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Ein humorvoller Roman über ds Leben des Schriftstellers Wilfrid Kaudel.
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Seitenzahl: 226
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Die junge Frau Kaudel
George R. Sims
Inhalt:
George Robert Sims – Biografie und Bibliografie
Die junge Frau Kaudel
Die junge Frau Kaudel will einen Papagei haben.
Die junge Frau Kaudel verlegt sich auf Blumenzucht.
Die junge Frau Kaudel zieht Hyazinthen.
Die junge Frau Kaudel hat keinen Platz für ihre Kleider.
Die junge Frau Kaudel mißbilligt den Klub.
Herr Kaudel macht ein Bankett mit.
Herr Kaudel bringt den Damentoast aus.
Die junge Frau Kaudel pflückt Primeln.
Herr Kaudel gibt eine Zeitung heraus.
Die junge Frau Kaudel läutet an.
Herr Kaudel widersetzt sich dem Frühjahrsreinemachen.
Die junge Frau Kaudel hat die Influenza.
Herr Kaudel hat im Sinn, ein Automobil zu kaufen.
Die junge Frau Kaudel kauft ein Grammophon.
Die junge Frau Kaudel kauft einen Photographenapparat.
Die junge Frau Kaudel hat einen Jour fixe.
Die junge Frau Kaudel möchte ausziehen.
Bei Kaudels wird "besichtigt".
Herr Kaudel leidet an Magenkatarrh.
Die junge Frau Kaudel geht heim zu ihrem Vater.
Frau Kaudels Ultimatum.
Was eine Schriftstellersfrau durchzumachen hat.
Die junge Frau Kaudel, G. R. Sims
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849636272
www.jazzybee-verlag.de
Englischer Schriftsteller, geboren am 2. September 1847 in Kennington, verstorben am 4. September 1922 in London.. Sims war das älteste Kind (von sechs) des Kaufmanns George Sims und dessen Ehefrau, der Frauenrechtlerin Louisa Amelie Stevenson. Seine Kindheit verbrachte er in Islington, seine Schulzeit in Eastbourne. Anschließend besuchte er das Hanwell Military College und später studierte er an der Universität Bonn.
Bereits als Kind verfasste Sims Gedichte; sein Debüt als Schriftsteller hatte er während seines Studiums in Bonn. Unter mehreren Theaterstücken, die er in dieser Zeit verfasste, war auch eine Bearbeitung von Roderich Benedix' „Doktor Wespe“, die auch an der Universität zur Aufführung kam.
Als Sims sein Studium in Frankreich fortsetzte, lernte er die Werke Honoré de Balzacs kennen und schätzen. Er begann diese zu übersetzen und konnte 1874 dessen „Contes drôlatiques“ in englischer Sprache veröffentlichen. Nach seiner Rückkehr nach London arbeitete er für kurze Zeit im väterlichen Geschäft. Aber schon 1874 beendete er seine Arbeit dort und ließ sich als freier Schriftsteller in der Nähe des Regent's Park nieder.
1876 heiratete Sims in erster Ehe Sarah Elizabeth Collins. Als diese nach zehnjähriger Ehe starb, ehelichte er nach dem obligaten Trauerjahr Anne Maria Harris. Da seine zweite Ehefrau schon bald verstarb, heiratete er 1901 Elizabeth Florence Wykes. Alle drei Ehen blieben kinderlos.
Neben seinem eigenem literarischen Schaffen, war Sims auch ein gefragter Mitarbeiter verschiedener Zeitungen und Zeitschriften und mit den Jahren wurde er zu einem der bekanntesten Autoren des viktorianischen Zeitalters. Seine Werke umfassen Novellen und Romane ebenso, wie Theaterstücke und Lyrik. Während der 1880er Jahre erreichte er Anerkennung als Journalist; engagierter Sozialreformer, was auch in seinen Werken deutlich wird, blieb er bis zu seinem Lebensende. Heute ist wohl die Ballade „It is Christmas Day in the Workhouse“ noch bekannt.
Der Text ist unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar und ist abzurufen unter http://de.wikipedia.org/wiki/George_Robert_Sims.
Wichtige Werke:
·Li Ting of London.
·Mary Jane married.
·Memoirs of a landlady.
·Memoirs of Mary Jane.
·Rogues and vagabonds.
·The ten commandments.
·The English rose.
·The gay city.
·Thr folden ladder.
·The light of home.
·The master and the man.
·The member for Slocum
·The star of India.
·The gypsy earl.
·The white rose.
Gewidmet meiner Frau
die gerne wissen möchte,
wo in aller Welt ich das Modell zur jungen Frau Kaudel gefunden habe.
Die junge Frau Kaudel blickte von der Abendzeitung auf, die sie in einem Lehnstuhl beim Kamin studiert hatte. Sie räusperte sich mehrmals, um Herrn Kaudels Aufmerksamkeit zu erregen, dieser aber schrieb gerade einen Artikel über die Frage: "Ist ein Ministerium Roseberry möglich?" und beachtete ihr Getue nicht.
"Du Männe! Du Männe!"
Herr Kaudel hatte die erste Anrede überhört, da er aber nicht stocktaub war, mußte er wohl oder übel auf die zweite reagieren.
"Hm — ja?"
"Bist du beschäftigt?"
"O durchaus nicht — nicht der Rede wert!" sagte Herr Kaudel stöhnend. "Ich habe nur fünftausend Wörter zu schreiben und den Artikel heute nacht noch auf die Post zu bringen, das will ja nichts heißen! Was gibt es denn?"
"In der Zeitung ist ein entzückender Papagei ausgeschrieben! Du weißt, wie sehr ich mir immer einen Papagei gewünscht habe. Wenn ich die Anzeige herausschneide und dir gebe, willst du dann morgen hingehen — Dockstraße 24, Shadwell ist die Adresse — und den Vogel ansehen?"
Herr Kaudel legte die Feder hin und atmete tief auf.
"Liebes Kind, du wirst doch nicht ernstlich daran denken, einen Papagei im Haus haben zu wollen?"
"Warum denn nicht? Andere Leute haben auch Papageien, und dieser kann sprechen. Er wird mir Gesellschaft leisten, wenn du ausgegangen bist."
"Stimmt. Ich zweifle auch gar nicht, daß dich ein Papagei über meine Abwesenheit trösten könnte, aber was soll ich mit dem verdammten Vogel anfangen?"
"Er wird dir Spaß machen, dich auf neue Gedanken bringen."
"Danke schön! Wenn mir die Gedanken ausgehen, hole ich sie mir nicht bei einem schwatzenden Papagei!"
Mit finster zusammengezogenen Brauen kehrte der Schriftsteller zu seinem Manuskript zurück und versuchte, seine Gedanken wieder auf Lord Roseberry zu richten.
"Die Stellung, die Lord Roseberry," schrieb er, "bisher als Führer der Opposition eingenommen hat, ist die eines Papageis."
Er hatte das Wort gedankenlos hingeschrieben, doch gleich bemerkte er’s und strich es ärgerlich durch.
"Wenn du doch nicht sprechen wolltest, solange ich an der Arbeit bin!" rief er mit einem vorwurfsvollen Blick auf die Gattin. "Jetzt hast du mir den Fluß der Gedanken vollständig gehemmt."
"Versteht sich! So oft ich den Mund auftue, steht der Fluß still! Die Strömung muß sehr schwach sein, daß ein Papagei sie aufhalten kann — ich würde doch lieber nur von einem Rinnsal reden! Aber ich spreche nicht mehr, ich werde den Rest meines Lebens schweigend zubringen. Wenn du mir’s nur gesagt hättest, damals, als du mich zur Frau haben wolltest, daß man dich nur ansehen darf, dann hätt’ ich doch gewußt, was mich erwartet. Ich könnte gerade so gut mit einem Steuermann verheiratet sein!"
"Nicht übel," bemerkte Kaudel lächelnd.
"Ach, wenn du nicht so greulich wärest, würd’ ich oft Sachen sagen, die du als eigene Einfälle in deine Geschichten setzen könntest. Aber ich muß ja stundenlang dasitzen, ohne den Mund aufzutun. Ebensogut könnte ich als Gefangene in einem Burgverlies schmachten, wie jener alte Herr in der Bastille, und der hatte doch wenigstens eine Ratte, mit der er sich unterhalten konnte."
"Nur, wenn ich an der Arbeit bin, Kind. Sag doch selbst, wie ich’s angreifen sollte, gleichzeitig zu schreiben und mit dir zu plaudern?"
"Deshalb möchte ich ja gerade einen Papagei haben! Denn ich spür’s, daß ich das Schweigen nicht mehr länger aushalte. Könnte ich zu meinem Papagei gehen und mit ihm schwatzen und er mit mir, dann hätte ich doch nicht das Gefühl, taubstumm zu werden, das mich jetzt manchmal überfällt."
"Ich weigere mich unbedingt, ein weiteres Tier ins Haus zu nehmen! Du hast schon eine Katze und einen Hund, Goldfische und einen Kanarienvogel, das sollte wahrhaftig für jede Frau genügen, sie müßte denn in Noahs Arche aufgewachsen sein."
"O bitte, laß die Bibel lieber aus dem Spiel!" rief die junge Frau Kaudel vorwurfsvoll.
Herr Kaudel warf einen verzweifelten Blick auf sein Manuskript.
"Sei vernünftig, Liebchen," sagte er beinahe weinerlich. "Wie bist du nur auf diesen verwünschten Papagei verfallen?"
"Zu Haus hatte ich einen, und wer ein Mädchen aus einem Haus nimmt, wo ein Papagei ist, und sich nachher weigert, ihr anzuschaffen, woran sie ihr Leben lang gewohnt war, der hält sein Ehegelübde schlecht."
"Ein Papagei ist keine geeignete Gesellschaft für einen Ehemann."
"Unsinn! Mein Vater liebt unsern Papagei!"
"Dein Vater hat nicht am Abend zu arbeiten."
"Nein, er erledigt seine Geschäfte bei Tag und verbringt den Abend mit seiner Familie, wie ein Mensch! Ich brauchte ihn nicht den ganzen Abend stumm anzustarren und mich zu fürchten, es möchte mir ein Wort entfahren. Wir saßen gesellig und vergnügt beisammen, mein Vater und ich — und der Papagei."
Ihre Stimme zitterte ein wenig und Herrn Kaudel wurde es ungemütlich.
"Sei doch nicht kindisch!" sagte er beschwichtigend. "Du weißt doch, daß ich dir den obersten Ziegel vom Schornsteinkopf herunterholen würde, wenn du ihn haben wolltest!"
"Ich will aber keinen Ziegel haben, sondern einen Papagei," erklärte die junge Frau Kaudel wimmernd, denn sie hörte an Kaudels verändertem Ton, daß er schwach zu werden begann. "Schenke mir den Papagei — ich werde gewiß dafür sorgen, daß er dich nie stört."
"Er wird mich aber stören. Mit dem Kanarienvogel hab’ ich dir den Willen gelassen, und du siehst ja, daß er mich zur Verzweiflung bringt."
"Was? Das süße, zwitschernde Geschöpfchen ärgert dich?"
"Das Zwitschern macht mir nichts, aber so oft die Tür offensteht, muß ich auf die verwünschte Katze aufpassen. Zweimal habe ich sie gestern ertappt, wie sie mit lüsternem Maul vor dem Käfig saß, und wie soll ein Mensch seine Gedanken beisammen haben, wenn er achtgeben muß, daß seiner Frau Katze nicht seiner Frau Kanarienvogel frißt?"
"Damit hat’s bei einem Papagei keine Not, Katzen wagen sich nicht an Papageien, wie du weißt. Und wenn du gerade nicht arbeitest, wird sein Geschwätz dir den allergrößten Spaß machen. Du wirst schon sehen, was für komische Sachen ich ihm beibringe!"
"Was du ihm beibringst, mag ja angehen, aber wie wird’s mit dem aus, was er schon kann?"
"O, der, den ich meine, ist gewiß nicht schlecht erzogen, es heißt ja in der Anzeige ›an Kinder gewohnt‹. Damit ist jedenfalls gemeint, daß er nicht flucht und nichts Unanständiges sagt. Unser Papagei daheim war in der Beziehung tadellos, wirklich ein feiner Herr, ja, er hatte sogar einen veredelnden Einfluß auf uns alle. Mein Bruder zum Beispiel, der hie und da etwas Unpassendes zu sagen liebte, gab das ganz auf, sobald der Papagei da war; er nahm sich furchtbar zusammen aus Angst, der Vogel könne etwas aufschnappen und nachplappern. Ich habe eigentlich schon oft gedacht, die Anwesenheit eines sprechenden Papageis könnte dir eine heilsame Zurückhaltung auferlegen!"
"Komm, gib den Gedanken nur gleich auf! Seine Gegenwart würde mich vollständig demoralisieren — es ist nicht abzusehen, was ich sagen könnte, wenn der Vogel zu kreischen anfinge. Außerdem haben wir auch kein Recht, unsre ehrbare, ruheliebende Nachbarschaft durch einen kreischenden, krächzenden Papagei unglücklich zu machen."
"Wahrhaftig"! So rücksichtsvoll bist du gegen die Nachbarn! Ob ich unglücklich bin, das ficht dich nicht an, aber für Fremde bist du voll Gefühl! Schön und gut — ich werde sofort an die Leute im Nebenhaus schreiben, sie sollen ihren Hund abschaffen, denn er bellt und heult stundenlang im Hof. Darf ich keinen Papagei halten, so sollen sie auch keinen Hund haben. Auf der andern Seite ist ein Kind angekommen, das schreit die halbe Nacht; darüber werde ich mich auch beklagen. Wenn ich den Leuten zuliebe keinen Papagei haben darf, sollen sie auch keine Kinder kriegen!"
Herr Kaudel schob das Ministerium Roseberry hastig zurück und drehte den Stuhl, um seiner bessern Hälfte ins Gesicht sehen zu können.
"Mein liebes Kind, sobald du vernünftig sprichst, will ich dir ja gern zuhören — aber was in alter Welt hat das Kind nebenan mit deinem Papagei zu schaffen?"
"O, das ist ein und dasselbe. Wenn wir ein Kind hätten, würdest du ja sicher, so oft es schreit, behaupten, es lenke deine Gedanken ab, und die Wärterin müßte wahrscheinlich mit ihm aufs Dach sitzen, um außer Hörweite zu sein, wenn es seine kleinen Schmerzen klagte. Für dich gibt’s überhaupt nur einen passenden Ort auf der Welt — miete dir ein Zimmer in der Taubstummenanstalt. Dort könntest du vielleicht ungestört schreiben! Wie’s nur andre Schriftsteller machen, möchte ich wissen? Einige unsrer größten hatten doch Kinder um sich, jawohl, und Hasen, die im Garten herumhüpften — Cowper pflegte ja den seinigen auf der Flöte vorzuspielen! Charles Dickens hatte einen sprechenden Raben und hat trotzdem unsterbliche Werke geschrieben, du aber kannst nicht ein dutzend Zeilen über diesen Lord Roseberry schreiben für eine Zeitschrift, die erst in vier Wochen herauskommt, und zugleich deiner Frau anständig Antwort geben, wenn sie dich etwas fragt!"
"Ich habe dir doch Antwort gegeben. Habe ich dir nicht meine Gründe gegen einen Papagei auseinandergesetzt?"
"Ja, aber du hast dir nichts erklären lassen! Du machst dir nämlich eine ganz falsche Vorstellung von Papageien, du kennst nur die widerwärtigen, kreischenden Dinger in den zoologischen Gärten, wovon kaum einer etwas zu reden weiß, aber ein dressierter, ein erzogener, ein gezähmter Papagei, wie der hier angezeigte, ist ganz etwas andres. Unser Papagei zu Hause kann singen, die Leute kommen meilenweit her, um ihn zu hören, und stehen in Scharen vor unserm Haus, wenn das Fenster offen ist. Man könnte es wirklich für den Gesang eines Christenmenschen halten!"
"So, und was singt er denn?" stöhnte Herr Kaudel. "Arien aus Oratorien?"
"Aus Oratorien! Sei so gut und lästre nicht!"
"Nun, was singt er denn? Weshalb tust du so geheimnisvoll? Du hast dir offenbar in den Kopf gesetzt, einen Papagei zu haben, gleichviel ob mir’s lieb oder unlieb ist, und da werde ich doch ungefähr wissen dürfen, womit mir der Kerl am Morgen, Mittag und Abend die Ohren zerreißen wird?"
"Von Ohrenzerreißen ist gar keine Rede. Du tust, als ob meine Leute daheim Barbaren wären und kein Gefühl für Musik hätten, sie sind aber mindestens ebenso gute Kulturmenschen wie du!"
"Zweifle ja nicht daran, nicht im mindesten! Aber was schmettert euer Kulturpapagei zu Hause?"
"Eins von seinen Liedern, das er ganz entzückend singt, ist zum Beispiel: ›Der kleine Kohn.‹"
"Wahrhaftig!" rief Herr Kaudel mit zorndurchbebtem Hohn. "Das nenne ich eine gediegene musikalische Bildung! Wenn du dir etwa einbildest, ich ließe mir solch einen verwünschten Vogel ins Haus schleppen, der mir den lieben langen Tag ankündigt, daß der kleine Kohn kommt, so sage ich, steig mir den Buckel hinauf!"
Die junge Frau Kaudel zuckte nervös zusammen.
"Sei so freundlich und gebrauche mir gegenüber keine Ausdrücke, als ob ich — ein — ein Omnibuskutscher wäre. Das ist eine Beleidigung!"
"Unsinn! Das ist ein vollkommen harmloser Ausdruck der Mißbilligung. Nun hab’ ich aber eine Stunde vergeudet, sei also so gut und laß mich arbeiten."
Herr Kaudel wandte sich aufs neue seinem Manuskript zu, aber seine Gedanken waren hoffnungslos durcheinander gerüttelt. Statt epigrammatischer Bemerkungen über die Lage der liberalen Partei, verwechselte er mehrmals Lord Roseberry mit dem kleinen Kohn.
Endlich gelang es ihm aber doch, den durch seine Frau abgerissenen Faden wieder anzuknüpfen, und er schrieb ein paar Minuten ungestört weiter.
Plötzlich aber war Frau Kaudels Selbstbeherrschung zu Ende. Sie hatte sich, rhythmisch mit der Fußspitze auf den Boden klopfend, noch mehr in Zorn gesteigert und konnte das Schweigen nicht länger ertragen. Dicht hinter Kaudel tretend, klopfte sie mit den Fingerknöcheln auf die Schreibtischplatte, um sich Gehör zu verschaffen.
"Wenn ich nicht das Recht habe, einen einzigen Papagei zu halten," hob sie an, "wie kannst du dir dann sechs Hunde halten? Jawohl, sechs, und darunter einen, der den Waschmann beißt und von zwei Mädchen am Halsband gehalten werden muß, wenn der Uhrmacher kommt. Du weißt das ganz gut und schaffst ihn doch nicht ab. Dem Waschmann hast du schon zwei Paar Hosen bezahlen müssen und dem Uhrmacher zweimal Kognak spendieren, weil ihn der Hund angeknurrt hat und der Mann herzleidend ist. Einen derartigen Hund hältst du dir, und man darf kein Wort gegen ihn sagen, wenn ich aber um die Erlaubnis bitte, einen unschuldigen, friedfertigen Papagei in einem Käfig zu halten, so stellst du dich an, als wolle ich einen bengalischen Tiger ins Haus bringen. Ein Mann, der sich eine Meute hält …"
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"Es war mir vollständig unmöglich, diese Behauptung zu widerlegen," schreibt Kaudel in einer Nachschrift zu dieser Aufzeichnung, "und somit gab ich meine Zustimmung zum Ankauf des Papageis. Daraufhin setzte sich meine Frau mäuschenstill hin und las ein Buch, bis ich über Lord Roseberry, nach Herzenslust verfügt hatte. Später spielten wir eine Partie Bezique, und da ich nicht der Gewinner war, blieb der häusliche Himmel so hell und heiter wie ein schöner Sommertag. Die halbe Nacht aber lag ich wach in quälenden Berechnungen, wie lange meine Nerven wohl einem sprechenden Papagei standhalten würden, und beim Morgengrauen murmelte ich vor mich hin: ›Seht ihr den kleinen Kohn? Den kleinen Kohn!‹"
Als die junge Frau Kaudel ihrem Mann den Plan vortrug, Gartenkunst zu treiben, wurde ihr von seiner Seite auffallend begeisterter Zuspruch zu teil. Allerdings war das dazu verfügbare Gelände ziemlich beschränkt. Der ganze Hinterhof gehörte den Hunden und deren Hütten. Der schmale Streifen vor dem Haus führte zwar den Namen eines Vorgartens, konnte aber für diesen Zweck nicht in Frage kommen. Dafür befanden sich an allen Fenstern Blumenkästen. Blumenkästen umrahmten den leidlich geräumigen Balkon und in der Mitte des genannten Balkons standen sogar vier grün gestrichene Pflanzenkübel. Die junge Frau Kaudel hatte Umschau gehalten und sich die Verhältnisse klargemacht, ehe sie Blumenzucht zu ihrem Sport erkor.
"Rosen und derartiges," sagte sie, "kann ich natürlich nicht züchten, wie es mein Vater daheim in unserm Garten tut, aber es gibt eine Menge Blumen, die in den Fensterkästen vorzüglich gedeihen werden."
"Gewiß," stimmte der Gatte bei. "Bisher habe ich sie immer vom Gärtner füllen lassen, aber wir werden viel mehr Freude daran haben, wenn du selbst Blumen ziehst."
"Das denke ich ja eben! Außerdem wird mich’s beglücken, wenn ich etwas zu tun habe, und ich werde mir nichts mehr daraus machen, daß ich mit niemand sprechen kann, wenn du arbeitest — ich habe dann auch meine Arbeit!"
An diesem Nachmittag fuhr die junge Frau Kaudel aus und kam erst knapp vor der Essenszeit nach Hause. Sie hatte sich mit einem Dutzend populärer Zeitschriften über Gartenbau und verschiedenen dickbäuchigen Bänden versehen, die sie durchstudieren wollte, um die Sache gründlich zu betreiben.
Gleich nach der Mahlzeit zog sie sich, den "Gärtner", die "Gartenkunst", des "Gärtners Tagebuch", "Liebhabergärtnerei", den "Gartenbau" und "Blumenfenstergärtnerei" mit sich nehmend, ins Wohnzimmer zurück, und Kaudel konnte in seinem Arbeitszimmer ohne eine einzige Unterbrechung einen Artikel schreiben.
"Famoser Einfall, diese Gärtnerei!" frohlockte er im Innern. "Nun sind meine Abendstunden in Sicherheit."
Am andern Morgen wartete seiner beim Frühstück eine kleine Überraschung. Seine Frau hatte im "Daily Telegraph", den "Daily News", der "Tageschronik" und der "Morgenpost" alle auf Gärtnerei bezüglichen Anzeigen und Notizen so emsig durchgegangen, daß drüber ihr Kaffee kalt geworden war, dann blickte sie auf und sagte: "Wilfrid, heute mußt du furchtbar nett gegen mich sein!"
"Ich bin immer nett gegen dich, Liebste — wenigstens habe ich den besten Willen dazu!"
"Ja, aber heute mußt du ›extra nett‹ sein! Du mußt selbst ausgehen und mir Gartenerde, eine Gartenhacke, einen Spaten, Blumendünger und einen Topf grüner Ölfarbe besorgen."
"Mein liebes Kind," rief Herr Kaudel betroffen, "das kann ich nicht! Ich habe ja keine Ahnung, wo man solche Sachen bekommt, ob man Gartenerde per Scheffel, Tonne, Kubikmeter oder Zentner kauft! Aber schreib nur auf, was du brauchst, dann schicke ich den Zettel in den Stall, und Arthur wird dir alles gut besorgen."
"Wird er?" fragte die junge Frau Kaudel zweifelnd. "Ob Kutscher viel von der Gärtnerei verstehen …"
"O, Arthur ist ein vortrefflicher Gärtner," versicherte Herr Kaudel. "Er wird dir in allen Stücken zur Hand gehen, die Kästen füllen, frisch anstreichen und so weiter."
Die junge Frau Kaudel schüttelte den Kopf.
"Ich habe nicht im Sinn, irgend jemand an die Fensterkästen rühren zu lassen, sondern werde alles allein besorgen. Mein Blumengarten auf dem Balkon soll mein Blumengarten und nicht der des Kutschers sein!"
"Gedenkst du etwa, die Gartenerde eigenhändig einzufüllen?"
"Ganz gewiß. Das heißt man Blumen ziehen. Wenn ein andrer daran rührt, sind’s eben nicht mehr meine Blumen, und ich möchte dir zeigen, was ich zu stande bringe."
Nach beträchtlichen Hin- und Herreden gelang es Herrn Kaudel, einen Vergleich zu stande zu bringen. Die Liste wurde aufgesetzt, und der Kutscher abgesandt, um alles zu besorgen, was für die Blumenkästen nötig war. Die Auslagen des ersten Tags betrugen zehn Pfund, was Herr Kaudel etwas teuer fand, aber seine Frau erklärte ihm, daß Gärtnerei anfangs immer ziemlich viel koste, mit der Zeit indes immer billiger komme, worauf er sich zufriedengab. Die junge Frau Kaudel füllte ihre Kästen, verbrachte einen Morgen mit Einkaufen von Blumenzwiebeln, schrieb an alle bedeutenderen Samenhandlungen um Kataloge und siedelte sich nachmittags auf dem Balkon an, mit grüner Ölfarbe versehen, die für die Vorderseite des ganzen Hauses ausgereicht hätte, und einem Pinsel, der so groß war, daß sie ihn mit beiden Händen halten mußte.
Als sie zum Fünfuhrtee hereinkam, mußte sie zwar tüchtig niesen, war aber in sieghafter Stimmung. Was sie am Leib hatte, war über und über mit grüner Farbe bekleckst, und sie mußte Gesicht und Hände mit Terpentin bürsten, ehe sie in die menschliche Gesellschaft zurückkehren konnte. Infolge davon verbreitete sie einen so überwältigenden Farb- und Terpentingeruch, daß Herr Kaudel erklärte, ihre Anwesenheit im Zimmer verursache ihm die heftigsten Kopsschmerzen.
"Sei doch nicht närrisch!" erklärte sie. "Wenn wir die Balkontüren schließen, kommt der Farbgeruch nicht herein, und Terpentingeruch ist nur gesund. Es ist sehr unfreundlich von dir, wenn du noch brummst, während ich dir so viel Geld erspare. Du brauchst jetzt doch keine Blumen mehr für den Balkon zu kaufen, denn den bepflanze ich dir umsonst!"
"Der Scherz hat zehn Pfund gekostet, ehe noch ein Samenkorn drin ist," brummte der Gatte.
"Ja, das war der Anfang. Nachher kostet’s so gut wie nichts mehr. Wenn dir’s nicht recht ist, daß ich Blumen ziehe, so geb’ ich’s natürlich auf."
"Nein, nein!" rief Kaudel hastig. "Pflanze du nach Herzenslust, Liebling, aber vergiß nicht, daß du versprochen hast, mich ganz aus dem Spiel zu lassen. Ich könnte keinen Kohlkopf ziehen, und wenn ich auf einer öden Insel verhungern müßte."
"Ich werde dich gar nicht belästigen, Wilfrid. Was ich wissen muß, finde ich in meinen Büchern."
Da seine Frau nicht nur ein Dutzend Bücher über Gartenkunst gekauft, sondern auch noch alle Bände aus der Leihbibliothek, die im Haus gewesen waren, gegen solche eingetauscht hatte, war Herr Kaudel allerdings auch der Meinung, daß sie die nötigen Hilfsmittel zur Hand habe.
"Ja, du wirst wahrhaftig alles finden können," bemerkte er. "Ich glaube nicht, daß, mit Ausnahme des Britischen Museums, unter irgend einem Hausdach der Welt so viele Werke über Gartenkunst beisammen sind, wie bei uns."
Inzwischen hatte Frau Kaudel nach dem Werke "Unser Garten" gegriffen und den Kopf dicht über die Blätter geneigt, so daß der Gatte sich unbemerkt aus dem Staub machen und in seinem Arbeitszimmer ein Kapitel des angefangenen Romans niederschreiben konnte.
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Es war halb neun Uhr und Kaudel hatte sich nach einer leichten Mahlzeit und einem Blick in die Zeitungen wieder an die Arbeit gemacht. Er war eben an einer leidenschaftlichen Liebesszene zwischen dem jungen Helden und dem Mädchen, das er ihm beigesellen wollte, obwohl die ganze Welt sich dagegen auflehnte, als das Zimmermädchen mit einem Zettel hereinkam. Kaudel warf einen entrüsteten Blick auf die Eintretende, denn von neun Uhr abends an war sein Zimmer geheiligtes Gebiet. Sie fing den Blick auf und stotterte, um sich von Schuld reinzuwaschen: "Die gnädige Frau hat mir befohlen, das zu bringen …"
Stöhnend riß Kaudel das Briefchen auf und las:
"Lieber Wilfrid! Da ich dir versprochen habe, dich nicht zu unterbrechen, komme ich nicht zu dir, aber sei so gut und laß mir durch Marie sagen, ob du Krokusse auf dem Balkon haben willst oder ob dir etwas anderes lieber ist. Ich muß es jetzt wissen, weil ich mit der heutigen Abendpost die Zwiebel bei Sutt bestellen möchte."
Kaudel war sehr verstimmt über die Störung und kritzelte ärgerlich quer über die Zeilen: "Pflanze Brennesseln, wenn du magst, aber laß mich ungeschoren."
Als er das Geschriebene ansah, mußte er selbst darüber lachen, und in befreiter Stimmung kehrte er zu seiner Liebesszene zurück. Aber er schrieb sehr unleserlich, und war ihm der Faden seines Dialogs abgerissen, so ließ dieser sich nicht so schnell wieder anknüpfen, weil er die Lupe zu Hilfe nehmen mußte, um sein eigenes Geschreibsel zu entziffern. Eben hatte er sie zur Hand genommen, als die Türe aufging und Frau Kaudel mit einem umfangreichen Katalog in der Hand hereinspazierte.
"O Wilfrid! Wie häßlich von dir, mir eine so grobe Antwort zu schicken, während du doch weißt, was ich für dich tue!"
"Du … für mich?" rief Kaudel.
"Ja, deinen Balkon schmücken. Ich möchte nur wissen, was für Blumen du zuerst haben möchtest."
"Das ist mir ganz einerlei!" rief Kaudel gereizt. "Meinetwegen können sie alle zumal wachsen!"
Die junge Frau Kaudel zog die Augbrauen zusammen.
"Du bist wirklich sehr unfreundlich, Wilfrid, während ich dir doch eine Freude machen und dich nach deinen Lieblingsblumen fragen will!"
"Meine liebe Mabel, wenn ich Blumen haben will, kann ich sie mir blühend kaufen. Wenn dir’s Spaß macht, dich mit grüner Ölfarbe zu beschmieren und das Gärtnerei zu nennen, so kannst du das nach Belieben halten, ich aber habe dir vorhergesagt, daß ich keine Zeit dafür zu vergeuden habe. Pflanze, was dir Spaß macht, aber laß mich an meiner Arbeit."
"Deine Arbeit! Deine Arbeit!" wiederholte Frau Kaudel tief gekränkt. "Die ist das einzige, woran dein Herz hängt, und meine Arbeit, die gilt dir natürlich nichts. Du sagst, ich solle Brennesseln pflanzen. Schön und gut, soll geschehen — auf ein paar Brennesseln, mehr oder weniger kommt’s in diesem Haus nicht mehr an!"
"Ist mir nie eingefallen, dich eine Brennessel zu nennen," brummte Kaudel.
"Aber ich sage dir, daß du eine bist, eine Brennessel, die sticht, sobald man sie anredet. Schlimmer bist du als die Brennesseln unter den Pflanzen, denn die stechen wenigstens ihre eigenen Frauen nicht."
"Darüber weiß ich nichts — ich bin kein Botaniker," versetzte Kaudel, "aber tu mir den einzigen Gefallen und laß mich weiter arbeiten! Ich bin mitten in einer leidenschaftlichen Liebesszene."