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Ein Sommer in Paris mit dem Duft der Liebe.
Als die junge Amerikanerin Del die kleine Parfümerie an den Champs-Élysées betritt, weiß sie: Genau so soll auch ihr Laden einmal aussehen. Wenn sich der Duft der Liebe in Flakons abfüllen ließe – hier gäbe es ihn zu kaufen. Um ihren Traum von einer eigenen Parfümerie zu verwirklichen, will sie an einem Wettbewerb für junge Parfümeure teilnehmen. Wenn nur nicht dieser unnahbare Sébastien ihr das Leben schwermachte – und dessen Geruch sie nicht so merkwürdig durcheinanderbrächte. In Paris muss Del erst lernen, ihrem Herzen zu folgen, bis es ihr gelingt, dem Duft der Liebe auf die Spur zu kommen ...
Eine junge Parfümeurin begibt sich auf die Suche nach dem Duft ihres Lebens, und sie findet die Liebe.
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Seitenzahl: 314
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Rebecca Raisin war schon immer verrückt nach Büchern, und aus der Freude am Lesen erwuchs schon bald der Drang, selbst zu schreiben. Ihre Figuren liegen ihr alle am Herzen, doch am liebsten sind ihr jene, die sie die eine, große Liebe erfahren lassen kann. Aus ihrer Reihe romantischer Paris-Romane sind außerdem lieferbar: »Mein zauberhafter Buchladen am Ufer der Seine« und »Mein wundervoller Antikladen im Schatten des Eiffelturms«.
Ein Sommer in Paris mit dem Duft der Liebe.
Als die junge Amerikanerin Del die kleine Parfümerie an den Champs-Élysées betritt, weiß sie: Genau so soll auch ihr Laden einmal aussehen. Wenn sich der Duft der Liebe in Flakons abfüllen ließe – hier gäbe es ihn zu kaufen. Um ihren Traum von einer eigenen Parfümerie zu verwirklichen, will sie an einem Wettbewerb für junge Parfümeure teilnehmen. Wenn nur nicht dieser unnahbare Sébastien ihr das Leben schwermachte – und dessen Geruch sie nicht so merkwürdig durcheinanderbrächte. In Paris muss Del erst lernen, ihrem Herzen zu folgen, bis es ihr gelingt, dem Duft der Liebe auf die Spur zu kommen.
Eine junge Parfümeurin begibt sich auf die Suche nach dem Duft ihres Lebens, und sie findet die Liebe …
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Rebecca Raisin
Die kleine Parfümerie der Liebe
Roman
Aus dem Amerikanischen von Annette Hahn
Für Jeff. Wie Del in diesem Buch werden auch wir uns immer wieder einen weiteren Tag mit dir wünschen …
Inhaltsübersicht
Über Rebecca Raisin
Informationen zum Buch
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Widmung
Impressum
Die Sonne glänzte auf den Scheiben und schickte prismabunte Lichtstreifen durch das Wageninnere, während ich versuchte, mich zu dehnen und damit den Jetlag zu vertreiben. Der Chauffeur hielt vor einem Wohnhaus in einer Nebenstraße der Champs-Élysées. Mit vor Übermüdung geröteten Augen betrachtete ich ehrfürchtig das eindrucksvolle Gebäude, in dem ich wohnen würde: Balkone mit schmiedeeisernen Gittern und kunstvoll ummauerte Fenster, deren Läden weit geöffnet waren, um die sommerliche Brise einzulassen. Aus den Blumenkästen reckten Pflanzen ihre üppigen roten Blüten der Sonne entgegen.
Und hier sollte ich tatsächlich wohnen? Das Haus unterschied sich so sehr von der Farm meiner Familie in Michigan, dass es auch auf einem anderen Planeten hätte liegen können. Das Schicksal meinte es wirklich gut mit mir.
»Mademoiselle«, sagte der Fahrer in wunderbar weichem Französisch, »Madame Leclère erwartet Sie am Eingang.«
»Vielen Dank, Monsieur.«
Er stieg aus, öffnete mir die Autotür, nahm meine Tasche und begleitete mich zum portalartigen Hauseingang.
»Brauchen Sie sonst noch etwas?«, fragte er mit deutlich französisch gefärbtem Englisch nach.
Lächelnd schüttelte ich den Kopf. »Nein, ich habe alles. Vielen Dank für die Fahrt.« Ich winkte ihm nach, während er mit einem Hupen davonsauste und dabei ein paar überraschte Passanten erschreckte. Nach dem, was ich bisher gesehen hatte, fuhren alle Franzosen, als würden sie für das nächste 24-Stunden-Rennen in Le Mans üben.
Nach einem Blick auf die Uhr schaute ich nach oben. Ein Vorhang im ersten Stock bewegte sich, als würde dahinter jemand stehen. Madame Leclère? Ich griff nach meinem Koffer und wartete, während nun doch ein paar Zweifel in mir aufstiegen.
Was, wenn ich mich mit dieser Sache völlig übernommen hatte? Wenn die anderen Teilnehmer mit ihren offiziellen Ausbildungen und Chemiediplomen allesamt mehr wussten als ich? Was, wenn … Nein, Schluss damit!, wies ich mich selbst zurecht. Ich konnte genauso viel wie jeder andere auch, wenn nicht sogar mehr. Zugegeben, ohne Nan fiel es mir etwas schwerer, neue Duftformeln zu erstellen, aber ich war sicher, dass das nur eine Phase war und ich mit meiner Geheimwaffe – Nans verlässlicher Parfümbibel – bald wieder meine alte Form erreichen würde. Und zwar mit Leidenschaft, Begeisterung und dem Willen, es zu schaffen.
Vor allem war ich von Herzen froh, dem Tratsch und der Enge meines Heimatortes Whispering Lakes zu entkommen.
Das Auswahlverfahren für den Leclère-Parfümwettbewerb war sehr streng gewesen, mit Tests auf jedem Gebiet der Parfümerie. Ich hatte Videos aufgenommen, Duftproben eingeschickt, mich per Skype von der Jury über Parfümregionen und -herstellung, Mischverfahren, Extraktionstechniken, Reifung und Verkaufsstrategien ausfragen lassen. Als ich zu Anfang erklärte, ich würde Parfüms auch als Heilmittel gegen viele Arten von Beschwerden einsetzen, hatten sie etwas irritiert gewirkt, so dass ich lieber dazu übergegangen war, sie mit den geheimen Rezepturen zu umwerben, die ich zusammen mit Nan entwickelt hatte. So dankbar ich auch dafür war, dass Nan sie mir vererbt hatte, wusste ich doch, dass ich bald aus ihrem Schatten treten und meine eigenen Düfte kreieren musste. Aber ohne Nan fühlte sich das alles so falsch an. Als würde ein Teil von mir fehlen.
Das Bewerbungsverfahren hatte einige Monate gedauert, und unzählige Male hatte ich gedacht, dass ich diese oder jene Hürde nicht genommen und versagt hatte. Deshalb war ich unendlich stolz und glücklich, als ich schließlich den Anruf mit der Zusage für den Wettbewerb bekam. Das Timing hätte nicht besser sein können: Dies war meine große Chance, dem Kleinstadtleben zu entfliehen und aus meinem Gespür für Düfte etwas zu machen.
Der große Preis war eine beträchtliche Gewinnsumme und die einmalige Chance, eine Duftlinie zu kreieren, die mir viele Türen öffnen könnte.
Nun war ich also hier, in der romantischsten aller Städte. Die Parfumerie Leclère befand sich am Ende genau dieser Straße. Die betörenden Düfte von Jasmin, Zedernholz und Vanille wehten durch die laue Sommerluft verlockend zu mir herüber. Es war eine äußerst verführerische Mischung, die ich gern genauer erforscht hätte.
Während ich noch überlegte, ob ich schnell aus nächster Nähe schnuppern sollte, löste sich mein seidenes Halstuch in einer Windböe und wehte wirbelnd über die Straße. Als ich ihm hinterherlaufen wollte, wurde ich noch vor meinem ersten Schritt auf die Straße beinahe von einem Auto gestreift und fiel, als ich zurückzuckte, rücklings auf den Gehweg – was nicht nur meinem Hintern weh tat, sondern auch meinem Ego. Quel blamage!
Beschämt sah ich mich um und bemerkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen attraktiven Mann, der mich mit aufrichtig besorgtem Blick beobachtete. Mit hochrotem Gesicht stand ich auf und schnitt eine entschuldigende Grimasse. Unsere Blicke trafen sich für eine Sekunde, und die Zeit schien stillzustehen. Doch ich schämte mich zu sehr, als dass ich das prickelnde Gefühl, das sich in mir ausbreiten wollte, zulassen konnte. Als ich wieder aufsah, nickte mir der Mann kurz zu und ging – die Hände in den Jeanstaschen, das dunkle Haar windzerzaust – weiter Richtung Champs-Élysées.
Ich ermahnte mich, dass ich in Paris nicht mehr wie in Whispering Lakes einfach so über die Straße laufen konnte. Trotzdem freute ich mich, dass auch in dieser großen Stadt jemand besorgte Anteilnahme gezeigt hatte. Es war ein tröstliches Gefühl – unter das sich auch eine leise Sehnsucht mischte.
Ich strich meinen Rock glatt, und als ich wieder aufsah, kam Madame Leclère mir schon entgegen. Sofort nahm ich ihren angenehmen Duft nach indischer Rose wahr. Ihr Haar war perfekt frisiert, ihr Make-up tadellos, und trotz der eleganten hohen Absätze bewegte sie sich sicher, gleichzeitig aber auch leichtfüßig und tänzerisch. So stellte ich mir Französinnen vor. Vielleicht kamen sie schon mit diesem besonderen Hauch von Glamour zur Welt? Wie auch immer – ich beneidete sie darum. Selbst in meinen neu gekauften Sachen kam ich mir plötzlich altbacken und gewöhnlich vor.
»Hallo, Del! Herzlich willkommen. Ich bin Aurélie.« Sie strahlte mich an und führte mich in die luxuriöse Eingangshalle des Hauses, verkleidet mit dunklem Holz, dekoriert mit vergoldeten Ornamenten und samtenen Vorhängen. In der Luft hing der Geruch von Möbelpolitur und das Flüstern der Vergangenheit. Ich musste mich zusammenreißen, um vor Staunen nicht mit offenem Mund dazustehen.
Aurélie lächelte, als wüsste sie genau, was ich dachte. »Herzlich willkommen in Paris«, begrüßte sie mich erneut mit ihrem französischen Akzent. »Ich zeige Ihnen jetzt Ihr Zimmer, damit Sie sich ein wenig ausruhen können. Später kommt hoffentlich auch mein Sohn, um Sie ebenfalls zu begrüßen.«
Sébastien Leclère war nach dem Tod seines Vaters zum neuen Leiter der Parfumerie Leclère ernannt worden, und bislang hatte ich trotz meiner vielen Telefonate mit dem Management-Team keinen direkten Kontakt zu ihm gehabt. Inzwischen war ich mächtig gespannt auf diesen Mann, über den es nur sehr wenige Informationen gab. Meine Internetrecherchen hatten rein gar nichts ergeben.
»Ich freue mich schon sehr darauf, ihn kennenzulernen«, sagte ich – und musste gleichzeitig gähnen. Oje, das sah nach schlechten Manieren aus, was meine Nan mir sofort unter die Nase gerieben hätte.
»Sie sind bestimmt müde von der Reise«, sagte Aurélie lächelnd.
»Ich habe den ganzen Flug über Filme geguckt, obwohl ich vielleicht besser hätte schlafen sollen.« Ich hätte nie gedacht, dass Fliegen so viel Spaß machte. Von den kleinen Erdnusstütchen bis hin zum Sekt hatte ich alle Angebote probiert und es genossen. Im Moment war ich allerdings zu aufgedreht, um irgendetwas anderes zu fühlen als Aufregung und eine leise Panik.
»Ach, Sie müssen jeden Moment genießen«, sagte Aurélie. »Das Leben will gelebt werden.«
Sie wirkte sehr sympathisch und warmherzig und kein bisschen arrogant, wie ich im Vorfeld befürchtet hatte. Jahrelang hatten die Leclères Kontakt mit der Presse vermieden, weil sie der Meinung waren, ihre Parfüms würden für sich sprechen. Deshalb hatte ich wohl angenommen, sie wären allesamt sehr zurückhaltend, in sich gekehrt und unfreundlich.
Nach dem Tod des Familienoberhaupts Vincent Leclère hatte sich so einiges geändert. Es passte eigentlich nicht zur Familientradition, die Türen zu öffnen und Fremde einen Blick hinter die Kulissen werfen zu lassen. Wollte der Sohn und Erbe Sébastien in der Welt der Parfümerie eine eigene Duftmarke setzen? Wollten sie ihr Geschäft erweitern? Oder mit diesem Wettbewerb einen neuen Chef-Créateur für ihre Düfte finden? Fragen über Fragen …
Sébastien war offenbar Meister darin, den Paparazzi auszuweichen, und irgendwann hatten diese dann aufgegeben, so dass es keine Fotos gab und niemand wusste, wie der Mann eigentlich aussah. Ich stellte ihn mir wie das Klischee eines Duftmeisters vor: schmales Gesicht mit langer Nase, dünne Lippen und blasse Haut, die nie mit Sonne in Berührung kam. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich selbst auch einen kräftigen Schuss Sonne gebrauchen könnte.
»Kommen Sie, ich möchte Ihnen noch etwas zeigen«, sagte Aurélie und führte mich durch einen Hinterausgang wieder nach draußen, nachdem ich meinen Koffer beim Concierge abgestellt hatte.
Ich folgte ihren flotten Schritten, und kurz darauf standen wir vor der legendären Parfumerie Leclère. Beim Anblick des legendären Ladens klopfte mein Herz schneller. Schon seit Jahren träumte ich davon, dieses Duftparadies betreten zu dürfen. Jeder gute Parfümeur schätzte das Haus Leclère und seine Kreationen – es war weltberühmt. Der Laden selbst glich allerdings eher einer alten Apotheke und war noch beeindruckender als auf den Fotos, die ich gesehen hatte.
»Aurélie, das ist wunderbar! Ich komme mir vor wie in einem Traum.«
Die dunkle Steinfassade war verwittert und mit dem Alter stumpf geworden. In den Fenstern hingen seitlich geraffte, petrolgrüne Samtvorhänge. Im Ladeninneren konnte ich antike Stühle mit blauen Polstern erkennen, die vor goldenen Schaukästen standen. An den Wänden standen rundum maßgefertigte dunkle Schränke, auf deren Regalen die verschiedensten Tinkturen standen. Mittendrin hing ein Schwarz-Weiß-Porträt des Meisters höchstpersönlich: Vincent Leclère. Der exzentrische Mann mit dem gütigem Blick und seinem geheimnisvollen Lächeln …
Von kleinen Lampen beleuchtet, schienen die Parfümfläschchen zu glühen. Alle waren einzigartig, manche mit perligem Goldrand versehen, andere mit Verschlüssen aus glitzerndem Kristallglas. Welche magischen Düfte sie wohl enthielten? Wie gern wäre ich hineingegangen und hätte sie mir nacheinander auf die zarten Innenseiten meiner Handgelenke getupft. Gerade als ich mich von dem faszinierenden Anblick losreißen wollte, bemerkte ich eine Frau mit rötlichen Haaren, die schallend lachte. Sie sah einer englischen Sängerin zum Verwechseln ähnlich.
Gerüchten zufolge erschuf Leclère tatsächlich Düfte für Berühmtheiten, doch sie verloren darüber nie ein Wort.
»Ist das etwa …?«, begann ich. Aber Aurélie lächelte nur verhalten und zog dezent eine Augenbraue hoch.
Dann zeigte sie durch die Fensterscheibe auf das eine oder andere besondere Einrichtungsstück und erzählte mir deren Geschichten – einen hübschen rosafarbenen Ohrensessel, der vor vielen Jahren einer Prinzessin gehört habe und ein Geschenk an Vincent gewesen sei, zusammen mit der antiken Frisierkommode, vor der jetzt Kundinnen sitzen und sich im Spiegel betrachten konnten.
Alles war so französisch, dass ich das Gefühl hatte, in eine alte Postkarte eingetaucht zu sein. Plötzlich hatte ich die Stimme meiner Zwillingsschwester Jennifer im Ohr, so deutlich, als würde sie neben mir stehen: Was bist du nur für ein Glückspilz, dass du in Paris sein darfst, würde sie sagen. Ich wünschte, Jen könnte diese Parfümerie sehen. Sie würde vor Aufregung meinen Arm umklammern.
Ich spürte einen dumpfen Stich im Herzen, wenn ich daran dachte, dass wir zum ersten Mal in unserem Leben getrennt waren. Wir waren einander so nah, dass sie meine Bewegungen spiegelte, meine Sätze vervollständigte und mir in jeder Hinsicht glich – abgesehen davon, dass sie ohne besonderen Geruchssinn auf die Welt gekommen war. Ein auffälliger Unterschied zwischen uns, wenn man bedachte, wie sehr ich in Düften lebte, atmete und träumte. Trotzdem hatten wir vorgehabt, unser eigenes Geschäft zu eröffnen. Doch der Traum unserer eigenen Parfümerie – unsere große Chance, dem amerikanischen Kleinstadtmief zu entkommen und die große weite Welt zu erschnuppern –, lag auf Eis. Für unbestimmte Zeit. Es tat immer noch weh, dass Jen mich so im Stich gelassen hatte. Das hätte ich mir nie träumen lassen, nicht von meiner Zwillingsschwester.
Doch nun war ich hier, allein … hier konnte ich einen Neuanfang wagen.
»Sie werden noch Zeit haben, die Parfümerie zu erkunden«, holte Aurélie mich wieder in die Gegenwart zurück. »Aber jetzt zeige ich Ihnen endlich Ihr Zuhause für die nächsten Wochen.«
Zurück im Haus, lief sie leichtfüßig die Stufen hinauf, während ich mit meinem Koffer hinterherstampfte und mich bemühte, dabei nicht übermäßig laut zu schnaufen und so meine mangelnde Fitness zur Schau zu stellen. Irgendwo im Haus duftete es nach französischer Küche: Knoblauch in Butter, frischer Thymian, Weißwein und andere köstliche Sachen schmorten irgendwo vor sich hin und durchzogen die Räume mit verführerischem Duft.
»Hinten links in diesem Flur geht es zum Wohnzimmer und gegenüber sind eine Küche, die Sie nutzen können, und das Esszimmer. Sie haben zwar auch eine Kochnische in Ihrem Zimmer, aber wenn Sie richtig kochen wollen, müssen Sie in diese Küche gehen. Ich hoffe, Sie fühlen sich hier wohl.«
»Merci.« Ich nickte dankbar.
»Und hier ist Ihr Schlafzimmer, das Sie sich mit unserer Pariser Kandidatin teilen werden, Clémentine. Wenn Sie mich brauchen: Auf dem Nachtschrank liegen ein paar Informationen und meine Kontaktdaten. Den Nachmittag, oder das, was davon übrig ist, haben Sie jetzt zur freien Verfügung. Abendessen gibt es um acht in unserer Wohnung. Dann wird auch Sébastien hier sein, um Sie zu begrüßen.«
»Merci, Aurélie«, erwiderte ich lächelnd. Beim Essen wäre sicher genug Zeit, die anderen Teilnehmer kennenzulernen und zu erfahren, wie es um ihre Parfümkunst bestellt war. Ich freute mich darauf, neue Menschen zu treffen, die nicht alles von mir wussten, so wie die Leute in meinem Heimatort.
Hier würde man mich nur als das sehen, was ich war, nicht als Jens Zwillingsschwester, nicht als Tochter umherziehender Hippies. Ich konnte mich neu erfinden. Vielleicht würde ich etwas über mich erfahren, von dem ich noch nichts geahnt hatte. Und das in einer der schönsten Städte der Welt.
Ich warf meine Handtasche auf eines der Betten und sah mich in meiner neuen Unterkunft um. Das Zimmer war nicht übermäßig groß, aber sehr hell und sauber und ausgesprochen pariserisch eingerichtet, mit kleinen Details, um es gemütlich zu machen. Die zwei breiten Betten waren weiß bezogen und mit dicken Kissen bestückt. Auf einer antiken Kommode stand eine Vase mit frischen Pfingstrosen, die einen wunderbaren Duft verströmten. Es gab ein kleines Bad mit flauschigen weißen Handtüchern, und neben dem Balkon befand sich die Kochnische, die tatsächlich nur aus einem Schränkchen mit Wasserkocher, Kaffee- und Tee-Utensilien und einem kleinen Kühlschrank bestand. Ich widerstand dem Drang, meine Schwester anzurufen, wie ich es normalerweise getan hätte. Doch nun musste ich zeigen, dass ich auch ohne sie zurechtkam, anstatt mich alle fünf Minuten bei ihr zu melden.
Vom Balkon aus konnte ich den Arc de Triomphe sehen, der majestätisch das Stadtviertel überragte. Auf den Champs-Élysées tummelten sich Touristen mit Kameras um den Hals, aufgeschlagenen Reiseführern und tropfenden Eiswaffeln. Autos brausten auf mehreren Spuren in beide Richtungen, und ein Raunen unterschiedlicher Sprachen und Akzente drang zu mir herauf. Was für eine hektische Stadt!
Plötzlich hörte ich das Geräusch von Kofferrollen und eine laute Stimme aus dem Flur, und ich versuchte, zu verstehen, was gesagt wurde.
»Excusez-moi, aus dem Weg, bitte! Oh là là, sind die schwer.«
Noch bevor ich die Frau sah, nahm ich ihren Duft wahr. Ihr Parfüm hatte die kräftige Note verführerischer, vor Reife berstender süßer Feigen.
»Bonjour, bonjour, darf ich mal durch?« Es klang, als müsste sie jede Menge Leute aus dem Weg scheuchen, während sie durch den Flur polterte und offenbar ihr Zimmer suchte – unser Zimmer. Ich hielt einen Augenblick die Luft an. Machte sie immer so viel Lärm?
Kurz darauf flog die Tür auf, und sie stand vor mir.
»Del!«, rief sie, stürzte mir entgegen und umarmte mich wie eine lang vermisste Freundin. »Ich bin Clémentine und habe schon so viel von dir gehört! Die Amerikanerin mit der feinen Nase«, sagte sie mit schwerem französischem Akzent. Sie ließ mich los, und ich rang nach Luft. Meine Zimmergenossin war tatsächlich eine beeindruckende Erscheinung mit ihrer extrem weiblichen Figur, dem enganliegenden Kleid und den Wangen voller Rouge. Neben ihren üppigen Rundungen fühlte ich mich fast jungenhaft flach.
Mit meinem braunen, gewellten Haar und dem schlichten Make-up konnte ich es mit ihren blonden Locken, den blau geschminkten Rehaugen und ihren vollen kirschroten Lippen nicht aufnehmen. In ihrer Extravaganz wirkte sie beinahe burlesk. Was Mode betraf, richtete auch ich mich gern nach den neuen Trends, aber Clémentine war noch mal eine ganz andere Nummer. Man musste schon viel Mut und Selbstbewusstsein haben, um sich derart auffällig zu kleiden.
»Bonjour! Dein Kleid gefällt mir, du siehst toll aus«, sagte ich und lächelte sie an.
Doch statt sich für das Kompliment zu bedanken, seufzte sie nur und sagte: »Das hier?« Sie deutete auf ihr rubinrotes Samtkleid. »Dabei bin ich geradezu – wie sagt ihr? – suchtvoll nach clafoutis, Kirschauflauf.« Sie schnalzte mit der Zunge, als wollte sie sich selbst tadeln. »Man sagt doch, Französinnen werden nicht dick, oder? Französinnen können tun und lassen, was immer sie wollen. Wie sagt meine maman immer?«
Das wusste ich natürlich nicht, aber sie beantwortete ihre Frage ohnehin gleich selbst.
»Sie sagt, wenn ich so weiteresse, werde ich nie einen Mann abkriegen, ich solle mich mehr zurückhalten.« Sie verzog das Gesicht. »Aber warum? Wenn ein Mann der Richtige ist, wird er alles an mir lieben.« Sie legte sich eine Hand auf den Bauch. »Und bis dahin esse ich, was ich will.«
Eine Frau mit glatten, leuchtend roten Haaren lehnte sich in den Türrahmen. »Man soll sich ja auch nicht kasteien, Clémentine. Alles eine Frage der Balance.« Ihr vielsagender Blick verriet, dass sie Clémentine verdächtigte, diese Balance zu verlieren. Offenbar kannten sich die zwei, allerdings sprach die Frau mit britischem Akzent.
»Pah«, meinte Clémentine. »Deswegen geht es solchen Menschen immer misérable.« Sie wedelte eine Hand in Richtung der Frau, und ihre roten Fingernägel blitzten auf. »Sie haben ständig Hunger.«
Ich hatte Mühe, Clémentines leidenschaftlichem Monolog zu folgen – und mir das Lachen zu verkneifen. Sie war derart theatralisch und wirkte dabei so aufrichtig und offen, wie ich noch nie jemanden erlebt hatte.
Die Engländerin verdrehte die Augen und streckte mir ihre Hand entgegen. »Ich bin Kathryn, aus London. An Clémentine wirst du dich schon noch gewöhnen. Sie benimmt sich immer, als wäre die Welt ihre Bühne.«
Ich lachte. Beide Frauen mochte ich auf Anhieb. »Woher kennt ihr euch?«
Clémentine zuckte die Schultern. »Kathryn hat vor einer halben Ewigkeit hier in Paris die Parfümschule besucht. Damals hat sie noch clafoutis gegessen und sah bedeutend glücklicher aus, das sage ich dir.«
»Ich hab vor ein paar Jahren hier studiert, aber Cléo tut fast so, als wär ich schon uralt.« Sie bedachte Clémentine mit einem eindringlichen Blick.
Man konnte spüren, dass sie einander sehr mochten, auch wenn sie einander aufzogen.
»Ich bin Del, aus Michigan.« Den Namen meiner Schwester nicht im selben Atemzug zu nennen, fühlte sich komisch an.
»Das wissen wir schon«, sagte Kathryn. »Und wenn man den Gerüchten glauben darf, müssen wir uns vor dir in Acht nehmen.«
Ich legte den Kopf schräg und überlegte, was ich darauf antworten sollte. »Ich wüsste nicht, warum.« Ich hielt es für besser, das besondere Talent, das sie mir andichten wollten, herunterzuspielen. Ich wollte nicht, dass sie sich gegen mich verbündeten, noch ehe die Sache hier richtig losging.
Kathryn verschränkte die Arme. »Keine falsche Bescheidenheit, bitte. Wir wissen alles über dich: Deine Großmutter hat dir alles über Parfüms beigebracht und …« Sie verstummte, und der Satz blieb in der Luft hängen.
Woher wussten sie von mir und Nan?
»Wer hat euch das erzählt?«
»Es ist nicht schwer, an Informationen zu kommen, wenn man weiß, wo man suchen muss«, antwortete Kathryn. »Das Internet ist eine wunderbare Sache.«
»Oui«, bestätigte Clémentine. »Und wenn du eine zweite Anaïs Laurent werden willst, bitte sehr.«
Dass sie mich so unverhohlen dazu bringen wollten, mich als ihre gefährlichste Rivalin zu outen, brachte mich wieder zum Lachen. Aber so leicht würde ich nicht darauf hereinfallen.
»Der Vergleich mit Anaïs Laurent ist aber sehr gewagt.« In der lange Zeit von Männern dominierten Welt des Parfüms hatte diese Französin Frauen den Weg geebnet. Ihr Geruchssinn war legendär, und ihre Parfüms verkauften sich immer noch so, als wären sie nicht schon vor über fünfzig Jahren kreiert worden. Es war der Traum eines jeden Parfümeurs, eine so beliebte Duftrezeptur zu kreieren, dass sie auch nach seinem Tod noch weiterlebte.
Clémentine kniff ihre stark geschminkten blauen Augen zusammen. »Bitte lass doch das Understatement, Del. Gib lieber zu, dass du die Favoritin für den ersten Preis bist, dann können wir alle fair miteinander umgehen, non?«
Ihre klaren Worte faszinierten mich zwar, doch ich ließ mir nichts anmerken. »Du hast recht. Und ich hoffe, wir können trotzdem Freunde werden.«
»Aber das sind wir doch schon.« Clémentine warf ihre Handtasche auf das Bett neben dem Balkon, das ich eigentlich schon für mich ausgesucht hatte.
»Aber sag mal«, fuhr sie fort, »wie fandest du denn das Auswahlverfahren? Was das nicht horrible?«
Ich lachte. »Das kannst du laut sagen! Irgendwann dachte ich, das schaffe ich nie. So viele Tests, und dann noch der Stress mit den Skype-Terminen …«
»Meine Hände haben so stark gezittert, dass ich dachte, ich lasse mein Reagenzglas fallen, und alles zerspringt in tausend Scherben, aber jetzt sind wir tatsächlich hier. Warum hast du dich denn beworben?«, fragte sie mich.
Ich verschränkte die Arme und dachte einen Moment nach.
»Da gibt es viele Gründe. Ich wollte die Leclères kennenlernen, ich hatte Abenteuerlust und Fernweh …« Und natürlich wollte ich gewinnen. »Schöne Düfte machen mich einfach glücklich.« Ohne Nan musste ich allerdings darum kämpfen, wieder dieselbe Freude bei der Herstellung von Düften zu empfinden, die ich einst hatte. Ehrlich gesagt, musste ich darum kämpfen, überhaupt wieder häufiger Freude zu empfinden. Jen war der Meinung gewesen, dieser Wettbewerb könne mir dabei helfen. Oder hatte sie ihn nur vorgeschlagen, um mich aus dem Weg zu haben?
»Verstehe«, sagte Clémentine. »Wir haben gehört, ihr wolltet eine Parfümerie in New York eröffnen, aber deine Schwester hat kalte Füße bekommen. Das muss hart für dich gewesen sein, vor allem, wo ihr euch so nahesteht. Und sie hat das alles wirklich nur für einen Mann aufgegeben?«
Ich erstarrte. Wie konnte sie das wissen? Ich war in persönlichen Dingen eher zurückhaltend und tratschte meine Sorgen und Nöte mit Sicherheit nicht über soziale Netzwerke aus. »Woher weißt du das alles, Clémentine?« Ich versuchte, entspannt zu wirken, aber meine Worte klangen vielleicht doch etwas schroff.
»Zufällig kenne ich ein paar Leute in Manhattan, und sie haben erzählt, dass du den kleinen Laden aufgegeben hast, bevor du auch nur einmal in New York warst. C'est tragique!«
Plötzlich kamen mir die Tränen. Ich schluckte hart und wandte mich ab, tat so, als würde ich etwas in meiner Tasche suchen. Was für ein blöder Zufall, dass sie ausgerechnet dieses dunkle Kapitel meiner Vergangenheit kannte. Die Entscheidung, diesen Pop-up-Store aufzugeben, war mir schwergefallen und hatte mich zutiefst erschüttert, aber ich hätte es einfach nicht allein in New York schaffen können. Wieder einmal hing alles vom Geld ab – ohne Jen und ihre Hälfte des Startkapitals konnte ich mir meinen Traum einfach nicht leisten. Und es tat weh zu wissen, dass dieser Laden wahrscheinlich nie wieder zur Verfügung stehen würde, zumindest nicht für mein Budget. Jen hatte mir zwar ihre Ersparnisse leihen wollen, aber ohne sie an meiner Seite wollte ich sie nicht mehr darum bitten.
»Habe ich dich traurig gemacht?«, erkundigte sich Clémentine.
Ich setzte ein Lächeln auf. »Nein, gar nicht. Ich werde trotzdem nach New York gehen, aber zuerst wollte ich nach Paris.« Und hier das Geld für New York gewinnen … War die Verzweiflung in meinen Augen zu lesen?
»Dann ist ja alles gut«, sagte Kathryn und wechselte das Thema. »Wir müssen unbedingt auf diese Anastasia aufpassen, die soll bei Düften auch eine Menge Tricks auf Lager haben und schrecklich egoistisch sein, wie ich gehört habe.«
In diesem Moment spürte ich schlagartig meine große Erschöpfung. Lag es daran, dass Clémentine in meiner Vergangenheit gebohrt und all diese Erinnerungen heraufbeschworen hatte? Ich straffte die Schultern. Ich war in Paris, um zu gewinnen, verdammt noch mal! Und das würde ich auch.
Ich habe vor dem Essen noch eine Verabredung«, verkündete Clémentine und zwinkerte vielsagend, so dass klar war, dass es sich dabei um einen Mann handelte. »Bis bald!« Sie warf einen Kuss in die Luft und verließ mit schwingenden Hüften den Raum.
Mein Handy vibrierte, und Jens Name erschien auf dem Display. »Bonjour, Mademoiselle«, sagte ich mit schlechtem französischen Akzent, um zu überspielen, dass mir die Natürlichkeit im Umgang mit meiner Schwester abhandengekommen war. Irgendwie kam sie mir fremd vor, aber ich hoffte, das Gefühl würde bald wieder vergehen.
»Na, sieh mal einer an, du bist ja schon ganz franzosifiziert«, meinte sie. Ich war vorher noch nie von Jen getrennt, und nun befanden wir uns sogar auf verschiedenen Kontinenten. »Dann erzähl mal. Wie war die Reise? Ist Paris so schön, wie alle sagen?«
Ich ließ mich aufs Bett fallen und erzählte, als hätte sich zwischen uns nichts geändert … als hätte sie mich nicht maßlos enttäuscht. Ich erzählte ihr alles, außer von meinem Sturz und dem Blickkontakt mit einem attraktiven Fremden. Sie sollte sich um mich keine Sorgen machen.
»Und noch keine heißen Männer? Der Pilot, der Chauffeur, jemand von Leclère? Ich wette, die sind alle verführerisch französisch …«
Ich schnalzte abfällig mit der Zunge. »Ich bin nicht hier, um mich zu verlieben, Jen. Wie du ja eigentlich auch weißt …«
Sie schnaubte leise. »Na, in der Stadt der Liebe wird doch bestimmt ein bisschen Zeit für Romantik sein, oder etwa nicht?«
»In der Stadt des Lichts«, korrigierte ich. Sie wusste genau, wie wichtig dieser Wettbewerb für mich war. Ich hatte meinen langweiligen Job und finanzielle Sicherheit aufgegeben, um daran teilnehmen zu können. Wenn ich nicht gewann, würde ich nach Hause in die Arbeitslosigkeit zurückkehren, und das wollte ich auf keinen Fall. Vor allem jetzt nicht.
»Aber die Franzosen sind doch alle heiß, oder etwa nicht?« Jens neuestes Projekt lautete, einen Seelenverwandten für mich zu finden, weil sie selbst bis über beide Ohren verliebt war. Plötzlich hieß es andauernd: Oh, là, là, guck dir den doch mal an, der sieht aus wie einer für immer, frag doch mal nach seiner Nummer. Als wäre ich völlig verzweifelt und könnte es gar nicht erwarten zu heiraten, obwohl im Moment doch das genaue Gegenteil der Fall war.
In ihrer Rolle als verträumte Romantikerin zeigte sie mir eine ganz neue Seite von sich, und ich wünschte, ich würde bald meine Schwester zurückbekommen. Natürlich wollte auch ich irgendwann heiraten und Kinder kriegen, aber erst würde ich als Parfümeurin Karriere machen. Außerdem war ich in Sachen Liebe schrecklich unbegabt. Meine letzten Beziehungen waren alle früher oder später im Sand verlaufen, weil ich zwischen meinen Düften alles andere vergaß. Außerdem hatte bisher auch kein Mann mein Herz wirklich berührt – was mich schon ein wenig nachdenklich machte, da ich bald dreißig würde.
Ein Mann müsste in meinen Augen genauso interessant sein wie meine Parfüms, wenn er meine volle Aufmerksamkeit wollte, und dass ich so jemanden in Whispering Lakes noch nicht kennengelernt hatte, war nicht weiter verwunderlich.
Düfte zu kreieren, war meine Zukunft. So sehr ich meine Eltern auch liebte, wollte ich auf keinen Fall so enden wie sie: ohne Arbeit, ohne festes Zuhause, ohne den Ehrgeiz, etwas daran zu ändern, und mit dem Vertrauen, dass ihre Töchter sich schon um sie kümmern würden.
»Und?«, unterbrach Jen meine Gedanken. »Du hast jemanden kennengelernt, stimmt's?«
»Was? Nein. Ich bin doch gerade mal fünf Minuten hier«, antwortete ich genervt. »Hör zu, ich bin sicher, unter all den Fröschen gibt es auch ein paar Prinzen, aber das ist mir im Moment egal. Ich habe hier Wichtigeres zu tun.« Sollte ich in Paris versagen, würde meine Vorstellung einer Zukunft als Parfümeurin verpuffen. Mein Plan war es, irgendwann doch noch nach New York zu gehen, aber erst musste ich das Geld dafür zusammenbekommen, und dafür galt es noch einige Hindernisse zu bewältigen.
»Es wäre wirklich eine Verschwendung, bis nach Paris zu reisen und dann keinen Franzosen zu küssen«, sagte Jen verträumt, als hätte sie mir gar nicht zugehört.
»Und nebenbei den Wettbewerb zu verlieren und in Whispering Lakes um meinen alten Job betteln zu müssen? Einen Job, in dem ich Düfte verkaufe anstatt sie zu erschaffen? Auf gar keinen Fall.« Die Vergangenheit konnte ich nicht mehr ändern, aber das Gefühl des Verlusts brodelte noch immer unter der Oberfläche und kam hin und wieder zum Vorschein.
Wir schwiegen, was in unseren Gesprächen immer häufiger passierte. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich das ändern sollte. Früher konnten wir ohne Pause miteinander reden, waren von einem Thema zum nächsten gedriftet. Nun aber hatten wir unterschiedliche Wege eingeschlagen und schienen uns in entgegengesetzte Richtungen zu bewegen.
Schließlich seufzte sie und murmelte: »Nan wäre auf jeden Fall stolz auf dich, dass du jetzt in Paris bist und deinen Traum verwirklichst.«
Es war einmal unser Traum gewesen. Wie hatte sie das alles nur wegen eines Mannes aufgeben können?
Ich legte eine Hand an meine Brust, weil ich wieder den inzwischen vertrauten Schmerz spürte, als ich an meine Großmutter dachte. »So verrückt das auch klingen mag«, sagte ich, »aber manchmal habe ich das Gefühl, Nan hätte dieses Abenteuer für mich eingefädelt.«
Schon in meiner Kindheit liebte ich Parfüms und Düfte, und meine Großmutter bemerkte schnell, dass ich einen besonderen Sinn dafür hatte. Solange sie lebte, stellten wir zusammen Düfte her, und ich vermisste sie immer noch so sehr, dass es wehtat. Sie war mehr gewesen als nur meine Großmutter, sie war meine beste Freundin, meine Vertraute und meine Ersatzmutter, wenn meine richtige Mutter gerade mal wieder zu einem ihrer Abenteuer unterwegs war.
»Wenn irgendjemand aus dem Jenseits noch etwas einfädeln könnte, dann wäre es Nan – aber das hier hast du allein geschafft, Del. Das ist deine Chance, von den großen Meistern zu lernen, und ich hoffe, dass du sie nutzt. Vergiss mich und Whispering Lakes und konzentrier dich ganz auf die Parfümerie.«
Es klang, als wollte sie mir die Erlaubnis geben, sie loszulassen. Wir hatten immer alles geteilt, und ich verstand nicht, warum sich das plötzlich ändern sollte, bloß weil sie über beide Ohren verliebt war. Aber die Tage, in denen wir uns einander so nah fühlten, wie nur Zwillinge es vermögen, waren wohl vorbei.
»Als ob ich dich je vergessen könnte.«
»Del, du musst im Jetzt leben, genieße Paris, such dir neue Freunde. Sei tapfer, sei stark, und vergiss nicht zu flirten!«
»Ja, Ma'am«, antwortete ich in gespieltem Gehorsam.
Jen lachte. »Du salutierst gerade, oder?«
Ich ließ die Hand sinken. »Kann sein.«
»Wie sind denn die anderen Teilnehmer so?«
Ich erzählte ihr von der exaltierten Clémentine aus Paris und der eher sanften Kathryn aus London. »Sébastien Leclère wird nachher auch dabei sein, dann werde ich den großen Unbekannten endlich zu Gesicht bekommen. Wir sind bei den Leclères zum Abendessen eingeladen, eine Art Willkommensfeier, denke ich. Dort sehe ich dann auch, mit wem ich es noch alles aufnehmen muss.«
Sie merkte mir meine Nervosität an. »Die mögen vielleicht eine richtige Parfümeur-Ausbildung absolviert haben«, sagte sie in verschwörerischem Tonfall, »aber sie haben nicht von Nan gelernt. Mit ihrem Wissen kann es kein Lehrbuch und kein Chemielehrer aufnehmen, hörst du?«
Ich hatte viele Jahre an Nans »Parfümorgel« verbracht, einem halbrunden Tisch mit abgestuften Regalen, auf denen sauber aufgereiht alle möglichen Duftöle standen, eingeteilt in Kopf-, Herz- und Basisnoten. Konzentriert schlichen Nan und ich umeinander, wenn wir die Essenzen so gewissenhaft mischten, als wollten wir einen Liebestrank zaubern. Wir erschufen maßgefertigte Düfte für Kunden, die eine einzigartige Komposition für sich allein besitzen wollten. Wir verbrachten Stunden in unserer Welt der Düfte und tauchten nur daraus auf, wenn Großvater mit schiefem Grinsen nachfragte, ob er sich zum Abendessen wieder einen Toast schmieren solle.
Vor ein paar Jahren war Nan plötzlich gestorben, und seither war nichts mehr wie zuvor.
»Danke, Jen. Ich werde daran denken.«
Aus liebgewonnener Gewohnheit tätschelte ich beim Gedanken an Nan meine Handtasche, in der sich ihr dickes Notizbuch befand, voll mit Parfümrezepten und komplexen Formeln samt Notizen und Zeichnungen. Es war für mich zu einer Bibel geworden.
»Du schaffst das. Schick mir zwischendurch eine Nachricht, dann kann ich auch Grandpa auf dem Laufenden halten. Ach ja, und viele Grüße von Mom und Dad.«
»Drück sie von mir, okay?«
Als ich auflegte, hatte ich fast ein schlechtes Gewissen wegen meiner Erleichterung darüber, dass das Gespräch vorbei war. Im selben Augenblick kam Clémentine zurück, ihr Lippenstift war verdächtig verschmiert.
»Jetzt brauch ich aber ein Schläfchen«, murmelte sie bloß und warf sich aufs Bett.
Nachdem ich ausgepackt und eine schläfrige Clémentine mit einigen Mühen davon überzeugt hatte, dass die Hälfte des Kleiderschranks tatsächlich für meine Sachen gedacht war, kehrte ich in die Parfumerie Leclère zurück, weil ich hoffte, sie vor Ladenschluss noch besichtigen zu können. Aber ich hatte kein Glück und konnte nur erneut durch die Schaufenster auf die hübschen, geschliffenen Glasfläschchen spähen, die unter ihrer Beleuchtung wie Edelsteine funkelten. Ich meinte, ihre Düfte wahrzunehmen: Lilie, Amber, Rose, Vanille …
Mir blieb noch eine Stunde, bis ich mich für das Abendessen zurechtmachen musste, also schlenderte ich weiter und war beeindruckt von der ungewohnten Umgebung. Im Vergleich hierzu war mein Heimatort nur ein kleiner Ort an einem See irgendwo in Michigan, wo jeder jeden kannte und sich niemals etwas änderte. Ich empfand die Vorstellung mittlerweile als erdrückend. Hier in Paris standen die Menschen in den Geschäften Schlange, drängten sich haufenweise vor den Auslagen, fuhren in unüberschaubarer Zahl Fahrrad und schlängelten sich durch den dichten Verkehr. Es war, als hätte jemand den Lautstärkeregler des Lebens voll aufgedreht.
Daran würde ich mich wohl erst gewöhnen müssen. Alles hier war laut, trotzdem fühlte ich mich sofort von der Energie der Stadt durchdrungen. Paris pulsierte. Und genau das war es, was ich wollte – in einer großen Stadt unter vielen Menschen leben und überall neue Möglichkeiten entdecken.
Ich spazierte weiter und genoss die laue Abendluft. Hinter der nächsten Straßenecke entdeckte ich ein Café mit leuchtend roten Markisen, setzte mich dort ganz vorn an einen Tisch und versuchte, die Speisekarte zu entziffern. Da ich mir den Appetit für das Abendessen nicht verderben wollte, entschied ich mich nur für einen Café au lait, nahm mir jedoch vor, bald wieder herzukommen und die verlockenden Leckereien zu probieren. Croque monsieur, Soufflé fromage, Chouquettes, … Trotz meines Magenknurrens klappte ich die Karte entschieden wieder zu.
Im trubeligen Café gelang es mir nicht, die Aufmerksamkeit eines Kellners auf mich zu ziehen, also ging ich hinein, wartete in der Schlange, bis ich an der Reihe war, und bestellte meinen Kaffee an der Theke.
Eine sehr reserviert wirkende Bedienung sagte kühl: »Wird an den Tisch gebracht.« Ihre Art war so ganz anders, als ich es von zu Hause kannte. Dort hätte man eine Fremde sofort ausgefragt, woher sie komme, warum sie hier sei, wie lange sie bleiben wolle, und binnen weniger Minuten hätte man seine Lebensgeschichten ausgetauscht.
Hier war ich eine namenlose Unbekannte. Aber war es nicht genau das, was ich wollte?
Ganz in Gedanken versunken, legte ich das Geld für den Kaffee auf die Theke, kehrte an meinen Tisch zurück und stolperte dabei über etwas. Ich schrie erschrocken auf und taumelte gegen den Rücken eines Mannes. Instinktiv griff ich nach seinem Arm, um nicht zu fallen. Gemeinsam stürzten wir zu Boden.
Es dauerte eine Weile, bis es uns gelang, Arme und Beine einigermaßen zu entwirren. Mit lautem Stöhnen drehte sich der Mann zu mir, wobei er allerdings meinen Fuß einklemmte, so dass mir nichts anderes übrig blieb, als mich über ihn zu knien. Na, das wird ja immer besser!