Die Jungs gaben mir mein Leben zurück - Gordon Herbert - E-Book

Die Jungs gaben mir mein Leben zurück E-Book

Gordon Herbert

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Beschreibung

Mit einem verschmitzten Lächeln sagt er: »Was sich seit dem WM-Titel für mich geändert hat? - die Menschen in Deutschland wissen jetzt, dass Herbert nicht mein Vor- sondern mein Nachname ist.« Gordon Herbert, der Architekt hinter der erfolgreichsten Ära des deutschen Basketballs und dem ersten Triumph bei einer Weltmeisterschaft, teilt in diesem Buch sein Erfolgsrezept. Von der Bedeutung langjähriger Spieler-Commitments und einer klaren Rollenverteilung, über Rennpferde und Schweine oder Löwen, die er lieber zähmt, als Katzen das Brüllen beizubringen, hin zu seiner Leadership-Philosophie – er gibt zu allem exklusive Einblicke in das Innenleben seiner Arbeit und des Teams. Dabei wird er auch persönlich. Zum ersten Mal spricht er offen über seine langjährige Depression, mentale Gesundheit im Hochleistungssport und warum Menschlichkeit für ihn den höchsten Wert darstellt. Er nimmt uns mit auf eine Reise durch sein Leben, über das er selbst sagt: „Ich war am Leben, ich fühlte mich aber nicht lebendig.“ Mit O-Tönen & einem Blick hinter die Kulissen von Dennis Schröder, den Wagner Brüdern, Daniel Theis und allen Weltmeistern!

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Seitenzahl: 309

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Gordon Herbert

DIE JUNGS GABEN MIR MEIN LEBEN ZURÜCK

Gordon Herbert

DIE JUNGS GABEN MIR MEIN LEBEN ZURÜCK

Nationaltrainer und Basketballweltmeister

mit Jonathan Sierck

Wichtige Hinweise

Die im Buch veröffentlichten Empfehlungen wurden von Verfasser und Verlag sorgfältig erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Ebenso ist die Haftung des Verfassers bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.

Auch wenn eine gendergerechte Sprache wünschenswert ist, gibt es aus Sicht des Verlages bisher keine befriedigende, gut lesbare Lösung. Wegen der leichteren Lesbarkeit haben wir des Öfteren von der Doppelung männlicher und weiblicher Formen Abstand genommen. Selbstverständlich liegt es uns fern, dadurch einen Teil der Bevölkerung zu diskriminieren.

© 2024 NEXT LEVEL Verlag

NXT LVL GmbH, An der Dornwiese 2, 82166 Gräfelfing

www.next-level-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Co-Autor: Jonathan Sierck

Lektorat: Matthias Teiting

Korrektorat: Rainer Weber

Satz: inpunkt[w]o, Wilnsdorf (www.inpunktwo.de)

Umschlaggestaltung: www.b3k-design.de, Andrea Schneider & diceindustries

Coverfoto: © Nils Schwarz Photography

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print: 978-3-949458-97-2

ISBN E-Book (PDF): 978-3-949458-98-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi): 978-3-949458-99-6

© Gordon Herbert

Für meine Kinder Lindsay, Mikael und Daniel. Es gibt nichts Schöneres für einen Vater, als zu sehen, wie sich die eigenen Kinder entwickeln. Euer Charakter und eure Lebenswege erfüllen mich mit großem Stolz! Danke für unsere besondere Verbindung.

INHALT

Vorwort: Dirk Nowitzki

Kapitel 1 – Nationalmannschaft

Das Commitment der Spieler

Die ersten Spiele als Bundestrainer

Team-Auswahl vs. Team-Aufbau

Kapitel 2 – Coaching

Die ersten Schritte zur eigenen Coaching-Philosophie

Leitprinzipien und klare Konzepte

Inspiration von außen

Lebenslang lernen

Taktische Kniffe

Kapitel 3 – Teamspirit

Rennpferde und Schweine: Die Bedeutung von klaren Rollen

Die Rollenaufteilung

Erwartungen klären: Drei Voraussetzungen für alle

Unsere Identitäten

Gemeinsame Ziele

Schwere Gespräche

Kapitel 4 – EuroBasket 2022

Die Werte leben

Aus Niederlagen lernen

Kapitel 5 – Die Weltmeisterschaft

Vorbereitung gegen die USA – glücklich verloren

Okinawa

Eröffnungsspiel gegen Japan: Ein teuer bezahlter Sieg

Spiel 2 gegen Australien: Ein wegweisender Auftritt

Der Make-or-break-Moment im Slowenien-Spiel

WM-Viertelfinale gegen Lettland: Der Erwartungsdruck steigt

WM-Halbfinale gegen die USA: Ein Sieg für die Ewigkeit

Nachricht vom Kanzler

WM-Finale gegen Serbien: Die Mission zu Ende bringen

Wir sind Weltmeister

Kapitel 6 – Am Boden

Vertrautheit als Kraftquelle

Die Dunkelheit besiegen

Rückschläge als Spieler und Trainer

Der Umgang mit Widerständen

Kapitel 7 – Leadership

Leadership greifbar machen

Konflikte: Den Löwen zähmen

Die Messlatte immer höher legen

Kapitel 8 – Leben

Limitationen im Denken loslassen

Eine Vision fürs Leben

Ausblick Olympia: Den Berg weiter erklimmen

Nachwort: Jonathan Sierck

Danksagung

Vorwort: Dirk Nowitzki

Deutschland ist Basketballweltmeister! Dass wir das wirklich schaffen, damit hatte ich offen gestanden nicht gerechnet. Aber die Jungs haben ein sensationelles Turnier gespielt, und ich muss klar sagen: Das ist die beste Generation, die wir im deutschen Basketball je gesehen haben. In diesem Team haben wir alles: Athletik, Physis, starke Verteidiger, gute Distanzschützen, Schnelligkeit. Und mit Dennis haben wir zudem einen Leader, der full-court einen überragenden Job macht. Er übt Druck aus, pusht das Team, übernimmt Verantwortung und macht die wichtigen Körbe. Wir haben eine rundum komplette Mannschaft, wie ich sie im deutschen Basketball so noch nie erlebt habe. Deswegen wurden wir auch verdient Weltmeister. Ich habe mich riesig für die Jungs und den gesamten DBB gefreut. Da gibt es so viele Menschen, die seit Jahrzehnten sehr hart hinter den Kulissen im Verband arbeiten, die diesen Erfolg einfach verdienen.

Es ging schon los bei der Heim-EM. Ich war die gesamten drei Wochen mit vor Ort, und bereits da haben die Jungs mich begeistert. Sie erwischten in der Vorrunde eine starke Gruppe und setzten sich trotzdem souverän durch. Da dachte ich mir zum ersten Mal: »Das ist echt eine starke Mannschaft.« Ich dachte allerdings auch, dass der Erfolg mit dem Heimvorteil zusammenhing und das Team sich von der Energie der Fans ein wenig tragen und mitreißen ließ. Bronze war ein richtig gutes Ergebnis und ein starkes Signal für den deutschen Basketball. Aber eine WM ist dann noch mal etwas ganz anderes.

Ich war bei einigen Spielen live dabei und erneut begeistert. Der Sieg gegen Australien war ein erster Fingerzeig von uns und ein insgesamt hochklassiges Basketball-Spiel von beiden Seiten: Es war physisch, schnell, mit vielen Punkten – es hat großen Spaß gemacht zuzuschauen. Da entstand automatisch ein gewisser Optimismus und ein Glaube, dass es diesmal weit für uns gehen kann. Die Art und Weise, wie wir dann alle Spiele gewannen, die Amis schlugen und einzigartigen Teamspirit bewiesen, das hat mich richtig stolz gemacht. Die Jungs und das gesamte Team drumherum haben den deutschen Basketball durch diesen Titel in eine neue Sphäre gehoben. Sie haben Geschichte geschrieben, und die Art und Weise, wie sie das gemacht haben, ist vorbildhaft in unserer modernen Welt. Sie waren bescheiden, fokussiert, teamorientiert und haben eindrucksvoll gezeigt, dass ein starkes Team die rein individuelle Klasse schlagen kann.

Für Deutschland zu spielen, ist immer eine Ehre. Dieses Gefühl reicht bis in meine Kindheit zurück. Da habe ich verschiedene Ballsportarten ausprobiert und es immer genossen, Mannschaftssport zu betreiben. Ich war nie überzeugter Einzelsportler, weil ich die Emotionen mit meinen Teamkollegen teilen wollte. In einem Sportteam lernst du viele wichtige Dinge für dein Leben: Auf individueller Ebene nimmst du vor allem den disziplinierten und respektvollen Umgang mit dir selbst, deinen Mitspielern und dem Trainer mit; und auf Team-Ebene erlebst du, wie wichtig es ist, dass alle an einem Strang ziehen, dass man sich auch mal im Sinne des Teams unterordnet und dass, wenn die Chemie nicht stimmt, auch das Resultat nicht stimmen wird. Teil der Nationalmannschaft zu sein, war als Jugendlicher wie ein Portal in die große, weite Welt für mich. Ich war mit 13 Jahren schon dabei, und wir sind mit dem Team durch Europa gereist. Ohne den Basketball hätte ich damals, wie die meisten meiner Freunde, noch nicht mal Würzburg verlassen. Was mir der DBB in meiner Jugend ermöglichte, das habe ich nie vergessen, und deswegen wollte ich da auch immer etwas zurückgeben. Wir waren mit unserer »78er-Generation« eine super Truppe, und das hat natürlich zur positiven Erfahrung beigetragen. Einige, denen der Sprung in die A-Nationalmannschaft gelang, kannte ich, seit ich 12 war. Wir hatten eine gute Chemie und großen Spaß zusammen. Dass der ein oder andere Erfolg hinzukam, hat uns zusätzlich motiviert. Ich habe die Zeit immer genossen und viele schöne Erlebnisse fürs Leben mitgenommen.

Einer der emotionalsten Momente meiner Karriere war der Augenblick, als wir uns für Olympia qualifizierten. Schon als kleiner Junge habe ich mir oft die Olympischen Spiele mit meinem Vater angeschaut. Ich war ein riesiger Fan von Olympia und wollte das unbedingt einmal in meiner Karriere erleben. Als wir 2000 die Teilnahme in Sydney und 2004 die Teilnahme in Athen verpassten, saß der Frust richtig tief. Als wir uns dann im dritten Anlauf über ein Qualifying-Turnier in Athen für Peking 2008 qualifizierten, saß ich eine halbe Stunde in der Kabine und habe geweint, weil es mich so bewegt hat. Die Fahne für unser Land tragen zu dürfen und die gesamte olympische Erfahrung war alles, was ich mir jemals erträumt hatte. Das olympische Dorf, die vielen, unterschiedlichen Begegnungen in der Kantine und die permanente Präsenz der Sportler aus der ganzen Welt, das war ein einmaliges Highlight. Du bist da umgeben von Tausenden Spitzenathleten. Du wohnst im Deutschen Haus und erlebst ein Event, bei dem es nicht nur um deinen Sport geht, sondern ein globales Fest des sportlichen Wettkampfs zelebriert wird. Das ist ein irrer Vibe. Auch für die Jungs wird das dieses Jahr eine besondere Erfahrung werden, hoffentlich mit einem deutlich besseren Ergebnis als damals für uns. Nach den beeindruckenden Leistungen bei der EM und dem WM-Titel fliegen wir jetzt nicht mehr unter dem Radar. Die anderen Teams haben uns voll auf dem Schirm, aber die Jungs haben die Klasse und die Erfahrung und mit Gordie auch den richtigen Coach, um das zu meistern. Da ist alles drin – auch die dritte Medaille im dritten Jahr, was wirklich außergewöhnlich wäre!

Gordie kenne ich seit 2000 und hatte schon immer großen Respekt vor ihm. Er ist ein harter Arbeiter mit beeindruckendem Basketballverständnis. Das Bild, wie er nach dem Sieg im WM-Finale am Boden saß, ist für mich das Bild der WM. Da wurde ich auch emotional, als ich das gesehen habe. In solchen Momenten merkst du erst, wie viel in so einer Sache steckt: wie viel Druck, wie viel Einsatz, wie viel Erleichterung. Zu sehen, wie die Emotionen bei ihm rauskamen, was nicht oft passiert, hat mich sehr gerührt, und ich habe mich einfach nur für ihn gefreut.

Gordie hat genau verstanden, wie er die Jungs inspiriert und welches System ihre Stärken am besten fördert. Das verdeutlichen auch die Einblicke, die er zum Innenleben des Teams und seiner Taktik in diesem Buch gewährt. Er coacht hart, wenn es nötig ist, das hat man bei der WM gesehen, aber er ist vor allem fair und wertschätzend und schafft es dadurch, diesen besonderen Zusammenhalt zu erzeugen. Wie eingeschworen die Jungs waren und sich gegenseitig unterstützt haben, das war für alle Außenstehenden zu sehen. Gordie ist es in seiner Karriere gelungen, diesen Mittelweg aus persönlichem Zugang, einem offenen Ohr fürs Team und gesunder Härte gut auszubalancieren. Am meisten für ihn gefreut habe ich mich allerdings, weil er einfach dieser entspannte, schüchterne Typ ist, der überhaupt keine Allüren hat, seinen Mitmenschen unverstellt gegenübertritt und das Beste für sie will. Dass er auf persönlicher Ebene eine derart schwere Zeit durchlebt hat, war mir ehrlicherweise vor diesem Buch nicht bewusst. Ich finde es mutig und wichtig, wie er sich diesem Thema stellt und so offen darüber spricht. Dadurch können wir alle aus seiner Erfahrung lernen und von seinen Einsichten profitieren.

Für den Sport ist es ein Gewinn, dass es Persönlichkeiten wie ihn gibt. Seine Aufrichtigkeit allen Beteiligten gegenüber sollte uns daran erinnern, warum der Sport in unserer Gesellschaft so einen hohen Stellenwert genießt und junge Menschen Sportler werden wollen. Bevor es um Geld, Ruhm, Macht und Aufmerksamkeit geht, gibt es die unverdorbene Liebe zum Sport selbst und zum Miteinander im Team. Gordies Buch und die Geschichten der Spieler sind ein Statement für diese Werte. Und deshalb freut es mich, dass er seine Botschaften und Erfahrungen mit uns allen teilt.

1

Nationalmannschaft

»Für Deutschland spielen wir aus Ehre und weil es uns Spaß macht. Der Teamgedanke steht da im Vordergrund.«

Daniel Theis

Gehe ich in den Ruhestand und lasse den Basketball hinter mir? Diese Frage beschäftigte mich täglich, als ich den Sommer 2021 in meinem Ferienhaus in Finnland verbrachte. Ich hatte viele intensive Jahre hinter mir, auf der ganzen Welt Basketball gespielt und war seit dem Ende meiner aktiven Karriere als Trainer tätig. Ich durfte viele Erfolge feiern, hatte jedoch gleichzeitig auf körperlicher und psychischer Ebene tiefe Abgründe durchlebt. War es nun an der Zeit, endgültig Abschied vom aktiven Basketball-Leben zu nehmen und das Trainer-Dasein hinter mir zu lassen? Ich tendierte dazu, diese Frage zu bejahen, bis mich ein völlig unerwarteter Anruf erreichte. Das verrückte an meiner Arbeit ist die Geschwindigkeit, mit der sich die Dinge ändern können. Veränderung ist Tagesgeschäft. Ergebnisse zählen und bestimmen deine Zukunft. Das hatte ich in einem Vierteljahrhundert Coaching oft genug miterlebt und auch bei meinen Kollegen regelmäßig beobachtet. Wenn du das Auf und Ab persönlich nimmst, gehst du daran zugrunde. Komplett kalt lässt es dich trotzdem nie. Dafür bist du zu nah dran und liebst den Sport zu sehr.

Als mich der DBB aus dem Nichts anrief, war ich genau in dieser mentalen Verfassung – ich beschäftigte mich mit dem Loslassen und dem Aufhören. Kein leichter Gedanke, das wird jeder bestätigen können, der das Glück hatte, seine Liebe zum Beruf zu machen. Der DBB wollte erst mal hören, wie meine aktuelle Situation denn aussah. Sie fragten, ob ich grundsätzlich Interesse hätte und mir ein Engagement als Nationaltrainer vorstellen könnte.

Vier Tage später saß ich im Flugzeug von Helsinki auf dem Weg nach Frankfurt. Die Zeit zum Aufhören ist wohl doch noch nicht gekommen, dachte ich mir. Wir führten offene Gespräche darüber, wie eine Zusammenarbeit aussehen könnte, und am selben Tag wurde mir ein Vertrag angeboten. Bedenkzeit: Vierundzwanzig Stunden. Präsident Guido Weiß hatte sehr klare Vorstellungen, und das sprach mich an. Ich spürte, dass er den Deal wollte, und gab ihm am nächsten Tag meine Zusage. Vermutlich war es die Kombination meiner Erfahrungen aus der NBA, der Euroleague, den verschiedenen Nationalmannschaften und der deutschen Basketball-Bundesliga, die mich interessant für den DBB machte. Einige Nationalspieler hatte ich bereits in ihren Vereinen gecoacht, wodurch eine erste Beziehung zu ihnen bestand. Über mein schlechtes Deutsch wurde zum Glück hinweggesehen, und somit war im September 2021 der Weg frei für meine erste Pressekonferenz als Nationaltrainer der Deutschen Basketballnationalmannschaft. Und genau da begann die Reise, die uns zwei Jahre später in Manila zur ersten Weltmeisterschaft in der Geschichte des DBB führen sollte.

Über das Gewicht meines Auftritts und vor allem der Bedeutung meiner Aussagen bei dieser Pressekonferenz war ich mir bewusst. Es war eine erste klare Botschaft an die Spieler, wohin es gehen sollte und wie ambitioniert wir den Weg beschreiten wollten. Für mich geht es nie darum, wo man gerade steht oder woher man kommt. Mich interessiert einzig und allein, wohin man will. Wo soll die Reise hingehen? Was ist die Vision? Was ist das große Ziel, für das ich die besten Spieler motivieren und auf meine Seite bringen will? Diese Fragen beschäftigten mich vor meinem Auftritt. Ohne eine klare Vorstellung davon, was man erreichen will, braucht man gar nicht erst anzufangen.

Also rief ich die folgende Vision aus: drei Medaillen in drei aufeinanderfolgenden Jahren – EM, WM und Olympia. Verbunden mit der klaren Ansage, dass wir dafür ein dreijähriges Commitment der Spieler brauchen. Ich wollte wissen, wer bereit war, den Weg über mindestens diese Zeit mitzugehen und sich klar zur Nationalmannschaft bekennen würde. Das ist vor allem bei den Spielern aus der NBA wichtig, weil sie diverse Versicherungsthemen klären, ihren freien Sommer opfern und neben ihrem bereits überfüllten Spielplan einige zusätzliche Reisestrapazen auf sich nehmen müssen. Ich wusste damals: Wenn wir eine Ära prägen wollen, dann geht es nur mit diesem Commitment. Ohne einen harten Kern an Spielern, auf die du mehrere Sommer nacheinander zählen kannst, wird es nicht klappen. Die Vorbereitungszeiten sind zu kurz, als dass es gelingen könnte, immer wieder bei null zu starten. Kontinuität sollte der Schlüssel zu unserem Erfolg werden.

Das Commitment der Spieler

Als ich meine Vision und meine Vorstellungen auf der Pressekonferenz kundgab, wurde ich dafür belächelt. Die letzte deutsche Medaille lag mehr als fünfzehn Jahre zurück, und da rief ich nun drei Medaillen in drei Jahren aus. Also kam die offensichtliche Frage auf: »Wovon redet der?« Was niemand, der lächelte, verstand: Ich sprach nicht zu ihnen. Die Pressekonferenz diente mir als Plattform für die erste klare Botschaft an die Spieler. Sie sollten verstehen, dass wir Großes vorhatten und sie Teil davon sein konnten. Die Presse benutzt uns gern, um ihre Storys zu schreiben und Schlagzeilen zu generieren. Wir müssen die Presse im Gegenzug nutzen, um unsere Botschaften zu transportieren und ein wenig Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Ich finde es sehr wichtig, dass man darüber spricht, was man erreichen will. Es muss in die Köpfe der Leute – vor allem der Spieler. Ihnen muss das große Bild dauerhaft präsent sein, damit sie den Glauben entfachen können, dass der ganz große Wurf möglich ist. Weil wir alle Angst davor haben, zu scheitern, reden wir ungern darüber, was wir erreichen möchten. Wir haben Angst vor der Fallhöhe, die dadurch erzeugt wird. Was viele nicht verstehen: Das Scheitern kann das Wichtigste sein, das uns widerfährt. In der Rückschau würden mir vermutlich die allermeisten zustimmen, wenn ich sage: Das schmerzhafte Vorrunden-Aus bei der WM 2019 war bereits ein wichtiges Puzzlestück auf der Reise zum Weltmeistertitel vier Jahre später. Eines der schlimmsten Dinge, die man meiner Ansicht nach im Leben tun kann, ist etwas nicht auszuprobieren, weil man Angst hat zu scheitern. Das gilt für jeden Lebensbereich, nicht nur für die sportlichen Ambitionen eines Teams. Sich von der Angst lähmen zu lassen, raubt einem jegliche Chance, Großartiges – ja das scheinbar Unmögliche – leisten zu können. Drei Jahre – drei Medaillen! Mit dieser Vision trat ich an, und mit dieser Vision machte ich mich auf den Weg, um die Spieler für ein dreijähriges Commitment zu gewinnen.

In den Wochen nach der Pressekonferenz traf ich mich mit knapp vierzig deutschen Spielern, um eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Ich wollte verstehen, wo sie standen, und hören, ob sie bereit waren, ein solches Commitment für die deutsche Nationalmannschaft einzugehen. Ich bin durch Deutschland, Europa und Amerika gereist, um die Spieler zu treffen. Dass es auch Spieler gab, die sich nicht mit mir treffen wollten und kein Interesse an unserem Projekt hatten, ist völlig in Ordnung. Ich wollte nur mit Spielern arbeiten, die sich auch wirklich zur Nationalmannschaft bekannten. Wenn ich Spieler anbetteln muss, damit sie dabei sind, dann sind sie nicht die Richtigen. Es sollte eine Ehre sein, für die Nationalmannschaft zu spielen, und nicht eine lästige Pflicht. Deswegen war das erste Telefonat auch immer kurz und bündig: »Willst du dich mit mir treffen, um über deine Rolle in der Nationalmannschaft zu sprechen?« Ich wollte ein »Ja« oder ein »Nein« hören. Mit einem »Vielleicht« hätte ich nicht arbeiten können.

Daniel Theis:

Mit Gordie habe ich mich vom ersten Treffen an auf einer Wellenlänge gefühlt. Er hat mich in Amerika besucht, und wir sind schön zusammen Essen gegangen. Wenn du dich mit einem Trainer entspannt unterhalten und auch mal einen Wein zusammen trinken kannst, wenn es nicht immer nur um Basketball geht, sondern du dich auch locker über das Leben unterhalten kannst, dann macht das für dich als Spieler viel aus. Ich freue mich immer auf die Begegnungen und den Austausch mit ihm, weil er ein interessanter, angenehmer und in sich ruhender Mensch ist. Er bringt viel Lebenserfahrung mit, da fragst du auch gern nach und hörst zu. Wir sitzen oft stundenlang zusammen und tauschen uns aus, wenn wir die seltene Chance bekommen, uns unter der Saison zu sehen. Gordie gelingt es, seine angenehme Art mit klarer Disziplin zu kombinieren. Wir haben bei der Nationalmannschaft nicht viele Regeln. Das Einzige, was Gordie ohne Wenn und Aber einfordert, ist Pünktlichkeit. Das ist ihm extrem wichtig, und da hält sich auch jeder dran. Gordie schenkt seinen Spielern großen Respekt, und dadurch bekommt er ihn auch zurück. Pünktlich zu sein war für ihn immer ein Ausdruck von gegenseitigem Respekt. Er versteht, dass es in der Nationalmannschaft anders als im Verein läuft. Im Verein werden die Spieler bezahlt. Für Deutschland spielen wir aus Ehre und weil es uns Spaß macht. Der Teamgedanke steht im Vordergrund. Wir machen es nicht nur umsonst, sondern geben dafür auch viel freie Zeit auf, die wir mit Familie, Freunden und zur Regeneration nutzen könnten. Der Trainer muss hier eine gute Linie finden, damit alle gern kommen und ihren Spaß haben, ihm trotzdem aber die Mannschaft nicht entgleitet und das Ganze zu sportlichen Enttäuschungen führt. Mit Gordie passt das perfekt. Wir freuen uns alle riesig auf die Sommer mit der Nationalmannschaft. Er will, dass wir den Sport genießen, dass wir frei aufspielen, Freude haben, und er ist immer offen für Ideen von uns, wenn es darum geht, was wir noch besser machen können. Wenn wir mal schlecht trainierten, wird er in Ausnahmefällen laut, um zu zeigen, dass es wirklich um etwas geht. Aber er hat es mit Wettkämpfern zu tun, bis auf wenige Ausnahmemomente geben wir von allein Vollgas. Durch seine Art und Weise sind wir zu einer starken Einheit geworden, in der alle das Beste aus sich herausholen. Er hat den Glauben geweckt, dass wir die erfolgreichste Ära des deutschen Basketballs zusammen prägen können.

Moritz Wagner:

Patriotismus ist in Deutschland ja immer etwas schwierig – was zu einem gewissen Ausmaß auch gute Gründe hat. Ich finde eine Identifikation mit dem eigenen Land trotzdem wichtig. Mir hat der Jugendtrainer von Alba Berlin, Marius Huth, mit dem ich im Basketball aufgewachsen und heute immer noch eng befreundet bin, gesagt, dass die Nationalmannschaft dafür sorgt, dass Menschen in Deutschland zum Basketball gehen. Die A-Nationalmannschaft steht in Deutschland für den Sport. Das haben wir durch die WM auch wieder bemerken können. Die Kinder, die irgendwann anfangen, Basketball zu spielen, sehen sich das Turnier an und fühlen sich zu dem Sport hingezogen. Diese Erfahrung lässt den Basketball in Deutschland wachsen, und das ist mir wichtig. Ich sehe es ein Stück weit als meine Verantwortung an, hier einen Beitrag zu leisten, wenn ich schon in der glücklichen Lage bin, den Sport beruflich betreiben tun zu dürfen. Ich habe selbst noch keine Familie, bin kerngesund und liebe Basketball – da kann ich auch den Sommer für die Nationalmannschaft opfern. Dass die Teamkollegen dann auch noch Typen sind, mit denen es einfach nur Bock bringt, zusammenzuspielen, das macht die Sache richtig rund.

Niels Giffey:

Deutschland hat als Basketball-Nation in den letzten Jahren einen großen Schritt nach vorn gemacht. Der Talentpool ist deutlich größer geworden, was meiner Ansicht nach auch an dem veränderten System der Nachwuchs-Basketball-Bundesliga (NBBL) liegt. Alle U19-Spieler, die aus dem regionalen System der Jugend-Basketball-Bundesliga (JBBL) kommen, können direkt gegen die besten Spieler aus ihrer Altersklasse spielen – bundesweit und manchmal sogar europaweit. Hinzukommt eine weitere strukturelle Veränderung innerhalb der Bundesliga vor etwas mehr als zehn Jahren – die sogenannte 6+6-Regel. Diese Regel verpflichtet alle Bundesliga-Vereine, mindestens sechs deutsche Spieler in ihrem Kader zu haben. Das beschleunigt die Entwicklung deutscher Spieler und führt dazu, dass jüngere Spieler in vielen Fällen schon wichtigere Rollen bekommen und sich deshalb schneller entfalten. Was uns in der Nationalmannschaft zusätzlich geholfen hat: Wir kennen uns alle schon richtig lange und haben eine Gruppe von Spielern, die seit vielen Sommern zusammenkommen. Dadurch weißt du dann einfach, was jemand auf dem Feld kann und wer jemand abseits vom Feld ist. Wir haben über die Zeit einen starken Zusammenhalt entwickelt. Viele von uns sind inzwischen ein bisschen älter, ein bisschen reifer, wir fühlen uns in unseren Rollen wohl und denken ans Team, bevor wir an uns selbst denken. Und mit Dennis und Franz haben wir zudem so ein krasses Batman-Robin-Duo. Das hatten wir früher nicht, da gab es immer nur Dirk.

Andy Obst:

Gordie habe ich zum ersten Mal während seiner Zeit in Frankfurt getroffen, als im Raum stand, dass ich zu ihm wechsle. Er ist heute immer noch derselbe wie damals. Ein offener, ehrlicher, ruhiger Typ, der sehr viel Erfahrung mitbringt und es versteht, mit Menschen umzugehen. Als bekannt wurde, dass er Nationaltrainer wird, fand ich das eine erfreuliche Nachricht. Es kam für uns Spieler schon ein wenig überraschend, wir hatten nicht unbedingt damit gerechnet, weil er in Deutschland zu dem Zeitpunkt nicht sehr präsent war. Aber die Reaktion war bei uns allen ziemlich gleich: »Hey, das ist echt cool. Das kann richtig gut werden!« Wir waren da alle optimistisch gestimmt.

Um die wichtigste Sache habe ich mich direkt am Tag nach der Pressekonferenz gekümmert. Ich musste meinen Schlüsselspieler gewinnen. Also bin ich mit Vizepräsident Armin Andres in ein Auto gestiegen, und wir sind gemeinsam nach Braunschweig gefahren, um Dennis Schröder zu treffen, bevor er für den NBA-Auftakt zurück nach Amerika reisen musste. Wir unterhielten uns zuerst eine gute Stunde zu viert mit ihm und seinem Bruder. Es ging um Basketball und unseren Plan für die kommenden Jahre. Danach saßen wir noch mehrere Stunden zu zweit zusammen und führten ein sehr persönliches Gespräch.

Über Dennis wurde immer viel geschrieben und die Medien zeichneten ein zwiespältiges Bild von ihm: der Ausnahmekönner, der gleichzeitig nicht der einfachste Charakter sei. Ich hatte viel über ihn gehört, hatte in der Vergangenheit gegen ihn gecoacht, als er noch ein Teenager war, aber es war unser erstes persönliches Treffen. Ich bekam einen ganz anderen Eindruck von ihm und verließ das Gespräch voller Demut und Zuversicht. Sein Commitment und seine Professionalität beeindruckten mich. Mir wurde sofort klar, wie viel ihm die Nationalmannschaft bedeutete, und ich wusste: Er wird unser Leader sein und uns in den kommenden Jahren tragen. Auch seine Haltung zu den Themen abseits des Feldes gefiel mir. Er ist ein hingebungsvoller Familienmensch, dem sein unmittelbares Umfeld enorm viel bedeutet. Natürlich hat er in der Vergangenheit nicht alles richtig gemacht, aber Fehler machen wir alle, das gehört dazu. Ich teile die Binse: Trenne dich von den Menschen, die denselben Fehler immer wieder machen, und trenne dich von denen, die noch nie einen Fehler gemacht haben.

Das Gespräch mit Dennis bestärkte mich in der Entscheidung, Trainer der deutschen Basketballnationalmannschaft zu werden. Vor der EuroBasket 2022 in Deutschland kam er zu den Spielen der Nationalmannschaft im Juni-Fenster, obwohl er zu dem Zeitpunkt keinen festen Verein in der NBA hatte und somit seine Versicherung nicht geklärt war. Eine weitere Aktion von ihm, die mir seine beachtliche Hingabe für unser Team zeigte. Die meisten Spieler wären nicht dazu bereit gewesen, unter solchen Voraussetzungen für die Nationalmannschaft zu spielen.

Es war zu dem Zeitpunkt keine leichte Entscheidung, ihn zum Kapitän zu machen, weil ich dafür den verdienten Spieler und langjährigen Kapitän Robin Benzing aus dem Team streichen musste. Robin aus dem Team zu nehmen, war eine der schwersten Entscheidungen, die mein Team und ich in unserer Amtszeit bis dahin getroffen hatten. Sein Herz und sein Engagement für die Mannschaft waren kaum zu übertreffen. Doch die Pflicht eines Trainers besteht auch darin, Entscheidungen zu treffen, von denen man überzeugt ist, dass sie am besten für das gesamte Team sind. Hilft es dem großen Bild? Diese Frage stelle ich mir immer wieder. Jede Entscheidung, die ein Trainer treffen muss, unterliegt dieser Prämisse.

Das gesagt, war es dann wiederum eine der besten Entscheidungen überhaupt, Dennis zum Kapitän zu ernennen. Er nahm das Amt von Beginn an mit großem Stolz, Ehre und viel Respekt an. Und er wusste es zu schätzen, dass er zum ersten Mal von jemandem zum Kapitän ernannt wurde. Es war etwas Besonderes für ihn, und er wollte dem gerecht werden – was ihm mehr als gelungen ist. Er hat sich auf beeindruckende Art und Weise als Leader entwickelt. Dass ihm als Weltmeister nun auch die gebührende Anerkennung und Wertschätzung in Deutschland entgegengebracht wird, freut mich riesig für ihn.

Dennis Schröder:

Es ist eine riesige Ehre für mich, Deutschland repräsentieren zu dürfen. Als ich früher mit Ademola Okulaja und Demond Greene andere Dunkelhäutige in der Nationalmannschaft gesehen habe, hat mich das sehr inspiriert. Da habe ich den Glauben geschöpft, trotz meiner Hautfarbe auch mal Teil der Nationalmannschaft sein zu können. Robin Benzing abzulösen, der über Jahre ein sehr geiler Kapitän für uns war, mit dem ich auch eine enge Verbindung habe und von dem ich viel lernen durfte, hat mich sehr stolz gemacht. Als Gordie zu mir kam und mir sagte, er will mich zum Kapitän machen, habe ich mich bereit gefühlt und trotzdem sofort gespürt: Das ist eines der größten Dinge, die mir bisher widerfahren sind. Das hat mir unendlich viel bedeutet.

Viele Menschen machen sich ein Bild, das durch die Medien geprägt ist. Sie sehen etwas in den Nachrichten und nehmen es falsch auf, ohne dich persönlich zu kennen. Gordie kam direkt zu Beginn seiner Amtszeit mit Armin zu mir nach Braunschweig und wir haben bestimmt zwei oder drei Stunden miteinander gesprochen. Er hat da sofort gemerkt, dass ich wirklich nur gewinnen will. Das ist mein Charakter, meine Identität, seit klein auf. Wenn ich als Kind in etwas nicht gewann, dann habe ich eben so lange weitergespielt, bis ich schließlich doch gewonnen habe. Gordie hat das in dem Gespräch herausgehört. Er hat gespürt, dass ich ein Wettkämpfer im Herzen bin. Er hat aber auch gesehen, dass für mich die oberste Priorität im Leben die Familie ist. Er wusste das zu schätzen und hat ein gutes Gespür für mich als Mensch entwickelt. Anschließend haben wir über meine Rolle und seine Erwartungshaltung an mich gesprochen. Er ist komplett offen, und damit kann ich gut arbeiten. Dieses Gespräch war sehr wertvoll für uns beide und hat den Grundstein für unsere Beziehung und die erfolgreiche Zusammenarbeit bei der Nationalmannschaft gelegt.

Du willst Spieler im Team haben, die auch unbedingt da sein wollen. Es gibt nichts Schlimmeres, als Spieler anbetteln zu müssen, dass sie spielen.

Selbstverständlich willst du als Nationaltrainer, dass die besten Spieler für dein Team auflaufen. Doch es erfordert einiges an Kompromissbereitschaft seitens der Spieler, auf ruhige, erholsame Sommer zu verzichten. Der Spielplan und die damit zusammenhängenden Reisestrapazen der NBA- und Euroleague-Spieler sind wirklich brutal, das kann man nicht anders sagen. Das Problem ist: Wenn deine besten Spieler kein Commitment zeigen, wirkt sich das auf alle anderen Spieler aus. Nur wenn deine besten Spieler ein klares Zeichen setzen, fügt sich der Rest von allein. Deswegen war mir auch das Drei-Jahres-Commitment so wichtig und die Freude entsprechend groß, dass bis auf wenige Ausnahmen alle Top-Spieler sofort ihre Bereitschaft signalisierten, diese Reise mit uns anzutreten. Bei uns war es deshalb ganz klar und so haben wir es den Spielern auch kommuniziert: »Seid ihr dabei oder seid ihr raus?« Einen Mittelweg gab es bei uns nicht. Wer im ersten Jahr nicht dabei war, hatte kaum eine Chance, im zweiten Jahr noch mit an Bord zu kommen. Dass daraus der ein oder andere Konflikt entstand, wurde medial groß aufgegriffen. Doch ich blieb meiner Linie treu, weil ich in meiner Zeit als kanadischer Nationaltrainer so meine Lektionen gelernt hatte. Damals gab es zahlreiche NBA-Spieler, die oft später angereist sind oder bei denen lange nicht klar war, ob sie überhaupt spielen würden. So eine Haltung wirkt sich immer negativ auf das Teamgefüge aus.

Vor meinem Amtsantritt sprach ich mit anderen erfolgreichen Nationaltrainern. Ich hatte mir vorab einen Dreiklang aus den Komponenten »Wertschätzung – Commitment – Fitness« überlegt. Dem entsprachen die drei zentralen Botschaften meiner Kollegen:

Bau besondere Beziehungen mit allen Beteiligten und vor allem deinen Spielern auf. Kümmere dich beständig um die Pflege dieser Beziehungen.

Setz dich persönlich dafür ein, dass deine besten Spieler für ihr Land auflaufen wollen und sich bereit erklären, in den wichtigsten Zeitfenstern anzureisen.

Stell sicher, dass die Spieler in bestmöglicher körperlicher Verfassung zur Nationalmannschaft kommen.

Für den dritten Punkt boten und bieten wir jederzeit Individualtrainings an, falls die Spieler an ihrer Physis arbeiten wollen. Zwei bis drei Wochen vor unseren Camps meldet sich zudem unser Athletik-Coach, Arne Greskowiak, bei den Spielern, um zu hören, wo sie stehen, was sie brauchen und um gemeinsam zu besprechen, wie sich ihre bestmögliche Verfassung sicherstellen lässt. Ich unterhalte mich regelmäßig mit den Vereinstrainern der Spieler, um Einblicke zu bekommen, wie es den Jungs geht und woran aktuell gearbeitet wird. Ich betone vor den Spielern immer wieder: »Wir haben nur ein kleines Zeitfenster zusammen. Wenn ihr in guter Verfassung ankommt, können wir zusammen Erfolg haben. Wenn nicht, könnt ihr nicht Teil des Teams sein, weil das Verletzungsrisiko zu hoch ist und ihr nicht an euer Leistungslimit kommt.«

Maodo Lo:

Wir sind aus mehreren Gründen Weltmeister geworden. Der erste Punkt, der oft zu kurz kommt: Wir sind eine Mannschaft mit sehr vielen richtig guten, talentierten Basketballspielern, die in den verschiedenen Ligen auf der ganzen Welt spielen. Du brauchst gute Spieler, um eine echte Chance auf Erfolg zu haben. Punkt zwei: unsere Kontinuität. Wir haben uns in den letzten Jahren ständig weiterentwickelt und sind als fester Kern immer mehr zusammengewachsen. Meiner Meinung nach hat das schon 2015 mit Chris Flemming angefangen. Als wir damals die EM in Deutschland spielten, waren wir noch ziemlich jung. Er hat trotzdem schon unser Potenzial gesehen. Ich erinnere mich noch genau, dass er oft sagte und es in seinem Abschlussmeeting als Nationaltrainer noch mal betonte: »Ihr seid junge, talentierte Spieler. Wenn ihr bereit seid, jeden Sommer weiterhin zur Nationalmannschaft zu kommen, füreinander spielt und eine gute Chemie aufbaut, dann werdet ihr etwas Großes erreichen.« Er meinte, es sei ihm eine Ehre gewesen, dafür eine Art Grundstein zu legen. Er brachte einen guten Schwung in unser Team. 2017 spielten wir dann ein vielsprechendes Turnier und waren in der Lage, mit den besten Nationen Europas zu konkurrieren. Die Kontinuität ist geblieben, obwohl wir die WM 2019 ziemlich in den Sand gesetzt haben. Wir sind immer drangeblieben und konnten uns dann für Olympia qualifizieren, womit niemand gerechnet hatte. Es war ein beständiger Prozess – und dann kam Gordie. Er hatte sofort ein gutes Gespür dafür, wie er uns anpacken muss und wie wichtig eine klare Rollenverteilung ist. Im Sommer hast du nur begrenzt Zeit, um mit dem Team zu arbeiten. In so einer kurzen Phase ist es schwer, Spielzüge, Abläufe, Zusammenhalt und alles, was ein gutes Team auszeichnet, einzustudieren. Dafür brauchen Trainer eigentlich Monate. Gordie war hier total klar, und das hat der Mannschaft enorm geholfen. Wir Spieler brauchen diese Klarheit. Er erkannte unsere Stärken sehr schnell und wusste sie perfekt einzusetzen. Und es ist ihm gelungen, ein Setting zu schaffen, in dem alle am gleichen Strang ziehen. Mit Franz Wagner und Isaac Bonga kamen wichtige Puzzlesteine zum Team dazu, und der feste, eingespielte Kern aus der Zeit von Chris Flemming war auch noch da. Man konnte sofort spüren: Okay, hier kommt eine richtig besondere Truppe an Spielern zusammen. Ich finde, der Weg zur Goldmedaille war ein wunderschöner Prozess, der über mehrere Jahre andauerte und dann durch unseren ersten WM-Titel gekrönt wurde.

Franz Wagner:

Wir sind an einem speziellen Moment im deutschen Basketball angekommen, weil sehr gute, erfahrene Spieler, die schon lange mit dabei sind, sich gut untereinander kennen und vielleicht ein klein wenig die alte Schule vertreten, auf sehr talentierte, junge Spieler treffen, die ein neues Mindset mitbringen. Moritz und ich nennen das gerne: »Swag mit reinbringen.« Darunter verstehen wir vor allem die Haltung, dass man nicht nur harte Arbeit leistet, sondern auch Leichtigkeit und Spaß hat. Das ist vielleicht nicht das Deutscheste, aber dieses Zusammenspiel hat uns ausgemacht. Dennis vereint als unser Leader die perfekte Kombination von beidem. Er bringt diese Welten zusammen. Unser Teamgeist, wie gut wir als Gruppe harmoniert und zusammengepasst haben, in der Kombination mit diesem perfekten Moment im deutschen Basketball, in dem zwei Generationen zusammenspielen, sind meiner Ansicht nach ausschlaggebend für unseren Erfolg.

Die ersten Spiele als Bundestrainer

Die größte Herausforderung als Trainer einer Basketballnationalmannschaft besteht darin, dass du im Laufe einer Saison verschiedene Spielergruppen zusammenbringen musst. Das hängt vor allem mit den Auflagen der FIBA, NBA und der Euroleague – der höchsten europäischen Spielklasse – zusammen. Während der Zeitfenster für die Nationalmannschaft, die es im Laufe einer Saison gibt, werden bis auf wenige Ausnahmen weder Spieler aus der Euroleague noch von der NBA freigestellt. Das führt dazu, dass dir deine zehn bis fünfzehn besten Spieler während der Saison nie zur Verfügung stehen und du im Laufe eines Jahres mit über dreißig verschiedenen Spielern arbeitest. Innerhalb dieser Perioden spielen wir jedoch die Qualifikationsspiele für die großen Turniere. Im Umkehrschluss bedeutet das: Die Spieler, die dafür verantwortlich sind, dass wir bei den großen Turnieren dabei sein können, werden bis auf wenige Ausnahmen nie in den Genuss kommen, auch nur eine Minute bei einem solchen Turnier zu spielen. Das ist erst mal eine harte Pille, die die Jungs schlucken müssen. Ich möchte ihnen an dieser Stelle ein riesiges Kompliment aussprechen, wie professionell sie damit umgehen und wie gut es ihnen gelingt, ihr Ego hintenanzustellen und sich in den Dienst des größeren Ganzen zu stellen. Das finde ich bemerkenswert, und es ist eine besondere Eigenheit, die der Basketball-Sport aufgrund der internationalen Terminstrukturen mit sich bringt und die vermutlich einer der Gründe dafür ist, dass wir es im Basketball oft mit großartigen Charakteren zu tun haben.

Ein Beispiel: David Krämer. Für das erste Fenster als Nationaltrainer hatte ich ihn nicht nominiert. Ich hatte vor dem Fenster mit allen Spielern, die für mich als Nationalspieler infrage kamen, telefoniert. Ich hatte ihnen gesagt, wie ich sie einschätzte und wie ich mit ihnen plante. David hörte sich das an und meinte sehr klar: »Coach, wenn du mich brauchst, bin ich immer da.« Und das, nachdem ich ihm mitgeteilt hatte, dass ich ihn zunächst nicht auf der Liste hatte. Corona-bedingt konnte einer der sechzehn nominierten Spieler dann nicht ins Vorbereitungscamp kommen. Also nominierte ich David nach. Er schaffte es nicht nur in den Zwölf-Mann-Kader, mit dem wir bei den Spielen antraten, er wurde auch unser Top-Scorer im immens wichtigen zweiten Spiel gegen Polen. Und er war Teil unseres Teams bei der Weltmeisterschaft.

Was die Story noch spezieller macht: In der Saison 1999/2000 hatte ich die Oberwart Gunners trainiert. Teil des Teams war Davids Vater Roman. David lernte ich damals schon kennen: Er war zwei Jahre alt.

David Krämer: