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Kampf, Raub, Vergewaltigung: »Die Kreuzritter« spielt im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert im wilden Osten Europas. Polnische und litauische Krieger befinden sich im Konflikt mit den Kreuzrittern des Deutschen Ordens, die ihre Machtansprüche immer mehr ausweiten. Die missionarische Predigt des Kreuzes dient ihnen als willkommener Vorwand, um ihre Raublust und Mordgier zu befriedigen. Die Auseinandersetzungen eskalieren. Der Hass und die Feindschaft zwischen den Lagern sind unüberbrückbar. In der Schlacht bei Grunwald soll sich schließlich alles entscheiden… Inmitten der Kriegswirren versucht ein junger polnischer Ritter, unterstützt von seinem Onkel, einem erfahrenen Recken, die Liebe seines Lebens aus den Händen der verhassten Kreuzritter zu befreien. Doch diese sind grausam und erbarmungslos. Es ist eine große, heroische Geschichte von edlen, tugendhaften Rittern im Kampf gegen skrupellose und unehrenhafte Feinde – und nicht zuletzt eine Geschichte von Tapferkeit aus Liebe, dramatischen Schicksalsschlägen und folgenschweren Entscheidungen. Henryk Sienkiewicz ist einer der großen Erzähler der Belletristik. Für sein »Quo Vadis« erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Mit »Die Kreuzritter« ist ihm ein weiteres monumentales Meisterwerk gelungen. Der Historische Roman umfasst über 1000 Seiten und liegt hier in einer überarbeiteten Neuauflage als Tetralogie vor. Dieses ist der erste von vier illustrierten Bänden. Der Umfang des ersten Bandes entspricht ca. 310 Buchseiten.
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HISTORISCHER ROMAN
IN VIER BÄNDEN
BAND I
DAS TODESURTEIL
Dieses Buch ist Teil der BRUNNAKR Edition: Fantasy, Historische Romane, Legenden & Mythen.
BRUNNAKR ist ein Imprint des apebook Verlags.
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www.apebook.de
1. Auflage 2020
V 1.1
eBook: ISBN 978-3-96130-256-7
Print: ISBN 978-3-96130-257-4
Übersetzung von E. und R. Ettlinger
Illustrationen im Buch von F. Schwormstädt
Umschlagbild unter Verwendung eines Ausschnitts aus dem Gemälde »Schlacht bei Grunwald« (1878) von Jan Matejko (1838-1893)
Buchgestaltung/Coverdesign: SKRIPTART
www.skriptart.de
Alle Rechte vorbehalten.
© BRUNNAKR/apebook 2020
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DIE KREUZRITTER
TETRALOGIE
BAND I: Das Todesurteil
BAND II: Die Gefangene
BAND III: Die Folter
BAND IV: Die Schlacht
INHALTSVERZEICHNIS
DIE KREUZRITTER. Band I
Frontispiz
Impressum
Karte
BAND I
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
Eine kleine Bitte
Direktlinks zu den einzelnen Bänden
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BRUNNAKR Edition
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Zu guter Letzt
KARTE
Besitzungen des Deutschen Ordens im 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts bis zur Schlacht bei Grunwald (1410)
I.
In Tyniec, in dem zur Abtei gehörenden Wirtshause »Zum wilden Auerochsen« saßen einige Leute und lauschten der Erzählung eines erfahrenen Kriegers, der, aus fernen Landen angelangt, von seinen Abenteuern im Krieg und auf der Reise berichtete.
Es war ein bärtiger Mann, in den besten Jahren, breitschultrig und von riesenhaftem Wuchse, seine Haare waren durch eine netzförmige, mit Glasperlen benähte Haube zusammengehalten, er trug ein Lederkoller, auf dem der Panzer ganze Streifen zurückgelassen hatte, darüber einen Gürtel aus Kupferringen, worin ein Messer in einer Hornscheide steckte, und ein kurzes Schwert an der Seite.
Dicht bei ihm am Tisch saß ein Jüngling mit langen Haaren, der froh in die Welt hinaus schaute, offenbar sein Gefährte, vielleicht auch sein Knappe, denn er war ebenfalls für die Reise angetan und auf seinem Lederkoller zeigten sich ähnliche Spuren von der Rüstung. Die übrige Gesellschaft bestand aus zwei Landleuten aus der Umgegend von Krakau und drei Städtern in roten, gefältelten Mützen, deren dünne Enden an der Seite bis zu den Ellbogen herabhingen.
Der Wirt, ein Deutscher, welcher den Kragen seiner fahlgelben Kapuze bis über das Kinn heraufgezogen hatte, goß ihnen aus einer Kanne nahrhaftes Bier in die Tonkrüge und lauschte aufmerksam den Berichten der Krieger.
Noch aufmerksamer aber lauschten die Städter. Die Feindschaft, welche seit der Zeit der Lokietek's zwischen den Städtern und den Landedelleuten geherrscht hatte, war beinahe erloschen, und die Bürgerschaft trug ihr Haupt weit höher als dies in späterer Zeit der Fall war. Damals wurde sie noch »des allerdurchlauchtigsten Kuniges und Herren« genannt, ihre Bereitwilligkeit » ad concessionem pecuniarum« wurde auch besonders geschätzt, und daher kam es zuweilen vor, dass in den Wirtshäusern die Edelleute mit den Kaufleuten tranken. Diese wurden sogar gern gesehen. Hatten sie doch stets bares Geld in Händen und zahlten sie doch häufig für die Träger der Wappenschilder.
So saßen sie auch jetzt plaudernd beisammen, indem sie von Zeit zu Zeit dem Wirte winkten, auf dass er ihnen die leeren Becher fülle.
»Ihr habt wohl schon ein großes Stück von der Welt bereist, edler Ritter,« sagte einer der Kaufleute.
»Ja, nur wenige von denen, welche jetzt von allen Seiten in Krakau zusammenströmen, haben schon soviel gesehen,« antwortete der vor kurzem angelangte Ritter.
»Und gar viele strömen dort zusammen,« fügte der Bürger hinzu. »Große Festlichkeiten gibt's ja, und große Glückseligkeit herrscht im Königreiche. Man sagt, und ich glaube es auch, dass der König befahl, der Königin Prunkbett mit perlenbesetztem Brokat auszupolstern und den gleichen Baldachin darüber anzubringen. Und allerlei Spiele und Turniere werden veranstaltet, wie sie die Welt bisher noch nie gesehen hat.«
»Gevatter Gamroth, Namen oder vielmehr Spitznamen jener Zeit. Anmerkung des Verfassers. unterbrecht den Ritter nicht,« bemerkte der zweite Kaufmann.
»Ich unterbreche ihn nicht, Gevatter Eiertreter, Namen oder vielmehr Spitznamen jener Zeit. Anmerkung des Verfassers. ich denke mir nur, er wird auch gern wissen, was man sagt, weil er gewiß selbst nach Krakau reist. Und ich kehre heute nicht mehr in die Stadt zurück, weil die Tore so früh geschlossen werden, und bei Nacht lassen mich die Amphibien, welche in den Hobelspänen entstehen, doch nicht schlafen, also haben wir Zeit für alles.«
»Und auf ein Wort gebt Ihr zwanzig zurück, Ihr werdet alt, Gevatter Gamroth.«
»Und doch bin ich noch im stande, ein Stück feuchten Tuches unter einem Arm zu tragen.«
»Ach was! Vielleicht eines, das so dünn wie ein Sieb ist!«
Ein weiterer Streit wurde durch den fremden Kriegsmann unterbrochen, welcher sagte: »Ich werde sicher in Krakau bleiben, weil ich von den Wettkämpfen gehört habe und froh bin, wenn ich meine Kraft innerhalb der Schranken erproben kann – und meinem Bruderssohn hier geht es ebenso, denn obgleich er noch jung und ein rechter Milchbart ist, hat er schon manchen Panzer auf der Welt zu Gesicht bekommen.«
Die Gäste schauten den Jüngling an, der fröhlich lächelte und, nachdem er seine langen Haare hinter die Ohren gestrichen hatte, den Bierkrug an die Lippen setzte.
Der alte Ritter aber fügte hinzu: »Übrigens, wenn wir umkehren wollten, wüßten wir gar nicht, wohin wir uns wenden sollten.«
»Ei,« fragte einer der Edelleute, »woher seid Ihr denn und wie nennt Ihr Euch?«
»Macko aus Bogdaniec nenne ich mich, und dieser junge Mann, der Sohn meines leiblichen Bruders, nennt sich Zbyszko. ›Tepa Podkowa‹, ein stumpfes Hufeisen, ist unser Wappenschild, und unser Schlachtruf: ›Hagel‹!«
»Wo liegt denn Euer Bogdaniec?«
»Traun! Fragt lieber, wo es lag, Herr Bruder, denn es ist schon vom Erdboden verschwunden. Noch zur Zeit des Krieges der Grzymalitezyc mit den Naleczy wurde Bogdaniec zu Asche niedergebrannt, und was übrig geblieben war, wurde uns weggenommen; die Knechte aber flohen alle. So blieb nur der leere Grund und Boden, denn auch die Bauern der Nachbarschaft wanderten fort in die Steppe. Mit meinem Bruder, dem Vater dieses Jünglings, habe ich das Haus wieder aufgebaut, aber im folgenden Jahre hat uns das Wasser alles weggerissen. Dann starb mein Bruder, und ich blieb allein mit der Waise. Da sagte ich mir: Hier kann ich es nicht aushalten! Und zu jener Zeit sprach man viel vom Krieg und auch davon, dass Jasko aus Olesnica, den der König Wladislaw zu dem Mikolaj aus Moskorzow nach Wilna sandte, eifrig in Polen Ritter suche. Da ich nun den würdigen Abt Janek aus Tulcza kenne, verpfändete ich ihm meinen Grund und Boden, und für das Geld kaufte ich mir eine Rüstung, ein Pferd, kurz, ich versah mich, wie es üblich ist für den Kriegsdienst, den Knaben, der erst zwölf Jahre alt war, setzte ich auf einen Klepper, und fort ging's zu Jasko von Olesnica!«
»Mit dem Jüngling?«
»Damals war er noch kein Jüngling, aber stramm ist er schon als Knabe gewesen. In seinem zwölften Jahre legte er zuweilen die Armbrust auf den Boden, stemmte sich mit dem Bauche dagegen und drückte den Schneller derart, dass selbst keiner von den Engländern, die wir bei Wilna gesehen haben, sich hätte rühmen können, er verstehe den Bogen besser zu spannen.«
»So stark ist er gewesen?«
»Meinen Helm trug er hinter mir her, und als er dreizehn Jahre alt wurde, trug er auch meinen langen Schild.«
»Und an Kriegszügen hat es wahrlich nicht gefehlt.«
»Witolds wegen. Der Fürst befand sich bei den Kreuzrittern und jedes Jahr unternahm er Kriegsfahrten gegen Litauen und wendete sich nach Wilna. Mit ihm zog allerlei Volk. Deutsche, Franzosen, Engländer, die am besten den Bogen zu spannen verstanden, Böhmen, Schweizer und Burgunder. Sie haben die Wälder durchstreift, Schlösser erbaut, und zuletzt haben sie Litauen mit Feuer und Schwert schrecklich verwüstet, so dass das ganze Volk, welches dies Land bewohnt, es schon verlassen und ein anderes suchen wollte, ja gerne bis ans Ende der Welt oder sogar zu den Kindern des Belial gewandert wäre, nur um fern von den Deutschen zu sein.«
»Dass alle Litauer mit Weibern und Kindern fortziehen wollten, hörten wir wohl, doch glaubten wir es nicht.«
»Aber ich habe gar viel miterlebt. Ha! wäre nicht Mikolaj aus Moskorzow, nicht Jasko aus Olesnica, und wären wir nicht gewesen – das sage ich, ohne mich zu rühmen – so stünde auch Wilna nicht mehr.«
»O, das wissen wir. Ihr habt die Burg ja nicht übergeben.«
»Nein, wir haben sie nicht übergeben. Und nun merket wohl auf das, was ich Euch sage, denn ich bin ein erfahrener, des Krieges kundiger Mann. Die Alten sprachen immer von dem bissigen Litauer, und sie sprachen wahr. Sie schlagen sich gut, die Litauer, aber mit den Rittern können sie sich im offenen Felde nicht messen. Ganz anders ist's im dichten Wald – oder auch dann, wenn die Pferde der Deutschen im Morast versinken.«
»Die Deutschen sind die besten Krieger!« riefen die Städter.
»Und wie eine Mauer stehen sie Mann bei Mann, durch ihre eisernen Rüstungen derart geschützt, dass kaum die Augen durch das Visir zu sehen sind. Dicht aneinander gedrängt, schreiten sie auch vorwärts. Gewöhnlich sind's die Litauer, die losschlagen. Aber dann werden sie wie Sand zerstreut, oder sie müssen als Brücke dienen und werden zertreten. Doch nicht nur Deutsche sind unter den Kreuzrittern zu finden, denn jedes Volk, das es auf der Welt gibt, dient bei ihnen. Und tapfer sind sie! Zuweilen beugt sich ein Ritter herab, streckt die Lanze aus und stößt allein, noch vor der Schlacht, in einen ganzen Kriegshaufen, wie sich ein Habicht auf eine Herde stürzt.«
»Christus!« rief Gamroth aus, »welche sind denn die tüchtigsten unter ihnen?«
»Es kommt auf die Waffe an. Die Armbrust weiß der Engländer am besten zu handhaben, denn er kann einen Panzer mit dem Pfeile durchbohren und eine Taube auf hundert Schritte weit treffen. Die Böhmen hingegen hauen mit dem Beile furchtbar drein, und den zweischneidigen Hirschfänger weiß niemand besser zu führen als der Deutsche. Der Schweizer zerschlägt gerne den Helm mit der eisernen Keule, aber die besten Krieger sind die, welche aus des Franzmannes Landen kommen. Sie kämpfen zu Pferd und zu Fuß und rufen Dir herausfordernde Worte zu, aber verstehen kannst Du sie nicht, denn ihre Sprache klingt, wie wenn eine zinnerne Schüssel geschüttelt wird, und doch sind sie ein gottesfürchtiges Volk. Sie haben uns durch die Deutschen vorgeworfen, dass wir mit den Heiden und Sarazenen gegen das Kreuz kämpfen, und haben sich verpflichtet, die Wahrheit dieser Behauptung durch einen ritterlichen Zweikampf zu beweisen. Auch ein Gottesgericht soll abgehalten werden zwischen vier von ihren und vier von unsern Rittern, und der zur Zusammenkunft bestimmte Ort ist der Hof Wenzels, des römischen und böhmischen Königs.«
Noch größere Neugierde erfaßte nun die Landleute und die Kaufleute, sie streckten ihre Köpfe über die Krüge zu Macko hinüber und fragten: »Wer von unsern Rittern ist denn dabei? Sprecht schnell!«
Doch Macko führte zuerst den Krug an die Lippen und trank, dann erwiderte er: »Ei, fürchtet nur nichts für sie. Es ist Jan aus Wloszczow, der Kastellan von Dobrzin, es ist Mikolaj aus Waszmuntow, es ist Jasko aus Zdakow und Sarosz aus Czeckow, lauter hochgepriesene Ritter und tapfere Jungen. Ob nun mit der Lanze, dem Schwert oder der Streitaxt gekämpft wird – das alles ist nichts Neues für sie. Da werden die Leute etwas zu sehen und etwas zu hören bekommen – denn wie ich schon erwähnt habe, dem Franzmann kannst Du die Gurgel zudrücken, und er sagt Dir noch heldenmäßige Worte. So wahr mir Gott helfe und das heilige Kreuz, jene werden unaufhörlich schwatzen, die Unsrigen aber sie besiegen.«
»Das wird uns zu großem Ruhme gereichen, wofern nur Gott seinen Segen dazu gibt,« sagte einer der Edelleute.
»Und der heilige Stanislaw!« fügte ein zweiter hinzu.
Und zu Macko gewandt, bemerkte er in eifrigem Tone: »Nur weiter! Sprecht! Ihr rühmt die Tapferkeit der deutschen und andern Ritter, Ihr sagt, sie könnten die Litauer leicht beugen. Aber Euch zu beugen wäre ihnen sicherlich schwerer geworden! Haben sie nicht eben so gerne auf Euch losgeschlagen? Und was ist mit Gottes Willen dann geschehen? Lobt und preist doch die Unsrigen!«
Doch Macko aus Bogdaniec war offenbar kein Prahler, denn er entgegnete bescheiden: »Die welche aus fernen Landen einwandern, nehmen gerne den Kampf mit uns auf, aber wenn sie es einmal getan haben, schwindet ihr Mut schon einigermaßen, denn wir sind ein zähes Volk, und diese Zähigkeit wird uns häufig vorgeworfen. ›Ihr verachtet den Tod, – sagen unsere Feinde – aber die Sarazenen unterstützt Ihr, und dafür werdet Ihr verdammt sein!‹ Durch diese Lügen ist unser Ingrimm noch gewachsen; der König und die Königin ließen die Litauer taufen, und jeder ist ein Bekenner Christi, wenn schon nicht jeder ihn versteht. Als der Teufel in der Kathedrale in Plock auf die Erde geworfen wurde, befahl sogar unser gnädigster Herr, ein Endchen Licht zu dessen Ehren aufzustellen, und die Priester mussten ihm erst sagen, dass es sich nicht gehöre – das ist ja eine bekannte Geschichte. Was darf man also von einem gewöhnlichen Menschen verlangen? Mancher sagt sich selbst: Befiehlt der Knäs, dass ich mich taufe, so taufe ich mich; befiehlt Christus, dass ich mich an die Stirne schlage, so schlage ich mich an die Stirne; aber weshalb sollte ich den alten heidnischen Teufeln das bißchen Quark nicht gönnen, ihnen die gebratenen Rüben nicht vorwerfen, oder den Schaum vom Biere nicht für sie abgießen? Tue ich es nicht, so können mir die Pferde krepieren, die Kühe räudig werden, ihre Milch kann blutig kommen oder die Ernte kann schlecht ausfallen. Gar viele handeln so, wodurch sie schweren Verdacht auf sich laden. Und doch tun sie es nur aus Unwissenheit und aus Furcht vor den Teufeln. Ehemals war es jenen Teufeln wohl. Sie hatten ihren Forst und große Hütten, auch Pferde zum Reiten, und den Zehnten nahmen sie sich. Doch jetzt ist der Forst ausgehauen, zu essen ist nichts da – die Glocken in den Städten schlagen an, also muss sich der Unflat in den dichtesten Wald verkriechen und dort heult er vor Angst. Kommt nun ein Litauer in das Gehölz, so geschieht es häufig, dass ihn ein Teufel am Schafpelz zerrt und sagt: Gib her! Manche wagen nicht, sich zu widersetzen, wieder andere wollen den Teufeln nichts freiwillig überlassen und suchen sie zu fangen. Einer dieser wackeren Jungen schüttete gedörrte Erbsen in eine Ochsenblase, und sogleich fuhren dreizehn Teufel hinein. Da zog er die Blase zu, befestigte ein Holzpflöckchen daran und brachte sie zum Verkauf nach Wilna zu den Franziskanern, welche ihm gerne zwanzig Skotus dafür gaben, um die Feinde des Namens Christi aus dem Weg zu räumen. Ich selbst habe die Blase gesehen, aus der sich ein furchtbarer Gestank weithin verbreitet hat, denn auf diese Weise zeigen die bösen Geister ihre Furcht vor dem Weihwasser.«
»Und wer hat berechnet, dass es ihrer dreizehn gewesen sind?« fragte der bedächtige Kaufmann Gamroth.
»Das hat ein Litauer berechnet, welcher es mit ansah, wie sie in die Blase hineinkrochen. Dass sie sich darin befanden, darüber herrscht kein Zweifel, denn dies war an dem Gestank zu erkennen, und deshalb wollte niemand das Holzpflöckchen entfernen.«
»Wie wunderlich ist dies, wie gar wunderlich!« rief einer der Edelleute.
»Ich habe schon die größten Wunder gesehen, allein davon kann man nicht reden. Gute Leute sind die Litauer, aber auch recht sonderbare. Sie haben zottige Haare, und kaum die Fürsten kämmen sich, von gebratenen Rüben leben sie und ziehen diese allen andern Speisen vor, weil sie meinen, es mache kräftig und mutig. Bei ihnen in ihren Hütten sind auch Haustiere und Schlangen zu sehen, und im Essen und Trinken kennen diese Menschen kein Maß, die verehelichten Weiber werden mißachtet von ihnen, aber die Jungfrauen verehren sie und gestehen ihnen große Rechte zu.«
»Ich kann es bestätigen,« fügte Zbyszko hier ein. »Und die meisten Mädchen sind schön. Oder,« fragte er, zu seinem Onkel gewendet, »ist Nyngalla vielleicht nicht schön?«
»Wer ist denn diese Nyngalla?« erkundigte sich einer der Städter.
»Wie? Habt Ihr noch nichts von Nyngalla gehört?« fragte Macko.
»Noch kein Wort hörten wir von ihr!«
»Wir sprechen ja von der Schwester des Fürsten Witold, der Gattin Henryks, des masovischen Fürsten.«
»Welchen Fürsten Henryk meint Ihr? Es gab einen masovischen Fürsten dieses Namens, der Elektor von Plock war, aber er ist gestorben.«
»Das ist eben derselbe. Er wurde durch den Tod abgerufen, weil sein Leben offenbar Gott nicht wohlgefällig war. Denn obwohl er die geistliche Würde bekleidete, schloß er doch eine unrechtmäßige Ehe mit Nyngalla. ›Ich gebe mir selbst den Dispens; der Papst, wenn nicht der von Rom, so doch der von Avignon, wird ihn sicherlich bestätigen,‹ soll er gesagt haben. Der Zorn Gottes war groß, aber Witold konnte sich nicht widersetzen – und die Vermählung ward gefeiert, zum großen Kummer meines Zbyszko hier, welcher selbst, nach deutscher Sitte, die Fürstin Ryngalla zur Herrin seines Herzens erwählt und ihr ewige Treue gelobt hatte ...«
»Fürwahr,« warf Zbyszko plötzlich ein, »das ist richtig! Und später hörten wir von den Leuten, dass die Fürstin Ryngalla, nachdem sie eingesehen hatte, dass es sich nicht für sie gezieme, mit dem Elektor zu leben, weil er trotz seiner Vermählung doch nicht auf seine Würde verzichten wollte, und dass über solcher Ehe der göttliche Segen nicht walten könne, ihren Gatten vergiftet habe. Auf diese Kunde hin bat ich einen heiligen Einsiedler in der Nähe Lublins, mein Gelübde zu lösen.«
»Ein Einsiedler war es wohl«, bemerkte Macko lachend, »doch ob es ein heiliger gewesen ist, weiß ich nicht, denn wir überraschten ihn an einem Freitag im Walde, als er die Knochen eines Bären mit dem Beile spaltete und das Mark aussaugte, bis es ihm in der Kehle stecken blieb.«
»Aber er sagte, Mark sei kein Fleisch, und außerdem habe er sich die Erlaubnis erbeten, Mark zu genießen, weil er dann des Nachts immer wunderbare Traumgesichte habe und vom folgenden Morgen an bis zum Mittag prophezeien könne.«
»Na! Na!« versetzte Macko. »Und die schöne Ryngalla ist Witwe und braucht Dich vielleicht in ihrem Dienst.«
»Umsonst würde sie ausschicken, denn ich wähle mir selbst eine andere Herrin, der ich bis zum Tode dienen werde, und später werde ich mir auch eine Gattin gewinnen.«
»Den Rittergürtel wirst Du Dir zuerst gewinnen.«
»Nun ja! Nach der Entbindung der Königin werden doch gewiß Turniere stattfinden? Und da wird der König manchen zum Ritter schlagen. Ich stelle mich jedem. Der Fürst würde mich nimmer aus dem Sattel gehoben haben, wenn mein Pferd sich nicht auf die Hinterbeine gesetzt hätte.«
»Es werden aber bessere dort sein als Du.«
Hier riefen die Landleute aus der Gegend von Krakau: »Bei Gott! Vor der Königin werden sich solche wie Du nicht herauswagen können, wohl aber Ritter, die in der ganzen Welt berühmt sind. Wie kannst Du Dich mit Leuten messen, mit denen sich weder hier, noch am böhmischen noch am ungarischen Hofe jemand messen kann? Was ist das für ein Gerede? Bist Du denn besser als sie? Und wie alt bist Du denn?«
»Achtzehn Jahre!« antwortete Zbyszko.
»Dann kann Dich ja jeder zwischen den Fingern zermalmen.«
»Wir werden sehen!«
Doch Macko warf hier ein: »Ich habe gehört, dass der König die Ritter reichlich belohne, welche aus dem litauischen Kriege zurückkehren. Sagt an, die Ihr von Krakau kommt, ist dies wahr?«
»Bei Gott, es ist wahr!« entgegnete einer der Edelleute. »Auch ist die Freigebigkeit des Königs in der ganzen Welt bekannt. Aber in seine Nähe zu gelangen, ist nicht leicht, da es in der Stadt von Gästen wimmeln wird, welche wegen der Entbindung der Königin und der Taufe kommen, um dadurch unsern Herrn zu ehren oder ihm Huldigung darzubringen. Der ungarische König wird dort sein, auch der römische Cäsar, wie man sagt, und verschiedene Fürsten, Wojwoden und Ritter werden erscheinen, weil jeder denkt, dass er nicht mit leeren Händen weggehen wird. Man spricht sogar davon, dass selbst der Papst Bonifazius komme, da er der Gunst und Hilfe unseres Herrn gegen seinen Feind in Avignon bedürfe. Bei dem Andrange wird man nicht leicht Zutritt zum König bekommen, aber wem es dennoch gelingt, Zutritt zu erlangen und wer einen Kniefall vor dem Herrn macht, der wird seiner Verdienste wegen reichlich belohnt werden.«
»Dann will ich den Kniefall tun, denn auch ich habe mir schon Verdienste erworben, und wenn der Krieg ausbricht, ziehe ich mit. Kriegsbeute ist mir wohl zu teil geworden, und vom Fürsten Witold erhielt ich Vergütung, Not leide ich also nicht, aber der Abend meines Lebens naht schon heran, und im Alter, wenn die Knochen mürbe werden, hat der Mensch doch gerne einen friedlichen Winkel.«
»Gerne sah der König stets die, welche unter Jasko aus Olesnica von Litauen zurückgekehrt sind – und sie alle bekommen satt zu essen.«
»Da seht Ihr's! Ich bin aber jetzt erst aus dem Krieg zurückgekehrt. Ihr müßt nämlich wissen, dass die Deutschen den Frieden zwischen dem König und dem Fürsten Witold büßen mussten. Der schlaue Fürst sicherte sich seine Geiseln, und dann ging es los auf die Kreuzritter! Schlösser wurden zerstört, verbrannt, die Ritter aufs Haupt geschlagen und ein großer Teil des Volkes ausgerottet. Mit Swidrygiello zugleich, der zu ihnen geflohen war, wollten sich nun die Deutschen rächen. So kam es wieder zu einem großen Kriegszug. Selbst der Meister Kondrad eilte mit zahlreichem Volk herbei. Wilna ward belagert, von ungeheuren Türmen aus versuchte man, die Burg zu zerstören, durch Verrat versuchte man, hineinzugelangen, aber nichts ward damit erreicht. Und bei dem Rückzuge wurden so viele Krieger hingestreckt, dass kaum die Hälfte zurückkam. Auch gegen Ulryk von Jungingen, des Großmeisters Bruder, der Vogt von Samland ist, zogen wir ins Feld. Aber in Schrecken versetzt durch den Fürsten, floh der Vogt unter lauten Klagen, und durch diese Flucht ward der Frieden wieder hergestellt, die Stadt neu erbaut. Und ein heiliger Ordensbruder, der barfuß auf glühendem Eisen zu gehen vermag, hat prophezeit, dass von nun an, so lange die Welt steht, sich unter Wilnas Mauern keine bewaffneten Deutschen mehr zeigen werden. Aber wessen Hände haben mitgeholfen, dass es so kommen kann und sie sich nicht mehr zeigen werden?«
Bei diesen Worten streckte Macko aus Bogdaniec seine großen, ungewöhnlich starken Hände aus, während die andern beistimmend nickten und riefen: »Ja! Ja! In dem, was Ihr sagt, ist ein Fünkchen Wahrheit enthalten.«
Das Gespräch wurde durch heftigen Lärm unterbrochen. Er drang zu den Fenstern herein, deren Scheiben man entfernt hatte, denn die Nacht war warm und schön. In der Ferne vernahm man Stimmen, Gesang und das Schnauben von Pferden. Die Anwesenden staunten darüber, weil die Stunde schon vorgerückt war und der Mond hoch am Himmel stand. Der deutsche Wirt lief hinaus in den Hof, aber bevor noch seine Gäste im stande gewesen, die Krüge bis zur Neige zu leeren, kehrte er eilig zurück und rief: »Irgend eine Hofgesellschaft naht heran!«
Gleich darauf zeigte sich an der Türe ein junger Bursche in blauem Oberrock, die gefältelte rote Mütze auf dem Haupte. Er blieb stehen, betrachtete die Anwesenden, und als er den Wirt erblickte, sagte er: »Wischt die Tische dort ab und bringt Lichter herbei. Die Fürstin Anna Danuta wird hier Rast machen.«
So sprach er und entfernte sich dann wieder. In der Schenke machte sich eine Bewegung kund, der Wirt rief nach dem Gesinde, und die Gäste schauten voll Verwunderung einander an.
»Die Fürstin Anna Danuta,« begann einer der Bürger. »Das ist Kiejstuts Tochter, die Gattin Janusz' von Masovien. Sie hielt sich vierzehn Tage in Krakau auf und fuhr dann nach Zator zum Fürsten Wenzel zu Besuch. Wahrscheinlich befindet sie sich nun wieder auf der Rückreise nach Krakau.«
»Gevatter Gamroth,« sagte der zweite Bürger, »laß uns lieber in die Scheune gehen und unser Heulager aufsuchen, allzu hohe Gesellschaft ist das für uns.«
»Dass sie bei Nacht fahren, dies wundert mich nicht,« ließ sich Macko vernehmen, »denn bei Tage brennt die Sonne allzu sehr, aber weshalb kommen sie in dies Wirtshaus, da sie doch das Kloster vor Augen haben?«
Hier wendete er sich zu Zbyszko mit den Worten: »Sie ist eine leibliche Schwester der schönen Ryngalla!«
Und Zbyszko rief: »Juhei! Sicherlich befinden sich viele masovische Jungfrauen bei ihr.«
II.
An der Türe erschien jetzt die Fürstin, eine Frau in mittleren Jahren, in einem roten Mantel und einem enganliegenden grauen Gewande mit goldenem Gürtel, der vorn durch einen großen Ring am Kleide festgehalten war. Hinter der freundlich lächelnden Herrin zeigten sich einige Hoffräulein, ältere und auch halbwüchsige. Kränze aus Lilien und Rosen schmückten ihre Stirnen, und viele hatten Lauten in den Händen. Wieder andere trugen frische Blumensträuße, die sie wohl unterwegs gepflückt hatten. Bald war die ganze Stube voll, denn nach den Mädchen kamen mehrere Höflinge und Pagen. Heiter und guter Dinge traten alle ein, mit strahlenden Gesichtern, laut sprechend und singend, wie trunken von der schönen Nacht und dem hellen Mondschein. Unter den Höflingen befanden sich auch zwei fahrende Schüler, der eine mit einer Laute, der andere mit der Zither am Gürtel. Eines der Mägdlein, das noch ganz jung, vielleicht zwölf Jahre alt war, trug eine kleine, mit Kupfernägeln beschlagene Laute hinter der Fürstin her.
»Gelobt sei Jesus Christus!« sagte die Fürstin, in der Mitte des Gastzimmers stehen bleibend.
»Von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen!« antworteten die Anwesenden, sich tief verneigend.
»Wo ist der Wirt?«
Als dieser der Fürstin Worte vernahm, drängte er sich vor und ließ sich nach deutscher Sitte auf die Knie nieder.
»Wir wollen hier rasten und uns stärken,« sagte die Herrin. »Tummelt Euch also, denn wir sind hungrig.«
Die Bürger hatten sich bereits entfernt. Zwei Edelleute vom Orte, sowie Macko aus Bogdaniec und der junge Zbyszko verbeugten sich jetzt abermals und wollten die Gaststube verlassen, um die Gesellschaft nicht zu stören, aber die Fürstin hielt sie zurück.
»Ihr seid Edelleute, Ihr stört uns nicht. Macht Euch mit unseren Hofherren bekannt. Woher hat Euch Gott geführt?«
Nun gaben sie ihre Namen, ihr Geschlecht, ihre Beinamen und die Dörfer an, von denen sie die Namen trugen.
Als dann die Fürstin von Macko gehört hatte, woher er kam, klatschte sie in die Hände und rief: »Das trifft sich gut! Erzählt uns von Wilna, von meinem Bruder und meiner Schwester. Kommt Fürst Witold zur Entbindung der Königin und zur Taufe hierher?«
»Er wollte kommen, weiß aber nicht, ob es ihm möglich sein wird. Deshalb sandte er durch die Fürsten und Bojaren der Königin vorerst eine silberne Wiege als Geschenk. Mit dieser Wiege sind auch wir, mein Neffe und ich, gekommen und unterwegs haben wir sie bewacht.«
»Befindet sich diese Wiege hier? Ich möchte sie sehen. Ganz aus Silber ist sie?«
»Ja, ganz aus Silber. Aber sie befindet sich nicht hier. Sie ist schon nach Krakau gebracht worden.«
»Und was tut Ihr hier in Tyniec?«
»Wir kehrten hierher zurück, zu dem Prokurator des Klosters, unserm Blutsverwandten, um der Obhut des ehrwürdigen Ordens zu übergeben, was wir im Krieg gewannen und was der Fürst uns als Schenkung überließ.«
»Möge Gottes Segen darüber walten! Ist es ansehnliche Beute? Doch sagt, warum es noch ungewiß ist, ob mein Bruder kommt?«
»Für den Feldzug zu den Tataren rüstet er sich.«
»Ich sage Euch, mich quält nur das eine: die Königin hat diesem Feldzuge kein glückliches Ende prophezeit, und was sie prophezeit, trifft immer ein.«
Macko lachte. »Ei, unserer gottesfürchtigen Herrin will ich nicht widersprechen, aber mit dem Fürsten Witold zieht unsere ganze ritterliche Streitmacht aus, und es sind tüchtige Burschen, gegen die niemand aufkommt.«
»Zieht Ihr nicht mit?«
»Ich bin ja nebst den andern mit der Wiege abgesandt worden und habe zudem fünf Jahre lang den Harnisch nicht abgelegt,« entgegnete Macko, auf die vom Panzer im Lederkoller zurückgelassenen Spuren deutend. »Doch, sobald ich genügend der Ruhe gepflegt habe, gehe ich mit, und wenn ich auch selbst nicht mitgehe, so bringe ich doch meinen Bruderssohn Zbyszko dem Herrn Ipytko aus Mielsztyn, denn unter diesem Heerführer ziehen all' unsre Ritter aus.«
Die Fürstin Danuta blickte auf die schöne Gestalt Zbyszkos, aber das Gespräch ward durch den Eintritt eines Mönches unterbrochen, der nach der Begrüßung der Fürstin ihr demütig vorhielt, dass sie ihre Ankunft nicht durch einen Boten kund getan habe, und dass sie sich nicht im Kloster, sondern in diesem gewöhnlichen Wirtshause aufhalte, das ihrer hohen Würde unwert sei. Im Kloster sei doch kein Mangel an Gemächern und Wohnungen, worin jedermann Unterkunft finde, und nun erst die hohe Frau, die Gattin des Fürsten, von dessen Vorfahren und Blutsverwandten die Abtei so viele Wohltaten erhalten habe.
Aber die Fürstin antwortete in heiterem Tone: »Wir sind nur hier eingekehrt, um unsere Glieder wieder einigermaßen zu strecken, und in der Frühe müssen wir uns nach Krakau aufmachen. Bisher schliefen wir bei Tag und fuhren bei Nacht, der Kühle wegen, und obwohl hier bei unserer Ankunft die Hähne schon krähten, wollte ich die gottesfürchtigen Mönche nicht wecken, vornehmlich nicht mit solcher Gesellschaft, welche mehr an Gesang und Tanz als an Ruhe denkt.«
Da jedoch der Mönch noch weiter in sie drang, fügte sie hinzu: »Ich bleibe hier. Wir haben jetzt die beste Zeit, einige weltliche Gesänge anzuhören, aber zum Frühgottesdienst gehen wir in die Kirche, um den Tag mit Gott zu beginnen.«
»Man wird eine Messe lesen für das Wohlergehen des gnädigen Fürsten und der gnädigen Fürstin,« sagte der Mönch.
»Der Fürst, mein Gatte, wird erst nach vier oder fünf Tagen ankommen.«
»Unser Herrgott kann auch aus der Ferne seinen Segen verleihen, und mittlerweile möge es uns armen Klosterbrüdern vergönnt sein, Wein hierher zu bringen.«
»Wir werden uns dankbar dafür erweisen,« erwiderte die Fürstin.
Kaum hatte der Mönch sich entfernt, so rief sie: »Schnell, Danusia, steige auf die Bank und erfreue unser Herz mit dem nämlichen Liede, das Du in Zator gesungen hast.«
Als sie dies hörten, trugen zwei Hofherren eine Bank herein. Die fahrenden Schüler setzten sich an die beiden Enden, und das junge Mädchen, welches der Fürstin die mit Kupfernägeln beschlagene Laute nachgetragen hatte, stellte sich hinauf. Ihr Haupt war mit einem Blumenkranze geziert, die Haare hingen aufgelöst über ihre Schultern herab, sie hatte ein himmelblaues Gewand an und rote Schühchen mit langen Spitzen. Wie sie so dastand, sah sie aus wie ein wunderbar schönes Kind auf einem Heiligenbild oder in einem Kripplein in der Kirche. Offenbar war es aber nicht das erste Mal, dass sie so dastand, um der Fürstin vorzusingen, denn nicht die geringste Verwirrung zeigte sich auf ihrem Gesichte.
»Singe, Danusia, singe!« riefen die Hofdamen.
Nun nahm sie die Laute zur Hand, hob den Kopf in die Höhe wie ein Vogel, der zu singen anfängt, und die Äuglein zudrückend, begann sie mit ihrem Silberstimmchen:
»Wie wär' ich gerne
Ein Gänslein klein,
Ich flög' in die Ferne
Zu Jasio mein!«
Die fahrenden Schüler begleiteten sie, der eine auf der Zither, der andere auf seiner großen Laute, die Fürstin, welche weltliche Gesänge über alles liebte, neigte das Haupt bald auf die eine, bald auf die andere Seite, und das Mädchen sang weiter, mit einer zarten, frischen, kindlichen Stimme, die klang wie Vogelgezwitscher im frühlingsgrünen Walde:
»In Schlesien flög' ich nieder
Auf grünem Rain,
Die Waise sieh wieder,
Jasiulek mein!«
Und wieder begleiteten die fahrenden Schüler. Der junge Zbyszko aus Bogdaniec aber, der, von Kindheit an nur an den Krieg und dessen fürchterliche Erscheinungen gewöhnt, in seinem ganzen Leben noch nichts Ähnliches erschaut hatte, berührte den Arm eines neben ihm stehenden Masuren und fragte: »Wer ist das?«
»Ein Mägdlein vom Hofe der Fürstin. An fahrenden Sängern, welche den Hof ergötzen, fehlt es nicht, aber sie ist die beliebteste Sängerin, und die Fürstin hört keine andern Gesänge so gerne wie die ihrigen.«
»Mich wundert dies nicht. Sie ist ja ein wahrer Engel, und ich kann den Blick nicht von ihr abwenden. Wie wird sie genannt?«
»Und das wißt Ihr nicht? Danusia! Jurand aus Spychow, ein mächtiger und tapferer ›Comes‹, welcher zu den Landsassen gehört, ist ihr Vater.«
»Ach! Solch ein Wesen haben noch keine menschlichen Augen gesehen.«
»Sie wird auch von allen geliebt, sowohl ihres Gesanges als ihrer Schönheit wegen.«
»Und wer ist ihr Ritter?«
»Sie ist ja noch ein Kind.«
Durch den Gesang Danusias ward das Gespräch unterbrochen. Zbyszko blickte sie von der Seite an. Während er ihre hellen Haare, ihr erhobenes Köpfchen, ihre zugedrückten Augen und ihre ganze Gestalt betrachtete, die zugleich von dem Scheine der Wachslichter und von den durch die offenen Fenster fallenden Mondstrahlen beleuchtet wurde, staunte er immer mehr. Ihn dünkte, er habe dies schöne Bild schon einmal gesehen, ob im Traume oder zu Krakau auf einem Kirchenfenster, wußte er jedoch nicht zu sagen.
Und abermals den Arm des Hofherrn berührend, fragte er leise: »An Euerm Hofe ist sie?«
»Ihre Mutter kam aus Litauen mit der Fürstin Anna Danuta, und diese verheiratete sie an den Grafen Jurand von Spychow. Sie stammte aus einem mächtigen Geschlechte, war anmutig und mild, auch ward sie mehr als alle andern Mädchen von der Fürstin geschätzt. Sie selbst liebte die Fürstin innig, deshalb gab sie ihrer Tochter den gleichen Namen – Anna Danuta. Vor fünf Jahren nun, als bei Zlotorja die Deutschen unsern Hof überfielen, starb sie vor Schrecken. Damals nahm die Fürstin das Kind zu sich, und seit jener Zeit leitet sie dessen Erziehung. Der Vater kommt häufig an den Hof und sieht es mit Vergnügen, dass es seiner Tochter gut geht und dass sie unter dem Schutze der Fürstin steht. Allein so oft er Danusia anschaut, so oft vergießt er Tränen um die verstorbene Gattin, und dann sinnt er nur darauf, Rache an den Deutschen zu nehmen, für das, was sie ihm angetan. In ganz Masovien liebte niemand seine Ehefrau so innig, wie er die seine geliebt hatte – und ihretwegen hat er schon gar viele Deutsche ums Leben gebracht.«
Zbyszkos Augen blitzten und die Adern auf seiner Stirne schwollen an. »So ward also ihre Mutter von den Deutschen getötet?« fragte er.
»Ja und nein! Sie starb durch den Schrecken. Vor fünf Jahren war ja Frieden im Lande, niemand dachte an Krieg, und jeder konnte ungefährdet seines Weges ziehen. Der Fürst befand sich auf der Reise nach Zlotorja, wo er einen Turm bauen lassen wollte, er fuhr allein mit seinem Hofstaate, ohne Krieger, wie gewöhnlich zur Zeit des Friedens. Da überfielen ihn die Deutschen ohne Kriegserklärung, ohne jede Veranlassung. Aller Gottesfurcht Hohn sprechend, auch nicht bedenkend, dass seine Vorfahren ihnen viele Wohltaten erwiesen hatten, banden ihn auf ein Pferd und führten ihn mit sich fort. Seine Leute aber wurden vollständig aufs Haupt geschlagen. Lange befand sich der Fürst in Gefangenschaft, und erst als König Wladislaw ihnen mit Krieg drohte, gaben sie Jurand aus Angst frei. Aber bei jenem Überfall starb Danusias Mutter, denn ihr Herz zog sich krampfhaft zusammen und stand dann plötzlich still.«
»Und Ihr, Herr, seid Ihr dabei gewesen? Wie nennt Ihr Euch? Ich vergaß es.«
»Mikolaj aus Dlugolas heiße ich, und Obuch werde ich genannt. Bei dem Überfall bin ich zugegen gewesen. Ich habe es mit angesehen, wie ein Deutscher, der Pfauenfedern als Helmzier trug, die Mutter Danusias an dem Sattel festbinden wollte, und wie sie vor seinen Augen starb. Auf mich haben sie mit der Hellebarde geschlagen, ich trage noch ein Merkmal davon.«
Bei diesen Worten zeigte er auf eine tiefe, sich unter den Haaren bis zu den Augenbrauen hinziehende Narbe in der Hirnschale.
Ein kurzes Schweigen folgte. Zbyszko blickte wieder auf Danusia, dann fragte er: »Und Ihr sagt, Herr, sie habe noch keinen Ritter?«
Doch wartete er die Antwort nicht ab, da in diesem Augenblick der Gesang verstummte. Einer der fahrenden Schüler, ein feister, starker Mensch, hatte sich plötzlich erhoben, wodurch sich die Bank auf eine Seite neigte. Danusia schwankte und streckte die Händchen aus, aber ehe sie noch fallen oder herabhüpfen konnte, sprang Zbyszko vor wie eine Wildkatze und fing sie in seinen Armen auf.
Die Fürstin, welche zuerst vor Schrecken laut geschrien hatte, lachte sogleich wieder und rief: »Das ist Dein Ritter, Danusia! Sei uns gegrüßt, o Ritter, und gib uns die liebliche Sängerin zurück.«
»Allzu keck war die Art, wie er sie auffing!« ließen sich nun die Stimmen einiger Hofleute vernehmen.
Danusia immer noch in seinen Armen haltend, ging Zbyszko indessen auf die Fürstin zu. Das junge Mädchen hatte die eine Hand um seinen Hals geschlungen, während sie mit der andern die Laute emporhob, aus Furcht, das Instrument zu zerbrechen. Obwohl sie etwas erschreckt aussah, spielte dennoch ein Lächeln um ihre Lippen.
Als der Jüngling die Fürstin erreicht hatte, stellte er Danusia vor sich hin, er selbst aber kniete nieder, richtete stolz das Haupt auf und sagte mit einer für sein Alter erstaunlichen Kühnheit:
»Euern Worten gemäß soll es sein, edle Herrin! Es ist an der Zeit für dieses liebliche Jungfräulein, ihren Ritter zu wählen, an der Zeit auch für mich, eine Herrin zu wählen, deren Schönheit und Tugend ich verehren kann. Mit Eurer Erlaubnis werde ich das Gelöbnis ablegen, ihr unter allen Wechselfällen des Lebens Treue zu bewahren bis zum Tode.«
Auf dem Gesichte der Fürstin malte sich eine gewisse Verwunderung, aber weniger über Zbyszkos Worte, als darüber, dass alles so plötzlich kam. Es war zwar keine polnische Sitte, sich dem Dienste einer Herrin zu weihen, aber an der deutschen Grenze, in Masovien, wo häufig Ritter aus fernen Ländern zusammenströmten, kannte man sie besser als in andern Gegenden und ahmte sie sogar häufig nach. Die Fürstin hatte schon früher am Hofe ihres großen Vaters davon gehört, wo alle Sitten des Westens als Gesetz und nachahmungswürdiges Beispiel betrachtet wurden, deshalb erschien ihr das Vorhaben Zbyszkos nicht derart, dass sie oder Danusia dadurch hätte verletzt werden können. Im Gegenteil, sie freute sich, dass Herz und Augen eines Ritters sich dem lieblichen Hoffräulein zuwendeten. Daher sagte sie in heiterem Tone zu dem jungen Mädchen: »Danuska! Danuska! Willst Du ihn zu Deinem Ritter haben?«