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Studienarbeit aus dem Jahr 2001 im Fachbereich Didaktik - Sport, Sportpädagogik, Note: 1,0, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (Institut für Sportwissenschaften), Veranstaltung: Projektseminar Bewegtes Lernen in der Grundschule, Sprache: Deutsch, Abstract: Das sportwissenschaftliche Lexikon definiert Bewegung als „Ortsveränderung eines Körpers oder einzelner seiner Teile im Verhältnis zur Zeit“ und erforscht vor allem die damit zusammenhängenden motorischen Bedingungen.(1) Biologisch gesehen beruht aktive Bewegung auf „Energiefreisetzung durch den Stoffwechsel des Organismus“(2) Wenn wir nun aber genauer hinsehen, stellen wir fest, dass die menschliche Bewegung nicht nur eine „Orts- und Lageveränderung“ ist, sondern sie immer auch ihren Sinn und ihre Beweggründe hat. Hiermit nähern wir uns nun der phänomenologischen Sichtweise, die ganzheitliche Bewegungshandlungen im Sinnzusammenhang des Lebens eines Menschen beschreibt und erklärt. Die Erlebnisgehalte der Bewegung, ihre Ausdruckskraft und ihr dynamischer Ablauf werden bei dieser Betrachtung eine größere Bedeutung beigemessen, als die physikalische Raum-Zeit-Korrelation.(3) Bewegung ist aus dieser Sichtweise zum einen „Vermittlung zur Welt“, wir wenden uns durch das Medium Bewegung der Welt –dazu gehören Situationen, Personen, Dinge-, zu; zum anderen ist sie „Wahrnehmung der Welt“, wir erfahren, erleben und erkennen durch sie. Hierbei liefert uns die Haut, unsere kinästhetischen Sinne, unser Orts- und Gleichgewichtssinn, unser Sehen und Hören viele Eindrücke, Informationen, Erfahrungen und auch Einsichten über unsere Umwelt und über uns selbst im Zusammenhang mit ihr.(4) „Bewegung ist eine Art ‚Doppel-Medium‘, sie ist ein ‚Organ‘ der Erfahrung und ein ‚Instrument‘ der Gestaltung in einem; das heißt, sie ‚vermittelt‘ uns an unsere Mit- und Umwelt und diese umgekehrt an uns.“(5) [...] ______ 1 Vgl. Röthig, P. „Sportwissenschaftliches Lexikon“, Schorndorf 1977 2 Vgl. Brockhaus GmbH „dtv-Lexikon“, München 1999 3 Vgl. Größing, Stefan „Bewegungskultur und Bewegungserziehung“, Schorndorf 1993, S. 82 4 Vgl. Grupe, Ommo: „Bewegung, Spiel und Leistung im Sport. Grundthemen der Sportanthropologie, Schorndorf 1982, S.72,73 5 Grupe, Ommo: „Bewegung, Spiel und Leistung im Sport. Grundthemen der Sportanthropologie, Schorndorf 1982, S.72
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Die Bedeutung von Körper- und
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Das sportwissenschaftliche Lexikon definiert Bewegung als „Ortsveränderung eines Körpers oder einzelner seiner Teile im Verhältnis zur Zeit“ und erforscht vor allem die damit zusammenhängenden motorischen Bedingungen.1
Biologisch gesehen beruht aktive Bewegung auf „Energiefreisetzung durch den Stoffwechsel des Organismus“2
Wenn wir nun aber genauer hinsehen, stellen wir fest, dass die menschliche Bewegung nicht nur eine „Orts- und Lageveränderung“ ist, sondern sie immer auch ihren Sinn und ihre Beweggründe hat.
Hiermit nähern wir uns nun der phänomenologischen Sichtweise, die ganzheitliche Bewegungshandlungen im Sinnzusammenhang des Lebens eines Menschen beschreibt und erklärt. Die Erlebnisgehalte der Bewegung, ihre Ausdruckskraft und ihr dynamischer Ablauf werden bei dieser Betrachtung eine größere Bedeutung beigemessen, als die physikalische Raum-Zeit-Korrelation.3
Bewegung ist aus dieser Sichtweise zum einen „Vermittlung zur Welt“, wir wenden uns durch das Medium Bewegung der Welt -dazu gehören Situationen, Personen, Dinge-, zu; zum anderen ist sie „Wahrnehmung der Welt“, wir erfahren, erleben und erkennen durch sie. Hierbei liefert uns die Haut, unsere kinästhetischen Sinne, unser Orts- und Gleichgewichtssinn, unser Sehen und Hören viele Eindrücke, Informationen, Erfahrungen und auch Einsichten über unsere Umwelt und über uns selbst im Zusammenhang mit ihr.4„Bewegung ist eine Art ‚Doppel-Medium‘, sie ist ein ‚Organ‘ der Erfahrung und ein ‚Instrument‘ der Gestaltung in einem; das heißt, sie ‚vermittelt‘ uns an unsere Mit- und Umwelt und diese umgekehrt an uns.“5
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GRUPE weist darauf hin, dass Bewegung immer auch an kulturelle oder geschlechtsspezifische Werte geknüpft ist. MAUSS6schreibt hierzu, dass sich Bewegungen im weiteren Sinne, wie Eß- und Schlafgewohnheiten, Geburts- und Liebestechniken, Gang und Haltung, in erkennbarer Weise zwischen einzelnen Kulturen unterscheiden. Dass die Bewegung nichts Konstantes ist, haben Untersuchungen über geschichtliche Veränderungen der Bewegungen, die u.a. von NITSCHKE7und EICHBERG8durchgeführt wurden, gezeigt.9
Wie einleitend bereits angesprochen, beinhaltet die Bewegung aus phänomenologischer Sichtweise, von der wir ausgehen, immer eine Bedeutung und Sinn. OMMO GRUPE unterscheidet, von der Alltagswirklichkeit des Menschen ausgehend, vier unterschiedliche Bedeutungsdimensionen von Bewegung:
1. Die instrumentelle Bedeutung
Mit seiner Bewegung kann der Mensch etwas erreichen, herstellen, ausdrücken, darstellen und durchsetzen, aber auch erfahren, erproben und verändern.„Bewegung wird im Alltag, im Sport, im Arbeitsleben und im sozialen Umgang mit anderen funktional und instrumentell benutzt, als eine Art ‚Werkzeug‘, um etwas zu erreichen, durchzusetzen, herzustellen.“10Die instrumentelle Bedeutung ist in einem gewissen Sinne für alle anderen Bewegungsbedeutungen grundlegend.
2. Die wahrnehmend -erfahrende Bedeutung (explorierend-erkundende Bedeutung)Durch seine Bewegung erfährt der Mensch etwas über seine Körperlichkeit, über materiale Eigenschaften von Dingen und über Personen. Bewegung kann zu diesem Zweck bewußt instrumentell eingesetzt werden, der Erfahrungsgewinn kann aber auch eher beiläufig und zufällig erfolgen.
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3. Die soziale Bedeutung
Die Bewegung ist in diesem Sinne ‚Vermittelndes Element‘ bei der Interaktion mit anderen . Für diese sozialen Beziehungen bietet in erster Linie unser leiblich-motorischer Apparat die Möglichkeit, in sozialen Situationen zu handeln, mit anderen Menschen umzugehen, Verbindungen zu ihnen aufzunehmen, aufrechtzuerhalten oder sie auch abzubrechen. Solche sozialen Bedeutungen der Bewegung besitzt man nicht so einfach, man muss sie lernen und man erwirbt sie durch die Bewegung.
4. Die personale Bedeutung
In seiner Bewegung und durch sie erlebt und erfährt sich der Mensch selbst, er kann sich entsprechend verändern und verwirklichen. Sie trägt dazu bei, sich selbst immer besser kennenzulernen.11
GRUPE macht darauf aufmerksam, dass im Auge zu behalten sei, wie sehr diese Bedeutungen, oder auch „Funktionen“, zusammenhängen, miteinander verschmelzen, aber auch unterschiedliche Akzente darstellen können.12
Abschließend zu dieser kleinen, grundsätzlichen Darstellung von Bewegung möchte ich zu der Frage „was ist Bewegung“ Überlegungen von der Kinderbuchautorin CHRISTINE MERZ anführen, die diese Frage im Bezug auf deren Bedeutung für Kinder beschreibt.
Sie nähert sich dem Thema an, indem sie verdeutlicht, dass Bewegung sehr viel mit Beweglichkeit, mit beweglich-sein zu tun hat.„Und dies eigentlich im Hinblick auf ‚Fortbewegung‘- AUF SICH HINBEWEGEN ZU EINEM ZIEL. Zielgerichtetes Fortbewegen. Groß werden wollen, etwas können, Dinge beherrschen, dazulernen...
.....Bewegtheit und Bewegung sind dynamische Angelegenheiten, die Phantasie und Kreativität im Umgang mit ihnen verlangen. Nicht umsonst ist Un-Beweglichkeit, ist Starrheit, eine der großen Gefahrenim körperlichen wie im seelischen Bereich.“13
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Ferner schreibt sie, dass Körper, Geist und Seele aneinander gebunden sind.„Wer die Seele pflegt - tut etwas für seinen Körper, wer seinem Körper Gutes tut - pflegt seine Seele.“14
Dies ist eine schöne Überleitung zu unserem zweiten Punkt „Bewegung als anthropologisch begründbares Grundbedürfnis von Kindern“, bei dem das Gleichgewicht von Körper, Geist und Seele als wichtige anthropologische Auffassung gilt. (Siehe „Leiberfahrung als ganzheitliche, unmittelbare und existentielle Erfahrung“, S.8).
Nicht zu vergessen, gerade im Bezug auf Kinder, ist, dass Bewegung Ausdruck ihrer LEBENSFREUDE -zugleich aber auch ein wichtiges Mittel zur Förderung ihrer Entwicklung ist. Gelernt und Erfahren wird im frühen Kindesalter in erster Linie über Wahrnehmung und Bewegung. Diese unbestrittene Erkenntnis werden wir in den folgenden Kapiteln fundierter darlegen.
In diesem einleitenden Kapitel unserer Seminararbeit möchte ich versuchen, den anthropologischen Hintergrund unseres Themas deutlich zu machen. Dies bedeutet, konkret vom Menschen auszugehen, von seiner Beziehung zu seinem Körper, seinem Verhältnis zu seiner Welt und Umwelt. Hierbei spielt jedoch nicht nur das Individuum allein eine Rolle, sondern es muss mit sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Einflussfaktoren verknüpft werden. Individuelles und Soziales verbinden sich jeweils.
Auf die Frage, warum sich die Sportpädagogik mit anthropologischen Fragestellungen befasst, schreibt GRUPE:„Ein wichtiger Grund für die Beschäftigung mit anthropologischen Fragen liegt darin, dass wohl allen grundlegenden pädagogischen Entscheidungen, Handlungen und Maßnahmen -mehr oder weniger deutlich- Vorentscheidungen
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anthropologischer Art zugrundeliegen, bzw. dass sie auf einer bestimmten Sicht auf den Menschen beruhen.“15
Für BOLLNOW16stellt die Anthropologie auch ein „Schlüssel“ zum Vorverständnis von pädagogischen Systemen dar.
Als anthropologische Vorentscheidungen können beispielsweise Annahmen über die „Freiheit“ des Menschen als Person im Sinne von Wahl-, Entscheidungs-, und Willensfreiheit gezählt werden, sowie das Verhältnis des Individuums zu Gemeinschaft, Kultur und Gesellschaft, aber auch über das Angewiesensein des Kindes auf Hilfe und Beistand.
Eine der tragenden Grundannahmen anthropologischer Betrachtungsweise ist die Möglichkeit des Menschen zu freiem Handeln und verantwortlichem Entscheiden. So sind die Erziehungsideen vieler Pädagogen und auch ganzer pädagogischer Systeme in bezug auf Wert, Notwendigkeit und Bedeutungseinschätzung der Leibeserziehung von solchen Grundannahmen über den Menschen bestimmt.17
Alle vorhandenen Bewegungslehren haben ein Menschenbild zur Grundlage, von dem sie in ihrer bewegungstheoretischen Annahmen ausgehen. So betrachtet die Biomechanik den Menschen als mechanischen Körper, dessen Aktionen und Möglichkeiten vor allem unter dem Blickwinkel der traditionellen Physik betrachtet werden und verstehbar erscheinen. Das kybernetische Modell der Sensomotorik betrachtet den Menschen vor allem unter dem Aspekt seiner Steuerungsfunktionen. Untersucht werden hier die Bewegungsreize, die ein bestimmtes Bewegungsergebnis provozieren.18