Die Jüngsten in der Kita -  - E-Book

Die Jüngsten in der Kita E-Book

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  • Herausgeber: Kohlhammer
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2010
Beschreibung

Bund, Länder und Kommunen haben den beschleunigten Ausbau der Kindertagesbetreuung für die Null- bis Dreijährigen ganz oben auf die politische Agenda gesetzt. Die Einrichtungen zur Kinderbetreuung stehen dabei sowohl organisatorisch als auch im Hinblick auf die Qualifikation der Mitarbeiter und die notwendigen pädagogischen Konzepte vor großen Herausforderungen. Denn: die Jüngsten in der Kita haben andere Bedürfnisse als ältere Kinder. Das Handbuch schließt eine bislang bestehende Lücke in der Fachliteratur, indem es die Krippenpädagogik nicht mehr als rein pädagogisches Thema begreift, sondern einen umfassenderen Blick ermöglicht. Der erste Teil des Handbuchs führt in die historischen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Krippenpädagogik ein. Teil zwei lenkt den Blick auf frühkindliche Bildungs- und Entwicklungsprozesse und stellt den klassischen Ansätzen aus Bindungsforschung und Entwicklungspsychologie aktuelle Ergebnisse der Hirnforschung gegenüber. Der dritte Teil stellt "Grundpfeiler" der frühpädagogischen Forschung dar, während der vierte Teil dann die Konsequenzen für die pädagogische Arbeit und das Qualitätsmanagement in Krippen zieht.

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Bund, Länder und Kommunen haben den beschleunigten Ausbau der Kindertagesbetreuung für die Null- bis Dreijährigen ganz oben auf die politische Agenda gesetzt. Die Einrichtungen zur Kinderbetreuung stehen dabei sowohl organisatorisch als auch im Hinblick auf die Qualifikation der Mitarbeiter und die notwendigen pädagogischen Konzepte vor großen Herausforderungen. Denn: die Jüngsten in der Kita haben andere Bedürfnisse als ältere Kinder. Das Handbuch schließt eine bislang bestehende Lücke in der Fachliteratur, indem es die Krippenpädagogik nicht mehr als rein pädagogisches Thema begreift, sondern einen umfassenderen Blick ermöglicht. Der erste Teil des Handbuchs führt in die historischen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Krippenpädagogik ein. Teil zwei lenkt den Blick auf frühkindliche Bildungs- und Entwicklungsprozesse und stellt den klassischen Ansätzen aus Bindungsforschung und Entwicklungspsychologie aktuelle Ergebnisse der Hirnforschung gegenüber. Der dritte Teil stellt 'Grundpfeiler' der frühpädagogischen Forschung dar, während der vierte Teil dann die Konsequenzen für die pädagogische Arbeit und das Qualitätsmanagement in Krippen zieht.

Waltraud Weegmann und Carola Kammerlander sind Geschäftsführerinnen der 'Konzept-e für Kindertagestätten gGmbH', die die operative, wirtschaftliche und qualitative Verantwortung für 23 betriebsnahe und betriebliche Kindertagesstätten und zwei private Grundschulen trägt.

Waltraud Weegmann Carola Kammerlander (Hrsg.)

Die Jüngsten in der Kita

Ein Handbuch zur Krippenpädagogik

Alle Rechte vorbehalten © 2010 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany

Print: 978-3-17-020957-2

E-Book-Formate

pdf:

epub:

978-3-17-027796-6

mobi:

978-3-17-027797-7

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Gesellschaftliche Aspekte

Kindheiten heuteAnke König

Zur Geschichte der außerfamiliären Betreuung von Kindern unter drei Jahren in KindertageseinrichtungenIris Nentwig-Gesemann

Ausbau der Krippenbetreuung – politische, wirtschaftliche und rechtliche RahmenbedingungenWaltraud Weegmann

Die Bedeutung der Krippenbetreuung für Gesellschaft, Familie und KinderStefan Sell

2 Frühkindliche Bildung und Entwicklung

Wie lernen Kinder? Gehirn- und DenkentwicklungManfred Spitzer

Entwicklungspsychologische Grundlagen für die KrippenerziehungSabina Pauen & Janna Pahnke

Entwicklungspsychologische Grundlagen II: Das KleinstkindHellgard Rauh

Die Bedeutung der Bindungstheorie in der FrühpädagogikRüdiger Posth

Frühkindliches SelbstempfindenMarjan Alemzadeh

Theorien und Konzepte der EntwicklungspsychologieHellgard Rauh

3 Die Jüngsten in der Kita – Grundpfeiler der Pädagogik

Ziele in der Krippenpädagogik: Bildungsziele der deutschen Frühpädagogik in der DiskussionGabriele Haug-Schnabel & Joachim Bensel

Bildung in den ersten Lebensjahren – Wie kleine Kinder denken lernenGerd Schäfer

Bewegung von Anfang an!Julia Schmidt

Sprache als Tor zur WeltKarin Jampert & Andrea Sens

Krippenkinder in Interaktion mit anderen Kindern – Lernen und Spielen in altersgemischten GruppenDagmar Kasüschke

Ausdrucksformen von KrippenkindernUrsula Stenger & Angela Franzen

4 Die Jüngsten in der Kita – Themen der pädagogischen Praxis

EingewöhnungÉva Hédervári-Heller

Die Welt der Dinge: Anregende Materialien für Säuglinge, Krabbel- und KleinkinderKornelia Schneider & Wiebke Wüstenberg

Bildungsdokumentation in KrippenKlaus Fröhlich-Gildhoff & Sibylle Fischer

Erziehungspartnerschaft in KindertageseinrichtungenJorina Senger

Individuen – Interessen – Interaktion: Impulse als Entwicklungsanreize im Bildungs- und Erziehungsverständnis der element-i-Konzeption für KinderhäuserCarola Kammerlander

5 Qualität sichern

Gut ausgebildet für die Jüngsten? Die Ausbildung von pädagogischen Fachkräften für die Arbeit mit Kindern von null bis drei JahrenHenriette Harms & Stefanie Schwarz

Qualitätsentwicklung im BildungsbereichJutta Hinke-Ruhnau

Autorenverzeichnis

Register

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

entweder jetzt oder nie! Der Auf- und Ausbau der Betreuungsinfrastruktur für Kinder unter drei Jahren eilt. Die Nachfrage ist groß und das Kinderförderungsgesetz (KiföG) schreibt den schrittweisen Ausbau bis 2013 vor.

Dafür sind passende Räume, qualifiziertes Personal und nicht zuletzt geeignete pädagogische Konzepte nötig. Denn Babys und Kleinkinder im ersten, zweiten und dritten Lebensjahr haben andere Bedürfnisse als ältere Kinder. Gerade jetzt haben wir in Deutschland die Chance, die Erkenntnisse frühpädagogischer Forschung speziell für die Jüngsten in neuen Kinderhäusern umzusetzen und unsere Bildungslandschaft nachhaltig zu bereichern. Wir haben die Chance, Orte zu schaffen, an denen sich Kinder wohl und geborgen fühlen, Orte, die mit vielfältigen Anregungen ihre Entwicklung und ihr Lernen fördern.

Unser Buch, für dessen Texte wir viele renommierte Wissenschaftler/-innen und Praktiker/-innen als Autor/-innen gewinnen konnten, soll dafür Impulse geben. Es bietet einen Überblick über die zentralen pädagogischen Aspekte bei der Betreuung, Bildung und Erziehung der unter dreijährigen Kinder. Die Beiträge dazu gliedern sich in eher theoretische Erkenntnisse zu diesem Thema und solche mit höherem Praxisbezug. Doch unser „Krippenhandbuch“ ist kein reines Pädagogikbuch. Es ist uns wichtig, zugleich den Blick auf die gesellschaftlichen und historischen Zusammenhänge zu richten, unter denen sich die Entwicklung vollzieht.

Dieser vielfältige Ansatz soll allen an früher Kinderbetreuung Interessierten und Fachleuten bei Kommunen und Trägern das Feld beschreiben, in dem sie sich mit eigenen Angeboten positionieren können. Die Handreichung kann ihnen auch Argumentationshilfen liefern, um eigene Standpunkte in der Diskussion zu untermauern. Studierenden bietet das Buch einen breiten Einstieg in das Krippen-Thema und erlaubt es ihnen, die Aspekte zu ermitteln, die sie weiterverfolgen und vertiefen möchten. Die Literaturhinweise unserer Autor/-innen geben ihnen Wegweiser dafür.

Es liegt uns am Herzen, dass sich theoretische Erkenntnisse, wie sie dieses Buch hauptsächlich vermitteln will, und Erfahrungen aus der pädagogischen Praxis gegenseitig ergänzen. Dass dies ein permanenter Prozess ist, wissen wir aus der praktischen Erfahrung mit derzeit 22 Kinderhäusern für Kinder ab sechs Monaten. Unser innovatives pädagogisches Konzept „element-i“, das wir Ihnen in diesem Buch ebenfalls vorstellen, entwickeln wir anhand neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Praxiserfahrungen aus unseren Kinderhäusern ständig weiter.

Wie spannend es sein kann, diesen Weg der fortlaufenden Auseinandersetzung zwischen Theorie und Praxis gemeinsam zu gehen, zeigt unser jährlicher interdisziplinärer Betreuungs- und Bildungskongress „Invest in Future“.

Auch mit diesem Buch möchten wir der Diskussion um gute Rahmenbedingungen für das Aufwachsen von Kindern in Deutschland neue Impulse geben. Wir freuen uns, über Ihr Feedback zu den Beiträgen in diesem Band und stellen uns eine spätere Neuauflage vor, die diese Diskussion mit einbezieht.

Es grüßen Sie

Waltraud Weegmann

Geschäftsführerin Konzept-e für Kindertagesstätten gGmbH

Carola Kammerlander

Pädagogische Geschäftsführerin Konzept-e für Kindertagesstätten gGmbH

1

Gesellschaftliche Aspekte

Anke König

Kindheiten heute

Dieser Beitrag richtet seine Perspektive auf die Lebensphase Kindheit. Dabei bilden die internationale theoretische Auseinandersetzung mit der Lebensphase Kindheit sowie die Datenlage zu den unter Dreijährigen in Deutschland die Ausgangspunkte, um sich den gegenwärtigen Aufwachsbedingungen von jungen Kindern zu nähern. In der Theoriediskussion zeichnet sich derzeit ein Paradigmenwechsel bei der Wahrnehmung von Kindern ab, welcher insbesondere durch den gesellschaftlichen Wandel in postindustriellen Gesellschaften und durch neuere Befunde aus der Entwicklungstheorie beeinflusst wird. Dieser neue Blick auf die Kindheit fordert eine Reflexion des pädagogischen Handelns und setzt auf ein gutes Resonanzverhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen.

Kind und Kindheit

Kind und Kindheit sind alltagssprachliche Begriffe, die im Kontext der fachwissenschaftlichen Diskussion einer klaren Charakterisierung bedürfen. Mit dem Begriff Kind wird insbesondere auf ein Generationenverhältnis verwiesen. Als Kindheit wird die Lebensphase zusammengefasst, die mit der Geburt beginnt und bis zur Geschlechtsreife andauert. Kindheit wird in fachwissenschaftlicher Perspektive als gesellschaftliches Konstrukt gesehen (Reich, 2005, 250), welches sich aus der Abhängigkeit des jungen Kindes von seiner sozialen Umwelt ergibt. Dabei spielt heute unter ethnografischen, interaktionistischen und sozialkonstruktivistischen Theorien zunehmend die Betrachtung der kindlichen Eigenwelten eine Rolle, die aufzeigt, in welcher Art Kinder auf Kindheit Einflüsse nehmen oder aktiv an deren Konstruktion beteiligt sind (Zeiher 2001, 169). Am deutlichsten wird dieser sich in den letzten Jahren vollziehende Paradigmenwechsel anhand der Bezeichnung der Forschungsrichtung: Während die Kindheitsforschung das Phänomen Kindheit als die soziale Konstruktion der Erwachsenen in den Blick nimmt, wird mit Kinderforschung die Forschungsrichtung beschrieben, die die Kinder als aktive Konstrukteure ihrer Kindheit einbezieht (Liegle, 2008, 24).

Gegenwärtige Perspektiven

Der gegenwärtige Blick auf die Kindheit zeigt, dass Kindheit nicht immer gleich und auch nicht universal ist. Kindheit verläuft vielmehr „divergent“ und „dynamisch“ (Waller, 2005), d.h., wie Kindheit erlebt wird, ist abhängig von dem sozio-kulturellen Kontext, in dem Kinder aufwachsen. Demnach durchlaufen Kinder ganz unterschiedliche Kindheiten. Kindheit hat keine global einheitliche Ausprägung und unterliegt durch Krisen im Lebenslauf auch individuellen Wandlungsprozessen. Wie Kindheit durchlebt wird, ist abhängig von unterschiedlichen Parametern wie dem Kontinent, der Kultur, dem ökonomischen Status, der Hautfarbe etc. und ebenso von physischen und psychischen Fähigkeiten und Kompetenzen des Individuums. Die UNICEF-Studie (Bertram, 2006, 3) weist darauf hin, dass Migration und kulturelle Wandlungsprozesse in den Industriestaaten zur Ausprägung unterschiedlicher familiärer Lebensformen beitragen. Diese unterschiedlichen Erfahrungswelten führen zu individuellen Kindheiten. Gesellschaftliche Veränderungen nehmen großen Einfluss auf deren Verlauf (Qvortrup, 2005, 30). Die gesellschaftliche Herausforderung liegt darin, diese Heterogenität bewusst wahrzunehmen und sich von homogenen Vorstellungen über Familie und Kindheit zu lösen. Kinder werden in ihren Familien mit diversen kulturellen Hintergründen konfrontiert, die nicht alle adaptiv zu den formalen Erfordernissen der Gesellschaft, z.B. im Kontext Schule, passen. Diese formalen Erfordernisse basieren auf der Annahme homogener Ausgangslagen.

Aufgabe der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) muss es sein, mit dieser Vielfalt offen und sensitiv umzugehen. Damit wird nicht nur auf die unterschiedlichen Erfahrungswelten der Kinder Bezug genommen, sondern auch darauf, dass Kindheit heute das Aufwachsen zwischen differenten Lebenswelten bedeutet. Dies heißt auch, dass Kinder früh lernen müssen, nicht durch Abgrenzung und Segregation, sondern vielmehr durch Aushandlungsprozesse und inklusives Handeln zur Partizipation zu kommen. Für den frühkindlichen institutionellen Kontext gilt eine Beziehung, die sich durch eine gute sozial-emotionale Atmosphäre auszeichnet und geprägt ist durch Sensibilität und Sensitivität gegenüber dem Kind als Ausgangsbasis. Diese Ausgangsbedingungen in der außerfamiliären Betreuung ermöglichen es den Kindern, mit ihren Erfahrungen an neue Herausforderungen anzuknüpfen und sich aktiv zu involvieren. Dadurch kann es gelingen, den Kindern im Laufe ihrer Kindheit ganz unterschiedliche Erfahrungswelten zu eröffnen, mit denen sie sich gleichermaßen vertraut fühlen. Diese Erfahrungen bieten vielfältige Anknüpfungspunkte, sich in einer heterogenen Gesellschaft zu orientieren und Bildungschancen wahrzunehmen.

Damit soll verdeutlicht werden, was Dahlberg (2004) als Paradigmenwechsel von der Moderne, die durch Linearität und Fortschritt gekennzeichnet ist, hin zur Postmoderne, deren Paradigmen Heterogenität und Komplexität beinhalten, beschreibt. Postmoderne Gesellschaftstheorien haben heute großen Einfluss auf die Theorien in der Frühpädagogik und eröffnen neue Perspektiven in Bezug auf unsere Wahrnehmung von Kind und Kindheiten.

Im Folgenden sollen zunächst die historischen Bezüge des Konzept „Kindheit“ kurz umrissen werden, um darauf aufbauend über die statistische Datenlage und die Beschreibung der Aufwachsbedingungen der Kinder unter drei Jahren auf aktuelle Theorien zur Kindheit heute Bezug zu nehmen.

Historische Bezüge

Insbesondere die Auseinandersetzung mit Philippe Ariès’ Untersuchungen zu Familienleben und Schule, in Deutschland 1975 erschienen unter dem Titel „Die Geschichte der Kindheit“, beeinflusst die Kindheitsforschung bis heute maßgeblich. Mit den Begriffen „Entdeckung“ oder auch „Erfindung“ der Kindheit wird Bezug genommen auf die Herausbildung einer Lebensphase Kindheit und ihre Institutionalisierung in speziellen Einrichtungen wie Schule und vorschulischer Betreuung (Honig 1999, 18). Bis zum Ende des Mittelalters gab es, nach Ariès’ sozialhistorischen Studien, keine pädagogische Trennung von Kinder- und Erwachsenenwelt (Kinder in Deutschland 2007, 37). Die „Entdeckung der Kindheit“ sieht er in der Phase der Neuzeit. Kindheit wird damit zu einer Konstruktion der soziologischen Wahrnehmung. Ariès stellt im Allgemeinen Kindheit als Entfremdung vom Erwachsenenleben dar und im Besonderen die exklusive Eltern/Mutter-Kind-Beziehung sowie die Pädagogisierung der Kindheit als Kriterien dafür voran.

In Folge der Pädagogisierung der Gesellschaft und damit des Ausformulierens verschiedener Erziehungskonzepte ab dem 18. Jahrhundert wird Kindsein auf diverse Weise beeinflusst. Mit den unterschiedlichen Theorien wird das Wesen des Kindes oder auch die „Natur“ des Kindes vorneweg gestellt, Kindsein anhand dieser Wesensausprägungen beschrieben und das pädagogische Handeln darauf ausgerichtet. So macht es einen großen Unterschied, ob das Kind als göttliches Wesen, wie in der Zeit der Romantik (Baader, 1996), gesehen wird und Erziehung die Funktion hat, das Kind vor negativen Einflüssen der Gesellschaft zu bewahren, oder ob Kinder als sündige Wesen betrachtet werden und die Vollkommenheit durch Erziehung befördert werden soll. In beiden Extremen wird die Bedeutung des erzieherischen Handelns für die Entwicklung der Kinder betont. Insbesondere sei hier auf Rousseau verwiesen, da er philosophische Ansätze bietet, die Kindsein nicht nur als Transitionalstadium ins Erwachsenleben versteht, sondern mit dem Kindsein eine eigene Lebensphase verbindet, die für die Persönlichkeitsentwicklung wesentlich ist. Rousseau beschreibt mit seinem Konzept der „negativen Erziehung“, wie der ideale Erziehungsraum gestaltet werden soll und damit wie idealerweise die Kindheit verlaufen sollte. In späteren Erziehungskonzeptionen werden grundlegende Annahmen über das Kindsein konstruiert, und anhand daraus resultierter Erziehungsmaßnahmen wird auf die Lebensphase Kindheit Einfluss genommen. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der Psychologie wird die vermeintliche „Natur“ des Kindes systematisch erfasst. Theorien der Entwicklungspsychologie versuchen, für die kindliche Entwicklung universell gültige Kriterien zu finden, die zum Maßstab für Entwicklungsunterschiede werden. Diese Annahmen nehmen Einfluss auf Erziehungskonzeptionen.

Kindheit wird konstruiert im Kontext von gesellschaftlichen und individuellen Bezügen (Entwicklungstheorien). Informelle und formelle Erziehungspraktiken gestalten die Aufwachsbedingungen und eröffnen Möglichkeiten, den Verlauf der Entwicklung bewusst zu beeinflussen. Bemängelt wird bis heute, dass das Kind innerhalb des Erziehungsparadigmas als Objekt gesehen (vgl. Rathmeyer, 2007, 399) und Kindheit damit mehr oder weniger aus Erwachsenenperspektive konstruiert wird. Daran hat weder Rousseaus „negative Erziehung“ noch Montessoris Pädagogik „vom Kinde aus“ etwas geändert, ebenso wenig wie die Bewegung der antiautoritären Erziehung in den 1960er Jahren. Erziehungskonzeptionen werden von den Vorstellungen Erwachsener dominiert.

Der gegenwärtige Paradigmenwechsel von der Kindheitsforschung zur Kinderforschung ist ein bedeutender Schritt in der Wissenschaft, den Theorien der Frühpädagogik entsprechend Kinder als aktive Konstrukteure ihrer Kindheiten wahrzunehmen. Mit der UN-Kinderrechtskonvention wird die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kind auf eine neue Ebene gestellt; u. a. wird dort die „Partizipation“ von Kindern als zentrale Aufgabe einer Demokratie gefordert. Durch die Betonung der Rechte der Kinder wird in Europa ein neuer Trend in der Familienpolitik deutlich, der das Kind zunehmend aus den familiären Bezügen löst und Kinder in ihrer Autonomie stärkt (Ostner, 2009, 46). Auch die sozialkonstruktivistischen Vorstellungen über Erziehung zielen mittels dialogisch entwickelnder Interaktionsprozesse auf Gleichheit und Ernstnehmen aller Beteiligten ab (König, 2009, 138). Welche Konsequenzen diese Erziehungsvorstellungen auf die Gestaltung von Kindheiten heute haben, soll nachfolgend diskutiert werden. Zunächst wird anhand der statistischen Datenlage ein Zugang zu gegenwärtigen Aufwachsbedingungen von jungen Kindern geschaffen.

Empirische Datenlage

2006 lebten in Deutschland 14,1 Mio. minderjährige Kinder. Davon waren 29 % in den alten Bundesländern und 32 % in den neuen Bundesländern im Vorschulalter (unter sechs Jahren). Die Kinderzahl pro Frau lag im Jahr 2007 bei 1,37 Kindern. Die Geburtenziffer hat sich seit den 1980er Jahren in den westlichen Bundesländern kaum verändert. In der DDR lagen die Geburtenquoten wesentlich höher. In den 1990er Jahren sank die Geburtenrate in den neuen Bundesländern rapide; sie pendelt sich aber seit 2000 auf dem Niveau der alten Bundesländer ein und liegt derzeit leicht darüber. Aus den statistischen Daten lässt sich ableiten, dass die meisten Kinder (47 %) zusammen mit mindestens einer Schwester oder einem Bruder aufwachsen. 27 % der Kinder haben zwei und mehr Geschwister und 26 % der Kinder wachsen als Einzelkinder auf; nur 9 % der Kinder ohne Migrationshintergrund und 16 % der Kinder mit Migrationshintergrund wachsen in kinderreichen Familien auf. Obwohl es einen zunehmenden Trend hin zu alternativen Familienformen gibt, in den westlichen und östlichen Bundesländern, gilt noch immer die Ehe als prägende Familienform. So lebten 2007 71 % der Kinder ohne Migrationshintergrund und 82 % der Kinder mit Migrationshintergrund in einer Familie mit verheirateten Eltern zusammen. Der größte Teil der Kinder erlebt demnach auf den ersten Blick noch ein klassisches Familienmuster; allerdings zeichnet sich auch im Hinblick auf die Vereinbarung von Familie und Beruf ab, dass zunehmend beide Elternteile arbeiten und die Kinder über weite Strecken des Tages nicht von ihren Eltern betreut werden. 2007 waren 50 % der Eltern mit Kindern unter drei Jahren berufstätig, in 35 % der Familien war nur der Vater und in 5 % der Familien allein die Mutter berufstätig. Die Erwerbstätigkeit der Mütter ist jedoch nach wie vor vom Alter der Kinder abhängig. So waren 2006 lediglich 28 % der Mütter mit jüngstem Kind im Krippenalter von unter drei Jahren berufstätig; im Alter des jüngsten Kindes von drei bis fünf Jahren dagegen bereits 55 %. Die Erwerbstätigkeit der Väter ist derzeit nicht an das Alter der Kinder gekoppelt; das könnte sich aber mit der zunehmenden Beteiligung der Väter am Elterngeld ändern. 2007 haben 12 % der Väter das Elterngeld genutzt, um ihre Kinder zu betreuen. Damit wächst die frühkindliche familiäre Betreuungssituation zunehmend aus der sozial konstruierten Mutterdomäne heraus und eröffnet den Kindern von Anfang an unterschiedliche Erfahrungen mit unterschiedlichen Bezugspersonen (vgl. Statistisches Bundesamt 2007; Datenreport 2008).

Im 13. Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ, 2009) wird herausgestellt, dass der Lebensphase des Säuglings- und Kleinkindalters besondere Beachtung zukommen muss. Säuglinge und Kleinkinder sind im Vergleich zu älteren Kindern deutlich stärker vulnerabel, also in dieser hoch sensiblen Lebensphase auf die Befriedigung der physischen und psychischen Grundbedürfnisse existenziell angewiesen. Statistisch wird die Gefahr von Vernachlässigung und Kindeswohlgefährdung in den ersten fünf Lebensjahren bedeutend höher eingeschätzt als in der späteren Kindheit. Eine liebevolle und verlässliche soziale Umwelt ist für ein gesundes Aufwachsen unerlässlich. Nicht wenige Kindheiten sind heute durch Armut geprägt. Armut gilt als struktureller Faktor, der ein gesundes Aufwachsen im Zusammenspiel mit diversen Stressfaktoren zusätzlich belasten kann. Insbesondere junge Kinder alleinerziehender Eltern sowie Kinder, die in sogenannten kinderreichen Familien aufwachsen, sind in Deutschland von Armut betroffen.

Institutionelle Förderung von unter Dreijährigen

Der Ausbau der Kindertagesbetreuung für die unter Dreijährigen in Gesamtdeutschland wurde durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) und das Kinderförderungsgesetz (KiföG) auf den Weg gebracht. Ab 2013 haben auch Kinder im Alter von ein und zwei Jahren einen Rechtsanspruch auf ein Betreuungsangebot. Mit dem am 16. Dezember 2008 in Kraft getretenen Kinderförderungsgesetz (KiföG) wurde der Anstoß gegeben, intensiv am Ausbau der institutionellen Betreuungsformen für unter Dreijährige zu arbeiten. Bis zum Jahr 2013 sollen für 35 % der unter Dreijährigen Plätze in Tagespflege oder Kindertagesbetreuung zur Verfügung stehen.

Im März 2008 wurden ca. 364 190 der unter dreijährigen Kinder in Kindertagesbetreuung oder Tagespflege betreut (KOMDAT Jugendhilfe, 2009, 14). Die Inanspruchnahme im Bereich der Kindertagesbetreuung hat sich dabei in Westdeutschland von 8,0 % (2006) auf 12,2 % (2008) erhöht. Im Bereich der Tagespflege erhöhte sich die Quote in den alten Bundesländern von 15,5 % (2007) auf 17,7 % (2008). Regional gibt es dabei erhebliche Unterschiede in der Inanspruchnahme, und das nicht nur zwischen den alten und neuen Bundesländern. Am stärksten wurde nach der Statistik 2008 der Ausbau in Rheinland-Pfalz vorangetrieben. Dort erhöhte sich das Angebot für unter Dreijährige von 2006 bis 2008 von 9,4 % auf 15,1 %. Ein differenzierter Blick auf die Inanspruchnahme zeigt, dass das Angebot vor allem von Kindern im Alter von zwei Jahren (25,2 %) genutzt wird. Bei den unter einjährigen Kindern lag die Quote in Westdeutschland bei 1,7 % und in Ostdeutschland bei 5,7 %, bei den Einjährigen bei 9,5 % in Westdeutschland und bei 47,5 % in Ostdeutschland. Werden diese Zahlen in Ostdeutschland als Prognose für die Inanspruchnahme in Westdeutschland gesehen, steht der U3-Ausbau noch am Anfang. Es wäre zu hoffen, dass dieses Feld der FBBE in den nächsten Jahren eine zusätzliche Dynamik erfährt.

Der Ausbau der FBBE für unter Dreijährige wird in den Bundesländern ganz unterschiedlich verwirklicht, weshalb junge Kinder unterschiedliche Erfahrungen mit institutioneller FBBE machen. Es zeigt sich, dass in den westlichen Bundesländern der Bedarf an Plätzen für unter Dreijährige insbesondere durch die Erweiterung der Regelgruppen (Drei- bis Sechsjährige) gedeckt wird. In dieser Betreuungsform werden vor allem die zweijährigen Kinder aufgenommen. In den östlichen Bundesländern wird dagegen die Krippenstruktur der DDR reaktiviert (Lange, 2009).

Der rechtliche Ausbau der FBBE steht im Zusammenhang mit den Empfehlungen der OECD und EU (Scheiwe, 2009; Ostner, 2009). Vom Europäischen Rat wurde 2002 in Barcelona eine Zielvorgabe in Richtung Kindertagesbetreuung entwickelt. Demnach sollen bis 2010 90 % der Drei- bis Sechsjährigen und 33 % der unter Dreijährigen einen Zugang zur Förderung in Kindertageseinrichtungen haben (Europäischer Rat 2002, 12). Damit zeichnet sich ein Wandel in der Familienpolitik ab, der auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzt. Eine stärkere Einbeziehung der Väter in die Betreuung der jungen Kinder könnte zu einem Verschwinden der traditionellen Mutterrolle führen (Ostner, 2009). Tendenzen in diese Richtungen zeigen sich bereits im zwölften Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ, 2005), der auf die „primären Bezugspersonen“ setzt und nicht exklusiv die Mutter-Kind-Beziehung voranstellt:

„Die frühkindlichen Bildungsprozesse sind maßgeblich davon beeinflusst, ob und wie der Aufbau einer sicheren Bindung zwischen Kind und seinen primären Bezugspersonen gelingt“ (BMFSFJ 2005, 146).

Das Kind als Akteur

In der Entwicklungspsychologie wird heute das Kind als Akteur betont. Kinder werden demnach als aktiv Mitgestaltende ihrer Entwicklung gesehen, d.h., ihnen wird ein aktiver Einfluss auf ihren Entwicklungsprozess zugeschrieben. Damit wird herausgestellt, dass Kinder auch auf ihre soziale Umwelt großen Einfluss nehmen. Den wechselseitigen Interaktionsprozessen kommt dabei von Anfang an eine Schlüsselrolle zu. Für ein gesundes Aufwachsen in den ersten drei Lebensjahren ist insbesondere der Aufbau einer guten sozialemotionalen Beziehung zu den primären Bezugspersonen notwendig. Diese sogenannte Bindebeziehung wird durch ein sensitives und responsives Verhalten der Erwachsenen gegenüber dem jungen Kind gefördert (Grossmann, 2008). Das frühe Interaktionsverhalten wurde von Papoušek als intuitives Elternverhalten beschrieben (Lohaus; Ball; Lißmann, 2008). Dieses Verhalten hat didaktische Funktion und ist optimal auf die Reaktionen des Kindes abgestimmt. Heute werden diese Theorien insbesondere aus der Neurowissenschaft unterstützt, die diesem Resonanzverhalten, welches auch in späteren Lebensphasen nicht an Bedeutung verliert, existenzielle Bedeutung für einen gesunden Organismus zuschreiben (Rizzolatti, 2008). Das Kind erfährt damit ein hohes Maß an Bestätigung und Selbstwirksamkeit. Durch ein positives Bindeverhalten wird das psychologische Grundbedürfnis nach Sicherheit und Nähe erfüllt. Auf dieser positiven Vertrauensbasis kann das Kind seine Neugierde entfalten und Neuem mit Zuversicht begegnen. Diese Ausgangsbasis ermöglicht es, vielfältige Erfahrungen mit der sozialen Umwelt zu sammeln. Eine gute sozial-emotionale Beziehung zu den primären Bezugspersonen gilt als Resilienzfaktor, der das Kind bei schwierigen Lebensumständen zu unterstützen vermag. Neurobiologische Befunde verstärken heute die Bedeutung dessen, dass das Kind von Anfang an mit einer anregungsreichen Umwelt versorgt wird. Vielfältige Erfahrungen unterstützen den Aufbau unterschiedlicher Gehirnregionen. Fortlaufende Unterstützungen führen zum Aufbau von Verbindungen zwischen den Synapsen und fördern die Vernetzung der einzelnen Regionen. Anregungsarme Umgebungen mit wenig sozialen Kontakten und sensorischen Stimulationen haben dagegen negativen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder (BMFSFJ, 2009, 82).

Fazit

Die Auseinandersetzung mit dem Themenfeld „Kindheit heute“ heißt, den Fokus auf individuelle Kindheiten zu legen. Kindheiten werden von diversen Aufwachsbedingungen moderiert und durch individuelle Akteure bestimmt. Die Beschreibung von Kindheiten wird bis heute aus der Perspektive von Erwachsenen vorgenommen. Insbesondere mit dem Begriff „inszenierte Kindheiten“ wird deutlich, dass Kindheit bis heute, wie Bernfeld bereits 1925 treffend formuliert hat, überwiegend in einer Erwachsenengesellschaft verläuft (Liegle, 2008, 23). Am deutlichsten wird dies derzeit mit der staatlichen Verantwortung für das Aufwachsen der unter Dreijährigen in der FBBE. Das heutige Wissen über das Aufwachsen und die unterschiedlichen Verläufe von Kindheiten muss dazu führen, den Paradigmenwechsel, welcher sich mit der Kinderforschung manifestiert hat, auch im praktischen Handeln zu reflektieren, d. h. Kinder sind von Anfang an als Akteure wahrzunehmen und ihren Gedanken und Gefühlen ist nachzuspüren. Kindern müssen in der Erwachsenengesellschaft genügend „Freiräume“ zur Verfügung stehen, um im Sinne von Humboldt ihr Selbstbildungspotenzial im Spannungsverhältnis zwischen „Eigenem“ und „Fremdem“ zu entfalten. Der derzeitige Anspruch an inklusive Erziehung überfordert jedoch den Ansatz der „Pädagogik der Vielfalt“ (Prengel, 2006). Es wird zu schnell übersehen, welche Verantwortung dem institutionellen pädagogischen Handeln zukommt. Kinder müssen hier mit ihren Entwicklungsbedürfnissen wahrgenommen werden. Heterogenität ist nicht per se die Chance individueller Kindheiten. Ausgangspunkt für Bildungschancen der Individuen ist die Befriedigung primärer Bedürfnisse. Autonomes Handeln braucht eine vitale Basis. Insbesondere in den frühen Kindheiten gilt es, die psychischen Grundbedürfnisse im Auge zu behalten, um Kindern ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen. Die Erfahrung von Sicherheit und Vertrauen gilt als Resilienzfaktor, um sich auf heterogene Lebenswelten einzulassen. Heterogenität bezieht sich auf Kontextfaktoren und Entwicklungsverläufe, die das Aufwachsen bestimmen. Heterogenität ist dann als Chance zu begreifen, wenn Individuen die Möglichkeit eröffnet wird, ihre eigene Persönlichkeit zu entfalten. Kindheiten zu begleiten heißt demnach, in dem Spannungsverhältnis von Autonomie und Verbundenheit zu balancieren. Heute dominieren Kindheitsmuster, „welche die Kinder nicht nur früher und intensiver in die Individualisation drängen, sondern stärker als bisher vielfältigen sozialen Substrukturen aussetzen, die durch Kontraste und Übergänge gekennzeichnet sind“ (Ahnert 2009, 32).

Diese Herausforderungen in den individuellen Kindheiten können Kinder dann gut meistern, wenn sie über entsprechende Schutzfaktoren verfügen, die es ihnen ermöglichen, mit schweren Lebensphasen kompetent umzugehen. Ein sensibles Resonanzverhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen gilt als Chance, dass Kinder mit Neugierde und Interesse am Leben in der Gesellschaft partizipieren.

Literatur

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Iris Nentwig-Gesemann

Zur Geschichte der außerfamiliären Betreuung von Kindern unter drei Jahren in Kindertageseinrichtungen

Die Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern bis zu drei Jahren in Tageseinrichtungen ist derzeit ein sowohl öffentlich als auch fachwissenschaftlich viel und kontrovers diskutiertes Thema. Unumstritten ist dabei, dass dem quantitativen Ausbau der Krippenplätze nun eine Qualitätsoffensive folgen muss: Ohne eine deutliche Verbesserung der Strukturqualität, z.B. der Fachkraft-Kind-Relation, ohne eine spezialisierende Qualifizierung von pädagogischen Fachkräften für die Arbeit mit den Null- bis Dreijährigen und ihren Familien, ohne eine Berücksichtigung von entwicklungspsychologischen Erkenntnissen, vor allem aus der Bindungsforschung, und ohne eine intensive Begleit- und Wirkungsforschung in Bezug auf die Entwicklungs- und Bildungsprozesse, die sich im Rahmen der außerfamiliären Betreuung vollziehen, droht die in Gang gesetzte Reform in neue ideologische Kämpfe über die Verantwortbarkeit der frühen außerfamiliären Betreuung zu münden. Nicht zuletzt erscheinen für die zukünftigen Reformen ein Blick in die Geschichte und eine Aufarbeitung der unterschiedlichen pädagogischen Kulturen im Osten und Westen Deutschlands notwendig, um Herausforderungen und Chancen realistisch einzuschätzen und in Aus- und Weiterbildung darauf reagieren zu können.

Vor zwei Jahrzehnten prallten nicht nur gegensätzliche pädagogische Konzeptionen und strukturell-organisatorische Systeme der institutionellen Früherziehung sowie der Ausbildung der darin tätigen Fachkräfte aufeinander, sondern auch die über viele Jahre gewachsenen „Ideologien“ bezüglich der Erwünschtheit und Einschätzung außerfamiliärer Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Während in der DDR die berufstätige Mutter idealisiert wurde und das Angebot der außerfamiliären Betreuung absicherte, dass z. B. 1987 91 % der Frauen unter 60 Jahren erwerbstätig oder in Ausbildung waren (Ahnert, 1998), wurde in der Bundesrepublik das traditionelle Frauen- und Muttermodell gepflegt und jede nicht-mütterliche „Fremdbetreuung“ als prekäre und das Wohl des Kindes gefährdende „Notlösung“ gewertet. Wo man auf der einen Seite die Risiken und Herausforderungen der Krippenerziehung nicht sehen wollte, hat man auf der anderen Seite die darin steckenden Chancen und Bildungspotenziale nicht gesehen (Maywald, 2008) und die Bindungsfähigkeit von Kindern in den ersten drei Lebensjahren unterschätzt.

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