Die Schlacht von Corrin - Brian Herbert - E-Book

Die Schlacht von Corrin E-Book

Herbert Brian

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Beschreibung

Die letzte Schlacht in einem Djihad gegen die Maschinen

Omnius, die mächtigste KI, hat sich auf Corrin, einem Planeten unter einer aufgeblähten Riesensonne, verschanzt, wo sie sich mit allen Mitteln gegen die Menschheit wehrt. Die Bewohner Corrins werden in Container gepfercht und in den Orbit geschossen, um so ein lebendes Schutzschild gegen die Raumflotte unter dem Kommando von Vorian Atreides zu bilden. Während Vorian sich eine Entscheidung abringt, ob millionenfacher Tod gegen milliardenfache Freiheit aufzuwiegen ist, entwickelt Omnius ein tödliches Virus und lässt es auf die Menschheit los. Durch Zufall entdecken die Menschen, dass ein geheimnisvolles Gewürz, das sogenannte Spice, das Gegenmittel ist - und Arrakis, der Wüstenplanet, rückt in den Fokus der Hohen Häuser ...

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Seitenzahl: 1120

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BRIAN HERBERT &

KEVIN J. ANDERSON

 

 

 

DIE SCHLACHT

VON CORRIN

Ein Roman aus dem Wüstenplanet-Zyklus

 

 

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Mit dem Wüstenplanet-Zyklus hat Frank Herbert eine Zukunftssaga geschaffen, die den größten Teil unserer Galaxis und einen Zeitraum von Tausenden von Jahren umfasst und in ihrer epischen Wucht und ihrem außerordentlichen Detailreichtum nur mit J. R. R. Tolkiens »Herr der Ringe« zu vergleichen ist. Nach dem Tod des Autors 1986 schien diese Saga zum Bedauern von Millionen von Leserinnen und Lesern rund um die Welt zu einem Abschluss gekommen zu sein. Doch nun geht das Abenteuer weiter: Gestützt auf den umfangreichen Nachlass seines Vaters und gemeinsam mit dem bekannten Star-Wars-Autor Kevin J. Anderson erzählt Frank Herberts Sohn Brian Herbert die »Legenden des Wüstenplaneten«, die Vorgeschichte dieses atemberaubenden Epos, und beleuchtet jene Charaktere, Motive und Konflikte, die zu den Ereignissen in »Der Wüstenplanet« führen.

 

So berichtet »Die Schlacht von Corrin« von einem sagenumwobenen Ereignis in ferner Vergangenheit, von dem in den »Wüstenplanet«-Romanen immer wieder die Rede ist: Butlers Djihad, die Rebellion der Menschen gegen die Künstlichen Intelligenzen, die den Aufstieg des Bene-Gesserit-Ordens und der Häuser des Imperiums überhaupt erst ermöglichte. Doch der Weg dorthin ist mit zahllosen Unwägbarkeiten und tödlichen Gefahren verknüpft: Denn die Maschinen haben längst die Herrschaft über sämtliche menschlichen Lebensbereiche an sich gezogen und schrecken auch nicht davor zurück, die Bevölkerung ganzer Planeten zu versklaven. So hat sich auf Corrin, einem Planeten unter einer aufgeblähten roten Riesensonne, Omnius verschanzt, das Zentralgehirn aller mechanischen Intelligenz. Vorian Atreides übernimmt den Befehl über die Truppen der Liga, um den entscheidenden Schlag gegen Omnius zu führen. Da erfährt er, dass Omnius Millionen Menschen, die auf Corrin lebten, in Container packen und in den Orbit hat bringen lassen, um einen menschlichen Schutzschild um seine letzte Zuflucht zu errichten. Nun steht Vorian vor einer Entscheidung, die das Schicksal der Menschheit für immer bestimmen wird …

 

 

 

 

Die Autoren

Brian Herbert, der Sohn des 1986 verstorbenen Wüstenplanet-Schöpfers Frank Herbert, hat selbst SF-Romane verfasst, darunter den in Zusammenarbeit mit seinem Vater entstandenen »Mann zweier Welten«.

 

Kevin J. Anderson ist einer der meistgelesenen SF-Autoren unserer Zeit. Zuletzt ist von ihm die gefeierte »Saga der Sieben Sonnen« erschienen – mit den Bänden »Das Imperium«, »Der Sternenwald« und »Sonnenstürme«.

 

Eine chronologische Liste des Wüstenplanet-Zyklus finden Sie am Ende dieses Buches.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

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Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

 

 

 

Titel der Originalausgabe

 

DUNE: THE BATTLE OF CORRIN

 

Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen

 

 

 

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 2004 by Herbert Properties LLC

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlagbild: Frank M. Lewecke

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz: Thomas Menne

 

ISBN 978-3-641-21019-9V002

 

 

 

Für Pat LoBrutto,

 

zum Dank für die unermüdliche Unterstützung seit den ersten Anfängen unseres Dune-Projekts. Deine Begeisterung, dein Wissen und deine Einfühlsamkeit haben dazu beigetragen, dass uns die Bücher weit besser gelungen sind, als wir es allein geschafft hätten. Du bist ein wahrer Renaissance-Herausgeber.

Danksagung

 

Für die beiden Autoren dieses Buches glich der Weg von der Idee bis zum fertigen Manuskript der Tätigkeit zweier Gilde-Navigatoren, die am Steuer desselben Heighliners einen sicheren Kurs durch den Faltraum suchen. Der erste Navigator im fantastischen Dune-Universum war natürlich Frank Herbert. Aber auch er war nicht allein am Werk, denn Beverly Herbert schenkte ihm fast vier Jahrzehnte des Rückhalts und der Hingabe. Beiden sind wir zu tiefem Dank verpflichtet. Auch danken wir der übrigen Familie Herbert, namentlich Penny, Ron, David, Byron, Julie, Robert, Kimberly, Margaux und Theresa, die uns, Brian Herbert und Kevin J. Anderson, die Aufgabe anvertraut haben, Frank Herberts außergewöhnliche Vision zu bereichern.

Unsere Ehefrauen, Jan Herbert und Rebecca Moesta Anderson, haben uns in einem Umfang Unterstützung gewährt, die entschieden über alles hinausgeht, was sie sich bei der Eheschließung vorgestellt hatten. Obwohl sie beide selbst Künstlerinnen sind – Jan ist Malerin, Rebecca Schriftstellerin –, haben sie für das Zustandekommen der Geschichte, die Sie nachstehend lesen können, ein immenses Maß ihrer Zeit und ihrer Begabung geopfert.

Zudem stehen wir in der Schuld zahlreicher anderer Menschen, die uns während dieser neuen epischen Reise durch den farbenprächtigen Dune-Kosmos beigestanden haben. Dazu zählen unsere engagierten Literaturagenten und ihre Mitarbeiter: Robert Gottlieb, John Silbersack, Kim Whalen, Matt Bialer und Kate Scherler. Unsere Verleger in den USA und in Großbritannien wussten unser Projekt zu würdigen und haben Herstellung sowie Werbung mit der größten Zuverlässigkeit betrieben; besonderer Dank gebührt in diesem Zusammenhang Tom Doherty, Carolyn Caughey, Linda Quinton und Paul Stevens. Unser außergewöhnlicher Herausgeber, Pat LoBrutto, ist mit unseren Texten umgegangen wie ein meisterhafter Küchenchef und hat ihnen genau dort die richtige Würze verliehen, wo sie es brauchten. Rachel Steinberger, Christian Gossett, Dr. Attila Torkos und Diane E. Jones haben uns mit dringend benötigten Ratschlägen geholfen, und Catherine Sidor hat unermüdlich Dutzende von Mikrokassetten in ein Manuskript verwandelt und die erforderlichen späteren Korrekturen eingefügt.

Obwohl durch die Denkmaschinen Milliarden von Menschen abgeschlachtet wurden, dürfen wir sie nicht Opfer nennen. Auch als Verluste dürfen wir sie nicht bezeichnen. Ich zögere sogar, sie Märtyrer zu nennen. Jeder Einzelne, der bei dieser großen Revolte den Tod gefunden hat, kann nichts Geringeres als ein Held sein. Wir werden unsere laufenden Berichte so führen, dass diese Einschätzung darin zum Ausdruck gelangt.

Serena Butler,

private Protokolle des Djihad-Rats

 

 

Es interessiert mich nicht, wie viele Dokumente Sie mir zeigen, wie viele Aufzeichnungen, Interviews oder belastende Indizien Sie vorlegen. Ich bin vielleicht die einzige noch lebende Person, die die Wahrheit über Xavier Harkonnen und die Gründe für sein Verhalten kennt. Viele Jahrzehnte lang habe ich Frieden gewahrt, weil Xavier es so von mir erbeten hat, weil Serena Butler es so gewollt hätte und weil die Anforderungen des Djihad es diktierten. Aber geben Sie nicht vor, Ihre Propaganda wäre die Wahrheit, ganz gleich, wie viele Liga-Bürger daran glauben. Vergessen Sie nicht, dass ich die damaligen Ereignisse miterlebt habe. Keiner unter Ihnen kann von sich das Gleiche behaupten.

Vorian Atreides,

Privatansprache vor der Liga der Edlen

 

 

Der größte Fehler, den ein denkender Mensch begehen kann, ist vielleicht der, eine bestimmte geschichtliche Darstellung als absolute Tatsache zu nehmen. Die Historie wird von zahlreichen Beobachtern aufgezeichnet, von denen keiner unparteiisch ist. Die Fakten werden verzerrt, durch den Lauf der Zeit und – insbesondere im Fall von Butlers Djihad – abertausende von Jahren dunkler Epochen, vorsätzliche Falschauslegungen seitens religiöser Sekten sowie die Entstellungen, die unvermeidlich aus der Anhäufung von Flüchtigkeitsfehlern entstehen. Daher betrachtet der Weise die Geschichte als eine Reihe von Lektionen, die es zu lernen gilt, von Entscheidungen und Verzweigungen, die man erörtern und diskutieren muss, und von Fehlern, die niemals wiederholt werden dürfen.

Prinzessin Irulan,

Vorwort zu Die Geschichte von Butlers Djihad

 

 

 

ERSTER TEIL

 

 

107 V.G.

 

 

 

 

1

 

Maschinen zerstören nicht. Sie erschaffen, vorausgesetzt, dass die Hand, die sie lenkt, stark genug ist, um sie zu beherrschen.

Rivego,

ein Moralist der Alten Erde

 

 

Erasmus empfand die Hackordnung unter den todgeweihten, hoffnungslosen Menschen faszinierend, ja amüsant. Ihre Reaktion gehörte zum experimentellen Untersuchungsverfahren, und er bewertete die Resultate als sehr aufschlussreich.

Der Roboter schlenderte durch die Korridore seiner perfekt organisierten Laboranlagen auf Corrin und ließ sich von seinem prächtigen karmesinrotem Gewand umwehen. Das Kleidungsstück war lediglich eine affektierte Laune, um sich ein herrischeres Äußeres zu verleihen. Leider schenkten die Opfer in den isolierten Zellen seiner Eleganz kaum Beachtung, weil ihre Leiden sie stark beanspruchten. Daran ließ sich nichts ändern, weil es den leicht ablenkbaren Menschen beträchtliche Schwierigkeiten bereitete, sich auf Angelegenheiten zu konzentrieren, die sie nicht direkt betrafen.

Vor Jahrzehnten hatten Bauroboter diese hohe Kuppel nach seinen ganz genauen Spezifikationen errichtet. Die zahlreichen, gut ausgestatteten Kammern – jede völlig steril und von den anderen Kammern isoliert – enthielten alles, was Erasmus für seine Experimente brauchte. Während seiner regelmäßigen Inspektionsrundgänge blickte der unabhängige Roboter durch die Glaz-Fenster in die Zellen, in denen Seuchentestpersonen auf Betten festgeschnallt lagen. Manche Exemplare waren bereits paranoid und delirierten, zeigten alle Symptome des Retrovirus, wohingegen andere aus verständlichen Gründen Schrecken zeigten.

Inzwischen war die Testreihe mit dem gentechnisch erzeugten Virus nahezu abgeschlossen. Effektiv betrug die unmittelbare Sterblichkeitsrate 43 Prozent und war somit noch weit von jeder Perfektion entfernt; dennoch stand nun das wirksamste Virus der Menschheitsgeschichte zur Verfügung. Er eignete sich für den nötigen Zweck, und Omnius konnte nicht mehr allzu lange warten. Es musste bald etwas geschehen.

Der heilige Krieg der Menschen gegen die Denkmaschinen zog sich schon fast ein ganzes Jahrhundert lang hin und verursachte viele Zerstörungen und Unannehmlichkeiten. Mittlerweile hatten die ständigen fanatischen Attacken der Djihad-Armee dem Synchronisierten Imperium unermesslichen Schaden zugefügt, die Roboter-Kriegsschiffe wurden genauso schnell vernichtet, wie die verschiedenen Allgeist-Inkarnationen neue bauen konnten. Omnius' Pläne waren in unverzeihlichem Maß ins Stocken geraten. Der Computer forderte eine Endlösung. Weil der militärische Konflikt sich als nicht effektiv genug erwies, hatte man nach Alternativen gesucht: nach biologischen Waffen, einer tödlichen Seuche zum Beispiel.

Simulationen zufolge konnte eine sich schnell ausbreitende Epidemie als überlegene Waffe dienen, indem sie menschliche Populationen ausmerzte – einschließlich ihrer Streitkräfte –, aber Infrastruktur und Ressourcen für die Übernahme durch die siegreichen Denkmaschinen intakt ließen. Sobald die speziell entwickelte Seuche ihre Wirkung gezeigt hatte, konnte Omnius Ordnung schaffen und die Systeme wieder in Betrieb nehmen.

Gegen diese Strategie hegte Erasmus gewisse Vorbehalte, denn er befürchtete, dass eine derart wirksame Seuche die Menschheit bis zum letzten Exemplar ausrotten könnte. Zwar mochte Omnius aus seiner Sicht die völlige Beseitigung der Menschheit als erstrebenswert erachten, aber der unabhängige Roboter wünschte sich keine derartige Endlösung. Er hatte ein anhaltendes Interesse an diesen Geschöpfen, besonders an Gilbertus Albans, den er aus den elenden Sklavenbaracken geholt und als Ersatzsohn aufgezogen hatte. Doch schon unter rein wissenschaftlichen Gesichtspunkten brauchte Erasmus in ausreichendem Umfang organisches Material für sein Labor und die Felduntersuchungen der menschlichen Natur.

Nicht alle Menschen durften sterben. Nur die Mehrheit musste verschwinden.

Allerdings waren diese Geschöpfe bemerkenswert widerstandsfähig. Erasmus bezweifelte, dass selbst die schlimmste Epidemie die gesamte Spezies auslöschen könnte. Menschen hatten die verblüffende Begabung, sich auf Widrigkeiten einzustellen und sie durch unorthodoxe Methoden abzuwehren. Wenn es doch nur Denkmaschinen möglich wäre, es ebenfalls zu lernen …

Der Roboter raffte das Prunkgewand um seine platinhäutige Gestalt und betrat die Zentralkammer der Laboranlage, wo sein zum Renegaten gewordener Gefangener von Tlulax das verheerende RNS-Retrovirus ersonnen hatte. Denkmaschinen waren effizient und tüchtig, doch bedurfte es einer verderbten menschlichen Fantasie, um Omnius' Zorn in ein hinlänglich destruktives Maßnahmenprogramm umzusetzen. Kein Roboter oder Computer hätte ein so entsetzliches Werkzeug des Todes und der Vernichtung konzipieren können. Dazu war die rachsüchtige Vorstellungskraft eines Menschen nötig.

Rekur Van, ein mittlerweile in der ganzen Liga der Edlen geächteter und verachteter Biotechniker und Genetiker, wand sich in seinem Lebenserhaltungsgestell. Er konnte nur den Kopf bewegen, weil er weder Arme noch Beine besaß. Das Gestell verband den Körper des Genetikers mit Nährstoff- und Entsorgungsschläuchen. Kurz nach Vans Gefangennahme hatte Erasmus veranlasst, ihm die Gliedmaßen zu amputieren, um mehr Einfluss auf ihn zu haben. Rekur Van war nicht vertrauenswürdig, ganz im Gegensatz zu Gilbertus Albans.

Der Roboter bildete auf seinem Flussmetallgesicht ein heiteres Lächeln. »Guten Morgen, Stumpf. Heute haben wir eine Menge Arbeit zu erledigen. Vielleicht schließen wir sogar die primäre Testreihe ab.«

Das schmale Gesicht des Tlulaxa wirkte noch spitzer als sonst, die dunklen, eng beieinander stehenden Augen huschten umher, als wäre er ein eingesperrtes Tier. »Höchste Zeit, dass du erscheinst. Ich bin schon seit Stunden wach und starre nur vor mich hin.«

»Dann hast du reichlich Gelegenheit gehabt, um dir außergewöhnliche neue Ideen zu entwickeln. Ich möchte sie hören.«

Der Gefangene brummte eine Beleidigung. »Wie verlaufen die quasi-reptilischen Wachstumsexperimente?«, erkundigte er sich. »Irgendwelche Fortschritte?«

Der Roboter beugte sich vor, öffnete eine Bioklappe und betrachtete die nackte Haut einer narbigen Schulter Rekur Vans. »Irgendetwas zu sehen?«, fragte der Tlulaxa neugierig. Er verrenkte den Hals und versuchte Einzelheiten des Armstumpfs zu erkennen.

»Auf dieser Seite nicht.«

Erasmus schaute unter die Bioklappe des anderen Armstumpfs. »Da könnte etwas sein. Eindeutig eine Wachstumserhebung auf der Haut.« Jede Teststelle enthielt verschiedene Zellularkatalysatoren, die man unter die Haut injiziert hatte, um ein Nachwachsen der abgetrennten Gliedmaßen anzuregen.

»Extrapoliere deine Daten, Roboter. Wie lange noch, bis meine Arme und Beine nachgewachsen sind?«

»Das ist schwer zu sagen. Es könnte mehrere Wochen dauern, vielleicht aber auch erheblich länger.« Der Roboter strich mit seinem Metallfinger über die Beule. »Allerdings könnte dieses Gewächs ebenso gut etwas völlig Andersartiges sein. Es hat eindeutig eine rötliche Färbung, ist also vielleicht nur eine Hautreizung.«

»Es fühlt sich nicht entzündet an.«

»Möchtest du, dass ich daran kratze?«

»Nein. Ich warte, bis ich mich selbst kratzen kann.«

»Sei nicht so grob. Wir müssen eng zusammenarbeiten.« Das Ergebnis sah vielversprechend aus, aber diese Arbeit hatte für den Roboter keine Priorität. Er hatte wichtigere Aufgaben.

Erasmus nahm an einer intravenösen Zuleitung eine geringfügige Justierung vor, die aus dem schmalen Gesicht des Mannes die Unzufriedenheit vertrieb. Zweifellos unterlag Rekur Van gerade einer seiner regelmäßig auftretenden Stimmungsschwankungen. Daher wollte Erasmus ihn sorgsam beobachten und mittels der Medikamentenzufuhr bei effizientem Leistungsvermögen halten. Vielleicht konnte er auf diese Weise verhindern, dass der Tlulaxa heute wieder einen ausgewachsenen Wutanfall bekam. An manchem Tagen brachte ihn schon eine Kleinigkeit zum Aufbrausen. Bei anderen Gelegenheiten provozierte Erasmus ihn vorsätzlich, um sich das Resultat anzusehen.

Menschen zu lenken – selbst ein so abscheuliches Exemplar wie Van – war eine Wissenschaft und gleichzeitig eine Kunst. Dieser niederträchtige Gefangene war genauso ein Versuchsobjekt wie die Menschen in den blutbesudelten Sklavenbaracken und in den Testkammern. Selbst wenn der Tlulaxa bis zum Äußersten getrieben wurde, wenn er mit den Zähnen die Schläuche des Lebenserhaltungssystems abzureißen versuchte, gelang es Erasmus jedes Mal, ihn wieder zur Arbeit an der Seuche zu bewegen. Zum Glück hasste der Mann die Menschen der Liga noch mehr als seine maschinellen Herren.

Vor Jahrzehnten, während beträchtlicher politischer Umwälzungen innerhalb der Liga der Edlen, war zum Entsetzen der freien Menschheit das finstere Geheimnis der Organfarmen der Tlulaxa aufgedeckt worden. Auf den Liga-Welten hatte die öffentliche Meinung gegen die Genforscher aufbegehrt, empörter Mob hatte die Organfarmen zerstört und den Großteil der Tlulaxa, deren Reputation unwiderruflich geschädigt war, in den Untergrund getrieben.

Auf der Flucht hatte sich Rekur Van zu den Synchronisierten Welten abgesetzt und ein nach seiner Auffassung unwiderstehliches Geschenk mitgebracht: Zellmaterial zur Herstellung eines perfekten Klons von Serena Butler. Erasmus, der sich an die faszinierenden Diskussionen mit der Gefangenen erinnerte, war höchst erstaunt gewesen. In seiner Verzweiflung hatte Van angenommen, dass Erasmus an einem solchen Geschenk sehr interessiert war – aber leider hatte der von Van gezüchtete Klon keine der Erinnerungen Serenas und keine Spur ihrer Leidenschaftlichkeit gehabt. Der Klon blieb ein blasses Replikat.

Ungeachtet der Unzugänglichkeit des Klons hatte Erasmus den kleinwüchsigen Tlulaxa durchaus als nützliche Bereicherung betrachtet. Der unabhängige Roboter genoss seine Gesellschaft. Endlich hatte er jemanden kennen gelernt, der über die gleiche wissenschaftliche Sprache wie er verfügte, einen Forscher, der ihm dabei behilflich sein konnte, die zahllosen Aspekte komplizierter menschlicher Organismen besser zu verstehen.

Selbst nach der Amputation der Arme und Beine des Tlulaxa hatte Erasmus die anfänglichen Jahre als große Herausforderung eingeschätzt. Schließlich hatte er es durch sorgfältige Manipulationen und ein geduldig angewandtes System aus Bestrafungen und Belohnungen dennoch geschafft, Rekur Van in ein ertragreiches Experimentierobjekt zu verwandeln. Die Situation des arm- und beinlosen Mannes hatte Ähnlichkeit mit der Lage der Sklaven, die Van früher selbst in den Organfarmen verschlissen hatte. Darin sah Erasmus eine wundervolle Ironie des Schicksals.

»Möchtest du vielleicht einen kleinen Leckerbissen, damit wir einen positiven Arbeitseinstieg finden?«, schlug Erasmus vor. »Vielleicht einen Fleischkeks?«

Als er von einer der wenigen Freuden hörte, die ihm noch geblieben waren, leuchteten Vans Augen auf. Auf der Tlulaxa-Heimatwelt galten Fleischkekse, die man aus einer Vielzahl im Labor gezüchteter Organismen anfertigte, darunter auch menschlichem »Abfall«, als Delikatesse. »Gib mir welche, oder ich lehne die weitere Zusammenarbeit ab.«

»Du benutzt diese Drohung zu häufig, Stumpf. Du bist an einen Tank mit Nährlösung angeschlossen. Auch wenn du nichts isst, wirst du nicht verhungern.«

»Du willst nicht mein bloßes Überleben, sondern meine bereitwillige Mitarbeit, aber du gewährst mir zu wenig Vergünstigungen.« Der Tlulaxa verzog das Gesicht zu einer Fratze.

»Nun gut, also Fleischkekse«, rief Erasmus. »Vierarm, her damit!«

Einer der monströsen menschlichen Laborassistenten kam herein, trug auf den vier transplantierten Armen eine Schale zuckerhaltiger organischer Leckerbissen. Der Tlulaxa drehte sich in seinem Lebenserhaltungsgestell, um einen Blick auf die Fleischkekse zu werfen – und die Zusatzarme des Laborassistenten, die einmal ihm gehört hatten.

Mithilfe bestimmter Transplantationstechniken, die von den Tlulaxa praktiziert worden waren, hatte Erasmus die Arme und Beine des einstigen Sklavenhalters zwei Laborassistenten verpflanzt, dabei Fleisch, Sehnen und Knochen aus künstlicher Herstellung hinzugefügt, um den Gliedmaßen die passende Länge zu verleihen. Obwohl er damit lediglich zu Lernzwecken einen Versuch unternommen hatte, war ein beachtlicher Erfolg erzielt worden. Vierarm war besonders effizient beim Tragen von Gegenständen; Erasmus hoffte, ihm eines Tages das Jonglieren beibringen zu können, eine Leistung, die Gilbertus vielleicht amüsierte. Alternativ war Vierbein imstande, wie eine Antilope auf freier Fläche zu rennen.

Immer wenn einer der beiden Laborassistenten ins Blickfeld des Tlulaxa trat, wurde er auf brutale Weise an seine aussichtlosen Existenzbedingungen erinnert.

Da Rekur Van keine Hände mehr besaß, benutzte Vierarm seine – und zwar das Paar, das zuvor dem Gefangenen gehört hatte –, um ihm Fleischkekse in den gierig aufgesperrten Mund zu stopfen. Van ähnelte einem hungrigen Küken, das vom Muttervogel Würmer forderte. Braungelbe Krümel fielen ihm vom Kinn auf den schwarzen Kittel, der seinen Torso umhüllte; manche gerieten in die Nährlösung, worauf sie dem Recycling zugeführt wurden.

Erasmus hob die Hand, und Vierarm beendete die Fütterung. »Genug fürs Erste. Du wirst mehr bekommen, Stumpf, aber zuvor haben wir Arbeit zu erledigen. Wir wollen gemeinsam die heutigen Sterblichkeitsstatistiken der verschiedenen Testreihen auswerten.«

Es war interessant, überlegte Erasmus, dass Vorian Atreides – der Sohn des verräterischen Titanen Agamemnon – mit einer vergleichbaren Methode versucht hatte, die Omnius-Allgeister zu eliminieren, indem er die Update-Sphären, die der Roboter-Captain Seurat transportiert hatte, mit einem Computervirus infizierte. Aber nicht nur Maschinen waren anfällig für eine gefährliche Ansteckung …

Nachdem er einen Moment lang geschmollt hatte, leckte sich Rekur Van über die Lippen und befasste sich mit der Auswertung der Statistiken. Er schien sich über die Sterbeziffern zu freuen. »Wunderbar!«, murmelte er. »Diese Seuche ist wirklich das wirksamste Mittel, um Billionen von Menschen zu töten.«

2

 

Größe findet ihren Lohn … und fordert ihren schrecklichen Preis.

Primero Xavier Harkonnen

letzte Diktajournal-Notiz

 

 

Im Verlauf seiner außerordentlich langen militärischen Karriere hatte Oberkommandierender Vorian Atreides vieles gesehen, aber selten eine schönere Welt als Caladan besucht. Für ihn glich diese Wasserwelt einer mit Andenken gefüllten Schatzkammer, einem Traum vom »normalen« Leben – einem Dasein ohne die Maschinen, ohne den Krieg.

Überall auf Caladan stieß Vorian auf Erinnerungen an die goldenen Zeiten, die er hier mit Leronica Tergiet verlebt hatte. Sie war die Mutter seiner Zwillingssöhne, die Frau, die über sieben Jahrzehnte lang seine Geliebte und Gefährtin gewesen war, obwohl sie nie offiziell geheiratet hatten.

Leronica weilte in ihrem gemeinsamen Heim auf Salusa Secundus. Obwohl sie inzwischen Anfang neunzig war, liebte er sie mehr als je zuvor. Um sich länger an die Jugend klammern zu können, hätte sie regelmäßig Dosen der verjüngenden Gewürz-Melange nehmen können, die unter den reichen Edlen sehr beliebt geworden war, aber sie sah darin eine künstliche Krücke und lehnte es ab. So etwas entsprach ganz ihrem Charakter.

In schroffem Gegensatz dazu sah Vorian aufgrund der Unsterblichkeitsbehandlung, die sein Cymek-Vater ihm aufgenötigt hatte, noch immer wie ein junger Mann aus, vielleicht wie ihr Enkel. Um sich ihr ein wenig anzupassen, färbte sich Vorian in gewissen Abständen graue Strähnen ins Haar. Er wünschte, er hätte Leronica auf den Flug zu diesem Planeten mitgenommen, auf dem sie sich kennen gelernt hatten.

Nun saß Vorian mit seinem fähigen jungen Adjutanten Abulurd Butler zusammen, dem jüngsten Sohn von Quentin Vigar und Wandra Butler, und schaute aufs Meer hinaus, sah die Kutter mit ihrer Beute aus Tang und fettem Butterfisch zurückkehren. Gleichzeitig war Abulurd der Enkel von Vorians engstem Freund … Doch Xavier Harkonnens Name wurde heutzutage kaum noch ausgesprochen, nachdem man ihn unwiderruflich zum Feigling und Verräter an der Menschheit abgestempelt hatte. Der Gedanke an diese Ungerechtigkeit, die im Wesentlichen auf den Automatismen der Legendenbildung beruhte, lastete nach wie vor als Bürde auf Vorian, ändern konnte er daran jedoch nichts. Inzwischen waren beinahe sechzig Jahre verstrichen.

Er und Abulurd hatten sich an einen Tisch in einem neuen Suspensorrestaurant gesetzt, das sich langsam entlang der caladanischen Küste bewegte und einen ständig wechselnden Ausblick auf das Meer und das Ufer bot. Ihre Dienstmützen lagen auf einem breiten Fenstersims. Unmittelbar vor der Küste brandeten Wogen gegen große Klippen, und die Gischt, die an ihnen hinabrann, sah wie weiße Spitze aus. Die Sonne des Spätnachmittags schimmerte auf den Wellen.

In ihren grün-karmesinroten Uniformen beobachteten die beiden Männer die Flut und tranken Wein, genossen eine kurze Erholungspause vom endlosen Djihad. Vorian trug die Uniform lässig, ohne all die lästigen Orden, während Abulurd mustergültig nach Vorschrift aussah. Genau wie sein Großvater.

Vorian hatte den jungen Mann unter seine Fittiche genommen, auf ihn Acht gegeben und ihn gefördert. Seine Mutter – Xaviers jüngste Tochter – hatte Abulurd nie kennen gelernt, da sie bei seiner Geburt eine schwere Apoplexie erlitten hatte und dadurch in eine Katatonie verfallen war. Jetzt hatte er sich, kaum dass er achtzehn geworden war, der Djihad-Armee angeschlossen. Sein Vater und seine Brüder hatten sich im Kriegsdienst bewährt und zahlreiche Orden erhalten. Es war zu erwarten, dass auch Quentin Vigars Jüngster sich beizeiten glanzvoll auszeichnete.

Um dem Makel des Namens Harkonnen zu entgehen, hatte Abulurds Vater den Familiennamen der mütterlichen Seite übernommen, voller Stolz das Erbe Serena Butlers angetreten. Seit er vor zweiundvierzig Jahren in deren berühmte Familie eingeheiratet hatte, war der Kriegsheld Quentin sich der Ironie des Namens stets bewusst geblieben. »Früher war ein Butler ein serviler Bediensteter, der ohne Widerrede die Weisungen seines Herrn ausführte. Aber jetzt verkünde ich ein neues Familienmotto: ›Wir Butlers sind niemandes Diener.‹« Seine zwei älteren Söhne, Faykan und Rikov, hatten sich, als sie ihr junges Leben dem Kampf im Djihad verschrieben, an diese Devise gehalten.

Wie viel Geschichte doch in einem Namen steckt, dachte Vorian. Und wie befrachtet er ist.

Er atmete tief durch und ließ den Blick durchs Restaurant schweifen. An einer Wand hing eine Fahne mit Abbildungen der Drei Märtyrer: Serena Butler, ihr unschuldiges Kind Manion und der Große Patriarch Ginjo. Angesichts eines so erbarmungslosen Gegners wie der Denkmaschinen suchten die Menschen Heil bei Gott oder seinen Stellvertretern. Wie bei jeder quasi-religiösen Bewegung gab es auch unter den Märtyrer-Jüngern fanatische Randgruppen, die sich zu Ehren des gefallenen Trios strengen Praktiken unterzogen.

Vor selbst hing keinen solchen Auffassungen an, weil er es vorzog, auf militärische Mittel zu bauen, um Omnius zu vernichten. Aber die menschliche Natur, einschließlich des Fanatismus, hatte durchaus Einfluss auf seine Planung. Selbst Bevölkerungen, die nicht im Namen der Liga kämpfen wollten, waren in der Lage, sich zornig maschinellen Feinden entgegenzuwerfen, wenn man sie dazu aufforderte, es im Namen Serenas oder ihres Kindes zu tun. Doch obgleich die Märtyrer-Jünger der Sache des Djihad sehr wohl behilflich sein konnten, standen sie ihr ebenso häufig im Weg …

Vorian wahrte weiter sein langes Schweigen und faltete die Hände, während er sich im Restaurant umblickte. Trotz der kürzlich ergänzten Suspensorapparaturen sah das Restaurant im Großen und Ganzen noch genauso aus wie vor etlichen Jahrzehnten. Vorian hatte es gut im Gedächtnis behalten. Die in klassischem Stil gefertigten Stühle mochten durchaus noch dieselben sein, aber falls es sich so verhielt, hatte man immerhin die abgewetzte Polsterung erneuert.

Während er still von seinem Wein nippte, entsann sich Vorian einer Kellnerin, die früher hier gearbeitet hatte, eine junge Immigrantin, die seine Truppen von der Peridot-Kolonie gerettet hatten. Ihre gesamte Familie war umgekommen, als Denkmaschinen jedes von Menschenhand geschaffene Bauwerk des Planeten dem Erdboden gleich gemacht hatten, und danach hatte sie einen von Vorian persönlich überreichten Überlebendenorden getragen. Er hoffte, dass sie sich auf Caladan ein gutes Leben gestaltet hatte. Es war schon so lange her … wahrscheinlich war sie bereits tot oder eine alte Matrone mit einer Schar von Enkelkindern.

Im Laufe der Jahre war Vorian viele Male auf Caladan gewesen, vordergründig zu dem Zweck, um den Lauschposten und die Beobachtungsstation zu inspizieren, die seine Untergebenen vor fast sieben Jahrzehnten errichtet hatten. Noch heute suchte er die Wasserwelt auf, wann es nur ging, um sie im Auge zu behalten.

Im Glauben, damit etwas Gutes zu bewirken, hatte Vorian schon vor langem, als Estes und Kagin noch Kinder waren, Leronica und seine Söhne in die Liga-Hauptstadt umziehen lassen; inmitten all der Wunder war ihre Mutter aufgeblüht, aber die Zwillinge hatten sich dort nie richtig wohl gefühlt. Später hatten Vorians Jungen … Jungen? Beide waren inzwischen Mitte sechzig! Jedenfalls hatten sie beschlossen, nach Caladan zurückzukehren, weil sie sich mit der Betriebsamkeit auf Salusa Secundus, der Liga-Politik und der Djihad-Armee nie hatten anfreunden können. Infolge seiner zahlreichen militärischen Unternehmungen war Vorian selten zu Hause gewesen, und als die Zwillinge volljährig wurden, hatten sie sich auf der Wasserwelt niedergelassen, um ein eigenes Heim zu gründen, selber Nachwuchs zu zeugen … mittlerweile hatten sie sogar Enkel.

Nach so langer Zeit und wegen des nur unregelmäßigen Kontakts waren Estes und Kagin für ihn buchstäblich Fremde. Als tags zuvor Vorians Militärabordnung eingetroffen war, hatte er sich beeilt, sie zu besuchen – und feststellen müssen, dass sie in der Vorwoche nach Salusa abgereist waren, um ihrer alten Mutter einen Besuch abzustatten. Er hatte nichts davon gewusst. Wieder war eine Gelegenheit verpasst worden.

Allerdings war keine der in den vergangenen Jahren erfolgten Zusammenkünfte allzu erfreulich abgelaufen. Jedes Mal hatten sich die Zwillinge als zuvorkommende Gastgeber erwiesen und sich mit ihrem Vater zu einem kurzen Abendessen zusammengesetzt, aber offensichtlich nicht recht gewusst, worüber sie mit ihm reden sollten. Bald hatten sich Estes und Kagin auf andere Pflichten berufen. Verlegen hatte Vorian ihnen die Hand geschüttelt und ihnen alles Gute gewünscht, ehe er sich wieder seinen militärischen Aufgaben widmete …

»Sie denken an die Vergangenheit, nicht wahr, Sir?« Abulurd war lange schweigsam geblieben und hatte seinem Oberkommandierenden lediglich stumme Aufmerksamkeit gezollt, schließlich jedoch die Geduld verloren.

»Ich kann nicht anders. Vielleicht sehe ich nicht so aus, aber vergessen Sie nicht, dass ich ein alter Mann bin.« Vorian runzelte die Stirn, während er einen Schluck Zincal trank, den beliebtesten caladanischen Wein. Bei seinem ersten Aufenthalt auf Caladan hatte er in der Hafenschenke, deren Inhaber Leronica und ihr Vater gewesen waren, nur ein bitteres Tang-Starkbier getrunken …

»Die Vergangenheit ist bedeutsam, Abulurd … und ebenso die Wahrheit.« Vorian wandte sich vom Panorama des Ozeans ab und seinem Adjutanten zu. »Ich wollte es Ihnen schon immer erzählen, aber ich musste warten, bis Sie alt genug sind. Nur werden Sie möglicherweise dafür nie erwachsen genug sein.«

Abulurd strich mit der Hand durch sein dunkelbraunes Haar, auf dem, genau wie bei seinem Großvater, zinnoberrot Glanzlichter schimmerten. Auch hatte der junge Mann das gleiche ansteckende Lächeln wie Xavier und die gleiche einnehmende Art, Menschen anzuschauen. »Ich bin stets an allem interessiert, was Sie mir vermitteln können, Oberkommandierender.«

»Mit manchen Erkenntnissen kann man sich nicht so leicht abfinden. Aber Sie verdienen es, Bescheid zu wissen. Was Sie danach damit anfangen, ist Ihre Sache.«

Abulurd blinzelte erstaunt. Das Suspensorrestaurant hielt mit seiner Seitwärtsbewegung inne und schwebte nun an einer vom Wasser geschwärzten Steilwand hinab, sank hinunter zur See und den Wogen, die gegen das Ufer anrollten.

»Es ist eine wirklich schwierige Angelegenheit«, fügte Vorian hinzu, nachdem er einen langen Seufzer ausgestoßen hatte. »Am besten trinken wir aus.« Er nahm noch einen tiefen Schluck Rotwein, stand auf und griff sich vom Fenstersims die Dienstmütze. Pflichtbewusst folgte Abulurd seinem Beispiel, nahm ebenfalls die Dienstmütze und ließ sein halb volles Glas stehen.

Nach Verlassen des Restaurants erklommen sie einen gewundenen, gepflasterten Fußweg, der zurück zum Rand der Klippe führte. Dort blieben sie zwischen vom Wind geformten Sträuchern und Schwaden weißer Blumen stehen. Salziger Wind kam auf, und die Männer mussten die Dienstmützen auf dem Kopf festhalten. Vorian deutete auf eine Sitzbank, die von Hecken als Windschutz umgeben war. Unter dem freien Himmel wirkte die Weite der Küstenlandschaft und der See riesig, aber an diesem besonderen Ort empfand Vorian ein Gefühl der Privatsphäre und der Bedeutsamkeit.

»Es ist höchste Zeit, dass Sie erfahren, was tatsächlich mit Ihrem Großvater geschehen ist«, sagte Vorian. Er hoffte aufrichtig, dass der junge Mann die bevorstehenden Enthüllungen beherzigte, und zwar umso mehr, als seine älteren Brüder es nie getan hatten, sondern die offizielle Dichtung der unbequemen Wahrheit vorzogen.

Abulurd schluckte schwer. »Ich kenne die Akten. Ich weiß, dass er der Schandfleck meiner Familie ist.«

Vorian verzog das Gesicht. »Xavier war ein guter Mensch und einer meiner besten Freunde. Manchmal besteht die historische Überlieferung leider nur aus billiger Propaganda.« Er stieß ein bitteres Lachen aus. »Ach, Sie hätten die Memoiren meines Vaters lesen sollen.«

Abulurd blickte ihn verwirrt an. »Sie sind der Einzige, der nicht auf den Namen Harkonnen spuckt. Ich … ich habe eigentlich nie angenommen, dass er wirklich so schrecklich war. Immerhin war er der Vater Manions des Unschuldigen.«

»Xavier hat uns nicht verraten. Er hat niemanden hintergangen. Der wahre Schurke war Iblis Ginjo, und Xavier hat sich aufgeopfert, um ihn unschädlich zu machen, bevor er noch mehr Unheil anrichten konnte. Es waren die Taten des Großen Patriarchen sowie der verrückte Friedensplan der Elfenbeinturm-Kogitoren, die Serenas Tod zur Folge hatten.«

Zornig ballte Vorian die Hände zu Fäusten. »Xavier Harkonnen hat vollbracht, was kein anderer zu tun bereit gewesen war, und dadurch hat er zumindest unsere Seelen gerettet. Er verdient die auf ihn gehäufte Schmach nicht. Aber um des Djihads willen war Xavier bereit, jedes Los auf sich zu nehmen, selbst den Dolchstoß der Geschichtsschreibung in seinen Rücken. Er wusste, wenn ein solches Ausmaß an Verderbtheit und Verrat im Innersten der Djihad-Bewegung selbst aufgedeckt würde, müsste sich der heilige Kreuzzug in Skandale und Gezänk auflösen. Wir hätten den eigentlichen Feind aus dem Blick verloren.«

Während er Abulurd musterte, traten Tränen in Vors Augen. »Und die ganze Zeit hindurch habe ich geduldet, dass … dass man meinen Freund als Verräter brandmarkt. Xavier war sich bewusst, dass der Djihad vor der persönlichen Entlastung den Vorrang einnimmt, aber ich bin es überdrüssig geworden, um die Wahrheit zu kämpfen, Abulurd. Bevor sie nach Corrin abflog, hatte Serena uns eine Mitteilung hinterlassen. Sie wusste, dass sie höchstwahrscheinlich in den Tod ging, in den Märtyrertod. Darin erklärte sie, warum persönliche Empfindungen hinter der Sache zurückstehen müssen. Xavier vertrat den gleichen Standpunkt, ihn hat es nie geschert, ob er Orden erhielt, ob man zu seinen Ehren Denkmäler errichtete oder wie die Geschichtsschreibung ihn einstufen würde.«

Vorian zwang sich dazu, die Finger zu lockern. »Xavier wusste genau, dass die meisten Menschen nicht verstehen würden, was er getan hatte. Die Position des Großen Patriarchen war zu stark, er stützte sich auf die mächtige Djipol und auf Propagandaspezialisten. Jahrzehntelang bastelte Iblis Ginjo an seinem Mythos, während Xavier nur ein Soldat war, der so tapfer kämpfte, wie er konnte. Als er herausfand, was Iblis mit einer weiteren menschlichen Kolonie anzustellen beabsichtigte, als er den Plan entdeckte, den der Große Patriarch mit den Tlulaxa hinsichtlich der Organfarmen ausgeheckt hatte –, wusste er, was er tun musste. Die Folgen kümmerten ihn nicht.«

Voller Faszination, mit einer Mischung aus Betroffenheit und Hoffnung, beobachtete Abulurd ihn. Der Adjutant wirkte plötzlich wieder sehr jung.

»Xavier war ein großer Mann, der eine notwendige Tat vollbracht hat.« Vorian hob matt die Schultern. »Es kam zu Iblis Ginjos Sturz, die Organfarmen der Tlulaxa wurden geschlossen, ihre verdorbenen Forscher auf schwarze Listen gesetzt und in alle Welt verstreut. Und der Djihad erlebte eine Erneuerung, die die letzten sechzig Jahre leidenschaftlichen Ringens zur Folge hatte.«

Abulurd wirkte immer noch verstört. »Aber was ist mit der Wahrheit? Wenn Sie wissen, dass mein Großvater zu Unrecht der Niedertracht beschuldigt wird, warum haben Sie nie versucht, die Vorwürfe zu widerlegen?«

Vorian schüttelte traurig den Kopf. »Niemand wollte auf mich hören. Das Aufsehen, das ich erregt hätte, wäre als Störung empfunden worden. Noch heute würde es unsere militärischen Anstrengungen beeinträchtigen, wenn wir mit dem Finger aufeinander zeigen und Gerechtigkeit verlangen würden. Familien würden die eine oder andere Partei ergreifen, man würde Blutrache schwören … Und währenddessen würde Omnius uns weiter bedrängen.«

Der junge Offizier schien mit dieser Erklärung keineswegs zufrieden zu sein, aber er sagte nichts dazu.

»Ich kann nachvollziehen, was Sie jetzt empfinden, Abulurd. Glauben Sie mir, Xavier hätte selbst niemals eine Revision der Geschichte zu seinen Gunsten angestrebt. Inzwischen ist viel, viel Zeit verstrichen. Ich bezweifle sehr, dass diese Dinge noch irgendjemand interessieren.«

»Mich interessieren sie sehr.«

Vorian bedachte ihn mit einem matten Lächeln. »Ja, und jetzt kennen Sie die Wahrheit.« Er lehnte sich auf der Sitzbank zurück. »Aber unser langer Kampf wird ausschließlich durch die dünnen Fäden des Heldentums und der Mythen zu einem gemeinsamen Anliegen. Die Überlieferungen um Serena Butler und Iblis Ginjo sind sorgsam ausgefeilt worden, und die Märtyrer-Jünger haben beide zu weit größeren Gestalten erhoben, als sie es jemals waren. Zum Wohl der Menschheit und für die Kraft des Djihad müssen sie unbefleckte Symbole bleiben. Gleiches gilt, obwohl er es nicht verdient, für den Großen Patriarchen.«

Dem jungen Adjutanten zitterte die Unterlippe. »Dann … dann war mein Großvater also gar kein Feigling?«

»Ganz und gar nicht. Ich würde ihn als Helden preisen.«

Abulurd senkte den Kopf. »Ich werde auch nie ein Feigling sein«, schwor er und wischte sich Tränen aus den Augen.

»Das ist mir klar, Abulurd. Außerdem sollen Sie wissen, dass Sie für mich wie ein Sohn sind. Es hat mich stolz gemacht, Xaviers Freund zu sein, und ebenso bin ich stolz darauf, Sie zu kennen.« Vor legte dem jungen Mann eine Hand auf die Schulter. »Vielleicht können wir dieses schreckliche Unrecht eines Tages rückgängig machen. Aber zuvor müssen wir Omnius vernichten.«

3

 

Eine Geburt auf dieser Scholle bedeutet die Geburt eines Kriegers.

Schwertmeister Istian Goss,

zu seinen Schülern

 

 

Die Djihad-Armee hatte geschworen, Honru den Denkmaschinen zu entreißen, ganz gleich, welchen Blutzoll es kosten sollte. Nach einem Jahrhundert des heiligen Krieges Serena Butlers hatten sich die Menschen an außerordentliche Opfergänge gewöhnt.

Quentin Butler, der Primero des Bataillons, stand auf der Kommandobrücke seines Flaggschiffs und betrachtete den von Omnius versklavten Planeten, der vor ihm im All schwebte. Im Angesicht des seelenlosen Gegners sprach er ein stummes Stoßgebet. Weil er vom Schlag eines derben Kriegshelden war, sah er älter aus als fünfundsechzig, obwohl er noch hellblondes Haar und wellige Locken hatte; die fein ausgeprägten Gesichtszüge – ein festes Kinn, schmale Lippen und eindringliche Augen – hätten nach einer klassischen Büste geformt worden sein können. Quentin befehligte die Offensive persönlich, beabsichtigte, die Djihadis hier am Ort einer der ersten, verheerendsten Niederlagen der Menschheit zum Sieg zu führen.

Vierhundert Ballista-Schlachtschiffe und über tausend Javelin-Zerstörer hatten um den Planeten, den einst, vor dem Honru-Massaker, freie Menschen bewohnt hatten, einen Ring drohender Vernichtung gezogen. Dieses Mal hatten die Denkmaschinen keinerlei Chance gegen Quentin und die Sache, der er sich verschworen hatte, ganz zu schweigen von der überwältigenden Feuerkraft, über die er verfügte.

In all den Jahren des Djihad hatten tapfere Menschenkrieger den Synchronisierten Welten kontinuierlich bedeutenden Schaden zugefügt, Roboter-Flotten zerstört und Maschinen-Vorposten eliminiert. Und dennoch hatte der Feind seine Streitkräfte ständig erneuert.

Der Primero, der Adrenalinschübe und den Nervenkitzel des Sieges gewohnt war, hatte während seiner langen militärischen Laufbahn schon zahlreiche heldenhafte Taten vollbracht. Viele Male hatte er siegreich inmitten der rauchenden Trümmer eines Schlachtfeldes gestanden. Dieses Triumphgefühls könnte er niemals überdrüssig werden.

»Omnius sollte einfach die Wahrscheinlichkeit berechnen und dann kurzerhand sämtliche Systeme abschalten«, sagte Faykan, Quentins ältester Sohn. »Das würde uns viel Zeit und Aufwand ersparen.« Faykan war noch hünenhafter als sein Vater und hatte Quentins gewellte Haare, aber von seiner Mutter Wandra die hohen Wangenknochen und hageren Gesichtszüge geerbt. Mit siebenunddreißig Jahren engagierte er sich voller Ehrgeiz sowohl im Militärdienst wie auch in der Liga-Politik.

Sein Bruder Rikov, der ebenfalls auf der Kommandobrücke des Flaggschiffs stand, schnaufte unwillig. »Sollte uns der Sieg so leicht zufallen, wäre er ja kaum eine anschließende Siegesfeier wert. Eine echte Herausforderung wäre mir lieber.« Rikov war nicht nur sieben Jahre jünger als sein Bruder, sondern auch einen Kopf kleiner, hatte breitere Schultern und ein kantigeres Kinn. Die vollen Lippen deuteten auf seine Harkonnen-Abkunft hin, doch kein Zeitgenosse wäre auf die Idee gekommen, ihn an diese Peinlichkeit zu erinnern.

»Ich gebe mich mit jedem Sieg zufrieden, der uns der Vernichtung der Maschinendämonen einen Schritt näher bringt.« Quentin drehte sich um und musterte die beiden kampflustigen Männer. »Meine Söhne werden noch genug Ruhm ernten können … und ein bisschen bleibt auch für mich übrig.«

Wegen der Folgen, die Abulurds Geburt für Wandra gehabt hatte, vermied er es häufig – allerdings unbewusst –, seinen Jüngsten zu erwähnen. Er dachte jedes Mal an seine geliebte Ehefrau, bevor er in die Schlacht zog. In einem Alter, in dem Frauen nur noch selten Kinder bekamen, war Wandra unbeabsichtigt schwanger geworden, und durch die komplizierte Entbindung hatte er sie verloren. In seiner Trauer hatte Quentin das neue Kind missachtet und seine komatöse Frau in den Frieden und die Abgeschiedenheit der Stadt der Introspektion gebracht, wo ihr ihre verehrte Tante Serena so viel Zeit der Kontemplation gewidmet hatte. Noch immer gab er Abulurd die Schuld an Wandras Verlust, denn obwohl ihm sein Gewissen sagte, dass er Abulurd Unrecht tat, wollte sein Herz es nicht glauben …

»Wollen wir Honru nur anstarren?«, fragte Rikov flapsig. Er wartete bereits am Ausgang. »Oder gehen wir endlich ans Werk?«

Die Unterkommandeure des Bataillons machten detaillierte Angaben zur Situation und meldeten die volle Bereitschaft zum Großangriff. Auf dem Planeten musste der Omnius-Allgeist das Verhängnis inzwischen erkannt haben. Ohne Zweifel hatten die Verteidigungssysteme und Kampfroboter den Einflug der Djihad-Flotte geortet, doch gegen dermaßen überlegene Streitkräfte blieben die Denkmaschinen machtlos. Für sie war das Desaster unabwendbar.

Quentin erhob sich aus dem Kommandosessel und lächelte geduldig über seinen eifrigen Sohn. Die Grundzüge des Schlachtplans waren in einem Kommandozentrum des fernen Zimia entwickelt worden, aber im Krieg konnte sich noch im letzten Moment alles ändern. »Wir schicken in zwei gesonderten Wellen fünfhundert Kindjal-Kampfjäger hinunter. Jeder trägt eine Ladung Störpuls-Bomben. Die schweren Atomwaffen setzen wir nur im äußersten Notfall ein. An erster Stelle ist ein Präzisionsschlag gegen den Allgeist-Nexus vorgesehen. Dann können Bodentruppen die Nebenstationen knacken. Uns stehen genügend Söldnereinheiten von Ginaz zur Verfügung.«

»Jawohl, Sir«, antworteten beide Männer.

»Faykan, du befehligst die erste, und du, Rikov, die zweite Welle. Ein paar hoch angesetzte Detonationen von Puls-Atomsprengkörpern dürften den Gelschaltkreis-Gehirnen hinlänglich zu schaffen machen, ohne die menschliche Population zu schädigen. Die Maschinen werden in beträchtlichem Umfang gelähmt, sodass die Bodentruppen ihnen den Rest geben können. Noch heute werden Honrus Bewohner frei sein.«

»Falls noch welche leben«, gab Rikov zu bedenken. »Seit der Besetzung Honrus durch die Maschinen sind fast neunzig Jahre vergangen.«

Faykans Miene zeigte grimmige Härte. »Falls Omnius sie alle getötet hat, haben wir umso mehr Grund zur Vergeltung. Dann hätte zumindest ich keine Vorbehalte, den Planeten durch ein atomares Bombardement in Schlacke zu verwandeln, so wie die Armada es mit der Erde gemacht hat.«

»Ob so oder so«, sagte Quentin, »die Stunde des Handelns ist gekommen.«

Der Primero faltete die Hände vor dem Gesicht zu der Geste, die halb Gebetsgebärde, halb militärischer Gruß war. Die Djihad-Kommandeure praktizierten sie seit der Ermordung Serena Butlers vor über fünfzig Jahren. Obwohl Quentin eigentlich mit seinen Söhnen sprach, wurde die Unterhaltung an das gesamte Bataillon übertragen – nicht nur zu Anfeuerungszwecken, sondern als Ausdruck seiner tatsächlichen Überzeugung. »Das Honru-Massaker war eines der finstersten Ereignisse der Anfangsgeschichte des Djihad. Heute werden wir das Blatt wenden und der Geschichte einen anderen Verlauf geben.«

Faykan und Rikov stiegen hinab aufs Hauptstartdeck des Flaggschiffs, um dort die Führung der beiden Kindjal-Angriffswellen zu übernehmen. Quentin Butler, der absolutes Vertrauen zu seinen Söhnen hatte, blieb auf der Kommandobrücke, um den Ablauf des Angriffs zu überwachen. Er betrachtete den üppig wirkenden Planeten auf dem Bildschirm, sah braun-grüne Kontinente, weiße Wolkenschwaden und dunkelblaue Flächen ausgedehnter Meere.

Zweifellos hatte Omnius' Unterwerfung des Planeten die Landschaft innerhalb der vergangenen neunzig Jahre drastisch verändert, Honrus schöne Wälder und Wiesen in einen industriellen Albtraum verwandelt. Versklavte Überlebende mussten den rücksichtslosen Denkmaschinen zwangsweise zu Diensten sein. Quentin ballte die Fäuste, flehte mit einem stillen Stoßgebet um Kraft. Mit hinreichend Zeit konnten solche Verwüstungen behoben werden. Der erste Schritt musste darin bestehen, den Planeten wieder unter die Herrschaft der Menschen zu bringen, das Honru-Massaker zu rächen …

Schon fünf Jahre, nachdem Serena Butler den Großen Djihad ausgerufen hatte, war durch eine Flotte von Liga-Kriegsschiffen versucht worden, die Synchronisierte Welt Honru zu befreien. Auf Drängen des Großen Patriarchen Ginjo hatte die gut bewaffnete Flotte voller Begeisterung Honru angeflogen. Doch niederträchtige Agenten der Denkmaschinen hatten die Verantwortlichen über die Stärke der um Honru versammelten feindlichen Streitmacht getäuscht.

Zehntausend Omnius-Raumschiffe hatten im Hinterhalt gelauert und die Liga-Flotte umzingelt. Die Djihad-Soldaten hatten mit verzweifelten Kampfmaßnahmen reagiert, doch die Djihad-Schlachtschiffe wurden schon im Orbit von Kamikaze-Roboterschiffen vernichtet. Auf Honrus Oberfläche waren die Bewohner vieler Orte, die auf Befreiung gehofft hatten, von Kampfroboter-Einheiten liquidiert worden.

Die beabsichtigte Befreiung Honrus hatte als vollkommener Fehlschlag geendet, war zu einem Gemetzel ausgeartet, dem kein einziges Liga-Kriegsschiff entkommen war. Neben den ungezählten Verlusten, die der Menschheit auf Honrus Oberfläche zugefügt wurden, kamen in dieser einen Schlacht über fünfhunderttausend Liga-Soldaten ums Leben.

Dieser Vergeltungsschlag ist längst überfällig, dachte Quentin.

»Kindjal-Geschwader sind gestartet, Primero«, meldete sein Lieutenant.

»Bodentruppen auf schnellen Vormarsch vorbereiten. Alles muss reibungslos ablaufen. Die Truppentransporter müssen unter dem Feuerschutz der Javelin-Zerstörer landen.« Quentin gestattete sich ein nüchternes, aber zuversichtliches Lächeln.

Fünfhundert Kindjal-Jäger schossen aus ihren Ballista-Mutterschiffen. Unterdessen sammelte sich Honrus Roboter-Flotte. Vom Planeten starteten Einheiten in den Orbit, andere Raumschiffe jagten von Außenposten am Rande des Sonnensystems heran.

»Gefechtsbereitschaft herstellen«, lautete Quentins nächster Befehl. »Alle Holtzman-Schilde aktivieren, sobald die Roboterschiffe Schussweite erreichen, keinen Augenblick früher.«

»Jawohl, Primero. Wir warten ab.«

Quentin war zuversichtlich, dass seine Flotte die Roboter-Kriegsschiffe abweisen konnte, sodass er seine Aufmerksamkeit hauptsächlich den Aktivitäten seiner Söhne widmete. Faykan und Rikov hatten die Kindjal-Geschwader unter sich aufgeteilt, und jeder befehligte seine Einheiten nach einem Operationsmuster eigenen Stils. Diese gemischte Taktik hatte sich in früheren Kampfhandlungen als überaus wirksam erwiesen. Heute sollten die längst berühmten Butler-Brüder der Liste ihrer Siege einen weiteren Triumph hinzufügen.

Quentin verspürte einen Stich in der Brust, als er sich wünschte, Wandra könnte jetzt ihre Jungen sehen. In ihrem Zustand nahm sie jedoch nicht mehr zur Kenntnis, was rings um sie geschah …

Vor achtzehn Jahren hatten Quentins zwei ältere Söhne Tränen über seine Wangen strömen gesehen, als sie ihre Mutter in der Stadt der Introspektion zurückgelassen hatten. Das war eine der wenigen Gelegenheiten gewesen, bei denen der Kriegsheld der Liga menschliche Schwäche gezeigt hatte.

»Egal wohin wir uns wenden, Vater«, hatte Faykan gesagt, »überall sehen wir zu viel Kummer.«

Aber Quentin hatte den Kopf geschüttelt. »Das sind keine Tränen des Leids oder der Trauer, mein Sohn.« Er hatte die beiden jungen Männer umarmt. »Es sind Tränen des Glücks über all das, was eure Mutter mir gegeben hat.«

Quentin hatte Wandra nie im Stich gelassen. Er besuchte sie jedes Mal, wenn er sich auf Salusa aufhielt, weil er in seinem Herzen die Gewissheit hegte, dass Wandra sich noch an ihn erinnerte. Wenn er ihren Pulsschlag und ihr Herz pochen fühlte, spürte er, dass es ihre Liebe war, die ihr Leben bewahrte. Während er weiter im Djihad kämpfte, widmete er jeden seiner Siege ihrem Andenken.

Nun hob er den Kopf, als erste aufgeregte Meldungen von Honru eintrafen, Funksprüche von Faykans und Rikovs Kindjal-Jägern, die auf Maschinen-Bastionen hinabstießen und sie mit einem Hagel von Puls-Bomben überschütteten, die Schübe destruktiver Holtzman-Energie abgaben.

»Alle Störsysteme sind eingesetzt, Primero«, meldete Faykan. »Die Hauptstadt ist reif für die zweite Phase.«

Quentin lächelte. Im Orbit kam es zu ersten Scharmützeln zwischen Djihad-Kriegsschiffen und Roboter-Raumschiffen, die, solange sich die Holtzman-Schilde nicht überhitzten, eher ein Ärgernis als eine echte Bedrohung waren.

Er gruppierte seine Truppen um. »Javelin-Zerstörer gehen auf Abwärtskurs in die Atmosphäre. Gesamte Artillerie vorbereiten zum Höhenbombardement. Die Stoßtrupps von Ginaz sollen mit Pulsschwertern in die Hauptstadt eindringen. Ich erwarte, dass der Maschinenwiderstand vollständig gebrochen wird.«

Seine Unterkommandeure bestätigten den Erhalt des Befehls, und der Primero lehnte sich im Kommandosessel zurück, während die riesigen Liga-Kriegsschiffe auf Honru zuhielten, um den Sieg zu vollenden.

 

Quentin Butlers gepanzerter Wagen wälzte sich durch den Schutt der Maschinen-Hauptstadt und beförderte den siegreichen Oberkommandierenden. Sein Blick schweifte über die Verwüstungen, und er beklagte stumm die Verunstaltung eines einst so wundervollen Planeten. In einer früher landwirtschaftlich genutzten Gegend hatten sich Fabriken und andere Industrieanlagen ausgebreitet.

In den Straßen liefen befreite menschliche Sklaven benommen umher, suchten Unterschlupf, flohen aus Quartieren, verließen Zwangsarbeitsplätze, an denen Wachroboter standen, die durch das Puls-Bombardement lahm gelegt worden waren.

Quentin fühlte sich an die Befreiung Parmentiers erinnert, die ihm am Anfang seiner militärischen Laufbahn gelungen war. Auf diesem Planeten hatte die leidgeprüfte Bevölkerung zunächst gar nicht an die völlig Zerschlagung der Maschinendiktatur glauben können. Heute jedoch, in den Jahren des Aufschwungs, nachdem er das zeitweilige Gouverneursamt des wiedereroberten Planeten an Rikov abgetreten hatte, verehrten Parmentiers Bewohner Quentin und die Butler-Brüder als Heilsbringer.

Aber die Überlebenden von Honru jubelten und lärmten nicht, anders als Quentin es erwartet hatte; vielmehr erweckten sie den Eindruck, völlig perplex zu sein. Sie wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten.

Gruppen scharfäugiger Söldner und Schwertmeister hasteten in die letzten Gefechtszonen. Ihre Unabhängigkeit verhinderte, dass sie jemals zu gut organisierten militärischen Verbänden zusammengeschlossen werden konnten, doch gaben die Söldner tüchtige Einzelkämpfer und erstklassige Stoßtrupps ab. Sie zerstörten jeden noch funktionsfähigen Roboter.

Die ungeschützten Arbeits- und Wachroboter, die der Allgeist als entbehrlich einstufte, waren durch das einleitende Puls-Bombardement außer Betrieb gesetzt worden. Jetzt allerdings griffen Kampfmeks ein und leisteten, obwohl sie eindeutig Anzeichen der Beeinträchtigung und Desorientierung zeigten, hartnäckig Gegenwehr. Die flinken und gefährlichen Söldner schwangen ihre Pulsschwerter und rangen die Gegner nacheinander nieder.

Aus seinem Befehlsfahrzeug, das durch die Trümmer holperte, konnte Quentin die befestigte Zitadelle sehen, durch die Omnius den Kontakt zur Stadt aufrechterhielt. Um zu diesem Hauptziel des Großangriffs vorzustoßen, kämpften die Söldner von Ginaz wie ein Wirbelwind und rückten der Zitadelle ungeachtet jeder Gefahr immer näher.

Quentin seufzte auf. Wenn er nur mehr solche Männer vor fünfzehn Jahren während der zweiten Abwehrschlacht um Ix gehabt hätte, wären den Kämpfen nicht so viele Soldaten und Zivilisten zum Opfer gefallen. Getreu dem Schwur, dass Omnius keine Welt, die von der Djihad-Armee befreit worden war, ein zweites Mal einnehmen sollte, hatte Quentin die Maschinen-Offensive um einen furchtbaren, aber unvermeidbaren Blutzoll zurückgeschlagen. Er selbst hatte in einem unterirdischen, durch Einsturz entstandenen Hohlraum festgesessen, war lebendig begraben gewesen, ehe man ihn gerettet hatte … Die damalige Schlacht hatte seinen Ruf als Held gefestigt und ihm mehr Ehrungen eingebracht, als er zu würdigen wusste.

Nun erschien ein weiterer Haufen zerlumpter Menschen auf dem Schauplatz des Geschehens, während die Söldner Honrus Hauptstadt stürmten. Überrascht sah er, dass diese Leute Fahnen trugen, die sie aus Tüchern, Farbe und sonstigen Materialien, die in der Stadt greifbar waren, hastig hergestellt hatten. Sie sangen und jubelten, riefen den Namen der Märtyrerin Serena Butler. Obwohl sie kaum wirksame Waffen hatten, warfen sie sich todesmutig ins Gefecht.

Von seinem Befehlsfahrzeug aus hielt Quentin sie unter Beobachtung. Märtyrer-Jüngern war er schon früher begegnet.

Offenbar hatten sogar hier auf Honru die versklavten und unterdrückten Menschen im Flüsterton die Namen der Priesterin des Djihad, ihres ermordeten Kindes sowie des ersten Großen Patriarchen ausgesprochen. Aktuelle Nachrichten waren vermutlich durch neue Gefangene von kürzlich eroberten Liga-Welten zu ihnen gelangt. In der Knechtschaft hatten sie insgeheim zu den Drei Märtyrern gebetet und darauf gehofft, dass Engel vom Himmel herabstiegen und Omnius zerschmetterten. Auf Unverbündeten Planeten, freien Liga-Welten und selbst unter Omnius' Despotie – überall schworen die Menschen, sich für die große Sache der Menschheit zu opfern, so wie es Serena, Manion der Unschuldige und Iblis Ginjo getan hatten.

Schwungvoll drangen die Märtyrer-Jünger vor, stürzten sich auf die restlichen Maschinen, zerschlugen gelähmte Arbeitsdrohnen oder legten sich sogar mit Kampfmeks an. Nach Quentins überschlägiger Schätzung starben für jeden Roboter, den sie zerstörten, fünf Fanatiker, aber sie ließen sich dadurch nicht beirren. Der Primero hatte nur eine Möglichkeit, ihnen noch mehr Verluste zu ersparen, nämlich die Schlacht schleunigst siegreich zu beenden; und dazu musste Omnius in der zentralen Zitadelle bezwungen werden.

Falls alles nichts half, blieb Quentin nur noch die Option, über der Hauptstadt starke Puls-Atomwaffen zu zünden. Durch diese Sprengkörper würde die Zitadelle augenblicklich pulverisiert und den Denkmaschinen die Kontrolle über Honru entrissen werden … allerdings kämen auch die menschlichen Bewohner der Hauptstadt zu Tode. Um einen solchen Preis wollte Quentin keinen Sieg erringen. Jedenfalls nicht, solange er noch andere Alternativen hatte.

Nach Abschluss der Kindjal-Einsätze fanden sich Rikov und Faykan im Befehlsfahrzeug ihres Vaters ein und erstatteten ihm Meldung. Als sie die Märtyrer-Jünger gesehen hatten, waren die Butler-Brüder zur gleichen Schlussfolgerung gelangt. »Wir müssen ein Spezialkommando hineinschicken, Vater«, sagte Rikov, »und zwar unverzüglich.«

»Auf dem Schlachtfeld bin ich nicht dein Vater, sondern dein Primero«, stellte Quentin klar. »Also hast du mich als solchen anzureden.«

»Jawohl, Sir.«

»Trotzdem hat er Recht«, sagte Faykan. »Bitte um Erlaubnis, mit einer Gruppe Söldner einen Vorstoß direkt in die Zitadelle durchzuführen. Wir nehmen Sprengstoff mit und jagen den Allgeist in die Luft.«

»Nein, Faykan. Du bist jetzt ein befehlshabender Offizier und kein draufgängerischer Soldat mehr. Überlass derartige Abenteuer deinen Untergebenen.«

»Dann möchte ich die Söldner auswählen, Sir«, ergriff Rikov wieder das Wort. »Ich führe sie selbst an, und innerhalb einer Stunde fällt die Zitadelle.«

Quentin schüttelte den Kopf. »Die Söldner kennen ihre Aufgabe und verstehen ihr Handwerk.«

Kaum war diese Antwort über die Lippen des Primero gekommen, dröhnte eine gewaltige Explosion durch die entfernteren Stadtviertel. Ein blendend greller Blitz schoss aus der Allgeist-Zitadelle, die zu Staub zerbarst, und die Schockwelle fegte in wachsendem Umkreis auch die benachbarten Gebäude nieder. Nach der Detonation sank die riesige Qualm- und Staubwolke langsam in sich zusammen. Von der Allgeist-Festung blieb nicht das kleinste Stück Schrott übrig.

Gleich darauf erschien der Anführer der Söldner von Ginaz vor dem Befehlsfahrzeug. »Das Übel ist ausgemerzt, Primero.«

Quentin grinste. »So ist es.« Er ergriff Faykan und Rikov an den Händen und streckte sie in einer Gebärde des Triumphs in die Höhe. »Wir krönen den Tag mit einem glänzenden Erfolg und erneuten Teilsieg über Omnius.«

4

 

Der Weg zum Sieg führt nicht immer geradeaus.

Tlaloc, Zeit der Titanen

 

 

Als über dem Cymek-Bollwerk auf Richese eine weitere Omnius-Kriegsflotte auftauchte, stöhnte Agamemnon über die starrsinnige Narretei des Allgeistes. »Wenn sein Gelschaltkreis-Gehirn so leistungsfähig ist, wie es ihm nachgesagt wird, wie kommt es dann, dass Omnius nichts dazulernt?« Die synthetisierte Stimme des Generals, die aus den Lautsprechern seines beeindruckenden Aktionskörpers drang, enthielt einen unmissverständlichen Unterton der Verärgerung.

Er erwartete gar nicht, dass die Roboter-Geisel ihm antwortete. »Beharrlichkeit ist den Denkmaschinen häufig von Vorteil«, sagte Seurat dennoch. »Sie hat uns im Laufe der Jahrhunderte, wie Ihr genau wisst, General Agamemnon, zu vielen Siegen verholfen.«

Trotz Seurats vordergründiger Fügsamkeit – er war nun einmal ein verdammter Roboter, auch wenn er ein autonomer war – blieben seine Antworten und Ratschläge nutzlos. Man hätte meinen können, dass er mit seinen Cymek-Herren ein Spiel trieb, so listig verweigerte er Aussagen, verschwieg er wichtige Informationen. Nach über fünfzig Jahren war es mehr als enttäuschend. Aber noch konnte Agamemnon ihn nicht eliminieren.

Wütend über die Roboterflotte, die sich dem Planeten näherte, stapfte der Titanen-General durch den weiten, offenen Saal. Der krabbenähnliche Laufkörper hatte erheblich größere Ausmaße als die Körper, die er als Omnius' Schoßhund hatte verwenden dürfen, bevor er und die überlebenden Titanen rebelliert und das Joch der Synchronisierten Welten abgeschüttelt hatten. Nachdem die Denkmaschinen auf Bela Tegeuse durch ein Computervirus – unwissentlich von Seurat selbst übertragen – unschädlich gemacht worden waren, hatten Agamemnon und seine Cymeks den Planeten für sich beansprucht und anschließend Richese eingenommen, wo sie ihre gegenwärtige Operationsbasis eingerichtet hatten.

Der General murrte. »Es ist jetzt das siebte Mal, dass Omnius eine Flotte zu uns oder nach Bela Tegeuse schickt. Bisher haben wir ihn jedes Mal zurückgeschlagen, und er weiß, dass uns die Störfeld-Technik zur Verfügung steht. Anscheinend hängt er in einer Rückkopplungsschleife fest und ist nicht dazu imstande, von uns abzulassen und sich mit etwas anderem zu befassen.« Allerdings verschwieg er, dass diese Flotte wesentlich größer war als die Verbände, die Omnius zuvor gegen Richese aufgeboten hatte. Vielleicht lernt er doch dazu …

Seurats glattes Kupfergesicht bewahrte stets gelassene Ausdruckslosigkeit. »Eure Cymeks haben zahlreiche von Omnius' Update-Sphären zerstört und damit den Synchronisierten Welten beachtlichen Schaden zugefügt. Deshalb muss Omnius handeln, bis er das gewünschte Resultat erzielt.«

»Es wäre mir lieber, er würde seine Zeit darauf verwenden, stattdessen die Hrethgir zu bekämpfen. Dann würden sich das menschliche Ungeziefer und die Omnius-Streitkräfte möglicherweise gegenseitig vernichten und uns allen einen großen Gefallen erweisen.«

»Das würde ich keinesfalls als Gefälligkeit einstufen«, sagte Seurat.

Angewidert stapfte Agamemnon auf seinen verstärkten Kolbenbeinen davon. Inzwischen heulten automatisch aktivierte Alarmsirenen. »Ich weiß wirklich nicht, weshalb ich dich nicht einfach demontiere.«

»Auch ich verstehe es nicht. Vielleicht sollten wir gemeinsam über die Lösung dieses Rätsels nachdenken.«

Seine wahren Überlegungen hatte der Titanen-General Seurat niemals offenbart. Er hatte den unabhängigen Roboter als Gefangenen genommen, weil Seurat früher viel Zeit mit Vorian Atreides verbracht hatte, Agamemnons verräterischem Sohn. Vorian war menschlicher Trustee der Denkmaschinen gewesen, hatte Vorteile und große Macht genossen. Aber für die Liebe einer Frau, für Serena Butler, hatte er alles aufgegeben, war den Denkmaschinen abtrünnig geworden und zu den freien Menschen übergelaufen.

Viele Jahre lang hatte der Titanen-General sich nicht erklären können, wieso Vorian dazu fähig gewesen war, den eigenen Vater zu hintergehen. Agamemnon hatte so große Hoffnungen in ihn gesetzt, so viele Pläne geschmiedet. Es war seine Absicht gewesen, auch Vorian in einen Cymek zu konvertieren, einen würdigen Nachfolger der Titanen. Jetzt hatte der General hinsichtlich der Fortpflanzung keinerlei Optionen mehr. Er konnte keinen Nachwuchs mehr zeugen …

Theoretisch hätte Seurat durchaus gewisse Einsichten in Vorians Denk- und Handlungsweise vermitteln können. »Möchtet Ihr einen Witz hören, General Agamemnon? Euer Sohn hat ihn mir vor vielen Jahren erzählt. Wie viele Hrethgir sind nötig, um einen Gehirnbehälter zu füllen?«

Der Titan verharrte unter dem Torbogen des Ausgangs. War das der Grund, warum er den Roboter in seiner Nähe duldete – um Anekdoten aus vergangenen Zeiten zu hören, in denen Vorian noch als sein Copilot an Bord der Dream Voyager fungiert hatte? Derartiger Unfug wäre eine Schwäche, die Agamemnon sich unmöglich leisten durfte.

»Dafür bin ich jetzt nicht in der Stimmung, Seurat. Ich muss einen Angriff vereiteln.« Zweifellos sammelten die Cymeks schon ihre Streitkräfte und starteten Kampfschiffe. Er beschloss endgültig, den unabhängigen Roboter zu verschrotten, sobald er diese lästige Omnius-Flotte abgewehrt hatte, und einen Neuanfang zu wagen.

Im Kontrollzentrum arbeitete Dante, einer der drei verbliebenen Titanen, an Kommunikations- und sonstigen Anlagen des Richese-Stützpunkts. »Inzwischen haben sie ihren Aufruf fünfmal durchgegeben. Er hat den gleichen Wortlaut wie beim letzten Versuch. Sie erwarten, dass wir kapitulieren.«

»Ich hör es mir noch einmal an«, sagte Agamemnon.

Aus den Lautsprechern drang eine monotone Stimme. »An die Titanen Agamemnon, Juno und Dante: Eure Cymek-Rebellion hat den Synchronisierten Welten Schäden verursacht. Diese Bedrohung muss beseitigt werden. Omnius hat den Befehl zu eurer unverzüglichen Gefangennahme und der Vernichtung eurer Anhänger ausgegeben.«

»Glauben sie etwa, wir müssten Gewissensbisse haben?«, sagte Agamemnon. »Und Juno ist gar nicht hier.« Seine geliebte Gefährtin regierte schon seit Jahren als Königin auf Bela Tegeuse.

Dante bewegte seinen Laufkörper auf seltsam menschliche Weise, als wollte er mit den Schultern zucken. »Tausend Jahre lang hat Omnius uns gestattet, den Denkmaschinen zu Diensten zu sein. Vermutlich ist das für ihn die Berechnungsgrundlage, nach der wir ihm zur Dankbarkeit verpflichtet sein sollten.«

»Ich glaube, du eignest dir Seurats Humor an. Ist Beowulf bereit? Falls wir in Schwierigkeiten geraten, möchte ich, dass er die Hauptlast der Kampfhandlungen trägt.«

»Seine Flotte ist in Bereitschaft.«

»Alles entbehrliche Cymeks und mit Störfeld-Minen bewaffnet?«

»Ja, ausschließlich Neos, die klare Anweisungen erhalten haben.«

Aus den Reihen der einst versklavten Bevölkerungen Richeses und Bela Tegeuses waren Neo-Cymeks rekrutiert worden. Mittels Präzisionschirurgie waren Gehirne von Freiwilligen aus schwachen menschlichen Leibern in mechanische Aktionskörper verpflanzt worden. Jedoch hatten sich die stets argwöhnischen und wachsamen Titanen die Treue ihrer Konvertiten gesichert, indem sie Sabotageschaltungen in die Lebenserhaltungssysteme einbauten, die den Ausfall dieser Systeme bewirkten, wenn die Titanen den Tod fanden. Selbst die Neos auf entlegenen Cymek-Planeten mussten mindestens alle zwei Jahre ein Reset-Signal empfangen, andernfalls war ihr Untergang besiegelt. Fielen der General und seine zwei Gefährten einem Attentat zum Opfer, wäre auch das Ende sämtlicher Neo-Cymeks garantiert. Diese Vorkehrung beugte nicht nur effektiv jeglichem Verrat vor, sondern erweckte zudem bei den Neos den fanatischen Willen, Agamemnon, Juno und Dante zu beschützen.

Der General murrte unwillig. »Ich weiß wirklich nicht, ob ich auf Beowulfs Überleben oder seine Vernichtung hoffe. Mir ist schlichtweg nicht klar, was ich mit ihm anfangen soll.« Er stapfte auf seinen Metallbeinen hin und her und harrte der kommenden Ereignisse.

Beowulf war der erste Neo-Cymek gewesen, der sich dem Aufstand der Titanen gegen Omnius angeschlossen hatte. Bei einem Angriff auf die Rossak-Zauberin Zufa Cenva und den Geschäftsmann Aurelius Venport, dem Informationen eines menschlichen Spions der Denkmaschinen zugrunde gelegen hatten, waren Beowulf schwere Beschädigungen zugefügt worden. Zwar konnte ein mechanischer Körper leicht repariert oder ersetzt werden, aber auch das Gehirn des Neo-Cymeks hatte Beeinträchtigungen erlitten. Die Titanen gewährten ihm Rückhalt, doch der fehlerhaft und ungeschickt gewordene Beowulf war längst mehr eine Last als eine Hilfe.

»Ich glaube, ich fliege selbst hinauf. Ist für meinen Konservierungsbehälter ein Kampfschiff abkömmlich?«

»Jederzeit, General Agamemnon. Soll ich den Maschinen eine Antwort funken?«

»Unsere Störfeld-Minen dürften als Antwort vollauf genügen.«

Agamemnon marschierte aufs Startfeld hinaus. Maschinenarme lösten den Schutzbehälter und versetzten sein Gehirn vom Aktionskörper in einen Kranz von Steuerelementen, die Elektroden an die Sensoren koppelten, die sein Bewusstsein mit Sinnesdaten versorgten. Als der General mit dem stromlinienförmigen Kampfschiff in den Orbit startete, fühlte er sich wie ein Athlet, der rohe Kraft versprühte.

Die dicht gedrängte Denkmaschinen-Flotte folgte einer vorhersehbaren Taktik. Agamemnon war es überdrüssig geworden, sich die Unheilverkündigungen der Kampfroboter anzuhören. Sicher, die Roboter-Flotten konnten erhebliche Schäden anrichten, praktisch alles zerstören, aber Omnius war nicht imstande, die Titanen zu töten. Erwartete er tatsächlich, dass die Cymeks einfach aufgaben und sich gewissermaßen selbst die Kehle durchschnitten?

So zuversichtlich jedoch, wie der General tat, war er in Wirklichkeit nicht. Diese Roboter-Flotte war bedeutend größer als die bisher ausgesandten Verbände. Um sie zu schlagen, musste er eine beträchtliche Schwächung der Abwehrmittel der Cymeks in Kauf nehmen.

Hätten die Hrethgir den Allgeist nicht mit so vielen aggressiven Attacken abgelenkt, wäre es für Agamemnons Rebellen unmöglich gewesen, sich gegen Omnius' militärische Macht zu behaupten – nicht einmal gegen das menschliche Ungeziefer. Jeder dieser beiden Gegner hätte Streitkräfte in überwältigender Stärke entsenden können. Insgeheim sah der General ein, dass die Lage auf Richese immer schneller unhaltbar wurde.

Sobald er im Weltraum zu den übrigen Cymek-Raumschiffen gestoßen war, flitzten aus der Deckung der Nachtseite Richeses Scout-Sonden hervor, um die Robot-Flotte auszukundschaften.

»Sie … sie … sie bereiten sich zum … zum … zum Angriff vor«, meldete Beowulf in langsamem Gestammel, das einen in den Wahnsinn treiben konnte. Der hirngeschädigte Neo konnte nur noch dermaßen verworrene Überlegungen anstellen, dass er über seine Gedankenempfänger-Elektroden keine klaren Signale mehr senden konnte. Er war kaum noch in der Lage, seinen Laufkörper auf festem Boden geradeaus zu lenken oder den Zusammenstoß mit Hindernissen zu vermeiden.

»Ich übernehme das Kommando«, sagte Agamemnon. Es hat keinen Sinn, Zeit zu vergeuden.

»Ver… ver… verstanden.« Wenigstens versuchte Beowulf nicht vorzuspiegeln, er hätte noch irgendwelche höheren Geistesgaben oder Fähigkeiten.

»Ausschwärmen in zufälliger Verteilung. Feuer mit Puls-Projektilen eröffnen.«