Imperium erscheinen ließ. Niemand wusste, dass der Abgeordnete von Hagal einer von Iblis' geheimen Verbündeten war. Er verdeutlichte, wie unfähig das Parlament der Liga beim Lösen einfacher Probleme war, besonders in Krisenzeiten. Daraus ergab sich, dass wichtige Entscheidungen dem Djihad-Rat übertragen werden mussten, den Iblis kontrollierte …

Mit strahlendem Selbstvertrauen hatte er nun seinen großen Auftritt. Als Stellvertreter von Serena Butler war er der Wortführer der Menschheit und ihres Heiligen Krieges gegen die Denkmaschinen.

Zehn Jahre nach der atomaren Zerstörung der Erde hatte sich der alte Manion Butler als Viceroy der Liga zur Ruhe gesetzt, mit der Bitte, dass seine Tochter seinen Platz übernehmen sollte. Sie war per Akklamation gewählt worden, bestand aber darauf, dass sie den Titel des Viceroy bis zum Ende des Krieges nur kommissarisch führen würde. Begeistert hatte Iblis sich als ihr engster Ratgeber eingeschmeichelt, indem er Reden für sie schrieb, die das Feuer für den Kreuzzug gegen die Denkmaschinen entfachten.

Mit erhobenem Kopf schritt er durch den mit Teppichen ausgelegten Gang zum Rednerpodium. Projektoren warfen Iblis' überlebensgroße Gesichtszüge auf die Wände. Sofort verstummte Hosten Fru ehrfürchtig und verbeugte sich, während er vom Podium zurücktrat. »Ich überlasse meine verbliebene Redezeit dem Großen Patriarchen.«

Iblis trat ans Pult, faltete die Hände und nickte dem Abgeordneten von Hagal, der vom Podium eilte, mit formeller Dankbarkeit zu. Doch bevor er seine Gedanken sammeln konnte, kam von unten eine Unterbrechung.

»Tagesordnung!« Er erkannte die Frau als Muñoza Chen, eine lästige Abgeordnete von der fernen Liga-Welt Pincknon.

Iblis wandte sich ihr zu und zwang sich zu einem geduldigen Gesichtsausdruck, während Chen aufstand und sagte: »Ich hatte bereits die zusätzlichen Verantwortungen zur Diskussion gestellt, die vom Parlament ohne das nötige Verfahren an den Djihad-Rat übertragen werden sollen. Diese Debatte wurde ausgesetzt, bis sich ein autorisiertes Mitglied des Rats an dieses Plenum wenden kann.« Sie verschränkte die Arme vor der schmalen Brust. »Ich glaube, der Große Patriarch Ginjo ist ermächtigt, im Namen des Rats zu sprechen.«

Er schenkte ihr ein kühles Lächeln. »Das ist nicht der Grund, weswegen ich mich heute an das Plenum wende, Madame Chen.«

Doch die Frau weigerte sich, wieder Platz zu nehmen. »Eine noch offene Angelegenheit wird gerade verhandelt. Die übliche Vorgehensweise verlangt, dass wir erst diese Sache zu lösen versuchen, bevor wir uns einem neuen Problem zuwenden.«

Er spürte die Ungeduld der Menge und wusste, wie er sie für seine Zwecke nutzen konnte. Sie waren gekommen, um ihn reden zu hören, nicht, um Zeuge einer weitschweifigen Diskussion über einen unbedeutenden Antrag zu werden. »Sie erteilen uns gerade eine ausgezeichnete Lektion, warum der Djihad-Rat gegründet wurde. Um ohne diesen bürokratischen Morast rasch notwendige Entscheidungen treffen zu können.«

Das Publikum stimmte murrend zu. Nun wurde sein Lächeln wärmer.

In den ersten dreizehn Jahren, nachdem Serena Butler ihren Djihad ausgerufen hatte, hatte das Liga-Parlament sich damit abgemüht, dringende Kriegsangelegenheiten mit demselben schwerfälligem System zu handhaben, das auch zuvor in den Jahrhunderten des unsicheren Friedens benutzt worden war. Doch nach den Debakeln auf Ellram und in der Peridot-Kolonie, als die Politiker so lange geschachert hatten, dass ganze Protektorate ausgelöscht worden waren, bevor die Rettungsmissionen eintreffen konnten, hatte sich Serena entrüstet an das Parlament gewandt. Sie hatte ihrer Wut und – was für die Menschen viel schlimmer war – ihre Enttäuschung zum Ausdruck gebracht, weil ihnen kleinliche Querelen wichtiger als ihr wahrer Feind gewesen waren.

Iblis hatte damals sofort die Initiative ergriffen und die Gründung eines »Djihad-Rats« vorgeschlagen, der sich um alle Angelegenheiten mit direktem Bezug zum Djihad kümmern sollte, während weniger dringliche wirtschaftliche, soziale und innenpolitische Fragen weiterhin in aller Ruhe in den Sitzungen des Parlaments diskutiert werden konnten. Kriegszeiten verlangten eine schnelle und entschlossene Führung, die durch die tausend Stimmen des Parlaments nur behindert wurde.

Jedenfalls hatte Iblis sie überzeugt; sein Antrag war mit überwältigender Mehrheit angenommen worden.

Dennoch wurde der Fortschritt auch ein Jahrzehnt später noch durch eingefahrene politische Verhaltensweisen gehemmt. Erfreut über die verhaltene Zustimmung von den Sitzen blickte Iblis mit langmütiger Geduld zur Abgeordneten von Pincknon. »Wie lautet Ihre Frage?«

Muñoza Chen schien die gemurmelten Kommentare nicht wahrzunehmen. »Ihr Djihad-Rat findet immer mehr Bereiche, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen. Ursprünglich hatten Sie sich darauf beschränkt, die militärischen Operationen der Armee des Djihad zu leiten sowie die innenpolitische Sicherheit durch die Arbeit der Djipol zu gewährleisten. Inzwischen verwaltet der Rat zudem die Flüchtlinge, verteilt Vorräte und führt neue Zölle und Steuern ein. Wann wird diese besorgniserregende Ausweitung von Machtbefugnissen ein Ende haben?«

Iblis nahm sich vor, seinen Polizeichef Yorek Thurr anzuweisen, diskrete Nachforschungen über diese Frau anzustellen. Vielleicht wurde es sogar notwendig, jemanden erdrückende Beweise für Chens »betrügerische Verbindungen« zu den Denkmaschinen »finden« zu lassen. Thurr war sehr fähig, was solche Arrangements anbelangte. Vielleicht befand sie sich in einer gesundheitlichen Verfassung, die zu einem »bedauerlichen« Todesfall führen konnte.

»Überlebende und Flüchtlinge in Kriegsgebieten zu verwalten steht in ganz offensichtlicher Beziehung zum Mandat des Rates«, antwortete er ruhig, »ebenso wie die Ausbildung der Sanitäter und die Verteilung der benötigten medizinischen Vorräte. Als wir letztes Jahr Tyndall von den Maschinen zurückeroberten, leitete der Rat sofortige Hilfslieferungen ein. Durch die Einführung von Notstandssteuern und die Beschlagnahmung von Luxusgütern auf wohlhabenden Liga-Welten konnten wir diesen armen Menschen Unterkünfte, Medizin und neue Hoffnung geben. Hätten wir diese Angelegenheiten dem Liga-Parlament überlassen, Madame Chen, würde es noch heute in offenen Sitzungen darüber beraten.« Er wandte sich zum Podium und fügte beiläufig hinzu: »Ich habe von der Bevölkerung von Tyndall noch keine Beschwerden gehört.«

»Aber wenn der Rat seinen Zuständigkeitsbereich ohne die Zustimmung des …«

Iblis schnaufte ungeduldig. »Ich könnte solche Fragen stundenlang mit Ihnen diskutieren, aber wollen diese Leute hier das wirklich hören?« Er hob fragend die Hände, und wie auf Kommando hallten Buhrufe durch den Saal. Zum Teil stammten sie von seinen eigenen Leuten, aber viele dieser Kundgebungen kamen spontan. »Wie dem auch sei, ich bin heute vor diese Versammlung getreten, um Ihnen spezielle Erkenntnisse mitzuteilen, die kürzlich in alten Muadru-Inschriften enthüllt wurden.«

In den starken Händen hielt er ein bedeutendes Stück Geschichte, eine uralte Platte aus gehauenem Stein zwischen zwei Scheiben aus bruchsicherem Plaz. Er stellte den Rahmen auf das Rednerpult. »Dieses Fragment wurde vor zwei Jahrhunderten auf einer unbewohnten Welt ausgegraben, aber nie übersetzt. Bis heute.«

Das verblüffte Publikum verstummte. Die übergangene Muñoza Chen zögerte, dann setzte sie sich unbeholfen, ohne ihre Frage offiziell zurückgezogen zu haben.

»Diese Zeichen wurden von einem längst verstorbenen Propheten in einer Sprache namens Muadru auf dauerhaftem Stein niedergeschrieben. Die Worte aus der Vergangenheit stammen vermutlich von der Erde, der Mutterwelt der Menschheit.« Er wandte den Blick dem Sekundanten zu, der neben dem altehrwürdigen Gehirn im Konservierungsbehälter saß. »Durch die Unterstützung der Kogitorin Kwyna wurde es mir ermöglicht, diese archaischen Runensymbole zu übersetzen und zu verstehen. Kwyna, würdet Ihr nun bitte die Leitung übernehmen?«

Unsicher stand der Mönch auf und trug den verzierten Gehirnbehälter zu einem goldenen Tisch neben dem Sprecherpodium. Für Iblis war es eine aufregende Erfahrung, neben einem so großartigen Geist zu stehen. Der Mann im safrangelben Gewand wartete.

Iblis folgte den komplexen Runen mit der Fingerspitze. Das Publikum verharrte in stummer Ehrfurcht, als er vorzulesen begann und die scharfen Schnalzlaute und weichen, rollenden Silben deutlich aussprach. Fremdartige, unbegreifliche Laute hallten durch den großen Versammlungssaal und verzauberten das Publikum.

Jedes Mal, wenn Iblis verstummte, presste der Assistent der Kogitorin seine Handfläche gegen das gewölbte Gefäß, das Kwynas lebendes Gehirn enthielt, und führte vorsichtig die Finger in das hellblaue Fluid. Mit Hilfe dieser Verbindung übersetzte er die Muadru-Worte mit einer Stimme, die weit entfernt klang – als würde er aus der tiefsten Vergangenheit sprechen.

Der Runenstein war bei einem weit zurückliegenden Unglück beschädigt worden, das Brandspuren und tiefe Furchen hinterlassen hatte, sagte er. Obwohl in einigen Sätzen Worte fehlten, erzählte der Rest von einem schrecklichen antiken Krieg, in dem viele Menschen auf grausame Weise gestorben waren. Schließlich sagte er: »Ich zitiere den namenlosen Propheten: ›Ein Jahrtausend voller Drangsal wird verstreichen, bevor unser Volk seinen Weg ins Paradies findet.‹«

Iblis wartete bis zu diesem Moment, dann ließ er ein strahlendes, überschwängliches Lächeln aufblitzen und rief: »Ist die Botschaft nicht eindeutig? Die freien Menschen haben eintausend Jahre unter den Cymeks und ihren Maschinenherren gelitten. Unsere Zeit der Drangsal ist vorbei – wenn wir es nur wollen.«

Das blaue Elektrafluid im Gehirntank der Kogitorin geriet in Bewegung, und der Sekundant gab Kwynas Botschaft an die Versammlung weiter. »Dieses Fragment des Runenstein enthält nicht die gesamte Prophezeiung. Die Botschaft ist unvollständig.«

Iblis ließ sich nicht von seiner Tagesordnung abbringen. »Wir müssen immer beidem ins Auge sehen – der Gefahr und der Verheißung des Unbekannten. Eine unserer Schlachtflotten ist nach IV Anbus aufgebrochen, um einem neuerlichen Überfall der Roboter entgegenzutreten – doch das ist nicht genug. Als freie Menschen müssen wir energischer handeln, um alle Synchronisierten Welten zurückzugewinnen und die versklavte menschliche Bevölkerung zu befreien. Nur auf diese Weise kann unsere Drangsal jemals enden, wie es der Runenstein prophezeit. Die vorhergesagten eintausend Jahre sind vergangen. Jetzt müssen wir den Weg zum Paradies beschreiten und die dämonischen Maschinen niederwerfen. Ich fordere eine Aufstockung der Djihad-Streitkräfte, zusätzliche Kriegsschiffe und pflichtbewusste Soldaten, die zu neuen Offensiven gegen Omnius aufbrechen.«

Stärkere Wirbel wühlten das blaue Fluid im Tank auf. »Und weitere Tote«, übersetzte der Sekundant.

»Und weitere Helden!« Iblis erhob die Stimme, sein Gesicht glühte vor Leidenschaft. »Wie die weise Kwyna sagt, ist dieses Runenfragment alles, was wir haben. Deshalb müssen wir als menschliche Wesen die bestmögliche Interpretation wählen. Haben wir den Mut, den Preis zu bezahlen, der für die Erfüllung dieser Prophezeiung notwendig ist?«

Bevor Kwyna irgendeine widersprechende Bemerkung machen konnte, dankte der Große Patriarch der Kogitorin und ihrem Assistenten. Obwohl Iblis die Denkerin verehrte, hatte Kwyna viel Zeit mit konträren Philosophien und Kontemplationen verbracht, ohne die Realitäten des Djihad zu verstehen.

Iblis jedoch hatte praktische Ziele. Sein enthusiastisches Publikum interessierte sich nicht für philosophische Haarspaltereien.

Die volltönende Stimme des Großen Patriarchen hob und senkte sich in einem exakt abgestimmten Rhythmus. »Unser Sieg wird mit menschlichem Blut erkauft. Serena Butlers kleiner Sohn hat diesen Preis schon gezahlt, genauso wie Millionen von tapferen Soldaten des Djihad. Der endgültige Sieg rechtfertigt nicht nur solche Kosten, er erfordert sie. Zu verlieren ist undenkbar. Unsere gesamte Existenz steht auf dem Spiel.«

Überall im Saal wurde genickt, und Iblis empfand eine tiefe Genugtuung. Obwohl der Sekundant stumm neben dem Plaz-Behälter stand, spürte der Große Patriarch, dass Kwyna ihm vielleicht sogar zustimmen würde. Niemand konnte sich seinen Worten und seiner Leidenschaft widersetzen. Sichtbare Tränen der Dankbarkeit schimmerten in Iblis' Augen – genug, um zu zeigen, wie sehr er sich wirklich um die Menschheit sorgte.

4

 

Man kann diesen neuen Djihad mit einem notwendigen Aufbereitungsprozess vergleichen. Wir entledigen uns der Dinge, die uns als Menschen zerstören.

Kogitorin Kwyna,

Archive der Stadt der Introspektion

 

 

Der kleine Junge lag friedlich und makellos in einem Sarg aus Kristall. Wie ein Funke in einer gläsernen Hülle war Manion Butler von allem isoliert, das in seinem Namen geschehen war. Und Serena teilte die Absonderung mit ihm innerhalb der Mauern der Stadt der Introspektion.

Sie kniete auf einer steinernen Plattform vor dem Schrein, wie sie es oft tat, und wirkte zugleich glückselig und verbittert. Vor langer Zeit hatten Verehrer den Vorschlag zurückgezogen, am besinnlichen Zufluchtsort eine schöne Bank zu errichten, auf der sie hätte sitzen und zu ihrem Kind beten können. Seit nunmehr vierundzwanzig Jahren hatte Serena sich ihren Gedanken, Erinnerungen und Alpträumen gewidmet, indem sie vor dem Kristallbehälter kniete.

Manion sah hier so friedlich und so beschützt aus. Das zarte Gesicht und die zerbrechlichen Knochen des Jungen waren zerschmettert worden, als der monströse Roboter Erasmus ihn von einem hohen Balkon hatte fallen lassen, doch Iblis Ginjo hatte dafür gesorgt, dass seine äußere Gestalt und die Gesichtszüge von Leichenkosmetikern wiederhergestellt wurden. Ihr Sohn war so konserviert, wie Serena ihn in Erinnerung behalten wollte. Ja, der treue Iblis hatte sich um alles gekümmert.

Wäre er noch am Leben, wäre Manion jetzt ein erwachsener junger Edelmann … alt genug, um verheiratet zu sein und eigene Kinder zu haben. Während sie in sein schönes Gesicht blickte, stellte Serena sich vor, was er hätte erreichen können, wenn die Denkmaschinen nicht gewesen wären.

Stattdessen hatte das unschuldige Kind einen Djihad geboren, der sich durch Sonnensysteme brannte. In seinem Namen schürten die Menschen Revolutionen auf den Synchronisierten Welten und griffen die Roboterschiffe und alle Inkarnationen von Omnius an. Milliarden waren bereits für die heilige Sache gestorben. Erasmus musste beim atomaren Angriff zerstört worden sein, der die Denkmaschinen auf der Erde ausgetilgt hatte. Doch der Computer-Allgeist herrschte immer noch über den Rest seines Reiches, und die Menschen durften in ihrer Wachsamkeit nicht nachlassen.

Der Schmerz wollte nicht weichen. Serenas tiefste Seele war durch die Ermordung ihres Sohnes zerschmettert worden. In seiner Gegenwart zu meditieren gab ihr die nötige Kraft, um den Djihad weiter anzuführen. Dieser Schrein, der Manions Leichnam enthielt, war ihr und wenigen auserwählten Anhängern vorbehalten.

Weitere Heiligtümer und kunstvolle Reliquienschreine waren überall auf Salusa Secundus und anderen Liga-Welten errichtet worden. Manche waren mit Gemälden des göttlichen Jungen als Opferlamm geschmückt, obgleich keiner der Künstler ihn lebendig gesehen hatte. Manche Schreine enthielten angeblich kleine Teile seiner Kleidung oder Haare oder gar mikroskopische Zellproben. Obwohl Serena die Authentizität solcher Ausstellungsstücke anzweifelte, hatte sie nie gefordert, dass sie entfernt würden. Der Glaube und die Hingabe der Menschen waren wichtiger als Pedanterie.

Nachdem es nicht gelungen war, die Synchronisierte Welt Bela Tegeuse niederzuwerfen, und nachdem die Denkmaschinen erneut Salusa Secundus angegriffen hatten – und zurückgeschlagen worden waren –, hatte Iblis Serena davon überzeugt, dass sie ihre Macht nicht schwinden lassen oder ihre Sicherheit für bedeutungslose politische Aktivitäten riskieren durfte. Stattdessen beschränkte sie ihre öffentlichen Auftritte auf Angelegenheiten von größerer Bedeutung. Er hatte betont, dass die Menschheit ohne Serena Butlers Inspiration nicht den Willen zum Kampf aufbringen würde. Also hielt sie große inspirierende Ansprachen, und die Menschen brachen auf, um ihr Leben für die Sache – für Serena – zu opfern.

Trotz Iblis' Vorsichtsmaßnahmen war Serena nur knapp einem Anschlag entronnen, als sie ein Jahr, nachdem sie die Rolle des kommissarischen Viceroy angenommen hatte, eine Rede vor dem Parlament hatte halten wollen. Der Attentäter war getötet worden, und der Djipol-Chef Yorek Thurr hatte in seinem Besitz ungewöhnliche Maschinentechnik entdeckt. Zum ersten Mal war die Liga mit Omnius' Spionen konfrontiert worden.

Im Aufruhr hatten die meisten Menschen nicht verstanden, was jemanden dazu bringen konnte, freiwillig den unmoralischen Denkmaschinen Treue zu schwören. Doch dann hatte Iblis auf dem großen Platz von Zimia zu einer großen Menschenmenge gesprochen. »Ich selbst habe erlebt, wie menschliche Sklaven auf den Synchronisierten Welten aufgezogen wurden. Es ist kein Geheimnis, dass Primero Vorian Atreides und ich einer Gehirnwäsche unterzogen wurden, um Omnius zu dienen. Anderen wurden vielleicht attraktive Belohnungen versprochen – zum Beispiel die Verwandlung in einen Neo-Cymek oder die Herrschaft über Planeten und eigene Sklaven. Wir müssen jederzeit wachsam sein.«

Die Angst vor den Spionen der Denkmaschinen, die verborgen auf den freien Planeten lebten, war für Iblis ein bedeutender Antrieb für die Gründung der Djipol gewesen, einer wachsamen Sicherheitsorganisation, die innenpolitische Aktivitäten auf Anzeichen von verdächtigem Verhalten überwachte.

Nach dem Attentatsversuch war Serena eilig in die Stadt der Introspektion gebracht worden, wo sie fortan ein noch zurückgezogeneres Leben führte, um ihre Sicherheit zu gewährleisten.

Die alte Anlage war vor Jahrhunderten erbaut worden, zum Teil angeregt durch eine Debatte über den Buddhislam und das anschließende Exil der Zensunni- und Zenschiiten-Sklaven, die sich vor ihrem Auszug generationenlang auf Salusa abgerackert hatten. Nun kamen Anhänger der verschiedenen zersplitterten Glaubensrichtungen hierher, um uralte Schriften, religiöse Werke und philosophische Abhandlungen zu studieren. Gelehrte analysierten ehrwürdige Lehren, von den mysteriösen Muadru-Runensteinen, die auf verschiedenen unbewohnten Welten gefunden worden waren, bis zu den vagen navachristlichen Traditionen von Poritrin und Chusuk, dem Haiku des Zen Hekiganshu auf III Delta Pavonis und den alternativen Interpretationen der Koran-Sutras aus den Glaubensgemeinschaften der Zensunni und Zenschiiten. Die Variationen waren so vielfältig wie die über zahllose Planeten verteilten menschlichen Gemeinden …

Serena hörte Schritte, die leise auf dem Kiesweg knirschten, und hob den Kopf. Ihre Mutter näherte sich. In Begleitung der Äbtissin befanden sich drei helläugige junge Frauen in weißen, karmesinrot verzierten Roben, deren Säume aussahen, als wären sie in Blut getaucht worden. Die Wächterinnen mit den steinernen Mienen waren groß und muskulös. Eng anliegende Kapuzen aus einem Netz feinster Goldschuppen bedeckten ihre Köpfe. Jede der Frauen hatte sich ein kleines Symbol des Djihad über die linke Augenbraue gemalt.

Vierzehn Jahre zuvor, als der Djipol-Chef zum ersten Mal Omnius-Agenten enttarnt hatte, die geheime Pläne gegen Serena schmiedeten, hatte Iblis eine Spezialeinheit aus weiblichen Wächtern gegründet, die die Priesterin des Djihad schützen sollten. Serenas »Seraphim« waren eine Mischung aus Amazonenkriegerinnen und vestalischen Jungfrauen, sorgfältig ausgewählte Begleiterinnen, denen der Große Patriarch den Auftrag erteilt hatte, jeden von Serenas Wünschen zu erfüllen.

Livia Butler ging schneller und löste sich von den drei Seraphim. Serena trat vom Schrein ihres Sohnes zurück, lächelte und küsste ihre Mutter auf die Wange.

Livia hatte schneeweißes, kurz geschnittenes Haar und trug ein schlichtes langes Gewand aus cremefarbenen Fasern. Sie hatte ein Leben voller Tragödien und schmerzlicher Erfahrungen hinter sich. Nach dem Tod von Serenas Bruder Fredo hatte sich ihre Mutter auf der Suche nach dem Trost und der Weisheit Gottes vom Anwesen der Butlers zurückgezogen. Doch aufgrund ihrer langen Ehe mit dem früheren Viceroy schenkte die würdevolle Frau der Politik und aktuellen Ereignissen immer noch große Aufmerksamkeit. Sie verfolgte die Auswirkungen des Djihad auf die reale Welt, statt sich wie die Kogitorin Kwyna nur mit esoterischen Fragen der Moral zu beschäftigen.

Im Augenblick verriet ihr Gesicht große Besorgnis. »Ich habe gerade die Rede des Großen Patriarchen gehört, Serena. Ist dir bewusst, dass er schon wieder die Trommel für die Armee des Djihad schlägt, indem er zu weiteren blutigen Angriffen aufruft?«

Livia warf einen Blick über die Schulter zum Trio der statuenhaften Seraphim, die zu nahe auf der steinernen Plattform vor dem Schrein standen. Serena bedeutete den Frauen mit einer Geste, sich zu entfernen. Sie folgten der Anweisung, doch nur so weit, dass sie in Rufweite blieben. Zwei von ihnen kannte sie gut, die dritte Seraph war neu und hatte erst vor kurzem ihr hartes Trainingsprogramm absolviert.

»Opfer sind notwendig, um den endgültigen Sieg zu erringen, Mutter«, antwortete sie mit den allzu vertrauten Worten. »Mein Djihad hat zwei Jahrzehnte lang gebrannt, doch nicht hell genug. Wir dürfen nicht zulassen, dass wir in eine Pattsituation geraten. Wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln.«

Livias Mund verengte sich beinahe bedrohlich zu einer dünnen Linie. »Ich habe gehört, wie der Große Patriarch dieselben Gründe anführte, mit praktisch denselben Worten.«

»Was stört dich daran?« Serenas lavendelfarbene Augen blitzten auf. »Iblis' Ziele sind dieselben wie meine. Als Priesterin des Djihad kann ich mich nicht um Politik und Machtspiele kümmern. Stellst du mein Urteilsvermögen oder meine Hingabe für die freie Menschheit in Frage?«

»Niemand stellt deine Motive in Frage, Serena«, sagte ihre Mutter mit ruhiger Stimme. »Dein Herz ist rein, wenn auch hart.«

»Die Maschinen haben meine Fähigkeit zu lieben getötet. Der Roboter Erasmus hat sie mir für immer genommen.«

Traurig trat Livia näher an ihre Tochter heran und legte ihr einen Arm um die Schultern. Die Seraphim-Wächterinnen erstarrten und legten die Hände an ihre verborgenen Waffen. Serena und Livia ignorierten sie.

»Mein Kind, menschliche Liebe ist ein nie versiegender Quell. Ganz gleich, wie oft sie erschöpft wurde, ob sie gestohlen oder freiwillig gegeben wurde, Liebe kann immer nachwachsen, wie eine Blume aus einer Knolle, und dein Herz erfüllen.«

Serena senkte den Kopf und hörte den tröstlichen Worten ihrer Mutter zu. »Morgen ist Octas Geburtstag. Octas und … Fredos. Auch ich habe meinen Sohn verloren, Serena, also weiß ich, wie du dich fühlst.« Hastig fügte sie hinzu: »Natürlich starb dein Bruder auf andere Weise.«

»Ja, Mutter – und du hast dich anschließend in die Stadt der Introspektion zurückgezogen. Du müsstest mich am besten verstehen.«

»Oh, das tue ich, aber ich habe nicht zugelassen, dass mein Herz zu Stein wurde und alle Liebe in mir starb. Ich bin für deinen Vater, für Octa und für dich da. Komm mit mir und sieh dir an, wie groß ihre Töchter geworden sind. Du hast jetzt zwei Nichten.«

»Wird Xavier nicht dort sein?«

Livia runzelte die Stirn. »Er kämpft auf IV Anbus gegen die Maschinen. Du selbst hast ihm diesen Auftrag erteilt. Erinnerst du dich nicht?«

Serena nickte verwirrt. »Er ist schon so lange fort. Ich bin überzeugt, dass er sich danach sehnt, zu Octa zurückzukehren.« Dann hob sie den Kopf. »Doch der Djihad muss Vorrang vor allen persönlichen Angelegenheiten haben. Wir treffen Entscheidungen, und wir überleben, indem wir nicht von unserem Weg abweichen.«

»Nimm ihm nicht übel, dass er deine Schwester geheiratet hat«, sagte Livia mit traurigem Blick. »Du kannst dir nicht auf ewig wünschen, dass die Dinge anders verlaufen wären.«

»Natürlich wünsche ich mir, dass die Dinge anders verlaufen wären, doch vielleicht war mein Leid genau das, was die Menschheit letztlich benötigte, um zum Handeln angestoßen zu werden. Andernfalls hätten wir nie den Antrieb gehabt, umzukehren und die Fesseln der Denkmaschinen abzuwerfen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht mehr eifersüchtig auf Octa, und ich nehme Xavier nichts übel. Ja, ich habe ihn einst geliebt – er war Manions Vater –, aber ich war damals noch ein unerfahrenes Mädchen. Dumm und blauäugig. Im Licht der folgenden Ereignisse erscheinen mir solche Angelegenheiten so … trivial.«

»Liebe ist niemals trivial, Serena«, tadelte Livia ihre Tochter, »selbst wenn du sie nicht willst.«

Serenas Stimme wurde leiser und war nun nicht mehr das mächtige, leidenschaftliche Instrument, das sie einsetzte, um gewaltige Menschenmengen aufzurütteln. »Ich fürchte, dass die Verwundung meiner Seele länger als ein Leben braucht, um zu heilen.«

Livia hakte sich bei Serena unter und führte sie über den mit Edelkieseln bedeckten Weg. »Dennoch … mehr Zeit wirst du dafür nicht haben, Tochter.«

Plötzlich sah Serena eine verwischte weiße Bewegung aus der Richtung ihrer Wachen. Eine der Seraphim schrie auf und warf sich auf eine andere – die neue –, die sich mit unglaublicher Geschwindigkeit bewegte und einen langen Dolch zog, der silbern glitzerte.

Ihre Mutter warf sich auf Serena und riss sie zur Seite. Als sie fiel, hörte Serena ein nahes Reißen von Stoff und ein gurgelndes Schnappen. Sie sah einen grausigen Strahl von Blut und fühlte beinahe zeitgleich einen heftigen Schlag. Livia sank auf ihr nieder und legte sich über Serenas Körper.

Die dritte Seraph stürzte sich auf die Angreiferin, griff in die goldmaschige Kappe, die das Haar der Verräterin bedeckte, und riss ihren Kopf so heftig zurück, dass ihr mit einem dumpfen Knacken das Genick brach.