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In diesem Band findest du alles, was du zur Vorbereitung auf Referat, Klausur, Abitur oder Matura benötigst – ohne das Buch komplett gelesen zu haben.
Alle wichtigen Infos zur Interpretation sowohl kurz (Kapitelzusammenfassungen) als auch ausführlich und klar strukturiert.
Inhalt:
- Schnellübersicht
- Autor: Leben und Werk
- ausführliche Inhaltsangabe
- Aufbau
- Personenkonstellationen
- Sachliche und sprachliche Erläuterungen
- Stil und Sprache
- Interpretationsansätze
- 6 Abituraufgaben mit Musterlösungen
NEU: exemplarische Schlüsselszenenanalysen
NEU: Lernskizzen zur schnellen Wiederholung
Layout:
- Randspalten mit Schlüsselbegriffen
- übersichtliche Schaubilder
NEU: vierfarbiges Layout
Die Novelle Die Judenbuche handelt vom Mordfall an einem jüdischen Mann und dessen Folgen im Westfalen des 18. Jahrhunderts.
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Seitenzahl: 182
KÖNIGS ERLÄUTERUNGEN
Band 216
Textanalyse und Interpretation zu
Annette von Droste-Hülshoff
Die Judenbuche
Sven Jacobsen
Alle erforderlichen Infos zur Analyse und Interpretation plus Musteraufgaben mit Lösungsansätzen
Zitierte Ausgabe: Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgigten Westfalen. Husum/Nordsee: Hamburger Lesehefte Verlag, 2018. (Hamburger Leseheft Nr. 15, Heftbearbeitung: F. Bruckner und K. Sternelle). Zitatverweise sind mit H gekennzeichnet. Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgigten Westfalen. Stuttgart: Reclam, 2014 (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 1858). Zitatverweise sind mit R gekennzeichnet. Bei Textabweichungen folgen wir der Ausgabe der Hamburger Lesehefte.
Über den Autor dieser Erläuterung:Sven Jacobsen unterrichtet derzeit an einem Gymnasium in Baden-Württemberg die Fächer Deutsch und Geschichte; langjährige Erfahrungen im Auslandsschuldienst mit Hochbegabtenförderung sowie als Endbeurteiler.
1. Auflage 2023
978-3-8044-7101-6
© 2023 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Titelbild: Verwachsene Buche bei Hessen © picture alliance / imageBROKER | Wilfried Martin
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1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht
2. Annette von Droste-Hülshoff: Leben und Werk
2.1 Biografie
2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund
Rückständiges Deutschland
Geschichte der Waldnutzung
Aufklärung und Antisemitismus
Revolution und Restauration
2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken
3. Textanalyse und -Interpretation
3.1 Entstehung und Quellen
3.2 Inhaltsangabe
1. Abschnitt (R S. 3–11/H S. 3–9)
2. Abschnitt (R S. 11–23/H S. 9–17)
3. Abschnitt (R S. 23–36/H S. 17–26)
4. Abschnitt (R S. 36–47/H S. 26–35)
5. Abschnitt (R S. 47–58/H S. 35–42)
3.3 Aufbau
3.4 Personenkonstellation und Charakteristiken
Friedrich Mergel
Hermann Mergel
Margret(h) Mergel
Dorfgemeinschaft
Simon
Johannes Niemand
3.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen
3.6 Stil und Sprache
Zur Erzählgestaltung
Zur Sprache
Motive, Metaphern und andere literarische Mittel
3.7 Interpretationsansätze
Lesart 1: sozial- oder heimatgeschichtliche Beschreibung
Lesart 2: Kriminalgeschichte
Lesart 3: psychologischer Deutungsansatz – Schuld und Sühne
3.8 Schlüsselstellenanalysen
4. Rezeptionsgeschichte
5. Materialien
A. Freiherr Haxthausen: Geschichte eines Algierer-Sklaven (1818)
6. Prüfungsaufgaben mit Musterlösungen
Aufgabe 1 **
Aufgabe 2 ***
Aufgabe 3 ***
Aufgabe 4 **–***
Aufgabe 5 ***
Aufgabe 6 **
Lernskizzen und Schaubilder
Literatur
Zitierte Ausgaben
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Internet- und Onlinequellen
Damit sich alle Leser:innen in diesem Band sofort zurechtfinden und das für sie Wichtige gleich entdecken, folgt hier eine Übersicht.
Das 2. Kapitel bietet einen biografischen Abriss und Übersichten über zeitgeschichtlich entscheidende Fakten sowie über das Werk von Annette von Droste-Hülshoff.
Annette von Droste-Hülshoff (12. Januar 1797 – 24. Mai 1848) stammt aus dem westfälischen Adel. Sie wurde katholisch-traditionell erzogen, war hochgebildet und lebte den größten Teil ihres Lebens eher zurückgezogen auf den Familiengütern. Über Beziehungen und Förderer hatte sie Kontakt mit namhaften Gelehrten und Schriftstellern Deutschlands. Ihre angeschlagene Gesundheit gestattete ihr nur mit Unterbrechungen zu arbeiten.
Sie lebte in einer Zeit, in der die Errungenschaften der Französischen Revolution sich nur gegen Widerstand im deutschsprachigen Raum verbreiteten. Im territorial zersplitterten Gebiet des formal bestehenden Deutschen Bundes reagierten die Fürsten repressiv auf die nationale und liberale Bewegung in der sog. Restaurationszeit nach dem Wiener Kongress (1814/15). Ein Teil der Intellektuellen hielt sich so wie die Droste aus den politischen Spannungen heraus und konzentrierte sich auf das private Umfeld (die sog. Biedermeier). Deutschland war zur Lebenszeit der Droste gesellschaftspolitisch rückständig, kulturell jedoch auf dem Höhepunkt des internationalen Ansehens (Goethe, Schiller). Zur Handlungszeit der Novelle (Mitte des 18. Jahrhunderts) war das Gebiet Deutschlands territorial zersplittert. Der Übergang von spätfeudalen Zuständen hin zu einem sich modernisierenden Staat geschah langsam, alte Vorstellungen (Aberglaube) herrschten noch vor, besonders die Waldnutzung war zu der Zeit ein ernstes Konfliktfeld. Westfalen wurde wegen seiner Rückständigkeit belächelt.
Die Droste hat überwiegend Gedichte verfasst. Darunter finden sich z. B. Naturgedichte (Der Knabe im Moor), Balladen, Gedichtzyklen (Das geistliche Jahr, 1840) und auch Zeitgedichte. Ihre Erzählungen sind vergleichsweise weniger umfangreich, obwohl Die Judenbuche (1842) ihr bekanntestes Werk ist. Ähnlich ist es mit ihren Dramenversuchen. Die Droste hatte ein ehrgeiziges literarisches Großprojekt (das von der Forschung so genannte ‚Westfalen-Projekt‘) angefangen.
Das 3. Kapitel befasst sich mit der Entstehung der Novelle Die Judenbuche, der Analyse der relevanten Aspekte dieser Erzählung und der wichtigsten Interpretationsansätze. Das 4. Kapitel beschreibt die Rezeption der Novelle.
Die Novelle geht auf einen historischen Vorfall der Region zurück. Im Jahr 1783 erschlug ein Mann mit dem Namen Johannes Winckelhahne einen Juden namens Pinnes, weil er ihm Geld schuldete und von ihm schließlich verklagt wurde. Er floh, geriet in algerische Sklavengefangenschaft und kehrte nach 23 Jahren zurück. Er beging Selbstmord. Den Vorfall veröffentlichte ein Onkel der Droste 1818 in einem Journal. Die Droste arbeitete ab den 1820ern sporadisch und zwischen 1837 und 1841 intensiv an der Novelle. Sie wurde 1842 veröffentlicht.
Friedrich Mergel wird 1738 in einer verarmten und abgelegenen Gegend geboren. Der Vater hat den geringen Besitz heruntergewirtschaftet und ist ein hoffnungsloser Trinker. Nach seinem Tod wird Friedrich von der Mutter Margret und dann von einem Onkel erzogen, der in den allgemein verbreiteten Holzdiebstahl verwickelt ist. Friedrich wird ebenfalls Mitglied der Holzdiebe, weil er einen Hang zur materiellen Prahlerei hat und Schulden macht. Er rutscht immer weiter in die Kriminalität ab, wird zum Mörder an einem Juden und muss fliehen. Nach 28 Jahren kehrt er zurück und wird zunächst für jemanden anderes gehalten. Er erhängt sich aufgrund seines schlechten Gewissens. Seine Leiche wird gefunden, identifiziert und verscharrt.
Die Novelle ist klassisch konzipiert und besticht durch eine einfache Handlungsführung, ein übersichtliches Figurenensemble und eine „unerhörte Begebenheit“ im Sinne Goethes. Sie hat in der definitionsgemäßen Nähe zum Drama eine Art Exposition, führt auf einen im Grunde doppelten Höhepunkt zu (zwei Morde) und endet in der Katastrophe (Suizid als eine Art Selbstbestrafung) für den Protagonisten Friedrich.
Friedrich Mergel:
in einer verarmten Familie in einer armen Gegend geboren, der Vater ist Trinker,
der frühe Verlust des Vaters und der Makel der Herkunft veranlagen ihn ungünstig,
rutscht zunehmend in die Kriminalität ab und wird zum Mörder,
nimmt sich schließlich das Leben.
Hermann Mergel:
hoffnungsloser Trinker,
lässt seinen Besitz verkommen,
stirbt vorzeitig.
Margret(h)[1] Mergel:
eigentlich tiefgläubig, resigniert aber in Anbetracht der Armut und duldet den Holzfrevel der Dorfbewohner,
liebt ihren Sohn abgöttisch, erträgt dessen schlechte Entwicklung nicht,
stirbt schließlich gebrochen und einsam.
Simon Semmler:
der Bruder Margrets, ein durchtriebener, gewaltbereiter Mann,
tief in den Holzdiebstahl verstrickt, verleitet Friedrich zum Weg in die Kriminalität,
stirbt selbst einsam und verarmt.
Dorfgemeinschaft:
neben dem gebildeten und achtbaren Gutsherren von S. gibt es viele, die ähnlich wie Margret oder Simon sind.
Der Ich-Erzähler gehört offenbar zur Dorfgemeinschaft.
Die Novelle ist auf einem hohen sprachlichen Niveau verfasst worden. Es überwiegt ein hypotaktischer Stil, Ausnahmen davon stehen im Dienst einer spezifischen Situation. Es fällt ein reger Adjektivgebrauch auf sowie ein dichtes Geflecht aus Symbolen (Bäume wie die Buche) und Motiven (Naturmotive wie Stürme). Der auktoriale Erzähler ist keineswegs allwissend; die Erzählgestaltung umfasst eine erzählte Zeit von etwa 50 Jahren (Friedrichs Leben); es werden fünf wichtige Phasen erzählt. Dabei überwiegt eine Erzählstrategie, die gezielt verwirren soll, sodass alle Informationen letztlich zweifelhaft bleiben, auch wenn es scheint, als sei alles sicher.
Die Novelle hat eine enorme Menge an Interpretationen nach sich gezogen, was auch ihrer Vieldeutigkeit zu danken ist. Aus meiner Sicht ist der sozialgeschichtliche Deutungsansatz vorzuziehen, der sich um die (tatsächlich realistisch gezeichnete) Darstellung der Dorfgesellschaft in der Mitte des 18. Jahrhunderts kümmert und der dem Anliegen des ‚Westfalen-Projekts‘ gerecht wird. Die Beschreibung der Eigenarten der Menschen, aber vor allem ihres kümmerlichen Lebens, macht den Holzdiebstahl im großen Stil begreiflich. Damit verzahnt ist der Fall Friedrich Mergel, der den kriminalistischen Deutungsansatz rechtfertigt. Dass die Droste Gespür für psychologische Aspekte hatte, macht die psychologische Anlage der Figur Mergels deutlich.
Nach ihrem Erscheinen 1842 erfuhr die Novelle zunächst wenig Resonanz; nur vereinzelte positive Rezensionen waren zu verzeichnen. Den Durchbruch verschaffte die Aufnahme in den populären Deutschen Novellenschatz (1876), eine von Hermann Kurz und Paul Heyse besorgte Sammlung der bedeutendsten Novellen. Seither hat sich Die Judenbuche im Lektürekanon etabliert.
Annette Freifrau von Droste-Hülshoff
(1797–1848)© picture-alliance / dpa | dpa
Jahr
Ort
Ereignis
Alter
1797
Schloss Hülshoff
Anna Elisabeth von Droste-Hülshoff wird am 12. Januar geboren (Vater: Clemens August von Droste-Hülshoff, 1760–1826; Mutter: Therese von Droste-Hülshoff, geb. von Haxthausen, 1772–1853).
1804
Erste lyrische Versuche.
7
1805
Bökendorf
Erste Reise zu den Großeltern nach Bökendorf, Ostwestfalen.
8
1807
Schloss Hülshoff
Beginn des Unterrichts durch verschiedene Hauslehrer.
10
1812/1813
Bekanntschaft mit dem fast 50 Jahre älteren Universitätsprofessor und früheren Sturm-und-Drang-Autor Anton Matthias Sprickmann sowie dem Sprachforscher Jakob Grimm.
15/16
1813
Arbeit am (unvollendet gebliebenen) Trauerspiel Bertha oder die Alpen.
16
1818
Bökendorf
Arbeit an der Verserzählung Walther; frühe geistliche Lieder (z. B. Das Morgenroth schwimmt still entlang); längerer Aufenthalt bei den Verwandten in Ostwestfalen.
21
1819
Bökendorf, Bad Driburg
Arbeit am ersten Teil des Zyklus Geistliches Jahr (1840 vorläufiger Abschluss). Im Juli Kuraufenthalt in Bad Driburg.
22
1820
Bökendorf
„Jugendkatastrophe“: Scheitern der Beziehung zu Heinrich Straube aufgrund einer Familienintrige.
23
1821
Arbeit an den Opernprojekten Der blaue Cherub sowie Babilon.
24
1825
Rhein (Bonn, Koblenz)
Längere Reise an den Rhein; Bekanntschaft mit August Schlegel und anderen bedeutenden Intellektuellen.
28
1826
Rüschhaus
Nach dem Tod des Vaters übernimmt ihr Bruder Werner das Familiengut Schloss Hülshoff. Umzug ins Rüschhaus nahe Nienberge bei Münster.
29
1827
Beginn der Arbeit an der Versdichtung Das Hospiz auf dem großen St. Bernhard (1833 vorläufiger Abschluss).
30
1829
Tod des Bruders Ferdinand; danach anhaltend schwere Krankheit. Erste Entwürfe zur Judenbuche.
32
1831
Rhein, Rüschhaus
Einige Reisen in den Jahren nach 1826; Freundschaften mit Adele Schopenhauer und Levin Schücking ab 1831.
34
1833
Rüschhaus
Arbeit an der Verserzählung Des Arztes Vermächtniß.
36
1834
Rüschhaus
Die Droste lernt den Philosophiedozenten Christoph Bernhard Schlüter kennen, der ihr hinfort wichtige Ratschläge gibt.
37
Niederlande
August/September: Reise in die Niederlande.
1835
Bonn, Eppishausen (Schweiz)
Im Sommer Reise in die Schweiz, um ihre nunmehr verheiratete Schwester Jenny zu besuchen.
38
1837
Rüschhaus
Arbeit an Die Schlacht im Loener Bruch. 1623.
40
1838
Rüschhaus
Erste Veröffentlichung von Gedichten. Entstehung der Gedichtgruppe Klänge aus dem Orient. Bildung eines literarischen Zirkels um Elise Rüdiger („Hecken-Schriftsteller-Gesellschaft“).
41
1840
Rüschhaus
Regelmäßige Besuche Schückings im Rüschhaus. Entstehung des Lustspiels Perdu! oder Dichter, Verleger, und Blaustrümpfe.
43
1841
Rüschhaus, Meersburg
Fertigstellung der Judenbuche; erste Reise nach Meersburg zu ihrer Schwester, Beginn intensiver literarischer Arbeit, u.a. am Westfalen-Roman Bei uns zu Lande auf dem Lande sowie an zahlreichen Gedichten (u. a. die Balladen Die Vergeltung und Die Schwestern und das Gedicht Am Thurme).
44
1842–1846
Meersburg, Rüschhaus
Schücking verlässt die Meersburg, wo er als Bibliothekar arbeitete; Beginn eines intensiven Briefwechsels. Nach Erscheinen der Judenbuche (1842) und eines Gedichtbands (1842) wachsende Popularität.
45–49
1843
Meersburg
Längere schwere Krankheitsphasen. Oktober: Heirat Schückings mit Louise von Gall. Die Droste erwirbt das „Fürstenhäusle“ oberhalb Meersburgs, drei längere Aufenthalte dort.
46
Abbenburg
Reise nach Abbenburg.
1844
Meersburg
Im Cotta-Verlag erscheinen die Gedichte von Annette Freiin von Droste-Hülshoff. Arbeit an der Kriminalgeschichte Joseph. Besuch des Ehepaars Schücking in Meersburg.
47
1845
Abbenburg
Gesundheitsverschlechterung, Entfremdung von Schücking. Im Sommer Aufenthalt in Abbenburg. Erscheinen der Westphälischen Schilderungen aus einer westphälischen Feder.
48
1846
Bönninghausen, Meersburg
Im April Bruch mit Schücking, nachdem die Droste dessen Roman Die Ritterbürtigen gelesen hat. Reise nach Meersburg.
49
1848
Meersburg
Die Droste stirbt am 24. Mai nach längerer Krankheit.
51
Zusammenfassung
Die Modernisierungsschübe der Französischen Revolution gingen an Deutschland weitgehend vorbei. Der Wiener Kongress (1814/15) etablierte eine vorrevolutionäre Ordnung; die liberale und nationale Bewegung wurde vom Staat mit Zensurmaßnahmen des Schrifttums und anderen repressiven Maßnahmen in Schach gehalten. Viele Bürger hielten sich aus der Politik heraus (Biedermeierzeit) oder wanderten aus.
Der historische Hintergrund der Novelle ist ein anderer. In der sog. Sattelzeit des 18. Jahrhunderts schien im territorial zersplitterten Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation in abgelegenen Regionen wie Westfalen die Zeit stillzustehen. Es herrschten spätfeudale Strukturen, die Menschen arbeiteten in der Landwirtschaft oder versuchten sich mit der massiv angestiegenen Holznutzung über Wasser zu halten. Der Staat war bemüht, mit zahlreichen Gesetzen bei unzureichender Verwaltung den Herrschaftsanspruch auszubauen.
Für den politisch engagierten Zeitgenossen der Droste, den jung verstorbenen Schriftsteller Georg Büchner (1813–1837), war der allgemeine Zustand Deutschlands desolat. In seinem berühmten Fatalismusbrief aus dem Jahr 1834 schreibt er: „Hier ist kein Berg, wo die Aussicht frei sei. Hügel hinter Hügel und breite Täler, eine hohle Mittelmäßigkeit in allem; ich kann mich nicht an diese Natur gewöhnen, und die Stadt ist abscheulich.“[3] Damit meinte Büchner im Wesentlichen die politische Situation der Restaurationszeit und nebenbei auch seine Landsleute, denen er so gut wie jeden Elan absprach, sich gegen die Umstände der politischen Unterdrückung zur Wehr zu setzen. Ein weiterer, nicht weniger bekannter Zeitgenosse war Heinrich Heine (1797–1856), der in seinem Versepos Deutschland. Ein Wintermärchen (1844) Land und Leute im Deutschen Bund als rückwärtsgewandt und volkstümelnd wahrnimmt. Die rückständigen Umstände schienen jedoch längst nicht jeden so sehr aufzuregen, dass er wie Büchner oder Heine Streit mit der Obrigkeit suchte. Das 18. Jahrhundert wird als „Sattelzeit“ beschrieben, in der ein Wandel vom alten, frühneuzeitlichen Europa weg festgestellt werden kann und sich die Moderne ankündigt.[4] Aufklärerisches Denken, eine Veränderung in den Wahrnehmungsweisen, der institutionellen Staatlichkeit oder auch der Lebensweisen bis ins Familienleben hinein sind schrittweise in der Zeit von 1648 bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation im Jahr 1806 greifbar, zuletzt beschleunigt durch die Spätfolgen der Französischen Revolution.
Als der Protagonist der Novelle Die Judenbuche, Friedrich Mergel, im Jahr 1738 geboren wurde, war das Reich ein territorial zersplittertes Gefüge mit einem Kaiser an der Spitze, der sich nur formal als Staatsoberhaupt bezeichnen konnte. In den über 300 Klein- und Mittelstaaten hatten sich die Territorialfürsten gegen den Zentralisierungsanspruch des Kaisers durchsetzen können und gestalteten weitgehend eigenständig seit dem Westfälischen Frieden die Geschicke ihrer Länder.[5] Übergeordnete Institutionen wie der Reichstag, seit 1663 praktisch unausgesetzt in Regensburg tagend (der „immerwährende Reichstag“) und von den Reichsständen durch Gesandte aus allen Ecken des Reiches beschickt, oder das Reichskammergericht und der Reichshofrat steckten zwar die groben Leitlinien ab, was vor Ort aber schon ganz anders aussehen konnte. In abgelegenen ländlichen Regionen schien die Zeit stillzustehen. Die Alphabetisierungsrate erreichte erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts die Marke von 25 Prozent, in der Mitte des Jahrhunderts gab es höchstens 15 Prozent lesefähige Menschen. Die meisten Menschen lebten auf dem Land und waren in der Landwirtschaft tätig. Selbst um 1800 waren in den einzelnen Bereichen des 1. Sektors (Güter, Spannfähige Bauern, Kleinbauern, Landarme, Landlose, Häusliche Dienste) über 70 Prozent der Menschen tätig.[6] Je nach Region, besonders im Osten Deutschlands, konnten die Bedingungen für die Bauern erdrückend schlecht sein, sodass es wiederholt zu lokalen Unruhen kam. Die Nachwirkungen des Feudalismus lassen sich in den Besitzverhältnissen des Bodens erkennen. Im 18. Jahrhundert gehörten in Bayern 56 Prozent des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens dem Klerus und 34 Prozent dem Adel. In der Regel wurde der Bodenbesitz in Deutschland dann verpachtet, und die Bauern mussten als Unterbesitzer die entsprechenden Abgaben oder Dienste leisten.
Das Rüschhaus, in dem die Dichterin 20 Jahre lang lebte und schrieb© picture alliance / imageBROKER | Dr. Wilfried Bahnmüller
Die größeren Territorialstaaten gingen nach dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg dynamischer zu Werke und schufen mit gezielter Anwerbungspolitik von Siedlern, Vergünstigungen und einer zunehmend effektiven Verwaltung mit ausgebildeten Kräften die Grundlagen für positive Entwicklungen. Die Konzentration der Landesherren auf die Städte, in denen sich das Handwerk einfand und der Handel blühte, sticht heraus. Die kleineren Territorien hatten dagegen oft mit finanziellen Problemen zu ringen, sodass sich Fortschritt und Entwicklung verschleppten; oft zusätzlich behindert durch Zollstationen, die eine wichtige Einnahmequelle für die Landesherren und ein Hindernis für den allgemeinen Aufschwung zugleich waren.
Es ist notwendig, auf die Rolle der Gewalt und der kriminellen Holzgeschäfte einzugehen, was für heutige Leser:innen fremd erscheint, aber die Figuren und die Geschehnisse in der Novelle entscheidend erklärt. Dazu muss der Begriff der Sozialdisziplinierung vorgestellt werden, den der Historiker Gerhard Oestreich im Jahr 1969 prägte.[7] Es handelt sich im Wesentlichen um den Versuch der absolutistischen Fürsten, in ihren Herrschaftsräumen über eine wahre Flut von Erlassen und „Policeyordnungen“, auch „Gute Policey“ genannt, den Untertanen ein wohlfeiles Verhalten aufzuzwingen. Dazu zählen beispielsweise Gehorsam, Ordnung, Nützlichkeit oder Fleiß. Der Begriff wurde und wird diskutiert, weil man sich fragt, warum sich Untertanen verweigern oder welche Rolle die Selbsthilfe in einem Staatswesen spielt, das ja den Anspruch erhebt, die Dinge regulieren zu können. Dem Staat fehlten aber oft die Möglichkeiten, sein Ziel zu erreichen. Der Mensch der frühen Neuzeit befand sich in einem oft kleinen Territorialstaat, der selbst erst effizienter organisiert werden musste, der chronisch unterfinanziert war und der den Menschen im Zustand der Dauerkrise in einer lebensfeindlichen Umwelt mit ihren Missernten, Naturkatastrophen, Kriegen, Krankheiten, schlechter medizinischer Versorgung und Unglücksfällen kaum Hilfe anbieten konnte. Vor diesem Hintergrund führt der Prozess der Sozialdisziplinierung ab dem 17. Jahrhundert zum Dauerkonflikt zwischen Staat und Untertan.
In einem Artikel von Winfried Freitag im online zur Verfügung stehenden Historischen Lexikon Bayerns zur Geschichte der Waldnutzung ist im Zeitraum des 18. Jahrhunderts die kritische Situation der Übernutzung von Wäldern beschrieben.[8] Der Staat reagierte mit dem Versuch der verstärkten Kontrolle, während die Menschen im Wald eine ergänzende Grundlage für ihre Versorgung sahen und in ihrer Notlage auch sehen mussten. Die eingesetzten Förster und Hilfskräfte, die dem Raubbau an den Wäldern Einhalt gebieten sollten, waren allgemein unbeliebt und häufig bestechlich, da sie miserabel entlohnt wurden und oft genug auf ihr Gehalt monatelang warten mussten. Seit der frühen Neuzeit ist auch das Interesse an Nachhaltigkeit und dem Schutz der Ressourcen greifbar, was mit der blanken Not der einfachen Bevölkerung kollidierte. Der Handel mit Holz war eine lukrative Einnahmequelle. Die Novelle greift diese historische Situation auf und wird über diesen Sachverhalt, der für gewöhnlich nur einige Historiker fasziniert, viel besser verständlich.
Ein anderer Aspekt ist der Mentalitäts- und Bewusstseinswandel in dieser Zeit. In die Mentalität, die Gewohnheiten und die Frömmigkeit der frühen Neuzeit drang die Aufklärung nur langsam vor; in abgelegenen Gegenden noch langsamer. Das ausgesprochen populäre Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute (1778/80) aus der Feder von Rudolf Zacharias Becker (1752–1822), einem Buchhändler, Lehrer und Publizisten, nimmt eine herausragende Rolle in der Aufklärung der Landbevölkerung ein. Es erreichte wohl sechsstellige Verkaufszahlen und ist in mehrere Sprachen übersetzt worden. Da die Inhalte von Büchern noch mündlich verbreitet wurden (eine Folge der nur langsam ansteigenden Lesefähigkeit), erreichte das Werk tatsächlich wohl Millionen von Rezipienten und gilt als eines der meistverbreiteten Bücher im deutschen Sprachraum bis ins 19. Jahrhundert hinein.[9] Den Menschen werden im Buch praktische Tipps für die Alltagsbewältigung gegeben, und Becker verwendet erheblich Mühe, den Volks- und Aberglauben in der Landbevölkerung lächerlich zu machen. In den Städten mit der vergleichsweise gebildeteren Bürgerschaft sahen die Dinge im 18. Jahrhundert vergleichsweise fortschrittlicher aus. Die Universitäten und Akademien wurden zu weiteren Trägern der Aufklärung. Ein Beispiel war die Universität Halle, die mit Gelehrten wie dem Juristen und Philosophen Christian Thomasius (1655–1728) oder dem Philosophen Christian Wolff (1679–1754) glänzte und 1723 auf Geheiß des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. den ersten Lehrstuhl für die Verwaltungswissenschaften einrichtete.[10] Allgemein spielten das Buch- und Zeitungswesen, die Einrichtung von öffentlichen Büchereien neben den Lesezirkeln eine bedeutende Rolle. In abgelegenen Regionen war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Landbevölkerung von der Aufklärung in der Regel noch nichts zu spüren. Die Leute interpretierten die vielen negativen Alltagserfahrungen nach den tradierten Mustern.
Der Umgang mit der jüdischen Bevölkerung wird in der Novelle immer wieder thematisiert. Er ist in den mehrheitlich christlich geprägten Gesellschaften Europas in der Gesamtschau grundsätzlich intolerant gewesen. Ohnehin belastet von fehlenden Kenntnissen der jüdischen Riten, dem alten Vorwurf, die Juden seien die Mörder Christi gewesen, und der Tatsache, dass jüdische Gemeinden es z. T. zu finanziellem Wohlstand im Kreditgeschäft gebracht hatten, während den Christen ein biblisch belegtes und im 4. Jahrhundert n. Chr. kanonisch fixiertes Zinsverbot auferlegt war und folglich die Christen vom Kreditgeschäft weitgehend ausgeschlossen waren, reichte es besonders in Krisenzeiten aus, sich in den Juden einen Sündenbock auszusuchen. Die Stigmatisierung der Juden im Alltag