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Wir Menschen halten uns gern für die Krone der Schöpfung. Wir bilden uns zwar etwas ein auf unsere vornehme Entwicklung und unseren klaren Verstand, tatsächlich überraschen uns aber immer öfter wissenschaftliche Studien mit der Erkenntnis, dass es damit gar nicht so nicht weit her ist. Allzu oft bestimmen unbewusste Beweggründe, niedere Instinkte - oder gar Parasiten unser Handeln. Gunther Müller stellt die erstaunlichsten Forschungen vor und zeigt mit Witz und Verstand, dass unser Verhalten häufig viel schlichteren Mustern folgt, als wir denken.
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Seitenzahl: 250
Gunther Müller, geboren 1980 in Dresden, hat in Frankfurt am Main Politik-, Sozialwissenschaft und Sozialpsychologie studiert und arbeitet im PR-Bereich. In Die Krone der Schöpfung widmet er sich respektlos den Schattenseiten der menschlichen Intelligenz und zeigt, dass das Dummsein nicht nur ein individuelles Problem ist.
Gunther Müller
Die Krone der Schöpfung
Die größten Irrtümeüber uns Menschen
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Originalausgabe
Copyright © 2013/2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Marion Hertle, München
Titelbild: Christina Seitz, Berkheim unter Verwendung von Motiven von
© shutterstock/Ivan Ponomarev;
shutterstock/Eric Isselee; shutterstock/jannet
Umschlaggestaltung: © Christina Seitz, Berkheim
Datenkonvertierung E-Book:
hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-8387-2496-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Das ist der ganze Jammer: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel.
Bertrand Russell
Die Wissenschaft ist dafür da sicherzustellen, dass die Natur uns nicht dazu verführt, zu denken, wir wüssten etwas, das wir in Wirklichkeit nicht wissen.
Robert Pirsig
Ich kann die Bewegung der Himmelskörper berechnen, aber nicht das Verhalten der Menschen.
Isaac Newton
Der Glaube an die menschliche Vernunft ist unvernünftig. Vernunft ist eine in der Regel gefährliche und teure Illusion, vernünftige Pläne nichts als kostspielige Trugschlüsse, vernünftige Ideen nichts als rosarote Luftschlösser. Eigentlich ließe sich das als »Vernunft-Tourette« bezeichnen. Vernunft ist eine Art neurologisch-psychiatrische Abnormalität, die, wie Tourette, durch das Auftreten von Intelligenz-Tics charakterisiert ist. Vernunft-Tics sind unwillkürliche, unregelmäßig auftretende Denkbewegungen, die mit schlauen Äußerungen und genialen Werken verbunden sind – der Rest ist Dummheit.
Der »kluge Mensch« ist ein Oxymoron. Die Wissenschaft belegt, dass wir meist weniger Ahnung haben, als wir denken. Fehler- und irrtumsfreies Denken ist nicht unsere Stärke. Was man als »Ratio« bezeichnet, ist nicht mehr als eine Notration. Nicht nur Vorurteile und Faustregeln navigieren uns unbewusst durch die Welt. Noch mehr sind es allzu menschliche kognitive Verzerrungen, Gedächtnisfehler, Paradoxien und Fehlleistungen. Wahn und Irrationales bestimmen den menschlichen Alltag in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und sogar in der Wissenschaft. Es gelten folgende Regeln: Verzichte darauf, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, denn du bist dazu nicht in der Lage. Wage es nicht, weise zu sein. Denn frisch gewagt ist halb geirrt! Wer erst mal begonnen hat, hat schon zur Hälfte falsch gehandelt!
Zu oft noch meint der Mensch – ja auch Sie, lieber Leser – trotz zuwiderlaufender Fakten, seine Wahrnehmung sei zuverlässig und genau, seine Einschätzungen seien objektiv und akkurat, seine Entscheidung profund und durchdacht und sein Erinnerungsvermögen reproduktiv und wahr.
Zeit für eine große Desillusionierung. Ich behaupte: Der Mensch ist kaum mehr als die Summe seiner Irrtümer und unlogischen Interpretationen. Der Mensch ist ein Vernunftkrüppel. Wahrscheinlich ist er auch nur zufällig auf seiner jetzigen Entwicklungsstufe angekommen. Zumindest ist seine Entwicklungsgeschichte eine Aneinanderreihung absurder evolutionärer Zufälle.
Ich denke, also bin ich? Wohl kaum! Ich irre, also bin ich? Wohl eher! Nicht die Tatsache, dass der Mensch denkt, ist der Beweis für seine Existenz, wie dies einst Descartes formulierte. Das Denken ist dann doch nicht so mächtig, und der Mensch spielt dabei nur eine Nebenrolle. Denn auf das Was und Wie des Denkens haben die Menschen nur wenig Einfluss.
Der Mensch ist dem Menschen kein Wolf, wie man bei Plautus und dann bei Thomas Hobbes liest. Der Mensch ist dem Menschen ein Esel. Der Mensch trachtet dem Menschen nicht nach dem Leben, sondern nach dem Verstand. Und die Welt, sie ist ein gefährlicher Ort, ein Schauplatz der Verblödung.
Vielleicht sind es die hier beschriebenen Dummheiten, die die Menschen als universale und zeitlose Gemeinsamkeit besitzen. Daher ist die Akzeptanz der eigenen Dummheit vielleicht der einzig gangbare Weg, sich als Menschheit friedlich zu einen. Nur wer die eigene Dummheit akzeptiert, der kann auch die der anderen ertragen.
In diesem Buch geht es um die unterhaltsame Revision einer sich seit der Aufklärung unaufhaltsam weiter verbreitenden Selbstwahrnehmung, der Mensch sei im Prinzip ein sich selbst verbesserndes Verstandeswesen und damit einzigartig. Der Mensch ist jedoch weder ein Genie noch zur Selbstvervollkommnung in der Lage. Beobachtet man genau, lässt sich erkennen, dass der Mensch den Kopf nicht nur zum Denken besitzt, sondern vor allem zum Schütteln – als Geste ungläubigen Staunens über allerlei Dummheit.
Hier geht es um die Erkundung einer inneren Wüste, der Blödnis – die Ödnis des Geistes. Diese freizulegen und zu beschreiben ist die zentrale Aufgabe des Buches.
Das Buch trägt die skurrilsten, absurdesten und komischsten menschlichen Fehlleistungen zusammen – und wie man ihnen wissenschaftlich auf die Schliche kam. Dieses Buch berichtet mit Genuss über die wissenschaftlichen Ergebnisse und Theorien zu diesen Fehlentwicklungen, mentalen Täuschungen und Paradoxien, fasst sie zusammen und erklärt deren praktische Bedeutsamkeit. Warum? Wenn wir schon Mitspieler in einem Spiel sind, das wir nicht verstehen, dann können wir wenigstens darüber lachen.
Der Autor singt hier kein menschenkritisches Klagelied, er macht sich keine Sorgen und weiß auch keinen Rat, was dagegen zu tun sei. Sie halten kein Ratgeberbuch versteckt in weißem Kittel in der Hand – Die Krone der Schöpfung ist wohl eher so etwas wie ein Schwarzbuch des Menschlichen und Allzumenschlichen. Das Einzige, was der Autor mit dem Leser teilen will, ist vielleicht die spöttische Freude, sich als Mensch zwar nicht vollständig im Griff zu haben, aber wenigstens das Gefühl zu haben, sich zu durchschauen. Ein kleines und kurzes Aufbegehren. Ein Aufbegehren aber, das durchaus Spaß macht.
Viel Skurrilität der in diesem Buch beschriebenen Phänomene, Tendenzen und blinden Flecken ist der vom Autor oft gehandhabten Methode der kalkulierten Übertreibung zuzurechnen; sie ist nötig, um ein Quäntchen Wahrheit aufleuchten zu lassen. Der in der Übertreibung liegende Witz soll auch dafür sorgen, dass der wahre Kern des Ganzen nicht ganz so schmerzt. Denn was skurril erscheint, ist teilweise ernsthaft bedenklich.
Das Buch sammelt akribisch all die großen und kleinen Beweise für die stupide Natur des Menschen – als Gattung, Individuum und Kollektiv. Und das Dumme ist dummerweise eine Grundkonstante des menschlichen Seins. Das ganz normale Dumme eben.
Aber dann doch noch eine kleine Ehrenrettung: Es ist nicht so, dass wir nur unberechenbar, chaosanfällig, trüb und repetitiv sind. Der Mensch ist kein »animal irrationale«. Vielmehr sind wir nur fehlerhaft rational. Nur weil der Mensch eigentlich so intelligent ist, kann er auch zuständig für den Unverstand auf Erden sein. Und dieses Spannungsverhältnis ist lustig. Der Mensch ist eben nicht halb dumm, sondern halb klug!
Der Mensch ist die wohl unterhaltsamste Störung der belebten Welt, die sich die Schöpfung hätte ausdenken können. Es darf deshalb, zwischen Erkenntnis und Katastrophe, beruhigt geschmunzelt werden. Aber eine Erkenntnis bleibt: Vernunft ist nur eine nebensächliche Minifunktion des Gehirns. Das Killerfeature des Gehirns ist und bleibt die Dummheit. Lernen Sie in diesem Buch, ruhig Blut gegenüber dem Unterschied zwischen klug und dumm zu bewahren. Der Verstand jedenfalls ist Teil der Kraft, die stets das Kluge will und doch stets Blödsinn schafft.
Und dann doch noch ein kleiner Trost: Wenn man mal nichts Blödes tut, dann ist die Dummheit nicht da, und ist die Dummheit da, dann merkt man die Blödheit nicht – was interessiert uns also unsere Dummheit?
Gunther Müller
Menschliches Verhalten und die damit verbundenen Aspekte sind hochkomplex, sie lassen sich nicht unter dem Mikroskop oder im Reagenzglas erforschen. Das wissenschaftliche Personal ist stets überschaubar, die Facetten menschlicher Existenz nicht. Infolgedessen sind die hier präsentierten Studien zwangsläufig unvollständig und im Grunde Werkstattberichte von Forschern, deren Ergebnisse trotz raffinierter Methodik und rigoroser Wissenschaftlichkeit nur so lange gültig sind, bis andere Forscher diese widerlegen. Diese Unsicherheit und Vorläufigkeit findet sich prinzipiell überall in der Wissenschaft. Nach der Studie ist vor der Studie.
Da es dem Autor vor allem darum ging, Beweise für die menschliche Dummheit und Unzulänglichkeit zu finden, ignorierte er durchaus alle Beweise für das Gegenteil. Das nennt man »Rosinenpickerei« und dient hier ausschließlich der Unterhaltung. An sich ist das Buch damit auch nur ein Denkfehler selektiver Aufmerksamkeit.
Lesen Sie hier, dass der Mensch nicht die Krone der Schöpfung ist; noch nicht einmal das Diadem der Schöpfung. Der Mensch ist höchstens ein abgebrochener Zacken aus einer Krone – die der Evolution nämlich.
Steigen Sie auf den Grund der Gattungsgeschichte hinab und erkennen Sie, dass in der menschlichen Neigung zur Dummheit Genese zu finden ist.
Die geringe Behaarung des Menschen ist kein Zeichen der Besonderheit, sondern der Faulheit.
Was unterscheidet uns eigentlich vom Affen? Auch die Tatsache, dass uns irgendwann das Fell ausging. Aber wieso? Warum ist der Mensch eines der wenigen haarlosen Säugetiere überhaupt auf der Erde? Diese Frage ist nicht banal, denn es hat viel mit der menschlichen Entwicklung zu tun. Damit, dass man als fellloses Tier Kleidung braucht. Kleidung wiederum setzte Werkzeuge voraus. Nachts braucht man außerdem Feuer, um sich warm zu halten. Das Versammeln ums Feuer, die dadurch zwangsweise entstandene Nähe ist vielleicht das, was uns zu wirklich sozialen Wesen machte. Gleichzeitig sorgte das fehlende Fell auch dafür, dass es uns in so vielen verschiedenen Hautfarben gibt. Nacktheit ist demnach also folgenreich.
Der Grund, warum wir unser Fell verloren haben, ist, dass wir sehr wahrscheinlich zu faul waren, es ausreichend zu pflegen. Wahrscheinlich waren wir so etwas wie die »Zottel« unter den Humiden, die nicht in der Lage waren, ihr Fell anständig in Schuss zu halten. Die Menschen waren so schlampig und so verdreckt, dass es für sie von Nachteil war, Fell zu besitzen.
Fell ist ein idealer Nistplatz für Parasiten aller Art. Ektoparasiten wie Zecken und Flöhe lieben pelzige Tiere. Sie übertragen Infektionskrankheiten und verursachen Entzündungen. Anders als anderen Säugetieren fehlen dem Menschen allerdings kleine Helfer wie Schwanz oder Schweif sowie spezielle Muskeln, mit denen er die Haut zucken lassen kann. Auch der Schnabel mancher Vögel ist speziell für das Entfernen von Parasiten geformt. Primaten hingegen verbringen viel Zeit damit, das Fell von Parasiten zu befreien. Nicht aber der Mensch – ihm blieb die Nacktheit. Die Menschen könnten ihre Körperhaare tatsächlich verloren haben, um ihre Anfälligkeit für pelzliebende Parasiten zu reduzieren, suggerieren neuste wissenschaftliche Erkenntnisse. Haarlosigkeit ist eine Art Passivschutz vor Parasiten, man muss nicht viel tun, damit er funktioniert. Und man vermutet, dass die Menschen nun dort am haarlosesten sind, wo es die größte Parasitenbelastung gab, so die Forscher in einer entsprechenden Studie.
Wenn unsere Vorfahren nicht in der Lage oder willig waren, der Fellpflege nachzugehen, dann wird Nacktheit zu einem evolutionären Vorteil. Die Nacktheit der menschlichen Spezies war also die einzige Möglichkeit, Ektoparasiten loszuwerden. Und so haben über Generationen hinweg die überlebt, die durch wenig oder gar kein Fell die Nahangriffe von Schmutz und Getier besonders gut überstanden. Okay, nur der Homo sapiens war in der Lage, die daraus resultierenden Nachteile durch kulturelle Evolution auszugleichen – eine Art Parallelevolution von Kultur und Genen.
So machte die Evolution als Enthaarungsstudio den Menschen zum Dauerenthaarten. Der Affe schützt sich fleißig mit den Händen, der Mensch wählte den Haarlos-Mechanismus. Weil der Mensch faul ist, hat er für eine schwierige Aufgabe eine einfache Lösung gefunden. Faulheit scheint damit eine Art Schlüsselqualifikation zu sein. Das evolutionäre Zwangsblankziehen ist aber auch das Mark menschlicher Trägheit.
Und ja, das einzige Tier, das ähnlich erfolgreich sein Fell verlor, ist ausgerechnet der Nacktmull – wie sagt man so schön beim Enthaaren: »back, crack and sack«. Der Nacktmull ist aus denselben Gründen haarlos. Er lebt nachweislich in einer Umgebung voller gefährlicher Ektoparasiten.
Quelle: Pagel, Mark/Boder, Walter (2003): A naked ape would have fewer parasites, in: Royal Society Biology Letters 270, S. 117–119.
Nicht Intelligenz, sondern Aggressivität ließ uns als einzige Menschengattung überleben.
Zu den gängigen Merkmalen, mit denen man etwas als »menschlich« definiert, die übrigens auch als »Intelligenzbeweise« gelten, zählen beispielsweise die Größe des Gehirns, die Sprache und der Werkzeuggebrauch. Derlei Richtwerte wurden aber auch von anderen Linien der Gattung »Mensch« erreicht, die sich von uns entwicklungsgeschichtlich abzweigten, wie etwa die Neandertaler. Welche Eigenschaft aber ließ den Menschen überleben, wenn es nicht seine Intelligenz war? Kluge Forscher vermuten, dass diese Besonderheit seine unvergleichliche Aggressivität gewesen sein könnte.
Der Homo sapiens war wohl eine Art »Mörderaffe«, der von Baum zum Boden wechselte und dort anfing, Waffen zu gebrauchen, um damit unter den niedriger stehenden Tieren zu wüten. Am Schluss jagte der Homo sapiens sogar seine nächsten Verwandten womöglich so lange, bis er sie komplett ausgerottet hatte.
Es gibt wissenschaftliche Hinweise darauf – CSI der Vorzeit sozusagen –, dass der Mensch den Neandertaler ausgerottet hat. Seite an Seite lebte er mit ihm nur etwa 4000 bis 5000 Jahre. Dann begann er seinen Verwandten einfach nach und nach zu erschlagen. 30 000 Jahre alte menschliche Skelette weisen massive Schultergelenke auf – ein Zeichen für einzigartige Durchschlags- oder auch Wurfkraft. Spezialdisziplin: einhändiger Präzisionswurf auf angefeindete Neandertaler. Die Forscher verglichen detailliert die biomechanische Struktur und Form der Schulterblattgelenkpfanne, der umliegenden Muskulatur und des Sehnenaufbaus in Hinblick darauf, ob die jeweilige Morphologie den kraftvollen Wurf eines Projektils möglich macht. Alles deutet darauf hin, dass nur der moderne Mensch in der Lage war, aus der Distanz zu töten. Der Einsatz von »Langstreckenwaffen« wie Speeren senkte das Verletzungs- und Sterberisiko. So konnten auch gefährliche und große Tiere erbeutet werden – ein überlebenswichtiger Vorteil. Und nur der Homo sapiens konnte die entsprechende Muskelkraft und Hebelwirkung über die Schulter und Ellbogen erzeugen.
Selbstverständlich war dies aber auch ein waffentechnischer Vorteil im Wettbewerb um Ressourcen etc. Es veränderte die Kriegsführung des modernen gegen den archaischen Menschen. Überreste von Neandertalern wurden häufig mit Schädelbrüchen gefunden, die von einem Wurfgeschoss stammen könnten. Dagegen war der Neandertaler mit seinen flachen Schulterblättern nicht in der Lage, Speere oder Steine zu schleudern. Was den Schluss zulässt, der Homo sapiens habe den eigentlich körperlich überlegenen Neandertaler feige aus der Distanz erledigt. Der Beginn eines billigen Vernichtungsfeldzuges von Menschen gegen Neandertaler – ein Kampf der prähistorischen Kulturen.
Aber damit nicht genug. Andere Untersuchungen zeigen, dass der Homo sapiens Neandertaler womöglich sogar verspeist hat. Zumindest ist sicher, dass Urzeitmenschen die Zähne der Neandertaler als Trophäen trugen und aus ihren Schädeln tranken, so Anthropologen. Die Forscher fanden außerdem bei einer Analyse von Kieferknochenfossilien des Neandertalers dieselben Schnitt- und Schleifspuren, die man auch bei Rentieren gefunden hat. Demnach verwendeten die Menschen dieselben Techniken, wenn sie Fleisch von den Knochen von Tieren und Neandertalern trennten. Ein Hinweis darauf, dass Neandertaler von frühen Menschen wohl wie Tiere abgeschlachtet worden sein könnten. Der eigentliche Vorteil des Menschen war also seine unvergleichliche, raubtierhafte Aggressivität. Sie sorgte dafür, dass es ausschließlich der Homo sapiens sapiens ist, der heute die Menschheit repräsentiert.
Neandertaler hatten große Gehirne, Steinwerkzeuge, frühe Medizin, Kultur und waren sogar besser an die klimatischen Bedingungen angepasst. Was ihnen fehlte, als die modernen Menschen aus Afrika aufkreuzten, war Aggressivität. Nur weil unsere Vorfahren alle anderen Äste abgesägt haben, wirkt es so, als seien wir die schönste Blüte des Baums der Evolution – in Wahrheit sind wir die, die am meisten stinkt.
Quelle: Churchill, Steven E./Rhodes, Jill A. (2009): The Evolution of the Human Capacity for «Killing at a Distance«: The Human Fossil Evidence for the Evolution of Projectile Weaponry, in: The Evolution of Hominin Diets: Vertebrate Paleobiology and Paleoanthropology, S. 201–210.
Wir sind Überlebende eines prähistorischen Kannibalen-Holocausts.
Aber es kommt noch schlimmer. Der Proteinbedarf des Menschen war gelegentlich artgefährdend groß. Unsere Vorfahren aßen sich wie die Kannibalen gegenseitig auf, mit Haut und Hirn (Haare ja eher weniger – siehe Nackedei aus Faulheit). Die Forscher kamen diesem Ereignis auf die Spur, als sie entdeckten, dass Rinderwahn die Hirne vor allem derjenigen Menschen schädigt, die das natürlich vorkommende Gen ATG besitzen. Menschen mit einer mutierten Version davon, dem Gen GTG, können trotz einer Infektion überleben. Glücklicherweise besitzen sehr viele Menschen diese mutierte Version, so dass der Verzehr infizierter Rinderhirne weitgehend gefahrlos ist. Dieser mutierte Stamm ist überall auf der Welt nachgewiesen. Das heißt, dass die Menschheit weitgehend immun gegen eine Rinderwahnpandemie ist. Aber warum?
GTG ist ein Überbleibsel unserer kannibalischen Vergangenheit, in der man aufgrund der besonderen Diät diesen mutierten genetischen Code besitzen musste, um nicht auszusterben. Kannibalismus hat unsere DNS verändert – die ATG-Version war vorher universell. Es existieren inzwischen starke Beweise für weitverbreitete kannibalische Praktiken unter prähistorischen Stämmen, etwa biochemische Analysen menschlicher Fäkalien, worin man Rückstände von Menschenfleisch fand. Auch Kannibalenbergstämme in Papua-Neuguinea liefern Hinweise darauf, dass die Krankheit Kuru (Creutzfeld-Jakob ähnlich), nachweislich die Häufigkeit der GTG-Genvariante erhöhte.
Wie bitte? Das schaurige Phänomen verlief ungefähr so: Verspeisten prähistorische Menschen kontaminierte Gehirne eines Creutzfeldt-Jakob-Kranken, dann gelangten auch krankheitserregende Prionen, eine mutierte Proteinvariante, in ihren Stoffwechsel. Gehirn besteht zu ca. 40 Prozent aus Protein und 60 Prozent aus Fett (Gehirn ist also nicht nur ein Intelligenzträger, sondern auch ein Geschmacksträger). Wie bei einer Rinderwahnepidemie wanderten diese mutierten Proteine dann in das Hirn des Konsumenten – und entfalteten dort ihre hirnzersetzende Wirkung. Über diesen Weg ist Creutzfeld-Jakob sehr ansteckend. Der Grund, warum wir überlebt haben ist eine Genmutation, die sich als Vorteil herausstellte. Menschen ohne diese neue mutierte Version starben, und die »Mutanten« überlebten. Irgendwann vermehrten sich die Menschen mit mutierten Prionen stärker. Die Evolution hat auf diese Weise unser Aussterben verhindert – Dank unserer Feinschmeckervorfahren.
Quelle: Mead, Simon/Stumpf, Michael P. H./Whitfield, Jerome/Beck, Jonathan A./Poulter, Mark/Campbell, Tracy/Uphill, James B./Goldstein, David/Alpers, Michael (2003): Balancing Selection at the Prion Protein Gene Consistent with Prehistoric Kurulike Epidemics, in: Science 25: S. 640–643.
Letztendlich bestimmt unser Körperbau, wie wir wählen.
Unsere politische Meinung ein Auswuchs unserer physiognomischen Eigenschaften? Auf der Spur dieser Vermutung fragten Forscher 1502 Probanden danach, ob Geld von Reichen zu Armen umverteilt werden sollte – ein klares politisches Statement. Danach maßen die Forscher den Umfang des Bizeps, der einen sehr genauen Anzeiger für körperliche Stärke und Kraft bietet. Außerdem fragte man nach der wirtschaftlichen Situation der Freiwilligen. Und tatsächlich: Die Größe des Bizeps hatte zumindest bei Männern eine meinungsverändernde Macht. Je dicker der Oberarm, desto eher stimmten die Versuchspersonen für ihre Eigeninteressen: die Armen für die Umverteilung, die Reichen dagegen. Unter den »Schwächlingen« sah das ganz anders aus. Sie neigten viel öfter dazu, entgegen den eigenen Interessen zu stimmen. Arme waren auf einmal dagegen, Gelder umzuverteilen, Reiche dafür, etwas abzugeben. Offenbar führt eingeschränkte körperliche Kraft zur Neigung, Konflikte zu umgehen, um keinen Ärger zu provozieren.
Ein Verhalten, das – so zumindest die Forscher – aus der Vorzeit stammt, in der es lebensgefährlich war, seine körperliche Macht zu überschätzen. Die Kraft des Oberkörpers eines Jägers und damit dessen Kampfeskraft bestimmten, welches Tier er erlegen konnte. In unserer heutigen eher körperlosen Welt entscheidet dieser Mechanismus darüber, wie sehr sich ein Bürger für seine Interessen engagiert. Trotz der technologischen und demographischen Veränderungen, etwa im Zug der industriellen Revolution, bestimmt dieses Entscheidungssystem selbst heute noch politische Konflikte.
Demnach muss man’s nicht nur im Kopf haben, wenn man seine Einstellungen und Meinungen vertreten will, sondern auch in den Armen. Politisches Verhalten hat eine bisher unbekannte körperliche Komponente: Nicht allein die Gesellschaftsstruktur, das politische, soziale und kulturelle Milieu, das Wechselspiel aus Überbau und Basis, sondern auch der Körperbau bestimmt, was wir politisch tun oder unterlassen.
Quelle: Petersen, Michael B./Sznycer, Daniel/Sell, Aaron/Cosmides, Leda/Tooby, John (2012): The ancestral logic of politics: Upper body strength regulates men’s assertion of self-interest over economic redistribution, in: Psychological Science, S. 1–14.
Der menschliche Sexualtrieb war stets stärker als sein Speziesismus.
Unsere Vorfahren waren nicht nur faul und aggressiv. Bevor sie ihre menschlichen Verwandten und Unterarten ausrotteten, hatten sie häufiger Sex mit ihnen – Inter-Homo-Sex. Und das nicht nur mit Neandertalern, sondern auch mit anderen engen Verwandten trieben es die Urmenschen. Bisher galt: Was im Pleistozän passierte, blieb im Pleistozän. Eine Analyse von DNS-Sequenzen, eine Art paläontologischer Vaterschaftstest, zeigte jedoch, dass sich unsere frühen Ahnen erfolgreich mit Neandertalern gekreuzt haben müssen. Und die Geilheit hörte auch mit Vorläufern des Homo sapiens wie Homo erectus, Homo habilis und Denisova hominin nicht auf.
Aber zunächst zu den »sexy« Neandertalern. Die Forscher sind zu diesem Schluss gekommen, indem sie die Erbinformation heutiger Menschen nach kurzen, ungewöhnlichen DNS-Fragmenten, die auf genetische Kreuzungen hinwiesen, scannten. Dabei verglichen die Wissenschaftler zum Beispiel eine aus vier Milliarden Nukleotiden dreier Proben zusammengesetzte Sequenz des Neandertalergenoms mit den Genomen heutiger Menschen. DNS-Rückstände zeigen, der Mensch war einfach bereit zu Sex mit allen Arten, auch mit den haarigen.
Im modernen menschlichen Genom hat auch ein anderes Forscherteam Hinweise auf eine genetische Vererbung anderer Menschengattungen gefunden. Statt direkt Gensequenzen zu vergleichen (Proben davon gibt es so gut wie keine), haben die Forscher moderne Menschen-DNS von verschiedenen Bevölkerungsgruppen nach ungewöhnlichen Regionen durchforstet. Archaische DNS unterscheidet sich radikal von moderner DNS, weil deren Anteil an Chromosomen jeweils sehr gering ist, d. h. je kürzer das Genom, desto weiter zurück liegt die Kreuzung. Das Ergebnis: Die kurzen DNS-Sequenzen machen zwei bis drei Prozent des modernen Genoms aus. Demnach ereigneten sich solche sexuellen Kontakte relativ regelmäßig. Im Prinzip hatten unsere Vorfahren auch mit ihren unmittelbaren Vorfahren regelmäßig Geschlechtskontakt, eine Art Interentwicklungsstufensex – also etwas für den ganz besonderen Fetisch.
Quelle: Green, Richard E./Krause, Johannes/Briggs, Adrian W., et al. (2010): A draft sequence of the Neandertal genome, in: Science 328, S. 710–722.
Hammer, Michael/Woernera, August E./Mendez, Fernando L./Watkins, Joseph C./Walld, Jeffrey D. (2011): Genetic evidence for archaic admixture in Africa, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 108, S. 15123–15128.
Nicht Nächstenliebe, sondern militärische Notwendigkeit ist der Ursprung der Vergemeinschaftung.
Altruismus, heute die Neigung, Mitmenschen zu helfen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten, war wohl eine kampferprobte Militärtaktik des späten Pleistozän und des frühen Holozän – einer Zeit, in der sich das Sozialverhalten des Menschen entwickelte. Uneigennützigkeit ist paradoxerweise eine Ausgeburt blutiger Schlachtfelder prähistorischer Zeiten. Dabei, so Forscher, handelte es sich selbstverständlich nicht um Kriege der Neuzeit. Viel eher könnte man diese wohl als schwelende, laufend unterbrochene, zufällige Scharmützel bezeichnen, die mit Jagdwaffen ausgeführt wurden: eher Bandenkriege und Stammesfehden. Die Forscher, die dies herausfanden, stützten ihre Behauptung auf eine Vielzahl paläontologischer und ethnologischer Studien. Dazu zählen Spuren von Waffen auf Knochen, die Auskunft über die kriegerischen Todesfälle als Anteil der Gesamtsterblichkeit geben, sowie Daten über die genetischen Unterschiede zwischen verschiedenen Jäger-Sammler-Bevölkerungen. Nur so können die Forscher modellieren, ob Krieg häufig genug auftrat, um Einfluss auf die kulturelle Entwicklung zu haben. Aus diesen streng selektierten, repräsentativen Daten bastelten die Wissenschaftler ein Modell, das die kulturelle Transmission simuliert, in der der Krieg eine paradoxe Rolle spielt.
Und tatsächlich: Auf diesen Schlachtfeldern der Vorzeit, so zeigen archäologische Funde und ethnographische Analysen, ließen bis zu 14 Prozent unserer menschlichen Vorfahren ihr Leben und das veränderte auch die zivile Lebensweise.
Da es zu der Zeit der Jäger und Sammler wohl noch keine Befehlsketten bzw. militärische Verpflichtung zum Kampf gab, war Altruismus die beste Möglichkeit, die Schlagkraft der Truppe zu fördern. Der Altruismus innerhalb einer Gruppe steigert, so die Forscher, die Wahrscheinlichkeit des Sieges. Er verhinderte zum Beispiel das allzu schnelle Desertieren etc.
Der zugrundeliegende evolutionäre Mechanismus ist einfach erklärt: Wenn eine Gruppe von Menschen treu und aufopfernd füreinander kämpft und gemeinsam über andere Stämme siegt, dann siegt auch ihre Art und Weise, miteinander umzugehen, bzw. verbreitet sich deren Sozialverhalten – ein Zusammenspiel aus genetischer und kultureller Übertragung. Führt Uneigennützigkeit zum Sieg, überwiegt diese Taktik bald bei der gesamten Urmenschheit. Das vorzeitliche Gemetzel sorgte dafür, dass sich mit den Siegern auch der Gemeinschaftsgeist durchsetzte. Nun ja, dass dieser Altruismus faul ist, kann man sich ja denken.
Quelle: Bowles, Samuel (2009): Did Warfare Among Ancestral Hunter-Gatherers Affect the Evolution of Human Social Behaviors?, in: Science 324, S. 1293–1298.
In der Erotik ist der Sprachursprung zu finden.
Die winzige Elfenbeinschnitzerei einer vollbusigen Frau ist mindestens 35 000 bis 40 000 Jahre alt, wie mehr als 30 Radiokarbonmessungen beweisen. Die Venus vom Hohlefels (Deutschland) ist wohl das älteste Artefakt menschlicher Kunstfertigkeit – und eine Art vorzeitliche Pornographie. Ausgerechnet die älteste Darstellung eines Menschen ist die fast pornographische Figur einer Frau. Die großen Brüste sowie die Stellung der Beine, offenbar um ihre deutlich ausgearbeitete Vagina zu betonen, wirken jedenfalls so. Die Figur ist das erste Pin-up der Weltgeschichte. Der welterste Porno wurde aus einem einzigen Mammutstoßzahn geschnitzt – das Elfenbeinäquivalent des heutigen Playboys.
Wissenschaftler sprechen zwar lieber von einem prähistorischen »Fruchtbarkeitssymbol«, aber das schließt ja nicht aus, dass der Mensch schon vor 35 000 Jahren eine Schwäche für Pornographie hatte. Andere Wissenschaftler gehen weiter, sie verstehen Pornographie sogar als »Road map« für die kulturelle Evolution. So viel kulturelles Prestige für Sex?
Die Wissenschaftler nehmen an, dass die Entwicklung der Sprache mit der Fähigkeit zum Denken in symbolischen Systemen, wie es etwa für figürliche Darstellungen notwendig ist, verbunden ist. Dadurch haben wir dieser Art Erotik so einiges zu verdanken. Die Venus vom Hohlefels setzt diesen Sprung von abstrakten, geometrischen Mustern hin zu figurativen Darstellungen bzw. den grundlegenden kognitiven Entwicklungsschritt voraus. Die immer noch abstrakte Darstellung schließt mit ein, dass es sich um eine Zwischenform von sexuellem Ereignis und Fruchtbarkeitssymbol handelt, also um ein abstraktes Konzept. Ähnlich funktioniert Sprache. Die Figur wird so zu einem ersten Zeugnis einer sich zu dieser Zeit ereignenden »symbolischen Explosion« der geistigen Kapazität, so die Forscher. Und genau diese menschliche Denkkapazität ist zugleich Voraussetzung für die Entwicklung der Sprache als auch Wegbereiter für schmutzige Gedanken.
Unsere wohl wichtigste Kulturtechnik – die Sprache – begann also vielleicht mit einem Porno. Sex ist nicht nur Ursprung des menschlichen Lebens, sondern damit auch der Bannerträger für die menschliche Kultur – von der Selbstbefriedigung zur Selbstvervollkommnung. Was der Vorfahre seiner Frau noch verheimlichen konnte – die Methodik der Archäologie bringt es zum Vorschein.
Mellars, Paul (2009): Archaeology: Origins of the female image, in: Nature 459, S. 176–177.
Nicht Fortschritt, sondern Fermentation brachte die Zivilisation.
Alkohol ist eine der gefährlichsten Drogen. Doch viel schockierender: Wir haben dem Alkohol einiges zu verdanken. Denn mit den körperlichen Schädigungen, dem verheerenden Suchtpotential und den gesellschaftlichen Problemen haben sich die Menschen wohl paradoxerweise die Zivilisation erkauft. Geißel der Menschheit oder Elixier menschlichen Geistes? Wohl beides, als zueinander in Widerspruch stehende Aussagen gleichen Wahrheitsgehaltes.
Trunkenheit ist wohl der erste wirklich zivilisierende Akt der Menschheitsgeschichte, resümieren Wissenschaftler und argumentieren: Alkohol könnte einer der wichtigsten Beschleuniger für die Entwicklung der menschlichen Zivilisation sein. Offenbar war Alkohol der Grund, warum die frühen Menschen beschlossen, das Jagen und Sammeln sein zu lassen, und stattdessen lieber Landwirtschaft betrieben. Es war wohl das Bedürfnis nach Rausch, das uns zu sesshaften Bauern machte.
Molekularbiologisch arbeitende Archäologen konnten in Tonscherben Hinweise auf antike alkoholische Getränke finden, die wohl schon 7000 bis 6600 vor Christus den Verstand benebelten. War Alkohol einer der Hauptgründe, Getreide anzubauen? Nicht das Brot, sondern Met sorgte dafür, dass der Ackerbau überhaupt Einzug hielt? Bier, so die Forscher, war leichter herzustellen als Brot. Und der Mensch ist halt faul – man denke nur an den Ursprung seiner Nacktheit.
Als die Menschen mit der Kultivierung von Pflanzen begannen, waren sie höchstwahrscheinlich nach nicht in der Lage, Brot herzustellen. Das Urkorn war zudem recht ungeeignet für das Brotbacken. Alkohol dagegen war ein Zufallsprodukt. Zunächst waren es wohl faule, gegorene Früchte, ein matschiger fauler Apfel (oh Sünde!), die den Menschen den ersten Vollrausch bescherten. Einmal gekostet, konnte der Durst nach Alkohol nie mehr gestillt werden. Bis dann schließlich mal ein Urkorn zufällig in ein Wassergefäß fiel und dort fermentierte – der Mensch hatte entdeckt, wie man Alkohol herstellt. Um eine regelmäßige Dröhnung zu sichern, brauchte man dieses Korn nur anzubauen. Außerdem habe Alkohol viele positive Effekte auf die Psyche, anders als Brot, so die Forscher. Heiterkeit und Zuversicht, auch Schwips genannt, waren wohl der Antrieb, die Anstrengungen des Ackerbaus auf sich zu nehmen.
Flüssigchromatografie mit Massenspektrometrie-Kopplung haben die Zusammensetzung des Uralkohols offengelegt. In Tonsplittern entdeckte man Reste von Weinsäure, Bienenwachs und Phytosterole (Reisrückstände). Daraus machte man berauschenden Sud, indem man mit gekautem Reis Getreide in Malzzucker umwandelte.
Vermutlich lösten prähistorische Trunkenbolde, wahrscheinlich verkatert, die Neolithische Revolution aus, die zum Aufkommen von Ackerbau und Viehzucht führte – ein Epochenwechsel, der uns zu dem machte, was wir heute sind. Damit waren die Menschen nicht mehr abhängig davon, Früchte zu sammeln und diese gären zu lassen. Die ersten Landwirtschaftsbemühungen dienten dazu, stets ausreichend Getreide anzubauen, um Bier zu brauen. Schon bei den Sumerern wurde die Hälfte des geernteten Korns zum Bierbrauen verwendet. Alkohol ist damit verflüssigte Kulturessenz oder Kultur in destillierter Form. Bibo cerevisiam, ergo sum (Ich trinke, also bin ich) statt Cogito, ergo sum (Ich denke, also bin ich).
In dieser Periode wuchs die globale Urbevölkerung rapide – wahrscheinlich nicht Resultat landwirtschaftlicher Produktion, sondern des gegenseitigen Schöntrinkens. Denn in dieser Zeit verschlechterte sich sogar der Ernährungsstatus. Landwirtschaft hat viele Nachteile: Aufgrund der Ortsgebundenheit nahm die durchschnittliche Körpergröße ab, Urmonokulturen verursachten Hungersnöte, und die Sesshaftigkeit führte zu Pandemien. Dennoch vermehrten sich die Menschen …
Mit der Alkoholsucht verbreitete sich wohl auch diese langfristig produktivere Wirtschaftsweise. Der menschliche Körper scheint inzwischen sogar optimal für den Alkoholkonsum entwickelt zu sein. Ein Teil der Leber ist speziell für die Verarbeitung von Alkohol vorgesehen – eine Art eingebaute Trinkfestigkeit. Torkelnde Trunkenbolde sind die Urahnen unsere Zivilisation. Kurz: Kultur steht auf ziemlich wackeligen Beinen.