Die Knopfmacherin - Corina Bomann - E-Book

Die Knopfmacherin E-Book

Corina Bomann

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Beschreibung

Anno 1502: Die Anhänger der Bundschuhbewegung verbreiten unter den Adligen und Geistlichen Deutschlands Angst und Schrecken und erreichen auch die Stadt Udenheim. Dort fallen die Eltern der jungen Knopfmacherin Melisande den politischen Verstrickungen zum Opfer, ihre Schwester Alina wird von Unbekannten verschleppt. Auf der Suche nach ihrer Schwester gelangt sie nach Speyer und findet beim ansässigen Knopfmacher eine Anstellung. Dabei verliert sie ihr eigentliches Ziel nicht aus den Augen: Sie muss Alina und die Mörder ihrer Eltern finden! Gemeinsam mit Bernhard, dem sympathischen Gesellen des Knopfmachers, begibt sich Melisande auf eine gefährliche Spurensuche. ACHTUNG! Dieser Roman erschien bereits unter dem Titel "Die Knopfmacherin" unter dem Pseudonym "Corinna Neuendorf". Corinna Neuendorf ist das Pseudonym von Corina Bomann. Die Autorin hat die Rechte an ihrem Werk vom Verlag zurückbekommen und veröffentlicht dieses Werk unter neuem Titel und neuem Namen erneut.

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Seitenzahl: 498

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Corina Bomann

 

Die Knopfmacherin

 

Historischer Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Neu überarbeitete Ausgabe 2018

Copyright © Corina Bomann

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages und der Autorin wiedergegeben und verbreitet werden.

"Die Knopfmacherin" erschien erstmals 2011 unter dem Pseudonym Corinna Neuendorf im Ullstein Verlag.

Covergestaltung: Corina Bomann unter Verwendung eines Fotos von Yuliia Chupina (www.shutterstock.com)

ISBN: 978-3-96353-005-0

Prolog

Herbst 1502

Der kalte Nachtwind schnitt den beiden Wanderern schmerzhaft in die Wangen. Von den rauschenden Baumkronen rieselte das trockene Laub. Die Wolken, die den Mond immer wieder verfinsterten, kündeten von weiteren Regenschauern.

Zähneklappernd zog Joß Fritz den Mantel enger um seinen Körper. Der vom letzten Regenguss noch immer klamme, raue Stoff verhinderte nicht, dass die Kälte bis zu seinen Knochen vordrang. Verdammtes Wetter, dachte Fritz wütend. Hätte uns keine bessere Nacht beschieden sein können? Er wusste jedoch, dass kein Fluch der Welt imstande war, das Wetter zu ändern. Deshalb riss er sich zusammen. Wir stehen kurz davor, die Freiheit zu erlangen. Auch die Kälte wird uns nicht von unseren Zielen abbringen.

Ein Lächeln huschte über Joß Fritz’ Gesicht, als er an die vergangenen Monate zurückdachte. Eine wunderbare Zeit war das gewesen! Eine Zeit des Umbruchs, eine Zeit voller Ideen und Pläne. Den Warnungen und Drohungen der Obrigkeit zum Trotz hatten sich tausende Männer und Frauen dem Bundschuh angeschlossen. Nicht nur die Ackerleute waren erzürnt über das schändliche Treiben der Adligen und der Geistlichen. Unter den Neuankömmlingen waren auch Bürger und Handwerker.

Seit Bischof Ludwig von Heimstatt dem Bauwahn verfallen war, erhöhte er beständig die Abgaben und beschnitt seinen Untertanen zunehmend die Forst- und Weiderechte. Nicht wenige Familien sahen allein wegen der schlechten Ernte einem Winter voller Hunger, Siechtum, wenn nicht sogar Tod entgegen. Wo auch immer ein geheimer Werber des Bundschuhs ihre Ideen verbreitete, folgten ihm die Menschen, bewaffnet mit Dreschflegeln, Forken und Sensen.

Zufrieden hatte Joß festgestellt, dass der Geist des Pfeiferhannes in den Menschen weiterlebte. Er war davon überzeugt, dass ihnen das schreckliche Schicksal von Hans Böhm nicht widerfahren würde. Ihnen war es vergönnt, eine neue Ordnung zu schaffen! Eine, in der Gott der einzige Herrscher war und der Adel ihm ebenso gehorchen musste wie der niedere Mann.

»Bei aller Treue zu unserem Bund gibt es dennoch einen Ort, an dem ich jetzt lieber wäre«, bemerkte sein Nebenmann Friedrich Berbaum und erschauderte.

»In der Kammer deiner Agnes, nicht wahr?«, lachte sein Begleiter. »Ich wäre jetzt auch lieber in den Armen eines Weibes, aber unsere Sache ist wichtiger. Können wir angenehme Gesellschaft genießen, wenn uns der Hunger ein Loch in den Magen brennt und draußen die Wölfe heulen?«

»Das können wir nicht«, entgegnete Berbaum entschlossen. »Deshalb bin ich ja auch hier und nicht in meinem Dorf.«

Joß klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »So ist’s recht. Wir werden den Bischof dazu bringen, uns anzuhören. Und wenn er nicht tut, was wir wollen, werden wir ihn angreifen. Angesichts der neuesten Kunde sollten wir voller Hoffnung sein.«

Berbaum nickte zustimmend. Mochten die Fürsten ihre Soldaten auch noch so gut ausrüsten, der Bundschuh hatte viele Anhänger! Wurde ein Dutzend Männer getötet, rückte sofort ein weiteres Dutzend nach. Denjenigen, die hier für die Freiheit kämpften, war es egal, ob sie starben, denn auf sie wartete das Himmelreich.

Plötzlich stocke er. »Dort, ein Feuerschein!«

Joß folgte dem Fingerzeig seines Begleiters. Die Anspannung wich aus seinen Zügen. »Das sind sie!«

Ein paar Schritte weiter ertönte der Ruf eines Kauzes über ihnen.

»Wir sind bemerkt worden«, flüsterte Joß.

Während Friedrich zu den Baumkronen aufblickte, hielt Joß die Hände vor den Mund und erwiderte den Ruf. Daraufhin kletterten zwei mit Gugeln vermummte Männer an den Baumstämmen hinab und zogen die Sicheln, die sie an den Leibgurten trugen. Die Klingen blitzten auf, als das Mondlicht kurz durch die Wolkendecke drang.

»Loset!«, forderte einer der Wächter.

Joß nickte ihm kurz zu.

»Gott grüß dich, Gesell. Was ist dein Wesen?«, fragte nun der zweite Wächter, der wie ein Schatten hinter seinem Kameraden stand.

»Wir werden von den Pfaffen und dem Adel nicht genesen«, antwortete Joß mit fester Stimme, worauf die Wächter die Sicheln wieder senkten.

»Wie lauten Eure Namen?«, fragte der erste weiter, während er die Gugel ein wenig aus der Stirn schob, damit die Neuankömmlinge sein Gesicht sehen konnten.

»Ich bin Joß Fritz, und das hier ist Friedrich Berbaum. Ich freue mich über deine Wachsamkeit, mein Freund.«

Der Wächter blickte verwundert zu seinem Kameraden, dann verneigte er sich vor Joß. »Verzeiht, ich wusste nicht, dass Ihr es seid. Mein Name ist Anselm Peters, das ist Hannes Weber. Folgt uns bitte, Meister Fritz.«

Angeführt von den Wächtern stapften die Männer durch das Gestrüpp. Äste knirschten unter ihren Füßen und Büsche streiften ihre Waden. Schließlich kamen sie zu einer alten Eiche, unter der, dem schlechten Wetter trotzend, etwa zehn Dutzend Männer lagerten. Mit derben Decken schützten sie sich mehr schlecht als recht vor der Kälte, die auch das lodernde Lagerfeuer nicht vertreiben konnte.

»Hört her!«, rief Anselm und durchdrang das Gemurmel der Anwesenden. »Unser Anführer ist da!«

Sogleich verstummten die Männer. Alle Blicke richteten sich auf Joß und seinen Begleiter. Dann lösten sich die Unterführer von ihren Getreuen und scharten sich um die Ankömmlinge.

Joß schüttelte seinen alten Weggefährten die Hand, klopfte ihnen auf die Schulter und erkundigte sich nach ihrem Befinden.

»Wir dachten schon, du kommst nicht mehr«, tönte es von der Seite. Der alte Hans, den alle als Schlossbäcker von Untergrombach kannten, trat vor. Auf seinem Gesicht spielte ein spöttisches Lächeln. Obwohl er nicht besonders groß war und bereits einen grauen Schopf hatte, verfügte er noch immer über die Entschlossenheit eines jungen Burschen. Dass er als Handwerker einem höheren Stand angehörte, hatte ihn nicht davon abgehalten, sich Joß Fritz als einer der Ersten anzuschließen.

»Hans, mein Freund!«, rief Joß, dann fielen sich die beiden Männer in die Arme. »Es tut gut, dich wiederzusehen.«

»Lange genug ist es ja auch schon wieder her. Wie ist es euch ergangen?«

»Wir haben uns ein kleines Scharmützel mit dem Grafen Lauenstein liefern müssen, doch dabei gottlob keinen Mann verloren. Außerdem haben sich uns weitere Kampfbereite angeschlossen.« Hans wandte sich zur Seite und winkte einem Mann zu, der an einem benachbarten Baum lehnte und sich die Fingernägel mit einem Messer säuberte. »Unter den Burschen, die ich aufgetrieben habe, sind auch einige Landsknechte, deren Waffenarme wir im Kampf gut gebrauchen können. Lukas Rapp gehört zu ihnen.«

Der Landsknecht stellte sich breitbeinig neben ihn und schob das Messer in den Gürtel zurück. Sein Gesicht war ein wenig grobschlächtig, doch die Augen wirkten wach und klug. Die silbrige Narbe, die sich von der rechten Wange bis zum Hals zog, kündete von vergangenen Kämpfen, aus denen er siegreich hervorgegangen war.

»Das ist Joß Fritz, der Mann, der uns führen wird«, stellte Hans den Neuankömmling vor.

»Meine Freunde nennen mich Lux. Es freut mich, Euch endlich zu treffen.« Rapp senkte den Kopf wie ein Mann, der es gewohnt war, einem Herrn Gehorsam zu leisten. Doch Untertänigkeit war in seinem Blick nicht zu finden.

»Und mich freut es, dass du den Weg zu uns gefunden hast, Bruder Lux«, sagte Joß, während er seinem Gegenüber die Hand reichte. »Mögen uns dein Name Licht bringen und dein Waffenarm gute Dienste leisten im Kampf gegen die Wölfe!«

»Ich werde mein Bestes tun, Herr.«

»Nenn mich nicht Herr, ich bin ein Bruder wie du auch. Wir kämpfen gemeinsam gegen die Herren, vergiss das nicht.«

Rapp nickte und trat dann ein Stück zurück.

Während sich die Nachricht von seiner Ankunft in Windeseile verbreitete, scharte Joß seine Verbündeten dichter um das Feuer.

»Ich habe mit den Leuten aus Bruchsal gesprochen«, begann er. »Sie allesamt sind einverstanden, dass wir ihre Stadt besetzen.«

»Das wird die Pfaffen wohl kaum kümmern!«, rief einer der Männer und erntete die Zustimmung einiger anderer. »Sie sitzen warm in ihren Kirchen und Klöstern.«

»Natürlich wird sie das kümmern«, feuerte Joß zurück. »Was, glaubst du, wird passieren, wenn sie aus Bruchsal keine Abgaben mehr bekommen?«

»Sie haben noch genügend andere Pfründe«, entgegnete der Rufer aus der hinteren Reihe.

»Mag sein, aber jene leiden genauso unter ihren Herren wie die Bruchsaler. Sie werden ihrem Beispiel folgen und uns bald ebenso die Tore öffnen. Glaubt nicht, dass ich nur vorhabe, eine einzige Stadt einzunehmen!«

Gemurmel wurde unter den Männern laut. »Ist das nicht Frevel gegen Gott?«, fragte ein Älterer zweifelnd. »Immerhin hat er die Obrigkeit eingesetzt.«

Joß hob die Hände. »Wir wollen gewiss nicht die gottgegebene Ordnung vernichten, sondern vielmehr die Herren dazu anhalten, gerecht zu sein. Auch sie sind nur Diener Gottes, und als solche haben sie nach den Geboten der Heiligen Schrift zu handeln und zu leben. Das ist auf keinen Fall ein Frevel.«

»Was ist mit dem Rat der Stadt?«, fragte Hans nun. Als Joß’ Freund war er zuweilen noch kritischer als jene, die sein Vorhaben missbilligten oder an seinem Erfolg zweifelten.

»Sobald uns die Bewohner von Bruchsal die Tore geöffnet haben, werden wir den Rat festsetzen. Die Pfeffersäcke werden dafür sorgen, dass unsere Nachrichten beim Bischof Gehör finden.«

Ein Raunen ging durch die Menge. Die Miene des Schlossbäckers wurde besorgt, und ein paar anderen schien es ähnlich zu ergehen. Joß erkannte in ihren Augen deutlich die Angst vor der Größe ihres Vorhabens. Noch nie zuvor hatten die Bauern etwas Ähnliches gewagt. Aber gerade deshalb, davon war er überzeugt, würde es ihnen gelingen.

»Das Glück ist auf der Seite derjenigen, die Kühnheit an den Tag legen«, setzte Joß hinzu. »Und haben wir nicht ein Anliegen, das gottgefällig ist?«

Dagegen wusste niemand etwas zu sagen.

»Wie sieht dein Plan aus, Meister Fritz?«, tönte es nun aus den Reihen der Männer.

Aufgeregtes Gemurmel brandete auf.

»Ihr werdet gleich alles erfahren, Brüder! Doch zuvor sollten wir unsere neuen Mitglieder auf unsere Ziele einschwören. Pater Johann, wo seid Ihr?«

»Heißt das, du traust uns nicht?«, erscholl ein empörter Ruf von weiter hinten.

Joß konnte den Mann in der Menge nicht ausmachen, doch der Stimme nach war es derselbe, der schon den Sinn der Besetzung Bruchsals in Frage gestellt hatte.

»Nein, das heißt nur, ihr sollt alle vor Gott darüber Zeugnis ablegen, dass ihr treu ergeben zu unserem Bund steht«, antwortete Joß seelenruhig. »Wir alle haben diesen Schwur geleistet, es ist so Brauch bei uns.«

Da niemand sonst etwas dazu sagte, verstummte der kritische Zwischenrufer.

Kurz darauf eilte auch schon der Geistliche herbei. Seine braune Kutte war von Schmutzflecken übersät, denn wie alle anderen hatte er den Weg hierher zu Fuß zurückgelegt. Er zog seinen Rosenkranz vom Gürtel, küsste das Kreuz und stellte sich neben Fritz.

Dieser bedeutete den Eingeweihten mit einem Wink zurückzutreten, sodass nur die noch nicht Eingeschworenen stehen blieben. Einige Männer sahen sich furchtsam um, andere misstrauisch.

»Keine Sorge, euch geschieht nichts«, beschwichtigte sie Joß. »Lasset uns beten.«

Damit sanken er und die bereits Eingeschworenen auf die Knie und beteten das Vaterunser. Die anderen Männer blickten noch immer verdutzt drein, doch dann begriffen sie, was von ihnen verlangt wurde. Auch sie knieten nun nieder und stimmten in das Gebet ein.

»Meine Brüder«, hob der Pater danach an, »wir haben uns hier versammelt, um neue Bundesgenossen unter den Augen Gottes des Herrn den Eid der Treue ablegen zu lassen. Bringt mir die Fahne!«

Ein schmaler Junge erschien vor Joß Fritz, worauf dieser ihm ein zusammengefaltetes bläuliches Stück Stoff übergab. Dieses fest an die Brust gepresst, ging er zu dem Geistlichen und faltete es auseinander. Der Schein des Lagerfeuers offenbarte einen aus Sackleinen geschnittenen und mit groben Stichen befestigten Bundschuh in der Mitte des Banners, daneben prangte ein weißes Kreuz.

»Bei Gott dem Allmächtigen verschreibe ich mich dem Bundschuh und schwöre meinen Brüdern Treue bis in den Tod. Nichts außer der Gerechtigkeit Gottes will ich anerkennen. Amen!«

Während die Männer das Amen nachsprachen, dachte Joß zurück an den Tag, als er die Fahne fertigen ließ. Sein Entwurf hatte eine wesentlich prachtvollere Ausgestaltung vorgesehen. So sollten Jesus am Kreuze sowie ein kniender Bauer und ihr Wahlspruch »Nichts denn die Gerechtigkeit Gottes« darauf prangen. Allerdings hatten sie bisher keinen Maler gefunden, der es gewagt hätte, die Bildnisse auf den Stoff zu bannen. Doch obwohl sich lediglich Kreuz und Bundschuh darauf befanden, hatte das Aussehen der Fahne bald die Runde gemacht. Viele Leute wussten davon, und ihnen war auch bewusst, dass Joß Fritz sich nur dann von dem Stoffstück trennte, wenn neue Brüder eingeschworen werden sollten. Sogar um seine Identität zu bezeugen, benutzte er sie so gut wie nie.

Nachdem die Männer vier Ave-Maria und vier weitere Vaterunser gebetet hatten, erhoben sie sich wieder.

»Meine Brüder!« Joß Fritz stellte sich in ihre Mitte und breitete die Arme aus. »Nun, da alle vor Gott ihre Treue bezeugt haben, ist es an der Zeit, dass ihr erfahrt, wie wir gegen den Bischof vorgehen werden ...«

Ein Ruf ertönte, gefolgt von Waffenklirren. Männer stürmten aus dem Gebüsch, Schwerter und Spieße in der Hand. Armbrustbolzen sirrten durch die Luft. Erschrocken stoben Joß’ Getreue auseinander.

»Zu den Waffen!«, rief jemand, doch da fielen die Soldaten bereits über sie her und stachen nieder, was ihnen vor die Klinge kam. Bolzen fällten einige der Landsknechte, andere suchten Deckung hinter den Bäumen oder ihr Heil in der Flucht.

Alles ging so schnell vonstatten, dass Joß Fritz es nicht zu fassen vermochte. Ehe er selbst zur Waffe greifen konnte, wurde er am Arm gepackt und herumgerissen.

»Komm, wir müssen fort von hier!« Auf Friedrich Berbaums Wams war ein großer Blutfleck, aber es schien nicht sein Blut zu sein. »Die anderen sind ebenfalls schon geflohen.«

Fritz blickte auf die Soldaten, die im Blutrausch auf alles einschlugen, was sich ihnen in den Weg stellte. Wir sind verloren, dachte er. Dann wurde er mitgerissen.

Sie hatten dem Kampfgetümmel gerade den Rücken gekehrt, als vor ihnen ein Reiter auftauchte. Die donnernden Hufe seines Pferdes ließen den Boden erzittern. Schneller, als sie zur Seite ausweichen konnten, war er bei ihnen. Als die Schwertklinge vor ihnen aufblitzte, glaubte Joß schon, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte, aber der Streich traf nicht ihn. Als der Reiter vorbeischoss, schrie sein Gefährte auf.

»Friedrich!«

Blut schoss aus der klaffenden Wunde auf der Brust des Mannes, innerhalb weniger Atemzüge färbte sich das Wams dunkel. In dem Moment kehrte der Reiter zurück. Verzweifelt blickte sich Joß nach einer Waffe um. Da sah er die Forke, die Friedrich bei sich getragen und im Sturz verloren hatte. Während die Pferdehufe auf ihn zu stampften, riss er mit einem Verzweiflungsschrei die Forke in die Höhe. Die Wucht des Aufpralls ließ ihn zurücktaumeln. Knapp sauste das Schwert an ihm vorbei, dann hörte er einen Aufschrei. Wiehernd brach das Pferd zusammen und schleuderte seinen Reiter von sich. Noch während er den dumpfen Aufprall vernahm, quälte sich Joß wieder auf die Beine. Bloß weg von hier!, schrie es durch seinen Verstand. Wenn du stirbst, wirst du den Bauern niemals helfen können.

Da er seinen Freund allerdings nicht zurücklassen wollte, warf er die Forke von sich und eilte zu Friedrich hinüber. Der stöhnte auf, als Joß ihm unter die Arme griff, um ihm aufzuhelfen.

»Nein, nicht! Lass mich hier.«

»Niemals!«, keuchte Joß, und noch während er sich um Berbaum bemühte, blickte er sich nach dem Schlachtfeld um. Der Kampf war offenbar schon wieder vorüber. Die Bewaffneten trieben die Überlebenden zusammen.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ihren Kameraden vermissten oder der Reiter wieder zu sich kam und Alarm schlug. Mit allen Kräften zerrte Joß seinen Freund ins Gebüsch, dann knöpfte er ihm hastig das Wams auf.

»Du musst fliehen«, flüsterte Berbaum.

»Nicht ohne dich«, entgegnete Fritz, während er ein Stück seines Mantels abriss. »Damit werde ich die Blutung stillen, anschließend machen wir uns auf den Weg.«

»Wohin?«

»Das werden wir sehen.«

Im nächsten Moment verstummte Joß, denn er hörte, dass sich der Reiter wieder regte. Nachdem sich der Mann wieder aufgerappelt hatte, stürmte er wutentbrannt an ihnen vorbei.

Vor lauter Angst konnte Fritz nicht atmen. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte er seinem Freund die Hand auf den Mund gepresst. Nun ließ er ihn wieder los und legte ihm den behelfsmäßigen Verband an.

»Wird es gehen?«, fragte er, als er Friedrich auf die Beine zog.

»Es muss wohl. Aber du solltest wirklich ...«

1. Kapitel

Stundenlang hätte Melisande ihren Vater bei der Arbeit beobachten können. In jedem seiner Handgriffe lag ein Versprechen, das sich am Ende des Tages erfüllte: Knöpfe, die das Gewand eines wohlhabenden Mannes oder einer schönen Frau zieren würden. Knöpfe aus Horn, Knochen oder Holz, verziert mit feinen Mustern oder prachtvollen Intarsien.

Die Siebzehnjährige blickte hinüber zu ihrem Vater, dessen dunkelblondes Haar und hochgewachsene Gestalt von flackernden Kerzen beleuchtet wurden. Er war ein kräftiger Mann, dem man auf den ersten Blick nicht ansah, welchem Handwerk er nachging. Seine Hände wirkten grob wie die eines Holzfällers, und dennoch verrichtete er damit die feinsten Arbeiten.

Werde ich je zu solcher Meisterschaft gelangen?, fragte sie sich und blickte wieder auf ihre eigene Arbeit: einen Satz Holzknöpfe, die sie mit Blumenmustern verzieren sollte.

Adam Bruckner, der den Blick seiner Tochter bemerkt hatte, lächelte still in sich hinein. Er erinnerte sich noch gut daran, wie Melisande schon als kleines Kind zu ihm gekommen war, um ihn mit großen Augen bei der Arbeit zu beobachten. Dabei hatte sie abwesend an den Fingernägeln herumgekaut und manchmal nicht einmal bemerkt, wenn die Mutter hinter ihr auftauchte, um sie zurückzuholen. Später waren Knöpfe ihr liebstes Spielzeug geworden. Stundenlang saß sie in seiner Werkstatt und legte Mosaike damit. Ihre jüngere Schwester quengelte oft, dass sie mit ihr spielen sollte, doch Melisande war vollkommen versunken in ihre Beschäftigung. Bereits in dem Augenblick hatte Adam gewusst, dass seine Tochter einmal in seine Fußstapfen treten würde.

An ihrem vierzehnten Geburtstag erfüllte er ihr schließlich ihren größten Wunsch und nahm sie als Lehrling in seine Werkstatt auf. Zwar würde sie nie einen Meisterbrief erhalten, aber Bruckner hegte die Hoffnung, dass sie eines Tages das Geschäft an der Seite ihres Ehemannes übernehmen würde.

Den Wunsch nach einem Sohn und Stammhalter hatte er lange schon aufgegeben. Zwei Töchter hatte ihm seine Frau geschenkt, doch nach der Geburt von Alina hatte ihm die Wehmutter geraten, kein weiteres Kind zu zeugen, weil das Leben seines Weibes auf dem Spiel stehe. Da Bruckner seine Marie liebte, war er ihrem Bett fortan ferngeblieben.

Hätte ein Sohn das Handwerk besser lernen können als meine Melisande?, fragte er sich erneut.

Die vergangenen drei Jahre hatten ihm eine deutliche Antwort gegeben. Arbeiten wie das Ausstanzen von Knopfrohlingen mit dem Stanzeisen waren Melisande alsbald zu einfach geworden. Nach einem Jahr waren die schlichten Holzknöpfe, die sie fertigte, nicht mehr von seinen eigenen zu unterscheiden. Nach und nach hatte sie sich anspruchsvolleren Aufgaben angenommen. So Gott auf meiner Seite ist, dachte er nun, werde ich ihr schon bald die Fertigung einer neuen Art Knöpfe beibringen können.

Bruckner erhob sich und trat hinter Melisande.

Vollkommen in die Arbeit vertieft saß die junge blonde Frau an ihrer Werkbank, vor sich drei fertige Knöpfe, drei Rohlinge und jenen, den sie gerade verzierte. Der Knopfsatz war aus rotem Holz gestanzt und sollte mit feinen Ranken verziert werden. Gewissenhaft ritzte sie das Muster mit einer spitzen Nadel in den wulstigen Rand des Knopfes und betrachtete anschließend zufrieden ihr Werk.

»Du hast wirklich ein Geschick für solch feine Arbeiten.«

Melisande zuckte zwar zusammen, aber ihre Hände blieben ruhig. Nicht schreckhaft zu sein war eine der wichtigsten Fähigkeiten eines Knopfmachers. »Ich danke Euch, Vater.«

Adam nahm einen der fertigen Knöpfe und hielt ihn sich dicht vor die Augen, um alle Feinheiten zu erkennen. Während Melisande ihn abwartend beobachtete, drehte er das Stück hin und her und legte es schließlich zurück.

»Diese Knöpfe werden gewiss einmal das Gewand einer Handwerkersfrau zieren.« Bruckner legte ihr anerkennend die Hand auf die Schulter. »Wenn du dich weiterhin so geschickt anstellst, werde ich dich schon bald Knöpfe aus Messing anfertigen lassen.«

»Das wäre wunderbar!«, platzte Melisande mit leuchtenden Augen heraus. Davon, die Herstellung von Messingknöpfen zu erlernen, träumte sie schon lange. Immer wieder beobachtete sie ihren Vater dabei, wie er heimlich welche herstellte. Noch hatte er keine offizielle Erlaubnis dazu, aber das hielt ihn nicht ab, seine Fähigkeiten zu schulen.

Unter den Knopfmachern war die Verwendung der zulässigen Materialien streng geregelt. Seit Generationen machten die Bruckners Knöpfe aus Horn, Holz, Bein oder Schildpatt, allerdings wurden diese Knöpfe eher von einfachen Leuten und Handwerkern gekauft. Zahlungskräftigere Kunden verlangten nach Messing- oder Zinnknöpfen, manche Damen verzierten ihre Gewänder sogar mit Seidenknöpfen. Aus diesem Grund hatte Bruckner schon vor Wochen seinen Zunftmeister um Erlaubnis gebeten, sein Können dem Messingknopfmachermeister in Speyer vorführen zu dürfen.

Meister Fassbender hatte ihm versichert, sich voll und ganz für ihn einzusetzen, aber bisher warteten sie vergeblich auf Nachricht.

»Melisande, sei so gut und hol uns noch ein paar Kerzen«, bat Adam seine Tochter mit sanfter Stimme. »Ich fürchte, das Licht reicht nicht mehr aus, und wir wollen uns doch nicht die Augen verderben.«

Dieser Tage kam die Dunkelheit schnell nach Udenheim. Auf den nicht allzu warmen Sommer folgte nun ein trüber und kalter Herbst, der Kerzenlicht in der Werkstatt unerlässlich machte.

Melisande legte ihre Nadel ab und ging zu der Truhe im Flur, in der sie die Kerzen aufbewahrten. Dabei vernahm sie, wie ihre Mutter und ihre Schwester miteinander stritten.

»Warum denn nicht, Mutter?«, klagte Alina weinerlich. »Theresa tut es doch auch!«

Melisande rollte mit den Augen. Sie wusste sehr gut, worum es ging. Alina, die noch nie etwas für das Handwerk ihres Vaters übriggehabt hatte, träumte seit einigen Monaten davon, mit einem angesehenen Burschen vermählt zu werden. Dabei wurde sie erst in zwei Monaten vierzehn.

»Du bist noch zu jung, Kind«, redete ihre Mutter besonnen wie immer auf das Mädchen ein. »Außerdem wird Melisande als Älteste zuerst heiraten.«

»Ja, wenn sie denn überhaupt einen Burschen findet!«, trotzte Alina und stampfte mit dem Fuß auf. »Sie hockt ja den ganzen Tag bloß in Vaters Werkstatt und geht nie raus. Ständig hat sie nur ihre Knöpfe im Sinn.«

»Vater wird schon einen Bräutigam für sie finden, wenn es an der Zeit ist. So lange musst du dich eben noch gedulden.«

Melisandes Innerstes zog sich zusammen. Vater wird schon einen Bräutigam für sie finden. Die Worte ihrer Mutter hallten wie Glockenschläge in ihr nach. Eine Heirat war das Letzte, was ihr momentan in den Sinn kam. Sie wollte vielmehr ein meisterliches Können im Anfertigen von Knöpfen erlangen und dem Vater helfen, den Wohlstand der Familie zu mehren.

Während Alina weiterquengelte, nahm sie rasch die Kerzen aus der Truhe und entzündete einige davon in der Werkstatt. Adam Bruckner schien den Streit nicht zu bemerken, denn er arbeitete seelenruhig weiter.

Auch Melisande vertiefte sich bald wieder in die Arbeit. Ihr Vater behauptete oft, dass es eine besondere Gabe sei, völlig in einer Sache zu versinken und sich von nichts stören zu lassen.

Das Klopfen an der Werkstatttür riss allerdings beide aus ihrer Tätigkeit. Rasch erhob sich Melisande und eilte zum Eingang. Durch die Butzenscheibe daneben erkannte sie den Umriss eines Mannes. War er ein Kunde?

»Sei gegrüßt, schönes Kind«, sagte Melchior Fassbender, der Zunftmeister der Knopfmacher. »Ist dein Vater zugegen?«

Melisande starrte ihn überrascht an, dann nickte sie. »Aber ja, kommt nur herein, Herr Fassbender.«

Der gedrungene Mann, der in violettes und blaues Tuch gekleidet war, schob sich an dem Mädchen vorbei und bedachte es mit einem gierigen Blick. Melisande unterdrückte ein Schaudern. Es war stadtbekannt, dass Fassbender etwas übrighatte für junge Frauen. Man sagte ihm sogar nach, eine Geliebte zu haben. Mit seinem Weib geriet er häufig in Streit, weil er es nicht lassen konnte, fremden Rockzipfeln nachzugaffen.

So abstoßend sie den Zunftmeister auch fand, in diesem Augenblick konnte sie nur daran denken, ob er wohl eine Nachricht aus Speyer für ihren Vater hatte.

»Herr Zunftmeister!«, rief Adam und ging dem Mann entgegen.

»Meister Bruckner, ich grüße Euch.«

Die beiden Männer umarmten sich kurz.

»Melisande, hol Wein und Brot für unseren Gast«, wies Adam seine Tochter an.

Während sie in die Küche eilte, vernahm Melisande die Stimmen der Männer hinter sich. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. War es nur ein freundschaftlicher Besuch oder brachte Fassbender tatsächlich Neuigkeiten aus Speyer?

»Ihr fragt Euch sicher, was der Grund meines Besuchs ist, Adam.«

»Ihr seid mir immer willkommen, das wisst Ihr doch.«

»Dennoch werdet Ihr auf Nachricht gewartet haben.«

Melisande hielt den Atem an.

»Eurem Gesuch, Knöpfe aus Messing zu fertigen, wurde von den Zunftmeistern unter der Auflage stattgegeben, dass Ihr Meister Habermann eine Probe Eures Könnens schickt. Natürlich will er in seiner Zunft niemanden haben, der den Anforderungen nicht entspricht. Aber ich bin sicher, das werdet Ihr.«

Bruckner ächzte leise. »Dem Herrn sei’s gedankt. Und Euch, Herr Zunftmeister, ebenfalls.«

Melisande atmete erleichtert auf, dann lächelte sie. Endlich konnten sie all die wunderbaren Knöpfe, die ihr Vater heimlich gefertigt hatte, auch verkaufen. Voller Überschwang stürmte sie in die Küche, wo mittlerweile eisiges Schweigen herrschte.

Alina stand mit missmutiger Miene am Tisch und schnitt Wurzeln. Ihre Mutter schob Holz in der Esse nach, dann rührte sie den Inhalt des Kessels um.

»Der Zunftmeister ist gekommen«, durchbrach Melisande die Stille. Beinahe wäre aus ihr herausgeplatzt, was sie gerade belauscht hatte. Aber dann biss sie sich auf die Zunge, denn ihr Vater wollte der Mutter sicher selbst die gute Nachricht bringen. »Vater hat mich geheißen, Brot und Wein für ihn zu holen«, sagte sie stattdessen.

»In früheren Zeiten hat der Zunftmeister auch nach der Gattin des Handwerkers gesehen«, seufzte Marie Bruckner enttäuscht. »Jetzt hat er offenbar keine Zeit mehr dazu.«

»Er bringt Nachrichten aus Speyer. Vielleicht bekommt Vater endlich die Erlaubnis.«

»Wenn das so ist.« Ihre Anspannung verbergend eilte die Mutter in die Vorratskammer und kehrte wenig später mit einem frischen Brotlaib zurück, den sie mit geübten Handgriffen aufschnitt. Anschließend legte sie noch ein Stück Käse zu den fingerdicken Scheiben. Gegenüber dem Zunftmeister wollte sie sich nicht lumpen lassen.

Als sie fertig war, reichte sie Melisande Brot und Käse auf einem Holzbrett sowie den verlangten Wein. »Bring ihm das mit meinen besten Grüßen.«

Als Melisande in die Werkstatt zurückkehrte, saßen die beiden Männer am Tisch und unterhielten sich angeregt.

»Ihr habt wirklich eine sehr reizende Tochter. Ihr solltet so bald wie möglich einen Gatten für sie suchen. Wie viele Lenze zählt sie mittlerweile?«

»Siebzehn, Meister Fassbender.«

Melisande erstarrte. Warum in aller Welt trachteten alle danach, sie zu verheiraten?

»Wenn ich nicht schon vergeben wäre, würde ich selbst um ihre Hand anhalten.« Der Zunftmeister lachte auf. Ihr Vater sagte nichts dazu. »Im Ernst, Meister Bruckner, Ihr solltet nicht mehr lange warten. Ihr wollt sicher jemanden aus unserer Zunft für sie, nicht wahr? Jemanden, der Euer Geschäft weiterführen oder sogar um eine Zulassung bereichern könnte.«

Ganz gewiss werde ich nicht heiraten, nur damit wir dann Goldknöpfe herstellen dürfen, dachte Melisande trotzig.

»Wenn ich ehrlich bin, will ich meiner Tochter einen Gatten geben, den sie selbst aussucht. Mein Weib und ich haben einander auch ohne das Zutun unserer Eltern erwählt, und unsere Ehe ist glücklich.«

Der Zunftmeister machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das sehe ich anders, Meister Bruckner. Ihr mögt Glück gehabt haben, aber die stabilsten Verbindungen sind jene, die Besitz in die Ehe bringen. Stellt Euch nur vor, was aus Eurer Werkstatt werden könnte, wenn Ihr einen Burschen fändet, der Erbe eines Goldknopfmachers wäre. Der alte Wasmeier hat einen prächtigen Sohn, der nun, da sein Bruder gestorben ist, die Werkstatt einmal übernehmen wird.«

Melisande hatte Mühe, das Brett in ihrer Hand festzuhalten, so rasch kochte der Zorn in ihr hoch. Jedermann in Udenheim wusste, dass der alte Wasmeier nicht nur seine Knechte übel behandelte. Auch seinem eigenen Weib und seinen Töchtern erging es schlecht, wenn ihn wieder die Wut packte. Nicht nur, dass seine Söhne nach ihm geraten waren: Sie hatte ganz gewiss nicht vor, sich einem Mann an die Hand geben zu lassen, der solch einen Vater hatte. Was würde er alles mit ihr anstellen, wenn schon sein eigenes Fleisch und Blut derart unter ihm zu leiden hatte?

»Ihr vergesst eines, Zunftmeister«, wandte Bruckner höflich ein. Melisande beruhigte sich wieder, als sie den ablehnenden Tonfall ihres Vaters vernahm. »Der Bursche muss auch Gefallen an meiner Tochter finden. Außerdem glaube ich kaum, dass Meister Wasmeier für seinen Sohn die Tochter eines Holz-, Knochen- und Messingknopfmachers haben will. Sicher hat er bereits eine Patriziertochter auserkoren.«

»Aber bedenkt nur, Eure Werkstatt würde die seines Vaters hervorragend ergänzen«, setzte Fassbender hinzu, der offenbar nicht verstand, was Adam Bruckner ihm sagen wollte. »Außerdem bin ich mit Wasmeier sehr gut bekannt. Ihr könntet in völlig andere Schichten aufsteigen.«

Das reichte! Geräuschvoller, als es angebracht war, trat Melisande durch die Tür. Sofort verebbte das Gespräch, ihr Vater und der Zunftmeister blickten auf.

»Ah, da bist du ja mit dem Mahl, mein Kind!«

Es war ihm mehr als deutlich anzusehen, dass Bruckner die Unterbrechung sehr willkommen war. Der Zunftmeister dagegen starrte sie an, als hätte er eine frische Ochsenkeule vor sich.

Ein Glück, dass sein Sohn noch zu jung ist, um zu heiraten, dachte Melisande. Sie versuchte ihren Unmut zu unterdrücken und stellte das Brett vor dem Zunftmeister ab, gefolgt von der Weinflasche.

»Meine Mutter lässt Euch ihre besten Grüße übermitteln.«

»Danke sehr, mein Kind. Wenn ich die Unterhaltung mit deinem Vater beendet habe, werde ich ihr meine Aufwartung machen.«

»Geh wieder an die Arbeit, Tochter«, meinte Adam sanft, bevor Fassbender noch mehr zu ihr sagen oder sie weiter anglotzen konnte.

Während sie zu ihrer Werkbank zurückkehrte, bemühte sich Melisande, sich unbeteiligt zu geben, doch mit einem Ohr lauschte sie weiter dem Gespräch. Der Zunftmeister wagte allerdings nicht mehr, von ihrer Heirat zu sprechen. Stattdessen unterhielten sich die Männer über Dinge, die sich in der Stadt und im Landstrich ereignet hatten.

»Habt Ihr schon von den aufständischen Bauern gehört? Überall in der Gegend sollen sie sich gegen ihre Lehensherren erheben. Ich sage Euch, aufhängen sollte man das Gesindel.«

Bruckner schob nachdenklich die Unterlippe vor. »Gehört habe ich von diesen Männern. Aber wer weiß, wie es unsereins ergehen würde, wenn uns das Brot genommen würde und unsere Familien vor dem Verhungern stünden.«

»Mit solchen Worten solltet Ihr vorsichtig sein, Meister.« Die Augen des Zunftmeisters verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Der Bischof würde sie gewiss nicht gern hören.«

»Warum denn nicht?«, gab Bruckner zurück. »Ich habe keineswegs gesagt, dass ich es gutheiße, wenn diese Leute brandschatzend und mordend durch die Lande ziehen. Aber ich kann mir denken, dass Menschen, wenn sie Hunger und Elend erleiden müssen, zuweilen Unvernünftiges tun.«

Auf einmal wurde es so still, dass Melisande die Geräusche, die sie beim Verzieren des Knopfes machte, deutlich hören konnte.

»Vielleicht sollte ich nun besser wieder gehen.« Der Zunftmeister erhob sich. »Mit Eurer Erlaubnis werde ich Eurer Gemahlin noch einen kurzen Besuch abstatten.«

»Aber sicher, geht nur, sie wird noch immer in der Küche sein.«

Schwerfällig schob sich der Zunftmeister durch die Tür. Als Melisande hörte, wie er ihre Mutter grüßte, wandte sie sich an ihren Vater.

»Meint Ihr, dass er ...«

»Mir meine Worte übelgenommen hat?« Bruckner zuckte mit den Schultern. »Wer weiß.«

»Was, wenn er nun zum Bischof läuft?« Wie alle anderen wusste auch Melisande, dass es unter Strafe stand, mit den Aufständischen zu sympathisieren.

Adam lachte auf. »Nein, Melisande, das wird er nicht tun. Fassbender kann es nur nicht vertragen, wenn man anderer Meinung ist als er.«

»Dann findet Ihr also, dass die Aufständischen recht haben?«

»Nein, ich bin nur der Ansicht, dass kein Mensch in der Angst vor dem Hungertod leben sollte. Und jetzt achte wieder auf deine Knöpfe, nicht, dass du einen davon verschneidest.«

Etwas brannte Melisande aber noch auf der Seele. »War es Euch ernst mit dem, was Ihr vorhin sagtet, Vater?«

»Was meinst du, mein Kind?«

»Dass Ihr mich jemanden heiraten lasst, den ich selbst erwähle?«

Bruckner blickte überrascht drein. »Du hast uns belauscht?«

Melisandes Wangen brannten, als hätte sie zu lange in die Esse geschaut. »Ich ... ich habe es zufällig gehört, als ich das Brot gebracht habe.« Verlegen blickte sie auf das Brett mit dem Essen, das der Zunftmeister nicht angerührt hatte.

Der Knopfmacher lächelte milde. »Ich meine eigentlich immer alles so, wie ich es sage. Wenn du einen Burschen findest, der dein Herz verdient hat, so hast du meinen Segen. Aber wie ich dich kenne, trachtest du noch nicht nach einer Vermählung, nicht wahr? Ganz im Gegensatz zu deiner Schwester.«

»Nein, Vater, ich möchte zunächst eine gute Knopfmacherin werden«, entgegnete Melisande entschlossen. »Für alles andere habe ich dann immer noch Zeit.«

Bruckner begab sich wieder an seinen Platz. »Schade nur, dass du kein Junge geworden bist«, seufzte er. »Ich will dir deine Fähigkeiten nicht absprechen, aber als Frau wirst du immer damit zu kämpfen haben, dass ein Bursche dich bloß wegen der Werkstatt heiraten will.«

»Der Mann, der es verdient hat, mein Herz zu bekommen, wird das nicht tun«, entgegnete Melisande überzeugt, obwohl sie überhaupt noch keine Vorstellung davon hatte, wie dieser Mann aussehen sollte. »Außerdem gehört die Werkstatt doch Euch!«

Adam Bruckner lächelte weise, als er sich wieder an die Arbeit machte. Noch gehört sie mir, aber auch ich werde alt und eines Tages meinem Schöpfer gegenübertreten, sinnierte er. Doch vielleicht geht dein Wunsch in Erfüllung, mein Kind. Vielleicht bekommst du einen Mann, dem egal ist, was du besitzt.

Schweigend setzten Melisande und ihr Vater ihre Arbeit fort, bis das Tageslicht ganz vor den Fenstern verschwand. Der Zunftmeister redete eine ganze Weile mit Marie Bruckner, dann verschwand er durch die Vordertür. Adam bekümmerte das nicht weiter. Er arbeitete voller Inbrunst an den Messingknöpfen, die er vor dem Zunftmeister schnell hatte verschwinden lassen.

»Hier, Kind, leg sie in die Schachtel.«

In Melisandes Handfläche purzelten sechs ebenmäßige, blank polierte Messingknöpfe, auf deren Rundung ein fein geschwungenes Muster prangte. »Das sind die ersten, die wir nun ganz rechtmäßig gefertigt haben.«

Staunend betrachtete Melisande die Knöpfe im Kerzenschein. Die Blütengravur war hervorragend gelungen. »Vielleicht solltet Ihr die hier dem Zunftmeister in Speyer schicken. Oder sie Alina als Hochzeitsknöpfe vermachen.«

»Für Meister Habermann werde ich ganz spezielle Knöpfe anfertigen. Solche, die ich ihm zum Geschenk machen kann, als Dank für seine Zustimmung.« Schalk blitzte in Bruckners Augen auf.

»Ihr wollt ihn bestechen?«

»Das sei fern von mir!«, entgegnete Adam mit gespielter Entrüstung. »Aber sicher wird es dem Meister gefallen, ein paar schöne Stücke behalten zu dürfen. Auch er hat schließlich Töchter und ein Weib.«

Bruckner machte eine kurze Pause, dann bückte er sich und zog eine kleine hölzerne Schachtel unter der Werkbank hervor.

»Und was deine Schwester angeht ...« Mit einem geheimnisvollen Lächeln öffnete er den Deckel, unter dem vier Knöpfe auf einem grünen Leinentuch aufblitzten. Sie bestanden zu einem Teil aus Messing und zum anderen aus geschliffenen Kristallen, die kunstvoll in das Metall eingelegt waren.

Obwohl ihre eigenen Knöpfe ähnlich schön waren, spiegelten Alinas Hochzeitsknöpfe das neue Wissen wider, das ihr Vater nun endlich auch öffentlich anwenden durfte.

Kurz stach sie der Neid, doch Melisande rang das Gefühl nieder. Immerhin liebte sie ihre Schwester und gönnte ihr alles Glück der Welt. Und wenn es so weiterging wie bisher, würde Alina diejenige sein, die als Erste vor den Traualtar schreiten würde.

»Bitte sag Alina noch nichts davon«, flüsterte der Vater verschwörerisch, während er die Schachtel wieder verschwinden ließ. »Sie würde uns sonst noch mehr in den Ohren liegen, endlich heiraten zu dürfen.«

»Ich werde ganz gewiss nichts verraten«, wisperte Melisande. »Aber sollten es nicht ein paar mehr sein?«

»Zwölf, wie die Zahl der Apostel Jesu. Genauso viele, wie du bekommen hast. Da ich aber immer noch davon ausgehe, dass du als Erste heiraten wirst, bleibt mir noch genug Zeit, um die restlichen für Alina zu fertigen.« Er klappte die Schachtel wieder zu, dann zwinkerte er Melisande zu. »Wenn du dir noch etwas Zeit mit dem Heiraten lässt, werde ich deine Knöpfe ein wenig überarbeiten.«

»Aber sie sind doch auch so schön genug!«, entgegnete Melisande, obwohl sie wusste, dass sich ihr Vater, wenn es um Knöpfe ging, nichts sagen lassen würde.

Als sie ihr Werkzeug endgültig für den Tag beiseitegelegt hatten, beschloss Adam, die gute Nachricht mit Kapaunschlegeln und Semmelklößen zu feiern. Seine Gemahlin staunte zunächst über seinen Wunsch, aber weil es tatsächlich einen Wendepunkt in ihrem Gewerbe darstellte, schickte sie Alina zur Nachbarin, um ein, zwei Kapaune zu holen.

Während ein köstlicher Duft durch das Haus waberte, fegte Melisande die Werkstatt und eilte dann in die Kammer, die sie zusammen mit ihrer Schwester bewohnte. Dort legte sie die Schürze ab, klopfte sich den Holzstaub von dem braunen Rock und richtete das Mieder. Nachdem sie die Arbeitshaube gegen eine neue ausgetauscht hatte, kehrte sie in die Küche zurück.

Dort drückte ihre Mutter ihr den Kochlöffel in die Hand. »Achte einen Moment auf die Klöße, damit sie nicht zerfallen. Ich hole noch ein paar Kräuter aus dem Garten.«

Heißer, würziger Dampf stieg Melisande aus dem Kessel entgegen. Lächelnd pustete sie über den Topfrand, als plötzlich Alina neben ihr auftauchte.

»Bei allen Heiligen!« Melisande schnappte nach Luft, als ihre Schwester sie antippte. »Musst du mich denn so erschrecken? Soll ich mich an dem heißen Dampf verbrühen?«

»Vergib mir!« Alina wirkte zerknirscht. »Wie war es heute in der Werkstatt?«

»Sehr gut«, antwortete Melisande. »Wie du siehst, ist Vater wegen der Nachricht des Zunftmeisters voller Überschwang. Und ich habe meinen ersten Knopfsatz beendet.«

An der Art und Weise, wie ihre Schwester von einem Fuß auf den anderen trat, erkannte Melisande, dass sie etwas anderes auf dem Herzen hatte.

»Nun sag schon, was du wirklich wissen willst!«

Alina holte tief Luft. »Hat Vater vielleicht schon etwas darüber verlauten lassen, ob er Hochzeitsknöpfe für mich fertigt?«

Melisande blickte ihre Schwester überrascht an. Hatte sie das Gespräch zwischen ihr und dem Vater heimlich mitangehört? Schleichen konnten sie beide recht gut, und im Verstecken machte die eine der anderen auch nichts mehr vor.

»Warum willst du das wissen?« Melisande war froh, dass sie den Blick nicht von den Klößen nehmen durfte. Alina direkt ins Gesicht zu lügen, hätte sie nicht über sich gebracht. Aber den Vater durfte sie auch nicht verraten.

Alina blickte sich verstohlen nach der Mutter um, die kurz die Küche in Richtung Speisekammer verließ. »Weil ich schon bald heiraten möchte«, flüsterte sie dann.

»Dazu brauchst du aber einen Bräutigam.«

»Den habe ich bereits.« Alina reckte sich stolz. »Es ist der Franz, der Geselle des Schusters.«

»Ein Schustergeselle?«, fragte Melisande verwundert. Gleichzeitig fiel ihr ein, was ihr Vater gesagt hatte. Sicher galt es auch für Alina, dass sie wählen durfte, wen sie wollte. Nur warum um aller Welt wollte sie jetzt schon heiraten?

»Wieso denn nicht? Das ist ein angesehenes Handwerk. Außerdem ist er ein sehr netter Bursche.«

»Weißt du denn auch, ob er dich will? Immerhin bist du noch ziemlich jung.«

»Jung?« Alina plusterte sich auf. »Ich bin fast vierzehn. Wenn du als alte Jungfer sterben willst, bitte! Ich will das nicht!«

»Aber der Franz ist schon beinahe zwanzig. Viel zu alt für dich, findest du nicht?«

Ein feuchter Schimmer erschien in Alinas Augen. Offenbar hatte sie sich diesen Burschen bereits in den Kopf gesetzt. Papa hat recht, dachte Melisande, sie würde unseren Eltern den ganzen Tag mit dem Heiraten in den Ohren liegen, wenn sie von den Knöpfen wüsste.

»Selbst wenn er welche für dich anfertigen würde, dürfte ich dir nichts davon erzählen«, antwortete Melisande ausweichend.

»Dann tut er es also?«

Melisande presste die Lippen zusammen. Alinas Augen leuchteten hoffnungsvoll auf. Der Verdruss aus ihrer Miene schwand wie Nebel unter gleißendem Sonnenschein.

»Gib besser Ruhe, ehe du Vater noch die Laune mit deiner Quengelei verdirbst«, wies Melisande sie zurecht. Doch sie wusste, dass sie ihrer Schwester nichts vormachen konnte.

2. Kapitel

Als das achte Stundenläuten vom Kirchturm erklang, versammelten sich die Bruckners zum Gebet um den Küchentisch. Eine üppige Mahlzeit wie diese gab es auch in ihrem Haus nur sehr selten, schon gar nicht mitten in der Woche. Umso länger fiel auch das Tischgebet aus, das der Vater sprach. Melisande versetzte ihrer Schwester einen kurzen Tritt, als diese während des Dankes für die Nachricht des Zunftmeisters schnaufte. Dann endlich wurde das Amen gesprochen, und nachdem sich die Eltern Klöße und Kapaun in die Schüsseln gehäuft hatten, durften sich die Mädchen bedienen. Melisande füllte zuerst die Schüssel ihrer Schwester, dann ihre eigene. Danach biss sie herzhaft in den Kapaunschlegel. Vergessen war in diesem Moment das Gerede des Zunftmeisters von Heirat.

»Wenn es sich erst unter unseren Kunden herumgesprochen hat, dass wir auch Messingknöpfe fertigen dürfen, werden wir vielleicht jeden Monat solch ein Festmahl bekommen«, bemerkte der Vater gut gelaunt, während er seiner Frau zuprostete.

»Du solltest lieber daran denken, dass an unserem Haus einige Reparaturen anstehen«, mahnte Marie ihn daraufhin. »Außerdem solltest du dir neue Gerätschaften für die Werkstatt zulegen.«

»Sei unbesorgt, das alles werde ich tun«, gab Adam lachend zurück. »Doch ein wenig Freude sollten wir uns auch gönnen. Und wenn es bloß ein paar Kapaune sind.«

Dagegen konnte Marie nichts einwenden.

»Vielleicht sollte ich auch ein paar neue Knöpfe für dich fertigen«, setzte Bruckner hinzu. »Goldglänzende mit kleinen Kristallen, mit denen du wie die Herrin eines Handelshauses aussiehst.«

»Ich hätte keinen Wein in dein Wasser gießen sollen«, entgegnete Marie amüsiert. Nach übermäßigem Prunk hatte ihr noch nie der Sinn gestanden. Ihre Kleider, die sie größtenteils selbst webte und nähte, waren stets sehr schlicht gehalten.

»Ich bin nicht betrunken, falls du das meinst«, gab Adam zurück. »Immerhin bist du jetzt die Gemahlin eines frischgebackenen Messingknopfmachers. Da steht es dir auch zu, deine Kleider entsprechend zu verzieren.«

»Aber du weißt doch, dass mir an solchem Zierrat nichts liegt.«

»Natürlich weiß ich das, dennoch dürfen die Nachbarn und auch die Frauen unserer Zunftgenossen ruhig sehen, dass sich die Umstände für uns geändert haben. Außerdem werden vielleicht einige Leute in der Stadt auf unsere Knöpfe aufmerksam und entschließen sich, welche bei mir ...«

Plötzlich hämmerte es an die Tür. Melisande und Alina wirbelten herum.

Marie Bruckner ließ verwundert den Löffel sinken. »Erwartest du noch einen Kunden?«

»Eigentlich nicht.«

Noch einmal klopfte es, da war der Knopfmacher schon an der Tür.

Während ihm nasskalter Wind ins Gesicht peitschte, erblickte er zwei in grobe Mäntel gehüllte Männer. Einer stand ziemlich wacklig auf den Beinen, der andere umfasste den Arm des ersten.

Der Lichtschein, der aus dem Haus drang, offenbarte dunkle Flecken auf ihrer Kleidung, von denen man nicht sagen konnte, ob es sich um Schmutz oder Blut handelte.

»Verzeiht, dass wir Euch von Eurem Mahl fortreißen«, sagte derjenige, der seinen Kameraden stützte. »Wir sind Reisende in Not und brauchen einen Platz zum Rasten.«

Das Aussehen der Männer machte Bruckner misstrauisch. »Was ist Euch widerfahren?«

»Wir sind auf dem Weg hierher überfallen worden«, antwortete der Gesunde. »Die Räuber haben unsere Pferde und unser Gepäck genommen und meinen Freund hier schwer verletzt. Bitte, wir sind Christenmenschen wie Ihr.«

Bruckner blickte zu seiner Frau, die sich inzwischen erhoben hatte. Marie nickte ihm zu.

»Gut, kommt herein. Mein Weib wird sich die Verletzungen Eures Freundes ansehen.«

Im Lichtschein der Öllampe erkannten Marie und ihre Töchter, dass es sich bei den dunklen Flecken tatsächlich um Blut handelte. Ein blecherner Geruch, gemischt mit dem Duft nach Erde und Tannennadeln und dem Gestank von Schweiß erfüllte den Raum.

Melisande und Alina starrten die Männer mit großen Augen an.

Während Adam die Tür hinter den Fremden schloss, eilte seine Frau zu ihnen und bugsierte den Verletzten auf einen Schemel. Stöhnend ließ sich der Mann auf die Sitzfläche sinken, wobei schmutzige Schweißtropfen aus seinem Haar perlten.

»Melisande, hol Wasser«, wies Marie Bruckner ihre älteste Tochter an, dann wandte sie sich der jüngeren zu. »Alina, geh in eure Kammer.«

Das Mädchen zog einen Schmollmund, fügte sich aber der Weisung der Mutter. Währenddessen eilte ihre Schwester Melisande zum Wasserbottich. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Noch nie zuvor hatten solche Gestalten an ihre Tür geklopft, und dann noch zu Abendzeiten.

»Ich weiß gar nicht, wie wir Euch danken sollen«, sagte der unverletzte Mann. »Wir sind gerade noch durchs Stadttor gekommen und haben uns auf die Suche nach einer Bleibe gemacht, doch niemand wollte uns einlassen.«

»Die Menschen in Udenheim sind misstrauisch, besonders in Zeiten wie diesen«, sagte Adam, als er zum Kamin ging und eine Bienenwachskerze entzündete. »Wie soll ich Euch ansprechen, Reisender? Ihr habt mir Euren Namen noch nicht genannt.«

»Oh, verzeiht, ich bin Fritz Jensen. Das hier ist Roland Fries.« Der Unversehrte blickte nicht auf, während er seinem Begleiter den blutverschmierten Mantel abnahm. »Wir sind Gesellen aus Speyer.«

»Welchem Handwerk geht Ihr nach?«

Marie blickte sich zu ihrem Mann um, als wollte sie anmerken, dass solche Fragen jetzt unwichtig seien. Doch dann wandte sie sich wieder dem Fremden zu.

Fritz Jensen antwortete derweil: »Der Schuhmacherei. Wir sind auf der Walz und wollten einen alten Freund in Untergrombach besuchen. Leider sind wir nur bis kurz vor Udenheim gekommen, als uns die Männer überfielen und uns all unsere Habe nahmen.«

»Ihr hättet wissen müssen, dass sich hier sehr viel Gesindel herumtreibt«, sagte Bruckner. »Ohne Geleitschutz traut sich kaum noch jemand durch den Wald. Ihr hättet zuvor mit Leuten sprechen sollen, die schon mal dort waren.«

Adam konnte nicht sagen, warum, aber etwas kam ihm seltsam vor an den Burschen. Der eine schien kein unfreundlicher Mensch zu sein, dennoch verbarg er etwas, dessen war er sich sicher.

»Geleitschutz können sich zwei kleine Gesellen nicht leisten«, hielt Jensen dagegen. »Außerdem dachten wir, dass wir vor ihnen sicher sind, wenn wir wenig befahrene Wege benutzen.«

»Gerade die wenig befahrenen Wege ziehen Räuber an«, setzte Adam hinzu. »Besonders zu Nachtzeiten.«

»Bitte legt auch das Wams ab, damit ich erkennen kann, wo die Wunde genau ist«, sagte Marie, als ihre Tochter mit dem Wasser zurückkehrte.

Verstohlen beobachtete Melisande, wie sich der Mann seiner Kleider entledigte, bis er schließlich auch das Hemd ablegte, das von seinem Blut beinahe vollkommen rot gefärbt war. Eine tiefe Schnittwunde klaffte auf der Brust. Das Blut hatte einen roten Drachen auf seine Haut gemalt.

»Soll ich auch noch ein paar Tücher holen, Mutter?«, fragte sie, um sich von dem Anblick abzulenken.

»Ja, nimm etwas von dem Verbandsleinen, das wir in der Truhe aufbewahren. Und bring mir ein Messer, damit ich die Wunde ausbrennen kann.«

Als sich Melisande umwandte, kreuzte sich ihr Blick mit dem von Jensen. Er wirkte recht sympathisch mit seinen hellen Haaren und den blauen Augen.

Unverwandt zwinkerte er Melisande zu und sagte dann zu ihrem Vater: »Haltet mich nicht für unverschämt, doch ich komme nicht umhin zu bemerken, dass Ihr schöne Töchter habt. Die Burschen müssen Euch die Tür einrennen.«

Melisande errötete und wandte sich um. Der Blick des Fremden verwirrte sie. Noch nie zuvor hatte ein Mann in ihrer Gegenwart gesagt, dass sie schön sei.

Ehe ihre Eltern ihre Verwirrung bemerkten, verließ sie die Küche, hielt im Gang jedoch inne und lauschte.

»Gottlob tun sie das noch nicht«, vernahm sie die Stimme ihres Vaters. »Die jüngere, Alina, ist noch nicht im rechten Alter, und Melisande wird eines Tages mein Geschäft übernehmen. Gott hat es nicht gefügt, dass ich einen Sohn erhalte, daher muss ich meiner Tochter mein Handwerk beibringen.«

»Das ist recht ungewöhnlich.«

»Vielleicht, aber ich halte es für richtig. Meine Melisande ist ebenso geschickt wie jeder Knopfmachergeselle in der Gegend, außerdem sind zarte Frauenhände viel eher für die feinen Arbeiten geeignet. Wenn sie irgendwann noch einen Gemahl wählt, der sie bei der Arbeit unterstützt, will ich vollauf zufrieden sein.«

Da stöhnte der Verletzte erneut auf. Als Melisande durch den Türspalt spähte, strömte gerade ein dunkler Blutschwall über die Hände ihrer Mutter.

»Melisande, wo bleiben die Tücher?«

Wie von einem Peitschenhieb getroffen wirbelte das Mädchen herum und rannte zur Wäschetruhe. Mit einem Leinentuch, das ihre Mutter ausgemustert hatte, und einem Messer aus der Schublade kehrte sie wenig später zurück.

Der Verletzte lag inzwischen auf dem Boden. Neben seinem Körper hatte sich eine kleine Blutlache gebildet.

Das Mädchen blieb erschrocken stehen. Beim Anblick des hervorsprudelnden Blutes zog sich ihr der Magen zusammen.

»Melisande, geh jetzt besser zu deiner Schwester«, sagte Adam, als er bemerkte, wie bleich sie plötzlich geworden war. Er nahm ihr die Tücher und das Messer aus der Hand und reichte beides seiner Frau.

Diesmal war Melisande froh darüber, dass sie gehen durfte. Selbst Jensens neuerlicher Blick konnte sie nicht zurückhalten. Statt in die Kammer, die sie sich mit Alina teilte, schlich sie allerdings in die Schlafkammer der Eltern. Ich werde meine Brautknöpfe in Verwahrung nehmen, dachte sie. Für alle Fälle. Immerhin könnten die beiden auch Diebe sein. Wer weiß, wo sie in der Nacht herumschleichen.

Sie hob den Deckel der Eichentruhe, in der unter anderem ihre Aussteuer aufbewahrt wurde, an und zog unter dem sorgfältig zusammengefalteten Weißzeug eine kleine, geschnitzte Schatulle hervor. Liebevoll strich sie über den Deckel, bevor sie das Kästchen unter dem Gewand verbarg und in ihre Kammer huschte.

Alina hockte auf dem Fensterbrett und bürstete ihr Haar. Das Lied, das sie leise vor sich hin summte, erinnerte Melisande an ihre Kinderzeit, als die Mutter noch an ihre Betten gekommen war und ihnen etwas vorgesungen hatte.

»Was ist mit den Fremden? Hast du mitbekommen, was ihnen zugestoßen ist?«, fragte Alina aufgeregt, nachdem ihre Schwester die Tür hinter sich geschlossen hatte. Die Bürste legte sie aus der Hand und wandte sich Melisande direkt zu, als erwarte sie ein Possenstück.

»Der eine hat einen langen Schnitt über der Brust und verliert noch immer Blut. Ein grausiger Anblick, das kannst du mir glauben! Sei froh, dass Vater dich weggeschickt hat.«

Alina wirkte alles andere als erleichtert, denn Melisandes Schilderung hatte ihre Neugierde geweckt. »Was sind das denn für Männer?«

»Einer heißt Fritz Jensen, der andere Roland Fries. Sie behaupten, Schuhmachergesellen zu sein, die einen Freund besuchen wollten.«

»Der Blonde sieht recht hübsch aus, nicht wahr?«

Melisandes Wangen fingen an zu glühen. »Er ist nicht hässlich, stimmt.«

Alina grinste, als hätte sie ihre Schwester bei etwas Verbotenem ertappt. »Kann es sein, dass du ihn magst?«

»Wie soll ich ihn mögen, wenn ich ihn gar nicht kenne?«, gab Melisande harsch zurück. »Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob diese Burschen wirklich das sind, was sie vorgeben.«

»Glaubst du, dass sie Räuber sind?« In Alinas Augen leuchtete die Abenteuerlust.

Melisande drückte ihr Kästchen unbewusst fester an sich. »Nein, das glaube ich nicht. Dennoch scheint etwas an ihrem Bericht nicht so zu sein, wie sie es behaupten. Vielleicht sind sie ja auch in einer Schenke in Streit geraten und nun auf der Flucht.«

»Oder es sind entflohene Diebe!«, schlug Alina vor.

»Diebe? Wie kommst du denn darauf?«

»Wenn du nicht befürchten würdest, dass es Diebe sind, warum hast du dann dein Kästchen mit den Brautknöpfen hervorgeholt? Oder sind es etwa meine?« Alina sprang auf und eilte zu ihrer Schwester.

»Nein, Dummerchen, es sind nicht deine Knöpfe. Ich habe sie nur geholt, weil ich sie anschauen wollte.« Merkte Alina ihr an, dass sie nicht die Wahrheit sprach?

Ihre Schwester sah sie prüfend an, kehrte dann aber wieder zur Fensterbank zurück. »Wie lange werden die Fremden wohl hierbleiben?«

»Hoffentlich nicht allzu lange«, antwortete Melisande, während sie sich auf das Bett niederließ und die Schatulle öffnete. Zwölf fein verzierte Knöpfe mit jeweils einem kleinen Kristall in der Mitte erstrahlten goldfarben im Kerzenlicht. Ihre Schönheit schlug Melisande sofort in den Bann, und sie erinnerte sich wieder an die Tage, als ihr Vater die Knöpfe hergestellt hatte. Es war nicht zu vermeiden gewesen, dass sie es mitbekam, doch gegenüber allen anderen musste er seine Arbeit geheim halten, denn die Erlaubnis, Metallknöpfe zu schneiden, hatte er vor einem Jahr noch nicht gehabt.

Melisande nahm eines der kostbaren Stücke heraus. Die Aussicht, diese Knöpfe bald einmal tragen zu können, erschien ihr sehr verlockend. Kein Dieb sollte sie ihr je wegnehmen.

Als sie den Knopf zurücklegte, bemerkte sie den begehrlichen Blick ihrer Schwester.

»Wenn du sechzehn bist, wird Vater deine Brautknöpfe fertig haben«, sagte sie eingedenk der Unterhaltung, die sie vorhin geführt hatten. »Du kennst doch den Brauch.«

»Aber ich hätte jetzt schon gern welche!«, entgegnete Alina trotzig. »Und ich würde jetzt schon gern heiraten. Die Anna aus dem Weberhaus wird auch bald ihren Gemahl freien.«

Melisande stellte die Schatulle beiseite, erhob sich und ging zu ihrer Schwester. Widerwillig ließ diese zu, dass die Ältere sie umfasste und auf den Scheitel küsste.

»Ach, Schwesterlein, du wirst schon noch einen Gatten freien, vielleicht sogar schon in deinem sechzehnten Jahr. Papa meint, dass es nicht gut für ein Mädchen ist, so früh zu heiraten. Um Kinder zu bekommen, braucht eine Frau Kraft.«

»Willst du sagen, dass ich zu schwach bin?«

»Nein, aber du wirst erst in ein paar Monaten vierzehn. Die Anna ist dir ein gutes Jahr voraus.«

»Was ist mit dir?«

Melisande seufzte. »Ich werde natürlich auch heiraten ‒ irgendwann.«

»Irgendwann kann es zu spät sein«, entgegnete ihre Schwester. »Wenn dir ein Bursche gefällt, solltest du es ihn wissen lassen.«

Das werde ich sicher tun, dachte Melisande, nur muss ich erst einmal den Richtigen finden ...

Da stürzte die Mutter zur Tür herein. Ihre Hände und die Schürze waren blutverschmiert. »Melisande, schnell, lauf zum Apotheker!«

Erschrocken sprang das Mädchen vom Bettkasten. »Was ist passiert?«

»Wir haben den verletzten Mann nach oben geschafft, aber ich fürchte, er bekommt Fieber. Die Wunde wird bestimmt brandig.«

»Sollte sein Freund ihn dann nicht besser zum Stadtchirurgus bringen?«, wandte Alina ein.

Doch die ernste Miene der Mutter duldete keinen Widerspruch. Sie streckte ihrer Ältesten eine Schriftrolle entgegen. Die Handschrift des Vaters war hier und dort durch das grobe Papier gesickert. »Gib ihm diese Nachricht. Er wird wissen, was zu tun ist.«

Melisande schob den Brief unter ihr Gewand, dann beugte sie sich über ihre Schwester und raunte ihr zu: »Du passt solange auf meine Knöpfe auf, Alina.«

3. Kapitel

Mit mürrischem Gesichtsausdruck eilte der Graf von Lichtenfels über den nächtlichen Schlosshof zum Kerker. Dass der Wind dabei heftig an seiner pelzverbrämten blauen Houppelande zerrte und ihm Strohhalme ins Gesicht wehte, trug nicht gerade zu seiner Aufheiterung bei. Enttäuschung und Zorn tobten in ihm.

Der Überfall auf das Lager der Aufständischen war zwar erfolgreich gewesen, doch offenbar war ihnen der Urheber des Aufruhrs durch die Lappen gegangen. Jener Mann, den der Bischof mehr als jeden anderen in die Hände bekommen wollte.

Dieser Joß Fritz hielt sie nun schon seit Wochen zum Narren. Hier und da meinten Späher ihn zwar gesehen zu haben, doch sobald die Männer des Grafen auftauchten, war er fort. Durch den Verrat des letzten Versammlungsortes der Aufständischen hatte sich eine günstige Gelegenheit ergeben, Fritz zu fangen. Umso unglaublicher erschien es dem Grafen, dass es ihnen wieder nicht gelungen war. Dieser Kerl war doch nicht etwa mit dem Teufel im Bunde?

Wütend trat Lichtenfels nach einem Hund, der seinen Weg kreuzte. Jaulend verschwand das Tier in der Dunkelheit. Die beiden Soldaten, die vor der Kerkertür postiert waren, zuckten zusammen.

Es war bekannt, dass der Graf gern seine Wut an Untergebenen ausließ. An Tagen wie diesen war es daher besser, ihn weder schief anzusehen noch ihm sonst einen Grund zu geben, nach der Peitsche an seinem Gürtel zu greifen.

Doch dieses Mal hielt sich Lichtenfels zurück. Er tauchte in den von Fackeln nur spärlich erhellten Kerker ein und strebte der Folterkammer zu.

Der Gestank nach Ausscheidungen durchsetzte den allgegenwärtigen Modergeruch, der von dem alten, feuchten Stroh ausging.

Gleich nach der Ankunft der Gefangenen hatten sie mit den Verhören begonnen. Dass dabei bisher nicht viel herausgekommen war, konnte er nicht einmal den Folterknechten anlasten. Sie versahen ihre Arbeit prächtig, aber die Bauern der Gegend waren so halsstarrig, wie es ihm noch nie untergekommen war.

Lichtenfels sehnte sich danach, sich in seine Gemächer zurückzuziehen und auszuschlafen. Seine Knochen fühlten sich schwer an, und seine Verdauung machte ihm seit dem letzten Ritt noch mehr zu schaffen. Aber die Pflicht hielt ihn davon ab, seinem dringendsten Bedürfnis nachzugeben.

Um den Bischof zu beeindrucken und sein Wohlwollen zu erlangen, hatte er es sich nicht nehmen lassen, den Angriff gegen den Bundschuh selbst anzuführen. Nur deshalb waren seine Soldaten so gründlich vorgegangen. Wer eine Waffe gegen sie erhoben hatte, wurde bekämpft, wer nicht aufgeben wollte, bekam Schwertstahl zu schmecken.

Doch um das Töten war es nicht vorrangig gegangen.

Über des Grafen Gesicht, das von zahlreichen Narben verunziert war, huschte ein grausames Lächeln. Nein, es gab schlimmere Strafen als den Tod. 

Natürlich würde der Bischof dafür sorgen, dass der Henker zu tun bekam. Aber wo kämen sie hin, wenn sie alle Bauern des Landstrichs umbrächten? Wer sollte ihnen dann die Steuern erarbeiten?

Nein, es war besser, wenn die meisten Bauern wieder auf ihre Scholle kamen ‒ gebrochen, gedemütigt und mit noch höheren Steuern belegt als vorher.

Mit einem kraftvollen Ruck öffnete er die Tür zum Folterkeller. Der ihm entgegenströmende Geruch nach Blut und verbranntem Fleisch schreckte Lichtenfels längst nicht mehr. Auf den Schlachtfeldern, die in seiner Jugend beinahe zu seinem Zuhause geworden waren, hatte er weitaus schlimmere Dinge miterlebt.

»Euer Gnaden.«

Die anwesenden Henkersknechte verneigten sich tief.

Lichtenfels bedeutete ihnen, sich wieder aufzurichten. Dann wandte er sich der Streckbank zu. Den darauf angebundenen Mann hatte man früher gewiss als ansehnlich bezeichnen können, doch nun verschwanden seine Züge unter einer Schicht aus Blut und Schmutz. Schweiß- und Tränenbäche wuschen hier und da den Dreck vom Gesicht herunter, trotzdem verbesserte sich sein Aussehen in keinster Weise.

Den Grafen scherte es nicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde der Mann zu jenen zählen, die unter das Beil des Henkers gelangten.

»Habt ihr seinen Namen in Erfahrung gebracht?«, wandte sich Lichtenfels an einen der Henkersknechte. Da ihr Meister im Gefolge des Bischofs in Speyer weilte, wo es galt, einige Halunken vom Leben zum Tode zu bringen, mussten sie die Arbeit übernehmen. Aber das taten sie sehr gut, wie Lichtenfels fand.

»Er sagt, er heiße Lukas Rapp«, antwortete einer der Knechte.

Lichtenfels zog die Augenbrauen hoch. Der Name sagte ihm durchaus etwas.

Unverwandt trat er neben die Streckbank, und zwar so, dass Lux Rapp ihn erkennen konnte.

»Sieh mal einer an! Das ist also der Mann, dem wir es verdanken, dass wir das üble Kraut der Rebellion endlich an der Wurzel packen konnten.«

Rapp drehte den Kopf langsam zur Seite. Als ehemaliger Söldner hatte er schon viel Schmerz aushalten müssen, doch nichts zuvor war der peinlichen Befragung gleichgekommen, der er nun schon seit gut einer Stunde unterzogen wurde. Sein gesamter Körper fühlte sich an wie eine riesige Wunde.

»Fahrt zur Hölle!«, raunte er. »Ich werde Euch nichts sagen. Und zu verdanken habt Ihr mir erst recht nichts.«

Lichtenfels lachte grimmig auf. »Und ob ich das habe! Wer hat denn seinem Beichtvater erzählt, welcher Sache er gerade nachgeht? Und vor allem, mit wem er sich wann und wo treffen will.«

Rapp presste die Lippen zusammen. Die Worte des Grafen trafen ihn noch härter als jede Folter. Fritz und seine Verbündeten hatten ihnen nicht umsonst die Beichte untersagt, aber sein Gewissen hatte es ihm befohlen, ein letztes Mal in den Beichtstuhl zu treten. Nie hätte er geglaubt, dass sein Pfarrer das Beichtgeheimnis ignorieren würde. Wenn es darum geht, die Einkünfte der Kirche zu sichern, halten diese Mistkerle zusammen, dachte Rapp zornig. In der Hölle sollst du schmoren, verdammter Pfaffe!

»Wie gesagt, Euer Mitwirken an der Zerschlagung Eures Bundes ist unschätzbar.«