9,99 €
Geheimnisse sind ein wichtiger Aspekt der Macht
Wladimir Harkonnen, Oberhaupt einer der mächtigsten Familien im Universum, was einst ein wunderschöner Mann – bevor ein Fluch der Bene Gesserit ihn traf und ihn mit einer schrecklichen Krankheit strafte. Rücksichtslos setzt er alles daran, geheilt zu werden, und zwingt den talentierten Arzt Dr. Yueh durch Erpressung, ihm zu helfen. Sein Neffe regiert unterdessen auf Arrakis mit eiserner Faust – und bemerkt nicht, was sich in den endlosen Wüsten langsam regt …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 1133
BRIAN HERBERT &
KEVIN J. ANDERSON
DAS
HAUS HARKONNEN
Ein Roman aus dem Wüstenplanet-Zyklus
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Mit dem Wüstenplanet-Zyklus hat Frank Herbert eine Zukunftssaga geschaffen, die in ihrer epischen Wucht und ihrem außerordentlichen Detailreichtum nur mit J. R. R. Tolkiens »Herr der Ringe« zu vergleichen ist. Nach dem Tod des Autors 1986 schien diese Saga – zum Bedauern von Millionen von Leserinnen und Lesern rund um die Welt – zu einem Abschluss gekommen zu sein.
Doch nun geht das Abenteuer weiter: Gestützt auf den umfangreichen Nachlass seines Vaters und gemeinsam mit dem bekannten Star-Wars-Autor Kevin J. Anderson, erzählt Frank Herberts Sohn Brian Herbert die unmittelbare Vorgeschichte dieses atemberaubenden Epos und beleuchtet jene Charaktere, Motive und Konflikte, die zu den Ereignissen in »Der Wüstenplanet« führen: die brutale Unterdrückung des Technikplaneten Ix durch die Tleilaxu und der heldenhafte Widerstand seiner versklavten Bewohner, der feige Anschlag auf Herzog Leto Atreides, bei dem sein kleiner Sohn Victor den Tod findet, und das grausame Regiment Baron Wladimir Harkonnens und seines Neffen Glossu Rabban über die von ihnen beherrschten Planeten, zu denen auch Arrakis, der Wüstenplanet, gehört …
Brian Herbert, der Sohn des 1986 verstorbenen Wüstenplanet-Schöpfers Frank Herbert, hat selbst SF-Romane verfasst, darunter den in Zusammenarbeit mit seinem Vater entstandenen »Mann zweier Welten«.
Kevin J. Anderson ist einer der meistgelesenen SF-Autoren unserer Zeit. Die Auflage seiner Bücher, darunter zahlreiche »Star Wars«- und »Akte X«-Romane, beträgt weltweit über 12 Millionen Exemplare.
Eine chronologische Liste des Wüstenplanet-Zyklus finden Sie am Ende dieses Buches.
www.diezukunft.de
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Titel der Originalausgabe
DUNE: HOUSE HARKONNEN
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen
Überarbeitete Neuausgabe
Copyright © 2000 by Herbert Limited Partnership
Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlagbild: Frank M. Lewecke
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München
Satz: Thomas Menne
ISBN 978-3-641-21016-8V002
Für unseren gemeinsamen Freund Ed Kramer,
ohne den dieses Projekt
niemals verwirklicht worden wäre.
Er gab den Anstoß,
der uns zusammenbrachte.
Jan Herbert, in Anerkennung ihrer unerschöpflichen Hingabe und beständigen kreativen Unterstützung.
Penny Merritt, für ihre Hilfe bei der Verwaltung des literarischen Erbes ihres Vaters Frank Herbert.
Rebecca Moesta Anderson, die mit ihrer unermüdlichen Unterstützung und Begeisterung, ihren Ideen, ihrer Phantasie und ihrem scharfen Auge für eine Verbesserung dieses Projekts sorgte.
Robert Gottlieb und Matt Bialer von der Agentur William Morris, Mary Alice Kier und Anna Cottle von Cine/Lit Representation, deren Zuversicht und Engagement niemals nachließen und die das Potenzial des Projekts erkannten.
Irwyn Applebaum und Nita Taublib im Verlag Bantam, die ein solch gewaltiges Unterfangen mit Begeisterung unterstützten.
Pat LoBrutto, der mit seinem Engagement für dieses Projekt von Anfang an dafür sorgte, dass wir bei der Stange blieben. Er brachte uns zum Nachdenken über Möglichkeiten und Handlungsfäden, wodurch Der Wüstenplanet – Das Haus Harkonnen noch stärker und komplexer wurde.
Anne Lesley Groell und Mike Shohl, die als Redakteure die Zügel übernahmen und ausgezeichnete Vorschläge machten – sogar noch in letzter Minute.
Carolyn Caughey, unsere britische Herausgeberin, die immer noch Dinge fand, die allen anderen entgangen waren, für ihre Vorschläge zu kleineren und größeren Details.
Anne Gregory für die redaktionelle Arbeit an einer Auslandsausgabe von Der Wüstenplanet – Das Haus Atreides, die zu spät erschien, um sie noch in die Danksagungen aufnehmen zu können.
Wie immer danken wir Catherine Sidor von WordFire Inc., die unermüdlich zahlreiche Mikrokassetten transkribierte und viele hundert Seiten tippte, um mit unserem manischen Arbeitstempo Schritt zu halten. Ihre Hilfe in allen Stadien dieses Projekts hat uns geholfen, nicht den Verstand zu verlieren. Trotzdem erzählt sie allen Leuten, wir seien sehr organisiert.
Diane E. Jones und Diane Davis Herdt, die als Testleser und Versuchskaninchen schufteten, uns ehrlich ihre Meinung sagten und zusätzliche Szenen vorschlugen, die diesem Buch zugute kamen.
Die Herbert Limited Partnership, bestehend aus Ron Merritt, David Merritt, Byron Merritt, Julie Herbert, Robert Merritt, Kimberly Herbert, Margaux Herbert und Theresa Shackelford, die uns begeistert unterstützten und uns die Fortsetzung der großartigen Vision Frank Herberts anvertrauten.
Beverly Herbert, für nahezu vierzig Jahre der treuen Unterstützung ihres Mannes.
Und am meisten danken wir Frank Herbert, dessen Genie ein solch wundersames Universum schuf, das wir nun gemeinsam immer tiefer erkunden können.
Entdeckungen sind gefährlich … genauso gefährlich wie das Leben. Wer nicht bereit ist, Risiken einzugehen, ist dazu verdammt, niemals zu lernen, niemals zu wachsen, niemals zu leben.
Der Planetologe Pardot Kynes,
Eine Arrakis-Fibel,
geschrieben für seinen Sohn Liet
Als sich der Sandsturm heulend von Süden näherte, war Pardot Kynes mehr daran interessiert, meteorologische Daten zu sammeln, als sich in Sicherheit zu bringen. Sein Sohn Liet – erst zwölf Jahre alt, aber bereits ein erfahrenes Kind der Wüste – musterte die uralte Wetterkapsel, die sie in der verlassenen botanischen Teststation gefunden hatten. Er schien nicht davon überzeugt zu sein, dass die Maschine noch funktionstüchtig war.
Dann schaute Liet wieder über das Meer der Dünen auf den anrückenden Sturm. »Der Wind des Dämons in der offenen Wüste. Hulasikali Wala.« Und fast instinktiv überprüfte er die Einstellungen seines Destillanzugs.
»Ein Coriolissturm«, korrigierte Kynes die Fremen-Bezeichnung, die sein Sohn gewählt hatte, mit dem wissenschaftlichen Begriff. »Luftbewegungen über den offenen Ebenen, die durch die Rotation des Planeten verstärkt werden. Die Böen können Geschwindigkeiten bis zu siebenhundert Kilometern pro Stunde erreichen.«
Während sein Vater sprach, war der junge Mann damit beschäftigt, die eiförmige Wetterkapsel zu versiegeln, die Luftventile, die schwere Einstiegsluke und die eingelagerten Notvorräte zu überprüfen. Den Signalgenerator und Notsender beachtete er nicht weiter, da die statischen Störungen des Sandsturms jede Sendung in elektromagnetische Schnipsel zerfetzen würden.
In einer behüteteren Gesellschaft hätte man Liet als kleinen Jungen betrachtet, doch das Leben unter den abgehärteten Fremen hatte ihn bereits erwachsener als manche andere gemacht, die doppelt so alt wie er waren. Er konnte besser mit einer Notsituation umgehen als sein Vater.
Der ältere Kynes kratzte sich im sandgrauen Bart. »Ein großer Sturm wie dieser kann sich über vier Längengrade erstrecken.« Er schaltete die blassen Bildschirme der Analysegeräte in der Kapsel ein. »Er befördert Staubteilchen bis in eine Höhe von zweitausend Metern und hält sie in der Atmosphäre, sodass noch lange nach dem Sturm Sand vom Himmel rieselt.«
Liet rüttelte noch einmal an der Luke, um sich zu vergewissern, dass sie dem Sturm standhalten würde. »Die Fremen bezeichnen es als El-Sayal, den ›Sandregen‹.«
»Wenn du eines Tages zum Planetologen geworden bist, musst du die korrekten Fachbegriffe benutzen«, sagte Pardot Kynes in dozierendem Tonfall. »Ich schicke dem Imperator immer noch Berichte, wenn auch nicht so häufig, wie ich sollte. Ich glaube ohnehin nicht, dass er sie tatsächlich liest.« Er tippte auf ein Instrument. »Ah, es scheint, dass die meteorologische Front uns beinahe erreicht hat.«
Liet nahm die Abdeckung eines Sichtfensters ab und betrachtete die näher kommende weiß-braune Wand. »Ein Planetologe muss nicht nur wissenschaftliche Begriffe, sondern auch seine Augen benutzen. Schau mal aus dem Fenster, Vater.«
Kynes blickte seinen Sohn lächelnd an. »Es ist Zeit, die Kapsel zu starten.« Er weckte die Maschinen aus ihrem langen Schlaf und schaffte es, die beiden Suspensor-Staffeln in Betrieb zu nehmen. Die Kapsel stemmte sich gegen die Schwerkraft und löste sich schließlich vom Boden.
Das Maul des Sturmes schoss auf sie zu, und Liet schob die Abdeckung zurück, in der Hoffnung, dass der uralte meteorologische Apparat nicht auseinander fiel. Er hatte großes Vertrauen in die intuitiven Fähigkeiten seines Vaters, aber nicht in seine praktische Begabung.
Die eiförmige Kapsel stieg mithilfe der Suspensoren ohne Schwierigkeiten auf und schüttelte sich in den ersten Böen. »So!«, sagte Kynes. »Jetzt können wir mit der Arbeit beginnen …«
Der Sturm traf sie wie der Schlag einer riesigen Keule und schleuderte sie hoch in den Mahlstrom hinauf.
Einige Tage zuvor waren Pardot Kynes und sein Sohn während einer Exkursion in die offene Wüste auf eine botanische Teststation gestoßen, die vor Jahrtausenden aufgegeben worden war. Die Fremen hatten die meisten dieser Forschungseinrichtungen geplündert, doch diese Station, die sich in einer verborgenen Felsnische befand, war bislang unentdeckt geblieben.
Liet und er hatten die staubverkrustete Luke aufgebrochen, um einen Blick ins Innere zu werfen – wie Grabräuber, die im Begriff waren, in eine Totengruft hinabzusteigen. Sie hatten eine Weile in der Sonnenglut abwarten müssen, bis sich die tödliche abgestandene Luft verflüchtigt hatte. Pardot Kynes war im lockeren Sand auf und ab gegangen und hatte immer wieder den Atem angehalten, um den Kopf in das dunkle Loch zu stecken. Es hatte es kaum abwarten können, endlich einzusteigen und mit der Untersuchung zu beginnen.
Die botanischen Teststationen waren im Goldenen Zeitalter des alten Imperiums erbaut worden. Kynes wusste, dass dieser Wüstenplanet damals noch keine besondere Bedeutung gehabt hatte. Es gab keine nennenswerten Bodenschätze, und er eignete sich nicht zur Besiedelung. Als die Zensunni-Wanderer nach vielen Generationen der Sklaverei hierher gekommen waren, hatten sie gehofft, sich eine Welt zu schaffen, in der sie frei leben konnten.
Das war vor der Entdeckung der Gewürzmelange gewesen, der kostbaren Substanz, die es an keinem anderen Ort des Universums gab. In diesem Moment hatte sich alles geändert.
Kynes bezeichnete diese Welt nicht mehr als Arrakis, wie sie in den imperialen Akten geführt wurde, sondern benutzte stattdessen den Namen der Fremen: Dune. Obwohl er inzwischen zu einem Fremen geworden war, blieb er ein Diener des Padischah-Imperators. Von Elrood IX. hatte er den Auftrag erhalten, das Geheimnis des Gewürzes zu enträtseln: woher es stammte, wie es gebildet wurde, wie es aufzufinden war. Seit dreizehn Jahren lebte Kynes nun schon unter den Wüstenbewohnern; er hatte eine Fremen-Frau geheiratet und seinen Sohn als halben Fremen aufgezogen. Er sollte einmal in seine Fußstapfen treten und zum nächsten Planetologen des Wüstenplaneten werden.
Kynes' Faszination für diese Welt hatte niemals nachgelassen. Er nutzte begeistert jede Gelegenheit, etwas Neues zu lernen, selbst wenn er sich dazu mitten in einen Sturm wagen musste.
Die uralten Suspensoren der meteorologischen Kapsel summten wie ein wütender Wespenschwarm im Coriolissturm. Das Gefährt verhielt sich wie ein Ballon mit stählerner Hülle, als es von wirbelnden Luftströmungen durchgeschüttelt wurde. Staub schliff wie ein Sandstrahlgebläse über das Metall.
»Das erinnert mich an die Aurorastürme, die ich auf Salusa Secundus erlebt habe«, sagte Kynes. »Ein erstaunliches Phänomen – sehr farbenfroh und äußerst gefährlich. Ein solcher Sturm kommt plötzlich aus dem Nichts und kann dich wie ein Hammer zermalmen. Man sollte es tunlichst vermeiden, sich draußen aufzuhalten.«
»Hier wäre ich auch nur ungern draußen«, erwiderte Liet.
Unter dem Außendruck gab eine Metallplatte nach und wurde eingedellt. Luft drang mit einem schrillen Pfeifen durch den Riss. Liet machte sich sofort über die Bruchstelle her. Er hatte Reparaturwerkzeug und Dichtungsschaum bereitgehalten, weil er von Anfang an überzeugt gewesen war, dass die alte Kapsel dem Sturm nicht mehr standhalten würde. »Wir sind in Gottes Hand und können jeden Augenblick zerquetscht werden.«
»So hätte es auch deine Mutter ausgedrückt«, sagte der Planetologe, ohne von den Datenströmen aufzublicken, die von den Instrumenten in den Speicher flossen. »Schau nur, eine Böe wurde mit achthundert Stundenkilometern gemessen!« In seiner Stimme lag keinerlei Furcht, nur Faszination. »Ein gigantischer Sturm!«
Liet blickte sich zu ihm um, als der Schaum über dem Riss hart geworden war. Das Pfeifen hatte nachgelassen, sodass jetzt nur noch das dumpfe Tosen des Orkans zu hören war. »Wenn wir jetzt draußen wären, würde der Wind uns das Fleisch von den Knochen reißen.«
Kynes schürzte die Lippen. »Wahrscheinlich hast du Recht, aber du musst lernen, dich in objektiven und quantifizierbaren Begriffen auszudrücken. Eine Formulierung wie ›das Fleisch von den Knochen reißen‹ sollte man nicht in einem Bericht an den Imperator verwenden.«
Die Gewalt des Sturms und das Prasseln des Sandes steigerten sich zu einem Höhepunkt, dann fiel urplötzlich der Druck im Innern der Forschungskapsel ab, und es wurde totenstill. Liet blinzelte und schluckte, um wieder klar sehen und hören zu können. Die Stille schien in seinem Schädel zu pulsieren. Erst jetzt bemerkte er, dass die Hülle des Gefährts leise knackte und der Coriolissturm immer noch als geisterhaftes Flüstern zu hören war.
»Wir sind im Auge.« Pardot Kynes strahlte geradezu vor Begeisterung, als er von den Instrumenten zurücktrat. »Ein Sietch im Zentrum des Orkans, eine Zuflucht, wo man sie am wenigsten erwarten würde.«
Blau leuchtende statische Entladungen umzuckten sie, als sich durch die Reibung von Sand und Staub elektromagnetische Felder bildeten. »Mir wäre es lieber, jetzt in unserem Sietch zu sein«, gestand Liet.
Die meteorologische Kapsel trieb im Auge des Sturms, wo es still und verhältnismäßig sicher war. Im kleinen Fluggefährt hätten die beiden Menschen nun die Gelegenheit gehabt, als Vater und Sohn miteinander zu sprechen.
Aber sie taten es nicht …
Zehn Minuten später trafen sie auf die gegenüberliegende Wand des Sandsturms und wurden im nächsten Augenblick vom wahnsinnigen Wüten der staubgeschwängerten Luft mitgerissen. Liet stürzte, doch seinem Vater gelang es, sich festzuhalten. Die Hülle des Gefährts vibrierte im prasselnden Sand.
Kynes blickte auf die Kontrollen, auf den Boden und dann auf seinen Sohn. »Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll. Die Suspensoren …« – mit einem plötzlichen Ruck stürzten sie ab, als wäre eine Sicherheitsleine gekappt worden – »versagen!«
Liet hielt sich in der unheimlichen Schwerelosigkeit fest, während die Kapsel dem Boden entgegenstürzte, der sich unter dichten Staubschlieren verbarg. Sie überschlugen sich in der Luft, doch der Planetologe machte sich unbeirrt an den Kontrollen zu schaffen.
Die gestörten Suspensoren setzten stotternd wieder ein und fingen die Kapsel kurz vor dem Aufprall ab. Die Kräfte des Holtzman-Feldgenerators schützten sie vor der größten Wucht des Absturzes. Dann schlug die Wetterkapsel in den aufgewühlten Sand, und der Coriolissturm zog brüllend über sie hinweg, wie eine Erntemaschine, die eine Känguruhmaus unter den Raupenketten zerdrückte. Ein Sturzbach aus Staub regnete vom Himmel auf sie herab.
Pardot und Liet Kynes hatten den Zwischenfall mit einigen blauen Flecken überstanden. Sie rappelten sich auf und starrten sich an, während ihr Adrenalinspiegel allmählich sank. Der Sturm raste weiter und ließ die Kapsel im Sand zurück …
Nachdem es ihm gelungen war, einen Sandschnorchel durch die verstopfte Luftöffnung zu schieben, konnte Liet frische Atemluft ins Innere der Kapsel pumpen. Als er die schwere Luke aufdrückte, rutschte ein Schwall Sand in die Wetterstation, doch dann konnte Liet die Wände mit statischem Schaum stabilisieren. Mit einer Schaufel aus seinem Überlebenssatz sowie seinen bloßen Händen machte er sich an die Arbeit, sich ins Freie zu graben.
Pardot Kynes setzte absolutes Vertrauen in die Fähigkeit seines Sohnes, sie aus dieser Notlage zu retten. Also konnte er sich im Zwielicht der Kapsel darauf konzentrieren, die neuen Wetterdaten in einen altertümlichen Speicher zu übertragen.
Liet blinzelte, als er ins Freie gelangte. Er fühlte sich wie ein Kind, das soeben auf die Welt gekommen war. Er blickte auf die vom Sturm verwandelte Landschaft. Die Wüste war neugeboren. Die Dünen reihten sich wie ziehende Herden aneinander, vertraute Landmarken waren völlig verändert, Fußstapfen, Zelte und selbst kleine Dörfer waren ausradiert. Das gesamte Sandbecken sah sauber und wie neu aus.
Völlig mit bleichem Staub bedeckt kroch er auf tragfähigeren Boden, von wo aus er in die Senke sah, unter der die Kapsel begraben lag. Beim Absturz hatte das Gefährt einen Krater in die aufgewühlte Wüstenoberfläche geschlagen, kurz bevor der Sturm sie unter einer Sandschicht begraben hatte.
Mit seinen Fremen-Instinkten und einem angeborenen Richtungssinn konnte Liet ihre ungefähre Position bestimmen. Sie befanden sich nicht allzu weit vom Südlichen Randwall entfernt. Er erkannte die Felsformationen mit den charakteristischen Spitzen und Furchen wieder. Wenn der Wind sie einen Kilometer weiter fortgeweht hätte, wäre die Kapsel in den ausgeglühten Bergen abgestürzt … ein unrühmliches Ende für den großen Planetologen, den die Fremen als ihren Umma, ihren Propheten verehrten.
Liet beugte sich über das Loch im Sand. »Vater!«, rief er nach unten. »Ich glaube, in den Felsen nicht weit von hier gibt es einen Sietch. Wenn wir uns auf den Weg machen, können die Fremen uns helfen, die Kapsel auszugraben.«
»Gute Idee«, antwortete Kynes' gedämpfte Stimme. »Geh nur. Ich bleibe hier. Um zu arbeiten. Ich … habe eine Idee.«
Mit einem Seufzer machte sich der junge Mann auf den Weg zu den ockerfarbenen Felsen. Seine Schritte hatten keinen festen Rhythmus, damit er keinen der großen Würmer anlockte. Kurzer Schritt, langer Schritt, Pause … langer Schritt, Pause, zwei kurze Schritte … langer Schritt, kurzer Schritt, Pause, kurzer Schritt …
Liets Freunde im Rotwall-Sietch, insbesondere sein Blutsbruder Warrick, beneideten ihn, dass er so viel Zeit mit dem Planetologen verbringen durfte. Umma Kynes war mit einer Vision zum Wüstenvolk gekommen – und nun glaubte es an seinen Traum von der Wiedererweckung Dunes und folgte ihm.
Ohne Wissen der Harkonnens – die nur auf Arrakis waren, um das Gewürz abzubauen, und die Menschen nur als auszubeutende Ressource betrachteten – leitete Kynes ganze Armeen von Arbeitern, die im Geheimen tätig waren. Die Fremen pflanzten Gras, um Wanderdünen zu verankern, sie legten in geschützten Schluchten Haine aus Kakteen und zähen Sträuchern an, sie bewässerten die Anpflanzungen mithilfe von Tausammlern. Und in der unerforschten Südpolarregion hatten sie sogar blühende Palmengärten geschaffen. Ein Demonstrationsprojekt im Gipsbecken brachte Blumen, frisches Obst und Zwergbäume hervor.
Obwohl der Planetologe grandiose Pläne dirigierte, die einen ganzen Planeten umfassten, hatte Liet nicht genug Vertrauen in den gesunden Menschenverstand seines Vaters und wollte ihn nicht für längere Zeit allein lassen.
Der junge Mann lief am Grat entlang, bis er blasse Brandspuren im Felsen bemerkte, einen beinahe natürlich wirkenden Pfad, der keinem Außenstehenden auffallen würde, und Botschaften in der Anordnung verschiedenfarbiger Steine, die Nahrung und Unterkunft versprachen, gemäß den überall respektierten Gastfreundschaftsregeln des al'amyah.
Mit Unterstützung kräftiger Fremen aus dem Sietch konnten sie die Wetterkapsel freilegen und in ein Versteck schleppen, wo sie entweder ausgeschlachtet oder repariert wurde. Innerhalb einer Stunde hätten die Fremen alle Spuren beseitigt, worauf wieder lähmende Stille in der Wüste herrschen würde.
Doch als er zur Absturzstelle zurückblickte, stellte Liet erschrocken fest, dass sich das ramponierte Gefährt wieder in Bewegung gesetzt hatte. Es ragte bereits zu einem Drittel aus dem Sand hervor. Mit einem tiefen Summen kämpfte sich die Kapsel nach oben, wie ein Lasttier von Bela Tegeuse, das in ein Morastloch geraten war. Die Suspensoren entwickelten jedoch nur so viel Kraft, um das Fahrzeug zentimeterweise emporsteigen zu lassen.
Liet erstarrte, als ihm bewusst wurde, was sein Vater tat. Suspensoren – in der offenen Wüste!
Er rannte los, stolperte und rappelte sich immer wieder auf, während ihm eine Lawine aus Sand und Staub folgte. »Vater, halt! Schalt sie aus!« Er schrie so laut, dass ihm die Kehle schmerzte. Seine Eingeweide zogen sich vor Angst zusammen, als er über den goldenen Ozean aus Dünen blickte, bis zum Höllenofen der fernen Cielago-Senke. Er suchte nach einer verräterischen Wellenbewegung, einer Störung, die auf eine Bewegung tief unter der Oberfläche hinwies …
»Vater, steig sofort aus!« Vor der offenen Luke kam er rutschend zum Stehen, während sich die Kapsel weiter aus dem Sand hervorkämpfte. Die Suspensorfelder wimmerten. Liet packte eine Kante der Einstiegsluke und zog sich hinauf. Kynes erschrak, als sein Sohn plötzlich ins Innere der Wetterkapsel rollte.
Der Planetologe grinste ihn an. »Es ist irgendein automatisches System. Ich weiß selbst nicht, gegen welchen Schalter ich gestoßen bin, aber die Kapsel könnte sich in weniger als einer Stunde von selbst befreit haben.« Er wandte sich wieder den Instrumenten zu. »Jedenfalls hatte ich jetzt Zeit, alle gewonnenen Daten in einen einzigen Speicher …«
Liet packte seinen Vater und zerrte ihn von den Kontrollen weg. Er schlug mit der flachen Hand auf die Notabschaltung, worauf die Suspensoren erstarben. Kynes wollte protestieren, aber sein Sohn drängte ihn zur offenen Luke. »Raus, sofort! Lauf, so schnell du kannst! Zu den Felsen!«
»Aber …«
Liets Nasenflügel bebten wütend. »Suspensoren erzeugen ein Holtzman-Feld, genauso wie Schilde. Du weißt, was geschieht, wenn man draußen in der Wüste einen Schutzschild aktiviert?«
»Die Suspensoren arbeiten wieder?« Kynes blinzelte verblüfft, dann hellte sich seine Miene auf, als er den Zusammenhang verstand. »Ja, dann kommt ein Wurm.«
»Dann kommt immer ein Wurm. Jetzt lauf!«
Der ältere Kynes schob sich schwankend durch die Luke und ließ sich in den Sand fallen. Dann stand er auf und orientierte sich im gleißenden Sonnenschein. Als er in etwa einem Kilometer Entfernung die Felsformation entdeckte, von der Liet gesprochen hatte, marschierte er los. Auch er bewegte sich mit unregelmäßigen Schritten und vollführte einen komplizierten hüpfenden Tanz mit unterschiedlich langen Pausen. Der junge Fremen sprang ebenfalls aus der Luke und folgte ihm auf dem Weg in die Sicherheit der Felsen.
Nur wenig später hörten sie hinter sich ein zischendes, scharrendes Geräusch. Liet blickte sich um, dann drängte er seinen Vater eine Düne hinauf. »Schneller! Ich weiß nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt!« Sie erhöhten ihre Geschwindigkeit. Pardot stolperte und kämpfte sich wieder hoch.
Wellen liefen über den Sand direkt auf die halb im Sand vergrabene Kapsel zu. Und auf sie zu. Dünen wölbten sich auf, gerieten ins Rutschen und wurden eingeebnet, als sich darunter ein Wurm an die Oberfläche schob.
»Lauf um dein Leben!« Gehetzt rannten sie auf die Felsen zu, überquerten einen Dünenkamm, glitten auf der anderen Seite hinunter und stürmten weiter, während der weiche Sand an ihren Füßen zerrte. Liet fasste neuen Mut, als er sah, dass die sicheren Felsen nur noch hundert Meter entfernt waren.
Das Zischen wurde immer lauter, je näher der Wurm kam. Der Boden unter ihren Stiefeln bebte.
Endlich hatte Kynes die ersten Felsen erreicht und hielt sich keuchend daran fest. Doch Liet drängte ihn weiter, höher den Abhang hinauf, damit das Monstrum sie nicht erreichen konnte, wenn es sich aus dem Sand erhob.
Als sie wenige Augenblicke später auf einem Felsvorsprung saßen und wortlos in der heißen Luft nach Atem schnappten, beobachteten Pardot Kynes und sein Sohn, wie sich ein kochender Wirbel rund um die halb vergrabene Wetterkapsel bildete. Die Viskosität des aufgelockerten Staubs änderte sich, die Kapsel bewegte sich und begann langsam zu versinken.
Dann erhob sich aus dem Zentrum des Trichters ein gewaltiges Maul. Das Ungeheuer der Wüste verschlang das Ärgernis zusammen mit etlichen Tonnen Sand. Die Trümmer der Kapsel verschwanden in einem tiefen Schacht, der mit kristallenen Zähnen gespickt war. Schließlich tauchte der Wurm wieder in den trockenen Ozean, und Liet verfolgte die Wellen, die jetzt langsamer über den Sand liefen und anzeigten, auf welchem Weg das Monstrum in die offene Ebene zurückkehrte …
In der betäubenden Stille, die darauf folgte, machte Pardot Kynes nicht den Eindruck, als wäre er froh, dem Tod entronnen zu sein. »Wir haben alle Daten verloren«, sagte er niedergeschlagen und tat einen schweren Atemzug. »Mit diesen Informationen hätte ich ein besseres Verständnis der Stürme gewinnen können.«
Liet griff in eine Tasche auf der Brust seines Destillanzugs und hielt den altertümlichen Datenspeicher hoch, den er aus der Instrumentenkonsole der Wetterkapsel gezogen hatte. »Selbst wenn ich versuche, unser Leben zu retten, vergesse ich nicht die Bedeutung wissenschaftlicher Forschungen.«
Kynes strahlte voller väterlichem Stolz.
Unter der Wüstensonne folgten sie dem zerklüfteten Pfad, bis sie die Sicherheit des Sietchs erreichten.
Erkenne, Mensch, dass du Leben erschaffen kannst. Und dass du Leben zerstören kannst. Doch du hast keine Wahl, als das Leben zu erfahren. Und darin liegt sowohl deine größte Stärke als auch deine größte Schwäche.
Orange-Katholische Bibel,
Buch Kimla Septima, 5:3
Auf der ölverseuchten Welt Giedi Primus verließ die Arbeitermannschaft am Ende eines typischen, scheinbar endlosen Tages die Felder. Verschwitzt und verdreckt schleppten sich die Arbeiter über von Gräben gesäumten Parzellen nach Hause, während die rote Sonne tief am Himmel stand.
Mitten unter ihnen ging Gurney Halleck. Sein blondes Haar klebte ihm wirr am Kopf, und er klatschte rhythmisch in die Hände. Nur so konnte er sich zum Weitermachen antreiben, nur auf diese Weise konnte er das Joch der Harkonnens ertragen, die in diesem Moment nicht in Hörweite waren. Er improvisierte ein Arbeiterlied ohne allzu kunstvolle Verse und drängte seine Kameraden, mitzusingen oder zumindest den Refrain mitzusummen.
Wir mühen uns jeden Tag, wie es der Harkonnen mag,
Nach Stunden um Stunden sind wir zerschunden,
Wir schuften und schuften, schuften und schuften …
Die Männer trotteten stumm weiter. Nach elf Stunden auf den steinigen Feldern waren sie zu müde, um sich vom wackeren Troubadour animieren zu lassen. Schließlich gab Gurney mit einem resignierten Seufzer auf, doch sein Gesicht zeigte nach wie vor ein verschmitztes Grinsen. »Wir haben in der Tat ein hartes Leben, meine Freunde, aber deswegen müssen wir nicht in Trübsinn verfallen.«
Vor ihnen lag ein kleines Dorf aus vorgefertigten Gebäuden. Die Siedlung nannte sich Dmitri – zu Ehren des vormaligen Harkonnen-Patriarchen, des Vaters von Baron Wladimir. Als der Baron vor einigen Jahrzehnten zum Herrscher des Hauses Harkonnen geworden war, hatte er die Landkarten von Giedi Primus studiert und verschiedene Orte nach seinem Geschmack umbenannt. Dadurch hatten einige hervorstechende Merkmale der Landschaft einen melodramatischeren Anstrich gewonnen: Insel der Sorgen, Untiefen der Verdammnis, Todesklippe …
Zweifellos würde in einigen Generationen irgendjemand kommen und all diese Orte erneut umbenennen.
Doch über solche Dinge machte sich Gurney Halleck keine Sorgen. Obwohl er keine gute Ausbildung genossen hatte, wusste er, dass das Imperium gewaltig war, dass es aus Millionen Planeten und Trillionen Menschen bestand. Dennoch war es nicht sehr wahrscheinlich, dass er jemals weiter als bis Harko City kommen würde, der wimmelnden, rauchenden Metropole, die dem östlichen Horizont einen ewigen rötlichen Schein verlieh.
Gurney musterte die Arbeitergruppe, die Männer, die er jeden Tag sah. Mit gesenktem Blick marschierten sie wie Maschinen zu ihren ärmlichen Häusern. Sie wirkten so missmutig, dass er laut lachen musste. »Wenn ihr euch etwas Suppe in die Bäuche gekippt habt, erwarte ich von euch, dass ihr heute Abend singt. Heißt es nicht in der O.-K.-Bibel: ›Schöpfe Freude aus deinem Herzen, denn die Sonne geht auf und unter, gemäß deiner Perspektive auf das Universum‹?«
Ein paar Arbeiter brummten ohne allzu große Begeisterung. Immerhin besser als gar nichts. Wenigstens war es ihm gelungen, sie ein klein wenig aufzumuntern. In einem so tristen Leben war selbst der winzigste Farbklecks die Mühe wert.
Gurney war einundzwanzig und hatte bereits eine harte und ledrige Haut, nachdem er auf den Feldern gearbeitet hatte, seit er acht Jahre alt geworden war. Wie immer nahmen seine hellblauen Augen begierig jedes Detail auf – obwohl es im Dorf Dmitri und den umliegenden Feldern nur wenig gab, das sich anzusehen lohnte. Mit dem kantigen Kinn, der zu runden Nase und dem flachen Gesicht wirkte er schon jetzt wie ein alter Bauer und würde zweifellos irgendwann eins der früh ausgelaugten Mädchen aus dem Dorf heiraten.
Gurney hatte den Tag in einem tiefen Graben verbracht, aus dem er mit einem Spaten steinige Erde geschaufelt hatte. Nachdem viele Jahre lang derselbe Boden bestellt worden war, mussten die Dorfbewohner tief graben, um noch nährstoffhaltige Ackererde zu finden. Der Baron wäre niemals auf die Idee gekommen, auch nur einen Solari für Düngemittel zu verschwenden – zumindest nicht für diese Menschen.
In den Jahrhunderten, die sie Giedi Primus verwalteten, hatten es sich die Harkonnens angewöhnt, alles aus dem Land herauszuwringen, was es hergab. Es war ihr Recht – nicht etwa ihre Pflicht –, diese Welt auszubeuten und die Dörfer umzusiedeln, wenn das alte Land keine Ernte mehr hervorbrachte. Wenn Giedi Primus eines Tages eine leblose Wüste war, würde der Herrscher des Hauses Harkonnen zweifellos um ein neues Lehen ersuchen, nach einer neuen Möglichkeit, dem Padischah-Imperator dienen zu können. Schließlich gab es zahllose Planeten im Imperium, die der Ausbeutung harrten.
Doch die galaktische Politik interessierte Gurney nicht besonders. Seine Gedanken kreisten ausschließlich um den bevorstehenden Abend, an dem er sich ein wenig entspannen und unterhalten wollte. Morgen erwartete ihn ein weiterer Tag der Schinderei.
Nur faserige, stärkehaltige Krall-Knollen gediehen einigermaßen auf diesem Ackerboden. Der größte Teil der Ernte wurde als Tierfutter exportiert, doch die geschmacklosen Knollen waren immerhin nahrhaft genug, um menschliche Arbeitskraft zu erhalten. Gurney aß die Knollen jeden Tag, genauso wie jeder andere. Karge Krume, karge Küche.
Seine Eltern und Arbeitskollegen kannten zahlreiche Sprichwörter, von denen viele aus der Orange-Katholischen Bibel stammten. Gurney hatte alle auswendig gelernt und viele mit einer Melodie versehen. Musik war der einzige Genuss, der ihm erlaubt war, und er teilte ihn großzügig mit allen anderen.
Die Arbeiter verteilten sich auf ihre einzeln stehenden, aber völlig identischen Behausungen. Es waren baufällige Fertighäuser, die das Haus Harkonnen billig eingekauft und hier abgestellt hatte. Gurney blickte auf die Baracke, in der er zusammen mit seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester Bheth lebte.
Ihr Haus wirkte etwas freundlicher als die anderen. In alten, verrosteten Kochtöpfen mit Erde wuchsen farbenfrohe Blumen: rotbraune, blaue und gelbe Stiefmütterchen, ein Büschel Gänseblümchen und sogar eine geradezu nobel wirkende Calla. Vor den meisten Häusern gab es kleine Gärten, in denen die Menschen Kräuter und Gemüse anbauten – obwohl jederzeit die Gefahr bestand, dass allzu appetitlich aussehende Gewächse von Patrouillen der Harkonnens konfisziert und gegessen wurden.
Es war ein warmer Tag, und Rauch hing in der Luft, aber die Fenster ihres Hauses standen offen. Gurney hörte Bheths Stimme, die eine fröhliche Melodie sang. Er stellte sich ihr Gesicht mit dem langen, strohfarbenen Haar vor. Er bezeichnete es gerne als ›flachsblond‹. Dieses Wort kannte er aus altterranischen Gedichten, die er auswendig gelernt hatte, doch er hatte niemals in seinem Leben gesponnenen Flachs zu Gesicht bekommen. Mit ihren siebzehn Jahren war Bheth ein hübsches Mädchen und hatte ein angenehmes Wesen, das noch nicht durch lebenslange Arbeit zerstört worden war.
Gurney benutzte den Wasserhahn an der Außenwand, um sich die Dreckschicht von Gesicht, Armen und Händen zu waschen. Er hielt den Kopf unter den kalten Wasserstrahl und bemühte sich, die verfilzten Haarsträhnen mit stumpfen Fingern wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen. Er schüttelte das Wasser ab und trat ins Haus, küsste Bheth auf die Wange und tropfte sie dabei nass. Sie kreischte auf und flüchtete vor ihm, um sich wieder ihrer Küchenarbeit zu widmen.
Ihr Vater hatte sich bereits in seinen Stuhl fallen lassen. Die Mutter beugte sich über große Holzfässer, die neben der Hintertür standen, und bereitete Krall-Knollen für den Verkauf auf dem Markt vor. Als sie sah, dass Gurney heimgekommen war, trocknete sie sich die Hände ab und kam herein, um Bheth beim Decken des Tisches zu helfen. Dann stellte sie sich an den Tisch und las mit ehrfurchtsvoller Stimme mehrere Verse aus einer zerfledderten O.-K.-Bibel vor. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, ihren Kindern den kompletten Inhalt des dicken Bandes vorzulesen, bevor sie starb. Schließlich nahmen sie Platz, um zu essen. Gurney unterhielt sich mit seiner Schwester, während er die Suppe mit dem zähen Gemüse löffelte, die nur mit Salz und ein paar getrockneten Kräutern gewürzt war. Während der Mahlzeit sprachen ihre Eltern kaum miteinander, und wenn, dann nur in einsilbigen Bemerkungen.
Als er fertig war, trug er das Geschirr zum Spülbecken, wo er es sauber schrubbte und stehen ließ, damit es bis zum nächsten Tag trocknen konnte. Mit feuchten Händen schlug er seinem Vater auf die Schulter. »Hast du Lust, mit mir ins Gasthaus zu kommen? Heute ist Gemeinschaftsabend.«
Der ältere Mann schüttelte den Kopf. »Ich würde lieber schlafen gehen. Deine Lieder machen mich manchmal einfach zu müde.«
Gurney zuckte die Achseln. »Dann ruh dich eben aus.« In seinem kleinen Zimmer öffnete er den wackligen Schrank und holte seinen kostbarsten Besitz hervor: ein altes Baliset, normalerweise ein neunsaitiges Instrument, doch Gurney hatte gelernt, es mit nur sieben Saiten zu spielen, da zwei gerissen waren und es keinen Ersatz gab.
Er hatte das weggeworfene Instrument in unbrauchbarem Zustand gefunden, doch nach sechs Monaten geduldiger Arbeit, nachdem er geklebt, geschliffen und lackiert hatte, gab das Baliset die schönste Musik von sich, die er je gehört hatte, auch wenn es nicht in vollem Tonumfang spielbar war. Gurney verbrachte viele Nächte damit, die Saiten zu zupfen und an den Wirbeln zu drehen. Er brachte sich selbst bei, bekannte Melodien zu spielen oder neue zu komponieren.
Als sich die Dunkelheit über das Dorf senkte, ließ sich seine Mutter erschöpft in einen Stuhl sinken. Sie legte die kostbare Bibel in den Schoß und fühlte sich eher durch ihr Gewicht als durch die Worte getröstet. »Komm nicht zu spät heim«, sagte sie mit matter, kraftloser Stimme.
»Keine Sorge.« Gurney fragte sich, ob es ihr überhaupt auffallen würde, wenn er die ganze Nacht fortblieb. »Ich brauche meine Kräfte, um morgen wieder in den Gräben zu ackern.« Er hob einen muskulösen Arm und tat so, als freue er sich auf die Arbeit, die, wie jeder wusste, niemals enden würde. Dann machte er sich über die staubigen Straßen auf den Weg zum Gasthaus.
Nach einer tödlichen Fieberepidemie vor einigen Jahren hatten vier der Fertighäuser leer gestanden. Die Dorfbewohner hatten sie zusammengerückt, die Zwischenwände herausgerissen und daraus ein großes Gemeinschaftshaus errichtet. Obwohl es eigentlich keiner der zahlreichen von den Harkonnens erlassenen Vorschriften widersprach, hatten die Gesetzeshüter angesichts dieser Demonstration von Eigeninitiative die Stirn gerunzelt. Aber das Gasthaus stand immer noch.
Gurney gesellte sich zur kleinen Gruppe von Männern, die sich bereits zum Gemeinschaftsabend eingefunden hatten. Einige waren mit ihren Frauen gekommen. Ein Mann lag bereits auf einem Tisch, aber er war wohl eher erschöpft als betrunken, da sein Krug mit wässrigem Bier erst halb geleert war. Gurney näherte sich ihm von hinten, hob sein Baliset und schlug einen klirrenden Akkord an, worauf der Mann wieder hellwach war.
»Ich habe ein neues Stück für euch, Freunde. Nicht gerade eine Hymne, an die sich eure Mütter erinnern werden, aber ich bringe euch das Lied trotzdem bei.« Er grinste verschmitzt in die Runde. »Damit ihr alle mitsingen und mir den Musikgenuss verderben könnt.« Die Männer des Dorfes waren keine begabten Sänger, aber die Lieder waren die einzige Unterhaltung, die etwas Farbe in ihr Leben brachte.
Mit kräftiger Stimme sang er die süffisanten Worte zu einer bekannten Melodie:
O Giedi Primus!
Deine finstren Schatten sind unvergleichlich,
Von den rußdunklen Ebenen bis zum pechschwarzen Meer,
Und zur düstersten Nacht im Auge des Imperators.
Kommt her von fern und nah
Und seht, was sich in unsren Herzen verbirgt,
Habt Teil an unsrem Überfluss
und schwingt die Spitzhacke,
um alles noch schöner zu machen.
O Giedi Primus!
Deine finstren Schatten sind unvergleichlich,
Von den rußdunklen Ebenen bis zum pechschwarzen Meer,
Und zur düstersten Nacht im Auge des Imperators.
Als das Lied zu Ende war, hatte Gurney ein breites Grinsen auf dem derben Gesicht und verbeugte sich zu dem dürftigen Applaus. Einer der Männer rief heiser: »Pass gut auf, Gurney Halleck! Wenn die Harkonnens deine liebliche Stimme hören, werden sie dich bestimmt nach Harko bringen – damit du vor dem Baron höchstpersönlich singst.«
Gurney schnaufte verächtlich. »Der Baron hat keinen Sinn für Musik und schon gar nicht für fröhliche Lieder wie meine.« Lautes Gelächter erscholl. Er nahm sich einen Krug und kippte das säuerliche Bier hinunter.
Dann flog die Tür auf, und Bheth stürmte herein. Ihr flachsblondes Haar war lose, ihr Gesicht gerötet. »Eine Patrouille kommt! Wir haben die Suspensorlampen gesehen. Es ist ein Gefangenentransporter mit mindestens einem Dutzend Wachleute.«
Die Männer sprangen sofort auf. Zwei liefen zu den Türen, doch die anderen blieben wie erstarrt stehen, als hätten sie sich längst mit ihrem Schicksal abgefunden.
Gurney schlug einen beruhigenden Akkord auf dem Baliset. »Immer mit der Ruhe, meine Freunde! Haben wir irgendetwas Illegales getan? ›Die Schuldigen kennen und offenbaren ihre Verbrechen.‹ Wir haben uns lediglich in geselliger Runde getroffen. Dafür können uns die Harkonnens nicht verhaften. Im Gegenteil, wir demonstrieren sogar, wie zufrieden wir mit unseren Lebensbedingungen sind, wie glücklich wir sind, für den Baron und seine Günstlinge arbeiten zu dürfen. Stimmt's?«
Mehr als ein schwaches Brummen der Zustimmung konnte er den Leuten nicht entlocken. Gurney stellte sein Baliset ab und ging zum trapezförmigen Fenster des Gemeinschaftshauses, als gerade ein Gefangenentransporter mitten im Dorf landete. Mehrere menschliche Gestalten waren in den Schatten hinter den Plazfenstern des Gefährts zu erkennen. Offenbar hatten die Harkonnens bereits fleißig Verhaftungen vorgenommen – allesamt Frauen, wie es schien. Obwohl er die Hand seiner Schwester tätschelte und sich bemühte, seine gute Laune zu wahren, wusste Gurney, dass die Soldaten immer einen Grund für weitere Verhaftungen fanden.
Grelle Scheinwerfer waren auf das Dorf gerichtet. Dunkle bewaffnete Gestalten rannten durch die Straßen und hämmerten gegen Türen. Dann wurde mit lautem Krachen die Tür zum Gemeinschaftshaus aufgestoßen.
Sechs Männer stürmten das Gebäude. Gurney erkannte Hauptmann Kryubi von der Leibwache des Barons. Er war für die Sicherheit im Haus Harkonnen verantwortlich. »Nicht von der Stelle rühren, damit wir Sie inspizieren können!«, befahl Kryubi. Ein kleiner Schnurrbart zierte seine Oberlippe. Sein Gesicht war schmal, und seine Wangen wirkten eingefallen, als würde er zu häufig die Zähne zusammenbeißen.
Gurney blieb am Fenster stehen. »Wir haben hier nichts Unrechtes getan, Hauptmann. Wir halten uns an die Vorschriften der Harkonnens. Wir tun unsere Arbeit.«
Kryubi wandte sich ihm zu. »Und wer hat Sie zum Sprecher dieses Dorfes ernannt?«
Gurney vergaß in der Aufregung, seinen Sarkasmus zu zügeln. »Und wer hat Ihnen gestattet, unschuldige Dorfbewohner zu schikanieren? Sie sind verantwortlich, wenn wir morgen unsere Arbeit nicht tun können.«
Seine Gefährten im Gasthaus waren entsetzt über Gurneys Dreistigkeit. Bheth hielt seine Hand fest und versuchte ihm irgendwie klarzumachen, dass er den Mund halten sollte. Die Harkonnen-Wachen vollführten drohende Gesten mit ihren Waffen.
Gurney deutete mit einer brüsken Bewegung des Kopfes auf den Gefangenentransporter draußen vor dem Fenster. »Was haben diese Leute getan? Welche Verbrechen rechtfertigen ihre Verhaftung?«
»Dazu bedarf es keines Verbrechens«, sagte Kryubi, der offenbar keine Hemmungen hatte, die Wahrheit auszusprechen.
Gurney trat einen Schritt vor, doch sogleich packten ihn drei Wachen an den Armen und warfen ihn zu Boden. Er wusste, dass der Baron seine Wachleute häufig aus den Bauerndörfern rekrutierte. Wenn die neuen Soldaten einem tristen Leben entkommen waren und plötzlich Uniformen, Waffen, Unterkunft und Frauen hatten, entwickelten sie häufig eine tiefe Verachtung für ihr früheres Leben und gingen grausamer vor als ihre professionellen Kollegen von anderen Planeten. Gurney hoffte, dass er jemanden aus einem benachbarten Dorf erkannte, damit er ihm ins Gesicht spucken konnte. Sein Kopf schlug auf den harten Boden, aber er war schon im nächsten Moment wieder auf den Beinen.
Bheth eilte zu ihrem Bruder. »Hör auf, sie noch mehr zu provozieren.«
Es war denkbar unklug von ihr, so etwas zu tun. Kryubi zeigte auf sie. »Gut. Nehmt die da auch mit!«
Bheths schmales Gesicht erbleichte, als zwei Wachen sie an den Armen packten. Sie wehrte sich, als man sie zur offenen Tür schleifte. Gurney warf sein Baliset beiseite und wollte ihr folgen, aber der dritte Wachmann hob seine Waffe und versetzte dem jungen Mann einen schmerzhaften Schlag mit dem Kolben auf Stirn und Nase.
Gurney taumelte, dann stürmte er wieder los und schwang die geballten Fäuste wie Hämmer. »Lasst sie in Ruhe!« Er schlug einen Wachmann nieder und riss den zweiten von seiner Schwester fort. Bheth schrie, als die drei Männer sich gleichzeitig auf Gurney stürzten und ihn so brutal mit ihren Waffen verprügelten, dass seine Rippen brachen. Seine Nase war bereits blutig.
»Helft mir!«, rief Gurney den Dorfbewohnern zu, die mit Angst geweiteten Augen zusahen. »Zusammen sind wir viel mehr als diese Hunde!«
Doch niemand kam ihm zu Hilfe.
Er schlug um sich, konnte sich aber nicht gegen das Trommelfeuer der Stiefel und Kolben durchsetzen. Als es ihm gelang, den Kopf zu heben, sah er, wie Kryubis Männer Bheth zur Tür hinauszerrten. Gurney strengte sich an, endlich die schweren Männer abzuschütteln, die ihn festhielten.
Zwischen den Armen und Beinen der Wachen sah er die Dorfbewohner, die reglos wie eine erschrockene Schafherde dastanden. Sie beobachteten ihn mit entsetzten Mienen, kamen aber nicht auf die Idee, auch nur einen Finger zu rühren. »Helft mir, verdammt noch mal!«
Ein Wachmann versetzte ihm einen Schlag in den Solarplexus, worauf er würgend nach Atem rang. Die Stimme versagte ihm, und er bekam keine Luft mehr. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen. Endlich zogen sich die Wachen zurück.
Er stemmte sich mit einem Ellbogen hoch und sah gerade noch Bheths verzweifeltes Gesicht, als die Harkonnens sie in die Dunkelheit davonschleppten.
Wütend und verzweifelt kämpfte er sich wieder hoch und bemühte sich mit aller Kraft, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Er hörte die Motoren des Gefangenentransporters aufbrüllen. Im Streulicht der blendenden Scheinwerfer stieg das Gefährt vor den Fenstern des Gemeinschaftshauses auf und flog heulend zum nächsten Dorf, um weitere Gefangene aufzunehmen.
Gurney blinzelte die anderen Männern mit geschwollenen Augen an. Fremde. Er hustete und spuckte Blut, das er sich achtlos von den Lippen wischte. Als er schließlich wieder ein paar keuchende Atemzüge getan hatte, sagte er: »Ihr Mistkerle habt einfach nur zugesehen. Ihr habt keinen Finger gerührt.« Er klopfte sich den Staub von der Kleidung und funkelte die Dorfbewohner finster an. »Wie konntet ihr zulassen, dass sie uns so etwas antun? Sie haben meine Schwester mitgenommen!«
Aber sie hatten niemals größere Initiative als eine Schafherde entwickelt. Mehr konnte er einfach nicht von ihnen erwarten.
Mit tiefster Verachtung spuckte er eine Mischung aus Speichel und Blut auf den Boden und wankte durch die Tür nach draußen.
Geheimnisse sind ein wichtiger Aspekt der Macht. Der fähige Herrscher setzt sie geschickt ein, um seine Leute unter Kontrolle zu halten.
Kronprinz Raphael Corrino,
Diskurse über die Regierung
eines Galaktischen Imperiums, 12. Auflage
Der wieselgesichtige Mann stand wie eine neugierige Krähe auf der Galerie der Residenz von Arrakeen und blickte in den großen Innenhof hinunter. »Und Sie sind sich ganz sicher, dass alle von unserer kleinen Soirée wissen, hmm-äh?« Seine Lippen waren in der trockenen Luft aufgesprungen – eine Unannehmlichkeit, unter der er schon seit Jahren litt. »Wurden sämtliche Einladungen persönlich zugestellt? Die gesamte Bevölkerung in Kenntnis gesetzt?«
Graf Hasimir Fenring beugte sich zu Geraldo Willowbrook hinüber, dem schlanken Anführer seiner Wachtruppen. Der Mann mit dem faltigen Kinn und der rot-goldenen Uniform nickte, blinzelte im grellen Licht, das durch die mit Schilden verstärkten Prismenfenster hereinströmte. »Es wird eine großartige Feier anlässlich Ihres Jahrestages werden, Herr. Die Bettler haben sich bereits massenweise am vorderen Eingangstor versammelt.«
»Hmm-äh, gut, sehr gut. Meine Frau wird sehr zufrieden sein.«
Unten im Hof trug ein Koch ein silbernes Kaffeeservice in die Küche. Essensgerüche wehten zu ihnen herauf; es duftete nach exotischen Suppen und Soßen, die für das extravagante Fest dieses Abends zubereitet wurden, nach gegrillten Fleischspießen von Tieren, die niemals auf Arrakis gelebt hatten.
Fenring hielt sich am geschnitzten Geländer aus Eisenholz fest. Über ihnen erhob sich ein zwei Stockwerke hohes gotisches Gewölbe mit Tragbalken aus Elacca-Holz und Plaz-Dachfenstern. Der Graf war muskulös, aber keineswegs groß, und die wuchtige Architektur dieses Hauses schien ihn noch kleiner zu machen. Das Deckengewölbe hatte er persönlich in Auftrag gegeben, ebenso wie das im Speisesaal. Auch den neuen Ostflügel mit den eleganten Gästezimmern und den opulenten Bädern hatte er selbst entworfen.
In den zehn Jahren als Imperialer Beobachter auf dem Wüstenplaneten hatte er für eine ständige Bautätigkeit gesorgt. Nach seiner Verbannung von Shaddams Hof auf Kaitain empfand er das Bedürfnis, sichtbare Zeichen zu hinterlassen.
Von der Baustelle des Treibhauses in der Nähe der Privatgemächer, die er mit Lady Margot teilte, hörte er das Summen von Energiewerkzeugen und die Gesänge der Arbeiter. Sie schnitten Durchgänge in die Mauern, installierten Springbrunnen in Nischen und schmückten die Wände mit farbenfrohen geometrischen Mosaiken. Einem der Scharniere, die eine schwere verzierte Tür hielten, hatte man die Glück bringende symbolische Form der Hand Fatimahs verliehen, der geliebten Tochter eines Propheten auf Altterra.
Fenring wollte Willowbrook soeben entlassen, als ein lautes Krachen das obere Stockwerk erzittern ließ. Beide Männer rannten sofort den gekrümmten Gang voller Bücherregale entlang. Aus Zimmern und Liftröhren streckten neugierige Hausangestellte den Kopf in den Korridor.
Die ovale Tür zum Treibhaus stand offen, sodass die chaotische Masse aus Metall und Plaz sofort zu erkennen war. Einer der Arbeiter rief im Lärm nach einem Arzt. Ein voll beladenes Suspensorgerüst war zusammengebrochen. Fenring schwor sich, mit eigener Hand für die angemessene Bestrafung zu sorgen, sobald die Untersuchung einen Fingerzeig auf die mutmaßlichen Übeltäter erbracht hatte.
Fenring drängte sich in den Raum und blickte nach oben. Durch das offene Metallgitter des gewölbten Daches sah er einen zitronengelben Himmel. Bislang waren nur wenige der Filterglasfenster eingesetzt worden, deren Scherben sich nun über die Trümmer des Gerüsts verteilten. »Schlechtes Timing, hmm?«, sagte er voller Abscheu. »Ich wollte unseren Gästen heute Abend die Räumlichkeiten zeigen.«
»Ja, es ist höchst bedauerlich, Graf Fenring.« Willowbrook sah zu, wie die Arbeiter die Trümmer wegräumten, um an die Verletzten zu gelangen.
Hausärzte in khakifarbenen Uniformen eilten an ihnen vorbei. Einer widmete sich einem Mann mit blutigem Gesicht, den man gerade unter den Trümmern hervorgezogen hatte. Zwei weitere halfen den Arbeitern, eine schwere Plazplatte wegzutragen, unter der sich mehrere Opfer befanden. Der Bauleiter war vom eingestürzten Gerüst zerquetscht worden. Idiot, dachte Fenring. Aber er hat Glück gehabt, wenn man bedenkt, was ich mit ihm angestellt hätte.
Fenring blickte auf sein Armbandchrono. In zwei Stunden würden die Gäste eintreffen. Er winkte Willowbrook heran. »Sorgen Sie dafür, dass von hier während der Party kein Lärm nach außen dringt. Das wäre keine besonders nette Begleitmusik, nicht wahr, hmm? Lady Margot und ich haben die Festlichkeiten des heutigen Abends sehr sorgfältig und bis ins letzte Detail geplant.«
Willowbrook runzelte die Stirn, aber er war klug genug, keinen Protest einzulegen. »Wie Sie wünschen, Herr. In weniger als einer Stunde ist alles fertig.«
Fenring kochte vor Wut. In Wirklichkeit lag ihm überhaupt nichts an exotischen Pflanzen, und ursprünglich hatte er nur in diese kostspieligen Umbauten eingewilligt, um seiner Bene-Gesserit-Frau Lady Margot ein Zugeständnis zu machen. Sie hatte sich lediglich einen bescheidenen, isolierten Raum mit Pflanzen gewünscht, doch Fenrings Ehrgeiz hatte nicht eher Ruhe gegeben, bis daraus etwas wesentlich Beeindruckenderes geworden war. Er hatte veranlasst, dass seltene Vertreter der Flora aus dem gesamten Imperiums herangeschafft wurden.
Doch es war fraglich, ob das Treibhaus jemals fertig wurde …
Er riss sich zusammen und begrüßte Margot, die soeben aus dem Labyrinth der Souk-Märkte in der Stadt zurückgekehrt war. Sie war eine gertenschlanke, blonde Frau mit graugrünen Augen, perfekter Figur und makellosen Zügen und überragte Fenring um fast einen Kopf. Der Stoff der Aba-Robe, die ihre weiblichen Formen positiv zur Geltung brachte, war mit Straßenstaub bepudert.
»Gab es Ecazi-Rüben, meine Liebe?« Der Graf starrte hungrig auf zwei schwere, in braunes Gewürzpapier gehüllte Pakete, die von männlichen Dienern getragen wurden. Margot hatte gehört, dass an diesem Nachmittag ein Gemüsehändler mit dem Heighliner eingetroffen war, und war sofort nach Arrakeen geeilt, um die seltene Delikatesse zu erwerben. Fenring versuchte, einen Blick auf den Inhalt der Pakete zu werfen, aber Margot schlug ihm lächelnd auf die Finger.
»Und ist hier alles in Ordnung, Liebster?«
»Hmm-hmm, alles läuft wie am Schnürchen«, versicherte er. »Nur dass wir heute Abend nicht das neue Treibhaus besichtigen können. Ein solches Durcheinander können wir unseren Gästen einfach nicht zumuten.«
Im Innenhof ihres Anwesens wartete Lady Margot Fenring darauf, die wichtigen Gäste begrüßen zu können, die bei Sonnenuntergang eintreffen sollten. Die holzvertäfelten Wände des unteren Geschosses waren mit Porträts von Padischah-Imperatoren geschmückt, die bis zum legendären General Faykan Corrin zurückreichten, der in Butlers Djihad gekämpft hatte. Auch der erleuchtete Herrscher Kronprinz Raphael Corrino sowie ›der Jäger‹ Fondil III. und sein Sohn Elrood IX. waren vertreten.
Im Zentrum des Innenhofs stand eine goldene Statue, die den derzeitigen Imperator Shaddam IV. in Sardaukar-Uniform und mit erhobenem Schwert darstellte. Es war eins von vielen kostspieligen Kunstwerken, die der Imperator während des ersten Jahrzehnts seiner Herrschaft in Auftrag gegeben hatte. Überall in der Residenz gab es zahlreiche weitere Beispiele, Geschenke vom Jugendfreund ihres Ehemannes. Obwohl sich die beiden Männer in der Zeit von Shaddams Thronbesteigung zerstritten hatten, waren sie sich im Laufe der Jahre wieder näher gekommen.
Durch die doppelten Staubschutztüren strömten elegant gekleidete Damen, begleitet von Männern in Smokings der Nach-Butler-Ära und unterschiedlichsten militärischen Uniformen. Margot trug ein knöchellanges Gewand aus Seidentaft mit smaragdgrünen Pailletten auf dem Oberteil.
Margot begrüßte die Gäste, die von einem uniformierten Ausrufer angekündigt wurden. Sie zogen weiter in den großen Saal, aus dem Gelächter, Gespräche und Gläserklirren zu hören waren. Unterhaltungskünstler aus dem Haus Jongleur führten Kunststücke vor und sangen witzige Lieder, um das zehnjährige Jubiläum der Fenrings auf Arrakis zu feiern.
Ihr Gatte kam soeben über die große Treppe nach unten stolziert. Graf Fenring trug einen dunkelblauen historischen Smoking mit scharlachroter Schärpe über der Brust. Die Kleidung war ihm auf Bifkar maßgeschneidert worden. Sie beugte sich herab, damit der kleinere Mann sie auf die Lippen küssen konnte. »Jetzt geh und begrüße unsere Gäste, bevor der Baron alle Gespräche an sich reißt.«
Mit beschwingten Schritten wich Fenring einer energischen älteren Herzogin aus, die von einer der Corrino-Randwelten kam. Sie hielt einen Miniatur-Giftschnüffler über ihr Weinglas, bevor sie daraus trank, dann ließ sie das Gerät unauffällig in einer Tasche ihres Ballkleids verschwinden.
Margot beobachtete, wie ihr Mann zum Kamin ging, um sich mit Baron Harkonnen zu unterhalten, dem gegenwärtigen Verwalter des Lehens Arrakis und des lukrativen Gewürzmonopols. Das durch Prismen verstärkte Licht des Feuers verlieh den aufgedunsenen Zügen des Barons einen unheimlichen Anschein. Er sah überhaupt nicht gut aus.
Seit sie und Fenring auf dieser Welt residierten, hatte der Baron sie immer wieder zum Essen in seine Burg oder zu Gladiatorenwettkämpfen mit Sklaven von Giedi Primus eingeladen. Er war ein gefährlicher Mann, der zu sehr von sich selbst überzeugt war. Der Baron stützte sich auf einen vergoldeten Gehstock, dessen Griff wie das Maul eines großen Sandwurms von Arrakis geformt war.
Margot hatte verfolgt, wie sich die Gesundheit des Barons in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verschlechtert hatte. Er litt unter einer geheimnisvollen Muskel- und Nervenkrankheit, die dazu führte, dass er immer mehr an Gewicht zunahm. Ihre Bene-Gesserit-Schwestern hatten ihr den Grund für seine Probleme verraten. Die Ehrwürdige Mutter Gaius Helen Mohiam hatte ihn mit einem heimtückischen Erreger infiziert, als er sie vergewaltigt hatte. Der Baron hatte jedoch nie etwas über den wahren Anlass seiner Erkrankung erfahren.
Mohiam gehörte ebenfalls zu den handverlesenen Gästen dieses Empfangs und trat nun in Margots Blickfeld. Die grauhaarige Ehrwürdige Mutter trug eine Aba-Robe mit diamantenbesetztem Kragen. Zur Begrüßung lächelte sie mit dünnen Lippen. Eine unscheinbare Bewegung ihrer Finger übermittelte Margot eine Botschaft und eine Frage. »Neuigkeiten für Mutter Oberin Harishka? Ich muss ihr alles berichten.«
Margots Finger antworteten: »Fortschritt in der Sache Missionaria Protectiva. Nur Gerüchte, keine Gewissheiten. Vermisste Schwestern noch nicht aufgefunden. Viel Zeit vergangen. Vielleicht alle tot.«
Mohiam wirkte nicht gerade begeistert. Sie hatte selbst einmal für die Missionaria Protectiva gearbeitet, eine wichtige Abteilung der Bene Gesserit, die infektiösen Aberglauben auf abgelegenen Welten säte. Mohiam hatte Jahrzehnte ihres Lebens damit verbracht, als einheimische Frau aufzutreten und Informationen auszustreuen, um Vorstellungen zu fördern, die der Schwesternschaft dienlich sein konnten. Mohiam war es niemals gelungen, in die isolierte Gesellschaft der Fremen einzudringen, aber im Laufe der Jahrhunderte hatten sich immer wieder Schwestern in die Wüste gewagt, um sich unter die Fremen zu mischen – und waren spurlos verschwunden.
Seit sie sich als Gattin des Grafen auf Arrakis aufhielt, hatte Margot im Auftrag der Schwesternschaft Nachforschungen über die subtile Arbeit der Missionaria angestellt. Bislang hatte sie nur von unbestätigten Gerüchten erfahren, nach denen Ehrwürdige Mütter sich den Fremen angeschlossen hatten und untergetaucht waren. Außerdem sollte es in den Stämmen religiöse Rituale geben, die an Praktiken der Bene Gesserit erinnerten. Ein abgelegener Sietch verehrte angeblich eine heilige Frau, während Reisende in einem Kaffeezelt in der Stadt von einer Messiaslegende gesprochen hatten, die eindeutig von der Panoplia Propheticus inspiriert war. Doch keine dieser Informationen hatte sie aus erster Hand von den Fremen erfahren. Die Menschen der Wüste schienen genauso unzugänglich wie ihr Planet zu sein.
Vielleicht haben die Fremen die Schwestern einfach ermordet, um sich das Wasser ihrer Körper anzueignen.
»Alle anderen wurden vom Sand verschluckt«, teilten Margots Finger mit.
»Such trotzdem weiter nach ihnen.« Mit einem Nicken deutete Mohiam das Ende der stummen Konversation an und strebte quer durch den Raum zu einem Seitenausgang.
»Rondo Tuek«, kündigte der Ausrufer an, »der Wasserhändler.«
Als Margot sich umdrehte, sah sie einen drahtigen Mann mit breitem Gesicht, der das Foyer mit seltsam wiegenden Schritten betrat. Sein Kopf wurde von einem Kranz aus rostgrauem Haar gesäumt, der den oberen Teil der Schädeldecke frei ließ, und er hatte weit auseinander liegende graue Augen. Sie streckte die Arme aus, um ihn zu begrüßen. »Ah – der Schmuggler!«
Tueks Wangen nahmen eine dunklere Färbung an, dann verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. Er hob mahnend einen Zeigefinger, als wäre er ein Lehrer, der seine Schüler zur Ordnung rufen wollte. »Ich bin ein ehrenhafter Wasserlieferant, der hart arbeitet, um Feuchtigkeit aus den schmutzigen Eiskappen dieses Planeten zu gewinnen.«
»Ich bin überzeugt, dass das Imperium ohne die fleißige Arbeit Ihrer Familie zu Grunde gehen würde.«
»Sie sind zu freundlich, Mylady.« Tuek verbeugte sich und betrat den großen Saal.
Draußen vor der Residenz hatten sich Bettler versammelt, die auf eine seltene Geste der Großzügigkeit seitens des Grafen hofften. Weitere Zuschauer waren gekommen, um die Bettler zu beobachten und sehnsüchtig zur kunstvoll verzierten Fassade des Anwesens aufzublicken. Wasserverkäufer in grell gefärbten traditionellen Gewändern schwangen ihre Glocken und stießen ihren unheimlichen Ruf aus: »Soo-Soo Sook!« Wachleute, die sich die Fenrings von den Harkonnens ausgeborgt hatten und die zu diesem Ereignis imperiale Uniformen tragen mussten, standen vor den Eingängen, um die Unerwünschten abzuweisen und für die Eingeladenen den Weg frei zu machen. Es ging zu wie auf einem Jahrmarkt.
Als die letzten der erwarteten Gäste eingetroffen waren, schaute Margot auf eine antike Uhr an der Wand, die mit mechanischen Figuren und lieblichem Spielwerk verziert war. Sie waren fast eine halbe Stunde zu spät dran. Sie eilte an die Seite ihres Mannes und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er schickte einen Boten zu den Artisten, die sofort verstummten – ein Zeichen, das den Gästen vertraut war.
»Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten, hmm?«, rief Fenring. Prächtig gekleidete Lakaien erschienen, um den Gästen den Weg zu zeigen. »Wir werden jetzt im Speisesaal Platz nehmen!« Traditionsgemäß bildeten Graf und Gräfin Fenring die Nachhut des Zuges.
Auf beiden Seiten des breiten Durchgangs zum Speisesaal standen Waschbecken aus vergoldeten Kacheln mit kunstvollen Mosaiken, die die Wappen der Häuser Corrino und Harkonnen darstellten, um den politischen Notwendigkeiten Genüge zu tun. Das Wappen des Hauses Richese, der vorigen Verwalter von Arrakis, war sorgfältig herausgemeißelt und durch den blauen Greifen der Harkonnens ersetzt worden. Die Gäste hielten vor den Becken an, tauchten die Hände ins Wasser und ließen es auf den Boden tropfen, bevor sie sich abtrockneten und die nassen Handtücher auf einen Haufen warfen.
Baron Harkonnen hatte diese Sitte eingeführt, um zu demonstrieren, dass ein planetarischer Gouverneur keine Rücksicht auf Wasserknappheit nehmen musste. Fenring war von dieser Idee, unbekümmert mit Reichtum zu prahlen, sehr angetan gewesen und hatte die Sitte übernommen – allerdings mit einer wohltätigen Abwandlung. Lady Margot hatte darin eine Möglichkeit erkannt, den Bettlern zumindest auf symbolische Weise etwas Gutes zu tun. Mit der widerstrebenden Einwilligung ihres Ehemannes hatte sie bekannt gegeben, dass im Anschluss an jedes Bankett die Bettler das Wasser in Empfang nehmen durften, das sich aus den benutzten Handtüchern wringen ließ.
Mit feuchten Händen betraten die Fenrings gemeinsam den langen Saal. Antike Gobelins schmückten die Wände. Frei schwebende Leuchtgloben drifteten durch den Raum, allesamt in gleicher Höhe über dem Fußboden und im gleichen Gelbton schimmernd. Über dem Tisch aus poliertem Holz hing ein Kronleuchter aus funkelndem blaugrünem Hagal-Quarz; an der tragenden Kette verbarg sich ein empfindlicher Giftschnüffler.
Eine kleine Armee von Dienern hielt die Stühle bereit und legte jedem Gast, der sich gesetzt hatte, eine Serviette auf den Schoß. Irgendjemand stolperte und stieß einen kristallenen Tafelaufsatz um, der am Boden zersplitterte. Sofort eilten Diener herbei, um die Scherben aufzuräumen und Ersatz zu bringen. Alle anderen gaben vor, nichts von diesem Zwischenfall bemerkt zu haben.
Margot, die an einem Ende des langen Tisches Platz genommen hatte, nickte freundlich dem Planetologen Pardot Kynes und seinem zwölfjährigen Sohn zu, die gemäß der Sitzordnung links und rechts von ihr saßen. Sie hatte mit Überraschung festgestellt, dass der Wüstenforscher, der sich ansonsten sehr rar machte, ihre Einladung angenommen hatte. Nun hoffte sie zu erfahren, welche der vielen Gerüchte, die über ihn in Umlauf waren, den Tatsachen entsprachen. Nach ihrer Erfahrung herrschten auf gesellschaftlichen Empfängen belanglose und unehrliche Gespräche vor, doch eine geschulte Bene Gesserit konnte auf diese Weise trotzdem viele interessante Dinge in Erfahrung bringen. Sie beobachtete den hageren Mann sehr aufmerksam, bemerkte einen Flicken auf dem grauen Kragen seines schlichten Kittels und die markanten Züge seines bärtigen Kinns.
Zwei Plätze weiter ließ sich die Ehrwürdige Mutter Mohiam auf einen Stuhl sinken. Hasimir Fenring setzte sich ans gegenüberliegende Ende des Tisches, direkt neben Baron Harkonnen. Da Margot wusste, wie sehr der Baron und Mohiam sich verabscheuten, hatte sie ihnen möglichst weit entfernte Plätze zugewiesen.
Fenring schnippte mit den Fingern, und durch die Seitentüren kamen Diener mit Tabletts voller exotischer Delikatessen herein. Sie verteilten sich rund um den Tisch, beschrieben das Angebot und verteilten Kostproben.
»Vielen Dank für Ihre Einladung, Lady Fenring«, sagte Kynes' Sohn. Der Planetologe hatte ihn als Weichih vorgestellt, ein Name, der soviel wie ›lieber Verwandter‹ bedeutete. Sie erkannte die Ähnlichkeiten zwischen dem jungen Mann und seinem Vater, doch der ältere Mann hatte etwas Verträumtes in den Augen, während dieser Weichih einen viel härteren Blick hatte, der vermutlich darauf zurückzuführen war, dass er auf Arrakis aufgewachsen war.
Sie lächelte ihn an. »Einer unserer Köche ist ein Fremen, der eine Sietch-Spezialität für das Bankett zubereitet hat – Gewürzkuchen mit Honig und Sesam.«
»Ist die Fremen-Cuisine im Imperium salonfähig geworden?«, fragte Pardot Kynes mit ironischem Lächeln. Er machte den Eindruck, als hätte er Mahlzeiten niemals unter anderen Gesichtspunkten als dem der Nahrungsaufnahme betrachtet und als wäre ein Bankett in seinen Augen lediglich etwas, das ihn von wichtigeren Dingen abhielt.
»Die Cuisine ist eine Frage des … Geschmacks«, bemühte sie sich um eine diplomatische Erwiderung. Ihre Augen funkelten.
»Ihre Antwort lautet also Nein«, sagte er.
Groß gewachsene Kellnerinnen von anderen Planeten gingen von Gast zu Gast und schenkten blauen, mit Melange gewürzten Wein aus Flaschen mit schlankem Hals ein. Zum Erstaunen der Einheimischen wurden Platten voller Fisch aufgefahren, der zwischen klaffenden Buzzell-Muscheln angeordnet war. Selbst die reichsten Bewohner von Arrakeen kamen nur selten in den Genuss von Meeresfrüchten.
»Ah!«, rief Fenring entzückt vom anderen Ende des Tisches, als ein Diener die Abdeckung eines Tabletts fortnahm. »Ich werde diese Ecazi-Rüben genießen, hmmmm! Vielen Dank, mein Lieber.« Der Diener goss eine dunkle Soße auf das Gemüse.
»Für unsere geschätzten Gäste ist uns nichts zu teuer«, sagte Margot.
»Lassen Sie mich erklären, warum dieses Gemüse so kostspielig ist«, meldete sich ein Diplomat von Ecaz zu Wort, der sofort die Aufmerksamkeit aller Anwesenden hatte. Bindikk Narvi war ein kleiner Mann mit tiefer, volltönender Stimme. »Sabotageakte in den Anbaugebieten haben unsere Vorräte für das Imperium drastisch reduziert. Wir haben diesem Ärgernis den Namen ›Grumman-Geißel‹ gegeben.«
Er blickte quer über den Tisch zum Botschafter von Grumman, einem schwergewichtigen Mann mit runzliger dunkler Haut und kräftigem Durst. »Außerdem haben wir Hinweise auf biologische Sabotage in unseren Nebelholz-Wäldern auf dem Kontinent Elacca entdeckt.« Die Nebelholzskulpturen der Ecazi, die durch die Kraft menschlicher Gedanken in die gewünschte Form wuchsen, wurden im gesamten Imperium geschätzt.
Trotz seiner massigen Gestalt sprach der Moritani-Vertreter namens Lupino Ord mit piepsiger Stimme. »Wieder einmal täuschen die Ecazi eine Verknappung vor, um die Preise in die Höhe zu treiben. Ein uralter Trick, den Sie immer wieder einsetzen, seit Ihre raffgierigen Vorfahren in Ungnade von Altterra vertrieben wurden.«
»Das entspricht nicht den Tatsachen …«
»Bitte, meine Herren!«, rief Fenring. Die Grummaner waren schon immer ein aufbrausendes Volk gewesen, das beim leisesten Anschein einer Beleidigung in Wut geriet. Für Fenring war es eine dünnhäutige und langweilige Angewohnheit. Er warf seiner Frau einen Blick zu. »Haben wir einen Fehler in der Sitzordnung übersehen, meine Liebe?«
»Vielleicht schon in der Gästeliste«, gab sie schlagfertig zurück.
Die Gesellschaft reagierte mit höflichem und verlegenem Gelächter. Die Streithähne verstummten, obwohl sie sich immer noch böse Blicke zuwarfen.
»Wie schön, dass unser berühmter Planetologe seinen prächtigen Sohn mitgebracht hat«, sagte Baron Harkonnen in schmierigem Tonfall. »Ein hübscher Bursche. Ihnen gebührt die Ehre des jüngsten anwesenden Gastes.«