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Ein Sohn wird immer von seinem Vater gestaltet
„Der Wüstenplanet” endet, als Paul Atreides die Herrschaft über Arrakis antritt und damit die Kontrolle über das Spice übernimmt, das für die interstellare Raumfahrt unabdingbar ist. Der zweite Teil, „Der Herr des Wüstenplaneten“, spielt etliche Jahre später, nachdem Pauls Truppen bereits die Herrschaft über die Galaxis übernommen haben und der Muad’dib Imperator eines gewaltigen Sternenreiches geworden ist. Doch was geschah in diesen entscheidenden Jahren dazwischen? Wie wurde der vorherige Imperator gestürzt? Welche Feinde haben das zu verhindern versucht? Und wie wurde der junge Paul Atreides zum Propheten? Denn nicht alle folgten Muad'dib bereitwillig in den Dschihad ...
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Seitenzahl: 873
BRIAN HERBERT &
KEVIN J. ANDERSON
DER WÜSTENPLANET:
PAUL ATREIDES
Ein Roman aus dem Wüstenplanet-Zyklus
Mit dem WÜSTENPLANET-Zyklus hat Frank Herbert eine Zukunftssaga geschaffen, die den größten Teil unserer Galaxis und einen Zeitraum von Tausenden von Jahren umfasst und in ihrer epischen Wucht und ihrem außerordentlichen Detailreichtum nur mit J. R. R. Tolkiens »Herr der Ringe« zu vergleichen ist. Nach dem Tod des Autors 1986 schien diese Saga – zum Bedauern von Millionen von Leserinnen und Lesern rund um die Welt – zu einem Abschluss gekommen zu sein. Doch nun geht das Abenteuer weiter: Gestützt auf den umfangreichen Nachlass seines Vaters und gemeinsam mit dem bekannten Science-Fiction-Autor Kevin J. Anderson setzt Frank Herberts Sohn Brian Herbert das atemberaubende Epos fort.
»Der Wüstenplanet«, der erste Band des Epos endet, als Paul Atreides die Herrschaft über den Wüstenplaneten antrat und damit die Kontrolle über das Spice übernahm, das für den interstellaren Raumflug unabdingbar ist. Der zweite Teil, »Der Herr des Wüstenplaneten«, spielt etliche Jahre später, nachdem die Truppen des Paul Atreides die Galaxis erobert haben und Paul zu ihrem Mahdi geworden ist. Doch was geschah in diesen entscheidenden Jahren? Wie wurde das vorherige Imperium gestürzt? Welche Feinde haben das zu verhindern versucht? Und wie wurde der junge Paul Atreides zum Propheten? Dies ist seine Geschichte …
Brian Herbert, der Sohn des 1986 verstorbenen WÜSTENPLANET-Schöpfers Frank Herbert, hat selbst SF-Romane verfasst, darunter den in Zusammenarbeit mit seinem Vater entstandenen »Mann zweier Welten«.
Kevin J. Anderson ist einer der meistgelesenen SF-Autoren unserer Zeit. Zuletzt ist von ihm die gefeierte »Saga der Sieben Sonnen« erschienen.
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Titel der Originalausgabe
PAUL OF DUNE
Aus dem Amerikanischen von Jakob Schmidt
Überarbeitete Neuausgabe
Copyright © 2008 by Herbert Properties LLC
Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München
Für Janet Herbert und
Rebecca Moesta Anderson
Die Geschichte ist ein bewegliches Ziel, das sich verändert, sobald neue Tatsachen entdeckt oder Irrtümer korrigiert werden, sobald sich allgemeine Ansichten verschieben. Die Historiker modellieren die Skulptur der Wahrheit nicht aus Granit, sondern aus feuchtem Ton.
Aus dem Vorwort zu Das Leben des Muad'dib,
Band 1, von Prinzessin Irulan
Verzeiht meine Impertinenz, Mutter Oberin, aber Ihr missversteht meine Absichten. Wenn ich über das Leben von Paul Atreides, dem Imperator Muad'dib schreibe, möchte ich damit lediglich historische Ereignisse aufzeichnen. Haben wir nicht viel aus unserer eigenen Missionaria Protectiva gelernt? Bei geschickter Verwendung können Mythen und Legenden zu Werkzeugen oder Waffen werden, während bloße Fakten einfach nur … Fakten sind.
Prinzessin Irulan,
Brief an die Mütterschule auf Wallach IX
ERSTER TEIL
Imperator Muad'dib
10.194 N.G.
Von meinem Vater ist viel mehr zurückgeblieben als diese wenigen Relikte. Seine Abstammung, sein Charakter und seine Lehren haben mich zu dem gemacht, der ich bin. Solange das Universum sich an mich als Paul Muad'dib erinnert, solange wird auch Herzog Leto Atreides nicht vergessen werden. Ein Sohn wird immer von seinem Vater gestaltet.
Inschrift auf dem Schrein am Harg-Pass
Ein stiller Ozean aus Sand erstreckte sich, so weit das Auge reichte, lautlos und friedlich, obwohl er das Potenzial für schreckliche Stürme in sich trug. Arrakis, der heilige Wüstenplanet, wurde zum Auge eines galaktischen Hurrikans, eines blutigen Djihads, der über die Planeten des zerfallenden Imperiums hinwegfegen würde. Paul Atreides hatte es vorhergesehen, und nun hatte er das Geschehen in Gang gesetzt.
Seit dem Sturz Shaddams IV. vor einem Jahr hatten sich Pauls Armeen Millionen Bekehrte angeschlossen, zur Verstärkung seiner Fremen-Krieger, die ihm Treue bis in den Tod geschworen hatten. Angeführt von seinen fanatischen Fedaykin und anderen vertrauenswürdigen Offizieren waren seine heiligen Krieger bereits von ihren Sammelpunkten aufgebrochen und hatten sich auf den Weg zu bestimmten Sonnensystemen gemacht. An diesem Morgen hatte Paul vor Stilgar und seiner Legion eine mitreißende Rede gehalten, in der er gesagt hatte: »›Ich erfülle euch mit Kraft, meine Krieger. Geht hin und erfüllt meinen heiligen Willen.‹« Es war eins seiner Lieblingszitate aus der Orange-Katholischen Bibel.
Später, in der größten Nachmittagshitze, hatte er sich weit vom Trubel der Stadt Arrakeen entfernt, von den unruhigen Soldaten und vom kriecherischen Geschrei seiner Verehrer. Hier in den abgelegenen Bergen brauchte Paul keine Fremen-Führer. Die tiefe Wüste war still und rein und gab ihm die Illusion von Frieden. Seine geliebte Chani war bei ihm, genauso wie seine Mutter Jessica und seine kleine Schwester. Alia war zwar noch keine vier Jahre alt, aber schon viel mehr als ein Kind. Bereits vor der Geburt hatte sie ihr Bewusstsein erlangt und war so mit dem Wissen einer Ehrwürdigen Mutter auf die Welt gekommen.
Als Paul und seine Begleiter die kahlen braunen Berge zum Harg-Pass hinaufstiegen, versuchte er, sich an einem Gefühl gelassener Schicksalsergebenheit festzuhalten. In der Wüste kam er sich klein und demütig vor, was im strengen Gegensatz zu seiner Verehrung als Messias stand. Er schätzte jeden ruhigen Augenblick fort von seinen ergebenen Anhängern, die »Muad'dib! Muad'dib!« riefen, sobald sie ihn erblickten. Wenn in nächster Zukunft die ersten Nachrichten von militärischen Triumphen eintrafen, würde es noch viel schlimmer werden. Aber das war unvermeidlich. Letztlich würde auch er vom Djihad mitgerissen werden. Er hatte den Kurs bereits abgesteckt, wie ein großer Navigator der menschlichen Geschichte.
Der Krieg war eins der Werkzeuge, die ihm zur Verfügung standen. Nachdem er den Padischah-Imperator ins Exil nach Salusa Secundus geschickt hatte, musste Paul seine Macht unter den Mitgliedern des Landsraads konsolidieren. Er hatte seine Diplomaten entsandt, damit sie Verhandlungen mit verschiedenen Adelshäusern aufnahmen, während er seine fanatischsten Kämpfer gegen die aufsässigen Familien in Marsch gesetzt hatte. Es gab mehrere Fürsten, die die Waffen nicht niederlegen wollten und geschworen hatten, erbitterten Widerstand zu leisten. Sie behaupteten, entweder nicht bereit zu sein, einem Rebellen zu folgen, oder grundsätzlich genug von Imperatoren zu haben. Ungeachtet dessen würden die Armeen Muad'dibs über sie hinwegfegen und weiterstürmen. Obwohl Paul versuchte, die Gewalt zu reduzieren oder gänzlich zu vermeiden, ahnte er, dass die blutige Wirklichkeit selbst seine schlimmsten Zukunftsvisionen übertreffen würde.
Und seine Visionen waren bereits furchterregend genug gewesen.
Jahrhunderte der Dekadenz und der Misswirtschaft hatten große Mengen Totholz im Imperium hinterlassen – und auf diesem Nährboden konnte sich der Feuersturm jetzt mit erstaunlicher Geschwindigkeit ausbreiten. In zivilisierteren Zeiten waren Konflikte zwischen den Häusern durch altertümliche Assassinenkriege beigelegt worden, aber diese Lösung erschien nun geziert und kurios und kam nicht mehr infrage. Wenn die Fürsten sahen, wie sich die Sturmflut religiöser Leidenschaft ihren Welten näherte, würden manche lieber kapitulieren, als zu versuchen, sich der unaufhaltsamen Angriffsmacht entgegenzustellen.
Aber nicht alle würden so vernünftig sein …
Auf ihrer Wanderung trugen Paul und seine drei Begleiter neue Destillanzüge, über die sie gescheckte Umhänge gezogen hatten, um sich in der Wüste zu tarnen. Obwohl die Kleidungsstücke abgenutzt wirkten, waren sie in Wirklichkeit viel edler als alles, was Paul in seiner Zeit als Flüchtling unter den Fremen getragen hatte. Die Hersteller behaupteten, dass diese widerstandsfähigen Importe von Fremdwelten den einfacheren Versionen überlegen waren, die in den verborgenen Sietchs auf traditionelle Weise gefertigt worden waren.
Die Fabrikanten meinen es nur gut, dachte er. Damit wollen sie mir ihre Unterstützung demonstrieren, ohne dass ihnen die implizite Kritik in ihren »verbesserten« Produkten bewusst ist.
Nachdem er genau die richtige Stelle hoch auf dem Felsgrat gefunden hatte, einem kleinen natürlichen Amphitheater, das von hohen Steinen gesäumt wurde, nahm Paul seinen Rucksack ab. Er öffnete die Gurte und zog die schützenden Lagen aus Velvatin-Stoff auseinander, mit einer Ehrfurcht, die fast mit jener vergleichbar war, die er in den Gesichtern seiner treuesten Anhänger sah.
In respektvollem Schweigen holte er den glatten, elfenbeinfarbenen Schädel und mehrere Knochenbruchstücke hervor – zwei Rippen, eine Elle und einen Oberschenkelknochen, der brutal entzweigebrochen war. All das hatten die Fremen nach der Eroberung Arrakeens durch die Harkonnens jahrelang aufgehoben. Es waren die sterblichen Überreste von Herzog Leto Atreides.
In den Knochen erkannte er nichts von seinem warmherzigen und weisen Vater, aber sie waren dennoch ein bedeutsames Symbol für ihn. Paul verstand den Wert und die Notwendigkeit von Symbolen. »Dieser Schrein ist seit langem überfällig.«
»In meinen Gedanken habe ich längst einen Schrein für Leto errichtet«, sagte Jessica. »Trotzdem ist es gut, ihn zur Ruhe zu betten.«
Chani ging neben Paul in die Knie und half ihm dabei, zwischen den Felsblöcken eine Stelle freizuräumen. Ein paar Steine waren bereits mit ersten Flechten gesprenkelt. »Wir sollten diesen Ort geheim halten, Usul. Kein Grabstein, keine Wegweiser. Wir müssen die Ruhestätte deines Vaters schützen.«
»Der Pöbel wird sich nicht lange fernhalten lassen«, sagte Jessica resigniert und schüttelte den Kopf. »Ganz gleich, was wir tun, irgendwann werden die Touristen auch hier auftauchen. Sie werden einen großen Zirkus veranstalten, mit Führern, die falsche Fremen-Kleidung tragen. Souvenirhändler werden Gesteinssplitter von den Felsen schlagen, und Scharlatane werden Knochenfragmente feilbieten und behaupten, dass sie von Leto stammen.«
Chani wirkte zugleich verunsichert und ehrfürchtig. »Usul, hast du das vorhergesehen?« Wenn sie unter sich waren, benutzte sie seinen privaten Sietch-Namen.
»Die Geschichte sagt es voraus«, antwortete Jessica an seiner Stelle. »Es wird immer und immer wieder geschehen.«
»Trotzdem müssen wir es tun, damit die angemessene Legende entstehen kann«, sagte Alia mit ernster Miene zu ihrer Mutter. »Die Bene Gesserit hatten den Plan, meinen Bruder auf genau diese Weise für ihre eigenen Zwecke zu benutzen. Nun erschafft er selbst eine Legende – nach seinem eigenen Gutdünken.«
Paul hatte die Möglichkeiten bereits gegeneinander abgewogen. Einige Pilger würden aus wahrer Ehrfurcht hierherkommen, während andere die Reise nur unternahmen, um anschließend damit prahlen zu können. Wie auch immer, sie würden in jedem Fall kommen. Er wusste, dass es sinnlos wäre, sie aufzuhalten, und deshalb musste er auf eine andere Lösung zurückgreifen. »Ich weise meine Fedaykin an, hier rund um die Uhr Wache zu halten. Niemand wird die Gelegenheit erhalten, diesen Schrein zu schänden.«
Er ordnete die Knochen an und legte den Schädel behutsam zuoberst. Er neigte ihn ein wenig aufwärts, damit die leeren Augenhöhlen in den wolkenlosen blauen Himmel blicken konnten.
»Alia hat Recht, Mutter«, sagte Paul, ohne seine Schwester oder Jessica anzusehen. »Unser Geschäft ist es nicht nur, einen Krieg zu führen, sondern auch, einen Mythos zu schaffen. Nur so können wir das Nötige erreichen. Bloße Appelle an Logik und Verstand genügen nicht, um die gewaltigen menschlichen Bevölkerungsmassen mitzureißen. Auf diesem Gebiet besitzt Irulan ein einzigartiges Talent, wie die Popularität ihrer Geschichte meines Aufstiegs zur Macht bewiesen hat.«
»Du bist zynisch, Usul.« Chani schien verstört über die Erinnerung an die Tatsache, dass Pauls nominelle Ehefrau eine nützliche Funktion ausübte.
»Mein Bruder ist pragmatisch«, entgegnete Alia.
Eine ganze Weile betrachtete Paul den Schädel und stellte sich das Gesicht seines Vaters vor: die Adlernase, die grauen Augen und eine Miene, die vom Zorn auf seine Feinde zu bedingungsloser Liebe zu seinem Sohn oder zu Jessica umschlagen konnte. Ich habe so viel von dir gelernt, Vater. Du hast mir Ehre und die Kunst des Herrschens beigebracht. Ich hoffe nur, dass du mich genug gelehrt hast. Er wusste, dass er sich in den kommenden Jahren Situationen würde stellen müssen, die weit über die größten Krisen hinausgingen, die Herzog Leto jemals bewältigt hatte. Ließ sich das Gelernte auch in viel größeren Maßstäben anwenden?
Paul hob einen großen Stein auf und legte ihn vor den Schädel – den Grundstein des Grabhügels. Dann bedeutete er seiner Mutter, den zweiten Stein herbeizuschaffen. Anschließend leistete Alia ihren Beitrag und sagte wehmütig: »Mein Vater fehlt mir sehr. Er hat uns so sehr geliebt, dass er für uns gestorben ist.«
»Es ist traurig, dass du ihn nie selber kennengelernt hast«, sagte Chani leise und legte ihren Stein auf den Grabhügel.
»Ich habe ihn sehr wohl kennengelernt«, sagte Alia. »Zu meinen Vorgeburtserinnerungen gehört eine Reise, die meine Eltern kurz nach dem Tod des kleinen Victor in die Wildnis von Caladan unternahmen. Dort wurde Paul gezeugt.« Alia gab häufig solche irritierenden, beinahe unheimlichen Bemerkungen von sich. Die vielen Lebenserinnerungen in ihrem Geist reichten sehr weit zurück. Sie blickte zu ihrer Mutter auf. »Damals hast du sogar einen kurzen Blick auf die Ureinwohner von Caladan erhascht.«
»Ich erinnere mich«, sagte Jessica.
Paul häufte weitere Steine auf. Als die Knochen seines Vaters vollständig bedeckt waren, trat er zurück, um einen ergreifenden Augenblick mit den Menschen zu teilen, die Leto am meisten geliebt hatten.
Schließlich berührte Paul den Kommunikationsknopf am Kragen seines Destillanzugs. »Korba, wir sind jetzt bereit für Sie.«
Fast unmittelbar darauf zerriss lautes Motorenbrummen die glühende Stille der Wüste. Zwei Thopter mit dem grünweißen Wappen des Imperators Muad'dib stiegen hinter den hohen Felsen auf. Die erste Maschine wurde von Korba geflogen, dem Anführer von Pauls Fedaykin, einem Mann, der seine Treue mit religiösem Eifer zum Ausdruck brachte. Er war viel mehr als ein bloßer Speichellecker – dazu war Korba viel zu intelligent. Bei allem, was er tat, berechnete er genau die Konsequenzen.
Hinter den kleinen Flugmaschinen kamen mehrere Schwertransporter in Sicht. Mit Hilfe von Suspensoren trugen sie polierte Steinblöcke durch die Luft. Diese Blöcke waren von Steinmetzen in Arrakeen bearbeitet und mit kunstvollen Reliefs geschmückt worden, die nach der Aufstellung ein Gesamtbild ergaben, das als zusammenhängendes Fries die größten Momente im Leben des Herzogs Leto Atreides darstellten.
Nachdem die respektvolle Funkstille nun gebrochen war, bellten Truppkommandanten ihren Arbeitern Befehle zu und wiesen sie an, an diesem neuen heiligen Ort mit ihrem Werk zu beginnen.
Schweigend und stoisch blickte Jessica auf den kleinen Grabhügel aus Steinen, als wollte sie sich Letos Schrein ins Gedächtnis einbrennen, wie er jetzt war, und nicht die Monstrosität, die gleich Gestalt annehmen würde.
Der Lärm der Maschinen wurde als Echo vom Amphitheater aus gewachsenem Fels zurückgeworfen. Korba landete mit seinem Thopter und stieg aus, um das grandiose Werk zu bewundern, voller Stolz auf seine Leistung. Er betrachtete den in Handarbeit entstandenen Steinhaufen und schien ihn für kurios und unangemessen zu befinden. »Muad'dib, wir werden hier ein richtiges Monument errichten, wie es Eures Vaters würdig ist. Jeder soll unserem Imperator und allen, die ihm nahestehen und -standen, voller Ehrfurcht gegenübertreten.«
»Ja, so soll es sein«, sagte Paul, der bezweifelte, dass der Fedaykin-Kommandant seinen ironischen Tonfall bemerkte. Korba war zu einem eifrigen Schüler dessen geworden, was er als »religiöse Stoßkraft« bezeichnete.
Die Arbeitergruppen machten sich ans Werk wie Gaze-Hunde, die sich auf ihre Beute stürzten. Da für die Flugmaschinen in der kleinen Senke auf dem Pass nicht genug Platz zum Landen war, deaktivierten die Piloten die Suspensoren und stellten die Steinblöcke auf einer freien Felsfläche ab, um danach wieder emporzusteigen. Pauls Berater hatten den Gedenkschrein im Komitee entworfen und die Grundrisse an alle Vorarbeiter verteilen lassen. Die solide Pyramide sollte die Grundlage symbolisieren, die Herzog Leto für das Leben von Muad'dib geschaffen hatte.
Doch in diesem Moment konnte Paul nur an den eklatanten Widerspruch zwischen seinen persönlichen Empfindungen und diesem pompösen Monument denken. Von seiner Rolle in der immer umfangreicher werdenden Maschinerie der Verwaltung und der Religion konnte er nicht zurücktreten, aber es gab noch einige wenige geliebte Menschen, die den wahren Paul sahen. Und selbst dieser auserwählten Gruppe konnte er sich nicht uneingeschränkt anvertrauen.
Jessica trat zurück und sah ihn an. Offensichtlich war sie zu einer Entscheidung gelangt. »Ich werde hier auf Arrakis nicht mehr gebraucht, Paul. Es wird Zeit, dass ich fortgehe.«
»Wohin willst du gehen?«, fragte Chani, als könnte sie sich keinen Ort vorstellen, an dem sich jemand lieber aufhalten würde.
»Nach Caladan. Ich bin schon viel zu lange von zu Hause fort gewesen.«
Paul spürte die gleiche Sehnsucht in seinem Herzen. Caladan hatte seine Herrschaft bereits akzeptiert, aber er war nicht mehr dorthin zurückgekehrt, seit das Haus Atreides nach Arrakis umgezogen war. Er sah seine Mutter an, die würdevolle, grünäugige Schönheit, die seinen edlen Vater so sehr in ihren Bann gezogen hatte. Obwohl Paul der Imperator des Bekannten Universums war, hätte er diese einfache Tatsache selber erkennen müssen. »Du hast Recht, Mutter. Auch Caladan ist Teil meines Imperiums. Ich werde dich begleiten.«
Zu Muad'dibs ergebensten Freunden gehörte Gurney Halleck – der Troubadour-Krieger, der Schmuggler, der planetare Gouverneur. Mehr als an all seinen Triumphen erfreute sich Halleck daran, das Baliset zu spielen und Lieder zu singen. Seine heldenhaften Taten versorgten seine Troubadour-Kollegen mit Material für zahllose neue Lieder.
Die Kindheitsgeschichte des Muad'dib
von Prinzessin Irulan
Diese Fremen-Rekruten aus der tiefsten Wüste hatten in ihrem ganzen Leben noch nie einen so großen Wassertank gesehen und erst recht keinen, der auf so nachlässige Weise der Verdunstung an der freien Luft ausgesetzt war. Auf Caladan wäre es kaum mehr als ein Dorfteich gewesen, und ein recht unansehnlicher dazu. Doch hier starrten Gurneys frisch ausgebildete Truppen voll abergläubischer Ehrfurcht auf die gewellte Oberfläche und hatten den Geruch der freien Luftfeuchtigkeit in den Nasen.
»Ihr werdet jetzt hineinspringen, einer nach dem anderen«, sagte er mit lauter, schroffer Stimme. »Taucht ein. Macht euch die Köpfe nass. Heute machen wir erst Feierabend, wenn ihr bis zur anderen Seite geschwommen seid.«
Schwimmen. Diese Vorstellung war ihnen völlig fremd. Mehrere murmelten unbehaglich.
»Muad'dib hat es befohlen«, sagte ein spindeldürrer junger Soldat namens Enno. »Also werden wir es tun.«
Ja, dachte Gurney. Paul musste lediglich etwas vorschlagen, dann geschah es auch. Unter anderen Umständen wäre Gurney vielleicht zufrieden gewesen oder hätte gar belustigt reagiert. Diese Fremen-Kämpfer würden aus einer Luftschleuse springen oder barfuß in einen Coriolissturm marschieren, wenn Muad'dib es ihnen befahl.
Mit blauen Augen, in denen Glassplitter zu funkeln schienen, musterte er die Reihen der frischgebackenen Kämpfer. Jeden Tag trafen weitere Freiwillige aus der Wüste ein – es sah fast so aus, als würden die Sietchs in der Bled Rekruten am Fließband produzieren. Viele Planeten der Galaxis hatten noch immer keine Vorstellung davon, womit sie es zu tun bekommen würden.
Diese unbändigen jungen Männer unterschieden sich ganz und gar von den disziplinierten Atreides-Soldaten, die er gewohnt war. Ihr wilder Kampfstil war nicht mit der militärischen Präzision eines Großen Hauses zu vergleichen, aber sie waren trotzdem verdammt gute Krieger. Dieser »Wüstenpöbel« hatte die Bestie Rabban gestürzt und die Herrschaft des Hauses Harkonnen auf dem Wüstenplaneten beendet, wobei gleichzeitig der Sieg über den Imperator Shaddam Corrino und seine schlagkräftigen Sardaukar-Truppen errungen worden war.
»Das Wasser ist nur drei Meter tief und zehn Meter weit.« Gurney schritt an der Seite des Beckens entlang. »Auf anderen Planeten seht ihr euch vielleicht Meeren oder Seen gegenüber, die mehrere hundert Meter tief sind. Ihr müsst für alles bereit sein.«
»Hunderte von Metern! Wie sollen wir so etwas überleben?«, fragte ein staubbedeckter junger Rekrut.
»Der Trick besteht darin, auf dem Wasser zu schwimmen.«
Die hartäugigen Fremen reagierten nicht auf seinen Humor.
»Hat Muad'dib nicht gesagt: ›Gott schuf Arrakis, um die Gläubigen zu prüfen‹?«, zitierte Gurney. »Also macht euch bereit.«
»Muad'dib!«, riefen die Männer voller Ehrfurcht. »Muad'dib!«
Paul hatte das Becken in Auftrag gegeben, damit seine Wüstenkämpfer den unausweichlichen Fall eines Einsatzes auf dem Wasser trainieren konnten. Nicht jeder wasserreiche Planet würde seine Herrschaft so widerstandslos dulden wie Caladan. In Arrakeen betrachteten manche das Becken als Demonstration der Großzügigkeit Muad'dibs, während andere darin eine dekadente Verschwendung von Feuchtigkeit sahen. Für Gurney war es eine militärische Notwendigkeit.
»Wir haben die Informationen studiert, die wir von Muad'dib erhielten«, sagte Enno. »Wir haben uns jedes einzelne Wort zu Herzen genommen. Die Worte zeigten uns, wie man schwimmt.«
Gurney war überzeugt, dass alle Männer sich dem Handbuch mit der gleichen Hingabe gewidmet hatten wie ein Priester, der einen religiösen Text las. »Wird man zu einem Wurmreiter, wenn man in einem Filmbuch eine Anleitung über Sandwürmer liest?«
Die Absurdität dieser Frage brachte die angespannten Fremen schließlich doch zum Lachen. Mit großem Eifer, aber zugleich zögerlich näherte sich die Gruppe dem Rand des tiefen Beckens. Der bloße Gedanke, in Wasser einzutauchen, schien diese Fremen mehr zu erschrecken als der Kampf gegen einen Feind auf dem Schlachtfeld.
Gurney griff in die Tasche seines Destillanzugs und zog eine goldene Münze hervor, einen alten imperialen Solari, der die arroganten Gesichtszüge von Shaddam IV. zeigte. Er hielt sie hoch und ließ sie im Sonnenlicht funkeln. »Der erste von euch, der diese Münze vom Boden des Tanks emporholt, wird einen ganz besonderen Segen von Muad'dib empfangen.«
In jeder anderen Armee hätten die Soldaten den Wettstreit angenommen, wenn es um eine Gehaltserhöhung, eine Beförderung oder um Extraurlaub gegangen wäre. Die Fremen interessierten sich nicht für solche Dinge. Aber für einen Segen von Paul waren sie bereit, alles zu geben.
Gurney warf die Solari-Münze. Sie glitzerte im Sonnenlicht und fiel fast genau in der Mitte des Beckens ins Wasser, wo sie wie ein kleiner Fisch blinkte, während sie versank. Eine Tiefe von drei Metern war keine besondere Herausforderung für einen guten Schwimmer, aber Gurney bezweifelte, dass irgendeiner dieser Wüstenmänner in der Lage war, sie wieder nach oben zu holen. Er wollte ihren Mut testen. Er wollte sehen, wer von ihnen sich am meisten Mühe gab.
»Und Gott sagte: ›Sie werden ihren Glauben durch ihre Taten beweisen‹«, intonierte Gurney. »›Der Erste in meinen Augen wird der Erste in meinem Herzen sein.‹« Er blickte die Männer an und blaffte dann: »Worauf wartet ihr noch? Wir sind hier nicht bei einem gesitteten Festbankett!«
Er schubste den ersten Mann an den Rand des Beckens, und der Fremen stürzte mit lautem Platschen ins Wasser. Prustend schlug er mit den Armen um sich, tauchte unter und kam wieder hoch.
»Du sollst schwimmen! Du siehst aus, als hättest du einen epileptischen Anfall.«
Der Krieger strengte sich an, Schwimmzüge zu machen, und bewegte sich spritzend vom Rand fort.
Gurney stieß zwei weitere Fremen hinein. »Euer Kamerad steckt in Schwierigkeiten. Er könnte ertrinken – warum helft ihr ihm nicht?«
Die beiden stürzten ins Wasser, und kurz darauf sprang Enno aus eigenem Antrieb hinein. Nachdem er die anderen beobachtet hatte, war ein Teil seiner Angst von ihm abgefallen, so dass er sich besser aufs Schwimmen konzentrieren konnte. Gurney stellte zufrieden fest, dass er als Erster die andere Seite des Tanks erreichte. Innerhalb der nächsten Stunde würden die meisten der Wüstenrekruten gelernt haben, zu schwimmen oder sich wenigstens über Wasser zu halten. Ein paar klammerten sich zitternd an den Rand und wollten nicht loslassen. Diesen Männern würde er neue Aufgaben zuteilen oder sie entlassen müssen. Die Fremen waren Meister des Wüstenkrieges und hatten auf Arrakis unglaubliche Siege errungen, doch als Soldaten in Pauls größerem Feldzug wären sie gezwungen, in vielen verschiedenen Umgebungen zu kämpfen. Gurney konnte sich nicht auf Männer verlassen, die sich in einer unerwarteten Situation als handlungsunfähig erwiesen. Wasser wäre nur eine der kleineren Herausforderungen, mit denen sie zu rechnen hatten.
Mehrere der Auszubildenden tauchten unter und versuchten, an die Münze zu gelangen, die verlockend in drei Metern Tiefe am Grund des Beckens glitzerte, wie Gewürz im Wüstensand. Aber niemand kam dem Solari auch nur nahe. Gurney ging davon aus, dass er selber hinabtauchen musste, um die Münze heraufholen.
Dann schwamm Enno durch den Tank zurück und nach unten, aber auch er kam nicht tief genug.
Wenigstens etwas, auch wenn es immer noch nicht reicht, dachte Gurney.
Der Mann tauchte auf, schnappte nach Luft und versuchte es erneut. Er gab sich nicht so schnell geschlagen.
Über dem Geplantsche und Geschrei hörte Gurney das Brummen von Schiffen, die am Raumhafen von Arrakeen landeten. Es waren Hunderte von Militärgleitern, gepanzerten Truppentransportern und hummelähnlichen Frachtschiffen, beladen mit militärischer Ausrüstung für Pauls Armeen. Wenn die Raumgilde mit Gewürz für ihre Navigatoren beliefert werden wollte, blieb ihr keine andere Wahl, als Muad'dib die Schiffe zur Verfügung zu stellen, die er anforderte. Gurney hatte die Aufgabe, sie mit Kämpfern zu bemannen, und die besten Männer kamen von Arrakis. Das würde schon bald sämtlichen Bewohnern der Imperiumswelten klar sein.
Dann bemerkte er eine plötzliche Veränderung im Lärm, der aus dem Becken kam. Die Fremen riefen um Hilfe. Gurney sah einen leblosen Körper mit dem Gesicht nach unten im Wasser treiben. Enno. »Bringt ihn her, Leute, sofort!«
Doch die Fremen konnten sich kaum selber über Wasser halten. Ein Mann griff nach Enno, ein anderer zerrte an seinem Arm, aber damit bewirkten sie nur, dass sein Kopf noch tiefer untertauchte.
»Dreht ihn um, ihr Idioten, damit er atmen kann!«
Als er sah, wie ungeschickt sie sich anstellten, sprang Gurney in den Tank. Das warme Wasser war ein Schock für seine ausgetrocknete Haut. Schnell schwamm er zur Gruppe der Männer hinüber und drängte sie beiseite. Dann packte er Enno am Kragen und zog ihn hoch, drehte ihn um und ruderte mit ihm zum Rand des Tanks.
»Holt einen Arzt! Sofort!«, rief Gurney prustend.
Enno war völlig erschlafft und atmete nicht mehr. Seine Lippen waren blau angelaufen, die Haut klamm, die Augen geschlossen. Mit einem Adrenalinschub zog Gurney den tropfnassen Mann über die Kante des Beckens und auf die sonnenwarmen Bodenfliesen. Eine Wasserpfütze breitete sich um ihn herum aus und trocknete schnell.
Gurney wusste, was zu tun war, und wartete nicht, bis Hilfe eintraf. Er pumpte Ennos Beine und wandte die üblichen Wiederbelebungsmaßnahmen an, die jedem Caladaner genauso vertraut waren wie einem Fremen ein Destillanzug. Als die übrigen Rekruten das Unglück ihres Kameraden bemerkten, krochen sie nacheinander aus dem Tank.
Als ein Sanitäter mit verquollenen Augen eintraf, hatte Gurney den jungen Mann mittels Erster Hilfe wieder zu Bewusstsein gebracht. Enno hustete und drehte sich auf die Seite, um das Wasser zu erbrechen, das er geschluckt hatte. Der Arzt begrüßte Gurney mit einem respektvollen Nicken und verabreichte Enno eine belebende Injektion. Dann hüllte er ihn in eine Decke, damit er keinen Schock erlitt.
Nach einer Weile schüttelte Enno die Decke ab und setzte sich unter Mühen auf. Mit glasigen Augen blickte er sich um. Er grinste matt, hob eine Hand und öffnete die verkrampfte Faust, in der die noch feuchte Goldmünze lag. »Befehl ausgeführt, Kommandant.« Erstaunt betastete er sein tropfnasses Haar. »Bin ich noch am Leben?«
»Du bist es wieder«, sagte Gurney. »Du wurdest zurückgeholt.«
»Ich bin gestorben … durch zu viel Wasser. Wahrlich, ich bin mit Überfluss gesegnet!«
Die Fremen-Rekruten raunten und flüsterten mit deutlich hörbarer Ehrfurcht. Ein ertrunkener Fremen!
Ihre Reaktion veranlasste Gurney zu einem Stirnrunzeln. Diese religiösen Menschen lösten in ihm gleichzeitig Unverständnis und Bewunderung aus. Viele Splittergruppen folgten Muad'dibs Religion, indem sie Grundsätze der fremenitischen Mystik übernahmen, andere betrieben kultische Wasserverehrung. Wenn Pauls bürokratische Priesterschaft, das Qizarat, von diesem Vorfall erfuhr, war es durchaus denkbar, dass man Enno zu einem Idol machte.
Die tropfnassen Auszubildenden umstanden das Becken, als wären sie getauft worden. Sie wirkten entschlossener als je zuvor. Gurney wusste, dass er keine Schwierigkeiten haben würde, die Gildenschiffe mit kampfbereiten und motivierten Kriegern zu bemannen, die so gut wie die besten dieser Männer waren.
Die Fremen waren bereit, im Namen Muad'dibs loszuziehen und Blut zu vergießen.
Das Universum ist eine uralte Wüste, eine unendliche Wildnis, in der sich stellenweise bewohnbare Planeten wie Oasen befinden. Wir Fremen, die mit der Wüste vertraut sind, werden nun in eine neue Wüste vorstoßen.
Stilgar, Aus dem Sietch zu den Sternen
Kurz nach dem Sturz des Padischah-Imperators waren Muad'dibs Armeen vom Wüstenplaneten aufgebrochen wie die Echos von Donnerschlägen. Schwer bewaffnete Legionen reisten von einem rebellischen System zum nächsten, verbreiteten die Wahrheit und konsolidierten das Imperium des Muad'dib.
Im Zuge der ursprünglichen Kapitulationsvereinbarungen war Stilgar von Muad'dib zum Gouverneur von Arrakis ernannt worden. Außerdem hatte Paul ihm das Amt des Staatsministers versprochen, doch der Naib der Fremen hatte keinen Sinn für solche Titel oder die damit verbundenen Verpflichtungen. Er war ein Mann der Wüste, ein Anführer tapferer Fremen-Krieger und kein verweichlichter Beamter, der an einem Schreibtisch saß.
An Bord der schwer beladenen militärischen Fregatte waren Stilgar und die Legion unter seinem Befehl zum bedeutendsten Kampfschauplatz des Feldzuges unterwegs. Er hatte die Anweisung erhalten, Kaitain zu erobern, die langjährige Hauptwelt des Corrino-Imperiums. Er war voller Aufregung und Vorfreude. Diese Mission würde zweifellos die größte Offensive in der gesamten Geschichte der Fremen werden.
Der große, raue Mann saß an einem Aussichtsfenster und starrte in den riesigen Innenraum des Heighliners, wo sich zahllose gepanzerte Fregatten an den Andockvorrichtungen aneinanderreihten und auf ihren Einsatz warteten. Angesichts der immensen Ausmaße des Raumschiffes kam sich Stilgar winzig vor, doch gleichzeitig fühlte er sich in seinem Glauben an die Größe Muad'dibs bestärkt.
Bis vor kurzem hatte er noch nie seinen Heimatplaneten verlassen, und nun verspürte er eine Mischung aus Aufregung und Furcht, wenn er an die Erkundung des Unbekannten dachte. Die gewaltigen Strecken, die er auf den Rücken von Sandwürmern in der Ödnis der Tanzerouft-Wüste zurückgelegt hatte, waren nichts im Vergleich zur Unendlichkeit zwischen den Sternen.
Er hatte so viel Neues gesehen, seit er mitgeholfen hatte, Soldaten für den Djihad zu mobilisieren, dass ihm ungewöhnliche und erstaunliche Dinge fast schon normal vorkamen. Er hatte gelernt, dass es auf den meisten bewohnten Welten viel mehr Wasser als auf dem Wüstenplaneten gab und dass ihre Bewohner viel weicher als die Fremen waren. Stilgar hatte Reden gehalten, um Kämpfer zu motivieren und sie für den heiligen Krieg zu rekrutieren. Jetzt würden seine besten Krieger Kaitain erobern, das Juwel in der Krone des untergegangenen Corrino-Imperiums.
Er nahm einen Schluck Wasser … nicht, weil er durstig war, sondern weil es genug davon gab. Wie lange betrachte ich Wasser nun schon als etwas Selbstverständliches? Wann habe ich angefangen, Wasser zu trinken, weil man es einfach tut, und nicht weil es überlebensnotwendig ist?
Seit Tagen waren die militärischen Fregatten von der Oberfläche des Wüstenplaneten gestartet und im Orbit vom Heighliner aufgenommen worden, um im Frachtraum auf den Aufbruch zu warten. Eine derartige Schlacht konnte nicht ohne gründliche und zeitaufwendige Vorbereitungen in Angriff genommen werden. Doch sobald das Gildenschiff vollständig beladen war, würde die eigentliche Reise durch den Faltraum nur einen kurzen Augenblick dauern.
Stilgar stieg zum offenen Frachtdeck der Fregatte hinunter. Obwohl diese militärischen Schiffe mit vielen individuellen Passagierkabinen ausgestattet waren, zogen seine Fremen-Kämpfer es vor, im höhlenähnlichen Hangar mit den Metallwänden zu essen und zu schlafen. Seine Soldaten betrachteten die standardmäßigen Vorrichtungen weiterhin als Luxus: ständig verfügbare Nahrungsmittel, geräumige Quartiere, Wasser in so großer Menge, dass man sogar darin baden konnte, genug Luftfeuchtigkeit, die einen Destillanzug überflüssig machte.
Stilgar lehnte sich gegen eine Metallwand und betrachtete seine Leute, während er die vertrauten Gerüche von Gewürzkaffee, Essen und menschlichen Körpern wahrnahm. Selbst hier, in diesem Metallschiff im Weltraum, versuchten er und seine Männer, sich die vertraute Atmosphäre eines Sietchs zu schaffen. Er kratzte sich am schwarzen Bart und musterte die Fremen-Trupps, die so sehr auf den Kampf brannten, dass er gar keine mitreißenden Reden vor ihnen halten musste.
Viele lasen in Irulans Buch Das Leben des Muad'dib, Band 1, dem Bericht, wie Paul Atreides Caladan verlassen hatte und nach Arrakis gekommen war, wie die bösen Harkonnens seinen Vater getötet und sein Heim zerstört hatten, wie er und seine Mutter in die Wüste zu den Fremen geflohen waren und wie er schließlich zur lebenden Legende Paul Muad'dib geworden war. Das Buch war auf billigem, aber haltbarem Gewürzpapier gedruckt, wurde kostenlos an jeden Bürger ausgegeben, der danach fragte, und war in der Grundausrüstung jedes neuen Soldaten enthalten. Irulan hatte mit dem Verfassen dieser Chronik begonnen, noch bevor ihr Vater ins Exil nach Salusa Secundus gegangen war.
Stilgar konnte sich nicht recht vorstellen, aus welchen Motiven die Frau eine solche Geschichte niedergeschrieben hatte, da er genau wusste, dass sie verschiedene Einzelheiten verfälscht hatte. Doch an der Wirksamkeit des Buches bestand kein Zweifel. Ob man es nun als Propaganda oder erbauliche religiöse Lektüre betrachtete, die Geschichte des mächtigsten Mannes der Galaxis breitete sich über alle Planeten des Imperiums aus.
Zwei junge Männer sahen Stilgar und kamen zu ihm gelaufen, wobei sie seinen Namen riefen. »Werden wir bald aufbrechen?«, fragte der Jüngere, der dickes, schwarzes Haar hatte, das ihm in alle Richtungen vom Kopf abstand.
»Stimmt es, dass wir nach Kaitain fliegen?« Der ältere der beiden hatte vor kurzem einen Wachstumsschub erlebt und war nun größer als sein Halbbruder. Sie waren die Söhne von Jamis und hießen Orlop und Kaleff, junge Männer, für die Paul Atreides die Verantwortung übernommen hatte, nachdem er ihren Vater bei einem Messerduell getötet hatte. Die beiden hegten keinen Groll gegen Paul und verehrten ihn sogar.
»Wir kämpfen für Muad'dib, wohin der Djihad uns auch immer führen mag.« Stilgar hatte sich den Flugplan angesehen und wusste, dass der Heighliner innerhalb der nächsten Stunde abfliegen würde.
Die Geschwister konnten kaum an sich halten. In Stilgars Umgebung nahmen die Gespräche der im Frachtraum versammelten Kämpfer einen anderen Tonfall an, als er spürte, wie der Rumpf des gewaltigen Heighliners zu vibrieren begann. Das Faltraumtriebwerk wurde hochgefahren. Die Erinnerung an die vielen Überfälle auf die Harkonnens und den strahlenden, berauschenden Sieg über Shaddam IV. war besser als die beste Gewürzdroge.
Aufgeregt hob Stilgar das bärtige Kinn und rief: »Auf nach Kaitain!«
Die Kämpfer jubelten lautstark und trampelten mit den Füßen auf den Bodenplatten. Sie erzeugten so viel Lärm, dass er fast nicht spürte, wie sich der Raum um ihn faltete.
Das Gildenraumschiff entließ Tausende militärische Fregatten über der dekadenten Welt, die mehrere Jahrtausende lang das Zentrum des Imperiums gewesen war. Kaitain konnte dem Angriff nichts entgegenzusetzen haben.
Die Krieger des Muad'dib wussten nur wenig über die Geschichte des Imperiums und hatten keinen Sinn für die Museen und Monumente, die legendären Persönlichkeiten wie Faykan Butler, Kronprinz Raphael Corrino oder Hassik Corrino III. gewidmet waren. Auf Kaitain waren die Dinge im Fluss, seit Shaddam besiegt und verbannt worden war. Adelsfamilien des Landsraads waren entweder herbeigeeilt, um das Machtvakuum zu füllen, oder hatten ihre Niederlassungen geschlossen und ihre Sachen gepackt, weil sie sich auf anderen Welten sicherer fühlten. Jene, die zurückgeblieben waren, versuchten sich als neutral hinzustellen, aber die Fremen-Soldaten hielten sich an einen anderen Ehrenkodex.
Voller Leidenschaft und Entschlossenheit führte Stilgar seine Männer in die Schlacht auf den Straßen der ehemaligen Hauptstadt. Mit dem Schwert in der einen und dem Crysmesser in der anderen Hand lief er seinen Soldaten voraus und eröffnete den Kampf mit dem Ruf: »Lang lebe Imperator Paul Muad'dib!«
Eigentlich hätte diese Welt viel besser gesichert und verteidigt sein müssen als all die anderen, über die nun der Sturm des Djihads hinwegbrausen würde. Doch die Zusammensetzung der imperialen Wachtruppen gründete sich auf familiäre Verbindungen und Bündnisse, Heiraten, Absprachen, Steuererleichterungen und Gerichtsstrafen. All diese rechtsstaatlichen Prinzipien hatten keinerlei Bedeutung für die Armeen der Fremen. Den Wachsoldaten auf Kaitain – nur noch eine Handvoll Sardaukar, die nicht mehr dazu verpflichtet waren, einen besiegten Imperator zu beschützen – mangelte es an Geschlossenheit. Die Adligen des Landsraads waren viel zu erstaunt und schockiert, um sich wirksam gegen die Angreifer zur Wehr zu setzen.
Stoßtrupps rannten durch die Straßen und schrien den Namen des jungen Imperators. An der Spitze beobachtete Stilgar, wie die Söhne von Jamis lachend voranstürmten, um ihr Können zu beweisen und sich mit Blut zu besudeln. Die Eroberung dieses Planeten war ein Sieg von größter Bedeutung, ein wichtiger Schachzug im riskanten politischen Spiel des Imperiums. Ja, Muad'dib würde sehr zufrieden sein.
Stilgar führte seine Männer weiter durch die Schlacht und rief in der Fremen-Sprache: »Ya hya chouhada! Muad'dib! Muad'dib! Muad'dib! Ya hya chouhada!«
Dennoch war der tatsächliche Kampf für Stilgar nur wenig befriedigend, weil die Fremen ihre Gegner so mühelos überwältigten. Die zivilisierten Soldaten des Landsraads waren keine guten Krieger.
Nachdem Herzog Leto Atreides den Wüstenplaneten als Lehen angenommen hatte, musste Graf Hasimir Fenring von seinem Amt als Imperialer Regent des Planeten zurücktreten und wurde dafür mit der provisorischen Verwaltung Caladans beauftragt, der Heimatwelt der Atreides. Obwohl er dort als Stellvertretender Siridar diente (auf Geheiß von Shaddam IV.), interessierte Fenring sich kaum für sein neues Lehen in der tiefsten Provinz, und die Bewohner von Caladan brachten ihm ebensolches Desinteresse entgegen. Sie waren schon immer ein stolzes und unabhängiges Volk gewesen, das sich mehr für die Erträge des Ozeans als für galaktische Politik interessierte. Die Caladaner begriffen nur langsam die Bedeutung der Helden, die in ihrer Mitte aufgewachsen waren. Nach Shaddams Sturz und der Machtergreifung Muad'dibs wurde nun Gurney Halleck mit der Verwaltung dieser Welt beauftragt, auch wenn er sich aufgrund seiner anderen Verpflichtungen des Djihads nur selten dort aufhielt.
Auszug aus einer Biografie von Gurney Halleck
Paul ließ den gewalttätigen Djihad, den er in Bewegung gesetzt hatte, hinter sich zurück und freute sich auf die Rückkehr nach Caladan, zu einer Welt voller angenehmer Erinnerungen. Obwohl er wusste, welche Schlachten nun im gesamten Imperium begannen, und seine Visionen ihm gezeigt hatten, wie schlimm sie noch werden sollten, hatte Paul entschieden, dass dieser Kurzbesuch ihm neue Kraft geben würde.
Caladan … die Meere, die windigen Küsten, die Fischerdörfer, die Steintürme der uralten Familienburg. Als er im Raumhafen von Cala City die Rampe der Fregatte hinabschritt, hielt er auf halber Strecke inne, schloss die Augen und nahm einen tiefen, bedächtigen Atemzug. Er konnte das Salz in der Luft riechen, das Jod, das vom trocknenden Seetang abgesondert wurde, den reifen Fischgeruch und die Feuchtigkeit von Meeresgischt und Regen. Alles war ihm zutiefst vertraut. Dies war einst sein Zuhause gewesen. Wie hatte er das alles so schnell vergessen können? Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
Als er sich an den Schrein erinnerte, den er für die sterblichen Überreste seines Vaters in Auftrag gegeben hatte, überlegte er, ob es Herzog Leto vielleicht lieber gewesen wäre, hier bestattet zu werden, auf dem Planeten, der sechsundzwanzig Generationen lang die Heimat des Hauses Atreides gewesen war.
Aber ich wollte ihn in meiner Nähe haben. Auf Arrakis.
Oberflächlich schien sich diese Welt seit der Abreise seiner Familie überhaupt nicht verändert zu haben, doch als er sich weiter vom Schiff entfernte, wurde Paul bewusst, dass er selbst sich verändert hatte. Er war als Junge von fünfzehn Jahren von hier fortgegangen, als Sohn eines vom Volk geliebten Herzogs. Nun kehrte er wenige Jahre später zurück und war der Heilige Imperator Muad'dib, der über Millionen Soldaten gebot, die bereit waren, für ihn zu kämpfen und für ihn zu sterben.
Jessica legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ja, Paul. Wir sind zu Hause.«
Er schüttelte den Kopf und sprach leise. »Sosehr ich diese Welt auch liebe, jetzt ist Arrakis meine Heimat.« Paul konnte nicht in die Vergangenheit zurückkehren, mochte er sich hier noch so wohlfühlen. »Caladan bildet nicht mehr mein gesamtes Universum, sondern ist nur ein Staubkorn in einem riesigen Imperium, über das ich herrschen muss. Viele tausend Planeten sind von mir abhängig.«
Jessica tadelte ihn mit einem Hauch der Stimme. »Dein Vater war Herzog Leto Atreides, und dies war sein Volk. Auch wenn du über ein Imperium herrschst, ist Caladan immer noch deine Heimatwelt, und die Caladaner gehören genauso zu deiner Familie wie ich.«
Er musste ihr Recht geben. Unwillkürlich lächelte Paul, und diesmal war es ein echtes Lächeln. »Danke, dass du mich daran erinnerst, wenn ich es nötig habe.« Er befürchtete, dass seine Sorgen sich verschlimmern würden, wenn er es mit weiteren Krisen zu tun bekam. Shaddam IV. hatte für viele seiner Planeten nicht mehr als Verachtung übriggehabt und sie nur als Namen in einem Katalog oder als Nummern auf einer Sternenkarte wahrgenommen. Paul durfte nicht zulassen, dass er in die gleiche Falle tappte. »Jedes Fischerboot auf Caladan braucht seinen Anker.«
Die Menge der Caladaner am Rand des Raumhafens jubelte, als die Neuankömmlinge in Sicht kamen. Paul ließ den Blick über die mehreren hundert Gesichter schweifen. Es waren Männer in Latzhosen und gestreiften Hemden, Fischweiber, Netzflicker und Bootsbauer. Sie hatten sich nicht mit alberner höfischer Garderobe belastet und bemühten sich auch nicht um einen möglichst arroganten Gesichtsausdruck.
»Paul Atreides ist zurückgekehrt!«
»Unser Herzog!«
»Willkommen, Lady Jessica!«
Er wurde von seiner Fedaykin-Leibwache begleitet, angeführt von einem Mann namens Chatt der Springer. Die Männer blieben in Pauls Nähe und hielten unermüdlich nach Attentätern in der Menge Ausschau. Diese Kämpfer fühlten sich unwohl an diesem Ort, wo es nach Fisch und Tang roch, wo watteähnliche Wolken über den Himmel zogen, wo die Landspitzen der Küste in ständigen Nebel gehüllt waren und wo die Brandung toste.
Paul nahm den lauten Jubel der Menschen in sich auf und stellte fest, dass er ihn genoss. Gleichzeitig verspürte er eine schmerzhafte Sehnsucht nach dem idyllischen Leben, das ihn vielleicht erwartet hätte, wenn er hiergeblieben wäre. Irgendwann hätte er ohne Schwierigkeiten die Pflichten eines Herzogs übernommen, wenn die Zeit reif gewesen wäre. Erinnerungen an seine Kindheit kehrten zurück – friedliche Tage beim Fischen mit seinem Vater, gemeinsame Ausflüge ins Hinterland, wie er sich mit Duncan im Dschungel versteckt hatte, als die Familien Atreides und Ecaz in den schrecklichen Krieg der Assassinen gegen das Haus Moritani hineingezogen worden waren. Doch selbst die Gräuel dieses Konflikts verblassten vor Pauls Djihad, dessen Ausmaße und Risiken um ein Vielfaches größer sein würden.
»Wir hätten Gurney mitnehmen sollen«, unterbrach Jessica seine Gedanken. »Es hätte ihm gutgetan, nach Caladan zurückzukehren. Er gehört hierher.«
Paul wusste, dass sie Recht hatte, aber er konnte es sich nicht leisten, auf die Dienste eines so loyalen, zuverlässigen und fähigen Offiziers zu verzichten. »Er leistet lebenswichtige Arbeit für mich, Mutter.«
Offiziell hatte Gurney den Titel eines Grafen von Caladan erhalten, aber Paul hatte ihm keine Gelegenheit gegeben, sich hier niederzulassen. Noch nicht. In der Zwischenzeit hatte Gurney die planetare Verwaltung dem Vertreter einer kleineren Adelsfamilie von Ecaz übertragen, Prinz Xidd Orleaq. Bis der Djihad vorbei war, wurden Gurney, Stilgar und Pauls beste Fremen an vorderster Front gebraucht.
Der pummelige, rotgesichtige Prinz Orleaq begrüßte Paul und Jessica, indem er beiden eifrig die Hand schüttelte. Auf Paul wirkte er tatkräftig und ergeben, und die Berichte über den Adligen klangen gut, auch wenn das Volk von Caladan nur zögerlich mit ihm warm wurde. Er mochte noch so gute Arbeit leisten, für sie würde er immer ein Außenseiter bleiben. »Wir haben die Burg für Euch beide vorbereitet. Eure alten Zimmer wurden wie früher restauriert, so weit es uns möglich war. Meine Familie lebt jetzt dort, da wir hier die provisorische Herrschaft übernommen haben, aber wir wissen, dass wir nur Stellvertreter sind. Möchtet Ihr, dass wir aus der Burg ausziehen, während Ihr Euch hier aufhaltet?«
»Das ist nicht nötig. Die Zimmer, die Sie hergerichtet haben, dürften uns genügen. Ich kann ohnehin nicht lange bleiben. Und meine Mutter … hat noch nicht definitiv entschieden, was sie tun wird.«
»Ich bleibe möglicherweise etwas länger«, sagte Jessica.
Orleaq sah die beiden abwechselnd an. »Wie auch immer, wir sind auf alles vorbereitet.« Er wandte sich an die Menge, die seinen kleinen Scherz wohlwollend aufnahm. »Ich hoffe, dass ihr überall saubergemacht habt! Morgen früh wird Herzog Paul Atreides sich das Dorf ansehen. Vielleicht können wir ihn überreden, am Nachmittag auf seinem großen Stuhl Platz zu nehmen, wo er sich eure Sorgen anhören kann, wie es sein Vater immer getan hat. Vielleicht könnten wir sogar einen Stierkampf in der Arena inszenieren. Sie ist schon viel zu lange verwaist.« Plötzlich wurde Orleaq knallrot, als hätte er sich in diesem Moment daran erinnert, dass der Alte Herzog in der Arena von einem salusanischen Stier getötet worden war. »Wir finden bestimmt zahlreiche Möglichkeiten, wie wir ihn hier beschäftigen können.«
Die Menge pfiff und applaudierte, während Paul eine Hand hob und leichtes Unbehagen empfand. »Bitte – mein Terminplan steht noch nicht fest.« Schon jetzt spürte er den Ruf der Verantwortung und fragte sich, welchen Schwierigkeiten Alia und Chani sich gegenübersahen, während sie in seiner Abwesenheit die Regierungsgeschäfte in Arrakeen verwalteten. Obwohl die Menschen von Caladan direkt vor ihm standen, rasten seine Gedanken zu fernen Sonnensystemen, deren Planeten schließlich – wenn auch nicht immer schmerzfrei – unter seine Herrschaft fallen würden. »Ich werde so lange bleiben, wie es mir möglich ist.«
Wieder jubelten die Leute, als hätte er etwas von großer Bedeutung gesagt, und Orleaq trieb sie zu einem luxuriösen Bodenfahrzeug, das die edlen Besucher und ihr Gefolge zur Stammburg der Familie auf den Klippen über dem Meer bringen würde. Im hinteren Passagierabteil des Fahrzeugs saß Chatt Paul gegenüber und machte den Eindruck, dass er den Caladanern größtes Misstrauen entgegenbrachte, bis Paul ihm ein Zeichen gab, dass er sich ein wenig entspannen sollte. Der junge Herrscher erinnerte sich, gehört zu haben, dass der Alte Herzog Paulus der Überzeugung gewesen war, keine Angst vor seinem Volk haben zu müssen, weil es ihn liebte, aber es gab bereits viele Verschwörer, die Muad'dib töten wollten. Auch auf diesem Planeten musste es nicht zwangsläufig sicherer sein. Und auf Burg Caladan war Paul schon einmal das Ziel von Attentätern gewesen, vor langer Zeit …
»Die Bürger von Caladan verehren Euch über alles, Herr«, sagte Orleaq. »Sie liebten Herzog Leto, und sie erinnern sich noch gut daran, wie Ihr ein kleiner Junge wart. Ihr seid einer von ihnen, und nun seid Ihr Imperator geworden und habt Shaddams Tochter geheiratet.« Er grinste. »Es ist wie im Märchen. Herr, ist es wahr, dass Ihr Caladan zu Eurer neuen Hauptwelt machen wollt und nicht Arrakis oder Kaitain? Das Volk würde sich geehrt fühlen.«
Paul wusste genau, dass es für ihn keine andere Hauptwelt als den Wüstenplaneten geben konnte, doch bevor er etwas sagen konnte, antwortete seine Mutter. »Das sind Gerüchte. Paul hat noch keine … endgültige Entscheidung getroffen.«
»Meine jetzige Verantwortung geht weit über die eines Herzogs von Caladan hinaus«, sagte Paul in beinahe entschuldigendem Tonfall, während er durch das Fenster auf die Menge blickte, an der das lange Fahrzeug vorbeirollte. »Die ersten Schlachten des Djihads toben auf mindestens dreißig Planeten. Es kann jederzeit dazu kommen, dass ich unverzüglich gebraucht werde.«
»Natürlich, Herr. Wir alle wissen genau, dass ihr der Imperator Paul Muad'dib seid, ein Mann, der viel mehr als nur eine Welt beherrscht.« Doch Orleaq klang gar nicht so, als hätte er irgendetwas verstanden. »Trotzdem ist den Menschen hier bewusst, dass Ihr sie in angenehmer Erinnerung behalten habt. Denkt nur, welch erfreuliche Folgen es für Caladan hätte, wenn Ihr hier die Hauptstadt Eures Imperiums errichten würdet.«
»Muad'dib hat Ihre Welt besucht«, sagte Chatt der Springer in schroffem Tonfall. »Etwas von seiner Erhabenheit ist Ihnen bereits zuteilgeworden.«
An diesem Abend in der vertrauten alten Burg genoss Paul es tatsächlich, wieder in seinem Kinderzimmer zu schlafen. An der Wand hing eine wunderschöne Decke, die von Bewohnern verschiedener Dörfer in Handarbeit aus quadratischen Stücken zusammengenäht worden war. Paul erinnerte sich, dass sie ein Geschenk für Herzog Leto gewesen war, aber er wusste nicht mehr, bei welcher Gelegenheit er sie bekommen hatte.
»Ich hätte Chani mitnehmen sollen«, murmelte er leise, doch sie hatte den Wüstenplaneten nicht verlassen wollen. Eines Tages vielleicht …
Er gestattete es sich, einen Moment lang auszuspannen und den Djihad zu vergessen, und stellte sich vor, wie es wäre, sich auf Caladan zur Ruhe zu setzen, mit Chani über die Meeresklippen zu spazieren und die Gischt wie winzige Diamanten auf ihren braunen Wangen und ihrer Stirn schimmern zu sehen. Sie könnten ganz gewöhnliche Kleidung tragen und ihre Tage in einfachem Glück verbringen, während sie durch die Gärten und Fischerdörfer schlenderten. Als er langsam einnickte und dabei diesen unwahrscheinlichen Traum in Gedanken festhielt, wollte sein erschöpfter Verstand ihn davon überzeugen, dass er durchaus wahr werden konnte. Wenn auch nicht für viele Jahre. Seine gelegentlichen Visionen zeigten ihm keine friedlichen, konfliktfreien Zeiten in der Zukunft.
Als er am nächsten Morgen aufstand, sah Paul, dass der Empfangssaal der Burg mit Blumen und Bändern geschmückt war. An den Wänden klebten Notizen, Briefe und Zeichnungen. Die glücklichen Caladaner hatten ihm Willkommensgeschenke gebracht – farbige Muscheln, große Riffperlen, die in Öl schwammen, getrocknete Blumen und Körbe voll frischem Fisch. Die einfachen Menschen meinten es gut und standen auf dem Hof, im Tor und noch ein Stück weiter Schlange, weil sie auf die Chance hofften, ihn zu sehen.
Doch bereits jetzt verspürte er Rastlosigkeit.
Seine Mutter war schon vor ihm aufgestanden und beobachtete die Aktivitäten, nachdem sie die Menge vor dem Haupttor begrüßt hatte. »Sie haben sehr lange auf die Rückkehr ihres Herzogs gewartet. Sie wollen Paul Atreides. Wenn du wieder der Imperator Muad'dib bist, wer soll dann diese Rolle übernehmen? Lass diese Menschen nicht einfach so im Stich, Paul. Sie haben sehr große Bedeutung für dich.«
Paul nahm einen der handgeschriebenen Briefe, las die Nachricht einer jungen Frau, die sich daran erinnerte, wie sie ihm vor Jahren im Dorf begegnet war, als er einen Spaziergang mit Herzog Leto unternommen hatte. Sie sagte, dass sie damals ein Banner aus silbernen und blauen Bändern getragen hatte. Der Imperator blickte von der Lektüre auf und sah seine Mutter an. »Es tut mir leid, aber ich erinnere mich nicht an sie.«
»Aber sie erinnert sich an dich, Paul. Selbst die kleinsten Dinge, die du tust, haben große Auswirkungen auf diese Menschen.«
»Auf alle Menschen.« Paul konnte sich nie ganz den schrecklichen Visionen von den grausamen Folgen des Djihads entziehen. Es würde sehr schwer sein, das Monstrum unter Kontrolle zu halten, das sich auch ohne ihn von der Kette gerissen hätte. Der einzige wahre Weg zum Überleben der Menschheit war schmal wie eine Messerklinge und glitschig von Blut.
»Also bist du jetzt zu wichtig für Caladan?« Ihre Bemerkung traf ihn tief. Sah sie denn nicht, dass genau das der Fall war? Je mehr Aufregung er bei diesen Menschen bemerkte, desto unbehaglicher fühlte er sich.
Prinz Orleaq lud sie zu einem extravaganten Frühstück ein, konnte es aber gar nicht abwarten, Paul in einer großen Prozession durchs Dorf zu führen. Der nominelle Herrscher über Caladan beendete seine Mahlzeit und wischte sich den Mund mit einer Spitzenserviette ab. »Ihr brennt bestimmt darauf, all die Orte wiederzusehen, die Ihr so sehr vermisst habt, Herr. Alles wurde für Euren Besuch vorbereitet.«
Zusammen mit seiner Mutter und den anderen trat Paul nach draußen. Als er durch die Hafenstadt ging, konnte er das seltsame, überwältigende Gefühl nicht verdrängen, dass er nicht mehr hierhergehörte. Mit jedem Atemzug spürte er, wie feucht und kühl die Luft war. Sosehr er auch die Heimat seiner Kindheit schätzte, nun kam sie ihm in gewisser Weise genauso fremd vor, wie er anfangs die Kultur der Fremen erlebt hatte.
Er spürte gleichzeitig innige Verbundenheit mit und große Distanz zu diesem Volk – seinem Volk. Er war nicht mehr der Bewohner nur einer Welt – nicht einmal zweier Welten. Er war der Herrscher über Tausende. Die Gespräche, die er mithörte, in denen es ums Fischen ging, um Herzog Leto, die bevorstehende Sturmsaison, den Alten Herzog Paulus und seine spektakulären Stierkämpfe … all das kam ihm winzig und kleinkariert vor. Seine Gedanken kehrten zu den ersten Feldzügen zurück, die in eben diesem Moment überall stattfanden. Was machte Gurney gerade? Und Stilgar? Brauchten Alia und Chani vielleicht dringend seinen Rat bei wichtigen Entscheidungen? Wie konnte er es sich leisten, den Wüstenplaneten in diesem frühen Kriegsstadium im Stich zu lassen?
Eine seiner ersten Handlungen als Imperator hatte darin bestanden, die Steuern für alle Welten zu erhöhen, die nicht unverzüglich seine Herrschaft akzeptierten, worauf sich viele sehr schnell auf seine Seite geschlagen hatten, wenn auch nur aus ökonomischen Gründen. Paul war überzeugt, dass dieser finanzielle Druck viele Menschenleben rettete, weil dadurch Schlachten überflüssig wurden. Trotzdem ließen sich Kämpfe nicht ganz vermeiden, und er konnte sich nicht seiner Verantwortung entziehen, nicht einmal hier, auf der Welt seiner Kindheit.
Als er an diesem Abend neben seiner Mutter, Prinz Orleaq und anderen einheimischen Würdenträgern auf einer Tribüne stand, konnte Paul sich kaum auf die caladanischen Tänzer konzentrieren, die in farbenfrohen Kostümen für ihn auftraten. Er spürte keine Verbindung zu seinen Wurzeln mehr und fühlte sich wie ein Baum, den man quer durch die Galaxis transportiert und anderswo neu eingepflanzt hatte. Auf Arrakis wuchsen Pflanzen nicht so leicht wie auf Caladan, aber der Wüstenplanet war der Ort, an dem er sein musste, wo er gedieh. Er hatte nicht damit gerechnet, so zu empfinden.
Unverhofft traf auf einem schnellen zweirädrigen Bodenfahrzeug eine Botin vom Raumhafen ein. Als Paul die aufgeregte Kurierin an der Armbinde erkannte, gab er Chatt zu verstehen, dass er die Frau durchlassen sollte.
Die Dorfbewohner reagierten verzögert auf die Unterbrechung. Die Tänzer stockten, traten an den Rand der Bühne und warteten darauf, die Vorstellung fortsetzen zu können. Orleaq wirkte besorgt. Paul konzentrierte sich ganz auf die Nachricht, die die Kurierin ihm überbrachte. Dringende Neuigkeiten waren nur selten gute Neuigkeiten.
Die Kurierin war außer Atem. »Imperator Muad'dib, ich habe eine Nachricht von Stilgar, direkt vom Schlachtfeld. Wir hielten die Neuigkeit für wichtig genug, um einen Heighliner umzuleiten, damit Ihr sie so schnell wie möglich erhaltet.«
Orleaq war fassungslos. »Sie haben einen kompletten Heighliner umgeleitet, nur um eine Nachricht zu überbringen?«
Tausend Schreckensszenarien rasten durch Pauls Geist. War Stilgar etwas Schlimmes zugestoßen? »Sag, was du zu sagen hast.« Seine Visionen hatten ihn vor keiner unmittelbar bevorstehenden Katastrophe gewarnt.
»Stilgar bat mich, Euch Folgendes zu sagen: ›Usul, ich habe getan, was Ihr verlangt habt. Eure Armeen haben Kaitain erobert, und ich erwarte Euch im Palast des gestürzten Imperators.‹«
Paul konnte seine Begeisterung nicht zügeln, also sprang er auf und wandte sich an die Menge. »Kaitain ist unser!«, rief er.
Die Menge reagierte mit unsicherem Applaus. Jessica trat auf ihn zu. »Gehe ich also recht in der Annahme, dass du uns verlassen wirst?«
»Ich muss.« Er konnte ein strahlendes Lächeln nicht unterdrücken. »Mutter – es geht um Kaitain!«
Beunruhigt hob Orleaq die Hände und gab den Tänzern ein Zeichen. »Aber, Herr, alle Fischerboote wurden bereits für die morgige Regatta geschmückt, und wir dachten, Ihr würdet vielleicht gern einen Kranz an den Statuen des Alten Herzogs Paulus und des jungen Victor niederlegen.«
»Bitte verzeiht mir. Ich kann nicht bleiben.« Als er die betroffene Miene des Mannes bemerkte, fügte er hinzu: »Es tut mir aufrichtig leid.« Er hob die Stimme, damit alle Versammelten ihn hören konnten. »Volk von Caladan – ich weiß, dass ihr euren Herzog wiederhaben wollt, aber ich fürchte, dass ich diese Rolle jetzt nicht mehr übernehmen kann. Stattdessen reiche ich diese Aufgabe als euer Imperator und als euer Herzog an meine Mutter weiter, die über Caladan wachen und in meinem Namen die Geschäfte dieser Welt führen soll.« Er lächelte über seine gute Idee. »Sie wird von nun an eure Herzogin sein. Hiermit verleihe ich ihr offiziell diesen Titel.«
Jessica sprach viel leiser als er. »Danke, Paul.« Die Menschen applaudierten, zunächst etwas unsicher und dann mit wachsender Begeisterung, als Jessica vortrat, um eine spontane Ansprache zu halten.
Während die Aufmerksamkeit des Publikums auf seine Mutter gerichtet war, drehte Paul sich schnell zu der Kurierin um und flüsterte: »Ist der Heighliner abflugbereit?«
»Der Navigator wartet auf Euren Befehl, Muad'dib.«
»Ich werde so schnell wie möglich aufbrechen. Zuvor schick bitte eine Nachricht nach Arrakeen und gib Irulan Anweisung, sich auf Kaitain mit mir zu treffen. Ihre Anwesenheit ist unabdingbar.« Die Kurierin eilte davon, um alles zu veranlassen, und Paul wandte sich wieder dem enttäuschten Orleaq zu.
»Haben wir Euer Missfallen erregt, Herr?«, fragte der Adlige mit brechender Stimme. »Wir hatten darauf gehofft, dass Ihr etwas länger bei uns bleibt.«
»Das ist mir nicht möglich.« Paul wusste, dass sein Atreides-Erbe für immer eng mit Caladan verbunden sein würde, während sein Herz eine neue Heimat auf Arrakis gefunden hatte und der Teil von ihm, der jetzt Muad'dib war, durch die gesamte Galaxis streifen würde.
Menschen neigen dazu, sich zu beklagen, wenn das Alte dem Neuen weichen muss. Aber Veränderung ist etwas Natürliches im Universum, und wir müssen lernen, sie willkommen zu heißen, statt sie zu fürchten. Durch den Vorgang der Transformation und Adaption wird die Spezies stärker.
Mutter Oberin Raquella Berto-Anirul,
Gründerin der Bene-Gesserit-Schule
Die Delegation der Gilde war eingetroffen, und die drei Männer durchquerten das Metallzelt, das als provisorischer imperialer Audienzsaal errichtet worden war. Die arroganten Gildenmänner waren gereizt, nachdem man sie an jedem einzelnen Wachtposten aufgehalten hatte, aber sie mussten sich an die Protokoll- und Sicherheitsvorschriften halten, wenn sie eine Audienz beim Imperator Muad'dib wünschten.
Neben dem Thron stand in perfekter, ihrem Rang angemessener Haltung die kühle, blonde Prinzessin Irulan und beobachtete, wie die Dreiergruppe den großen Raum betrat. Die Männer sahen würdevoll in ihren grauen Uniformen aus, deren Ärmel vom Emblem der Raumgilde geziert wurden, der konvexen Kartusche mit dem Unendlichkeitssymbol. Sie liefen in einer Reihe hintereinander, nach Körpergröße geordnet, und jeder von ihnen hatte recht ungewöhnliche Gesichtszüge, die mehr oder weniger von der menschlichen Norm abwichen.
Der kleinste, der den anderen vorausging, hatte einen übergroßen Kopf, dessen linke Seite von einer Metallplatte mit Stacheln bedeckt war, und ein halber Schopf orangefarbenen Haars wippte im Rhythmus seiner Schritte. Der zweite Mann war extrem dünn und hatte ein schmales Gesicht, das von den Narben vieler Operationen gezeichnet war, während der größte, am Ende der Reihe, die Metallaugen nervös in alle Richtungen wandte. Irulan bemerkte die abrupte Veränderung, als die Gildenmänner gleichzeitig die kleine Alia auf dem beeindruckenden Thron sitzen sahen.
In den unsichtbaren Mantel seiner bedeutenden Position gehüllt, stand Korba wie ein Wachmann am Fuß von Pauls Thron. Er hatte seinen traditionellen Destillanzug und seinen Umhang mit Rangabzeichen und mysteriösen religiösen Symbolen geschmückt, die archaischen Muadru-Zeichnungen nachempfunden waren. Wahrscheinlich erwartete Korba nicht, dass irgendwer diese traditionellen Einflüsse erkannte, vermutete Irulan. Doch durch ihre Bene-Gesserit-Ausbildung war sie sofort darauf aufmerksam geworden. Der logische Teil ihres Geistes durchschaute die Absichten, die Korba mit seinem offenkundigen Plan verfolgte.
In der Religion liegt mehr Macht als in der Funktion eines ruhmreichen Leibwächters, dachte sie.
Vielleicht hätte sie für sich selbst eine ähnliche Rolle schaffen sollen.
Als älteste Tochter von Shaddam Corrino IV. war Irulan schon früh bewusst gewesen, dass sie eines Tages aus politischen und ökonomischen Gründen heiraten würde. Der Imperator und die Bene Gesserit hatten sie zu diesem Zweck gezüchtet, und sie hatte ihre Aufgabe bereitwillig akzeptiert. Sie hatte sich sogar selbst als Lösung angeboten, als Paul nach der Schlacht von Arrakeen ihrem Vater gegenübergetreten war.
Sie hatte zwar nie damit gerechnet, dass Paul Atreides sich in sie verlieben würde, aber sie hatte darauf gehofft, ein Kind von ihm zu empfangen. Das Zuchtprogramm der Bene-Gesserit-Schwesternschaft verlangte es. Doch Paul wollte sie nicht anrühren, und er hatte Irulan eine Stellung zugewiesen, in der sie Alia und Chani unmittelbar untergeordnet war, womit er dem gesamten Hofstaat eine unmissverständliche Botschaft vermittelt hatte.
Irulan wandte eine unauffällige Atemtechnik der Bene Gesserit an, um ihre Anspannung zu lösen. Inzwischen hatte sie keinen Sinn mehr für die Ironie, die in der Tatsache lag, dass Muad'dibs Audienzsaal ursprünglich das massive Metallzelt gewesen war, das ihr Vater anlässlich seines desaströsen Militäreinsatzes nach Arrakis hatte transportieren lassen. Die Tage des Ruhms der Corrinos waren vorbei, und sie war auf eine vergleichsweise unbedeutende Rolle herabgestuft worden, was auch eine Art von Exil war.
Ich bin nur noch ein Bauer auf dem imperialen Schachbrett.
Viele Menschen drängten sich im Saal – Funktionäre der MAFEA, niedere Adlige, die hofften, ihre gesellschaftliche Stellung durch die öffentliche Unterstützung Muad'dibs zu verbessern, reiche Wasserhändler, ehemalige Schmuggler, die sich jetzt als ehrenwerte Geschäftsleute betrachteten, und viele andere Besucher, die um eine Audienz bei Muad'dib ersuchten. Heute jedoch, während Paul auf Caladan weilte, wurden sie von seiner Schwester Alia empfangen. Das trügerisch kleine Mädchen im Körper einer Vierjährigen hockte wie ein Vogel auf dem durchscheinenden grünen Thron, der einst Shaddam IV. gehört hatte.
Auf einem hohen Stuhl neben Alia saß die rothaarige Chani, von Irulan aus gesehen auf der anderen Seite. Obwohl Irulan, die keinen eigenen Thron hatte, die Frau des Imperators war, hatte Paul ihre Ehe niemals vollzogen und gesagt, dass er es auch nie tun würde, weil seine Zuneigung ausschließlich seiner Fremen-Konkubine galt. Da ihr die Aussicht auf eheliches Glück und Mutterschaft verwehrt war, kämpfte Irulan darum, eine Rolle für sich zu finden.
»Uns wurde eine Audienz mit dem Imperator Muad'dib bewilligt«, sagte der kleinste der Gildenmänner. »Wir sind von Junction hierhergereist.«
»Heute spricht Alia im Namen von Muad'dib«, entgegnete Chani. Dann wartete sie.
Mit sichtlichem Unbehagen sagte der zweite Gildenmann: »Das ist Ertun, und ich bin Loyxo. Wir kommen auf Geheiß der Raumgilde und verlangen, dass uns eine größere Menge Gewürz zugeteilt wird.«
»Und wer ist der Große da hinten?« Alia blickte an den anderen vorbei.