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Jane Tressider erzählt voller Humor aus ihrem bewegten Leben. Die Serie "Meisterwerke der Literatur" beinhaltet die Klassiker der deutschen und weltweiten Literatur in einer Sammlung. Lesen Sie die besten Werke großer Schriftsteller,Poeten, Autoren und Philosophen auf Ihrem
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Seitenzahl: 356
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Erinnerungen einer Schwiegermutter
George R. Sims
Inhalt:
George Robert Sims – Biografie und Bibliografie
Erinnerungen einer Schwiegermutter
Erster Band
Ich.
Miß Sabines Schatz.
Mein erster Schwiegersohn.
Mein ältester Sohn John.
Fünf Meilen von Dingsda.
Einige meiner Sorgen.
Die Kartoffelklöße.
Oben auf dem Omnibus.
Mauds Gatte.
Zweiter Band
Mein deutscher Schwiegersohn.
Die Leute gegenüber.
Zwei meiner Enkelkinder.
Lavinia.
Frank Tressider.
Mrs. Franks Mutter.
Frank und Laura.
Die Pfauenfedern.
Erinnerungen einer Schwiegermutter, G. R. Sims
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849636265
www.jazzybee-verlag.de
Englischer Schriftsteller, geboren am 2. September 1847 in Kennington, verstorben am 4. September 1922 in London.. Sims war das älteste Kind (von sechs) des Kaufmanns George Sims und dessen Ehefrau, der Frauenrechtlerin Louisa Amelie Stevenson. Seine Kindheit verbrachte er in Islington, seine Schulzeit in Eastbourne. Anschließend besuchte er das Hanwell Military College und später studierte er an der Universität Bonn.
Bereits als Kind verfasste Sims Gedichte; sein Debüt als Schriftsteller hatte er während seines Studiums in Bonn. Unter mehreren Theaterstücken, die er in dieser Zeit verfasste, war auch eine Bearbeitung von Roderich Benedix' „Doktor Wespe“, die auch an der Universität zur Aufführung kam.
Als Sims sein Studium in Frankreich fortsetzte, lernte er die Werke Honoré de Balzacs kennen und schätzen. Er begann diese zu übersetzen und konnte 1874 dessen „Contes drôlatiques“ in englischer Sprache veröffentlichen. Nach seiner Rückkehr nach London arbeitete er für kurze Zeit im väterlichen Geschäft. Aber schon 1874 beendete er seine Arbeit dort und ließ sich als freier Schriftsteller in der Nähe des Regent's Park nieder.
1876 heiratete Sims in erster Ehe Sarah Elizabeth Collins. Als diese nach zehnjähriger Ehe starb, ehelichte er nach dem obligaten Trauerjahr Anne Maria Harris. Da seine zweite Ehefrau schon bald verstarb, heiratete er 1901 Elizabeth Florence Wykes. Alle drei Ehen blieben kinderlos.
Neben seinem eigenem literarischen Schaffen, war Sims auch ein gefragter Mitarbeiter verschiedener Zeitungen und Zeitschriften und mit den Jahren wurde er zu einem der bekanntesten Autoren des viktorianischen Zeitalters. Seine Werke umfassen Novellen und Romane ebenso, wie Theaterstücke und Lyrik. Während der 1880er Jahre erreichte er Anerkennung als Journalist; engagierter Sozialreformer, was auch in seinen Werken deutlich wird, blieb er bis zu seinem Lebensende. Heute ist wohl die Ballade „It is Christmas Day in the Workhouse“ noch bekannt.
Der Text ist unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar und ist abzurufen unter http://de.wikipedia.org/wiki/George_Robert_Sims.
Wichtige Werke:
·Li Ting of London.
·Mary Jane married.
·Memoirs of a landlady.
·Memoirs of Mary Jane.
·Rogues and vagabonds.
·The ten commandments.
·The English rose.
·The gay city.
·Thr folden ladder.
·The light of home.
·The master and the man.
·The member for Slocum
·The star of India.
·The gypsy earl.
·The white rose.
Ich.
Seit unvordenklichen Zeiten ist es Mode gewesen, Schwiegermütter der Lächerlichkeit und Verachtung preiszugeben. Ob der Ausdruck "unvordenkliche Zeiten" ganz zutreffend ist, weiß ich nicht, denn ich bin nicht Schriftstellerin von Beruf, und in meiner Jugendzeit wurden junge Mädchen nicht so fein erzogen, als heutigestags. Einfaches Schreiben, einfaches Nähen und einfaches Kochen, und ich kann vielleicht noch hinzufügen, einfach und offen meine Meinung sagen, das ist's, was ich von meiner lieben Mutter gelernt habe.
Meine Mutter sprach immer offen ihre Meinung aus. Häufig habe ich gehört, wie sie meinem Vater sagte, wenn er ihr Vorwürfe über etwas machte, was sie in Gesellschaft gesprochen hatte: "Ich kann nicht anders, Zacharias, ich sage immer offen meine Meinung und werde das stets thun, und wenn sich die Leute beleidigt fühlen, kann ich's nicht ändern."
Als Mädchen habe ich gesprochen, wie mir der Schnabel gewachsen ist, als junge Frau habe ich's ebenfalls gethan, und jetzt, wo ich eine Frau mittleren Alters bin, thue ich's immer noch, und werde es auch in diesen Erinnerungen thun. Ich weiß, daß ich manchmal damit angestoßen habe. Eine Frau mit vier verheirateten Töchtern, drei verheirateten Söhnen, einer unverheirateten Tochter, die noch bei mir ist, einem lieben, kleinen, nichtsnutzigen Jungen von elf Jahren als Nesthäkchen, einem Manne, der noch nicht einmal "Buh" zu einer Gans sagen kann, es sei denn, die Gans wäre seine eigene Frau, und der während der ganzen fünfundzwanzig Jahre unsrer Ehe alle unangenehmen Dinge zu thun mir überlassen hat, muß hie und da anstoßen, wenn sie ehrlich ist und kein Blatt vor den Mund nimmt.
Natürlich, wenn mein Mann – nicht, daß ich ein Wort gegen ihn als Mann sagen möchte – seine Pflicht als Gatte und Vater gethan hätte, dann würde ich in gewissen Kreisen nicht im Rufe stehen, ein Drache zu sein. Diesen schönen Ausdruck habe ich einmal von einem jungen Manne aus einer Eisenhandlung in meinem eigenen Hause, meinem eigenen Dienstmädchen gegenüber auf mich anwenden hören.
Drache oder nicht, ich habe seinem Prinzipal nicht gestattet, meinen Mann übers Ohr zu hauen; denn der versteht wirklich nicht besser, was die Sachen wert sind, als ein Kind, und man darf ihn nie allein in einen Laden gehen lassen. Er glaubt alles, was die Kaufleute ihm vorschwatzen, und kann nicht leiden, wenn man "schachert", wie er's nennt. Ich habe ihn einmal mitgenommen, als ich mir einen Hut kaufen wollte, weil er gesagt hatte, er hätte einen in einem Schaufenster gesehen, der mir sehr gut stehen würde, und ich denke noch daran, was für einen Auftritt er machte. Ich hatte kaum ein halbes Dutzend aufprobiert, als er anfing, mit seinem Spazierstock zu fuchteln und unruhig umherzutrippeln, und er verlangte, ich sollte ein schauderhaftes Ding nehmen, worin ich aussah wie eine Vogelscheuche. Ich wußte gleich, was er wollte. Er meinte, ich mache dem jungen Frauenzimmer im Laden zu viel Mühe. "O, natürlich," sagte ich, "dir ist's einerlei, ob ich wie eine Vogelscheuche aussehe; du denkst immer nur an andre Leute."
Ich sprach das laut, und er wurde so rot wie ein Puterhahn, was eine unangenehme Gewohnheit von ihm ist, wenn ich in Gegenwart andrer Leute mit ihm spreche.
"Ich wünsche durchaus nicht, daß du wie eine Vogelscheuche aussiehst, meine Liebe," stammelte er; "aber du wirst doch nicht sämtliche Hüte im Laden aufprobieren und dann weggehen, ohne einen zu kaufen?"
Mir ist's immer unbegreiflich gewesen, warum Männer eine solche Scheu haben, aus einem Laden wegzugehen, ohne etwas zu kaufen. Die Ladendiener hätten's freilich am liebsten, wenn man alles kaufte, was im Laden ist; aber man geht doch nicht in ein Geschäft, um den Commis einen Spaß zu machen, sondern um seiner selbst willen; und wenn einem die Sachen, die man sieht, nicht gefallen, oder sie sind einem zu teuer, warum soll man dann was kaufen?
Zwei meiner Töchter arten in dieser Hinsicht ihrem Vater nach. Ich habe es erlebt, daß meine Tochter Sabine, wenn wir bei Shoolbred oder Whiteley oder Marshall oder Snelgrove waren und nichts gefunden hatten, was uns gefiel, wieder zurückrannte, wenn wir schon draußen waren, und irgend einen albernen, nichtsnutzigen Firlefanz für fünfzig Pfennige kaufte, und wenn ich ihr wegen dieser Geldverschwendung Vorwürfe machte, dann sagte sie: "O, Mama, wir haben den Leuten so viele Mühe gemacht; ich mußte doch etwas kaufen."
Der alberne Gedanke, etwas kaufen zu müssen, hat auch meinen Mann dazu gebracht, den Essig- und Oelständer bei dem Eisenhändler in Tottenham Court Road zu nehmen, der nachher den jungen Menschen veranlaßte, mich meinem eigenen Zimmermädchen gegenüber Drache zu nennen. Und das unverschämte Frauenzimmer hatte die Frechheit – es wußte nicht, daß ich auf der Treppe stand – zu sagen, das wäre ich auch, und ich würde dem armen Herrn bis an sein seliges Ende wegen des Essig- und Oelständers die Ohren voll reden. Der arme Herr! Ich muß wirklich sagen! Na, ich habe ihr den armen Herrn angestrichen, und am nächsten Ersten ging sie, und wenn ihre Mutter nicht gekommen wäre und hätte sich auf meine Muttergefühle berufen, dann wäre ihr ein Zeugnis mitgegeben worden, das sie nicht hinter den Spiegel gesteckt haben würde. Aber heutigestags nehmen sich die einfältigen Dienstboten viel zu viel heraus.
Dem Eisenhändler habe ich auch keine Schmeicheleien, aber ordentlich meine Meinung gesagt, und das thäte ich unter allen Umständen wieder, und wenn es zwanzig Eisenhändler wären.
Die Sache kam nämlich so: Eines Tages beim Essen sagte ich, wir hätten keinen anständigen Essig- und Oelständer. Wir hatten ja ein paar, aber es waren lauter so schwache, dumme, wackelige Dinger, und ich mußte immer an den meiner lieben Mutter denken, den ich als Kind so bewundert hatte, und der wirklich jedem Tische zur Zierde gereichen konnte. Meine beiden Jungen wollten sich Pfeffer nehmen, und dabei stießen sie den Ständer um, und das schöne reine Tischtuch (eins von meinem besten Dutzend) war ein See von Essig, Oel und Worcestersauce, von Senf gar nicht zu reden. Ich sprach mich also ganz unverhohlen aus und sagte, das sei nicht die Sorte von Essig- und Oelständer, die ich erwartet, als ich einen wohlhabenden Mann geheiratet hätte.
Was thut mein armer, thörichter Mann, der gutherzigste Mensch, der jemals geatmet hat? Er rennt am nächsten Tage zu dem Eisenhändler in Tottenham Court Road und läßt sich die besten Essig- und Oelständer zeigen, die der hat. Warum er in einen Eisenladen gegangen ist, weiß ich nicht, und ganz besonders in so einen, der so viel Reklame macht und Feuerzangen und Müllschippen vor der Thür hängen hat, um Käufer anzulocken; aber da ist er hingegangen, und der Eisenhändler mag wohl auch gleich gemerkt haben, wes Geistes Kind ihm da in die Hände gelaufen war, und beschwätzt ihn, ein gemeines, großes, garstiges Ding zu kaufen und sechs Guineen dafür zu bezahlen. Sowie es gebracht wurde, sah ich auf den ersten Blick, daß es Plunder war, und als John – so heißt mein Mann – mir sagte, was er dafür bezahlt habe, war ich geradezu entsetzt. "Wenn du dir einbildest, daß ich mich so beschwindeln ließe, dann bist du auf dem Holzwege. Ich werde das Ding sofort zurückschicken und das Geld wieder verlangen."
Und nun fing er an zu reden und sagte, er hätte es gekauft und bezahlt, und es wäre weiter nichts als Vorurteil von mir, weil er es ausgesucht hätte. Ueber eine Stunde haben wir geredet und geredet, aber er war eigensinnig und sagte, ich könne nicht erwarten, daß er in den Laden ginge und dem Manne sagte, seine Frau sei der Ansicht, er wäre ein Esel. Dieser Satz scheint mir nicht ganz klar zu sein. Mit dem "sein" und "er" kann ich nie ordentlich zurechtkommen; ich bin eben keine Schriftstellerin von Beruf, aber daß des Eisenhändlers Frau behauptet habe, er – das heißt ihr Mann – sei ein Esel, wollte ich nicht sagen, denn davon weiß ich nichts. Es ist so viel leichter, auszusprechen, was man meint, als es zu schreiben, und es gelang mir, meinem Manne meine Meinung begreiflich zu machen. "Wenn du den Essigständer nicht zurückbringen willst, dann werde ich es thun," und ich wickelte ihn in das lumpige, dünne rosa Seidenpapier, worin er gebracht worden war, nahm ihn am Henkel und machte mich sofort auf den Weg.
Als ich in den Laden kam, stellte ich ihn auf den Tisch und sprach zum Kaufmann, der mich anglotzte, als ob er noch nie eine entrüstete Frau gesehen hätte: "Sie werden so gut sein und mir die sechs Guineen, die mein Mann, Mr. Tressider, gestern für dieses erbärmliche Ding bezahlt hat, zurückgeben."
"Ich verstehe Sie wohl nicht recht, Madame?" "O, ich werde Ihnen schon klar machen, was ich meine," antwortete ich. "Mein Mann versteht nichts von Essigständern und hat Ihnen sechs Guineen für diesen bezahlt. Ich weiß, wie ein Essigständer beschaffen sein muß, und ersuche Sie, mir das Geld wiederzugeben." "Wenn Sie damit nicht zufrieden sind, Madame, bin ich gern bereit, ihn umzutauschen – aber wieder herausbezahlt haben wir noch nie etwas."
"Dann müssen Sie's jetzt zum erstenmal thun."
Er räusperte sich und starrte mich an, aber ich ließ mich nicht ins Bockshorn jagen, denn ich wußte, daß ich ihm über war. Er konnte mich nicht hinauswerfen, und die andern Kunden hatten ihre Verhandlungen unterbrochen und hörten auf uns. Wie ich später erfuhr, war eine Dame da, die eine große Bestellung für eine Aussteuer machte; sie stand ganz dicht bei mir und konnte jedes Wort verstehen. Der Kaufmann fürchtete vielleicht, sie möchte mißtrauisch werden und glauben, sie sei, wie mein Sohn John sagt, "vor die falsche Schmiede gekommen". Jedenfalls sah er, daß er mit einer entschlossenen Frau zu thun hatte. So nahm er denn einen andern Ton an und sagte laut: "Ich wünsche keinem meiner Kunden einen Gegenstand aufzunötigen, der ihm nicht gefällt, und werde Ihnen das Geld zurückgeben, um weitere unangenehme Auseinandersetzungen zu vermeiden." Und das that er.
Ich ging triumphierend nach Hause und legte das Geld vor meinen Mann auf den Tisch. "Da," sagte ich, "wenn du dir den Rock vom Leibe schwatzen lassest, meinen kriegen sie nicht so leicht."
Und dann steckte ich das Geld in meine Tasche und ließ ihn sitzen. Er ist lange Zeit nicht wieder in einen Laden gegangen, um Einkäufe fürs Haus zu machen, und ich habe mich mit dem alten Essigständer beholfen.
Ich habe diesen kleinen Vorfall erzählt, um dem Leser eine schwache Vorstellung von der Verantwortlichkeit zu geben, die als thatsächliches Familienhaupt auf meinen Schultern lag. Einen besseren Mann, als meiner in vieler Hinsicht ist, kann sich keine Frau wünschen, und ich muß ehrlich gestehen, ich wollte, meine Töchter wären ebenso glücklich angekommen. Aber wenn alles Unangenehme der Frau überlassen bleibt, dann kann man sich nicht wundern, daß sie in den Ruf kommt, das zu sein, was der unverschämte Schlingel aus der Eisenhandlung – er brachte nur eine ausgebesserte Kohlenschaufel wieder, und wenn ich's gewußt hätte, wäre die Arbeit nie seinem Prinzipal gegeben worden – einen Drachen genannt hatte. Weiß der Himmel! Ich habe genug erlebt, was auch eine geduldigere Frau zum Drachen gemacht hätte! Man erzieht keine neun Kinder und verheiratet sieben davon, ohne daß man seinen Aerger hat und gelegentlich das Vertrauen in die menschliche Natur verliert, ganz zu schweigen von den Dienstboten und einem Manne, der, wenn auch ein sehr tüchtiger Geschäftsmann, bei der geringsten Unannehmlichkeit ganz hilflos ist und dabei doch so am Hause hängt, daß ich ihn nur mit der größten Schwierigkeit überreden konnte, um der Mädchen willen manchmal in Gesellschaft zu gehen. Nette Partieen hätten sie gemacht, wenn ich nicht gewesen wäre, und auch so mache ich mir wegen zweier meiner Schwiegersöhne ernstliche Sorgen. Meine Mädchen – Gott segne sie! – sind immer die besten Töchter gewesen, und jetzt sind sie Frauen, auf die jeder Mann stolz sein kann, aber ich habe meinen Mann nie dahin bringen können, die einem Schwiegervater gebührende Stellung einzunehmen. Wenn einmal ein ernstes Wort nötig war, dann mußte ich es immer sprechen, während ich doch der Ansicht bin, daß es des Vaters Sache ist, die Schwiegersöhne in Ordnung zu halten.
Man sagt gewöhnlich, ein Sohn sei ein Sohn, bis er sich eine Frau nehme, und eine Tochter bleibe das ganze Leben lang eine Tochter, und ich war von vornherein entschlossen, daß meine Töchter meinem Einfluß nie ganz entzogen werden oder meinen Rat entbehren sollten, wenn sie einen eigenen Haushalt hätten. Was meine Sühne anlangt – nun, ich kann nur sagen, daß ich anders für sie gewählt haben würde. Was aus John Tressider geworden wäre, wenn ich meines zweiten Sohnes William Frau geglichen hätte, weiß ich. Sie ist ein allerliebstes Frauchen und ihr Benehmen ganz reizend, so daß es wirklich schwer ist, sie zu tadeln, aber ihre Ansichten sind nicht die meinen. Ich zweifle manchmal, ob sie überhaupt Ansichten hat. Wenn die Leute sagen: "Wie reizend ist Ihres zweiten Sohnes Frau," dann muß ich immer den Kopf schütteln, Ihre Schönheit, ihr einnehmendes Wesen – denn das besitzt sie unleugbar – haben William ganz blind dagegen gemacht, daß sie nichts vom Hauswesen versteht. Ich war geradezu entsetzt, als mir William einmal sagte, wie hoch seine Haushaltsrechnungen seien und wie viel er für ihre Kleider bezahle. Ich habe versucht, ihm Vorstellungen zu machen, und ihm zugeredet, einmal ernstlich mit Marion, so heißt sie nämlich, zu sprechen, und der ganze Dank, den ich davon hatte, war, daß er sagte: "O, Mutter, ich bitte dich um alles in der Welt, laß nur Marion in Frieden; sie ist so empfindlich und würde es sich so furchtbar zu Herzen nehmen. Sie hat die ganze Zeit über dem Metzgerbuch geweint, seit du den Rechenfehler von neun Schillingen gefunden hast. Du hast's ja gewiß herzlich gut gemeint, liebe Mutter, aber das und deine Frage bei unserm letzten Diner, wie viel sie für das Hammelfleisch bezahle, hat sie ganz unglücklich gemacht. Sie meint, du hieltest sie nicht für die rechte Frau für mich."
Natürlich entgegnete ich, es sei doch eigentlich sehr hart, daß ich auch nicht die kleinste Bemerkung machen könne, ohne beschuldigt zu werden, meines Sohnes häusliches Glück zu untergraben. Ich habe bei der erwähnten Gelegenheit allerdings kein Blatt vor den Mund genommen, und ich hätte meine Pflicht als Mutter versäumt, wenn ich's gethan hatte.
Es kam so natürlich, William gab ein kleines Mittagessen, eine reine Familiengesellschaft; niemand, als seine und der lieben Marion (sie ist wirklich ein liebes Kind) Angehörige, und während wir beim Essen saßen, sprachen wir darüber, wie furchtbar teuer jetzt alles in London sei, und da sagte ich zu meiner Schwiegertochter: "Was bezahlst du denn in diesem Stadtteil für das Hammelfleisch, liebe Marion?"
Kann eine Schwiegermutter wohl eine harmlosere Frage stellen? Und doch, es ist kaum zu glauben, wurde das einfältige Ding puterrot, fing an zu stottern und sagte, sie wisse es nicht.
"Was? Das weißt du nicht?" entgegnete ich, "Rechnest du denn das Metzgerbuch nicht nach? Lässest du ihn anschreiben, was er Lust hat?"
Ich sprach ganz freundlich; aber mein Mann fing an, mir zuzublinzeln, und William, mein Sohn, starrte mich wütend an. Er hat eine sehr unangenehme Gewohnheit, einen anzustarren, die ich ihm schon, als er noch ein Kind war, abzugewöhnen versucht habe. Ich kann mir gar nicht erklären, wo er diese Gewohnheit her hat, denn sein Vater thut es nicht, und auch in meiner Familie war ein solches Anstarren nie Mode.
"Was ist denn los?" fragte ich, und dann bemerkte ich, daß dem albernen Ding die Augen voll Wasser standen. Das ärgerte mich, und ich sprach es auch aus, nicht unfreundlich, aber fest.
"Mein Kind," sagte ich, "es thut mir leid, wenn ich dir wehe gethan habe, aber es war nur meine Mutterliebe, die mich zum Sprechen veranlaßte. Wenn es William gleichgültig ist, was du für das Hammelfleisch bezahlst, dann geht mich die Sache ja weiter nichts an."
Einen Augenblick herrschte Schweigen, und dann begann mein Mann eine von seinen einfältigen Geschichten zu erzählen, aus der ersten Zeit, wo wir anfingen, hauszuhalten. Das that er natürlich nur, um dem Gespräch eine andre Wendung zu geben. Er hat die Geschichte schon an die hundert Mal erzählt, und sie wird immer sehr belacht, deshalb kommt er immer damit; ich habe aber nie herausfinden können, wo der Witz steckt.
Die Geschichte, die er immer sehr übertreibt, ist nämlich so: Kurze Zeit nach unsrer Verheiratung fand ich einmal eine Cigarrenrechnung von meinem Manne, und da ich gern wissen wollte, was alles kostet, fragte ich ihn, wie viele Cigarren er für das viele Geld bekäme, und er sagte es mir. Ich habe vergessen, wie viele es waren, aber ich weiß noch, daß nach meiner Rechnung jede etwa sechs Pence kostete.
Ich meinte, das wäre doch ein furchtbares Stück Geld für ein erbärmliches kleines Ding, das ein Mann in einer halben Stunde in die Luft pafft, und als ich eines Tages an einem Laden vorbeiging und einige Cigarrenkisten im Schaufenster sah mit einem Zettel daran: "Vorteilhafter Gelegenheitskauf," kam mir der Gedanke, ich wollte einmal sehen, ob ich John seine Cigarren nicht billiger beschaffen könnte. Ich trat also ein, fragte nach dem Preise, und der Krämer sagte mir, das Kistchen von hundert Stück koste zehn Schillinge sechs Pence. Ich kaufte ein Kistchen und nahm es mit nach Hause, "Lieber John," sagte ich, als er aus dem Geschäft kam, "ich glaube, es wäre besser, wenn du es in Zukunft mir überließest, deine Cigarren zu kaufen. Ich kann sie für zehn Schillinge sechs Pence das Hundert bekommen, und du hast fünfzig Schillinge bezahlt." Mein Mann nahm eine heraus, betrachtete und beroch sie, fing an zu lachen und sagte, er wäre mir sehr verbunden, allein er möchte um meinetwillen noch ein paar Jahre leben. Ich glaube, er hat sie dem Gärtner geschenkt, der damals noch einmal wöchentlich kam, bis ich entdeckte, daß wir für seinen ganzen Jahreslohn nur vier Geranien und den Schmutz, den er an seinen Stiefeln mitbrachte, kriegten, und da habe ich der Geschichte ein Ende gemacht und den Garten mit Hilfe der Dienstboten selbst besorgt.
Ich weiß bis heutigestags nicht, weshalb John die Cigarren nicht rauchen wollte, weil ich weniger als den gewöhnlichen Preis dafür bezahlt hatte, Cigarre ist Cigarre, und die rauchten ganz prachtvoll, denn ich bin dem Gärtner einmal an einem Sonntag begegnet, wie er eine im Munde hatte, und sie roch viel stärker als die, die mein Mann gewöhnlich raucht. Aber alle Leute lachten über die Geschichte; ich ließ sie ruhig lachen und sagte weiter nichts.
Nach dem Essen kam William zu mir.
"Mutter," sprach er, "ich weiß, du meinst es gut, aber Marion ist so ängstlich, und keine junge Frau hat es gern, wenn sie in Gegenwart ihrer Gäste als dumm hingestellt wird. Bitte, laß das in Zukunft."
"O ja, William," versetzte ich, "wenn es deine Frau nicht leiden kann, daß ich am Tische meines eigenen Sohnes einmal eine Bemerkung mache –"
Er sah, daß ich verletzt war, nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und küßte mich. "Sei doch nicht ärgerlich, liebes Mütterchen. Wir wollen nicht mehr darüber reden. Du weißt, daß Marion dich für die vollendetste Hausfrau hält, die je gelebt hat, und das thue ich auch."
William war immer ein guter Sohn, und sein Herz ist noch jetzt so weich und sanft, wie es als Kind war. Ich kann ihm nicht böse sein und habe das nie gekonnt, aber trotz alledem bin ich der Ansicht, daß eine junge Frau, die nicht weiß, was sie dem Metzger für Hammelfleisch bezahlt, nicht die rechte Frau ist für einen Mann, der sich sein tägliches Brot verdienen muß.
Schwiegermütter sind immer mißverstanden worden und werden es wohl auch stets werden. Niemand hat die Sache bis jetzt von ihrem Standpunkt aus beleuchtet. Das ist der Zweck meines Buches, und deshalb habe ich mich jetzt, wo alle meine Kinder bis auf zwei verheiratet sind und mir viel Zeit zur Verfügung steht, entschlossen, die Sache der am schwersten verleumdeten Menschenrasse auf der ganzen Welt zu vertreten. Ich bin fest überzeugt, daß sie in einem ganz andern Lichte erscheinen wird, wenn ich meine Erfahrungen erzählt habe. Daß ich dabei einige meiner Schwiegersöhne kränken und daß auch ein paar von meinen Schwiegertöchtern brummen werden, ist wohl vorauszusehen und thut mir auch leid, aber ändern kann ich's nicht; ich habe nie ein Blatt vor den Mund genommen und werde gewiß in meinen alten Tagen nicht damit anfangen.
Es ist die höchste Zeit, daß jemand ein Wort für die Schwiegermütter einlegt. In den meisten Büchern, die ich gelesen habe, sind sie ganz falsch dargestellt, und auf der Bühne werden sie immer lächerlich gemacht, wenn nicht noch was Schlimmeres. Ich habe niemals begriffen, weshalb ein so abgeschmacktes Vorurteil gegen sie besteht. Daß ein Mann, der ein junges, vertrauendes Mädchen, das noch nichts vom Leben weiß, heiratet, nicht gerade gern sieht, daß seine Schwiegermutter, eine erfahrene Frau von Welt, zu viel sehe oder wisse, kann ich wohl verstehen, aber es ist doch die Pflicht einer jeden Mutter, ihrer Tochter den richtigen Weg zu zeigen, wie sie ihren Mann behandeln muß, und ihr die Wohlthat der Erfahrungen zu teil werden zu lassen, die das arme Ding (die Schwiegermutter) mit Schmerzen erkauft hat.
Ich habe von jeher die Absicht gehabt, meine persönlichen Erlebnisse aufzuschreiben, und habe mir zu dem Zwecke Aufzeichnungen gemacht und ein Tagebuch geführt. Das habe ich immer unter Schloß und Riegel gehalten, denn mein Mann hat die sehr unangenehme Gewohnheit, jedes Stückchen beschriebenes Papier, das zufällig auf meinem Tische liegen bleibt, aufzunehmen und zu lesen; und ins Tagebuch schreibt man doch mancherlei, was nicht gerade für jedermanns Auge ist. Kommt mir nur nicht damit, daß Neugier ein vorherrschend weiblicher Fehler sei. Ich habe noch nie eine Frau getroffen, die halb so neugierig war, als einige Herren, die ich kenne. Hm, hm! Aber mein Tagebuch hat mein Mann nie zu sehen bekommen, und von meiner Absicht, meine Erfahrungen als Schwiegermutter zu veröffentlichen, weiß er auch nichts. Wenn ich ihm auch nur den leisesten Wink gegeben hätte, dann hätte er, wie ich keinen Augenblick bezweifle, in seiner thörichten, weichherzigen Art alle möglichen Einwendungen gemacht und gesagt, meine Schwiegersöhne und -töchter würden wenig erbaut von meiner Absicht sein.
Da ich aber nichts sagen werde als die Wahrheit, sehe ich wirklich nicht ein, was sie dagegen haben können. Jedenfalls werde ich sie nicht um Erlaubnis fragen. Was ich thue, das thue ich im Interesse einer sehr zahlreichen und sehr verkannten Menschenrasse, und wenn auch die Schwiegersöhne und -töchter hie und da Gesichter schneiden werden – es gibt eben wenig Menschen, die die Wahrheit vertragen können – bin ich ganz sicher, daß ich, ehe ich fertig bin, jede Schwiegermutter auf Gottes Erdboden zu Dank verpflichtet haben werde.
Soviel will ich als Einleitung über mich selbst vorausschicken. Etwas mußte ich sagen, obgleich ich nie zu den Leuten gehört habe, die viel von sich selbst reden. Aber ich möchte nicht gern mißverstanden werden, wenn ich auch eigentlich daran gewöhnt sein müßte, denn mein Mann hat mich nie verstanden, und meine Kinder haben auch meine mütterliche Sorge und Vorsicht für ihr Wohlergehen nicht so zu würdigen gewußt, wie ich das wohl hätte wünschen mögen. Ich bin aber nie davor zurückgeschreckt, meine Pflicht zu thun, und ich werde unerschütterlich fortfahren, sie zu thun, so lange mein Name Jane Tressider ist.
Ich werde nun zu meiner ersten Erfahrung als Schwiegermutter übergehen, oder vielmehr als zukünftige Schwiegermutter, dem peinlichen Augenblick, wo ich erfuhr, daß meine älteste Tochter Sabine Neigung zu einer nicht zum häuslichen Kreise gehörigen Persönlichkeit gefaßt hatte, und daß ein junger Mann wünschte, sie aus dem Schoße der Familie zu entführen und ihrer hingebenden Mutter zu entreißen! Für eine liebevolle Mutter ist es natürlich ein schwerer Schlag, wenn sie Anzeichen wahrnimmt, daß das erste ihrer Kinder den Schutz ihrer mütterlichen Fittiche zu verlassen wünscht. Ich schäme mich nicht, zu gestehen, meine erste Empfindung, als ich hörte, daß sich ein junger Mann in meine Tochter verliebt habe, war Entrüstung. Allerdings hatte ich auch Grund zur Entrüstung. Ich halte sein Benehmen – allein der junge Mann soll der Gegenstand meiner zweiten Erinnerung werden.
Miß Sabines Schatz.
"Miß Sabines Schatz!"
Das waren die Worte, die eines Morgens an mein entsetztes Ohr schlugen, als ich ohne den geringsten Gedanken an Horchen zufällig ein Gespräch zwischen dem Zimmermädchen und der Köchin mitanhörte. Ich war in die Küche gegangen, um nach dem Backofen zu sehen, denn die Köchin schob die Schuld immer auf diesen, wenn Kuchen oder Pasteten entweder nur halb gar, oder zu Kohle verbrannt auf den Tisch kamen.
Ich habe jetzt sehr viel Erfahrung im Haushalt, aber noch nie habe ich eine Köchin und einen Backofen gefunden, die zu einander paßten. Mein Ofen backte für einige zu rasch, für andre zu langsam. Was die Köchinnen über den Ofen sagen, weiß ich ganz genau, aber ich möchte sehr gern 'mal hören, was der Ofen über die Köchinnen sagen würde, wenn er sprechen könnte. Und, der Ofen hat die Schuld auf sich zu nehmen, nicht nur, wenn das Gebäck mißrät, sondern auch wegen der Kohlen. Die Art, wie in unsrer Küche die Kohlen verschwinden, ist geradezu entsetzlich. Kaum ist der Keller gefüllt, so ist er auch schon wieder leer, und wenn ich klage und die Dienstboten darauf aufmerksam mache, daß die Kohlen ein kleines Vermögen kosten, und daß mein Mann und ich nicht gern infolge der unsinnigen Verschwendung der Dienstboten unsre alten Tage im Armenhause verleben möchten, dann wird mir stets entgegengehalten, daß der Fehler ganz allein am Roste liege. Es ist ein verschwenderischer Rost, ein Rost, der ungeheure Massen von Kohlen verschlingt, ein Rost, worauf ein kleines Feuer zu unterhalten rein unmöglich ist, und die ganze Hitze geht zum Schornstein hinaus.
Ich habe Unsummen ausgegeben und alles mögliche versucht, um den Ofen und den Rost in Ordnung zu bringen, damit die Dienstboten keine Entschuldigung für ihre Faulheit und Nachlässigkeit haben sollten. Ich habe Backsteine hinter den Rost legen und allerhand Vorrichtungen am Schornstein anbringen lassen, und mein Mann hat sogar einen Sachverständigen zu Rate gezogen, der für seine Untersuchung des Ofens eine Guinee berechnete, an einem regnerischen Tage kam, seine Stiefel nicht abkratzte, seinen nassen Schirm ins Eßzimmer stellte und den ganzen Teppich volltröpfelte. Und dann ging er fort und schickte meinem Manne eine Zeichnung für so eine neumodische Geschichte, die siebzig Pfund kosten sollte und so aussah, als ob das halbe Haus abgerissen werden müßte, um sie aufzustellen.
Als mein Mann mir den Brief des Menschen zeigte, habe ich mit meiner Meinung nicht hinter dem Berge gehalten und mich erboten, ihm schriftlich zu antworten, aber mein Mann, der höchst nervös ist, bat mich, ich möchte es unterlassen, denn das Gesetz verstehe keinen Spaß mit Beleidigungen und sei hierzulande ganz eigentümlich, so daß es gefährlicher sei, einen wirklichen Schwindler Schwindler zu nennen, als einen ehrlichen Mann. Wenn das wahr wäre, entgegnete ich, dann sei das eine Schmach für die, die das Gesetz gemacht haben, und wenn wir Frauen mehr mit der Gesetzgebung zu thun hätten, dann gäbe es nicht so viele dumme Gesetze. Die Behauptung, daß Frauen nicht fürs Parlament taugten, weil sie keine Logik besäßen, ist mir angesichts der von den Männern gemachten Gesetze immer furchtbar abgeschmackt erschienen. Ich möchte wirklich die Frauen sehen, die so unlogische Parlamentsbeschlüsse zu stande brächten, wie sie die Männer seit Jahrhunderten gefaßt haben.
Aber das hat nichts mit meinem Backofen und meiner Küche zu schaffen, obgleich ich, wenn ich einmal Zeit habe, meine Ansichten über die gegenwärtige Stellung der Frauen zur Politik gern veröffentlichen möchte.
Mein Mann, meine Söhne und Töchter haben für meinen Standpunkt in Beziehung auf diesen Gegenstand nie rechtes Verständnis gezeigt und mich mit Thränen in den Augen beschworen, doch ja der Frauenliga nicht beizutreten, die vor einigen Jahren gegründet worden ist. Sie thaten so, als ob sie fürchteten, ich könnte, wenn ich 'mal zum Worte käme, das rechte Maß nicht finden. Nun, ich hätte meine Meinung offen ausgesprochen, einerlei ob Zeitungsberichterstatter anwesend gewesen wären oder nicht, aber ich würde ganz bestimmt nichts gesagt haben, dessen sich mein Mann und meine Kinder hätten schämen müssen.
Mein Sohn William war ganz außer sich, als ich erzählte, mehrere Damen hätten mich zum Beitritt aufgefordert und gebeten, die Schriftführerstelle für unsern Stadtteil zu übernehmen.
"Um Gottes willen, Mutter," sagte er, "denk doch nur nicht daran. Du bist zu ehrlich, zu offen, um thätigen Anteil an den öffentlichen Angelegenheiten zu nehmen. Es wäre dir doch sicher nicht angenehm, von der Vorsitzenden zur Ordnung gerufen zu werden, oder daß dir das Wort entzogen würde, ehe du fertig wärest?"
"Den Menschen möchte ich sehen, der mir das Wort entziehen könnte, ehe ich ausgesprochen habe, was ich sagen will," entgegnete ich.
"Sie thäten es, Mutter, du kannst dich drauf verlassen," versetzte William, "und dann gäbe es einen schrecklichen Skandal, und in der Aufregung des Augenblicks sagtest du der Vorsitzenden vielleicht, was du von ihr dächtest, und dann käme nachher im Daily Telegraph ein langer Artikel mit der fett gedruckten Ueberschrift: "Stürmische Auftritte in der Frauenliga. Höchst merkwürdige Rede der Mrs. Tressider. Es wäre wirklich nicht hübsch, Mutter, das meinst du doch auch?"
Ich überlegte mir die Sache und gab den Gedanken des Beitritts auf, aber ich kann in der That nicht begreifen, warum meine Kinder mich immer als solche Megäre hinstellen. Eines Tages, wenn ich nicht mehr da bin, werden sie einsehen, was sie an mir gehabt haben, aber dann ist es zu spät, wie ich ihnen immer sage, wenn sie mich ärgern und zur Verzweiflung bringen. Ich will nicht in Abrede stellen, daß ich ein bißchen hitzig bin, aber ich habe auch wirklich sehr viel zu tragen, was meine Nerven angreift, und auf der andern Seite bin ich sehr leicht zu besänftigen und vergesse sehr rasch.
Als ich hörte, wie die Köchin und das Stubenmädchen in so unpassender Weise über meine älteste Tochter sprachen, wurde ich allerdings "rasend vor Wut", wie mein Mann immer sagt. Sie hatten mich augenscheinlich nicht gehört, denn sie kicherten und redeten ganz laut. Ich hörte etwas von einem hübschen jungen Manne mit einem dunklen Schnurrbart, und dann kamen die Worte, die mich einen Augenblick starr vor Entsetzen machten, so daß ich wie angewurzelt stehen blieb: "Miß Sabines Schatz!"
Ich frage euch, liebe Leserinnen – das heißt diejenigen von euch, die Mutter sind und Töchter erzogen haben – würdet ihr nicht einen Schreck bekommen haben, wenn ihr zwei einfältige Frauenzimmer von Dienstboten von eurer ältesten Tochter "Schatz" sprechen hörtet, während ihr nicht die blasseste Ahnung habt, daß es überhaupt eine solche Persönlichkeit gibt?
Als ich das vernahm, fühlte ich, wie mir das Blut heiß zu Kopfe stieg, und ich hatte die größte Lust, geradeswegs in die Vorratskammer zu gehen, wo die beiden Frauenzimmer schwatzten, und sie zu fragen, wie sie sich erfrechen könnten, so von ihrer jungen Herrin zu sprechen, aber es gelang mir mit einer gewaltigen Anstrengung, mich zu beherrschen. Ich fürchtete, ich könnte zu viel sagen, und wenn, was ich jedoch kaum für möglich hielt, meine Sabine diesen Frauenzimmern wirklich Grund gegeben hatte, ihren Namen mit dem des jungen Mannes in Verbindung zu bringen, dann war es besser, ich hörte die Wahrheit von meiner Tochter selbst.
Sabine spielte gerade oben Klavier und sang irgend ein einfältiges italienisches oder deutsches Lied; die beiden Sprachen sind mir eine so bekannt, wie die andre, denn ich schäme mich nicht, es zu sagen, in meiner Jugend wurde von jungen Mädchen nicht mehr als ihre Muttersprache und ein bißchen Französisch verlangt, aber meine älteste Tochter Sabine und die zweite, Maud, "die Schönheit der Familie", wie ihre Brüder und Schwestern sie nennen, sind wirklich sehr bewandert in fremden Sprachen, obgleich sie ihnen bis zum gegenwärtigen Augenblick noch nicht viel Nutzen gebracht haben, ausgenommen, daß sie manchmal zusammen sprechen können, ohne daß ich sie verstehe.
Ich habe ihnen häufig gesagt, daß sich junge Mädchen nicht in einer Sprache unterhalten dürfen, die ihre Mutter nicht versteht; sie sagen aber immer, sie müßten in der Uebung bleiben, wenn sie nicht vergessen sollten, was sie gelernt haben, und der Grund läßt sich ja hören, aber es wäre mir doch lieber, sie sprächen ihr Deutsch oder Italienisch, wenn sie allein zusammen sind und nicht in meiner Gegenwart.
Auf meiner Tochter Sabine vielseitige Bildung bin ich immer stolz gewesen, und ich schäme mich nicht, einzugestehen, daß ich stets gehofft habe, sie würde eine glänzende Partie machen. Zur Zeit, wo die Unterhaltung in der Vorratskammer mir den furchtbaren Schreck einjagte, war sie eben achtzehn Jahre alt, und obgleich ihr Vater manchmal sagte: "Es sollte mich gar nicht wundern, wenn Sabine sich nächstens verlobte", hatte ich doch noch nie ernstlich an so etwas gedacht.
Keins von meinen Mädchen ist jemals gewesen, was die Welt "gefallsüchtig" nennt; sie schlagen in dieser Hinsicht mir nach. Tressider war der erste junge Mann, der mich vor andern Mädchen auszeichnete, und sobald ich mir darüber klar war, daß auch ich ihn liebte, habe ich ihm das durchaus nicht verborgen, und von der ersten Stunde an, wo wir uns verstanden, habe ich ihm – das kann ich mit gutem Gewissen versichern – auch nicht die geringste Ursache zur Eifersucht gegeben. Auch meinen Eltern habe ich nicht verhehlt, daß ich liebte. Ich zog meine Mutter sofort ins Vertrauen, und mein lieber Vater erkundigte sich sogleich über Johns weltliche Verhältnisse, und sobald wir uns überzeugt hatten, sie seien derart, daß er einer Frau ein behagliches, wenn auch nicht gerade luxuriöses Heim bieten könne, gab ich John einen zarten Wink, es sei angebracht, daß er eine Unterredung mit meinem Vater nachsuche, wenn er wirklich eine Verbindung mit mir wünsche.
In so strengen Grundsätzen aufgewachsen, die, wie ich höre, jetzt als altmodisch verlacht werden, konnte ich es nicht für möglich halten, daß eins meiner Kinder ohne Wissen und Billigung ihrer Mutter und ihres Vaters sein Herz vergeben hätte.
Nun fiel mir aber mit einiger Besorgnis ein fast vergessener Vorfall ein. Sabine war fünfzehn Jahre alt und befand sich in einem Pensionat in Clapham, als ein Junge aus einer Knabenschule, die ihre Plätze in der Kirche dem Pensionat gerade gegenüber hatte, so frech war, ihr in der Zeichensprache der Taubstummen zu telegraphieren, daß er sie liebe, und sie um Mitteilung ihres Namens zu bitten. Der kleine Schlingel war erst vierzehn; es handelte sich also nur um eine Kinderei, aber Sabine hatte bei dieser Gelegenheit, wie ich leider zugeben muß, anstatt die Sache der ersten Lehrerin zu melden, in derselben Zeichensprache geantwortet und ihren Namen angegeben. Und der gräßliche Junge – er war der Sohn eines Barons in Indien, und das Leben in dem heißen Klima und unter Wilden war vielleicht mit Schuld daran – hatte die Unverschämtheit gehabt, einige Tage später einen Brief an sie ins Pensionat zu schmuggeln, der in der schwülstigsten Sprache geschrieben war.
Durch diesen Brief kam die ganze Geschichte an den Tag, denn meine Tochter zeigte ihn ihrer Busenfreundin, der Nichte der Lady Smith, deren Mann früher einmal Lord Mayor von London gewesen war. Glücklicherweise fiel der französischen Lehrerin das schuldbewußte Aussehen der beiden Mädchen auf, und da sie merkte, daß etwas nicht in Ordnung war, hielt sie die Augen offen, wie das nur eine französische Lehrerin kann. Sie erwischte den Brief, nahm ihn an sich und zeigte den Vorfall der Vorsteherin an, und nun kam natürlich alles an den Tag. Sabine, die, wie alle meine Kinder, zur Wahrheitsliebe erzogen worden ist, legte ein volles Geständnis ab und brachte in die Ferien, die bald darauf begannen, eine Strafarbeit mit und einen Brief von der Vorsteherin, der alles erklärte.
Ich war natürlich sehr ärgerlich, und wenn mich ihr Vater nicht daran verhindert hätte, dann wäre ich zum Vorsteher des Knabenpensionats nach Clapham gegangen und hätte ihm ordentlich meine Meinung darüber gesagt, was ich von der Beaufsichtigung in seiner Schule hielte. Aber mein Mann machte seine gewöhnlichen einfältigen Einwendungen, und so wurde die Sache nach einer tüchtigen Strafpredigt für Sabine nicht weiter verfolgt.
Ich muß noch erwähnen, daß das Kind – denn das war sie noch – sein Benehmen aufrichtig bereute und versprach, so etwas nie mehr thun zu wollen, und sie hätte es auch diesmal nicht gethan, aber die Mädchen wären so daran gewöhnt gewesen, sich in der Zeichensprache der Taubstummen zu unterhalten, daß sie dem Jungen geantwortet hätte, ohne sich etwas Schlimmes dabei zu denken.
Seit der Zeit hat sie mir auch nicht einen Augenblick wieder Ursache zur Sorge gegeben, und ich meinte auch, nie beobachtet zu haben, daß sie auf Bällen und in Gesellschaften Aufmerksamkeit erregte – nicht halb soviel, als die um ein Jahr jüngere Maud, "die Schönheit der Familie", wie ich schon erklärt habe.
Die arme Maud wurde wirklich in sehr lästiger Weise umschwärmt und mußte ihrer Brüder Spott über die Anzahl der jungen Männer, die bis über die Ohren in sie verliebt sein sollten, über sich ergehen lassen. Allerdings waren einige junge Herren unsrer Bekanntschaft eifrige Besucher unsres Hauses, ehe Maud verlobt war, und ihre Besuche hörten gleich danach auf. Wenn ich an den Teil meiner Erfahrungen komme, werdet ihr begreifen, was das eine Last für mich war – besonders ein Herr, der viel zu alt für sie war, denn er war schon dreißig und hatte einen großen roten Schnurrbart. Er war der Bruder einer Miß Mosenthal, einer vertrauten Freundin Sabines, und holte seine Schwester immer bei uns ab, und dann hatte er zur großen Belustigung meiner Jungen eine gewaltige Baßposaune auf dem Verdeck seiner Droschke liegen.
Wenn die Jungen ihre Schwester mit ihm neckten, wie das so Jungenart ist, war sie höchst entrüstet, und ich hatte wirklich Mitleid mit ihr, denn obschon der junge Mosenthal reich war, wollte mir der Gedanke, daß meine schöne, anmutige Maud einen Mann mit einem roten Schnurrbart und einer Baßposaune heiraten sollte, gar nicht gefallen. Es war schon schlimm genug, daß das Ungetüm vor unsrem Hause auf dem Verdeck der Droschke wartete, aber eine solche große Posaune im Hause zu haben, wäre doch eine furchtbare Zugabe zum Leben gewesen, zumal, wenn er sie wirklich spielte.
Wäre John Tressider mit einer großen Posaune behaftet gewesen, oder irgend einem andern musikalischen Instrument dieser Art, dann würde ich wohl gesagt haben: "Wenn es sich um die Posaune und mich handelt, John, dann mußt du wählen, aber dasselbe Dach kann uns nicht beschirmen." Gott sei Dank! Mein Mann ist nicht musikalisch. Die Mädchen mit ihrem Klavier und Tommy, mein Jüngster, der wirklich ein musikalisches Genie ist und alles spielen kann, und der von Kindheit an eine ganze Stube voll Trommeln, Pfeifen, Ziehharmonikas und Maultrommeln und eine schauderhafte Vorrichtung aus Pfeifen gehabt hat, womit er die Treppe auf und ab geht und Puppentheatermann spielt, und gewöhnlich den Morgen wählt, wo ich mein Kopfweh habe, um vor meiner Schlafstubenthür "God save the Queen" zu dudeln, das ist wahrhaftig genug Musik im Hause, und man braucht nicht auch noch eine Baßposaune zum Schwiegersohn zu nehmen.
Mein Jüngster ist Thomas getauft, aber jedermann nennt ihn "Tommy Tressider", und ich habe mir das auch angewöhnt. Der Junge hat eine glänzende Laufbahn vor sich, und ich werde nicht eher ruhen, bis ich seinen Vater überredet habe, ihn nach Eton oder Harrow und später auf die Universität zu schicken. Es gibt wirklich nichts, was er nicht könnte, und obgleich er noch nicht elf Jahre alt ist, hat er doch schon mehr Schulpreise gewonnen, als irgend einer seiner Mitschüler. Der Schelm sitzt ihm freilich im Nacken, aber das ist ja bei allen Jungen seines Alters so, und ich sage seinen Schwestern, sie müßten stolz auf ihn sein. Einmal mußte ich meiner Tochter Jane einen strengen