Die Katze des Dalai Lama und die Magie der Wünsche - David Michie - E-Book

Die Katze des Dalai Lama und die Magie der Wünsche E-Book

David Michie

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Beschreibung

Wie können wir im Hier und Jetzt glücklich sein – anstatt uns immer danach zu sehnen, was wir nicht haben? Mit dieser Frage empfängt der Dalai Lama die Top-Influencerinnen Indiens. Dabei wollten die jungen Frauen eigentlich nur schnell erfahren, wie man sich mit der Kraft der Gedanken die neueste Designer-Sonnenbrille oder sogar den Traummann herbeimanifestieren kann. Ein Anliegen, das auch die Katze seiner Heiligkeit brennend interessiert, wünscht sie sich doch gerade nichts sehnlicher als ein saftiges Stück Hühnerleber …
Im sechsten Band der Romanreihe rund um die Katze des Dalai Lama dreht sich alles um die magische Kraft unserer Wünsche. Auf leichte und vergnügliche Art vermittelt das Kätzchen buddhistische Weisheit – und zeigt, wie wir mit klarem Geist und mitfühlendem Herzen dauerhaftes Glück und wahre Erfüllung in unser Leben ziehen können.

  • Die neuen Abenteuer der »Katze des Dalai Lama«: Band 6 der beliebten Romanreihe.
  • Erleuchtungssuche auf vier Pfoten: die kleine Schneelöwin entdeckt diesmal das wahre Manifestieren

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Wie können wir im Hier und Jetzt glücklich sein – anstatt uns immer danach zu sehnen, was wir nicht haben? Mit dieser Frage empfängt der Dalai Lama die Top-Influencerinnen Indiens. Dabei wollten die jungen Frauen eigentlich nur schnell erfahren, wie man sich mit der Kraft der Gedanken die neueste Designer-Sonnenbrille oder sogar den Traummann herbeimanifestieren kann. Ein Anliegen, das auch die Katze seiner Heiligkeit brennend interessiert, wünscht sie sich doch gerade nichts sehnlicher als ein saftiges Stück Hühnerleber …

Diesmal dreht sich alles um die magische Kraft unserer Wünsche. Auf leichte und vergnügliche Art vermittelt das Kätzchen buddhistische Weisheit – und zeigt, wie wir mit klarem Geist und mitfühlendem Herzen dauerhaftes Glück und wahre Erfüllung in unser Leben ziehen können.

David Michie

Die Katze des Dalai Lama und

die Magie der Wünsche

Roman

Aus dem Englischen übersetzt

von Kurt Lang

Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel »The Dalai Lama’s Cat and the Claw of Attraction« im Verlag Conch Books, an imprint of Mosaic Reputation Management, Ltd.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

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Lotos Verlag

Lotos ist ein Verlag der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH.

ISBN 978-3-641-32312-7V001

Copyright © 2023 by Mosaic Reputation Management (Pty) Ltd.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2024 by Lotos Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Annegret Scholz

Alle Rechte sind vorbehalten.

Einbandgestaltung: Guter Punkt, München, unter Verwendung von Motiven von © Sanwenyu1/iStock/Getty Images Plus; © zorazhuang/iStock/Getty Images Plus; © thodonal/Adobe Stock; © Nynke van Holten/iStock/Getty Images Plus; © ingret/iStock/Getty Images Plus© KatikaM/iStock/Getty Images Plus

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

www.ansata-integral-lotos.de

www.facebook.com/Integral.Lotos.Ansata

Widmung

Mit herzlichem Dank an meine geschätzten Gurus:

Les Sheehy, ein außergewöhnlicher Quell der Inspiration und Weisheit;

Geshe Acharya Thubten Loden, unerreichter Meister und Verkörperung des Dharma;

Zasep Tulku Rinpoche, edler Vajra Acharya und Yogi.

Guru ist Buddha, Guru ist Dharma, Guru ist Sangha,

Guru ist die Ursache allen Glücks.

Ich verneige mich vor allen Gurus, suche bei ihnen Zuflucht und bringe ihnen Opfer dar.

Möge durch dieses Buch die Inspiration, die ich von meinen Gurus erhalten habe, Herz und Geist unzähliger Lebewesen erfüllen.

Auf dass alle Geschöpfe Glück und die wahren Ursachen des Glücks erfahren.

Auf dass alle Lebewesen frei von Leid und den wahren Ursachen des Leids sein mögen.

Auf dass alle Geschöpfe Glück ohne Leid erfahren – die große Freude und Befreiung des Nirwana.

Auf dass alle Geschöpfe in Ruhe und Frieden leben können, dass ihr Geist frei sei von Last und Zorn und frei von Gleichgültigkeit.

Prolog

Wie soll ich das Fahrzeug beschreiben, das langsam durch den Innenhof des Namgyal-Klosters fuhr? So etwas hatte ich noch nie gesehen, liebe Leser. Es war von außergewöhnlicher Länge – dreimal so lang wie eine gewöhnliche Limousine: ein riesiges, glänzendes Ungetüm von beinahe militärischer Anmutung, allerdings grellpink lackiert. Wie ein Raumschiff von einem anderen Planeten.

Nicht wenige Köpfe drehten sich danach um. Im Klosterhof befanden sich die üblichen Verdächtigen: Touristen, die den prächtigen Tempel vor der Kulisse der gewaltigen, schneebedeckten Berge des Himalajas fotografieren wollten; Mönche, die ihre nahe gelegenen Quartiere aufsuchten oder verließen; Händler, die vor den Klostertoren verschiedenste Erfrischungen verkauften – sie alle blieben stehen und beobachteten staunend, wie das Fahrzeug, das ja ganz offensichtlich Aufsehen erregen sollte, langsam zum Stehen kam.

Hinter den getönten Scheiben war nichts zu erkennen. Dann öffnete sich eine Tür und unter großem Gelächter kamen zehn aufgestylte junge Frauen auf High Heels herausgestöckelt. Sie hatten die Arme ausgestreckt, hielten Smartphones in den Händen und dokumentierten jeden ihrer Schritte mit einer Selfiesalve. Gruppenselfies. Einzelselfies. Selfies vor dem Tempel oder den aufragenden Berggipfeln in genau dem richtigen Winkel, damit neben ihren strahlenden Gesichtern auch ein funkelnagelneues Produkt – eine Handtasche, ein Armreif oder ein Kosmetikartikel – auf dem Bild zu sehen war.

Sie sahen sich um. »Das ist ja total spirituell!«, quietschten sie und sonnten sich in der Aufmerksamkeit der Umstehenden.

Es dauerte nicht lange, bis nach diesem aufsehenerregenden Auftritt wieder der Alltag im Innenhof des Klosters einkehrte. Der Namgyal liegt zwar abgeschieden am Fuße des Himalajas, doch da der Dalai Lama hier residiert, sind die Einheimischen an exzentrische Besucher gewöhnt – wie etwa die jungen Frauen, die sich nun der Reihe nach vor der Limousine ablichten ließen. Das grelle Pink bildete den größten nur denkbaren Kontrast zum gedämpften Goldton des Tempels und der eisblauen Transzendenz der Berggipfel.

Doch nicht alle ignorierten das seltsame Schauspiel. Sobald Seine Heiligkeit, der gerade von einer Besprechung aus dem Kloster zurückkam, das pinkfarbene Gefährt erblickte, deutete er darauf und prustete vor Lachen. Da er von zwei Leibwächtern und einer Schar Mönche begleitet wurde, konnten die Umstehenden zunächst nicht sehen, wer da so neugierig auf die Limousine zusteuerte, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Ich folgte dem Dalai Lama in ein paar Schritten Entfernung.

Seine Heiligkeit näherte sich mit kindlicher Faszination dem Heck der Limousine. Er klopfte mit den Fingerknöcheln auf die glänzende Karosserie und betrachtete die verspiegelten, getönten Scheiben. Dann bemerkte er die jungen Frauen auf der anderen Seite des Fahrzeugs. Sie hatten gerade mit dem Rücken zu ihm für ein Gruppenbild Aufstellung genommen. Ein verschmitztes Grinsen erschien auf dem Antlitz Seiner Heiligkeit.

Er schlich an der Seite des Wagens entlang. »Drei! Zwei! Eins!«, zählte der zum Fotografieren abkommandierte Chauffeur herunter. In genau dem Augenblick, in dem er den Auslöser drückte, trat der Dalai Lama von hinten ins Bild. Eine klassische Fotobombe, liebe Leser! Der Chauffeur staunte, dann brach er in Gelächter aus. Nun drehten sich auch die jungen Frauen um, erkannten Seine Heiligkeit und kamen mit begeistertem Kreischen auf ihn zugestürmt.

Die Leibwächter des Dalai Lama – große, stets wachsame und immer todernst dreinblickende Muskelmänner – stellten sich um ihn herum auf und wollten wissen, mit wem sie es zu tun hatten. Die topmodisch gekleideten Passagierinnen der pinkfarbenen Limousine verkündeten voller Stolz, dass es sich bei ihnen um niemand Geringeres handelte als die zehn beliebtesten indischen Influencerinnen unter 30, die es in den sozialen Medien auf insgesamt über 100 Millionen Follower brachten. Sie machten eine dreitägige Rundreise durch den Himalaja.

Die jungen Frauen waren ganz aus dem Häuschen, als sie sahen, wer da so unerwartet auf dem Gruppenfoto aufgetaucht war – und ihre Begeisterung wuchs, als die Leibwächter beiseitetraten und der Dalai Lama höchstpersönlich in ihre entzückten Gesichter blickte. »Influencerinnen?«, fragte er verwundert.

Eine groß gewachsene, dunkeläugige Schönheit in einem purpurroten Kleid wedelte ganz aufgeregt mit ihrer goldfarbenen Clutch. »Ihr wisst schon. Instagram. Soziale Medien«, erklärte sie, da sie offenbar befürchtete, Seine Heiligkeit sei wohl nicht ganz auf dem Laufenden.

»Gut, gut«, sagte der Dalai Lama. »So bekommt man viele Freunde«, sagte er und vollführte eine Wischbewegung auf einem imaginären Handy.

»Ganz genau!«, flöteten sie entzückt.

Seine Heiligkeit nahm mit der Linken die Hand der Frau in Rot und mit der Rechten die einer weiteren in einem zitronengelben Sari. »Und wozu nutzt ihr den Einfluss, den ihr auf diese 100 Millionen Menschen habt?«

»Um Sachen zu verkaufen!« Die Rotgekleidete zeigte ihm lachend die goldenen, ineinander verschlungenen Buchstaben des Logos einer bekannten Luxusmarke auf ihrer Clutch.

Direkt vor Seiner Heiligkeit stand eine Frau in Smaragdgrün und sah ihn an, als bestünde zwischen ihr und Seiner Heiligkeit eine tiefe Verbindung und als seien sie beide über solche Oberflächlichkeiten erhaben. »Ich helfe Frauen dabei, ihre heilige Sexualität zu entdecken.« Sie legte eine Hand aufs Herz. »Damit die Liebe Einzug in ihr Leben hält.«

Wenn Seine Heiligkeit von diesem doch recht intimen Geständnis überrascht war, ließ er sich nichts anmerken.

Die Frau im gelben Sari zu seiner Rechten hatte ebenfalls etwas beizutragen: »Ich zeige den Leuten« – sie musste die Stimme heben, um sich über den anschwellenden Lärm ihrer Kolleginnen hinweg Gehör verschaffen zu können – »dass sie alles sein können, was sie wollen!«

Die Frauen buhlten um die Aufmerksamkeit des Dalai Lama wie schmachtende Teenagerinnen, was sie ja teilweise auch waren. Sie gaben damit an, wie einflussreich sie waren, suchten seinen Rat oder wollten ein Selfie mit ihm, um es mit ihren Millionen Followern zu teilen – und das alles so schnell wie möglich! »Er soll uns zeigen, wie man manifestiert!«, rief eine aus dem Getümmel, als wäre Seine Heiligkeit überhaupt nicht anwesend.

Es folgte weiteres aufgeregtes Geplapper, bis eine resolute junge Frau in glänzendem Saphirblau ihre Berufsgenossin in Smaragdgrün grob zur Seite schob, vor Seine Heiligkeit trat, mit großer Geste ihre Handflächen vor der Stirn zusammenlegte und sich tief verbeugte. »Eure Spirituelle Hoheit, bitte erzählt uns mehr vom Gesetz der Anziehung.«

Daraufhin wurde es wieder leiser. Der Dalai Lama sah die Frau mit gutmütiger Belustigung an. »Das Gesetz der Anziehung?«

»Das kennt Ihr doch sicher!«, rief eine aus dem Haufen.

»Wie man durch Affirmation Dinge manifestiert, die man gerne hätte«, erklärte die Frau in Saphirblau. »Wie man das Universum dazu bringt, Fülle zu schaffen.«

»Ah, verstehe!« Seine Heiligkeit kicherte und warf seinem Assistenten Oliver, der sich ebenfalls in seiner Begleitung befand, einen Blick zu. Die beiden unterhielten sich gelegentlich über die vielen und nicht selten kuriosen Versuche geschäftstüchtiger Menschen aus dem Westen, philosophische Konzepte des Ostens als pseudospirituelle Weisheiten zu verpacken.

Der Dalai Lama sah der Frau in Saphirblau mit einem mitfühlenden Blick in die glühenden Augen. »Der Buddhismus lehrt, dass die Wirklichkeit nur ein Produkt unseres Verstandes ist.«

»Ja, ganz genau!« Sie nickte eifrig.

»Unser Verstand bestimmt, wie wir den gegenwärtigen Augenblick erleben.« Er sah den jungen Frauen in die aufmerksamen Gesichter. »Deshalb nehmen wir alle eine etwas unterschiedliche Realität wahr.«

»Und wie können wir eine Realität erleben, in der wir die neue mit Strass besetzte Sonnenbrille von …« – die Frau in Rot nannte ein Designerlabel – »haben, an die man so schwer rankommt?«

»Oder den perfekten Freund?« Nun drängte sich die junge Dame in Smaragdgrün wieder in den Vordergrund.

»Oder den zehnmillionsten Follower?«, wollte die im gelben Sari wissen.

Der Dalai Lama betrachtete stirnrunzelnd ihre geröteten, aufgeregten Gesichter. »Dieser Materialismus, der Wunsch, etwas zu ändern, was man als unabhängig von sich selbst betrachtet, bringt viele Probleme mit sich. Warum zum Beispiel sollte man sein Glück ständig hinauszögern?«

Diese Frage schien Indiens zehn beliebteste Influencerinnen unter 30 regelrecht zu schockieren. Sie starrten ihn bestürzt an. Keine wollte es sich zum Vorwurf machen lassen, ihr Lebensglück hinauszuzögern.

»Indem ihr euer Glück beispielsweise von einer neuen Strasssonnenbrille abhängig macht. Oder vom perfekten Verehrer.« Er kicherte und lächelte erst die Frau in Rot und dann die in Smaragdgrün an. »Oder von zehn Millionen Followern«, sagte er mit Blick auf die im gelben Sari. »Doch was sollen wir bis dahin machen? Wenn wir uns ständig nach materiellen Dingen sehnen, die wir noch nicht haben, ist das Glück immer knapp außer Reichweite. Um die nächste Ecke oder auf einem unbezwingbaren Berggipfel. Ist es nicht besser, im Hier und Jetzt glücklich und zufrieden mit dem zu sein, was man hat? Ohne ständig etwas anderes zu brauchen?«

Wie immer kommunizierte Seine Heiligkeit nicht nur mit Worten, sondern bewirkte, dass seine Zuhörerinnen die Bedeutung seiner Rede sozusagen am eigenen Leib erfuhren. Die Influencerinnen hörten wie gebannt zu.

»Mehr noch: Wie lange haben wir Freude an der neuen Sonnenbrille? Oder dem neuen Partner? Dem zehnmillionsten Follower?« Seine Heiligkeit hob zur Betonung den Zeigefinger. »Ein paar Wochen, vielleicht sogar Monate?« Er lächelte die junge Frau in Smaragdgrün an. »Doch irgendwann sind die Flitterwochen vorbei! Und dann gibt es eine neue Sonnenbrille von einer anderen Marke und man kann sich mit der alten nicht mehr blicken lassen.«

Ein Ruck ging durch die Influencerinnen. Es war, als hätte er eine Wahrheit ausgesprochen, die sie bereits kannten, der sie sich aber nicht stellen konnten – oder wollten. Mit nur wenigen Sätzen hatte er die Grundmauern einer Realität, die sie vorher nie infrage gestellt hatten, zum Einsturz gebracht. Nun war es vorbei mit dem Gekicher, der Vorwitzigkeit und den gekünstelten Posen. Jetzt stand eine Gruppe junger Frauen mit offener, ehrlicher Neugier vor ihm und lauschte aufmerksam seinen Worten.

»Einfluss ist Macht«, fuhr er mit nachdenklicher Miene fort. »Und wenn man damit nicht vorsichtig umgeht, kann sie sehr gefährlich sein. Zum Beispiel, indem wir unsere Besitztümer zur Schau stellen und dadurch Neid in anderen wecken.« Dabei vermied er es geflissentlich, jemand Bestimmten anzusehen. »Wenn die Follower das Gefühl bekommen, dass sie keinen Anteil an eurem Glück haben, macht sie das womöglich unzufrieden. Höchst bedauerlich, denn Leid hervorzurufen, ist das Gegenteil der wahren Ursache des Glücks: anderen zu ihrem Glück zu verhelfen. Außerdem schaffen wir damit die karmische Ursache dafür, dass wir in Zukunft dasselbe Leid ertragen müssen.«

Einige Frauen ließen die Köpfe hängen, die Augen der anderen füllten sich mit Tränen. Nur die junge Influencerin im gelben Sari wollte nicht so schnell klein beigeben. »Wollt Ihr damit sagen, dass wir unsere Hoffnungen und Träume aufgeben sollen?«, fragte sie. Sie war so von Gefühlen überwältigt, dass ihre Stimme brach.

»Aber nein, meine Liebe.« Der Dalai Lama wandte sich ihr zu und schüttelte energisch den Kopf. »Ganz und gar nicht. Weltlicher Ehrgeiz kann von Nutzen sein, da er besonders für junge Menschen eine großartige Motivation darstellt. Es ist auch nichts Verwerfliches daran, die profanen Freuden zu genießen, die sich uns bieten.« Dabei nickte er kichernd in Richtung der pinkfarbenen Stretchlimousine. »Aber wir müssen das große Ganze im Blick behalten und dürfen nicht vergessen, dass solche Dinge letzten Endes gar nicht so wichtig oder bedeutsam sind.« Er zuckte mit den Schultern. Was er sagte, war völlig selbstverständlich und die Möglichkeit der Nicht-Anhaftung an weltliche Dinge fühlte sich so real an wie die Brise, die von den Bergen her durch den Innenhof wehte. »Es ist besser, seinen Ehrgeiz auf andere Dinge zu richten.«

Die Frauen drängten sich aneinander, suchten beieinander Trost angesichts dieses herausfordernden Perspektivwechsels, mit dem sie Seine Heiligkeit mit sanften Worten, aber auch unausweichlicher Konsequenz konfrontiert hatte. Die Frau in Smaragdgrün und die in Saphirblau senkten die Köpfe. Ihre Blicke trafen sich und sie fassten sich an den Händen. Die anderen folgten, ganz spontan und ohne dass sie jemand dazu aufgefordert hätte, ihrem Beispiel. Kurz darauf hatten sie einen Kreis gebildet, in dem alle durch ihre Hände miteinander verbunden waren – und mit Seiner Heiligkeit.

»Aber wohin mit unserem Ehrgeiz?«, fragte die Frau in Rot.

Der Dalai Lama lächelte. »Wir sollten uns nach Kräften darum bemühen, Herz und Geist zu entwickeln«, sagte er, und sein strahlendes Lächeln brachte sie reihum dazu, die Köpfe wieder zu heben und ihm in die Augen zu sehen.

»Wenn wir begreifen, dass alle anderen Lebewesen, die mit einem Bewusstsein ausgestattet sind, genau wie wir nach Glück streben und Leid zu vermeiden trachten, dann weckt dies auf ganz natürliche Weise unsere Liebe und unser Mitgefühl.« Er legte den Kopf schief. »Wenn wir unsere Herzen öffnen, können wir die unglaublichsten Überraschungen erleben.«

Sobald die Worte Seiner Heiligkeit verklungen waren, beschloss ich, dass der Zeitpunkt für meinen Auftritt gekommen war. Ich schlüpfte durch die Beine der hinter ihm stehenden Mönche, rieb mich kurz an ihm, setzte mich dann in die Mitte des Kreises, den die jungen Frauen bildeten, und blickte zu ihnen auf.

»Die Katze des Dalai Lama!«, hauchten sie verblüfft.

»Die gibt es ja wirklich!«

»Total schön!«

Ich betrachtete ihre jugendlichen, wie vom Donner gerührten Gesichter. Wie groß der Luxus auch war, in dem die zehn berühmtesten Influencerinnen Indiens unter 30 auch lebten, welche Extravaganzen sie auch immer gewohnt sein mochten – nichts davon reichte an diesen Augenblick heran, den sie hier und jetzt im Innenhof des Namgyal-Klosters in Gegenwart des Dalai Lama und seiner Katze erlebten.

Die Frau in Saphirblau auf der gegenüberliegenden Seite des Kreises konnte sich eine Frage nicht verkneifen. »Wenn es beim Gesetz der Anziehung nicht um neue Sachen oder Beziehungen geht, was soll denn sonst damit angezogen werden?«

Seine Heiligkeit nickte. »Die inneren Werte, die für unsere Transformation nötig sind. Tugenden wie Gleichmut, von Herzen kommende liebende Güte, Weisheit. Mit dem richtigen Geistestraining können wir die begrenzte Wahrnehmung unserer selbst als Sack aus Fleisch und Blut, der sich nach diesem oder jenem sehnt, überwinden und erkennen, dass die Erleuchtung unser wahres Ziel ist.«

Die jungen Frauen starrten ihn wie gebannt an. Was er da sagte, erschütterte sie bis ins Mark. Und gleichzeitig – vielleicht lag es an der Gegenwart des Dalai Lama – erschien ihnen die bisher unbekannte Vorstellung, erleuchtete Bodhisattvas zu werden, nicht nur erstrebenswert, sondern auch erreichbar.

»Aber wo anfangen?«, fragte die Dame in Rot.

»Gibt es ein Geheimnis, wie man das macht?«, fragte die in Saphirblau.

»Am Anfang steht der Wunsch, unsere ständige Unzufriedenheit hinter uns zu lassen«, verkündete der Dalai Lama mit klarer Stimme. »Und die Erkenntnis, dass dies durch weltliche Aktivität nicht möglich ist. Auf dieser Grundlage« – er warf der Frau in Saphirblau einen Blick zu – »üben wir die Praktiken des Bodhichitta und Shunyata. Sobald wir diese vervollkommnet haben, ist unsere Aufgabe erfüllt.«

Die Wahrheit, die in seinen Worten lag, durchfuhr den Kreis wie ein Energieschub. Seine inspirierende Kraft versetzte sie alle einen Augenblick lang in einen Zustand der Transzendenz, der so real wie der Klosterhof war, in dem sie standen, so wirklich wie der Tempel und die Berge in der Entfernung – sogar wie die grellpinke Limousine.

Ich streckte die Vorderbeine und vollführte einen ausgiebigen Sonnengruß, auch wenn mir das aufgrund meines fortgeschrittenen Alters nicht mehr so anmutig und geschmeidig gelang wie früher. Dabei gab ich ein genüssliches Miauen von mir.

»Das Gesetz der Anmiezung!«, rief die junge Frau im gelben Sari, woraufhin alle in Gelächter ausbrachen.

»Behaltet diese Lektion über das Gesetz der Anmiezung immer im Gedächtnis!« Seine Heiligkeit zwinkerte ihnen zu.

Dann traten die Leibwächter vor, lösten die Hände des Dalai Lama mit geübten Bewegungen aus denen der Frauen und begleiteten ihn zu seinem nächsten Termin.

»Das war …« Die Rotgekleidete schüttelte den Kopf. »Mir fehlen die Worte.«

»Ich bin ein völlig neuer Mensch!«, verkündete die Smaragdgrüne überschwänglich.

Lange standen sie in ungewohntem Schweigen da, um das, was gerade geschehen war, zu verarbeiten. Schließlich hatte ich mich genug gedehnt und gestreckt und folgte Seiner Heiligkeit.

Ich hörte noch den bedauernden Ausruf der jungen Frau im gelben Sari hinter mir: »Jetzt haben wir noch nicht mal Selfies gemacht!«

Erstes Kapitel

Wenn es ums Essen geht, lieben wir Katzen nichts so sehr wie Abwechslung. Den verlockenden Duft einer unerwarteten Gaumenfreude, der aus unserem Futternapf aufsteigt. Das faszinierende Aroma eines uns unbekannten Leckerbissens, in den wir unsere Reißzähne hineinschlagen.

Da Seine Heiligkeit unterwegs war, um dem Kloster Sera einen Besuch abzustatten, servierte mir Tenzin an diesem Morgen das Frühstück. Die Marke des Katzenfutters, das er aus seiner Aktentasche holte, war mir völlig unbekannt, doch sobald er den Inhalt der Dose auf einen Unterteller gekippt hatte, erfüllte der kräftige Geruch von Meeresfrüchten den Raum.

»Lass es dir schmecken, KSH!« Tenzin begegnete mir stets mit einer gewissen Förmlichkeit, wozu auch gehörte, dass er mich mit den Initialen anredete, die meinen offiziellen Titel abkürzten: die Katze Seiner Heiligkeit. Als er den Unterteller vor mich auf den Boden stellte, tat er dies jedoch mit einem Ausdruck, den ich auf dem Gesicht dieses vollendeten Diplomaten bisher nur selten gesehen hatte – er machte sich noch nicht einmal die Mühe, seinen Abscheu zu verbergen. Wäre ich der Sprache mächtig gewesen, hätte ich ihn an eine Tatsache erinnern können, auf die uns auch der Dalai Lama des Öfteren hinwies: Nichts ist von sich aus angenehm oder widerwärtig. Unser Karma zwingt uns dazu, die Dinge auf die eine oder andere Weise zu betrachten.

Doch wäre mir, wenn auch nur für diesen Augenblick, die Gabe der menschlichen Sprache zuteilgeworden, hätte ich trotzdem nichts gesagt. Denn sobald der Unterteller den Boden berührte, hatte ich mich schon darauf gestürzt, den intensiven, ungewöhnlichen Duft eingesogen und mit hörbarem Genuss einen ersten Bissen genommen.

Tenzin las laut vor, was auf der Dose stand: »Ein Cocktail aus Kabeljau, Seezunge und Shrimps in einer reichhaltigen, schmackhaften Soße.«

Warum er das so interessant fand, war mir ebenso schleierhaft wie gleichgültig. Ich war vollauf mit dem Verzehr meines saftigen, leckeren Frühstücks beschäftigt.

Seit ich als kleines Kätzchen nach Dharamsala gekommen war, stellte die Nahrungsaufnahme eine meiner großen Leidenschaften dar. Als ich später in den Gemächern döste, die mir ohne den Dalai Lama einsam und verlassen vorkamen, wanderten meine Gedanken unwillkürlich zu derjenigen Person, die meine diesbezüglichen Bedürfnisse besser verstand als alle anderen, mich stets auf das Herzlichste willkommen hieß und mir verlässlich Leckereien und Appetithappen servierte. Es war höchste Zeit, Mrs. Trinci, ihres Zeichens Köchin Seiner Heiligkeit für besondere Anlässe, einen Besuch abzustatten!

Bis vor Kurzem wäre dies ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, dafür hatte sie viel zu weit vom Namgyal entfernt gewohnt. Doch als ich mich aus dem Kloster schlich, erinnerte ich mich an jene unerwartete und ganz zauberhafte Entdeckung, die dafür gesorgt hatte, dass sich mein größter Fan nun in Laufweite befand.

Mrs. Trincis Tochter Serena und ihr Mann Sid wohnten nur einen Katzensprung vom Namgyal-Kloster entfernt am Tara Crescent Nummer 21 in einem weitläufigen, weiß getünchten Bungalow mit einer breiten Veranda, die um das gesamte Gebäude herumlief. Das auffälligste architektonische Element der Villa war jedoch ein mit Zinnen bewehrter, zweistöckiger und mit Efeu bewachsener Turm. Der Raum an seiner Spitze verfügte über Panoramafenster zu allen vier Seiten, in dem ich schon viele Abende damit zugebracht hatte, die atemberaubende Aussicht zu genießen und stumme Zwiesprache mit der Sonne, dem Mond und den weit hinter und über dem Haus aufragenden eisbedeckten Gipfeln des Himalajas zu halten.

Nach ihrem Einzug und vor der Geburt ihres ersten Kindes – des mittlerweile drei Jahre alten Rishi – hatten sie tiefgreifende Veränderungen nicht nur am Haus, sondern auch am Garten vorgenommen, zu dem mehrere terrassenartig angelegte Rasenflächen und ein großer Kiefernwald dahinter gehörten. Ein riesiges Grundstück, auf dem es immer noch viele Entdeckungen zu machen gab.

Wie zum Beispiel an einem Nachmittag im letzten Sommer. Serena hatte sich mit Rishi zu einem Picknick an einer Stelle niedergelassen, an der sie noch nie zuvor gesessen hatte. Rote und violette Bougainvilleabüsche markierten das Ende der terrassierten Rasenfläche, dahinter lag der Wald – oder zumindest hatte es diesen Anschein gehabt.

Sid war aus dem Haus gekommen, um sich zu ihnen zu gesellen, doch kaum hatte er sich gesetzt, war er von einem geschäftlichen Anruf wieder aufgescheucht worden. Während des Telefonats war er vor dem kräftig leuchtenden Bougainvilleendickicht auf und ab gegangen und dabei war ihm etwas aufgefallen. Nach Beendigung des Gesprächs hatte er Serena zu sich gerufen, die auch kurz darauf neben ihm stand. Vor ihnen erstreckte sich bis zum etwa 20 Meter entfernten Waldrand eine ebene, vor nicht allzu langer Zeit von Gestrüpp befreite Schneise, an deren Ende ein prächtiger und für die Gegend völlig untypischer Baum stand.

»Eine Pinie!«, hatte Serena mit leuchtenden Augen gerufen. »Genau wie die in Ravello!«

Mrs. Trinci hatte oft davon gesprochen, sich irgendwann einmal im hoch über ihrer geliebten Amalfiküste gelegenen Örtchen Ravello zur Ruhe zu setzen. Aber das war nur ein sehnsüchtiger Wunschtraum, immerhin waren sowohl sie als auch ihre Tochter inzwischen viel zu stark in McLeod Ganj verwurzelt, um einen solchen Schritt ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

Doch wenn Mrs. Trinci nostalgisch wurde – was insbesondere bei einem Glas Chianti oder Vermentino vorkam –, schloss sie die Augen mit einem Flattern der dunklen Wimpern und beschrieb die paradiesischen Gefilde ihrer Kindheit: das weite, stille und kobaltblaue Mittelmeer, das sich bis in die Unendlichkeit ausdehnte. Das träge goldene Licht des Sommernachmittags, erfüllt vom Duft des Lavendels und dem Zirpen der Zikaden. Und darüber die in den Himmel ragenden Wächter der Küste, die Pinien, deren ausladende Äste Schutz vor Hitze und Regen boten und in deren Zweigen es stets von Geheimnissen aus uralten Zeiten wisperte.

»Aber ich liebe doch meine Bäume so sehr!«, heulte sie jedes Mal, wenn ihr Serena etwas zu unumwunden vorschlug, ihren Lebensabend in McLeod Ganj zu verbringen.

»Aber meine Bäume!«, rief sie, wenn jemand anzudeuten wagte, dass sie außer Sentimentalität nichts mehr mit dem Land ihrer Jugend verband.

Bei besagten Bäumen handelte es sich um Pinien – pinus pinea, auch als italienische Steinkiefern bekannt –, die sie seit ihrer Kindheit leidenschaftlich liebte. Und jetzt waren sie ganz unerwartet hier in McLeod Ganj auf ein hohes und überaus prächtiges Exemplar gestoßen.

Nun erzählte Sid Serena, dass er die Gärtner gebeten hatte, das dichte Gestrüpp hinter den Bougainvilleen zu beseitigen. Und dabei war nun der Baum in seiner ganzen Herrlichkeit zum Vorschein gekommen. Serena lief darauf zu und stellte sich entzückt darunter. Als sie sich zu Sid umdrehte, machte sie plötzlich eine verblüffte Miene. Dann erstrahlte ihr Gesicht aufs Neue vor Begeisterung. »Sieh dir das an«, rief sie aufgeregt.

»Was denn?«

»Komm her und sieh es dir an!«

Sid trat neben sie und drehte sich zu den Bougainvilleen um. Nun bemerkte auch er, was dem Blick von der anderen Seite verborgen geblieben war: Vor den hohen Rhododendren, die den gerodeten Streifen zu beiden Seiten begrenzten, zeichneten sich die kaum noch erkenntlichen symmetrischen Sandsteineinfassungen von Blumenbeeten ab, und bei genauerer Betrachtung kamen unter dem Laub ganz in ihrer Nähe eine kleine gepflasterte Fläche und ein moosbewachsenes Wasserbecken zum Vorschein.

»Das war einmal ein Garten!«, stellte Serena fest.

Sid näherte sich staunend den gewaltigen Bougainvilleen, ging in die Hocke, schob die dornigen Zweige beiseite und spähte hindurch. »Und wenn mich nicht alles täuscht, war dieser Schutthaufen hier einmal ein kleines Häuschen.« Er drehte sich zu ihr um. »Zwei Zimmer, nicht mehr.«

Sie kam zu ihm herüber, drückte die Blumen beiseite und warf einen Blick dahinter. Kurz darauf hatten sie die Überreste einer Mauer entdeckt. »Was für ein hübsches Plätzchen. Hier könnte man ein neues Haus bauen«, überlegte Sid. »Den Garten gibt es ja bereits. Mit einer Pinie, wie in Ravello.«

»Denkst du auch, was ich gerade denke?«, fragte Serena mit leuchtenden Augen.

»Aber selbstverständlich.« Sid zuckte mit den Schultern. »Es steht in den Sternen«, fügte der Maharadscha mit einem geheimnisvollen Lächeln hinzu. 

Schon einen Tag darauf war Mrs. Trinci zu Besuch gekommen, um den wiederentdeckten Garten zu inspizieren. Sie schlug sich durch die Bougainvilleen, betrachtete die großen Rhododendren, die den Garten einst begrenzt hatten, und bestaunte schließlich das größte Wunder überhaupt: die mächtige Pinie. Mit Tränen in den Augen näherte sie sich dem Baum wie einem heiß geliebten und schmerzlich vermissten Freund, den sie seit Jahrzehnten nicht gesehen hatte. Sie schlang die Arme um den Stamm und blieb lange so stehen, als würde sie Zwiesprache mit einem Landsmann halten, der genau wie sie so weit von zu Hause Wurzeln in diesem Dorf im Himalaya geschlagen hatte.

Die Entscheidung fiel an Ort und Stelle und schon ein paar Wochen später war Mrs. Trincis neues Häuschen geplant, die Genehmigung eingeholt und eine Baufirma beauftragt. Sid verfügte über die nötigen Beziehungen, und da es sich nicht um ein Großprojekt handelte, dauerte es auch nicht lange, bis das kleine, einfache Häuschen nach Mrs. Trincis Vorstellungen Wirklichkeit geworden war. Von einer offenen Wohnküche gelangte man auf die Veranda und den sattgrünen, neu angelegten Rasen des Gartens, an dessen gegenüberliegendem Ende der gewaltige, unverkennbar mediterrane Baum in den Himmel ragte, als wache er über das Anwesen.

Vorzugsweise abends, wenn auf der Baustelle Ruhe eingekehrt war, hatte ich mich persönlich über den Fortschritt der Arbeiten informiert, den merkwürdigen, strengen Geruch der Baumaterialien geschnuppert oder bei Bedarf die großen Sandhaufen benutzt. So hatte ich über mehrere Wochen hinweg beobachtet, wie zuerst das Fundament ausgehoben, die Mauern hochgezogen und dann die Dachbalken und schließlich das Dach selbst darüber errichtet wurden.

Die Spannung erreichte ihren Höhepunkt nach dem Wochenende, an dem Mrs. Trinci eingezogen war. Plötzlich bot sich mir ein ganzes, mit allen möglichen unbekannten Möbeln angefülltes Haus. Und da Mrs. Trinci nach dem Dalai Lama mein zweitliebster Mensch war – sie bezeichnete mich des Öfteren als schönste Kreatur auf Erden –, hatte sie selbstverständlich nichts dagegen, dass ich diese neue Örtlichkeit nach Herzenslust erkundete.

Bei meinem heutigen Besuch spazierte ich wie immer an der Seite des Häuschens entlang und durch die Schiebetür, die von der Veranda ins Wohnzimmer führte. Mrs. Trinci ließ sie stets offen stehen, um das Prana zirkulieren zu lassen.

»Oh, tesorina! Mein kleiner Schatz! Kommst du auch zum Tee?« Mrs. Trinci stand, angetan mit einer Schürze, in ihrer nagelneuen Küche und war mit dem beschäftigt, was sie am besten konnte: der Zubereitung köstlicher Leckereien.

Das entlockte mir ein gurrendes Miauen. Zwar wusste ich nichts davon, dass sie zum Tee geladen hatte, doch der Duft nach Gebackenem, der aus dem Ofen drang, war vielversprechend, und wenn Mrs. Trinci ihre Freunde und Verwandten verwöhnte, pflegte auch ich für gewöhnlich nicht leer auszugehen.

Ich lief zu dem Sofa, das der Küche am nächsten war, sprang auf die Sitzfläche, von dort auf die Armlehne, dann auf die Rückenlehne, wo ich mich niederließ und ihr dabei zusah, wie sie ihre Meisterwerke zauberte. Sie hatte das dunkle Haar zu einem Dutt zusammengebunden und die Goldreifen an ihrem rechten Arm klirrten laut bei jeder Bewegung. Sie war völlig in ihrer Arbeit versunken.

Ich hatte Mrs. Trinci schon mein ganzes Leben lang beim Kochen beobachtet, hauptsächlich in der Palastküche, wo sie die Mahlzeiten für die Ehrengäste des Dalai Lama zubereitete. Anfangs war sie sehr aufbrausend und von explosivem Temperament gewesen. Bis sie sich einmal – als ich noch ein Kätzchen war – länger mit dem Dalai Lama unterhalten hatte. Er hatte sie nach einem außergewöhnlich gut gelungenen Mittagessen mit einer Gruppe von UN-Botschaftern zu sich gerufen, um sich bei ihr zu bedanken. Das war Mrs. Trinci sichtlich unangenehm gewesen. Sie hatte seinen Dank kaum akzeptieren wollen und ihm sogar widersprochen, als er ihre Kochkünste als von »liebender Güte« erfüllt bezeichnet hatte.

»Wenn es doch nur so wäre, Eure Heiligkeit«, hatte sie zum Erstaunen – und Mitgefühl – des Dalai Lama gesagt, der sie mit erhobenen Händen zum Weiterreden ermutigt hatte.

»Ich habe Eure Lehren befolgt und mehrere Bücher über den Dharma gelesen. Darin ist ständig vom Geist des unendlichen Mitgefühls die Rede. Ich wünschte, mein Geist wäre auch so. Ist er aber nicht!« Sie hatte ihn mit großen, traurigen Augen unter mascaraschwarzen Wimpern angesehen. »Ich lebe allein und tue so gut wie nichts, um anderen zu helfen. Ich denke den ganzen Tag hauptsächlich an mich!«

»Aber Sie arbeiten doch hier«, hatte der Dalai Lama gesagt. »Und das auch noch freiwillig.«

Sie zuckte mit den Schultern.

»Sie bereiten meinen Gästen große Freude. Und mir selbstverständlich ebenso.« Er rieb sich mit einem drolligen Grinsen den Bauch.

Mrs. Trinci wirkte nicht überzeugt. »Aber womöglich sagt Ihr das nur aus Höflichkeit. Weil es sich so gehört.«

»Sie tut das aber ganz sicher nicht.« Seine Heiligkeit deutete auf das Fensterbrett, wo ich ausgestreckt neben einem leeren Unterteller lag und das Gespräch verfolgte. »Sie kann niemandem etwas vorspielen.«

Da hellte sich Mrs. Trincis Miene auf. »Ja«, sagte sie.

Seine Heiligkeit sah sie eine Weile lang forschend an. »Glauben Sie denn nicht, dass Sie durch das, was Sie tun, liebende Güte ausüben?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Noch nicht einmal, wenn Sie für uns kochen?«

»Da bin ich zu beschäftigt, um mich auf so etwas zu konzentrieren.«

»In diesem Fall habe ich ein offizielles Anliegen vorzubringen«, sagte der Dalai Lama nach einer weiteren längeren Pause mit plötzlich sehr ernster Stimme. »Von jetzt an werden Sie jedem Gericht, das Sie zubereiten, eine ganz bestimmte Zutat beifügen.« 

Mrs. Trinci sah ihn bestürzt an.

»Bodhichitta!«, sagte der Dalai Lama. »Wissen Sie, was das ist?«

»Der Wunsch, Erleuchtung zu erlangen, um alle Lebewesen ebenfalls an diesem Zustand teilnehmen zu lassen«, sagte sie, ohne zu zögern.

Er nickte. »Indem ich dieses Mahl zubereite« – er tat so, als würde er in einem Topf rühren – »wünsche ich allen Lebewesen köstliche Nahrung. Auf dass sie jeden Tag haben, was sie brauchen, und frei sind von Leid.«

»Das soll ich bei jedem Hauptgericht aufsagen?«, fragte sie.

»Bei jedem Gericht«, sagte er. »Bei jeder Tätigkeit, die Sie verrichten, ob Sie nun in der Küche sind oder nicht. So oft wie möglich. Rufen Sie sich das Bodhichitta in Erinnerung, sobald Sie Zeit zum Nachdenken haben.«

Mrs. Trinci machte eine skeptische Miene. Einen Augenblick lang sah es so aus, als wollte sie etwas sagen, doch dann besann sie sich eines Besseren.

»Nur heraus mit der Sprache.« Er sah ihr in die Augen.

»Bodhichitta gut und schön, aber nur, weil man sich etwas wünscht, wird es noch lange nicht Wirklichkeit«, ließ sie sich nach einer Weile vernehmen.

Ein Funkeln erschien in den Augen Seiner Heiligkeit. »Aber es wird Ihren Geist verändern. Sie haben gesagt, dass Sie hauptsächlich an sich selbst denken, nicht wahr? Doch was würde passieren, wenn Sie daran denken, anderen mit Güte zu helfen?«

Das reuige Lächeln, das sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, war Antwort genug.

»Was, wenn Sie Ihren Geist darauf trainieren, daran zu denken?«

»Dann wird es zu einem Teil dessen, der man ist.«

»Es bewirkt eine Veränderung. Am Anfang steht der Gedanke, anderen zu helfen. Dann folgt die Tat.« Lächelnd griff der Dalai Lama nach ihrer Hand. »Also vergessen Sie die Spezialzutat nicht.«

Seitdem hatte Mrs. Trinci in der Küche viel Zeit damit verbracht, sich das Bodhichitta in Erinnerung zu rufen, und mittlerweile fügte diese Spezialzutat jedem einzelnen Gericht hinzu, das sie für Seine Heiligkeit kochte. Sie versah die Scones damit, die sie für die Angestellten backte, und den Tee, den sie für die Assistenten oder für sich selbst und Serena kochte.

Und im Laufe der Jahre war die Walküre von geradezu wagnerischem Temperament sanfter und weniger aufbrausend geworden, als hätten sich jene mächtigen Schübe negativer Emotion in positive Gefühle verwandelt. Als hätte sich die Unzufriedenheit, die sich früher mit so viel Furor Bahn gebrochen hatte, in ihr Gegenteil verkehrt, sodass sie nun hin und wieder von mitfühlender Energie übermannt wurde.

Ich lag auf dem Sofa und schnurrte leise, denn ich wusste, dass sie in diesem Augenblick ihre Geheimzutat hinzufügte: Als sie den Teig aus der Schüssel in die Kuchenform gleiten ließ, tat sie das mit besonders konzentrierter Miene und bewegte leicht die Lippen dabei.

Wie von Seiner Heiligkeit vorhergesagt, war ihr das Bodhichitta in Fleisch und Blut übergegangen. Sie bedachte ihre Mitmenschen mit einer derart mitfühlenden Aufmerksamkeit, dass sie gelegentlich von einer schillernden Aura der liebenden Güte umgeben schien, die der des Dalai Lama nicht unähnlich war. Sie würde immer Mrs. Trinci bleiben – große Gesten, klirrende Armreifen, dramatische Ausbrüche –, doch gleichzeitig hatte sie auch eine Offenherzigkeit und leidenschaftliche Freigiebigkeit entwickelt, dass sich die Menschen um sie versammelten wie die Bienen um die verschwenderische Blütenpracht der Rhododendren in ihrem herrlichen Garten.

Zu behaupten, dass die archäologische Entdeckung jenes Nachmittags allein mir zu verdanken sei, wäre etwas zu hoch gegriffen, liebe Leser. Doch dass ich es war, die bei der Erkundung des noch unter wild wucherndem Gestrüpp verborgenen Teils des einstmals sehr gepflegten Gartens eine bemerkenswerte Entdeckung machte, ist unbestritten.

Es trug sich folgendermaßen zu: Um Punkt 16 Uhr klopfte es an der Tür und die ersten Gäste trafen ein. Es handelte sich um Serena, Sid und den kleinen Rishi. Sobald dieser mich erblickte, quiekte er vor Freude und rannte mit strahlendem Gesicht durch das Wohnzimmer auf mich zu.

Seine überschäumende Energie versetzte mir nach diesem bisher so trägen Nachmittag einen regelrechten Schock. Einer plötzlichen Laune folgend, sprang ich auf, und ohne auf ihn zu warten, rannte ich nach draußen. Rishi gluckste erfreut über dieses neue Spiel. Unter Nichtbeachtung der Ermahnung seiner Mutter, nicht zu schnell zu rennen, folgte er mir über die Veranda auf den neu angelegten Rasen hinaus.