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Hochzeit mit Hindernissen Lotte scheint es wie ein Wink des Schicksals, als der Landfrauenverband der Lüneburger Heide einen Wettbewerb für junge Unternehmerinnen ausschreibt, die sich für die Region einsetzen. Kann sie so endlich ihren Traum verwirklichen und sich als Hochzeitsplanerin selbstständig machen? Jedes Dorf darf eine Kandidatin ins Rennen schicken und die Bienenbeeker stellen Lotte für den Wettbewerb die romantische Windmühle am Dorfrand zur Verfügung. Zu schön um wahr zu sein? Definitiv! Denn die Braut, deren Traumhochzeit Lotte auf die Beine stellen soll, hält so gar nichts von einer rustikalen Feier auf dem Land. Und warum muss ausgerechnet Heidschnuckenschäfer Max als Trauzeuge immer genau dann amüsiert zusehen, wenn Lotte von einem Chaos ins nächste stolpert? Ein turbulenter Wohlfühlroman für Fans von Susanne Oswald und Sonja Flieder. Alle Bände in der Bienenbeek-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.
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Seitenzahl: 422
Über dieses Buch:
Lotte scheint es wie ein Wink des Schicksals, als der Landfrauenverband der Lüneburger Heide einen Wettbewerb für junge Unternehmerinnen ausschreibt, die sich für die Region einsetzen. Kann sie so endlich ihren Traum verwirklichen und sich als Hochzeitsplanerin selbstständig machen? Jedes Dorf darf eine Kandidatin ins Rennen schicken und die Bienenbeeker stellen Lotte für den Wettbewerb die romantische Windmühle am Dorfrand zur Verfügung. Zu schön um wahr zu sein? Definitiv! Denn die Braut, deren Traumhochzeit Lotte auf die Beine stellen soll, hält so gar nichts von einer rustikalen Feier auf dem Land. Und warum muss ausgerechnet Heidschnuckenschäfer Max als Trauzeuge immer genau dann amüsiert zusehen, wenn Lotte von einem Chaos ins nächste stolpert?
Über die Autorin:
Julia Reymers, geboren 1989 in Hamburg, studierte Germanistik und Geschichte in ihrer Heimatstadt. Sie ist als Lehrerin tätig und vor Kurzem mit ihrem Mann und ihrer Tochter in die Lüneburger Heide gezogen. Wenn sie dort nicht gerade auf der Suche nach Ideen für romantische Liebesgeschichten ist, dann verbringt sie jede freie Minute in ihrem bienenfreundlichen Garten.
Die Autorin im Internet:
www.julia-reymers.de
www.instagram.com/juliareymers/
www.facebook.com/juliareymers
In ihrer »Willkommen in Bienenbeek«-Reihe veröffentlichte Julia Reymers bei dotbooks die Romane »Das kleine Haus in der Heide« – auch als Hörbuch bei SAGA Egmont erhältlich –, »Die kleine Gärtnerei in der Heide« und »Die kleine Mühle in der Heide«. Weitere Bände sind in Planung.
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Originalausgabe August 2024
Copyright © der Originalausgabe 2024 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Monia Pscherer
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-98952-169-8
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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!
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Julia Reymers
Die kleine Mühle in der Heide
Willkommen in Bienenbeek – Band 3
dotbooks.
Paula ächzte und klapperte, als ich die sandige Anhöhe hinauffuhr.
»Gleich sind wir da«, sprach ich meinem alten hellblauen Bulli gut zu.
Der Weg nahm eine scharfe Kurve, und dann war es tatsächlich geschafft. Ich atmete erleichtert auf und brachte Paula auf dem Parkplatz, der aus einer kleinen Kiesfläche bestand, zum Stehen. Staunend blinzelte ich durch die Windschutzscheibe nach draußen. Was für eine atemberaubende Kulisse, dachte ich, während mein Herz einen Freudenhüpfer machte. Obwohl ich müde von der langen Fahrt war und jeden meiner Knochen spürte, durchströmte mich plötzlich eine neue Energie. Schwungvoll öffnete ich die Fahrertür und sprang aus dem Auto. So schnell mich meine Füße trugen, lief ich den Rest des Hügels hinauf. Oben angekommen, blieb ich ehrfürchtig stehen. Das war sie also – die sagenumwobene Bienenbeeker Windmühle.
Seit über einhundert Jahren thronte sie hier oben auf dem Hügel, wie ich einem kleinen Holzschild an der Fassade entnehmen konnte. »Anno 1897« stand dort geschrieben. In all den Jahren hatte das Bauwerk nichts von seinem Charme verloren, ganz im Gegenteil. Ich trat näher an den achteckigen Rumpf heran und fuhr mit der Hand über den roten Backstein, der sich angenehm kühl anfühlte. Fasziniert wanderte mein Blick an der Mühle empor, deren obere Hälfte mit weißen Schieferplatten verkleidet war. Zusammen mit den weißen Mühlenflügeln bildete dies einen schönen Kontrast zum alten Mauerwerk.
Zwei kleine Bienen, die vergnügt durch die Luft summten und sich zielstrebig auf einer der bunt blühenden Stauden am Fuß der Mühle niederließen, erregten meine Aufmerksamkeit. Erst nach einer Weile konnte ich mich von dem Anblick losreißen und schlenderte um die Mühle herum. Auf der anderen Seite führte eine Steintreppe hinauf zu einer alten Holztür. Gedankenverloren strich ich über das kunstvoll geschmiedete Geländer, an dem zahlreiche Liebesschlösser hingen. Sophie & Sebastian stand auf einem der neueren Exemplare.
Ich schmunzelte und schaute auf die Uhr. Wie immer war ich viel zu früh – wahrscheinlich war das eine Berufskrankheit. In meinem Job als Eventplanerin war Pünktlichkeit das oberste Gebot. Die meisten Dinge gingen nämlich vor den Veranstaltungen schief und nicht währenddessen. Gerade als ich überlegte, noch eine kleine Pause auf Paulas gemütlicher Sitzbank einzulegen, öffnete sich oben knarzend die Tür und eine zierliche Person trat ins Freie.
»Lotte! Zum Heidegeist, hast du mir einen Schrecken eingejagt!«
Ich unterdrückte ein Lachen. »Ach Christa, ich bin es doch nur.«
Christa kam kopfschüttelnd die Treppe herunter und drückte mich so fest, dass mir für einen Moment die Luft wegblieb. »Schön, dass du da bist, mien Deern. Auch wenn ich noch gar nicht mit dir gerechnet habe.« Sie strich sich eine widerspenstige Locke zurück, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatte. »Eigentlich wollte ich drinnen noch einmal durchfeudeln. Durch die Renovierungsarbeiten ist so viel Dreck entstanden.«
»Christa, das tut wirklich nicht Not. Das kann ich später machen.« Ich schälte mich aus meinem hellblauen Blazer. Die Temperaturen waren schon hochsommerlich warm, obwohl es gerade einmal Mitte Mai war.
»Komm rein.« Christa schritt so energisch die Treppe hinauf, dass ich Mühe hatte, hinterherzukommen. Ich staunte immer wieder, wie fit sie für ihr Alter war. Kaum waren wir durch die Eingangstür getreten, hörte man ein lautes Surren näherkommen.
»Wartet!«, krakeelte es von unten.
»Fritz!« Überrascht streckte ich den Kopf aus der Tür. »Was machst du denn hier?«
»Moment, mien Deern.« Christas Mann nahm seinen neongelben Fahrradhelm ab und hängte ihn an den Lenker seines E-Bikes, das immer noch Geräusche von sich gab. »Ach, wie war das noch?« Er kratzte sich am Kopf und fummelte hektisch an dem Bordcomputer herum.
»Du musst den Aus-Knopf drücken!«, rief Christa und trat an das Geländer.
»Wie bitte?« Fritz blickte irritiert zu ihr hoch.
»Den AUS-Knopf!«, wiederholte Christa laut und gestikulierte in der Luft herum. »So langsam wird er schwerhörig, aber das will der Gute nicht wahrhaben«, raunte sie mir zu.
Ich beobachtete amüsiert, wie Fritz sich mit dem E-Bike abmühte und es umständlich zur Seite schob.
»Weißt du, wir haben uns letztes Jahr E-Bikes gekauft, damit wir mobil bleiben«, erklärte Christa, während Fritz langsam die Treppe hinaufstieg.
»Unsere Knie, sag ich nur, unsere Knie.« Er kam grinsend auf mich zu und drückte mich ebenfalls zur Begrüßung.
»Dein Knie, Fritz, dein Knie.« Christa zog eine Augenbraue nach oben. »Immerhin bin ich zwei Jahre jünger als du.«
»Weiß ich doch, Puffelchen, weiß ich doch.« Wie so oft blitzte ein schelmischer Ausdruck in Fritz’ Augen auf. Das war wahrscheinlich der Grund, warum er trotz seiner achtzig Jahre noch so eine jugendliche Ausstrahlung besaß.
»Hat Lotte denn schon eine Führung bekommen?«, fragte Fritz, als wir gemeinsam das untere Stockwerk der Mühle betraten.
»Ich wollte gerade anfangen …«, meinte Christa, wurde aber sofort von ihrem Mann unterbrochen.
»Du musst wissen, Lotte, dass ich der erste Vorsitzende des Mühlenvereins bin. Ich habe ihn vor einem Jahr gegründet, um dieses wunderbare Bauwerk vor dem Verfall zu retten.«
Ich blickte mich neugierig um, während Fritz mir noch einmal minutiös die Vereinshistorie zum Besten gab, obwohl ich sie natürlich schon kannte. Durch meine beste Freundin Sophie hatte ich quasi live mitverfolgt, wie Fritz im letzten halben Jahr jede freie Minute in die Sanierung der Mühle gesteckt hatte.
»Da habt ihr ganze Arbeit geleistet«, sagte ich anerkennend und trat näher an eines der kleinen Rundbogenfenster, die das Mühlenzimmer mit Sonnenlicht fluteten. Ebenso wie die urigen Stützbalken an der Decke und die alten Eichendielen waren sie sorgfältig aufgearbeitet worden. Bislang hatte ich die Ergebnisse nur auf Fotos gesehen – in der Realität waren sie jedoch noch viel beeindruckender.
»Der Mühlenverein hat durch Spenden alles originalgetreu restauriert«, kommentierte Fritz stolz. »Obwohl es zunächst aussah, als wäre nichts mehr zu retten gewesen.«
»Oh, wirklich?«, fragte ich abgelenkt, während ich entzückt ein Ölgemälde betrachtete, das die Mühle zu verschiedenen Jahreszeiten zeigte.
»Nun, mien Deern, die Mühle stand über vierzig Jahre leer. Der Holzwurm hat sich durchgefressen. Und die Feuchtigkeit.« Fritz hob bedauernd die Hände. »Früher wurde hier Buchweizen gemahlen. Wusstest du, dass es sich dabei gar nicht um Getreide, sondern um ein Knöterichgewächs handelt und …«
»Fritz, nun langweile Lotte doch nicht mit Details«, ging Christa energisch dazwischen und zog mich ein Stück zur Seite. »Lotte, ich finde, dass du und die Mühle einfach wie geschaffen füreinander sind! Ich sehe es schon bildlich vor mir, wie hier glückliche Paare vermählt werden.«
»O ja«, hauchte ich. »An dem alten Eichentisch dort drüben könnten sie sitzen! Und die Trauzeugen könnten auf der süßen Bank daneben Platz nehmen.« Ich deutete auf eine grün gestrichene Bank, die mit kunstvollen Schnitzereien verziert war.
»Ach, und danach wird hier richtig geschwooft.« Christa machte eine ausladende Bewegung mit den Händen. »Es passen bestimmt sechzig Leute herein.«
»Aber nicht zu wild, Lotte.« Fritz hob mahnend den Zeigefinger. »Die Mühle steht unter Denkmalschutz. Ich wiederhole: Denk-mal-schutz!«
»Klar, Fritz, das weiß ich «, beruhigte ich ihn.
»Und Anfang Juli steigt das große Mühlenfest, mien Deern.« Fritz’ Stimme überschlug sich beinahe. »Die Presse hat sich auch schon angekündigt! Bis dahin muss hier alles tipptopp aussehen. Ich betone: Tipptopp.«
»Klar«, wiederholte ich. »Ich passe auf.«
Fritz nickte ernst. »Wir bereiten uns schon seit Wochen auf das Fest vor. Schließlich werden alle Einnahmen der Mühle zugutekommen – und das Geld können wir weiß Gott gut gebrauchen.«
»Weiß ich doch, Fritz, weiß ich doch.« Es war wirklich rührend, mit wie viel Herzblut er dabei war.
»Und hier geht es nach oben«, setzte Christa die Führung fort. »In der ersten Etage wurde früher Mehl gemahlen, nun ist eine kleine Wohnung daraus geworden.« Wir folgten ihr eine enge Wendeltreppe hinauf, die laut Fritz noch aus dem Baujahr der Mühle stammte. Ein Tischler aus Bienenbeek hatte sie aufwändig restauriert.
»Willkommen in deinem neuen Zuhause.« Christa breitete fröhlich die Arme aus.
»Wow«, hauchte ich. Auch dieser Raum wurde durch zahlreiche Fenster in ein warmes Licht getaucht. Verzaubert trat ich an eines heran und blickte auf die beeindruckende Heidelandschaft, die sich rund um die Mühle erstreckte.
»Fritz, du und deine Jungs habt euch selbst übertroffen«, urteilte ich, nachdem ich mich einmal um die eigene Achse gedreht hatte. Sogar das alte Himmelbett aus Eichenholz, das in einer gemütlichen Nische stand, erstrahlte im neuen Glanz.
»Man hätte nicht gedacht, dass das hier alles noch rechtzeitig fertig wird«, sagte Christa seufzend.
»Allerdings«, gab ich ihr Recht. Eigentlich hatte ich die Mühle schon vor einiger Zeit besichtigen wollen, doch war von Fritz immer wieder vertröstet worden – die Sanierung war natürlich viel chaotischer und aufwändiger gewesen als gedacht.
»Zum Glück hat mit dem Wettbewerb trotzdem alles geklappt«, setzte Christa an, aber nun war sie es, die unterbrochen wurde.
»Hast du schon das absolute Highlight gesehen?« Fritz deutete auf einen großen runden Stein in der Mitte des Raums. »Das ist der originale Mahlstein.« Andächtig strich er über die eingearbeiteten Rillen. »Er funktioniert wieder. Ich habe das Mahlwerk nämlich eigenhändig repariert und …«
»… und hier ist das Bad«, wurde er von Christa übertönt. »Klein, aber fein.« Sie öffnete eine Tür, hinter der sich eine Kammer mit Dusche, Waschbecken und Toilette verbarg. Obwohl die Mühlenwohnung im Vergleich zu meinem Stadtapartment in Münster wirklich winzig war, fühlte ich mich hier auf Anhieb wohl.
Plötzlich hörte man von unten ein Klopfen.
»Hallo? Seid ihr da oben?«, rief eine Frauenstimme.
Christa zuckte zusammen und strich hektisch eine Falte in meiner Bluse glatt. »Setz dein strahlendstes Lächeln auf und komm mit«, flüsterte sie mir verschwörerisch zu und zog mich zur Treppe.
»Du musst Lotte sein«, begrüßte mich eine Frau mit blondem Pferdeschwanz, die ich auf etwa Mitte vierzig schätzte. Im Schlepptau hatte sie einen braunen Dackel, der heftig an der Leine zog. »Ich bin Karin Matzinger, die neue Bürgermeisterin von Bienenbeek. Und natürlich erste Vorsitzende der Landfrauen für die gesamte Heideregion.« Sie streckte mir förmlich die Hand zur Begrüßung hin.
»Sehr erfreut«, erwiderte ich und verzog kurz das Gesicht. Karin hatte einen äußerst kräftigen Händedruck.
»Wollen wir uns setzen?« Karin wartete meine Antwort nicht ab, sondern zog beherzt zwei Holzstühle an den alten Eichentisch heran.
Ich versuchte, meine aufkommende Nervosität durch einen freundlichen Gesichtsausdruck zu überspielen. »Es ist mir eine Ehre, dass ich dabei sein darf.«
Karin lächelte mir unverbindlich zu, setzte den Dackel auf ihren Schoß und holte einige Unterlagen aus ihrer Handtasche. »Christa, die Ortsvorsitzende der Bienenbeeker Landfrauen, kennst du ja schon. Mensch, Christa, komm doch her.«
Christa, die sich zögerlich im Hintergrund gehalten hatte, nahm sich ebenfalls einen Stuhl. Aus der ersten Etage konnte man währenddessen Gefluche und Gepolter vernehmen. Der Dackel winselte und verbarg seinen Kopf in Karins Armbeuge.
Was zum Teufel macht Fritz da?, fragte ich mich irritiert.
»Gut. Zu Anfang erläutere ich dir noch einmal die Grundsätze unseres Wettbewerbs. So wollen es die Regularien.« Karin griff nach einem Zettel. »Also, Lotte, wie du weißt, ist der Wettbewerb von uns Landfrauen ins Leben gerufen worden. Wir wollen damit Frauen fördern, die sich mit einer Geschäftsidee für die Lüneburger Heide einsetzen und dadurch einem alten Gebäude oder einer alten Institution neues Leben einhauchen.«
Ich nickte nervös, denn das wusste ich natürlich schon.
»Jedes Dorf hat eine Bewerberin ins Rennen geschickt – und du bist für Bienenbeek und die Windmühle an den Start gegangen, obwohl du …« Sie kniff die Augen zusammen und musterte den Zettel angestrengt. »Obwohl du ja eigentlich nicht von hier kommst, wenn ich das richtig sehe.«
»Genau, Lotte stammt aus Münster«, mischte sich Christa sofort ein. »Aber das stellt ja laut den Regularien kein Problem dar.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ja, hm – das muss in dem Regelwerk irgendwie untergegangen sein.« Karin räusperte sich.
»Ich fühle mich Bienenbeek sehr verbunden«, hatte ich das Bedürfnis, mich zu verteidigen. »Meine beste Freundin ist vor einem Jahr hierhergezogen und hat die kleine Heidegärtnerei von ihrer Tante übernommen. Seitdem war ich oft hier und …«
»Alles in Ordnung.« Karin lächelte, doch es wirkte ein wenig gequält. »Jedenfalls hat unsere Jury entschieden, dass du mit einer Kandidatin aus dem Nachbarort in die Endauswahl kommst.«
»Genau«, stimmte Christa mit fester Stimme zu. »Lottes Idee ist eine grandiose Sache für Bienenbeek! Wenn Lotte hier ihr Büro als Hochzeitsplanerin einrichtet, dann können wir durch die Mieteinnahmen das kostenintensive Gebäude dauerhaft erhalten und …«
»… genau, das haben wir ja bereits ausführlich Lottes Motivationsschreiben entnehmen können«, warf Karin mit einem leicht gereizten Unterton ein. »Eine ebenso spannende Idee wie die Hundehalsbandmanufaktur von Michaela, oder was meinst du, Hermann?« Sie kraulte ihren Dackel liebevoll. »Unsere andere Kandidatin fertigt in einer historischen Scheune Halsbänder mit Heidekrautfüllung an, die auf den Charakter des Hundes abgestimmt sind«, fügte sie hinzu, obwohl ich das natürlich schon wusste.
»Aber Lotte hat …«, wollte Christa ansetzen, doch Karin knallte schwungvoll einen lila Umschlag auf den Tisch. »Kommen wir lieber zum eigentlichen Grund, warum ich hier bin.«
»Meine Aufgabe.« Unruhig rutschte ich auf dem Stuhl hin und her.
»Exakt. Hier drinnen befindet sich deine maßgeschneiderte Aufgabe, anhand derer du dich mit deiner Geschäftsidee bewähren sollst. Genau wie die andere Finalistin hast du zwei Monate Zeit, um deinen Auftrag bestmöglich umzusetzen. Unsere Jury wird die Ergebnisse beurteilen und eine Siegerin küren. Soweit alles klar?«
Ich nickte.
»Gut.« Karin holte einen Kugelschreiber aus ihrer Tasche. »Dann brauche ich hier eine Bestätigung von dir, dass du die Herausforderung annimmst.«
Meine Hände waren schweißnass, als ich meine Unterschrift auf das Papier setzte.
»Jetzt darfst du den Umschlag öffnen.« Karin drückte ihn mir in die Hand. Auf der Rückseite befand sich das Logo der Landfrauen – eine kleine Biene, die um ein Heidekraut herumschwirrte. Ich atmete tief durch und zog eine Postkarte mit einer blühenden Heidelandschaft aus dem Umschlag. Auf der Rückseite war in geschwungener Handschrift meine Aufgabe notiert.
»Lies vor«, forderte Christa mich ungeduldig auf.
»Liebe Lotte«, begann ich mit zittriger Stimme. »Deine ehrenvolle Aufgabe wird es sein, die Hochzeit unserer Heideblütenkönigin Helena zu planen und durchzuführen. Unsere Majestät erwartet dich morgen Nachmittag für ein Kennenlerntreffen im Café Heideglück und wird dir alle weiteren Informationen mitteilen. Wir freuen uns auf ein rauschendes Fest!«
Ich schnappte nach Luft. Eine Königin – das schrie nach einer romantischen Märchenhochzeit mit ganz viel Tüll, einer spektakulären Kutsche und beeindruckendem Blumenschmuck. Die Hochzeitsplanerin in mir jubilierte. Am liebsten wäre ich sofort aufgesprungen und hätte die ersten Ideen in mein rosa Notizbuch gekritzelt, das ich immer mit mir herumtrug.
»Es sieht aus, als hätte unsere Aufgabe ins Schwarze getroffen«, kommentierte Karin meinen Gesichtsausdruck. Hermann bellte zustimmend.
»Allerdings«, erwiderte ich aufgeregt.
»Hast du noch Fragen?« Karin schaute mich abwartend an.
»Ähm, also…«, versuchte ich, mich trotz der Aufregung ein wenig zu sammeln. »Nur noch einmal für mein Verständnis: Die Hochzeit findet schon in zwei Monaten statt?«
»Das ist korrekt.«
»Das … das ist sportlich.« Ich schluckte. Normalerweise wurden Hochzeiten mindestens ein Jahr im Voraus geplant – die meisten Dienstleister und Locations waren sonst nämlich längst ausgebucht.
»Keine Sorge. Helena ist seit einem Jahr verlobt und hat bereits eine Location gebucht. Es geht nur noch um die Ausgestaltung der Details, soweit ich weiß. Das wird sie dir alles erzählen.«
»Okay, dann bin ich beruhigt.« Ich lächelte.
Karin tätschelte Hermanns Hals. »Gut, ich mache mich jetzt auf den Weg zu Michaela.«
»Ich finde alleine raus«, winkte Karin ab, als ich sie zur Tür begleiten wollte. »Auf Wiedersehen.« Eiligen Schrittes verließ sie die Mühle.
Erst jetzt nahm ich wahr, dass Christa wie versteinert auf ihrem Stuhl saß.
»Christa, was ist los?«, fragte ich, doch sie reagierte nicht. »Christa?«, wiederholte ich besorgt.
»Das …«, brachte sie hervor und schüttelte den Kopf.
»Was?«
»Das ist unmöglich. Das können sie nicht machen.«
»Was ist unmöglich?«, fragte ich verwirrt.
»Die Aufgabe.« Christa blickte entsetzt zu mir auf. »Zum Heidegeist. Diese Aufgabe ... ist unlösbar.« Sie war kalkweiß im Gesicht.
»Jetzt rück endlich mit der Sprache raus!« So langsam war ich verärgert. Nachdem Christa die Bombe mit der angeblich »unlösbaren Aufgabe« hatte platzen lassen, hüllte sie sich in ein diplomatisches Schweigen.
»Am besten findest du es selbst heraus«, meinte sie schließlich kryptisch, griff nach einem Mopp und begann, wie in einem Wahn, den Dielenboden zu scheuern.
Ich beschloss seufzend, meinen Koffer zu holen. Bevor es morgen mit der Arbeit losging, wollte ich mich schließlich gemütlich in der Mühlenwohnung eingerichtet haben.
Draußen zwitscherten die Vögel, und die Sonne schien immer noch vergnügt vom Himmel. Ich liebte den Mai einfach – zumal er der Hochzeitsmonat schlechthin war. Als ich meinen Koffer aus dem Bulli herausgehievt hatte, hörte ich das Geräusch eines herannahenden Autos. Ich schirmte meine Augen gegen die blendende Sonne ab und entdeckte einen knallroten Mini Cooper, der kurz darauf rasant neben mir zum Stehen kam. Die Fahrertür wurde aufgerissen. Zeitgleich erklang ein Freudenschrei und eine zierliche, blonde Person sprang mir entgegen.
»Lotte! Ich habe dich so vermisst!« Meine beste Freundin umarmte mich dermaßen stürmisch, dass ich beinahe hintübergefallen wäre.
»Und ich dich erst, Sophie!« Ich gab ihr ein Küsschen auf beide Wangen und strahlte sie an. Seit wir uns vor über zehn Jahren in Münster an der Uni kennengelernt hatten, waren wir unzertrennlich und teilten nicht nur die Vorliebe für Oldtimer, sondern auch sonst alles miteinander. Kein Wunder, dass mich Sophies überraschender Umzug nach Bienenbeek im letzten Jahr ziemlich getroffen hatte.
»Oh, und hallo Lene«, begrüßte ich Sophies Beifahrerin, die sich dezent im Hintergrund gehalten hatte. Lene kannte ich von meinen zahlreichen Besuchen in Bienenbeek. Sie war die Besitzerin des Cafés Heideglück und machte die leckerste Buchweizentorte in der ganzen Lüneburger Heide.
»Ich bin so gespannt auf deine neue Wohnung!« Sophie nahm meine Hand und zog mich hinter sich her. »Du musst mir alles zeigen.«
»Warte, Sophie, mein Koffer.« Ich deutete auf das Ungetüm.
»Was zum Teufel ist da drin?«, fragte Lene, nachdem wir ihn zu dritt die Treppe hochgetragen hatten.
»Nur das Nötigste.« Ich grinste entschuldigend. »Immerhin bleibe ich zwei Monate.« So lange stellte mir das Wettbewerbskomitee das Mühlenzimmer gratis zur Verfügung.
»Du bleibst länger«, sagte Sophie optimistisch und öffnete die Tür zum Trauzimmer. »Schließlich wirst du gewinnen.«
»Wenn man ihr glaubt, dann eher nicht.« Ich deutete auf Christa, die immer noch wild hin und her wischte.
»Christa«, rief Sophie und begrüßte sie ebenfalls überschwänglich. Christa war so etwas wie ihre Ersatzoma geworden. Gemeinsam mit ihr und einigen anderen Bienenbeekern hatten wir die alte Gärtnerei von Sophies Tante gerettet, indem wir eine Genossenschaft gegründet hatten. Die Idee dazu hatte von mir gestammt, worauf ich zugegebenermaßen ein wenig stolz war.
Christa trug immer noch ihre versteinerte Miene zur Schau, nachdem sie beide Neuankömmlinge begrüßt hatte. Ich hielt es nicht länger aus und zog zwei weitere Stühle an den Eichentisch heran. »Setzt euch. Ja, auch du Christa.«
Es dauerte seine Zeit, bis wirklich alle neben mir saßen. Lene und Sophie wanderten erst eine Weile durch den Raum und kommentierten mit leisen »Ohs« und »Ahs« die wunderschöne Einrichtung.
»So Christa, jetzt mal Butter bei die Fische.« Ich setzte mich aufrecht hin. »Wieso ist die Aufgabe unlösbar?«
»Das würde mich auch interessieren«, meinte Lene.
»Steht sie hier drauf?«, fragte Sophie und hielt die Postkarte hoch.
Ich nickte. Lene und Sophie schauten gebannt auf die Rückseite. Kaum hatten sie die wenigen Zeilen gelesen, veränderte sich auch ihr Gesichtsausdruck.
»Ach du meine Güte.« Lene riss erschrocken die Augen auf.
»Heilige Heidschnucke.« Sophie fuhr sich durch die Haare.
»Was?«, entfuhr es mir schärfer als beabsichtigt.
Christa atmete tief durch und ging zu dem antiken Bauernschrank in der Ecke des Mühlenzimmers. Seine Türen knarrten laut, als sie sie öffnete.
»Er muss doch hier irgendwo sein«, murmelte sie und kramte geschäftig im Schrank herum. Lene und Sophie sahen mich nur zögerlich an. Ich lehnte mich mit verschränkten Armen zurück und beobachtete das merkwürdige Schauspiel.
»Ha!«, rief Christa schließlich, kehrte mit einer großen grünen Schnapsflasche zurück und stellte sie mit Schmackes auf den Tisch. ›Heidegeist‹, entnahm ich dem Etikett. Ich runzelte die Stirn. Wenn dieses hochprozentige Getränk von den Bienenbeekern hervorgeholt wurde, gab es entweder etwas zu feiern – oder eine mittelschwere Katastrophe stand kurz bevor. Wortlos eilte Christa die Wendeltreppe hinauf und kam kurze Zeit später mit Schnapsgläsern zurück, die sie großzügig befüllte. Mit ernster Miene hob sie ihr Glas. »Auf das, was da kommen möge.«
Lene und Sophie taten es ihr gleich.
Ich zögerte kurz, wusste aber, dass man es in Bienenbeek besser nicht wagte, sich einer Runde Heidegeist zu widersetzen. Also zog ich mit und leerte mein Glas auf Ex.
»Hui!« Der Schnaps hinterließ einen scharfen Geschmack nach Ingwer in meiner Kehle. Er war definitiv nichts für zartbesaitete Gemüter.
»Gut, Lotte.« Christa stellte klirrend ihr Glas ab. »Jetzt sind wir gewappnet. Also … wo fange ich an?«
»Wird hier etwa ohne mich getrunken?«, rief es von der Wendeltreppe. Fritz, dessen Gesicht und T-Shirt ölverschmiert waren, stiefelte entrüstet die Stufen hinab.
Christa seufzte und füllte ihr Glas erneut. »Na, komm her, Puffelchen.«
Sophie und Lene unterdrückten ein Grinsen. Während sich Fritz umständlich einen Stuhl an den Tisch heranschob, wäre ich am liebsten laut schreiend aufgesprungen.
»Christa, zum Teufel – raus mit der Sprache!«, platzte es aus mir heraus, als Fritz sich ebenfalls einen Heidegeist genehmigt hatte. Auf Christas Glas prangten nun gut sichtbar seine öligen Fingerabdrücke.
»Gut, Lotte, deine Aufgabe …« Christa räusperte sich.
Ich hätte sie am liebsten an den Schultern gepackt und kräftig durchgerüttelt. »Meine Aufgabe ist es, für die Heideblütenkönigin eine Hochzeit zu planen«, meinte ich betont ruhig. »Davon mal abgesehen, dass das innerhalb von zwei Monaten sportlich wird… was soll daran so unmöglich sein?«
»Leider ist deine Braut … wie soll ich es sagen?« Christa sah hilfesuchend zu Lene und Sophie, aber die ließen ihr vornehm den Vortritt. »Nun ja. Helena ist eine ziemlich ... komplizierte Person.«
»Man kann ihr kaum etwas recht machen«, meldete sich Lene nun doch zu Wort, während Sophie mich nur mitleidig anblickte.
»Ich verstehe bis heute nicht, wieso Helena zur Heidekönigin gewählt wurde.« Lene verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Jedenfalls habe ich nicht den Eindruck, dass sie sich sonderlich für die Bienenbeeker interessiert.«
»Sie hat halt die richtigen äußeren Werte«, warf Sophie augenrollend ein.
»Da hast du wohl recht«, meinte Lene trocken.
Fritz drehte ungeduldig sein Glas hin und her und stieß einen Seufzer nach dem anderen aus.
»Um es auf den Punkt zu bringen, Lotte …«, warf Christa ein. »Ich befürchte, man hätte sich keine undankbarere Hochzeit als diese für den Wettbewerb aussuchen können.«
Nun konnte ich nicht länger an mich halten. »Sagt mal, findet ihr das nicht ein bisschen unfair?«
Bis auf Fritz blickten mich alle verständnislos an.
»Der Wettbewerb hat noch nicht einmal richtig begonnen, da macht ihr mir schon alles madig.« Aufgebracht schlug ich mit der Hand auf den Tisch. »Das ist nicht gerade ermutigend.«
»Lotte, so war das nicht gemeint …«, verteidigte sich Sophie, doch ich unterbrach sie.
»Und außerdem: Ich mache mir gerne selbst ein Bild von einem Menschen, ehe ich über ihn urteile. Meist steckt in jedem Charakter ein positiver Kern.« Ich sog aufgeregt die Luft durch die Nase. »Und sollte diese Helena tatsächlich das Brautmonster auf Erden sein: Als Eventplanerin habe ich schon mit unzähligen komplizierten Persönlichkeiten zu tun gehabt. Das gehört quasi zu meiner Jobbeschreibung.«
»Kinners, ich kann Lotte verstehen.« Fritz blinzelte mich aufmunternd an. »Habt ein wenig Vertrauen in sie. Sie wird das schon machen.«
Ich nickte ihm dankbar zu.
»Wir sagen ja auch nicht, dass du dem nicht gewachsen bist«, warf Lene ein.
»Wir meinen nur, dass es schwierig werden könnte.« Sophie hob entschuldigend die Hände.
»Lotte, natürlich vertrauen wir dir«, lenkte nun auch Christa ein. »Trotzdem solltest du dich warm anziehen. Und du brauchst einen guten Schlachtplan. Einen extrem guten.«
»Im Entwickeln solcher Pläne sind wir Bienenbeeker ja Experten«, sagte Lene und gab Sophie einen kleinen Knuff in die Seite.
»Da habt ihr recht«, meinte ich bei der Erinnerung an die tatkräftige Unterstützung, die Sophie von den Dorfbewohnern für ihre Gärtnerei erhalten hatte. »Und wisst ihr was: Ich werde mich jetzt mal lieber an die Arbeit machen.« Ich stand auf und schob meinen Stuhl beherzt an den Tisch. »Vor dem Treffen möchte ich noch eine Mind-Map mit ersten Ideen erstellen und …«
»So kenne ich dich«, unterbrach mich Sophie und lachte. »Immer am Planen und Organisieren.«
»Und deswegen werde ich diese Aufgabe auch wuppen.« Ich stemmte entschlossen die Hände in die Hüften und geleitete meine Gesellschaft sanft, aber bestimmt nach draußen.
Als die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, atmete ich tief durch. Dann stieg ich rasch die Wendeltreppe hinauf, setzte mich auf das Eichenbett und klappte meinen Laptop auf.
Ihr werdet schon sehen, dachte ich voller Vorfreude. Das wird die spektakulärste Hochzeit, die die Lüneburger Heide je erlebt hat. Dass sich das im wahrsten Sinne des Wortes bewahrheiten würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Die Morgensonne tauchte die Eichenallee in ein sanftes Licht. Vorsichtig manövrierte ich Paula um die Schlaglöcher herum, die den kopfsteingepflasterten Weg säumten. Ich wollte meine treue Gefährtin, die ich jetzt seit fast zehn Jahren besaß, nicht mehr als nötig herausfordern.
»Da drüben müsste es sein«, murmelte ich und schaute noch einmal auf das Navi. So gut kannte ich mich in Bienenbeek nicht aus – meine bisherigen Besuche hatten mich meist nur in Sophies traumhaften Garten geführt, in dem es immer etwas Neues zu entdecken gab. Als ich das Ende der Allee erreichte, breitete sich bis zum Horizont eine wunderschöne Heidelandschaft vor mir aus. Der Weg wurde nun noch unebener, so dass ich mein Tempo weiter drosselte. Ich fragte mich, ob ich hier überhaupt weiterfahren durfte, doch in der Ferne sah ich ein anderes Auto. Es würde mich nicht wundern, wenn es dasselbe Ziel wie ich hatte.
Nach meiner nervenaufreibenden Ankunft in Bienenbeek hatte ich gestern lange nicht einschlafen können. Also hatte ich noch eine Weile im Internet recherchiert und dabei einen absoluten Foto-Hotspot entdeckt: eine kleine Anhöhe, von der aus man in ein Heidetal blicken konnte. Heute Morgen hatte ich mir in aller Herrgottsfrühe Paula geschnappt und war direkt losgefahren. Vielleicht wäre das ja der perfekte Ort für die Hochzeitsfotos der Heidekönigin? Bei dem Gedanken an das Treffen, das in wenigen Stunden stattfinden würde, machte sich wieder Aufregung in mir breit. Ich versuchte das unangenehme Gefühl abzuschütteln, aber es gelang mir nicht.
Nach etwa fünfhundert Metern erreichte ich den Aussichtspunkt. Aus dem Auto vor mir war bereits ein junges Pärchen ausgestiegen, dass eng umschlungen ein paar Selfies vor der traumhaften Kulisse knipste und sich zwischendurch leidenschaftlich küsste. Verlegen blickte ich zur Seite und kramte nach meiner alten Kamera, die ich in einer der Taschen auf dem Beifahrersitz verstaut hatte.
Ich war schon oft gefragt worden, ob mich die ganze Hochzeitsromantik als langjährige Singlefrau nicht nerven würde. Zum Erstaunen mancher war jedoch genau das Gegenteil der Fall. Mir machte es einfach Freude, Feste zu organisieren. Wenn es dabei auch um Liebe ging – umso schöner. Und wer wusste schon, ob mir nicht auf einer Hochzeit zufällig mein eigener Mr. Right über den Weg laufen würde? Während ich darauf wartete, dass das Pärchen seine Fotosession beendete, fiel mein Blick auf die kleine Schachtel, die auf dem Armaturenbrett lag. Ich öffnete sie und nahm vorsichtig das Seidenpapier zur Seite, in dem ich die getrocknete Rose aufbewahrte. Du wärst stolz auf mich, Mama, dachte ich und berührte die Blüte ganz sanft mit der Fingerspitze, als könnte sie sonst zu Staub zerfallen.
Die Idee, meinen Job als Eventplanerin an den Nagel zu hängen und mich als Hochzeitsplanerin selbstständig zu machen, war schon eine Weile durch meinen Kopf gegeistert. Aber erst die Hiobsbotschaft, dass mich meine Firma nach München versetzen wollte, hatte mir den entscheidenden Anstoß gegeben. Zeitgleich hatte Sophie mir von dem Wettbewerb in Bienenbeek erzählt und mich überredet, daran teilzunehmen. Eigentlich hatte ich mir keine großen Chancen ausgerechnet – zumal die Mühle bis kurz vor Teilnahmeschluss noch nicht einmal fertigsaniert war. Mein gesamtes Wettbewerbskonzept hatte ich schließlich unter Zeitdruck aus der Ferne entworfen, parallel zu einem großen Event, das ich für die Firma organisieren musste. Umso größer war meine Überraschung gewesen, als ich unter den Finalistinnen gelandet war. Ich vermutete, dass Christa und Fritz hier ihre Hände im Spiel gehabt hatten. Meine Firma hatte mich für die Endphase des Wettbewerbs beurlaubt – in der Hoffnung, dass ich danach trotzdem nach Süddeutschland gehen würde. Doch da habt ihr euch geschnitten, dachte ich, legte die Schachtel zurück und stieg aus dem Bulli.
Das Pärchen hatte sein Shooting beendet und fuhr davon. Nun hatte ich die traumhafte Kulisse ganz für mich alleine. Begeistert schoss ich in dem stimmungsvollen Licht ein Foto nach dem anderen. Schließlich ging ich in die Hocke, um eine Aufnahme von Paula vor der Heidelandschaft zu machen. Das Motiv könnte auf die Startseite meiner Homepage, überlegte ich. Vielleicht könnte ich meinen Bulli sogar als Hochzeitsauto an Brautpaare vermieten? Kritisch schaute ich mir das Ergebnis auf dem Display meiner Kamera an. Die Aufnahme war ziemlich überbelichtet. Geschäftig drehte ich an einigen Knöpfen herum und probierte es erneut, aber es wurde nicht besser. Fotografieren hatte noch nie wirklich zu meinen Stärken gezählt. Ich raufte mir die Haare und klickte mich so konzentriert durch verschiedene Einstellungen, dass ich das entfernte Blöken zunächst gar nicht richtig wahrnahm. Erst als auch noch ein lautes Bellen ertönte, schaute ich überrascht hoch und staunte nicht schlecht: Unzählige Schafe mit silbergrauem Fell und schwarzen Köpfen kamen auf mich zu – zusammen mit zwei schwarzgelockten Hunden, die aufgeregt umhersprangen. Das muss eine Heidschnuckenherde sein, stellte ich fest.
Kurz bevor mich die Hunde erreichten, pfiff jemand laut. Die beiden Tiere machten auf dem Absatz kehrt. Ich schirmte meine Augen gegen die blendende Sonne ab und erkannte einen hochgewachsenen Mann, der aussah, als wäre er aus der Zeit gefallen: Er trug einen braunen Lederhut mit breiter Krempe, ein dunkelblaues, oberschenkellanges Hemd und einen großen Wanderstock. Das musste der Schäfer sein. Ruhig schritt er hinter seiner Herde her, die wie durch ein unsichtbares Band zusammengehalten wurde. Nur eine Heidschnucke tanzte im wahrsten Sinne des Wortes aus der Reihe. Sie sprang immer wieder aus der Herde heraus, stupste den Schäfer an und schlug plötzlich einen kleinen Umweg um einen Wacholderbusch ein.
»Ella«, hörte ich den Schäfer schimpfen. »Komm zurück! Du gehst sonst wieder verloren!« Er pfiff zweimal und die Hunde liefen sofort herbei, um die Schnucke in ihre Schranken zu weisen. Sie bewegte sich zwar zurück zur Herde, jedoch nicht, ohne dabei ein freches Blöken von sich zu geben und einen kleinen Bocksprung zu machen. Ich grinste.
»Hallo«, sagte ich freundlich, als der Schäfer sich mir bis auf wenige Meter genähert hatte und ich mich auf einmal von unzähligen Fellnasen umringt fand.
Doch er erwiderte meinen Gruß nicht. Mit finsterer Miene kam er auf mich zu und blieb abrupt vor mir stehen. »Das ist ein Naturschutzgebiet. Hier sind Autos verboten.« Er stützte sich auf seinem Wanderstock ab und bedachte mich mit einem eindringlichen Blick.
»Oh, das – das wusste ich nicht«, stammelte ich, von seiner Strenge eingeschüchtert.
»Jetzt wissen Sie es.« Er zog eine Augenbraue nach oben.
Ich war erstaunt, wie jung er war. Mit einem Schäfer hatte ich immer einen kauzigen alten Mann verbunden. Aber dieser hier musste etwa in meinem Alter sein, also Anfang dreißig. Und mit seinem Drei-Tage-Bart, den dunkelblonden Haaren und den grün leuchtenden Augen hätte er auch für einen Katalog für Outdoorkleidung modeln können.
»Fahren Sie bitte Ihr Auto weg.« Er blickte missbilligend in Richtung von Paula.
»Entschuldigung«, erwiderte ich, langsam etwas gefasster. »Eben hat hier noch ein anderes Auto geparkt, daher dachte ich, das sei erlaubt.«
»Ja, so geht das den ganzen Tag. Ihr Touristen werdet immer dreister«, sagte er mit Blick auf mein Münsteraner Kennzeichen. »Ihr zerstört die Natur, hinterlasst überall Müll, trampelt über die Heide – und das nur, um irgendein Foto auf Instagram zu posten.« Wie zur Bekräftigung stampfte er einmal mit dem Wanderstock auf den Boden.
»Hören Sie mal, erstens bin ich keine Touristin und zweitens habe ich hier keinen Müll liegen lassen, geschweige denn etwas kaputt gemacht«, entgegnete ich aufgebracht. Ich konnte es nicht ausstehen, zu Unrecht für etwas beschuldigt zu werden.
Doch er machte bloß eine abwinkende Handbewegung. »Es wird Zeit, dass Kontrollen erfolgen und Bußgelder verhängt werden. Aber das interessiert die Politik mal wieder herzlich wenig. Hauptsache, die Touristen kommen weiter in die Heide.«
»Wie gesagt, ich wusste das nicht. Sorry.« Ich zog meine Kamera zur Seite, denn die freche Heidschnucke hatte sie entdeckt und begonnen, genüsslich daran herumzuschlecken.
»Ella«, ermahnte der Schäfer sie und drückte sie sanft von mir weg. Der milde Ausdruck, der sich dabei auf sein Gesicht legte, verschwand sofort wieder, als er mich anschaute.
»Also, worauf warten Sie?«, fragte er ungeduldig.
»Vielleicht darauf, dass Sie und ihre zweihundert Heidschnucken den Weg freimachen? Oder ist es Ihnen lieber, wenn ich eine davon überfahre?« Ich stieß wütend die Luft aus. »Das würde doch bestimmt gut zu Ihrem Bild von mir passen!«
»Es sind dreihundertsechzig Heidschnucken«, entgegnete er ungerührt, pfiff nach seinen Hunden und ging weiter. Ich starrte ihm fassungslos hinterher, bis er mit seinen Heidschnucken in ein kleines Waldstück abbog.
»Paula, von so einem komischen Kerl lassen wir uns nicht den Tag verderben«, murmelte ich.
Mein Herz raste immer noch aufgeregt, als ich in den Bulli stieg, den Zündschlüssel herumdrehte und den sandigen Weg so schnell zurückfuhr, wie es ging.
»Die Trauzeugen und der Bräutigam sind schon da«, raunte Lene mir aufgeregt zu, als ich am Nachmittag ihr kleines, aber feines Café Heideglück betrat. Es war heute exklusiv für die Heidekönigin reserviert. Lene zupfte nervös an ihrer heideblütenfarbenen Schürze herum. »Ich muss zurück in die Küche, die letzten Vorbereitungen treffen. Sie sitzen dort drüben.« Unauffällig deutete sie auf einen Tisch, von dem man durch eine große Fensterfront direkt in ihren üppig blühenden Bauerngarten blicken konnte. »Viel Glück!«
Nun war auch ich ein wenig nervös. Ich hatte damit gerechnet, zunächst nur die Braut anzutreffen. Meiner Erfahrung nach wurde es umso herausfordernder, je mehr Leute beim ersten Treffen dabei waren. Egal, redete ich mir in Gedanken gut zu, straffte meine Schultern und ging lächelnd zum Tisch. »Hallo!«, begrüßte ich die kleine Gruppe. »Ich bin Lotte, eure Hochzeitsplanerin – schön, dass wir uns kennenlernen.«
Die drei, die gerade noch ein angeregtes Gespräch geführt hatten, verstummten abrupt.
»Ich bin Tobias, der Bräutigam«, stellte sich ein attraktiver dunkelhaariger Mann vor und schüttelte mir kräftig die Hand. Er trug ein rotkariertes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und eine robuste Jeans. Von Christa wusste ich, dass er Landwirt war und einen Bio-Bauernhof besaß. Seine Verlobte arbeitete dort in dem Hofladen und präsentierte alles rund um den Betrieb auf Social Media.
»Und das sind unsere Trauzeugen«, fügte Tobias mit Blick auf seine Tischgenossen hinzu. »Helenas beste Freundin Mia und mein bester Freund Max.«
Mia erhob sich lächelnd von ihrem Stuhl und reichte mir die Hand. Sie trug eine enge Jeans und ein weißes T-Shirt, was ihre weiblichen Rundungen perfekt betonte, wie ich mit etwas Neid feststellte. Dann wandte ich meinen Blick dem Trauzeugen zu – und erstarrte. Im ersten Moment hätte ich ihn ohne seinen Hut und das lange Hemd beinahe nicht wiedererkannt. Aber es bestand kein Zweifel: Vor mir saß der grantige Schäfer, mit dem ich heute Morgen aneinandergeraten war.
»Kennen wir uns nicht?«, murmelte er auch sogleich missmutig, als wir uns die Hand gaben.
»Äh, ja«, entgegnete ich wenig geistreich und wäre am liebsten auf der Stelle im Erdboden versunken. Doch zum Glück rettete mich die zeitgleich eintreffende Braut.
»Da bist du endlich!« Mia sprang freudig auf und lief auf eine junge blonde Frau zu, die das Café betreten hatte. Die beiden umarmten sich zur Begrüßung und redeten eine Weile aufgeregt miteinander, ehe sie auf unseren Tisch zusteuerten.
»Du musst Lotte sein«, begrüßte mich die Braut in spe und reichte mir die Hand.
»Freut mich, dich kennenzulernen.« Ich musterte sie erstaunt. Helena trug einen ausladenden weinroten Samtumhang mit Stehkragen. Darunter schimmerte mir ein weißes Kleid aus Spitze und Tüll entgegen – war das etwa schon ihr Brautkleid? Als hätte sie meine Gedanken gelesen, deutete Helena auf ihr Outfit. »Das ist die traditionelle Robe der Heideblütenkönigin«, erklärte sie und richtete dabei vorsichtig die Krone auf ihrem Kopf, die aus lila schimmerndem Heidekraut geflochten war.
»Du siehst toll aus«, erwiderte ich. Wie eine Märchenprinzessin, fügte ich in Gedanken hinzu.
»Bitte schön freundlich«, rief jemand hinter uns. Ich drehte mich um und erkannte die Reporterin vom Wochenblatt wieder, die damals einige Artikel über Sophies Gärtnerei geschrieben hatte. Flink zog sie eine Kamera aus ihrer Tasche und machte ein Foto von uns, noch bevor ich meine Mundwinkel zu einem Lächeln heben konnte.
»Was schwebt Ihnen für die Hochzeit der Heidekönigin vor?«, fragte die Reporterin unvermittelt, als sie die Kamera sinken ließ.
»Also, ähm …« Mein Kopf war plötzlich wie leergefegt. Dabei hatte ich mir meine unzähligen Ideen fein säuberlich in einer Mindmap notiert.
»Ja?«, hakte die junge Frau nach und wedelte mit einem Notizblock vor meiner Nase herum.
»Eine richtig romantische Heidehochzeit«, fand ich schließlich doch meine Sprache wieder. »Das Farbmotto könnte Lila sein wie die Heideblüte und …«
»Super!«, wurde ich von der Reporterin unterbrochen. »Und was meinst du dazu, Helena?«
Helena strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn, die sich aus ihrer eleganten Hochsteckfrisur gelöst hatte. »Ich bin offen für alle möglichen Ideen«, erwiderte sie und lächelte zurückhaltend. »Besonders liegt es mir natürlich am Herzen, an meinem Hochzeitstag die Heideregion in all ihren Facetten zu repräsentieren.«
»Toll.« Die Reporterin machte sich begeistert Notizen und stellte noch ein paar Fragen zu Helenas vorangegangenem Termin, irgendeiner Versammlung der Landwirtschaftskammer. Helenas druckreife Antworten wirkten, als ob sie sie auswendig gelernt hätte, bemerkte ich verwundert.
»Gut, das wäre es für heute. Vielen Dank für das Interview!«, verabschiedete sich die Reporterin schließlich.
Ich atmete erleichtert auf. Keine Ahnung, was Christa und Lene für ein Problem mit Helena hatten. Auf mich wirkte sie vielleicht ein bisschen unsicher, aber sonst sehr sympathisch. Möglicherweise hatte Christa mich einfach ein wenig verschaukeln wollen? Das sollte in Bienenbeek ja öfter vorkommen, als man dachte.
Kaum hatte die Reporterin das Café verlassen, stöhnte Helena laut auf und zog sich die Krone vom Kopf. »Es ist einfach zu warm heute.« Umständlich nestelte sie am Knopf ihres roten Umhangs herum. Mia sprang sofort hilfsbereit herbei und nahm ihr das schwere Kleidungsstück ab.
»Danke«, erwiderte Helena und setzte sich erleichtert auf den Stuhl, über dessen Lehne ich bereits meine Tasche gehängt hatte. So unauffällig wie möglich griff ich danach und wollte mich auf dem letzten freien Platz niederlassen. Dort stand allerdings ein Tischbein so ungünstig vor meinen Füßen, dass ich mich nur mit einigem Abstand hinsetzen konnte. Ich räusperte mich und wollte etwas sagen, doch da winkte Helena hektisch Lene herbei. »Kannst du die in einem Gefrierbeutel in den Kühlschrank legen?« Helena drückte ihr die Heidekrone in die Hand.
»Klar«, sagte Lene und eilte mit Krone und Robe davon.
»In den Kühlschrank?«, fragte ich verdutzt.
»Die Krone muss gekühlt werden, damit die Heideblüten länger halten«, erklärte Mia und warf ihre langen, hellblonden Haare über die Schulter. »Eigentlich wird sie zwischen den Auftritten bei Helena zu Hause eingefroren.«
»Das ist ja interessant«, sagte ich.
Während Lene Kaffee und Buchweizentorte an den Tisch brachte – heute ging dank des Wettbewerbskomitees alles aufs Haus – begann ich, meinen gewohnten Ablauf für ein Erstgespräch abzuspulen.
»Ich freue mich, dass ihr euch alle Zeit genommen habt«, leitete ich ein. »Bevor wir mit der Planung starten, würde ich euch gerne besser kennenlernen.« Neugierig sah ich zum Brautpaar. »Erzählt doch mal ein bisschen von euch, zum Beispiel, wie ihr euch kennengelernt habt.«
»Gerne«, sagte Tobias und griff nach der Hand seiner Verlobten. »Wir kennen uns seit der Schulzeit. Helena war in meiner Parallelklasse und …«
»Ich fand ihn damals schon toll«, fiel sie ihm ins Wort. »Er war ein richtiger Mädchenschwarm.«
Er lachte verlegen. »Na, ich weiß nicht.«
»Aber hallo«, protestierte sie. »Ich habe mich nie getraut, mit ihm zu reden.«
»War vielleicht auch besser so«, entgegnete er und zwinkerte ihr zu. »Mit Mädchen konnte ich damals noch nicht viel anfangen.«
»Leider bin ich in der Mittelstufe umgezogen. Danach haben wir uns aus den Augen verloren«, fuhr Helena fort.
Tobias nickte. »Als ich ihr vor einigen Jahren auf einem Schützenball wieder über den Weg gelaufen bin, habe ich sie auf den ersten Blick nicht wiedererkannt und mich ihr neu vorgestellt, ich Trottel.« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
Helenas Miene verfinsterte sich für einen Sekundenbruchteil. »Wahrscheinlich, weil er ein bisschen angetrunken war«, fügte sie hastig hinzu und spielte nervös mit der Kuchengabel herum, die sie bisher nicht angetastet hatte. »Jedenfalls hat er mich dann auf ein Date eingeladen«, plapperte sie weiter. Aus dem Augenwinkel registrierte ich währenddessen, dass Mia immer wieder zu Max herüberschaute, der sich jedoch demonstrativ zum Fenster abgewandt hatte.
»Wenig später waren wir zusammen«, ergriff Tobias wieder das Wort. »Und letztes Jahr – an unserem fünften Jahrestag – habe ich ihr ganz offiziell einen Antrag gemacht. Unter den Flügeln der Windmühle, wie es sich für einen echten Bienenbeeker gehört.«
Helena nickte verträumt. »Direkt nachdem wir von einer romantischen Kutschfahrt durch die Heide zurückgekommen sind.«
»Das klingt wirklich toll«, erwiderte ich begeistert und
nahm einen Schluck von dem aromatischen Kaffee, der aus einer nahegelegenen Heiderösterei stammte.
»Helena, ich habe gehört, dass du schon eine Location hast?«, versuchte ich in die konkrete Planung einzusteigen und holte mein Notizbuch hervor.
»Genau.« Helena strahlte über das ganze Gesicht. »Ich habe die Traumlocation gebucht.«
»Das Schlosshotel am See«, ergänzte Mia eifrig.
Während die beiden mir von der Location vorschwärmten, schielte ich auf die Buchweizentorte, die verlockend vor mir auf dem Teller lag.
»Sogar Stars haben dort schon gefeiert«, meinte Helena und hielt mir ihr Handy unter die Nase.
»Interessant«, sagte ich, als ich das Foto sah. Es zeigte irgendein Promipärchen, das vor einem beeindruckenden Gutshaus an einem See posierte. »Das Schlosshotel befindet sich nicht in Bienenbeek, oder?«, hakte ich vorsichtig nach.
»Nein, in Hamburg«, meinte Mia und sah mich an, als sei ich schwer von Begriff.
»Hm.« Ich versuchte, meine Skepsis zu verbergen. Eigentlich hatte ich gehofft, dass die Hochzeit in Bienenbeek stattfinden würde oder zumindest in der Nähe. Schließlich ging es bei dem Wettbewerb ja um die Lüneburger Heide.
»Die haben dort eine Selfie-Wand, die über und über mit weißen Rosen geschmückt ist«, schwärmte Helena weiter. »Und im Park kann man traumhafte Fotos machen!«
»Wunderbar«, murmelte ich und machte mir Notizen.
»Ursprünglich wollten wir ja ganz rustikal auf einer Wiese in einem Festzelt feiern«, warf der Bräutigam unerwartet ein.
Helena machte eine abwinkende Handbewegung. »Ja, aber …«
»Hauptsache, unsere liebsten Menschen sind um uns herum«, fiel Tobias ihr ins Wort. »Das haben wir damals gesagt.« Er bedachte Helena mit einem nachdenklichen Blick. »Und gute Musik natürlich. Auf unserer Hochzeit soll ordentlich getanzt werden«, fügte er nach einer Weile hinzu, doch Helena scrollte schon wieder auf ihrem Handy herum.
»Wartet, ich muss euch noch die tolle Deko zeigen, die Lucy im Schlosshotel verwendet hat …«, sagte sie.
»Lucy?«, echote ich verwundert, aber Helena ging nicht auf meine Frage ein. Sie meinte doch nicht etwa die Lucy?
»Na ja, schlussendlich hat Helena mich dann von dem Schlosshotel überzeugt«, riss Tobias mich aus meinen Gedanken, während seine Verlobte weiter auf dem Handy herumtippte. »Ist ja auch wirklich schön dort.«
»Mist, ich finde es nicht«, murmelte Helena.
»Und, habt ihr sonst schon etwas gebucht?«, fragte ich und tippte mit dem Kugelschreiber gegen mein Notizbuch.
»Sie hat demnächst einen Termin bei einer zauberhaften Brautkleid-Designerin«, sprang Mia für ihre Freundin ein, die immer noch mit dem Handy beschäftigt war. »Sie wird ihr Traumkleid nähen.«
»Gut«, sagte ich und notierte es mir. »Und sonst? Gibt es schon einen Fotografen, einen DJ oder einen anderen Dienstleister?«
Mia schüttelte den Kopf. »Nee, da ist Lucy noch nicht zu gekommen …«
»Hier«, rief Helena und streckte mir ihr Handy so schwungvoll unter die Nase, dass ich erschrocken zusammenzuckte. »Ist das nicht wundervoll?«
»Äh, total.« Ich blickte auf eine nichtssagende Tischdekoration, die aus ein paar Trockenblumen und weißen Leinenservietten bestand. So etwas hatte ich schon tausendfach auf Instagram gesehen.
»So etwas möchte ich auch haben«, freute sich Helena und strich ihrem Verlobten über den Oberarm.
»Klar, Schatz«, meinte dieser und nickte. »Dafür haben wir ja jetzt Lotte.«
»Ja«, sagte Helena. Irrte ich mich, oder hatte sie gerade kaum merklich das Gesicht verzogen?
»Genau, dafür habt ihr mich«, antwortete ich irritiert und stand auf. »Natürlich habe ich mir vorab auch schon ein paar Gedanken zu eurer Hochzeit gemacht. Wenn ihr mögt, stelle ich sie euch einmal kurz vor?« Da keine Reaktion kam, holte ich einfach meine Mindmap hervor. Als ich das riesige Poster auseinandergefaltet hatte, passte es nicht mehr auf den Tisch. Zum Glück fand ich etwas Tesafilm in meiner Tasche. Umständlich riss ich vier Klebestreifen ab, die immer wieder an meinen Fingern hängen blieben. Mit einer Hand hielt ich das Poster gegen das Fenster an unserem Tisch, während ich mit der anderen Hand versuchte, es festzukleben. Helena und Mia waren in ein aufgeregtes Gespräch über irgendeinen Instagram-Post verfallen und nahmen gar keine Notiz mehr von mir. Nur Max erkannte meine missliche Lage und hielt das Papier fest, damit ich die Klebestreifen befestigen konnte.
»Danke«, sagte ich leise.
Er nickte nur und setzte sich wieder.
»Sag mal, hast du eine Kopfschmerztablette?«, flüsterte Helena Mia zu, während ich begann, meine Ideen zu präsentieren. Ich versuchte, mich nicht von Mias eifrigem Kramen ablenken zu lassen, doch das war nicht so einfach. Zusätzlich brachte mich Max aus dem Konzept, dessen Mundwinkel sich spöttisch angehoben hatten. Nur Tobias, der Bräutigam, hörte mir mit ernsthaftem Interesse zu. »… jedenfalls stelle ich mir ein heideblütenfarbenes Lila als Leitfarbe für die Hochzeit vor. Wir könnten die Einladungskarten und die Deko in dieser Farbe gestalten«, ging ich meine Vorschläge weiter durch. »Die Blumendeko, die du mir gezeigt hast, Helena, ließe sich um ein paar Heidekränze ergänzen. Meine Freundin Sophie stellt sie in ihrer zauberhaften Gärtnerei selbst her und …«
Helena nahm einen Schluck Wasser und spülte ihre Tablette hinunter. »Es ist einfach so warm heute. Kein Wunder, dass ich Kopfschmerzen habe«, murmelte sie halb zu sich selbst, halb in die Runde.
»Ähm, ja, außerdem wäre es toll, wenn wir ein paar Bräuche oder Traditionen aus Bienenbeek einbinden könnten. Ich denke da an …« Abgelenkt sah ich zu Mia hinüber, die immer wieder auf ihre Uhr schaute.
»Helena, du musst gleich los«, mahnte sie und stupste ihre Freundin an.
Diese rieb sich über die schmerzende Stirn. »O Mann, echt, ist es schon so spät?«
Mia nickte und stand auf. »Soll ich dich zum Auto bringen?«
»Nicht nötig«, sprang Tobias ein und erhob sich ebenfalls.
Ich stand wie bestellt und nicht abgeholt neben meinem Poster und kam mir mit jeder Sekunde dämlicher vor.
»Entschuldige, Lotte, aber Helena hat noch einen Anschlusstermin. Irgendetwas mit der neuen Bürgermeisterin.« Tobias blickte mich zerknirscht an. »Ist uns leider durchgerutscht. Ihr könnt ja noch ein wenig weiterplanen.«
»Äh, klar«, sagte ich perplex.
Helena stand auf und ließ sich von Tobias in ihren Samtumhang helfen. Lene, die die Szene aus dem Hintergrund beobachtet hatte, flitzte mit der gekühlten Heidekrone herbei und setzte sie vorsichtig auf Helenas Kopf.
»Wir vereinbaren einfach einen neuen Termin«, meinte ich hilflos.
Tobias lächelte mir zu und hob die Hand zum Abschied. »Danke und bis bald.«
»Bis bald«, erwiderte ich verzögert und sah den beiden hinterher, als sie den Raum verließen. Helena hielt immer noch ihre Stirn und schlurfte mehr, als dass sie ging.
Unsicher sah ich zu den beiden Trauzeugen. Max saß unbeteiligt auf seinem Stuhl, während Mia ungeduldig hin und her rutschte.
»Das ist bestimmt wegen dem ganzen Stress«, meinte sie besorgt.
Ich schaute sie fragend an.
»Na, Helenas ständige Kopfschmerzen«, erklärte Mia. »Sie hat einfach zu viele Termine. Und dann die Absage von Lucy. Das hat sie hart getroffen.«
»Lucy?«, echote ich wieder. »Du meinst doch nicht etwa Lucy, die Hochzeitsplanerin?«
»Doch.« Mia nickte.
Mir wurde eiskalt. Lucy war hier im Norden die Hochzeitsplanerin und Influencerin. Alle rissen sich darum, ihre Feiern von ihr planen zu lassen.