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Der wohl abgefahrenste Gedichtzyklus der deutschsprachigen Lyrik geht in die zweite Runde! Zehn neue Redensartgedichte für alle, die "Holger, die Waldfee" so liebten: stilsicher gereimt, mit Witz erdacht und gesellschaftspolitischem Bewusstsein verfeinert. Lars Ruppel, wie wir ihn lieben! Was geschieht mit aufgebundenen Bären? Wen oder was verwaltet eigentlich der alte Verwalter? Wer sind Donna und Dorian, von denen man allenthalben hört? Bestsellerdichter Lars Ruppel gibt den Akteuren bekannter deutscher Redensarten neue Geschichten: unkonventionell und anarchistisch, poetisch gegen den Strich gebürstet, unterhaltsam und mit viel Feingefühl für Zeitgeist und Gesellschaftspolitik. Da wird der zu bratenene Storch zum Akteur in einer Parabel über totalitäre Systeme, Hempels Sofa findet seinen Platz in einem ergreifenden Bericht über Altersdemenz, die grüne Neune wird zu einem Pläydoyer gegen Gewinnsucht und Globalisierung. In Lars Ruppels Gedichten treffen sich stets Witz, Können und Relevanz.
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Seitenzahl: 49
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LARS RUPPEL
NEUE GEDICHTE ÜBER REDENSARTEN
ILLUSTRIERT VON EYKE-SÖREN RÖHRS
LARS RUPPEL
wurde 1985 im tiefsten Hessen geboren, heute lebt er in Berlin. Seit seinem 16. Lebensjahr tritt er auf und wurde einer der bekanntesten Wortwettkämpfer Deutschlands. Er ist dreifacher Deutscher Poetry-Slam-Meister im Team- und Einzelwettbewerb. Sein erster Gedichtband »Holger, die Waldfee« verkaufte sich über 20.000 Mal.
Neben Workshops an Schulen und Poetry-Slam-Projekten im In- und Ausland leitet er mit seinem Poesieprojekt »Weckworte« Fortbildungen für Angehörige und Fachkräfte zum Einsatz von Gedichten in der Pflege von Menschen mit Demenz und geistiger Behinderung. 2015 gab er den Sammelband »Geblitzdingst. Slam Poetry über Demenz« heraus.
www.larsruppel.de
Von LARS RUPPEL im Satyr Verlag erschienen:
– »Holger, die Waldfee. 10 Gedichte über Redensarten« (2014)
– »Geblitzdingst. Slam-Poetry über Demenz« (2016, Herausgeber)
Ein gemeinsames Hörbuch zu »Holger, die Waldfee« und »Die Kuh vom Eis« ist bei Random House Audio erschienen (März 2017).
EYKE-SÖREN RÖHRS
ist in einem Dorf in der Lüneburger Heide aufgewachsen. Nach Aufenthalten in den USA und einem Studium an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel studiert er derzeit Anglistik in Potsdam. Er wirkte an verschiedenen visuellen Projekten mit und ist seit 2011 auch als Musiker und Sänger tätig.
E-Book-Ausgabe März 2017
© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2017www.satyr-verlag.de
Vorlage für Cover-Grafik: Eyke-Sören Röhrs
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de
Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.
E-Book-ISBN: 978-3-944035-86-4
Die Kuh vom Eis
Alter Verwalter
Brat mir doch einer ’nen Storch
Ach, du grüne Neune
Das Blaue vom Himmel
Bei Hempels unterm Sofa
Das blaue Wunder
Einen Bären aufbinden
Mensch Meier
Donna und Dorian
Wie ein Schneekönig
Es war einmal eine Geschichte,
die wurd’ Kindern gern erzählt,
weil die Kinder sie so fürchten
und sie die Geschichte quält.
Deren Echo in den Nächten
in der Dunkelheit erklingt,
die mit jeder ihrer Silben
in die Kinderträume dringt,
in der jeder, der sie hört,
ein bisschen von sich selbst entdeckt,
und niemand weiß ganz sicher,
wie viel Wahrheit in ihr steckt.
Alle Kinder soll’n sie hören.
Dafür hat man sie erdacht,
dass die Angst die bösen Kinder
etwas umgänglicher macht.
Die Geschichte, die auch mir mal
meine Seele umgepolt,
die Geschichte von der Kuh,
die sich die bösen Kinder holt.
Sie versteckt sich in den Wäldern.
Von dort kommt sie in der Nacht.
Was sie fasst, gefriert zu Tode,
denn sie ist aus Eis gemacht.
Aus den Nüstern stieben Stürme,
dass die Luft vor Kälte klirrt.
In den Adern taut das Wasser,
das in ihrem Herz gefriert.
So erscheint sie bei den Kindern
in den Zimmern, in der Nacht,
die verzweifelt überlegen,
welchen Fehler sie gemacht,
bis sie hoch und heilig schwören,
fortan immer brav zu sein.
Dann erklingt die Glocke leiser,
und die Kinder schlafen ein.
Wenn sie aus dem Schlaf erwachen,
dann liegt Schnee auf ihrem Haar.
Gerade so viel, dass sie wissen,
dass die Kuh bei ihnen war,
die nur deshalb wieder fortging,
weil ein Schwur ward abgelegt,
so lang, bis sie ihn gebrochen,
bis die Glocke wieder schlägt.
Und sie schlüge wohl noch immer,
wär’ nicht eines Nachts die Kuh
zu dem einen Kind geschlichen,
das die kleinen Augen zu
hat und nun öffnet,
weil sich Schnee auf alles legt
und die Glocke einer Kuh
in seinem Kinderzimmer schlägt.
Das Kind, das schreit aus voller Kehle,
es seine böse Tat gesteht,
und die Kuh will schon verschwinden,
als die Zimmertür aufgeht.
»Was ist los, Kind?«, schreit der Vater,
und das Kind quiekt: »Eine Kuh!«
»Welche Kuh denn?«, fragt der Vater.
Da erklingt ein lautes »Muh«.
Fährt dem Vater durch den Körper –
Gänsehaut und Herzschlagsprung –,
und für eine Schrecksekunde
ist er selber wieder jung.
In die Star-Trek-Fanbettdecke
eingekauert sieht man ihn,
wie sein kleiner Kinderkörper,
randvoll mit Adrenalin,
fast vor Angst stirbt, weil sein Blut sich
in den Herzkammern versteckt,
als ob eine Hundezunge
eiskalt an der Seele leckt.
Tränen, Schweiß und Pipi fließen,
alle Härchen stellen sich steil.
Schrille Schreie, bange Blicke.
Flashback fertig, Vater: »Geil!«
Die Kuh stand plötzlich da und starrte
auf eine Visitenkarte
von Kai Diekmann, seines Zeichens
Redakteur der einflussreichen
BILD, die nur für achtzig Cents
im Preis schon den Intelligenz-
Quotienten nennt, der genügt, um den
Inhalt selb’ger zu versteh’n.
Und am nächsten Morgen schon
hockte in der Redaktion
die Kuh vom Eis am Monitor
und tat das Gleiche wie zuvor:
Sie machte Angst, nur musste sie
dafür nicht mehr selbst in die
Zimmer böser Kinder schleichen.
Vom Schreibtisch aus konnt’ sie im gleichen
Zeitraum zwei Millionen Seelen
nur mit einem Text befehlen,
wovor sie sich fürchten sollen,
weil das die Menschen wissen wollen.
Sie schrieb im Zweihuftippsystem
Schlagzeilen, die dann listig dem,
der sie las, so Angst einjagten,
dass die Massen nicht zu zweifeln wagten.
»Gottverdammte Griechen-Gier:
Wir sind nicht das Sozialamt hier!«
Und: »Horrorurlaub! Deutschen-Hass!
Welle macht zwei Deutsche nass.«
Und: »Alle! Menschen! Müssen! Sterben! –
Hundert Fakten rund ums Erben.«
Und: »Wird uns Deutschland weggenommen? –
Ganz Afrika will rüberkommen.«
Diese und noch andere Werke
steigerten die Absatzstärke,
und so erhielt die Kuh vom Eis
sogar den Axel-Springer-Preis.
Doch einmal, nach dem Feierabend,
endlich Feierabend habend,
verließ sie das Verlagsgebäude
voller Feierabendfreude,
lockerte sich die Krawatte,
die sie umgebunden hatte
und an der die Glocke hing,
atmete tief ein und ging
in den Stadtpark, um dort diese
frisch erblühte Blumenwiese
anzutesten, durchzuschnaufen,
aus dem Stadtparksee zu saufen.
Und wie sie dort so wiederkäute,
hört’ sie plötzlich fremde Leute,
Stimmen hinter sich und Schritte:
»Polizei, den Ausweis, bitte.«
Sie zeigte brav den Ausweis her,
machte ihre Taschen leer
und fragte dann nach der Kontrolle,
was man damit erreichen wolle.
Dort, wo sein Schlagstock stecken sollte,
steckte eine eingerollte
Zeitung, die der Bulle nun
hervorholte, um kundzutun:
»Es steht doch ständig in der Zeitung!