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»Wenn das Herz trüb ist, liegt das oft nur an einer zu dünnen Sohle.« Stephen Graham Der schottische Schriftsteller Stephen Graham war einer der ersten, der dazu aufrief, die Welt zu Fuß zu entdecken – und sich auf unbekannte Wege vorzuwagen. Fernab der Straßen, allein mit sich und der Natur. In seinem Wanderratgeber aus dem Jahr 1926 nimmt er uns mit in eine Zeit, in der viele die Folgen der Industrialisierung schon spürten, doch unsere High-Tech-Welt noch ferne Zukunft war. Seine tiefsinnigen Gedanken und zeitlosen Ausrüstungstipps haben ihn zum Kultautor gemacht – der uns nicht nur verrät, wie wir den Boden unter den Füßen wieder spüren lernen können, sondern uns mit dem besten Proviantpaket gegen den Überdruss unserer Zeit versorgt.
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Seitenzahl: 264
HarperCollins®
Copyright © 2020 by HarperCollins in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
© Stephen Graham 1926 This translation of »The Gentle Art of Tramping« is published by HarperCollins Germany by arrangement with Bloomsbury Publishing Plc, London.
Covergestaltung: HarperCollins Germany / Deborah Kuschel, Artwork Bloomsbury UK Foto von Stephen Graham (c) National Portrait Gallery, London Coverabbildung: Getty Images / UniversalImagesGroup_Norman James E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN E-Book 9783749950362
www.harpercollins.de
Mein Geheimnis birgt der Himmel und der Wind,
lassen wir die Zeit … nicht länger liegen;
Die Welt ist jung von Lachen, und wir sind
im Korsett der Stunden frei zu fliegen.
Die eiligen Minuten machen Pause, ein unverbrauchter Tag,
die müde Sonne täuschend, kommt heran.
Hört nur! Die Vögel singen. Kommt heraus zum Spielen
Wir haben keine Eile, das Leben fängt erst an.
Algernon Blackwood1
Ich musste erst über sechs Jahre lang im Ausland nach Abenteuern suchen, bevor ich auf die Idee kam, mein eigenes Land zu erkunden. Wie viele junge Menschen lähmte und nervte mich die Gegend, in der ich aufgewachsen war. Ich wollte weg. Also machte ich mich mit dem Fahrrad, in Wanderstiefeln, mit dem Rucksack auf den Weg, um die entlegensten Ecken der Welt zu entdecken. Unterwegs lernte ich die Einfachheit, meine eigene Ausdauer, die unberührte Natur und deren Exzentrik zu schätzen. Je mehr ich reiste, desto ruheloser wurde ich, und mir wurde klar, dass ich wohl unheilbar an der Wanderlust erkrankt war und mit Alltagsroutine nur schwer klarkommen würde.
Ich dachte schon, irgendetwas wäre mit mir verkehrt: weil ich in regelmäßigen Abständen meinen Computer runterfahren musste, um die Nacht auf einem Hügel zu verbringen oder mit wildem Geheul in den nächstgelegenen Fluss im Wald zu springen. Und auch wenn das ein bisschen merkwürdig klingt: Als ich 2011 über Stephen Graham stolperte, hatte ich endlich die Gewissheit, mit diesem Bedürfnis wenigstens nicht allein zu sein.
Sein 1926 erstmals veröffentlichtes Buch leidet ein wenig unter dem Begriff des »Wanderns« im Titel. Die heutigen Leserinnen und Leser sollten stattdessen besser an »Backpacking« oder »Outdoor« denken. Denn dieses Werk ist schlicht eine ganz großartige Anleitung für sämtliche derartigen Aktivitäten, kombiniert mit trockenem Witz, tiefsinnigen Gedanken über ein erfülltes Leben und sehr amüsanten, komplett veralteten Ausrüstungstipps:
In einer Tasche des Rucksacks sollte man Schlips und Kragen aufbewahren, die man notgedrungen anlegen kann, falls man gezwungen ist, eine Post, eine Bank, einen Geistlichen oder die Polizei aufzusuchen. Ansonsten lassen wir den obersten Hemdknopf bevorzugt offen und sind mit freien Hälsen und Kehlen unterwegs.
Die Abenteurer von heute mit ihren funkelnagelneuen Gore-Tex-Klamotten und Smartphones werden mit den Hinweisen zur Ausstattung zwar wenig anfangen, Grahams fast ein Jahrhundert alte Ratschläge aber dennoch genießen können. Es macht mich rasend, wie oft mich Leute nach der nötigen Ausrüstung fragen, um sich auf Entdeckungsreise zu begeben, so als könne man schon das Büro praktisch nicht ohne himalajataugliches Equipment verlassen. In dieser Hinsicht ist Grahams Rat nach wie vor absolut zutreffend: »Je weniger man mit sich trägt, desto mehr sieht man, und je weniger Geld man ausgibt, desto mehr Erfahrungen macht man.«
Der wahre Genuss, der in Die Kunst des stilvollen Wanderns steckt, gründet darin, wie viel von der Lebenshaltung, die Graham vertritt, heute noch relevant ist, vielleicht noch relevanter in unseren verrückten Zeiten, in denen alle permanent unter Strom stehen. Er fordert uns auf (und sei es nur für ein Wochenende), den Zwängen unserer verhassten Jobs zu entfliehen und »aufzuhören, uns über unser Gehalt oder unser Golfhandicap definieren zu lassen«. Es ist ganz einfach (auch wenn manche es zu einer ungeheuer komplexen Angelegenheit hochstilisieren), mal aus der Stadt rauszukommen und eine Luft zu atmen, »die frisch und frei macht. Sie entledigen sich der nie hinterfragten Prämissen des alltäglichen Lebens«. Ich habe seit 2011 so viel Ruhe und Freude aus ganz unscheinbaren, schlichten Handlungen gezogen – wie zum Beispiel eine Nacht im Freien zu verbringen, einfach mal einen Tag oder eine Woche aufs Geratewohl loszulaufen oder vielleicht am meisten, indem ich mir eine Stelle für eine erfrischende Schwimmrunde gesucht habe, wo auch immer ich gerade war. Auch Graham war ein Bekehrter, der begriffen hatte: »Das morgendliche Schwimmen macht das Leben im Freien um so vieles schöner, dass viele versucht sind, ihr gesamtes Unterfangen danach auszurichten.« Ich kann da nur zustimmen.
Doch Graham beschreibt nicht nur malerische und angenehme Tage im Sonnenschein. Er ist, wie ich, ein Fan längerer Wanderungen – und damit auch einer ordentlichen Portion Masochismus und Elend. Insbesondere auf langen und anstrengenden Reisen lernt man eine Menge über sich selbst. Und auch den wahren Charakter seines Begleiters durchschaut man bei schwierigen Unterfangen. Graham erweist sich gerade in dieser Hinsicht als sehr weise, wenn er feststellt: »Echte Freundschaft wird nirgends auf eine härtere Probe gestellt als während einer langen Wanderung« oder »Erst wenn Sie eine Nacht im Regen verbracht, sich in den Bergen verirrt und allen Proviant aufgegessen haben, wissen Sie, ob Sie beide mutigen Herzens und bereit sind, jedes Los zu ertragen.«
Meine Erfahrungen haben mich gelehrt, langsam zu reisen – »Beurteilen Sie eine Wanderung nach der Zeit, die Sie sich dafür nehmen, und nicht nach der Strecke.« Vor ein paar Jahren war ich im Sommer einen Monat lang in Nordspanien unterwegs, und diese Wanderung fühlte sich an wie das perfekte Konzentrat all dessen, was ich aus Die Kunst des stilvollen Wanderns gelernt hatte. Ich lebte wie ein Landstreicher, schlief unter freiem Himmel und kam mit dem knappen Budget von einer Handvoll Euro pro Tag aus. In dem gesamten Monat schaffte ich gerade mal eine Strecke von achthundert Kilometern, eine Entfernung, die ich mit dem Bus an einem Tag zurückgelegt hätte. Es war trotz der Schwierigkeiten eine umwerfende Erfahrung – die Zeit rückt die Erinnerungen an ausgehungerte, ungemütliche Nächte auf namenlosen Hügeln in ein sanfteres Licht: »Nichts in der Gegenwart erscheint jemals so schön wie das Vergangene.«
Der moderne Abenteurer tut gut daran, sich Grahams Missbilligung der Angeberei ebenso zu Herzen zu nehmen, wie seine Warnung, etwas nur um des Erzählens willen anzugehen (bzw. es in den sozialen Medien zu posten): »Hüten Sie sich davor, nach Jerusalem zu reisen, nur um zurückkommen und aller Welt berichten zu können, dass Sie dort waren. Das verdirbt Ihnen alles, was Sie unterwegs erleben.«
Es freut mich sehr, dass Die Kunst des stilvollen Wanderns hiermit einer neuen Leserschaft zugänglich gemacht wird. Das Buch liefert Unterhaltung, gute Ratschläge und Gedankennahrung für alle, die es lieben, der Welt zu entfliehen, um draußen den Frieden der unberührten Natur zu genießen.
Dieses Buch erinnert uns: »Beim Wandern verdient man sich keinen Lebensunterhalt, sondern das Glück.«
Alastair Humphreys, 2018
Wandern ist eine Kunst: Derjenige, der weiß, wie man wandert, weiß auch, wie man lebt. Manieren formen uns zu Menschen, und Wandern formt die Manieren. Das heißt zu lernen, wie wir unseren Mitwanderern begegnen, wie wir uns der Schönheit der Natur hingeben und ihrer Wildheit und Härte entgegenstellen. Das Wandern konfrontiert uns mit der Wirklichkeit.
Wer den Menschen an sich darstellen möchte, zeige ihn nicht mit Zylinder und Aktentasche, auch nicht in groben Cordhosen und rotem Halstuch oder mit gerunzelter Stirn an einem Pult, vor sich die Hand, die die Feder führt, und ebenso wenig mit Hacke und Schaufel auf einer Straße. Der Mensch an sich kann kein Gewehr tragen und keinen Talar mit Kreuz auf der Brust. Niemand würde einen König mit Krone oder einen Bischof mit Mitra abbilden. Das wohl treffendste Porträt zeigt ihn mit Wanderstab in der Hand und einer Last auf den Schultern; er ist unterwegs auf einer ansteigenden Straße und blickt aus der Dunkelheit ins Licht. Er beschirmt dabei seine Augen mit der Hand, während er nach dem richtigen Weg sucht. Man wird eine Gestalt zeigen, die Tolstoi auf einem nach seinem Tod entstandenen Bild gleicht: »Tolstoi auf dem Pilgerweg in die Ewigkeit«.
Wenn Sie also Ihre abgetragenen Sachen anziehen und sich auf den Weg machen, ist das bereits die richtige Geste. Sie streben auf die richtige Weise den Ihnen gemäßen Platz in dieser Welt an. Selbst wenn es sich bei Ihrer Wanderunternehmung um nicht mehr als einen Spaß, eine Spritztour, einen Ausflug handelt, werden Sie spüren können, wie wohltuend es ist, sich ins rechte Verhältnis zu Gott, der Natur und den Mitmenschen zu setzen. Sie atmen eine Luft, die frisch und frei macht. Sie entledigen sich der nie hinterfragten Prämissen des alltäglichen Lebens.
Welche Erleichterung, der Rolle des Wählers und Steuerzahlers, des Experten für Messingantiquitäten, des Bruders eines Experten für Messingantiquitäten, des Autors eines Bestsellers oder Onkels des Bestsellerautors zu entfliehen. Welche Erleichterung, eine Zeit lang kein Verwaltungsbeamter der Besoldungsgruppe soundso mehr zu sein, der die höchste Beförderungsstufe bereits erreicht hat, nicht mehr nach dem Einkommen oder Golf-Handicap beurteilt zu werden. Ohne Zweifel ist es ein köstlicher Augenblick, wenn der Gärtner, der einen in Wanderkluft daherkommen sieht, nicht zum Gruß an den Hut tippt, wenn man an ihm vorübergeht. Selbstverständlich gehört es ebenso zu dieser vornehmen Kunst, dann nicht beleidigt zu sein. Es macht sogar einen nicht geringen Teil des stilvollen Wanderns aus, eine einfache und demütige Rolle akzeptieren zu lernen und nicht nach Respekt, Ehrerbietung und Gehorsam zu verlangen. Es wäre ein Fehler, sich in nagelneuen Kniebundhosen, Sportjackett, Krawatte und juwelenbesetzter Krawattennadel, mit Gamaschen und einem Stock mit silbernem Knauf in die Wildnis aufzumachen. Die Visitenkarten sollte man ebenfalls zu Hause lassen und versuchen, das Haus mit den drei Etagen zu vergessen – im Gedenken an Diogenes und seine Tonne.
Ich schlage vor, zwischen dem professionellen Wanderleben und dem schlichten Wandern zu unterscheiden, insbesondere da das ganze Buch Die Kunst des stilvollen Wanderns heißt. Ich schreibe nicht über den amerikanischen Vagabunden oder den britischen Gelegenheitsarbeiter, nicht über die Landstreicher und Strandguträuber oder andere Feinde der Gesellschaft – die Nichtstuer und Parasiten der Mildtätigen. Auch wenn es unter ihnen viele merkwürdige und interessante Ausnahmen gibt, sind das in der Regel weder wirklich ehrbare Leute, noch ist ihre Art zu leben besonders schön oder nachahmenswert. Bei ihrem Umherstreifen lernen sie wenig, außer zu schnorren, zu stehlen sowie Hunden und der Polizei aus dem Weg zu gehen. Sie sind keine Pilger, sondern Gesetzlose, von denen viele Strauchritter wären, hätten sie die Kraft und den Schneid, sich Reisenden in den Weg zu stellen. Die meisten von ihnen sind einfach nur arme Strolche, sodass das Wort Wanderer häufig nicht zutrifft.
Der Wanderer ist ein Freund der Gesellschaft, er ist ein Suchender, der für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommt, wenn er kann. In die Kategorie des Wanderers seien alle echten Bohemiens, Pilger und Entdecker eingeschlossen, die zu Fuß unterwegs sind, auch wandernde Touristen und derlei Leute. Das Wandern ist eine bestimmte Art und Weise, sich der Natur, den Mitmenschen, einer Nation (auch einer fremden), der Schönheit, ja dem Leben selbst zu nähern. Und es ist eine Kunst, denn es dauert seine Zeit, bis man wirklich mit ihr vertraut ist – man schließt seine Tür hinter sich und steuert auf den Hügel in der Ferne zu. Dabei gibt es einiges zu lernen, viele Illusionen müssen überwunden, Vorurteile und Gewohnheiten abgelegt werden.
Zuallererst ist da die praktische Seite: Man muss sich mit der Ausrüstung beschäftigen, mit der Erhaltung der eigenen Gesundheit, damit, wie man unter freiem Himmel schläft, was man isst und wie man auf einem Lagerfeuer kocht. Das bringt man sich selbst bei. Für alles andere wird die Natur zur Lehrmeisterin. Von ihr lernt man, was schön ist und wer man ist, welche Bestimmung man im Leben hat und welchen Weg man einschlagen soll. Im Angesicht der großen Heilerin und Lehrmeisterin lässt man los, und den meisten Dingen, die man in Schulen, Museen, Theatern und Galerien gelernt hat, kehrt man den Rücken zu. Man ernährt sich auf wundersame Weise von dem Manna, das einem Tag für Tag zuteilwird. Streckt die Arme nach verborgenen Gaben aus. Verlangt nach dem Mondlicht und den Sternen, und das Singen der Vögel, das Rascheln der Bäume und das Murmeln der Bäche hört man mit ganz neuen Ohren. Sollten Sie stolz, zänkisch oder ruhelos gewesen sein – derartige Fieber werden durch Bescheidenheit und Einfachheit gekühlt. Sie füllen Tag für Tag Ihre Kladde, das Logbuch Ihrer Seele, und anfangs glauben Sie vielleicht, es gebe nichts als die Route und die Daten festzuhalten. Doch bald wird etwas anderes darin Eingang finden: Poesie – die neue Poesie Ihres Lebens, und wer sehenden Auges ist, wird bemerken, wie Sie sich nach und nach in einen Lebenskünstler verwandeln. Sie erlernen die Kunst des stilvollen Wanderns und erlangen dadurch die Freuden des Künstlers an der Schöpfung.
Stiefel besinge ich …1 Denn ohne Stiefel kann man nicht wandern. Das unter Vagabunden verbreitetste Elend sind dünne Sohlen.
Frisch auf, frisch auf, hin übern Steg,
Und frisch über Stock und Steine,
Ein frohes Herz hüpft allerweg,
Ein trübes stellt selbst sich die Beine.2
Wenn das Herz trüb ist, liegt das oft nur an einer zu dünnen Sohle. Zwei meiner Freunde machten sich im vergangenen Frühjahr auf den Weg von Bayern nach Venedig, ihre Koffer hatten sie vorausgeschickt, ihre Rucksäcke auf den Schultern. Aber ihnen fehlten die richtigen Stiefel, weswegen sie in den Berggasthöfen hängen blieben und ein Seidel Braunbier nach dem anderen schluckten, um den Schmerz in ihren Zehen zu betäuben. Und in den Bergen hocken die beiden noch heute.
Sie dagegen sollten sich ledergefütterte Stiefel mit äußerst festen Sohlen zulegen. Die knarzen vielleicht und fühlen sich so plump an wie Holzpantinen, wenn Sie sie zum ersten Mal tragen, vielleicht auch, als hätten Sie sich bequeme Körbe über die Füße gestülpt. Doch leichte elegante Stiefel halten den Belastungen im seltensten Fall stand, und wenn doch, dann versagen Ihre Füße. Ich bin schon in Stiefelchen mit Stahlsohle im Kaukasus gewandert und im Norden in aus Birkenbast geflochtenen Schuhen, den Lapti, und dennoch konnte ich mich mit diesen Innovationen des Schuhwerks nicht anfreunden. Ein neues Paar Armeestiefel ist schwer zu übertreffen. Doch die besten Stiefel, die ich je hatte, waren ein paar Anglerstiefel aus Chromleder, die ich in den Catskill Mountains in einem Laden am Wegesrand kaufte. Meine Füße waren in erbärmlichem Zustand, da sie in einem unsäglichen Paar leichter Stiefel nachts zu Eiszapfen gefroren waren und tags Blasen bekommen hatten. Ich schlüpfte eines Abends in diese geräumigen Anglerstiefel und spürte auf dem ganzen Weg bis Chicago kein einziges Zwicken mehr. Was Armeestiefel angeht: Darin litten die Männer beim Marschieren häufig nur deshalb, weil es fremde abgetragene Stiefel waren, eingelaufen von den Füßen eines anderen Soldaten. Wer die Stiefel von Toten trägt, kann davon keinen Vorteil erwarten.
Natürlich sollte man richtig stabile Stiefel langsam einlaufen. Hüten Sie sich vor dem Übereifer des ersten und zweiten Wandertags. Nur allzu leicht ruiniert man sich gerade auf der zweiten Tagesetappe. Man hat da bereits diese oberflächlichen Blasen, und dann bekommt man die tieferen, schmerzhafteren, die man nicht ausdrücken kann. Diese Blasen haben es vielmehr darauf abgesehen, Ihnen auf die Stimmung zu drücken. Man sollte dicke Wollsocken tragen oder sogar zwei Paar Socken übereinander. Wenn die Socken dünner werden, kann man die Anzahl der Schichten sogar auf drei steigern, obwohl es besser ist, Socken auszumustern, die nur noch ein steinharter Fetzen sind. Ich glaube nicht an das Einseifen der Socken, wohingegen es nicht schadet, sie anzufeuchten.
Man sollte versuchen, jeden Tag irgendwo kurz in einem Bergbach oder einem See unterzutauchen. Am besten kombiniert man das Wandern mit einem Bad im Meer, denn die Bewegung im Salzwasser tut den Füßen definitiv gut. Es dauert ein paar Tage, die von der Stadt verwöhnten Füße in Form zu bringen. Vor diesem Hintergrund sollte man es am Anfang nicht übertreiben. Festgelegte tägliche Streckenlängen sind ein Fluch, ebenso vorgegebene Routen. Wie ein guter Kricketspieler sollten Sie sich erst einspielen, bevor Sie punkten.
Am genussreichsten ist das Wandern in den Bergen, am aufreibendsten entlang großer Straßen. Beides hat im Leben des idealen Wanderers seine Berechtigung, aber die Erfahrung lehrt einen, was am meisten Spaß macht. Wandern in den Bergen ist tatsächlich viel weniger ermüdend: Denn erstens gibt es dort keinen Staub, zweitens mehr Abwechslung und geistige Ablenkung, und drittens setzen die Füße im Gebirge in unterschiedlichen Winkeln auf dem Grund auf, wodurch verschiedene Muskeln beansprucht werden. Da trifft die Sohle nicht mit dieser monotonen Regelmäßigkeit auf eine Straße und drückt nicht auf den immer gleichen Fleck blasenbildender Haut.
Meiner Ansicht nach ist in den Bergen ein Stiefel mit etwas leichterer Sohle, einer Nagel- oder Gummisohle, vorzuziehen. Allerdings muss man sich vor minderwertiger Ware hüten. Ich habe es schon erlebt, dass sich bereits beim zweiten Mal Kraxeln über Stock und Stein die ganze Sohle vom Schuh löste. Oder der Absatz fiel ab. Gut eingeführte Stiefel für Arbeiter sind verlässlicher als die gefälligen Stiefel für Büroangestellte. Andererseits sind Stiefel, bei denen sich die Nägel durchdrücken und Löcher in die Fußsohlen bohren, eine echte Plage. Stiefel, bei denen das Eisen durchkommt, sollten von innen mit einem Stein bearbeitet werden. Doch oft passiert es, dass ein scharfer Rand einfach nicht glatt zu bekommen ist, dann hilft es, eine gewisse Schicht Papier hineinzulegen, bis man einen Schuster findet, der den Schaden behebt.
Metallbeschläge auf den Sohlen sind wenig hilfreich, denn sie werden schnell sehr glatt und rutschig. Auch Nägel werden mit der Zeit rutschiger als reines Leder. Die neuen Beläge aus sehr hartem Gummi sind ideal fürs Klettern. Man darf nicht vergessen, welche steilen und gefährlichen Hänge man beim Wandern zu bewältigen hat, und wenn die Füße die nicht im Griff haben, riskiert man Kopf und Kragen. Und hier kommen die Gummisohlen der Armeestiefel ins Spiel. Es ist auch keine dumme Idee, als Hilfsmittel ein leichtes Paar Tennisschuhe im Gepäck zu haben, denn so manches Hindernis, das sich in Stiefeln nie überwinden ließe, macht in griffigen Gummischuhen keine Probleme. Sehr gut sind in jedem Fall Hartgummiprofile auf den Ledersohlen. Auf sonnenbeschienener ebener Straße würden solche Gummis Ihre Füße förmlich aussaugen, aber in den Bergen bleiben die Füße kühler, und das gute Gefühl eines sicheren Halts auf blankem Felsen ist nicht zu verachten. Auf einer gemeinsamen Tour mit Vachel Lindsay3 in den Rocky Mountains trug dieser Stiefel mit Nagelsohlen, doch die wurden mit der Zeit so glatt und glänzend, dass er in ihnen ausrutschte. Bei bestimmten gefährlichen Abhängen erkannte ich dann, dass die sehr abgetragenen Nagelschuhe ganz eindeutig von Nachteil waren.
Für lange Wanderungen ist es eine gute Idee, ein Paar Ersatzstiefel im Rucksack zu haben. Das Mehrgewicht, das man zu tragen hat, wird durch das Vergnügen wettgemacht, hin und wieder das Schuhwerk zu wechseln. In sehr rauem Gelände ist es überdies denkbar, dass selbst durchaus solide Stiefel nach etwa einem Monat verschlissen sind. Die Oberseite platzt im Gebirge gerne auf, vor allem, wenn man Spaß daran hat, lange Geröllhänge mit ihren messerscharfen kleinen Steinen hinunterzuschlittern. Man sollte sich übrigens hüten, seine Füße am Lagerfeuer zu rösten oder die Stiefel allzu nah an der Glut stehen zu lassen, während man schläft. Wenn man sie nicht als Basis für ein Kissen benötigt, sollte man sie an einen kühlen und luftigen Ort stellen und sie vielleicht ein wenig einfetten, damit die Oberseite weich und geschmeidig bleibt. Aber passen Sie auf, dass Sie sich das Lederfett nicht versehentlich aufs Brot schmieren.
Stiefel sind natürlich kein besonders poetisches Thema. Kipling verbildlichte mit dem Wort die Langeweile eines langen Marschs:
Sechs Wochen Hölle, und ich kann bezeugen,
das is’ nich’ Feuer, Dunkelheit, so Zeug,
sondern Stiefel … Stiefel … Stiefel …4
Der Stiefel war in Zeiten der Inquisition genau wie Daumenschrauben ein Folterinstrument. Dennoch muss daran erinnert werden, dass alte Stiefel Glück bringen. So bindet man sie an die Brautkutsche, damit das gesegnete Paar auf der gemeinsamen Wanderung durchs Leben so viel Bequemlichkeit, Leichtigkeit und Glück erfährt wie in gut eingelaufenen Stiefeln.
Der Wanderer entwickelt eine tiefe Zuneigung zu seinen Stiefeln, wenn sie ihm lange und gut gedient haben, und wird bei ihrem Anblick vielleicht sogar patriotisch, so wie Charles Dickens in Amerika: »Das, Sir, ist ein britischer Stiefel.«
An Stiefel gerichtete Gedichte sind schwer zu finden; man muss wohl davon ausgehen, dass Dichter zum größten Teil nicht wandern. Denn wenn sie wandern, kommt irgendwann unausweichlich dieser lächerliche Moment, in dem der Dichter im Sternenlicht beim Anblick seiner abgelegten Stiefel verkündet: »Oh, du mein Stiefel, hast mir brav gedient, alter Stiefel, alter Freund!« Es gibt eine ganze Reihe von leider verloren gegangenen Stiefelgedichten: »Verse an meine Lieblingsstiefel«, »Ein paar Zeilen nach dem Ausziehen meiner höchst grausamen Stiefel«, »Gedicht vor dem Anziehen meiner Stiefel«.5 Letzteres könnte, während man mit geschwollenen Füßen voller Blasen in seine Stiefel schlüpft, sehr lange und nachdenklich geraten.
Doch genug davon, wir jedenfalls haben unsere Stiefel an den Füßen und sind bereit, in unserer Geschichte über die Wanderkunst fortzuschreiten.
Es ist wunderbar, was man alles tragen kann, wenn es aus Vergnügen geschieht. Soldaten meckern wie Kamele über die Lasten, die man ihnen auf die Schultern lädt. Auf Befehl eines Oberen sollen sie mit dicken Packen auf dem Rücken heute dahin, morgen dorthin marschieren.
Sie geben ihr Bestes, marschieren voran,
Straßen ziehen unter ihren Stiefeln vorbei
Und jedes verdammte Lager das gleiche Einerlei.1
Das Kamel ächzt, der Soldat murrt, doch der fröhliche Wanderer steckt, sei es aus Vergnügen oder zu seinem Nutzen, immer noch ein Stück mehr in seinen geräumigen Rucksack. Hier einen großen Brocken Tabak, dort den Band mit den Lieblingsgedichten oder sein Skizzenbuch – und läuft dabei Gefahr, zu viel, aber nicht das Richtige einzupacken.
Ich gehe davon aus, dass er darauf eingerichtet ist, à la belle étoile, unter freiem Himmel, zu übernachten, und erlaube mir ein, zwei Dinge zu erwähnen, die er vielleicht übersieht. Erstens sollte sein Gepäckstück von guter Qualität sein. In der Vergangenheit ist mir aufgefallen, dass die Deutschen und Österreicher die besten Rucksäcke produzieren, und selbst die besten, die man in London bekommt, scheinen aus diesen Ländern importiert zu werden. Das Exemplar, das ich nun besitze, habe ich vor einigen Jahren in Wien erstanden, und ich denke, es handelte sich um das beste, was dort zu haben war. Es war auch jede Menge Schund im Angebot. Der Ladenbesitzer behauptete, dass der Rucksack, den ich haben wollte, unverkäuflich sei, und ich habe zwölf Stunden damit verbracht, ihn doch zu bekommen. Nicht dass dieser Rucksack in irgendeiner Hinsicht bemerkenswert wäre, er ist nur durch und durch gut gemacht. Außentaschen, die nicht aufplatzen, sind eine absolute Notwendigkeit, und Innentaschen ebenso nützlich.
Das Schlimmste, was im Inneren eines Rucksacks passieren kann, ist, dass nach einer Weile alles darin durcheinandergerät. Ersatzschuhe und Wäsche bekommen Kaffeeflecken, und die verschiedenen Nahrungsmittel vermischen sich. Es platzt eine Papiertüte, und der Zucker verteilt sich überall. Dann verschmieren Schreibpapier, Bücher und Notizhefte. Das lässt sich vermeiden, indem man sich ein halbes Dutzend Baumwollsäckchen besorgt, die sich mit einem Band verschließen lassen. Wenn man sie nicht zu Hause hat, bekommt man sie bei Woolworth oder in einem einfachen Stoffgeschäft. Es ist nur ein kleines Detail, aber eine Frage des Komforts: Wenn Sie das Bedürfnis danach verspüren, können Sie diese Säckchen auswaschen, wenn sie schmutzig sind.
Ein weiteres wertvolles Extra sind ein paar Meter Moskitonetz, die man sehr günstig bekommt. Manchmal wird es in den Läden als »Brautschleier« bezeichnet, manchmal als Leno oder Mull. Damit lassen sich nachts die Moskitos abwehren und tagsüber der Luxus einer Siesta in der Sonne genießen, während man die Fliegen beobachtet, die einem nicht in die Nase beißen können. Apropos Moskitonetz – auch die Wahl des Huts ist wichtig. Nehmen Sie keine Mütze, Sie brauchen eine Krempe. Und auch keinen Strohhut, denn mit einem Strohhut auf dem Kopf kann man sich nicht bequem hinlegen. Ein Hut aus Tweed ist am besten. Die Krempe hat einen doppelten Nutzen: Sie schützt die Augen nicht nur vor der Sonne; wenn man sich an einer Stelle mit vielen Fliegen und Mücken niederlässt, schläft man auch am besten mit diesem Hut, durch dessen Krempe das Moskitonetz ein paar Zentimeter vor dem Gesicht hängt.
NB: Ein Wanderhut ist nie so alt, dass man ihn wegwirft. Die alten sind die besten. Selbstverständlich taugt ein Hut, wenn man erst eine Nacht darin geschlafen hat, nicht mehr für die Stadt. Er ist dann mehr Vagabund als Sie selbst.
Ich plädiere dafür, eine Decke mitzunehmen. Die ist weniger unhandlich und zugleich hygienischer als ein Schlafsack. Sollten allerdings Insekten sehr lästig werden (wie in den Tropen) und »Landkrabben« unterwegs sein, Skorpione, Taranteln und was nicht alles, lässt sich ein leichter Schlafsack improvisieren, indem man zwei schmale Laken an drei Seiten zusammennäht. Das habe ich gemacht – darin wird es schnell recht stickig und muffig. Am besten dreht man ihn dann morgens von innen nach außen und lässt viel Sonne daran. Aber eine Decke tut es auch – nehmen Sie zwei, wenn Sie sehr verfroren sind. Das sorgt zwar für Gewicht auf dem Rücken, zugleich aber für Behaglichkeit und dafür, dass der Rucksack auf langen Strecken gut auf den Schultern sitzt.
In keinem Fall macht es Sinn, einen Mantel mitzunehmen, während ein wasserfester Umhang oder Ölzeug sich als sehr nützlich erweisen können. Eine sinnvolle Kombination besteht aus Decke und Umhang: Man schläft auf dem Umhang und breitet die Decke über sich.
In einem der Baumwollsäckchen verstauen Sie Ihre Toilettensachen: Seife, Handtuch und Kamm. Manche Männer lassen sich auf langen Wanderungen gern einen Bart stehen, wodurch Rasiermesser und – pinsel entbehrlich werden. Es gibt jedoch wenig so Erfrischendes wie eine kalte Rasur in der Morgendämmerung: der rauschende Fluss, der Schaum, der sich über Farn und Blumen verteilt, der Schwung des Arms und die erfrischte Wange.
Eine lebenswichtige Überlegung für diese Morgenstunde ist ein Topf zum Kaffeekochen. Ich favorisiere eine schlichte Kanne aus Metall. Manche ziehen einen Wasserkessel vor, aber der schlägt einem zu sehr gegen den Rücken, andere ein Eimerchen, aber das Wasser schmeckt darin gerne nach Rauch. In den Vereinigten Staaten liegen so viele leere saubere Dosen herum, dass es vielleicht unnötig ist, überhaupt selbst etwas mitzuschleppen. Cowboys haben nie so etwas wie eine Kaffeekanne dabei, sie vertrauen darauf, dass sie irgendwo eine Schmalzbüchse finden. Wenn Sie irgendwo im Westen oder Süden Ihr Lager aufschlagen, wo schon vor Ihnen jemand kampiert hat, können Sie sogar den sorgfältig verwahrten Kaffee Ihrer Vorgänger benutzen. Ganz Amerika geht im Sommer zelten, sodass es ganz einfach ist, den dunklen Fleck eines ehemaligen Schlafplatzes zu finden, den ein anderer hinterlassen hat.
Ich allerdings schätze die Orte gar nicht, wo schon Leute übernachtet haben, die Orangenschalen und Kekspackungen, niedergetrampeltes Gras und ramponiertes Gebüsch zurückließen. Man gebe mir ein jungfräuliches Fleckchen Wald oder Heide oder einen netten grasbewachsenen Streifen an einer staubigen Straße und lasse mich Ohrwürmer und Vögel mit dem Knistern des ersten Lagerfeuers erschrecken, das sie erleben. Aus diesem Grund ist es meiner Ansicht nach ideal, eine Kaffeekanne mitzunehmen, eine aus Metall, die im Verlauf der Wanderung immer schwärzer wird. Am besten trägt man sie außerhalb des Rucksacks, wo sie am mittleren Riemen hängt und in der Kuhle ruht, die die ausgebeulten Außentaschen bilden.
Ich hatte Emailbecher, Messer und Löffel vergessen – das sollte Ihnen nicht passieren. Aber nehmen Sie keine Gabel mit, die ist unnötig. Ein kleiner Emailteller ist ebenfalls nützlich. Salz und Pfeffer gemischt zum Würzen kann man in einem kleinen Tütchen transportieren. Und es empfiehlt sich irgendeine dichte Dose für die Butter. Stecken Sie jede Menge alte Taschentücher oder neue in billigster Qualität ein – die sind immer nützlich. Und denken Sie an einen Handschuh, um die Kaffeekanne vom Feuer zu nehmen. Ansonsten werden Sie alles, wonach Sie auf die Schnelle greifen, Ihre Taschentücher, Ihren Hut, Ihr Hemd oder sonst etwas, verbrennen. In manchen Fällen scheint die Kaffeekanne fast zu glühen, bevor das Wasser kocht. Es gibt wackelige Momente, da verliert sie das Gleichgewicht und droht zu kippen und ihren wertvollen Inhalt zu vergießen, wenn Sie nicht mit dem Handschuh zur Stelle sind, um sie zu retten.
Was den restlichen Inhalt Ihres Rucksacks betrifft, lassen Sie sich einfach von Ihren speziellen Wünschen und Zielen leiten. Erscheint er Ihnen am Morgen auch überladen und ausgebeult, wird er sich nach und nach leichter und wohlgeformter anfühlen, wenn die verschiedenen Gegenstände darin durch die Bewegung in ihre ideale Position geschüttelt wurden. Nachts holen Sie das meiste heraus und nutzen ihn als Kissen. Manche schleppen auch ein Kissen mit, aber das ist zu sperrig. Ein aufblasbares Kissen ist nicht zu verachten, doch es lässt einen in der Regel im Lauf der Nacht im Stich. Ihr Rucksack wird es Ihnen übel nehmen, wenn Sie ihn im feuchten Gras herumliegen lassen. Glücklicher ist er, wenn Ihr Kopf auf ihm ruht.
»Armseliger Messerschleifer«, sprach der Dichter, »dein Hut hat ein Loch, genau wie deine Hosen.«1 Das wäre nicht nötig gewesen. Sie sollten ein Reisenähset (dieses kleine Mäppchen mit Nadel und Faden, das manchmal in Hotels auf der Frisierkommode bereitliegt) dabeihaben und die Löcher flicken. Ich fürchte, der Hut dieses Messerschleifers war aus Filz, vermutlich eine verbeulte Melone, doch wir Wanderer haben mit Filz nichts am Hut. Die Bowler und Derbys und sonstige Filzhüte sind nicht unser Stil. Es gab Zeiten, da waren die Menschen mit Schaufelhüten unterwegs: Ich sehe vor meinem geistigen Auge den Pastor Adams2 daherschlurfen, seine dünnen Strähnen gekrönt von solch einer düsteren Kopfbedeckung. Und Abraham Lincoln trieb mit einem speckigen Zylinder auf dem Kopf sein Unwesen. Wir machen das anders, wir wandern mit Tweedhüten, Kappen oder ganz ohne Hut. Auch wenn wir uns deshalb nicht für jemand Besseren halten, wissen wir doch, dass das bequemer ist.
Wir tragen auch keine Krawatten mehr. Man sollte zwar in einer Tasche des Rucksacks Schlips und Kragen aufbewahren, die man notgedrungen anlegen kann, falls man gezwungen ist, eine Post, eine Bank, einen Geistlichen oder die Polizei aufzusuchen. Ansonsten lassen wir den obersten Hemdknopf bevorzugt offen und sind mit freien Hälsen und Kehlen unterwegs.
Wir wandern auch nicht mit Stulpen oder Gamaschen oder in eleganten Westen. Die Weste ist als Kleidungsstück völlig unerwünscht und daher getrost wegzulassen. Auch Unterjacken sind eher überflüssig. Ein Mann kann auf eine Reihe von Dingen verzichten. Es steht mir nicht an zu sagen, was eine Frau entbehren kann, keinesfalls jedoch braucht sie einen Hut mit Federn oder Hutnadeln. Wenn ich sie mir so in der Wildnis vorstelle, würde ich sagen, dass sie so gut wie alles ablegen kann, was sie gemeinhin trägt (abgesehen vielleicht von einem Haarnetz) und dann auf »vernünftige« Bekleidung zurückgreift. Die grünen und braunen Fräuleins »im hübschen Anzug eines Knaben«3 sind in den Vereinigten Staaten inzwischen ein so vertrauter Anblick, dass es beinahe überflüssig scheint, sie zu beschreiben. Eine Kakibluse und Kniebundhosen, grüne Wickelgamaschen oder Strümpfe sowie ein stabiles Paar Schuhe sind so gut wie ausreichend: ganz einfach, ganz praktisch und – falls jemand beim Wandern das Aussehen nicht außer Acht lassen möchte – auch durchaus kleidsam.
Das Material ist wichtiger als der Schnitt. Handgestricktes, Tweed und Cord sind besser als Flanell, Wollserge oder minderwertige Stoffe. Wandern wirkt sich zerstörerisch auf Materialien aus: Offensichtlich ruinieren Sonne und Regen, die Funken des Lagerfeuers und heißer Rauch das Gewebe sehr schnell. Nach etwa einem Monat zeigt sich eine Art Verrottung, und während man durch den Wald geht, zerrt jeder morsche Ast und jeder winzige Dorn, an dem man versehentlich hängen bleibt, an den Hosen. Das kann sich als enervierend oder auch unterhaltsam erweisen. »Wenn mich der Anblick der Landschaft langweilt, dann blicke ich auf deine Hosen«, teilte mir Lindsay in den Rockies mit – er trug in überlegener Selbstgerechtigkeit grünen Cord, ich einfach alte Stücke, von denen ich dachte, ich könnte sie beim Wandern gut noch auftragen. Das habe ich in der Tat getan: Wir waren irgendwann gezwungen, aus der Wildnis in die Zivilisation zurückzukehren, wo mir der Dichter ein Paar Cowboyhosen von der Stange kaufte.