Der Wüstenplanet – Der Erbe von Caladan - Brian Herbert - E-Book

Der Wüstenplanet – Der Erbe von Caladan E-Book

Herbert Brian

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Beschreibung

Lange, bevor er auf Arrakis, dem Wüstenplanet, zum Herrscher der Galaxis aufstieg, musste sich Paul Atreides auf seinem Heimatplaneten Caladan den Herausforderungen stellen, die seinen Charakter für immer prägen werden. Seine Mutter, Lady Jessica, wird vom Orden der Bene Gesserit gezwungen, Pauls Vater, Herzog Leto, zu verlassen. Leto muss Imperator Shaddam seine Loyalität beweisen und begibt sich auf eine tödliche Mission. Paul soll Caladan, die Heimatwelt der Atreides, in seiner Abwesenheit regieren. Ihm zur Seite stehen Thufir Hawat und Duncan Idaho – doch die politischen Unruhen auf Caladan werden jeden Tag stärker, und der junge Paul steht vor der schwierigsten Entscheidung seines Lebens …

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DAS BUCH

Lange bevor er auf Arrakis, dem Wüstenplaneten, zum Herrscher der Galaxis aufstieg, musste sich Paul Atreides auf seinem Heimatplaneten Caladan den Herausforderungen stellen, die seinen Charakter für immer prägen werden. Seine Mutter, Lady Jessica, wird vom Orden der Bene Gesserit gezwungen, Pauls Vater zu verlassen. Herzog Leto ist zum Ziel einer gewaltigen Intrige geworden und muss Imperator Shaddam seine Loyalität beweisen. Dazu begibt er sich auf eine gefährliche Mission mitten hinein ins Herz des Imperiums. Paul soll Caladan, die Heimatwelt der Atreides, in Letos Abwesenheit regieren. Ihm zur Seite stehen Thufir Hawat und Duncan Idaho – doch die politischen Unruhen auf Caladan, angestiftet durch ein Netz skrupelloser Verschwörer, nehmen Tag für Tag zu, und schon bald steht der junge Paul vor der schwierigsten Entscheidung seines Lebens.

DIE AUTOREN

Brian Herbert hat selbst Science-Fiction-Romane verfasst, darunter den in Zusammenarbeit mit seinem Vater Frank Herbert entstandenen Mann zweier Welten.

Kevin J. Anderson ist einer der meistgelesenen Science-Fiction-Autoren unserer Zeit. Zuletzt ist von ihm die gefeierte Saga derSieben Sonnen erschienen.

Mit seinem Zyklus um Arrakis, den Wüstenplaneten, hat Frank Herbert eine Zukunftssaga geschaffen, die in ihrer epischen Wucht und ihrem außerordentlichen Detailreichtum nur mit J. R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe zu vergleichen ist. Nach dem Tod des Autors 1986 schien diese Saga – zum Bedauern von Millionen von Leserinnen und Lesern rund um die Welt – zu einem Abschluss gekommen zu sein, bis Frank Herberts Sohn Brian, gestützt auf den umfangreichen Nachlass seines Vaters und gemeinsam mit dem bekannten Star-Wars-Autor Kevin J. Anderson, das atemberaubende Epos fortsetzte. Nach Die Chroniken des Wüstenplaneten und Die Legenden des Wüstenplaneten erzählen die beiden Autoren nun mit der »Caladan«-Trilogie die große Vorgeschichte von Frank Herberts Epos.

Mehr über die große Wüstenplanet-Saga erfahren Sie auf:

Brian Herbert Kevin J. Anderson

DER WÜSTENPLANET

DER ERBE VON CALADAN

Roman

Aus dem Amerikanischen vonJakob Schmidt

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der Originalausgabe:

DUNE – THE HEIR OF CALADAN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Taschenbuchausgabe 09/2023

Redaktion: Bernhard Kempen

Copyright © 2022 by Herbert Properties LLC

Copyright © 2023 dieser Ausgabe und der Übersetzung

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (diversepixel und Oliver Denker)

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-29276-8V001

www.diezukunft.de

Wenn wir überlegen, wem wir eines unserer Bücher widmen sollen, dann denken wir immer zuerst an die unglaublichen Frauen, die ihr Leben mit uns verbringen, Janet Herbert und Rebecca Moesta. Als Ausdruck unserer Hingabe widmen wir dieses Buch in Liebe Janet und Rebecca.

Als Zeichen unserer besonderen Dankbarkeit für seine umfassende Mitarbeit am Wüstenplanet-Universum und für seine anhaltende Unterstützung dieser Reihe möchten wir dieses Buch darüber hinaus Christopher Morgan von Tor Books widmen.

Jedes Mal, wenn ich den Traum durchlebe, erscheint er mir wirklicher. In meinen wachen Momenten sehne ich mich danach, in ihn zurückzukehren, obwohl ich spüre, dass dort eine ernste Gefahr droht.

Paul Atreides, persönliches Tagebuch

In einer ungewöhnlich warmen Nacht lag Paul in seinem schwach erleuchteten Schlafgemach wach, die Decke zurückgeschlagen. Er fühlte sich zutiefst allein auf Schloss Caladan, ohne festen Halt, denn Herzog Leto und Lady Jessica waren beide weit entfernt an verschiedenen Orten. Und auch Gurney Halleck war fort.

Aber er war der Erbe des Adelshauses Atreides, und er musste wie ein Herzog denken. Paul war nun fast fünfzehn und für Caladan verantwortlich, zumindest vorübergehend, bis zur Rückkehr seines Vaters.

Er wusste, dass die Mission des Herzogs von äußerster Wichtigkeit war, und dachte an die Aufzeichnung, die sein Vater ihm hinterlassen hatte. »Sieh dir das nur an, falls ich nicht zurückkehre«, hatte Leto gesagt und dem jungen Mann dabei die Shigadrahtspule übergeben. »Ich hoffe, du musst es nie. Du weißt, warum ich das tue, warum ich ein solches Risiko eingehe.« Und Paul sah dem Herzog an, dass er nun erst wirklich begriff, in welche Gefahr er sich begab – freiwillig, zum Wohle des Imperiums.

In der unangenehmen Hitze versuchte Paul zu schlafen. Er spürte den klebrigen Schweiß auf seiner Haut. Der Tag war für die Jahreszeit außergewöhnlich heiß gewesen, es fehlten die Meeresbrisen, die sonst immer über das Wasser strichen und die Temperaturen entlang der Küste mäßigten. Hinzu kam zu ihrem Pech, dass gerade jetzt das mechanische Kühlsystem des Schlosses versagt hatte. Die Ingenieure Caladans hatten die Anlage inspiziert, die Bedienungsanleitungen studiert, die sie von den ixianischen Herstellern erhalten hatten, und dem jungen Mann anschließend zerknirscht mitgeteilt, dass sie für den Abschluss der Reparatur zunächst Bauteile von anderen Planeten würden beschaffen müssen.

Paul war kein verhätscheltes Adelskind und kam mit solchen Unannehmlichkeiten zurecht. Er zog es vor, sich an das Wetter anzupassen und es ansonsten so weit wie möglich zu ignorieren, ein Mensch, der im Sturm der Elemente überlebte. Er hielt einfach die Fenster offen und freute sich über jede Meeresbrise. Seit den Ausflügen in die Wildnis, die er mit seinem Vater unternommen hatte, fühlte sich der junge Mann wohler, wenn er nicht ständig von Mauern umgeben war.

Aus Sicherheitsgründen und auch, weil es von einem herzoglichen Erben so erwartet wurde, konnte er allerdings nicht nach Lust und Laune umherstreifen. Er musste die Rolle des jungen Adligen spielen, der im altehrwürdigen Schloss residierte, jederzeit bereit, an Letos Stelle die Regierungsgewalt auszuüben. Das war es, was sein Vater von ihm erwartete, genauso wie der alte Herzog Paulus Atreides es vor einer Generation von seinem eigenen Sohn erwartet hatte.

Weil er seinen Vater stolz machen wollte, würde Paul diese Erwartungen erfüllen, obwohl ihm die Vorstellung, etwas anderes zu tun als das, womit die Leute rechneten, eigentlich besser gefiel.

Der Junge wälzte sich im Dunkeln hin und her und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Schließlich schwang er die Beine aus dem Bett und ging mit einem Laken und einem Kissen auf den kleinen Balkon vor seinem Schlafzimmer, wo er sich in seinem dünnen Nachthemd hinlegte. Der Fliesenboden war hart und warm, strahlte noch immer die Hitze des Tages ab. Mit einem Seufzer blickte er zu den sanft funkelnden Sternen am kristallklaren Nachthimmel empor.

Über ihm funkelten Sterne, deren Namen ihn sein Vater und Dr. Yueh gelehrt hatten – Seille, Ikam, Jylar und viele weitere. Sie alle waren Teil des gigantischen galaktischen Imperiums. Aber keiner der helleren Sterne, die zu dieser Zeit des Jahres über ihm am Himmel standen, gehörte zu einer mächtigen Adelsfamilie. Caladan befand sich weit abseits der Zentralwelten – durch den Normalraum war es ein weiter Weg zur Hauptwelt Kaitain, und es lag auch nicht an einer der größeren Fracht- und Passagierrouten, auf denen die Heighliner verkehrten. Andere Landsraadshäuser hatten eine ähnlich ungünstige Lage, aber manche leisteten dennoch Großes. Paul überlegte, wie es wohl um die Zukunft des Hauses Atreides bestellt war und welche Rolle er dabei spielen würde.

Während Paul dort lag, hörte er ein Flattern. Einer der dressierten Falken seines Vaters landete auf der steinernen Brüstung des Balkons. Im schwachen Licht bedachte das prachtvolle Geschöpf ihn mit einem Seitenblick und nahm dann eine wachsame Haltung ein, indem es den Kopf mal zur einen und mal zur anderen Seite drehte.

Paul begriff, dass der Vogel nicht zufällig hier war. Der Sicherheitschef des Hauses Atreides, Thufir Hawat, wusste von irgendwoher, dass der junge Mann auf den Balkon hinausgegangen war, und hatte deshalb den Falken geschickt. Der alte Krieger-Mentat und sein Stab arbeiteten seit einigen Wochen mit diesen Vögeln, die zu der vom Herzog betriebenen Falknerei gehörten. Diese speziellen Exemplare trugen Überwachungsgeräte am Körper.

Thufir sorgte sich ständig um Pauls Wohlergehen und beklagte sich über die »unnötigen Risiken«, die der Vierzehnjährige in letzter Zeit einging, indem er zum Beispiel steile Felswände emporkletterte oder seinen Thopter in gefährliche Meeresunwetter hineinsteuerte. Duncan Idaho hatte ihn bei solchen riskanten Unternehmungen begleitet und sie als Manöver bezeichnet, mit denen er den jungen Mann bis an seine Grenzen und darüber hinaus treiben wollte. Er hatte geschworen, Paul nie ein Leid geschehen zu lassen, doch schließlich hatte selbst Duncan sich Sorgen gemacht. »Vielleicht gehen wir ein bisschen zu weit«, räumte der Schwertmeister gegenüber dem Jungen ein. »Auch Thufir möchte, dass du etwas lernst, aber die Dinge müssen im Rahmen bleiben.«

Der Mentat wachte mit Falkenaugen über den Atreides-Erben, nun sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinne.

Paul streckte die Hand nach dem Vogel auf der Brüstung aus. Er beobachtete ihn, wandte sich dann ab und hielt weiter Wache. Paul konnte die auf seinem Federkleid befestigten kleinen Linsen und den Transponder an seiner Kehle erkennen. Zweifellos sah der alte Mentat in eben diesem Moment die von dem Vogel übertragenen Bilder.

»Thufir, ich bin vollauf dazu in der Lage, auf meinem eigenen Balkon auf mich selbst aufzupassen.«

Aus dem Transponder drang eine leise, aber hörbare Stimme. »Ich kann gar nicht ›zu sehr‹ um dein Wohlergehen besorgt sein, junger Meister. Wenn dir unter meiner Aufsicht ein Leid geschehen würde, verlören meine Fähigkeiten damit jeden Wert. Nein, ich möchte, dass du einen erholsamen Schlaf hast.«

Paul bettete sich auf sein Kissen. »Thufir … ich danke dir für deine Sorgfalt.«

Mit einer mentalen Übung der Bene Gesserit, die seine Mutter ihm beigebracht hatte, befreite er sich von störenden Gedanken und öffnete die Tür zum Reich des Schlafes. Nach einem weiteren langen Trainingstag mit Duncan war er erschöpft.

Während ihn die warmen Meeresbrisen umspielten und der Falke über ihn wachte, sank Paul in einen dunklen, einsamen Schlummer … doch die Dunkelheit wich einer Wüstenlandschaft mit heller Sonne auf heißen Dünen. Er stand auf einer Sandfläche und sah aus zusammengekniffenen Augen einen sonnenglühenden Felsvorsprung vor sich. In seinem Traum war es an diesem fernen Ort Morgen, aber die Wärme verhieß bereits einen neuen heißen Tag.

Eine Gestalt in Wüstenkleidung kam mit athletischen Bewegungen über einen Pfad auf dem großen Felsen zu ihm herab. Unten angekommen, schlug sie ihren Burnus zurück und gab den Blick auf die schalkhaften Züge einer jungen Frau frei. Ihre Haut war dunkler als seine, und ihr Haar war sandverkrustet.

Er hatte sie bereits zuvor gesehen, in vielen anderen Träumen, und auch ihre Stimme war ihm vertraut und trieb zu ihm herüber wie ein Windhauch aus der Wüste. »Erzähl mir von den Wassern deiner Heimatwelt, Usul.«

Paul, der all das bereits in mehreren eindrücklichen Varianten erlebt hatte, hatte das Gefühl, dass es sich um mehr als einen Traum handelte. Jedes Mal erwachte er daraus. Dieses Mal gelang es ihm, etwas länger in der anderen Wirklichkeit zu verweilen, aber als sein Traumselbst verzweifelt versuchte, eine Antwort von sich zu geben, Fragen zu stellen, verblassten die Landschaft und die faszinierende junge Frau.

Sehr viel später in derselben Nacht, als die Brisen feucht und kühl wurden, lag er auf dem offenen Balkon wach und wandte erneut seine mentalen Übungen an. In Gedanken zählte er seine adligen Atreides-Vorfahren auf. Das Schloss thronte bereits seit sechsundzwanzig Generationen hier über dem Meer. Erbaut hatte es damals Graf Kanius Atreides. Er war nicht der erste Atreides gewesen, der auf Caladan geherrscht hatte, doch von ihm stammte die Vision einer großen Festung auf diesem Felsvorsprung. Er hatte die Baupläne in Auftrag gegeben, als er erst neunzehn Jahre alt gewesen war, nicht viel älter als Paul jetzt.

Graf Kanius hatte das mächtige Schloss innerhalb von kaum mehr als zehn Jahren fertigstellen lassen, zusammen mit den Gärten und einem blühenden Küstendorf. Paul erinnerte sich an ein Bild vom Gesicht seines Vorfahren in einem Filmbuch, und dann dachte er an Kanius’ Nachfolger und zählte sie auf, bis er bei Paulus Atreides ankam, seinem eigenen Großvater, dessen Gemälde im Speisesaal des Schlosses hing.

Doch als Paul versuchte, sich das nächste Bild in der Reihe vor Augen zu rufen, das seines Vaters, erschien nur ein vager, verschwommener Umriss. Er vermisste Leto so sehr und hoffte, dass er bald zurückkommen würde.

Er spürte die Last all der Arbeit, die Kanius und seine anderen Atreides-Vorfahren geleistet hatten, all der Pläne und Entscheidungen, mit denen sie ihrem Großen Haus zu Macht verholfen hatten. Schließlich sank er in einen tiefen, sorgengeplagten Schlaf.

Im Imperium werden alle Geheimnisse sorgfältig verborgen, und jene, die besonders viel Schaden anrichten können, verbirgt man nicht nur, sondern vergräbt sie tief – zusammen mit möglichen Zeugen.

Graf Hasimir Fenring in einer privaten Mitteilung an Shaddam IV.

Der Planet Elegy besaß wunderschöne Wälder, Flüsse und Seen, aber er war nicht Jessicas wahre Heimat, und seine Schönheit war von anderer Art als die der Ozeanwelt Caladans. Sie versuchte, sich mit dem Gedanken – mit der Hoffnung – zu trösten, dass sie hier nur zu Besuch war und bald zu Herzog Leto und ihrem Sohn Paul heimkehren würde. Aber mit jedem Tag, den sie getrennt von ihnen verbrachte, fand sie sich hier ein wenig mehr ein, und als gebundene Konkubine von Graf Giandro Tull – auf Befehl der Bene Gesserit – nahm sie immer mehr an seinem Leben teil.

Besorgt saß sie in dem kompakten, aber hübsch eingerichteten Arbeitszimmer, das der gut aussehende Graf ihr zur Verfügung gestellt hatte. Ein Hain von Flechtenbäumen verbarg das kleine Verwaltungsgebäude vor Blicken aus dem Anwesen. Giandros eigenes Arbeitszimmer befand sich weiter unten am selben Korridor, und sie konnte einen stetigen Strom von Beamten an ihrer Tür vorbeieilen sehen, darunter eine überraschend große Zahl uniformierter Militäroffiziere. Obwohl sie unter der Oberfläche verborgen gewesen waren, hatte Jessica inzwischen von den wahren Plänen des Adligen erfahren.

Erst vor wenigen Tagen, als sie dem auf einem edlen Vollblut reitenden Graf Tull durch die Wälder nachgeschlichen war, hatte Jessica beobachtet, wie er eine geheimnisvolle Waffenlieferung erhalten und in einem Bunker unter der Erde eingelagert hatte. So hatte sie erfahren, dass Giandro Tull ein stiller Unterstützer der gewalttätigen Rebellion des Adelsbunds war.

Diese Erkenntnis änderte ihre Beziehung von Grund auf, aber da er ihr die Rettungsmission für Paul ermöglicht hatte, stand Jessica tief in der Schuld des Mannes. Nachdem sie Giandro mit ihrem Wissen konfrontiert hatte, hatte er sie ins Vertrauen gezogen. Dennoch offenbarte er ihr nicht den zutiefst persönlichen Grund für seinen Beschluss, den Sturz des Corrino-Throns zu unterstützen. Sie beide hatten noch nicht völlig verstanden, was ihre neuen Rollen und ihr Bündnis miteinander bedeuteten.

Jessica war im Moment damit beschäftigt, Bestellformulare für Stoffe aus Flechtenmaterial auszufüllen. Sie machte die Buchführung von Hand – eine veraltete Methode, die sie aber aufheiterte. Auch Herzog Leto hatte einen großen Teil seiner Verwaltungsarbeit von Hand erledigt.

In Anbetracht der Geheimnisse, die sie miteinander teilten, vertraute Giandro ihr genug, um ihre Rolle in seinem Haushalt auszuweiten und sie um ihre Hilfe bei der Organisation der Einkäufe zu bitten. Für sie war diese Rolle eine hervorragende Tarnung, und er stellte es ihr frei, alles zu erwerben, was sie wollte. Aus Nostalgie versuchte Jessica, eine Ladung Mondfisch von Caladan zu bestellen, nur um zu erfahren, dass keiner mehr erhältlich war. Sie fragte sich, was an dem Ort, den sie nach wie vor als ihre Heimat betrachtete, vor sich gehen mochte.

Giandro Tull machte blühende Geschäfte, von denen manche insgeheim mit der Rebellion zu tun hatten. Und nun, nachdem die Sardaukar seine Güter inspiziert und für sauber erklärt hatten, war er kühner geworden. Anscheinend hatte er kurz danach mit der offenen Unterstützung von Jaxson Aru begonnen. Jessica verstand immer noch nicht, warum.

In der kurzen Zeit, die sie den Adligen nun kannte, hatte sie Respekt für ihn entwickelt und ihn sogar liebgewonnen – innerhalb der von ihr selbst gesetzten Grenzen. Obwohl er sie öffentlich zu seiner Konkubine erklärt und damit die Bene Gesserit und andere Außenstehende zufriedengestellt hatte, zeigte er kein romantisches oder sexuelles Interesse an ihr oder an sonst jemandem.

Es war nicht die Art von Beziehung, für die viele sie hielten, aber sie funktionierte für sie beide gut. Sollten andere glauben, was sie wollten. Inzwischen würde sie alles Notwendige tun, um diese Mission zu beenden, damit sie zu Leto und Paul zurückkehren konnte.

Sie seufzte. Unter anderen Umständen hätte sie sich vielleicht damit zufriedengegeben, beim Haus Tull zu bleiben. Aber nicht, nachdem sie Leto kennengelernt hatte. In ihm, dem Herzog von Caladan, hatte Jessica das gefunden, was für sie einem idealen Partner am nächsten kam … selbst nach dem schrecklichen Streit, der sie entzweit hatte. Obwohl sie wusste, dass Leto an ihr zweifelte, war ihre Liebe zu ihm noch immer stark. In den Augen der Schwesternschaft war sie ohnehin schon ein schwarzes Schaf, weil sie beschlossen hatte, den Sohn zur Welt zu bringen, den Leto sich gewünscht hatte, anstelle der Tochter, die auszutragen man ihr befohlen hatte …

Im Korridor vor ihrem Arbeitszimmer hörte sie etwas zu Boden fallen, als ein uniformierter Militäroffizier vorbeihastete. Sie blickte auf und sah ihn auf dem Boden knien, um die Papiere, die er verloren hatte, wieder einzusammeln und in eine Ledermappe zu stecken. Er gehörte zu den militärischen Leibwächtern, die Giandro in die Hügel begleitet hatten, um die illegale Waffenlieferung in Empfang zu nehmen. Nachdem er die Papiere vom Boden aufgelesen hatte, eilte der Mann zum Büro des Grafen weiter.

Jessica fiel auf, dass eines der losen Blätter unter ihrer Tür hindurchgerutscht war. Es war eine Art technische Zeichnung. Sie hob es auf, aber der Offizier war bereits im Arbeitszimmer des Grafen verschwunden. Ein Schauer überlief sie, als sie die Zeichnung betrachtete – anscheinend hatte sie etwas mit den geheimen Waffenlieferungen und einer neuen militärischen Entwicklung zu tun.

Sie erinnerte sich an den gehetzten, nervösen Ausdruck auf dem Gesicht des Mannes und ging rasch den Flur entlang, um ihm das fehlende Dokument zu bringen. Sie drängte sich an dem Sekretär vorbei, der das Arbeitszimmer des Grafen bewachte. Erschreckt rief er ihr etwas hinterher, als würde er die neue Konkubine nicht erkennen.

Als er den Lärm hörte, öffnete Giandro die Innentür, und ihre Blicke trafen sich.

»Jessica! Was ist los?«

Drinnen stand der nervöse Offizier vor dem Schreibtisch und sortierte seine Unterlagen.

Jessica hielt die technische Zeichnung empor. »Ich nehme an, das ist etwas Wichtiges.«

Der Offizier blickte mit entsetzter Miene vom Schreibtisch auf. »Es tut mir l-leid, Mylord! Ein unentschuldbares Missgeschick meinerseits.«

»Aber auch ein Glücksfall.« Giandro winkte Jessica herein und bedachte den verwirrten Sekretär im Vorraum mit einem beruhigenden Blick. Dann schloss er die Tür, damit sie unter sich waren. »Wir können froh sein, dass Jessica es war, die das Dokument gefunden hat, und nicht jemand, der uns schaden will.«

Sie senkte den Kopf und gab sich demütig. »Ich bin nicht hier, um eine politische Rolle zu spielen.« Ihr Blick fiel auf das spiralförmige blaue Tull-Wappen in der Mitte des alten Schreibtischs, das teilweise von den Papieren verdeckt wurde.

»Die weisen Worte einer Bene Gesserit«, sagte er. »Aber selbstverständlich schätze ich dein Wissen und höre gern deine Meinung. Dies ist Lef-Major Zaldir, einer unserer Experten bei einem neuen Projekt.« Er bedachte den Offizier mit einem bedeutungsvollen Blick. »Jessica ist über unsere Pläne im Bilde, und sie genießt mein volles Vertrauen.«

Zaldir war sowohl beunruhigt als auch überrascht. »Selbst … in dieser Sache, Sire?«

»Selbst in dieser Sache.«

Jessica hatte einen Blick auf die Zeichnung geworfen. »Diese Baupläne sind mir unbekannt. Ich habe die letzte Waffenlieferung beobachtet, obwohl ich es nicht hätte tun sollen. Gehören auch diese Geräte dazu?«

Giandro sah sie mit einem herzlichen Lächeln an. »Es ist beunruhigend, dass du mir nachspioniert hast, und sogar noch beunruhigender, dass es dir gelungen ist, aber letztendlich war es eine glückliche Fügung. Dass du von unseren Bemühungen weißt, macht vieles unkomplizierter für uns.«

Zaldir nahm das Dokument entgegen und fügte es an der richtigen Stelle ein. Er wirkte besorgt. »Die ersten Prototypen der Schildneutralisatoren sind verpackt und können verschifft werden.« Als er wieder zu Jessica aufblickte, standen ihm Schweißperlen auf der Stirn. »Weiß sie … weiß sie von …?«

»Ja, sie weiß, dass die neue Lieferung an Jaxson Aru gehen soll.«

Jessica überspielte ihre Überraschung. Tatsächlich hatte sie das nicht gewusst. Sie sprach leiser. »Die Vorliebe dieses Mannes für große und blutige Demonstrationen gefällt mir nicht.« Auf Otorio war Leto einer der unschuldigen Zuschauer gewesen, die dem Massaker gerade noch entronnen waren. So viele andere waren ums Leben gekommen, und der Vorfall hatte ihn zutiefst erschüttert.

Beunruhigt über ihre Vorbehalte bedeutete Giandro Jessica, neben dem Lef-Major Platz zu nehmen. Die antiken Stühle trugen ebenfalls das Wappen des Hauses Tull. Er runzelte die Stirn und sagte: »Auch wenn ich den Adelsbund unterstütze – aus in meinen Augen hinreichenden Gründen –, bin ich nicht immer mit Jaxsons Vorgehen einverstanden. Ich würde eine weniger gewalttätige und dafür wirkungsvollere Herangehensweise bevorzugen. Deshalb dient diese neu entwickelte Waffe zur Verteidigung und nicht zum Angriff.« Er sah sich in seinem persönlichen Arbeitszimmer um, als wollte er sich noch einmal seiner Sicherheitsvorkehrungen vergewissern. »Dieses Zimmer ist abgeschottet und abgeschirmt. Wir können hier offen sprechen. Lef-Major, erzählen Sie ihr von den Neutralisatoren.«

Obwohl sich der Offizier anscheinend immer noch unsicher darüber war, ob sie Jessica wirklich in ihren innersten Kreis einbeziehen sollten, zog er die technischen Dokumente heran. »Diese Geräte bringen unsere Verbündeten auf Augenhöhe mit unserem weit überlegenen imperialen Feind.« Offenbar interessierten ihn technische Details weitaus mehr als das militärische Protokoll, und sein Vortrag wurde lebhafter. »Unser genialer neuer Neutralisator kann innerhalb eines gewissen Radius persönliche Schilde kurzschließen. Sobald ein solches Gerät aktiviert wird, sind unsere Gegner für Projektilwaffen, Nadelpistolen, antike Schusswaffen verwundbar – womit sie niemals rechnen werden. Stellen Sie sich vor, wie die unbesiegbaren Sardaukar von ganz normalen Kugeln niedergemäht werden!«

Als Jessica begriff, was das bedeutete, nickte sie. Die Erfindung und der Einsatz persönlicher Schilde bei Gefechten hatte Projektilwaffen seit Tausenden von Jahren obsolet gemacht. Niemand würde auch nur einen Gedanken daran verschwenden, sich davor zu schützen. Die Einführung von Tulls Schildneutralisatoren würde die Kriegsführung – wieder einmal – grundsätzlich verändern.

Der Graf überflog den Bericht. »Natürlich würden sie gegen die sehr viel wichtigeren Pentaschilde und Hausschilde nicht wirken. Aber was für eine Überraschung im Nahkampf!«

Sie nickte. »Die Sardaukar wissen mit Sicherheit nichts davon, dass die Rebellen über eine solche Verteidigung verfügen. Wenn sie jemals Jaxson Aru oder die Basis des Adelsbunds aufspüren, werden sie all ihre Kräfte ins Gefecht werfen.« Sie gestattete sich ein winziges Lächeln. »Und sich so selbst der Gefahr ihrer Vernichtung aussetzen.«

Bei ihrer heimlichen Reise nach Caladan zur Rettung ihres Sohns hatte sie mit Paul gesprochen, doch Leto selbst war in geheimer Mission unterwegs gewesen. Da er durch sein Wort gebunden war, hatte Paul ihr nicht verraten, worum es bei der Mission ging, aber Giandro Tull hatte bereits angedeutet, dass auch Leto auf die Rebellen zugekommen war. Das erschien ihr unmöglich … es sei denn, Leto hatte besondere Beweggründe dafür.

Sie blickte auf und sah den fröhlichen Ausdruck auf dem Gesicht des Adligen, als er fortfuhr: »Wir verschiffen die Prototypen des Schildneutralisators an einen Rendezvouspunkt, von dem aus Jaxson sie dann an die Rebellen verteilen kann. Ich werde ihm in einer Nachricht die enorme Bedeutung dieser Geräte erklären.«

Lef-Major Zaldir sammelte seine Papiere ein. »Die Kisten stehen in Ihren Stallungen bereit, Mylord. Sie sind nicht gekennzeichnet. Der Sicherheitsdienst wird den Bereich räumen, sodass Sie ihre Nachricht aufnehmen können. Wir können sie auf einem verschlüsselten ridulianischen Kristall speichern, sodass niemand außer Jaxson Aru sie abspielen kann.«

Giandro erhob sich von seinem Platz hinter dem antiken Schreibtisch. »Jessica wird neben mir stehen, während ich die Nachricht aufzeichne. Ich will meine neue Konkubine an meiner Seite haben.«

Mit einem Mal flackerte Beunruhigung in Jessica auf. Was, wenn Leto die Nachricht bei seinen Geschäften mit dem Rebellenanführer sah? »Es wäre mir lieber, nicht öffentlich zur Schau gestellt zu werden, Mylord.«

Er lachte. Natürlich verstand er ihre Sorge nicht. »Keine Angst, es handelt sich um ein höchst vertrauliches Kommuniqué.« Er zog eine braune Militärjacke mit silber- und goldfarbenen geriffelten Schulterstücken an und machte sich an die Formulierung seiner Nachricht.

Miss uns nicht an unseren Worten, sondern an unseren Taten – und selbst die können sich den Umständen entsprechend ändern. Von außen kann niemand je die geheimen Absichten in unseren Herzen erahnen.

Das Buch Azhar der Bene Gesserit, Kommentare zur Ausbildung

Ur-Direktorin Malina Aru war nicht davon überzeugt, dass selbst die Sicherheitsvorkehrungen der MAFEA-Festung auf Tanegaard sie schützen konnten, insbesondere jetzt, da Jaxson Aru davon überzeugt war, dass seine Mutter ihn bei seiner Sache unterstützte. Er glaubte, dass sie einen gewalttätigen, chaotischen Sturz des Corrino-Imperiums befürwortete, anstelle einer kontrollierten Umgestaltung der Regierung.

Nachdem sie Jaxsons geheime Kommandozentrale auf der abgelegenen Welt Nossus hinter sich gelassen hatte, war Malina hierher nach Tanegaard gereist, um sich mit ihren beiden anderen Kindern zu treffen, denen, auf die Verlass war. Gemeinsam konnten sie ihren Umgang mit dieser Furcht einflößend radikalen Splittergruppe besprechen. Sie hoffte, dass sie mit ihren Zweifeln nicht alleine dastand.

Ihr Privattransporter verließ den Gildenheighliner über Tanegaard. Weil Malina die Urdir der Merkantilen Allianz für Fortschritt und Entwicklung im All war, konnte sie den Raumverkehr ihren Wünschen und Bedürfnissen gemäß umleiten. Nach allem, was sie auf Nossus gehört und gesehen hatte, waren ihr Unannehmlichkeiten für andere egal, selbst wenn es sich um die mächtigsten Häuser des Landsraads handelte. Nachdem der gewaltige Heighliner ihr Schiff abgeliefert hatte, verließ er sofort die Umlaufbahn, und sein hellsichtiger Navigator faltete den Raum, sodass er seinen Weg fortsetzen konnte. Die Passagiere an Bord bekamen wahrscheinlich nicht einmal etwas von dem Umweg mit.

Frankos und Jalma waren ebenfalls hierher unterwegs. Als Präsident und Galionsfigur der MAFEA konnte ihr Sohn Frankos in ähnlicher Weise seine Beziehungen spielen lassen, um schnellstens nach Tanegaard zu gelangen. Und auch Jalma, die Herrin und zugleich die Triebfeder des Hauses Uchan, konnte eine rasche Beförderung für sich arrangieren. Als ihre Mutter die beiden gerufen hatte, hatte sie ihnen mit einem Codewort mitgeteilt, dass sie sich auf einen Kampf einstellen sollten. Malina wusste, dass ihre Kinder sofort zu ihr eilen würden.

Jaxson musste unter Kontrolle gebracht werden.

Da er ihr schon lange zu Diensten war, wusste ihr Privatpilot, dass sie kein hirnloses Geplauder von ihm hören wollte. Kühl und professionell steuerte er den Flieger der Urdir zu der zyklopischen Gebäudelandschaft Tanegaards hinab, die mit ihren großen, klotzigen Bauten aussah, als könnte sie einer Supernova standhalten. Malina sah zum Fenster hinaus, während sie gedankenverloren über das silberne Fell ihrer beiden Stachelhunde Har und Kar strich. Die Tiere lagen neben ihr auf dem Deck. Sie folgten ihr bereitwillig, wohin sie auch ging.

Tanegaards mehrfach gesicherte Stahlkammer enthielt geheime finanzielle, geschäftliche und persönliche Aufzeichnungen, auf die niemand sonst im Imperium Zugriff hatte, nicht einmal der Imperator. Diese Informationen waren absolut vertraulich und konnten all jene vernichten, die sie betrafen. Ohne das Vertrauen in die absolute Verschwiegenheit der MAFEA würden viele Landsraadshäuser keine Geschäfte mit ihr machen. Hätte Shaddam in seiner Machtherrlichkeit versucht, die Herausgabe solcher Informationen für irgendwelche kurzsichtigen politischen Zwecke zu erzwingen, hätte jeder Ur-Direktor die hier aufbewahrten Unterlagen eher zerstrahlt, als sie herzugeben.

In den Anfangstagen des Imperiums hatten die Leiter der Merkantilen Allianz Tanegaard gekauft, einen unbekannten Planeten mit wenig natürlichen Ressourcen. Dort hatte die Gesellschaft ihr Hauptquartier als uneinnehmbare Zitadelle errichtet. Die hier lebenden Bürokraten dienten der MAFEA seit mehreren Generationen. Nur sehr wenige hatten je den Planeten verlassen oder den Wunsch danach geäußert. Sie lebten in ummauerten Enklaven und verwalteten die Geschäfte eines galaktischen Imperiums, das eine Million Welten umspannte.

Sanft sank ihr Schiff vom ruhigen Himmel herab. Als Urdir war sie dazu verpflichtet, sich mit ihren wichtigsten Sekretären, ihren Abteilungsleitern und Handelskommandeuren zu treffen, aber den wahren Grund für ihr Treffen mit Jalma und Frankos konnte sie ihnen nicht offenbaren. Malinas weit zurückreichende Verwicklung in die breitere, vorsichtiger agierende Adelsbund-Bewegung war ein gut gehütetes Geheimnis, und würde es jemals ans Licht kommen, hätte das nicht nur ihren persönlichen Untergang bedeutet, sondern auch den Niedergang der MAFEA im Imperium. Jede Unterstützung Jaxsons würde ein tausendfach wirksameres Gift sein.

Ihr Schiff setzte auf einer Landefläche neben dem gigantischen, zwanzig Stockwerke emporragenden Zentralgebäude auf. Die Ur-Direktorin verließ ihr Schiff mit den wachsamen Stachelhunden an ihrer Seite. Beeindruckt ließ sie den Blick an der nackten Wand der Zitadelle emporwandern. Der Stein war glatt und unmöglich zu erklimmen, und die gepanzerten Wände waren stabil genug, um selbst dem Aufprall eines abstürzenden Raumschiffs standzuhalten. So hatte man es ihr zumindest gesagt.

Die Zitadelle war von gewölbeartigen Konferenzzimmern durchzogen, von Audienzsälen und Privatbüros und von Datenbibliotheken voller kompakter Shigadrahtspulen und Bahnen von ridulianischem Kristallpapier. Die Archive erstreckten sich kilometerweit über die Planetenoberfläche, und es waren Heerscharen von Mentatenbibliothekaren nötig, um auch nur ansatzweise das Ablagesystem zu begreifen und darin gezielt nach Informationen zu suchen.

Eine Militärkohorte von Firmenadjutanten und Majordomi stand unter einer Reihe von Bannern mit den schwarzen, roten und gelben Kreisen der MAFEA. Ein hochgestellter Adjutant – Holton Tassé – trat auf sie zu und verneigte sich zackig, wobei er so tat, als bemerkte er die zwei wilden Stachelhunde nicht. Obwohl er innerhalb der MAFEA ein eher kleines Licht war, verfügte er über mehr Macht als weite Teile des Landsraads. Sie hatte schon oft auf seine Hilfe zurückgegriffen.

»Ur-Direktorin, als wir von diesem unerwarteten Besuch erfahren haben, haben wir sofort unsere Agenda angepasst. Wir werden so viele Konferenzen arrangieren, wie Sie es wünschen. Zahlreiche Terminsekretäre stehen bereit, um die Abläufe mit Ihnen abzustimmen. Wir können mit Zeitfenstern von nur fünf Minuten arbeiten.«

»Reduzieren Sie all das auf ein Minimum«, sagte Malina, als sie an dem Adjutanten vorbeiging, ihre Stachelhunde dicht auf ihren Fersen. »Ich tue, was zum Wohl der Firma nötig ist, aber ich bin nicht nur Ur-Direktorin, sondern auch Mutter. Jalma und Frankos müssen an erster Stelle stehen. Wenn sie eintreffen, schicken Sie sie zu mir und sagen Sie alle weiteren Termine ab.«

Sie schritt durch das Gewirr von Büros, Verwaltungsdepots und Konferenzsälen. Die gewaltigen Korridore waren breit genug für die langsam dahinschwebenden Suspensorwagen, auf denen sich Lieferungen oder Passagiere auf dem Weg von einem Büro zum anderen befanden. Sie wandte sich Tassé zu. »Terminieren Sie meine erste Konferenz in einer halben Stunde. Wir werden so viel Geschäftliches wie möglich erledigen.«

Auf Nossus hatte Malina Jaxsons begieriges Lächeln gesehen, als er mit seinen gefährlichen Plänen geprahlt hatte. Erfreut, dass sie ihn anscheinend unterstützte, hatte er mit großer Geste die Angehörigen seines radikalen inneren Kreises vorgestellt. Sie alle waren schon zuvor Unterstützer der umfassenderen Bewegung des Adelsbunds gewesen, aber Malina hatte nicht gewusst, dass sie ungeduldig genug waren, um sich der gewalttätigen Randgruppe ihres Sohnes anzuschließen. Zu den prominenten Angehörigen des inneren Kreises gehörten die Köpfe der Häuser Londine, Fenimer, Mumford, Myer, Vok, Ellison und sogar der frisch rekrutierte Giandro Tull.

Besonders stolz war Jaxson allerdings auf seine taufrische Allianz mit Herzog Leto Atreides von Caladan gewesen, einem Mann, der für seinen strengen Ehrenkodex bekannt war. Dass der Herzog sich nicht nur dem Adelsbund angeschlossen hatte, sondern auch Jaxsons extremistischen Bestrebungen, sprach Bände über den verbreiteten Hass auf die Corrino-Imperatoren.

Malina konnte solche Gefühle allerdings von ihrem Handeln trennen. Während der nächsten Stunden saß sie in sechs direkt aufeinanderfolgenden Besprechungen in einem Hochsicherheits-Konferenzzimmer ohne Fenster und mit nur einer einzigen dicken Metalltür, und ihre Geschäftspartner ahnten nicht einmal, dass sie gedanklich mit anderen Dingen beschäftigt war. Die Urdir schien ihnen ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken, und sie gingen mit einem Gefühl der Zufriedenheit. Zu jedem anderen Zeitpunkt wären ihr solche Geschäfte bedeutend erschienen, aber nun verblasste alles andere im Licht ihrer gegenwärtigen Prioritäten. Die Stachelhunde, die ihre Nervosität spürten, hielten wachsam die Ohren aufgestellt.

Malina nahm ein erlesenes Abendessen zu sich, wickelte dabei einige Geschäfte ab und saß anschließend einer weiteren Reihe von Besprechungen vor, bevor sie schließlich schlafen musste. Der nächste Morgen begann mit mehreren schnell getakteten Konsultationen in ihrem großen Büro, bei denen jeder ihrer Adjutanten wie von Tassé versprochen nicht mehr als fünf Minuten Zeit bekam. Ihre Anspannung wuchs, sie war ungeduldig und mit dem Kopf nicht bei der Sache.

Nachdem die Adjutanten gegangen waren, um ihre Befehle auszuführen, trat Holton Tassé vor und sagte: »Wir haben in Ihrer Abwesenheit etwas Besorgniserregendes festgestellt, Urdir.« Er legte ein Schriftstück auf ihren Schreibtisch. »Ich habe diesen Bericht erstellen lassen.«

Malina überflog die Zusammenfassung und blickte dann zu ihm auf. Ihr Gesicht fühlte sich heiß an. »Eine Sicherheitslücke in der Stahlkammer? In unserem schwarzen Archiv?« Sie konnte ihre Beunruhigung nicht verbergen. Dort lagen ihre explosivsten, belastendsten Unterlagen, die die MAFEA nur als letztes brutales Mittel zur Kontrolle widerspenstiger Häuser oder sogar des Imperators in der Hinterhand behielt.

»Sobald wir davon erfahren haben, habe ich eine Untersuchung angeordnet, allerdings hat sich der Einbruch wahrscheinlich schon vor längerer Zeit ereignet.« Tassé war ziemlich groß, mit lockigem blondem Haar, das sich auf der Schädelplatte lichtete. »Er wurde professionell durchgeführt und vertuscht, aber wir verfügen über ein neues System zur Spurensuche, das weiter in die tiefer liegenden Datenschichten vordringt.«

»Wer war das? Wie ist es dazu gekommen? Das schwarze Archiv!«

Tassé vergewisserte sich mit einem Blick, dass die anderen Adjutanten alle gegangen waren. Eine Reihe von Geschäftsleuten wartete im Vorzimmer darauf, für ein Gespräch mit Malina an die Reihe zu kommen.

»Jemand hat die Sicherheitscodes umgangen, Urdir, und sich dabei schlau genug angestellt, um keine Hinweise auf seine Identität zu hinterlassen. Anscheinend wurde Datenmaterial kopiert, aber keines gestohlen oder gelöscht.«

»Eigentlich sollten das unsere am besten geschützten Unterlagen in unseren sichersten Räumen sein.« Sie schäumte vor Wut, wohl wissend, was das schwarze Archiv enthielt: Hier fand sich alles über Vetternwirtschaft und Korruption im Imperium, über geheime Machenschaften, Erpressung und über explosive Geschäfte unter der Hand – das System, das gewährleistete, dass einige Häuser oben blieben und die meisten anderen unten.

Sie holte tief Luft. »Ich habe bereits genug um die Ohren. Wenn das schwarze Archiv an die Öffentlichkeit kommt, wird es einen blutigen Bürgerkrieg geben. Worauf haben die Täter es abgesehen? Haben wir irgendwelche Drohungen oder Ultimaten erhalten?«

»Nein, haben wir nicht. Es ist höchst sonderbar.«

Malina stand auf, und angesichts dieses neuen ungeklärten Problems sagte sie alle weiteren Konferenzen für den Tag ab, sehr zur Enttäuschung derjenigen, die meinten, Dringendes mit ihr besprechen zu müssen. Tassé wurde damit beauftragt, die Ermittlungen fortzusetzen.

Als der Nachmittag sich dem Ende zuneigte, trafen Frankos und Jalma auf Tanegaard ein. Angesichts Malinas finsterer Stimmung wirkten sie beunruhigt, aber pflichtschuldig: Sie würden tun, was immer ihre Mutter – und die Ur-Direktorin – von ihnen verlangte.

Malina nahm das abgeschirmte Konferenzzimmer in Beschlag und ließ sich mit ihrer Tochter und ihrem älteren Sohn dort nieder. Die Stachelhunde bezogen neben der Tür Stellung.

Obwohl sie ihre Kinder seit einer Weile nicht gesehen hatte, trat sie nicht auf sie zu, um sie zu umarmen, und zeigte auch sonst keine mütterliche Wärme. In der Familie Aru herrschte ein anderer Umgang. Sie waren mächtig, reich, ehrgeizig und zufrieden, aber Lachen, Umarmungen und Küsse suchte man bei ihnen vergeblich. Stattdessen sah die Urdir ihnen in die Gesichter, erwiderte ihre fragenden Blicke und schwieg eine ganze Weile.

Frankos war hochgewachsen und schlank, und trotz seiner selbstsicheren Körperhaltung und seines stahlgrauen Haars wirkte er jugendlich, während Jalma kurzes, dunkles Haar hatte und die konservative Garderobe einer Frau von Pliesse trug. Als Präsident und Galionsfigur der MAFEA hatte Frankos gelernt, seine Gefühle im Zaum zu halten und heikle politische Spiele zu verfolgen. Jalma hingegen legte gelegentlich eine ähnliche Ungeduld wie ihr jüngerer Bruder an den Tag, zum Beispiel, als sie das Ableben ihres tatterigen alten Ehemanns beschleunigt hatte, der ohnehin schon seit Jahren an der Schwelle des Todes gestanden hatte.

»Warum sind wir hier, Mutter?«, fragte Jalma. »Ich war gerade mit wichtigen Hederholz-Verhandlungen beschäftigt, und Frankos hat einem multiplanetaren Gipfel in der Silbernadel auf Kaitain vorgesessen.«

Anstatt sich zu rechtfertigen, legte Malina einfach vor sich auf dem Tisch die schlanken Hände übereinander. Solange sie keine weiteren Informationen über den Einbruch ins schwarze Archiv hatte, würde sie ihn nicht erwähnen. Vorerst beschränkte sie sich auf den ursprünglichen Grund, aus dem sie die beiden herbestellt hatte. »Tatsächlich, und ich wäre sehr viel lieber zu Hause auf Tupile, aber es geht um Jaxson. Ich habe mich gerade mit ihm und seiner Gruppe gefährlicher Rebellen getroffen, also weiß ich genau, was sie im Schilde führen.« Sie kniff die Augen zusammen. »Und ich weiß, dass ihr beide unter vier Augen behauptet habt, ihn zu unterstützen. Seid ihr also wirklich so unzufrieden damit, dass der Adelsbund nur hinter den Kulissen arbeitet? Könnt ihr nicht die Auflösung des Imperiums auf eine von uns kontrollierte Art abwarten?«

Schnaubend lehnte Jalma sich zurück und strich sich über das strenge, konservative Kleid, gab aber keine Antwort.

Frankos wirkte peinlich berührt. »Er ist zu uns gekommen, Mutter, allein, und hat seine Vorstellungen von einem beschleunigten Zeitplan erklärt. Ich habe mir angehört, was er zu sagen hatte, aber ich habe seine Ideen nicht direkt gutgeheißen. Er kann einen ziemlich … überwältigen.«

Jalma wirkte aufgebracht. »Wir haben ihn nur bei Laune gehalten, Mutter. Du weißt, dass es gefährlich ist, Jaxson nicht zuzuhören. Wir haben so getan, als wären wir seiner Meinung.« Sie stieß einen entnervten Seufzer aus. »Ich hatte die Regierung auf Pliesse gerade vollständig unter Kontrolle gebracht – glaubst du vielleicht, ich wollte, dass er uns für eines seiner bombastischen Kundgebungen aus dem All bombardiert?«

»Jaxson glaubt vielleicht, dass wir interessiert sind oder sogar mit ihm sympathisieren, aber wir haben ihn nicht ermutigt«, erklärte Frankos beharrlich.

»Natürlich wären wir interessiert – wenn ich an seinen Erfolg glauben könnte«, sagte Jalma. »Er würde das Imperium ein Jahrhundert früher umgestalten, als wir es geplant haben. Der Adelsbund würde von der Theorie zur Wirklichkeit werden.«

Malina ließ den Blick langsam und bedächtig zwischen den beiden hin und her wandern.

Frankos legte die Stirn in Falten und fragte: »Wie hat Jaxson dich zu seinem neuen Versteck gebracht? Er hält die Koordinaten dieser Welt absolut geheim.«

»Er kam mit dem gleichen Angebot zu mir, das er auch euch gemacht hat«, sagte sie und bedachte die beiden mit einem nachsichtigen Lächeln. »Und auch ich habe ihm zugehört. Ich bin nicht blind dafür, dass seine Randgruppe an Unterstützung und an Macht gewinnt. Wenn ich mit den Fingern schnippen könnte, um die Corrinos loszuwerden und eine Million Planeten zu befreien, würde ich das tun.

Aber Jaxson ist gefährlich. Ich habe mich vor dem versammelten Landsraad von ihm losgesagt, in Form einer offiziellen MAFEA-Erklärung sowie als seine Mutter. Trotzdem bin ich klug genug, seinen Überschwang für unsere eigenen Zwecke zu nutzen, soweit er unserer Bewegung von Nutzen sein kann. Deshalb bin ich nach Nossus geflogen und habe so getan, als würde ich seine Bestrebungen gutheißen. Ich habe gesehen, wie weit diese gewalttätige Splittergruppe bereits um sich gegriffen hat.« Sie kniff die Augen zusammen und durchbohrte sie mit Blicken. »Wo steht ihr in dieser Sache?«

Malina war erleichtert zu sehen, dass die Empörung und Ablehnung der beiden nicht vorgetäuscht waren.

»Tatsächlich haben wir Angst vor ihm, Mutter«, gab Frankos zu.

Jalma straffte sich. »Er ist wie eine Abrissbirne, und ich will nicht in seine Bahn geraten. Selbst wenn ich es wollte, könnte ich ihn nicht aufhalten.«

»Die Frage ist, ob wir versuchen wollen, ihn aufzuhalten, oder ob wir uns sein alternatives Vorgehen von ganzem Herzen zu eigen machen«, sagte Malina. »Das müssen wir entscheiden.«

Eine Maskerade kann der Belustigung und Unterhaltung oder einem tödlichen Zweck dienen. Das größte Risiko besteht darin, irgendwann zu vergessen, wann man seine Maske abnehmen muss.

Herzog Leto Atreides, Briefe an seinen Sohn und Erben

Der Planet Nossus mutete friedlich und ländlich an, mit offenen Wiesen, hohen Büscheln spitzer Gräser und umherziehenden Herdentieren. Der Himmel war blau und klar und täuschend frei von Bedrohungen.

Leto wusste, dass all das Trug war.

Jaxson Aru und seine leidenschaftlichen Revolutionäre hatten diesen abgelegenen Planeten auserkoren, um hier den gewaltsamen Sturz des Imperiums zu planen. Leto hatte vorgetäuscht, er hätte sich ihrer Splittergruppe angeschlossen, obwohl das gegen seine grundlegenden Prinzipien verstieß. Er spielte mit, tat so, als teilte er Jaxsons Besessenheit und Entschlossenheit sowie seine Rachegelüste gegen das Haus Corrino.

Und Jaxson glaubte an Letos Aufrichtigkeit. In der erfolgreichen Rekrutierung von Herzog Leto sah er die denkbar stärkste Bestätigung seiner Ziele. Nun fühlte Leto sich in der Höhle des Löwen gefangen, aber er musste seine Scharade fortsetzen, musste Vertrauen aufbauen, um diese Leute zu Fall zu bringen. Die Sardaukar des Imperators waren daran gescheitert, die Rebellion auszumerzen, aber Leto würde vielleicht dazu in der Lage sein. Niemand sonst befand sich in einer vergleichbaren Position.

Auf einem leeren Landstrich hatte Jaxson ein Gutshaus mit einem Hangar daneben und hektarweise Ackerland darum herum errichtet, das von vorgeblichen Bauern bewirtschaftet wurde, bei denen es sich in Wirklichkeit um eine Privatarmee von Fanatikern handelte. Zuerst war Leto von der Kerngruppe mit einem gewissen Misstrauen behandelt worden, aber dass Jaxson ihn von ganzem Herzen willkommen hieß, hatte den Großteil der Zweifel beschwichtigt. Anscheinend brauchte der Rebellenführer Bestätigung und einen Freund.

Malina Aru war vor Kurzem abgereist, nachdem sie sich mit der kleinen Kerngruppe entschlossener Aufständischer getroffen hatte. Dass die Fangarme des Adelsbunds sich bis hinauf zur Ur-Direktorin der MAFEA persönlich erstreckten, hatte Leto verblüfft. Er blieb weiter wachsam, um möglichst viele Einzelheiten über ihre Pläne in Erfahrung zu bringen, während er sich selbst in Schweigen hüllte.

Jaxsons Mutter war eine kluge Geschäftsfrau, umsichtig in ihren Einschätzungen und dazu in der Lage, ihre wahren Gedanken und Gefühle zu verbergen. Trotzdem fragte Leto sich, ob sie die Handlungen ihres schwarzen Schafs von einem Sohn wirklich guthieß. Bei dem Treffen mit der Kerngruppe der Rebellen hatte sie ihre Worte mit Sorgfalt gewählt und Versprechungen gemacht, die in ihrer Vagheit stets einen kleinen Ausweg boten. Nachdem die Urdir in wichtigen MAFEA-Angelegenheiten abgereist war, blieben die übrigen Verschwörer auf Nossus zurück, um ihre Planungen abzuschließen. Allerdings würden auch sie bald aufbrechen.

Man hatte Leto in Jaxsons inneren Kreis eingeführt. Nach mehreren Tagen voller leidenschaftlicher, bis spät in die Nacht andauernder Debatten schliefen die anderen Rebellen vor dem nächsten geplanten Eintreffen eines Heighliners im Haus. Jaxson jedoch stand früh auf und traf Leto wach und Kaffee trinkend in der Küche des Haupthauses an.

Der Rebellenführer bedachte ihn mit einem freundlichen Lächeln und einer Einladung. »Begleiten Sie mich an einen ganz besonderen Ort, Leto.« Anscheinend wollte er ihre Freundschaft festigen.

Leto war wachsam. »Schmieden wir Pläne ohne die anderen?«

»Es geht nur um etwas, das ich Ihnen zeigen möchte. Etwas … sehr Persönliches.«

Leto spielte mit und folgte ihm nach draußen. Sie gingen am Hangarneubau vorbei hinter das Haupthaus. Drinnen arbeitete ein Trupp Mechaniker daran, mit Lasschneidern und Schweißgeräten das imperiale Schatzschiff umzubauen, das Jaxson bei seinem Angriff auf den Palast irgendwie ausgetauscht hatte. Dabei hatte er auch ein Vermögen an Solari-Münzen erbeutet, die bereits im Umlauf waren, um Rebellenaktivitäten zu finanzieren.

Jaxson hielt inne, um einen Blick in den offenen Hangar zu werfen. »Sie werden bald mit dem Umbau des Schiffs fertig sein. Es bekommt neue Triebwerke, und dann kann es wieder fliegen – wann und wohin ich bestimme.«

Leto betrachtete das seltsame Schiff. »Wollten Sie mir das zeigen?«

Jaxson winkte ab. »Nein … das war es noch nicht. Kommen Sie.«

Auf einem Hügel oberhalb des Haupthauses führte er Leto in einen Hain dürrer Olivenbäume. Sichtbar andächtig strich Jaxson über ihre graugrünen Blätter.

Leto sah und hörte zu und ließ den Rebellenführer selbst entscheiden, wann er das Gespräch fortsetzen wollte. Jaxson war daran gewöhnt, feurige Reden zu halten und provokante Thesen in den Raum zu werfen, aber nun war seine Stimme ein Flüstern voller tiefer Gefühle. »Der Olivenhain auf den Gütern meiner Familie auf Otorio war jahrhundertealt, mit majestätischen Bäumen, die Ruhe und Frieden ausstrahlten.« Jaxson seufzte schwer. »In unserem heiligen Olivenhain habe ich meinen Platz im Universum erkannt. Alles war, wie es sein sollte.«

»Und nun wollen Sie ihn hier neu erschaffen?«, fragte Leto, während sie zwischen den Bäumen spazierten.

»Diese Bäume sind nur wenige Jahre alt, aber sie können Jahrhunderte überdauern«, sagte Jaxson. »Mein Vater wurde in unserem Olivenhain auf Otorio begraben. Ich habe oft an seinem Grab gesessen und über alles nachgedacht, was er mich gelehrt hat. Meine Mutter und der Rest der MAFEA haben sich für ihn geschämt, dabei haben sie ihn nur nicht verstanden.« Er schüttelte den Kopf. »Als er fort war, hat meine Mutter mich in die MAFEA geholt. Sie wollte mir beibringen, unsere Geschäfte zu führen und mich dabei indoktrinieren, genau wie sie es mit Frankos und Jalma gemacht hat. Sie brachte mich in das Archiv der MAFEA-Zitadelle auf Tanegaard und zwang mich, bei endlosen Konferenzen in der Silbernadel auf Kaitain herumzusitzen. Sie gab mir umfassenden Zugriff und hat mich in alle Feinheiten des galaxisweiten Unternehmens eingeweiht.«

»Hat es funktioniert?«

»Meiner Mutter war nicht klar, wie viel ich bei ihr gelernt habe.« Jaxson kniete neben einem kleinen Baum nieder und strich über den grauen Stamm. Anscheinend stellte er sich den Olivenhain als groß und uralt vor. »Ich war nicht auf unserem Familiensitz, als Shaddam Corrino beschloss, Otorio zu annektieren. Er hat unseren wunderschönen Hain gerodet. Er hat das Grab meines Vaters entweiht und darüber sein Museum gebaut.« Seine Stimme troff von beißender Verbitterung.

»Meine Mutter wollte das Imperium untergraben und nach und nach das politische System umgestalten. Zu diesem Zeitpunkt entschied ich, die Sache zu beschleunigen.« Er rang sich ein Lachen ab. »Ich bin froh, dass sie inzwischen daran glaubt, dass mein Weg der bessere ist, dass wir das verknöcherte Imperium zerschmettern müssen, um in einem neuen Bund Freiheit zu finden.« Er klopfte Leto auf die Schulter. »Und Sie werden mir dabei helfen, mein Freund. Zusammen werden wir Großes bewirken.«

»Das haben wir bereits«, sagte Leto. »Ich betrachte unsere Arbeit auf Issimo III als den Beweis dafür, dass alternative Ansätze funktionieren.«

Ein angespannter Ausdruck trat auf das Gesicht seines Gegenübers. »Ja, sie haben insofern funktioniert, dass sie meinen Ruf verbessert haben. Das muss ich Ihnen lassen.«

Leto war erleichtert gewesen, als er Jaxson eine weitere schmerzhafte »große Geste« ausgeredet hatte – anstatt eine schreckliche Plage auf eine bereits darbende Koloniewelt loszulassen, hatte der Rebellenführer dringend benötigte Nahrung, Ausrüstung und Güter nach Issimo III gebracht. Nun feierte man Jaxsons Namen auf jenem Planeten, anstatt ihn zu verfluchen, aber Leto war sich nicht sicher, ob sein Begleiter wusste, was er mit diesen Gefühlen anfangen sollte.

Als sie zum Haupthaus zurückkehrten, waren auch andere Rebellen wach, und die meisten von ihnen hatten bereits für ihre Abreise gepackt. Im großen Salon stritten sich Andros Fenimer und Bos Mumford gerade hitzig – nicht über irgendwelche Pläne der Rebellion, sondern über ein Sportturnier.

Eine Rebellin, die ebenfalls im Haupthaus übernachtet hatte, Tuarna Vok, hatte ihre Koffer bereits ins Foyer gebracht und brütete noch immer über der Debatte der letzten Nacht. Sie warf Jaxson einen kalten Blick zu, auf den Leto sich keinen Reim machen konnte. Obwohl sie nach außen hin eine Anhängerin von Jaxsons extremen Methoden war, hatte die schlanke, schroffe Frau während des ganzen Treffens angespannt, sogar feindselig gewirkt.

Der Führer des Adelsbunds sah sie und bedachte sie mit einem blitzenden Lächeln. »Ah, Tuarna, warum schenken Sie uns an Ihrem letzten Tag bei uns nicht ein kleines Lächeln? Sie kehren zu Ihren heimischen Gütern zurück – ich dachte, das würde Sie freuen.«

Ihre Miene verfinsterte sich, und sie schien Leto überhaupt nicht zu bemerken. »Zu Hause bin ich dann vielleicht, aber immer noch unter Ihrer Knute.«

»Meiner Knute?« Er lachte. »Nach Generationen der Unterdrückung sträuben Sie sich gegen ein wenig Ermutigung, den richtigen Weg einzuschlagen?«

Sie rümpfte die Nase und sah ihm ins Gesicht. »Ich unterstütze Ihre edle Sache, daran sollten Sie nicht zweifeln. Ihre Zwangsmittel waren unnötig und beleidigend.«

»Ich würde das als kleine Erinnerung bezeichnen, meine liebe Tuarna. Nicht als Zwang.«

»Was meint sie damit?«, fragte Leto, der zu verstehen versuchte, was vor sich ging.

»Tuarna Vok führt ein sehr mächtiges Haus mit mehreren bekannten Industrieplaneten. Vor einigen Jahren hat das Haus Vok eine große Ladung Energiezellen geliefert, die sich als schadhaft erwiesen. Hätte man sie benutzt, hätte man sich vergiftet. Der Schaden wurde bemerkt, als die Energiezellen bereits zu einem Verteilerkomplex unterwegs waren und sich nicht mehr zurückrufen ließen. Dieses Debakel wäre ein schrecklicher Schlag für den Ruf und die Verlässlichkeit des Hauses Vok gewesen.«

Jaxson hob einen Finger, während Tuarna vor Wut kochte. Er fuhr fort: »Um sich eine derartige Peinlichkeit zu ersparen, hat die geschätzte Tuarna dafür gesorgt, dass das Trägerschiff sabotiert und im Transit zerstört wurde. Nachdem sie die nötigen Formulare ausgefüllt hatte, wurden ihre Verluste durch verschiedene Versicherungen ausgeglichen. Letztendlich musste die Transportgesellschaft den Kopf hinhalten.«

Leto kniff die Augen zusammen, während er die Informationen verarbeitete. Einige andere Anwesende hatten ebenfalls innegehalten, um zu lauschen.

»Schlimmer noch«, sagte Jaxson, »bei der zweckdienlichen Zerstörung der Ladung geriet eine Passagierfregatte in die Druckwelle, was den Tod des einzigen Familienerben des Hauses K’Urunu zur Folge hatte. Wenn solche Informationen ans Licht kämen, würde mit Sicherheit eine grausame Blutfehde zwischen K’Urunu und Vok erklärt werden, abgesehen vom finanziellen Ruin von Tuarnas Familie aufgrund des Versicherungsbetrugs. Kurz gesagt, das Haus Vok würde zerfallen, wenn jemals etwas davon an die Öffentlichkeit gelangen würde.«

Die Frau sah aus wie eine Eisstatue. »Und jetzt sprechen Sie vor all diesen Leuten davon?«

Jaxson blickte sich um und schnalzte mit der Zunge. »Das soll unser kleines Geheimnis bleiben, in Ordnung? Allein dadurch, dass wir die Gesichter der anderen kennen, haben wir alle etwas in der Hand, mit dem wir einander erpressen könnten.« Plötzlich wirkte er weniger hochmütig und gelassen, als sein Zorn wieder aufloderte. »Aber deshalb sind wir nicht hier, nicht wahr?« Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen, und er schaute sich im Saal mit den vielen angespannten Zuhörern um. »Ich bin froh, dass ich mich auf Sie alle verlassen kann.«

Zusammen mit Leto ging er weiter ins Gutshaus hinein.

Die Bediensteten wirkten harmlos und beflissen, aber Leto wusste, dass sie alle überzeugte Killer waren, die dieses Versteck um jeden Preis verteidigen würden. Doch selbst mit den über hundert Kämpfern hier auf dieser geheimen Operationsbasis könnten sie gegen eine anrückende Sardaukar-Streitmacht nur wenig ausrichten.

Sobald Leto von Nossus entkommen konnte, würde er eine geheime Nachricht an Kaitain schicken und die Rebellion Shaddams Gerechtigkeit überantworten. Die Soldaten des Imperiums würden über den Planeten herfallen und das grausame Herz des Adelsbunds auslöschen …

Am Rande des Frühstückssaals unterbrach eine vertraute Stimme seine sorgenvollen Gedanken, und als er sich umdrehte, sah er einen schlanken älteren Mann, der zu ihm sagte: »Leto, mein Freund, ich reise heute nach Cuarte ab, und ich bestehe darauf, dass Sie mich dort besuchen.« Rajiv Londine hatte zurückgekämmtes graues Haar und kleidete sich in der Tradition seines Volkes in leuchtende Orange- und Rottöne. Er stand neben seinem schmalgesichtigen Verwaltungschef Rodundi.

Londine war ein beißender Kritiker Shaddam Corrinos. Erst vor wenigen Monaten – es kam ihm wie ein halbes Leben vor – hatte Graf Hasimir Fenring sogar angeboten, für Leto eine Ehe mit Londines Tochter zu arrangieren, unter der Bedingung, dass Leto den störenden Adligen vernichtete. Leto hatte das aus Gründen der Ehre abgelehnt, lange bevor er gewusst hatte, dass der Mann irgendwelche Verbindungen zum Adelsbund unterhielt.

Leto versuchte einer Antwort auszuweichen. »Ich gehöre zurück nach Caladan.«

Begeistert trat Jaxson zwischen die beiden. »Die Rebellion ist überall!« Er sprach laut, damit alle ihn hören konnten. »Ich befürworte eine Allianz zwischen dem Haus Atreides und dem Haus Londine.« Seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Gemeinsam könnten Sie ein Handelsnetzwerk aufbauen, das die vom zerfallenden Corrino-Imperium hinterlassene Lücke schließt.«

Leto blieb unverbindlich. »Ich habe bereits nach Möglichkeiten Ausschau gehalten, den Reichtum und die Güter des Hauses Atreides zu mehren. Darum war ich kürzlich für einige Zeit auf Kaitain.«

In der Nähe gaben mehrere der Rebellen unflätige Geräusche von sich. Dann sagte Londine: »Und was ist dabei herausgekommen, Leto? Graf Fenring wollte Sie dazu zwingen, mich zu verraten, und hat ihnen meine wunderschöne Tochter als Belohnung vor die Nase gehalten.«

»Vikka ist tatsächlich wunderschön, Sire, aber was er als die eigentliche Bestechung betrachtete, waren die Güter des Hauses Londine.«

»Vielleicht können wir dasselbe Ziel auf ehrbarere Art und Weise erreichen.« Londine hob die Brauen, und sein Gesichtsausdruck wurde mit einem Mal undeutbar. »Sie und ich haben bereits gemeinsame Geschäftsinteressen, und es wäre gut für uns, offen darüber zu sprechen.«

Leto biss sich von innen auf die Wange. »Was für Geschäftsinteressen?«

Verwaltungsleiter Rodundi mischte sich hastig ein. »Mylord, wir sollten umsichtig sein, solange wir noch nicht die Gelegenheit hatten, Herzog Leto unsere Operation zu zeigen.« Als Rodundi sich näher an ihn heranbeugte, hatte Leto das Gefühl, dass etwas an dem Mann … irgendwie nicht stimmte. Seine Miene war ausdruckslos und schwer zu deuten, und er verströmte einen ganz leichten unangenehmen Geruch.

Londine ließ sich von seinem Verwaltungsleiter fortbringen und rief über die Schulter zurück: »Trotzdem, ich bestehe darauf, dass Sie so schnell wie möglich nach Cuarte kommen.«

»Vorerst wird Leto noch ein Weilchen hier bei mir auf Nossus bleiben«, verkündete Jaxson wiederum so, dass alle ihn hören konnten. »Nach unserem großen Erfolg auf Issimo III haben wir weitere Pläne miteinander zu besprechen.«

Leto wollte sich diesem Mann so schnell wie möglich entziehen. Seit sie sich in der Umlaufbahn über Elegy getroffen hatten, hatte der Rebellenführer ihn nicht aus den Augen gelassen. Imperator Shaddam wartete gewiss darauf, von ihm zu hören. Inzwischen musste Gurney Halleck beim Palast des Imperators eingetroffen sein, mit dem verborgenen Nachrichtenkristall, der die Erklärung enthielt, wie Leto die Rebellen infiltrieren und zu Fall bringen wollte.

Aber er konnte nicht das Geringste tun, solange er nicht von Jaxson Aru loskam …

Am späten Morgen reisten die anderen radikalen Adligen mit der Fähre ab und stiegen in den weiten, leeren Himmel von Nossus auf. Wie von Jaxson gewünscht blieb Leto mit ihm und den Sicherheitskräften des Haushalts zurück. Er musste seine Rolle gut spielen, denn falls diese Leute auch nur das geringste bisschen an ihm zweifelten, würde er nicht lange genug leben, um nach Hause zurückkehren zu können.

Sein Herz fühlte sich bleiern an. Er wusste, dass Paul voll und ganz dazu in der Lage war, Caladan zu regieren, insbesondere unter der Anleitung von Thufir Hawat, Duncan Idaho, Dr. Yueh und Gurney Halleck. Innerlich war Leto seit Monaten ziellos dahingetrieben, in dem Gefühl, dass er nun, da Jessica fort war, nicht mehr viel zu verlieren hatte. Seine geliebte Jessica …

Also hatte er alles aufs Spiel gesetzt.

Derselbe Heighliner, der eingetroffen war, um die übrigen Gäste abzuholen, brachte eine nicht ausgewiesene Fracht. Leto und Jaxson nahmen die Lieferung in Empfang, in Begleitung von Arbeitern, die die gestapelten Kisten aus dem kleinen Frachtschiff wuchteten.

Verwirrt studierte Jaxson die Frachtpapiere. »Ich erwarte keine Lieferung von Elegy … ah, von Graf Giandro Tull! Einer unserer hingebungsvollsten neuen Rekruten. Kennen Sie ihn?«

Leto zuckte mit den Schultern. »Den Namen kenne ich, aber ich hatte nie mit ihm zu tun.«

Als er die Frachtbehälter öffnete, gab Jaxson einen Laut des Entzückens von sich. »Eine Ladung Prototypen!« Er zog einen beschrifteten Metallwürfel mit darin eingelassenen Linsen und der Kantenlänge seiner ausgestreckten Hand hervor. »Diese Geräte wurden anscheinend noch nicht umfassend getestet, aber nach meinen Erfahrungen mit der Qualität des Militärmaterials, das wir vom Haus Tull erhalten, wird die Rebellion sie sehr gut gebrauchen können.«

Er drehte den Würfel in den Händen hin und her und versuchte herauszufinden, worum es sich handelte. Nachdem er eine Weile in der Kiste herumgewühlt hatte, fand er einen versiegelten Holokristall. Mit seinem ID-Abdruck schaltete er ihn ein und beugte sich vor, um sich die von Giandro Tull aufgezeichnete Nachricht anzusehen.

Auf dem Bild stand der gut aussehende Adlige mit stolzer und entschlossener Miene neben den Kisten mit seinen neuen Prototypen. Er hatte die Aufnahme hinter den Stallungen seiner preisgekrönten Pferde gemacht. »Jaxson Aru, ich schicke Ihnen fünfzig Schildneutralisatoren, Geräte, die die persönlichen Schilde des Gegners außer Kraft setzen. Ihre Feinde werden feststellen, dass ihnen traditionelle Projektilwaffen mit einem Mal wieder gefährlich werden können.«

Jaxsons Augen leuchteten, als er den Blick Leto zuwandte. »Ah! Damit können wir sogar die Sardaukar niedermachen, wenn wir sie in die richtige Position manövrieren!«

Aber Leto hielt den Blick weiter auf die Aufzeichnung gerichtet, als wäre er zu Eis erstarrt. Er traute seinen Augen nicht.

Giandro fuhr fort: »Meine neue Konkubine ist eine wichtige Beraterin für mich, und ich schätze ihre Meinung sehr. Es ist uns eine Freude, den Adelsbund zu unterstützen.«

Ihr Haar war nun kürzer und dunkel gefärbt, aber er erkannte ihr ovales Gesicht, die vollen Lippen, die grünen Augen, die klassisch schönen Züge, die er so lange geliebt hatte … die Frau, die er im Arm gehalten und liebkost hatte, die Mutter seines Sohnes.

Jessica stand an der Seite von Graf Giandro Tull und schaute ihn aus dem Bild heraus an, wie um ihn zu verspotten.

In letzter Analyse lassen sich alle Antworten zur Gewürzmelange zurückverfolgen.

Vladimir Harkonnen, Memo zur weiteren Vorgehensweise, Hauptquartier auf Carthag

In den Trümmern der Orgiz-Gewürzraffinerie dachte Baron Harkonnen über sein verlorenes Vermögen nach. Doch es war ein notwendiges Opfer gewesen, um Graf Hasimir Fenring von der Fährte seiner Schwarzmarkt-Schmuggeloperationen abzubringen.

Dunkler Rauch wogte zu einem Himmel empor, der die Farbe feinen, dunkelgelben Staubs hatte. Am geschlossenen Ende einer abgeschiedenen Schlucht gelegen, waren die Gewürzsilos, Verpackungsanlagen, Kasernen und Landefelder von Orgiz allesamt durch ein schnelles Bombardement von nicht gekennzeichneten Kampfthoptern eingeebnet worden.

Die Arbeiter in seiner Raffinerie hatten sich wahrscheinlich verraten gefühlt, als die Schiffe ohne Vorwarnung angegriffen hatten. Der Baron hatte seinen Neffen Rabban damit beauftragt, die gesamte Anlage in Schutt und Asche zu legen und keinen Fetzen Beweismaterial für Fenring und seinen hartnäckigen Mentaten Grix Dardik übrig zu lassen, und Rabban hatte seine Aufgabe mit hingebungsvoller Sorgfalt erfüllt. Oft war der Baron von Rabbans Leistungen enttäuscht, aber wenn man seinem Neffen die Gelegenheit gab, anderen wehzutun, sie zu verstümmeln oder auszumerzen, lief er zur Höchstform auf.

Die Soldaten, die den Schauplatz der Zerstörung untersuchten, trugen Wüstenkleidung, Nasenstopfen und Wiederaufbereitungsanzüge, doch der Baron verwehrte sich gegen diese Art von Kleidung. Er erklärte, dass sie ihn schwach erscheinen lassen würde, insbesondere vor Graf Fenring. Angesichts der unglaublichen Reichtümer, die das Haus Harkonnen mit dem Gewürzabbau einfuhr – sowohl die Reichtümer, die das Imperium abgesegnet hatte, als auch seine privaten Schmuggeleinkünfte durch die MAFEA –, konnte er sich alles Wasser kaufen, das er brauchte.

Während der Baron den Blick über die Trümmer von Orgiz schweifen ließ, brannten ihm von der Hitze und der abscheulichen Trockenheit Gesicht, Kehle und Nase. Lieber wäre er in Carthag gewesen und hätte ein Dampfbad genossen, aber zuerst musste er hier seine Rolle spielen.

»Die Angreifer waren gut bewaffnet und gründlich«, bemerkte er. »Wer auch immer es war.«

Vor einigen wenigen Tagen hatte Fenring irgendwie die Lage von Orgiz in Erfahrung gebracht und verlangt, dass man die Schmuggler zwecks Befragung festnahm. Der Baron hatte Mitarbeit vorgeschützt, während er zugleich seinen Neffen losgeschickt hatte, um alles zu zerstören. Nun musste er seine Lüge unter dem forschenden Blick des imperialen Gewürzministers aufrechterhalten.

Fenring starrte ihn finster an. »Man könnte geradezu meinen, jemand hätte gewusst, dass wir kommen, hmm?«

In dem Wissen, dass es Rabban oft schwerfiel, den Mund zu halten, hatte der Baron ihn von Arrakis fortgeschickt. Normalerweise hätte sein Neffe darüber gemurrt, dass man ihn von den Gewürzoperationen abzog, aber diesmal freute er sich sogar darauf, nach Lankiveil zurückzukehren, wo er mit ihrem Atreides-Gefangenen Gurney Halleck herumspielen konnte …

Der Graf musste sich unter der brennenden Sonne sichtlich zusammenreißen, um seine Wut im Zaum zu halten. Kaum war das Harkonnen-Schiff hier in den Trümmern gelandet, war Fenring nach draußen gestürzt, als hätte es noch etwas zu retten gegeben. Feuer brannten zwischen den Trümmern. Verkohltes, verbogenes Metall lag zwischen den Felswänden der Schlucht herum. Riesige Brocken waren mit Lasstrahlern von den Wänden abgeschnitten worden, und die dadurch ausgelöste Lawine hatte alles begraben, was nicht direkt durch das Bombardement zerstört worden war.

»Wahrscheinlich rivalisierende Schmuggler«, mutmaßte der Baron. »Diese Diebe kennen weder Ehre noch Treue.«

»Hmm«, machte Fenring, führte seine Gedanken aber nicht weiter aus.

Grix Dardik hüpfte neben seinem Herrn her, nickte mit dem übergroßen Kopf auf dem stockdürren Hals vor sich hin und suchte die Umgebung mit aufgerissenen Augen nach Hinweisen ab. Dardik war wie eine Puppe, an der man zu viel herumgezerrt hatte. Seine Finger mit den dicken Knöcheln bewegten sich ständig, als spielte er auf einem unsichtbaren Musikinstrument.