Die Kunst, möglichst lange zu leben - Gerd Reuther - E-Book + Hörbuch

Die Kunst, möglichst lange zu leben Hörbuch

Gerd Reuther

5,0

  • Herausgeber: Riva
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

"Ein bemerkenswertes Buch." Olaf Kupfer, Westdeutsche Zeitung "Darin verspricht er keine phantastischen Patentrezepte für ein ewiges Leben. Vielmehr beschreibt er solche Umstände, die die individuelle Lebensdauer und -qualität beeinträchtigen – dazu gehören auch Medizin und Pharmazie. Reuther hat Hunderte von Studien ausgewertet und beschreibt in seinem neuen Buch die wichtigsten Grundsätze für ein langes Leben. Er wagt einen historischen Rückblick und zeigt auf: Was der renommierte Arzt Christoph Wilhelm Hufeland vor über 200 Jahren empfahl, hat größtenteils noch heute Bestand, während die heutigen medizinischen Ratschläge das Leben oft eher verkürzen. Reuthers Buchtitel lehnt sich an den von Hufelands Hauptwerk an: Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern (Erstdruck 1797)." Frankenpost vom 16.8.2018 "Dr. Reuthers schöner Text bringt im gestreckten Galopp viel Wesentliches in Sachen Krankensystem auf den Punkt: ohne Verzierungen, konzentriert und sicher nicht immer politisch korrekt. … Gerd Reuther aber bleibt zu wünschen, dass seine sauber geworfenen Zaunpfähle ihre Ziele treffen, denn ein Treffer würde wohl so manchem, der krank ist oder sich so fühlt, glatt das Leben retten." erzähler.net 10.09.2018

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Zeit:3 Std. 49 min

Sprecher:Markus Böker
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Dr. med. Gerd Reuther

Die Kunst,möglichst langezu leben

Dr. med. Gerd Reuther

Die Kunst,möglichst langezu leben

Die wissenschaftlich basierteAntwort auf die Frage,worauf es wirklich ankommt

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

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Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

Originalausgabe

5. Auflage 2022

© 2018 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

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Redaktion: Caroline Kazianka

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

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Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

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ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0178-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0179-3

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»Unser Dasein zu verlängern war einLieblingsgegenstand der scharfsinnigsten Köpfe,ein Tummelplatz der Schwärmer, und eineHauptlockspeise der Scharlatane und Betrüger,… wodurch sie das größere Publikum angelten.… In den neuesten Zeiten hat man leidermehr Progressen in den Künsten das Leben zuverkürzen, als in der, es zu verlängern gemacht.«

CHRISTOPH WILHELM HUFELAND,

DIE KUNST, DAS MENSCHLICHE LEBEN ZU VERLÄNGERN.

S. 5f. UND 33; JENA 1797

Haftungsausschluss

Diese Veröffentlichung ersetzt keine ärztliche Konsultation oder Untersuchung. Autor und Verlag übernehmen keine Haftung oder Verantwortung für mögliche Schäden aus der Benutzung dieser Informationen. Entscheidungen für oder gegen eine ärztliche Behandlung liegen in der Eigenverantwortung jedes Lesers. Dieses Buch hat nicht die Absicht, Sie von einem Arztbesuch abzuhalten oder Ihr Verhältnis zur Ärztin/zum Arzt Ihres Vertrauens zu belasten, wohl aber, dass Sie alle Informationen, die Sie dort erhalten, kritisch auf Sinn und Absicht hinterfragen.

Auch auf dem Gebiet der Wissenschaft gilt die freie Meinungsäußerung, die nicht durch Wirtschaftsgruppen, Verbände oder Interessengruppen unterbunden werden darf.

Hinweis: In diesem Buch wird für Patienten und Ärzte beiderlei Geschlechts vereinfacht die männliche Form verwendet, es sei denn, es wird ausdrücklich auf Patientinnen oder Ärztinnen hingewiesen.

Inhalt

Prolog: Die Fata Morgana der Lebensverlängerung

Wovon hängt die Lebensdauer ab?

Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern

Leben und Sterben vor 200 Jahren

Hufelands »Verlängerungs- und Verkürzungsmittel des Lebens«

Hufelands Medizinverständnis

Woran wir sterbenund worauf es heute ankommt

Kennen wir unsere Todesursachen?

Woran wir tatsächlich sterben

Todesfälle durch medizinische Behandlungen

Todesfälle durch den Lebensstil

Todesfälle durch Umweltgifte

Gewaltsame Todesfälle

Worauf es heute ankommt

Strategien, um zu verhindern, Ihr Leben zu verkürzen

Lebensführung

Verhaltensweisen

Gebrauch von Medizin

Epilog: Die Kunst, nicht an Versuchender Lebensverlängerung zu sterben

Danksagung

Anmerkungen

Prolog: Die Fata Morganader Lebensverlängerung

Ein langes und glückliches Leben in Gesundheit steht auf der Wunschliste der meisten Menschen ganz oben. Heute gerne mit der Bedingung, dass man dabei jung bleibt. Diäten, Pillen und intravenöse Auffrischungen ernähren eine ganze Unsterblichkeitsindustrie. Der Weltkonzern Alphabet Inc. (vormals Google Inc., USA) hat mit seiner Tochterfirma Calico die Abschaffung des Alterns sogar zum Geschäftsziel erklärt. Kann aber der Schlüssel zum ewigen Leben in Paketen großer Datenmengen (»Big Data«) gefunden werden oder ist dieser Versuch noch skurriler als die sogenannte Gerocomic, die auf der Annahme beruht, dass junge Menschen ihre Lebenskraft durch körperliche Nähe auf alte Menschen übertragen könnten? Dem alttestamentarischen König David sollen Ärzte empfohlen haben, sich in den Armen einer Jungfrau zu verjüngen1, und vom berühmten Arzt Herman Boerhaave (1668–1738) ist die Verordnung überliefert, einen alten Amsterdamer Bürgermeister zwischen zwei jungen Leuten schlafen zu lassen.2 Die Praxis alternder Ehepartner, ihre Lebensgefährten durch neue Partner im Alter der eigenen Kinder zu ersetzen, kann noch als Residuum dieser Überzeugung angesehen werden. Komplikationsträchtiger war ab dem 17. Jahrhundert das Angebot, zum Aderlass einen verjüngenden Bluttransfer von jungen auf alte Menschen durchzuführen.3

In der Antike galten Selbstdisziplin, Tugend und körperliche Ertüchtigung als Wege zu einem längeren Leben. Und auch im Mittelalter setzte man auf Lebensführung und Leibespflege – Erneuerung der Körpersäfte inklusive. Schwitzen, Brechmittel und Klistiere gehörten seither zum Instrumentarium der Betreiber von Jungbrunnen. Bis heute halten sich Methoden zur »Entschlackung« im Repertoire – Colon-Hydro-Therapie, Ayurveda, »Detox« und hohe Trinkmengen sind trotz Abkehr von der Säftelehre weiterhin angesagt. Gleichzeitig erachtete man das Schicksal durch den Lauf der Gestirne als vorbestimmt. Allerdings konnten womöglich Glücksbringer und Amulette, das Essen bestimmter Substanzen oder Ortswechsel unheilvolle Konstellationen neutralisieren … Räumliche Veränderungen bei langwierigen Krankheiten hatte bereits 2000 Jahre früher die hippokratische Schriftensammlung auf ihrer Empfehlungsliste.

Die Überzeugung, dass einzelne Substanzen Krankheiten heilen und Leben verlängern könnten, verbreitete sich so richtig erst im Mittelalter mit der von der katholischen Kirche angefachten Wundergläubigkeit. Nicht umsonst begleitete Weihrauchnebel rituelle Handlungen. Vor allem mit dem Arzt und Alchemisten Paracelsus (1493/4–1541) ist die Idee verknüpft, mit Chemie zu heilen. Nur auf die Dosis käme es an, ob eine Substanz das Leben verlängere oder verkürze.4 Antimon, Arsen, Quecksilber, Schwefel, Terpentinöl – nichts war zu giftig, um es nicht auch zur Kur einzusetzen.5 Heilsversprechen waren schon immer gefragter als der desillusionierende Hausverstand. Ein stark erhöhter Quecksilbergehalt von Paracelsus’ Gebeinen legt jedoch nahe, dass sein Leben durch Gift verkürzt wurde.6

Verheißungen eines längeren Lebens waren stets fixe Bestandteile in den Portfolios von Scharlatanen. In steter Folge betreten Charismatiker des Anti-Agings die Bühne und bieten wechselnde Panazeen feil. Aktuell heißen die Wundermittel Resveratrol, Rapamycin (Sirolimus) oder Metformin. Künftige gentechnische Manipulationen oder die Beseitigung teilungsunfähiger Zell-»Rentner«, sogenannter seneszenter Zellen,7 werden für alle in Aussicht gestellt, die bereit sind, nach ihrem Tod im Gefrierschrank zu warten. Um- und weitsichtige Zeitgenossen, die einen guten Zustand von Körper und Geist als beste Voraussetzung für einen späten natürlichen Tod anstreben, werden dagegen als kleinkarierte Spaßbremsen wahrgenommen. In ihrem Anspruch unterscheiden sich Anti-Aging-Hormone, Cholesterinsenker und Elixiere der Alchemisten nicht grundsätzlich, sieht man von unvermeidlichen Nebenwirkungen schulmedizinischer Therapien ab. Mit biochemischen Halbwahrheiten begründet, werden Dogmen des Anti-Agings schnell zu einer Ersatzreligion. Aber wer will überhaupt glauben, dass man mit einer Substanz die Evolution überlisten kann?

Auch wer anhand von Risikoprofilen aus der Flut messbarer biologischer Parameter und mit Checklisten die häufigsten Todesarten zu verhindern versucht, gaukelt garantierte Extrajahre vor, die mit keinem Ticket einzulösen sind: Das Lesen von Büchern könne ein zusätzliches Jahr, der regelmäßige Konsum von Rotwein zwei Jahre bringen, während häufiges Liegen auf dem Sofa acht Lebensjahre kosten würde.8 Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt wäre als Nichtraucher wohl der älteste Mann der Welt geworden, sollten Berechnungen zur Lebensverkürzung durch Zigarettenrauch auf ihn zugetroffen haben.9 Trotz mehrerer Hundert Packungsjahre starb er mit 97. Die Dauer eines Lebens lässt sich zum Glück nicht aus einem Puzzle von Risikofaktoren vorherbestimmen.

Will die Medizin die Lebensspanne um jeden Preis verlängern, widerspricht sie sich schon, wenn sie das Alter zum universalen Risikofaktor oder gar zur behandlungspflichtigen Krankheit degradiert.10 Mehr Lebensjahre sind nicht gleichbedeutend mit längerem Leiden.11 Ein hohes Alter ist schon gar nicht die Ursache vieler Krankheiten, nur weil diese bevorzugt in der zweiten Lebenshälfte auftreten. Gerade im Alter verfügt der Körper über Strategien, einem ungeregelten Zellwachstum vorzubeugen. So stirbt zwar ein Viertel der 80-Jährigen an Krebs, aber weniger als 5 Prozent der über 100-Jährigen.12 Es ist nicht unbedingt das Alter, das tötet, sondern die Ansammlung schädlicher Einwirkungen im Laufe des Lebens. Vielleicht steigt die Zahl der Erkrankungen zum Ende des Lebens auch, weil Therapien diese erst chronisch werden lassen? Denn wer hat mit 85 keine vieljährige Behandlungsgeschichte hinter sich?

Spätestens seit 220 Jahren ist hierzulande dennoch eine Assoziation zwischen einem langen Leben und der Medizin in den Köpfen vieler Menschen verankert. Erschien doch im Jahr 1797 Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern von Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836). Heute selbst unter Ärzten nahezu vergessen, machte das Buch seinen Autor über die Weimarer Landesgrenzen in Europa bekannt. Hufeland avancierte zum Leibarzt der preußischen Königsfamilie, zum Ersten Arzt der Charité und später zum Dekan der Medizinischen Fakultät der späteren Humboldt-Universität. Dabei war seine Erörterung keine Pionierarbeit – mit steigender Bedeutung des Individuums in der Epoche der Aufklärung lag das Thema in der Luft. Über ein halbes Jahrhundert früher hatte der französische Arzt und Philosoph Julien Offray de La Mettrie (1709–1751) bereits Briefe über die Kunst, die Gesundheit zu erhalten und das Leben zu verlängern in Paris veröffentlicht.

Ärzte spekulieren über Mittel zur Lebensverlängerung, weil sie Krankheiten für behandelbar halten. Hufeland war dagegen überzeugt, dass es besser wäre, Krankheiten zu verhüten, da Behandlungen immer mit »Kraftverlust und folglich einer Lebensverkürzung verbunden« seien.13 Für ein hohes Alter gab er vor allem Ratschläge zur Lebensführung und Ernährungstipps – nur eines seiner 19 »Verlängerungsmittel des Lebens« nennt ärztliche Maßnahmen. Auch La Mettrie hatte die Frage aufgeworfen, ob Ärzte oder die Natur gesund machten, und forderte seine Kollegen auf, sich möglichst aus dem Prozess der Heilung herauszuhalten. Angesichts epidemischer Infektionen empfahl er vorbeugend Hygiene und sexuelle Abstinenz. Der französische Philosoph Voltaire (1694–1778) hatte dies schon auf den Punkt gebracht: In den meisten Fällen sei die Todesursache eines Menschen sein Leben. Hufeland moralisierte umständlicher: »Viele, ja wirklich die meisten dieser Krankheiten, sind unsre eigne Schuld.«14 Heute ist unbestritten, dass Krankheiten durch Prävention zurückgedrängt werden. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schätzt, dass sich dadurch in Deutschland zehnmal so viele Todesfälle verhindern ließen wie durch Früherkennung oder Behandlungen.15 Bis heute verpuffen diese Erkenntnisse jedoch: Nicht einmal 1 Prozent der Krankenversicherungsausgaben fließt in die Prävention.16

Kann man aber das Leben überhaupt verlängern? Oder gelingt es bestenfalls, ein vorzeitiges Ende abzuwehren? Nun, es kommt auf die Perspektive an. Wer die tatsächlichen Sterbealter, die durch Umwelteinflüsse, Alterungsprozesse oder Gewalteinwirkungen mehr oder weniger hinter dem genetischen Potenzial zurückbleiben, als Bezug nimmt, spekuliert über Verlängerungen des Lebens. Erklärt man dagegen die genetisch maximal mögliche Lebensspanne zur Referenz, kann man nur anbieten, eine Verkürzung zu verhindern. Verlockender klingt es auf jeden Fall, das Leben zu verlängern. Ärzte reden daher immer von »lebensverlängernden« Maßnahmen. Nur: Wer kennt das Ablaufdatum ohne Behandlung? Hufeland listete salomonisch »Verlängerungs-« und »Verkürzungsmittel« auf.

Doch ist eine Verlängerung des Lebens überhaupt immer erstrebenswert? Der römische Philosoph Seneca (circa 4 v. Chr.–circa 65 n. Chr.) hatte die Frage schon beantwortet, als er meinte, dass nicht das Leben ein Gut sei, sondern dass es darauf ankomme, gut zu leben.17 Verlängert wird ja nicht die Jugend. Wer länger lebt, ist länger alt: Zeiten mit Krankheit liegen für die meisten Menschen überwiegend in der zweiten Lebenshälfte und machen davon statistisch 40 Prozent aus.18 Diese zur besseren Hälfte zu erklären, weil vielleicht gerade das Einkommen den Zenit erreicht hat, gleicht einem Pfeifen im Walde. Wichtiger als Versuche, die mögliche Lebensdauer auszuschöpfen, ist es, die »gesunde Lebensspanne« dem Sterbealter anzunähern. Anders als die allgemeine Lebenserwartung sind die gesunden Jahre in vielen Industrieländern nicht gestiegen.19 Sehr alt wird man jedenfalls nicht dort, wo Anti-Aging Falten beseitigt und ewige Jugend verspricht, sondern wo alte Menschen nicht zum sozialen Ballast verkommen.

Medikamente, »Superfood« oder Nahrungsergänzungsmittel sind bisher bei Menschen den Beweis schuldig geblieben, die Lebenserwartung oder maximale Lebensspanne zu verlängern. Im Gegenteil, vermeintliche Verjüngungen durch Geschlechtsund Wachstumshormone erzeugen erst Krankheiten, die man sonst nie bekommen hätte.20 Das gilt auch für Versuche eines genetischen Anti-Aging. Die Ausschaltung krank machender Gene durch Genscheren, Antisense-Techniken oder einen Gentransfer sind experimentell und vielleicht im Falle bestimmter seltener Erberkrankungen eine Abhilfe gegen einen verfrühten Tod. Verlängert haben Manipulationen am Erbgut das menschliche Leben vorerst aber nicht. Dennoch besteht der Traum von einem »ewigen« Leben fort. Die Suche nach einem heiligen Gral der Lebensverlängerung oder einem ewig jungen Körper 2.0 ist zu verführerisch.

Wovon hängt die Lebensdauer ab?

Wer sich Gedanken über die Dauer des Lebens macht, ist notgedrungen gezwungen, sich auch mit einigen genetischen und biologischen Vorgängen vertraut zu machen. Allerdings ist trotz gewachsenem Verständnis bis heute vieles unklar, sodass allzu viel Biochemie für die Lebensführung keine Bedeutung hat. Nur so viel zum Verständnis: Begrenzt wird die Lebenszeit durch die begrenzte Teilungsfähigkeit der meisten Körperzellen. Nach spätestens etwa 50 Zellteilungen wird eine kritische Grenze erreicht, da sich bei jeder Zellteilung die Chromosomenenden (die sogenannten Telomere) verkürzen.1 Ohne weitere Zellteilungen wird der programmierte Zelltod eingeleitet oder es tritt ein permanenter Wachstumsstopp ein.2 Die maximale Lebensdauer scheint zumindest für alle höher entwickelten Spezies genetisch vorbestimmt zu sein und liegt für Menschen bei etwa 120 Jahren.34 Am Lebensalter einer Frau aus Südfrankreich, die 1997 mit angeblich 122 Jahren verstarb, bestehen inzwischen erhebliche Zweifel. 5a Ein rückläufiger Trend der höchsten Lebensalter bestätigt seit zwei Jahrzehnten diese Einschätzung (Abbildung 1).5b

Abbildung 1: Höchste berichtete Lebensalter

nach Dong X, Milholland B, Vijg J: Evidence for a limit to human lifespan. Nature 2016; 538(7624): 257-9

Bei 100-Jährigen wurden längere Telomere und eine erhöhte Aktivität eines Biokatalysators, der sogenannten Telomerase, nachgewiesen, der die Basenpaare der Telomere ergänzen und deren ursprüngliche Länge wiederherstellen kann.67 Die Aktivität der Telomerase ist jedoch nur in kurzlebigen Zellen wie Keimzellen, Stammzellen, weißen Blutkörperchen, Zellen der Haut oder des Magen-Darm-Traktes hoch. Im Alter führt dies zum Beispiel zu einer geringeren Zahl bestimmter weißer Blutzellen, die eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Krankheitserregern spielen. Gene für die Reparatur der DNA, die Erhaltung der Telomere und die Regulation freier Radikale werden entsprechend die Lebensdauer beeinflussen. Aber auch Ernährungsweise und psychische Faktoren können die Telomerase stimulieren wie umgekehrt Rauchen oder Übergewicht deren Aktivität schwächen (Abbildung 2).89Allerdings ist die Telomerase keine Einbahnstraße zu einem längeren Leben. Denn Substanzen, die die Telomerase aktivieren, müssten nicht nur ungiftig sein, sie könnten auch Krebserkrankungen befeuern, da Krebszellen über die Telomerase ihre unbegrenzte Teilungsfähigkeit sichern.10 Die Alterung eines Individuums wird darüber hinaus auch durch die Stabilität der Hüllproteine der DNA, die Erneuerungsrate der Stammzellen und die Leistungsfähigkeit der Mitochondrien (»Kraftwerke der Zellen«) bestimmt. Zumindest bei Tieren korreliert eine Region in der DNA der Mitochondrien, die für Enzyme der Zellatmung verantwortlich ist, mit dem maximal möglichen Lebensalter, da langlebigere Individuen für diese Enzyme keine Aminosäuren verwenden, die leicht durch freie Radikale zerstört werden.11

Abbildung 2: Bedeutung der Länge der Telomere und deren Einflussfaktoren

nach Bär C, Blasco M: Telomeres and telomerase as therapeutic targets to prevent and treat age-related diseases. F1000Res 2016; 5. pii: F1000 Faculty Rev-89

Das genetische Potenzial steckt aber nur den Rahmen für die mögliche Lebensspanne ab. Mit der weitgehenden Entschlüsselung des menschlichen Genoms ist seit 2003 klar, dass Genkarten wenig über die individuelle Lebensspanne und das Krankheitsrisiko besagen. Es kommt auf die Aktivität der Gene, die sogenannte epigenetische Prägung, an. Gene werden nämlich durch die Ankoppelung bestimmter Moleküle (zum Beispiel Methylgruppen) an die Grundbausteine der DNA aktiv oder inaktiv geschaltet. Dies wirkt sich auf Vorgänge aus, die im Lebenszyklus aller Zellen eine Rolle spielen: auf die Verkürzung der Telomere bei Zellteilungen, Enzymaktivitäten oder den Übergang in »Rentnerzellen« (seneszente Zellen) am Ende des Zellzyklus.12 Die epigenetische Prägung wird wiederum von Signalwegen unserer Körpervorgänge beeinflusst. Vor allem vier Pfade der Nährstofferkennung (mTOR, Insulin/IGF-1, AMPK und Sirtuine) gelten für die Lebensdauer als maßgeblich.13 Der Sensor für Nährstoffe mTOR steht für »mammalian Target Of Rapamycin«, also den Angriffspunkt der Substanz Rapamycin (auch Sirolimus), die ungeachtet ihrer immunsuppressiven Wirkung bei Säugetieren die Lebenszeit verlängern konnte.14

Der mTOR-Signalweg regt Zellen an zu wachsen und sich zu vermehren, wenn genügend Nährstoffe vorhanden sind. Im Alter ist dies allerdings bei einem Überangebot an Nahrung kontraproduktiv, da mTOR die Zellen gegen Insulin unempfindlich macht, sodass ein Altersdiabetes entsteht. Wird das Wachstumssignal mTOR durch Rapamycin blockiert, stellt der Körper als Folge eines scheinbaren Nährstoffmangels auf Hungerstoffwechsel um. Substanzen und Verhaltensweisen, die den mTOR-Signalweg oder die Achse Wachstumshormon/ IGF-1 (Insulin Growth Factor) hemmen beziehungsweise die AMPK (Adenosin-monophosphat-aktivierte Proteinkinase) aktivieren, könnten die Krankheitsanfälligkeit senken.15 Die Sirtuine, die die dreidimensionale Struktur der Chromosomen sichern, gaukeln dem Körper ebenfalls einen Kalorienmangel vor und inaktivieren nach heutigem Stand Genareale, die für Alterungsprozesse und bestimmte Krankheiten verantwortlich wären. Substanzen wie das auch in Rotwein enthaltene Resveratrol, die die Sirtuinproduktion anregen, gelten daher als Anti-Aging-Mittel. Beeinträchtigt werden die Sirtuine durch sogenannte Advanced Glycation Endproducts (AGE), die im Körper, aber auch in der Nahrung beim Braten und Frittieren entstehen und Chromosomen destabilisieren können. Gefäßerkrankungen scheinen damit in Verbindung zu stehen.16 Ob es jedoch vorteilhaft sein könnte, die Wirkung von Sirtuinen beim Menschen zu verstärken, ist unklar.

Auch das Endstadium jeder Zelle hängt davon ab, wie deren Gene auf Umwelteinflüsse reagieren: programmierter Zelltod, Übergang in seneszente Zellen oder Entartung mit ungeregelter Teilungsaktivität. Die Zunahme seneszenter Zellen während des Lebens gilt als eine Hauptursache von Alterungsprozessen. In diesem »Rentner«-Status bleiben Zellen metabolisch und immunologisch aktiv und sondern verschiedenste Botenstoffe ab, die die anderen noch teilungsfähigen Zellen im Wachstum und bei der Replikation beeinflussen. Mit zunehmender Zahl können Zell-»Rentner« dadurch chronische Entzündungsreaktionen und bei anderen Zellen Seneszenz auslösen. Daher gibt es Forschungen, seneszente Zellen zu entfernen, um altersbedingte Krankheiten zu verzögern oder zu verhindern.

All diese Forschungsergebnisse müssen für den Menschen jedoch mit kritischer Distanz gesehen werden, da die meisten Untersuchungen zum Einfluss der Gene und biochemischer Prozesse auf die Lebensdauer an Fadenwürmern, Hefen, Taufliegen und Mäusen erfolgt sind. Menschen sind aber keine großen Mäuse ohne Schwanz! Was das Leben in Tierexperimenten verlängert, muss für Menschen nicht unbedingt von Bedeutung sein. Und bisher hat bei Menschen keine Maßnahme das Auftreten altersassoziierter Krankheiten verzögert oder verhindert. Unser heutiges Wissen über Prozesse, die die gesunde Lebensspanne verlängern könnten, steckt noch in den Kinderschuhen. Kein Zweifel besteht allerdings an der günstigen Beeinflussung der Signalwege durch die Kombination aus körperlicher Bewegung und einer geeigneten Ernährung, um den Beginn und das Fortschreiten der bisherigen Begleiter des Alterns zu verschieben.17 Bewegungsmangel, Fehlernährung und Übergewicht sind im Bild der Lebensflamme Brandbeschleuniger. Die epigenetische An- und Abschaltung von Genen wird zwar vielleicht teilweise vererbt, aber entscheidend von Umweltfaktoren und der Lebensweise geprägt.1819 Epigenetische Veränderungen sind weit häufiger als genetische Mutationen.

Studien, um maßgebliche Faktoren für das Erreichen eines hohen Alters bei Menschen zu ermitteln, beruhen auf drei Beobachtungen:

dem Vergleich der Lebensdauer von Blutsverwandten langlebiger Menschen mit anderen Menschen derselben Region,

dem Vergleich der Lebensdauer von Blutsverwandten langlebiger Menschen mit eingeheirateten Familienmitgliedern und

Zwillingsforschungen.

Blutsverwandte von Menschen mit hohem Lebensalter zeigen eine höhere Lebenserwartung als der Bevölkerungsdurchschnitt.20 Wenn sich hohe Lebensalter gehäuft in bestimmten Familien finden, ist dies jedoch kein Beleg für eine genetische Vorherbestimmung, den Spruchweisheiten wie »Wer lange leben will, sollte sich seine Eltern sorgfältig aussuchen« suggerieren. Familienmitglieder stimmen nicht nur hoch in der genetischen Ausstattung überein, sondern unterliegen in Kindheit und Jugend ähnlichen oder gleichen Umwelteinflüssen. Nur durch die Lebensweise ist zu erklären, dass Frauen und Männer, die in Familien mit hoher Lebenserwartung einheiraten, zwar früher als ihre Lebenspartner, aber deutlich später als in der übrigen Bevölkerung sterben.21 Familiäre Häufungen von Krebs oder Übergewicht beweisen keine Erblichkeit.

Der Vergleich von Nonnen und Mönchen mit der Allgemeinbevölkerung untermauert ebenfalls die größere Rolle der Lebensumstände.22 Mönche wurden nur so lange älter, bis deren Rauchverbot nach dem Zweiten Weltkrieg aufgehoben wurde. Nonnen, die rauchen, zeigen keinen Gesundheitsvorteil gegenüber der Allgemeinbevölkerung. Auch Ergebnisse der Zwillingsforschungen legen nahe, dass die Lebensweise das Alter bestimmt.2324 Eineiige Zwillinge werden im Laufe ihres Lebens epigenetisch umso verschiedener, je unterschiedlicher sie leben.2526 Der Schlüssel für ein hohes Alter liegt also nicht darin, die »richtigen« Gene zu erben, sondern durch seine Lebensweise die bestmögliche epigenetische Prägung zu erzielen. Das Erbgut ist kein unabänderliches Schicksal. Der Schriftsteller und Schauspieler Curt Götz (1888–1960) hat dies treffend erfasst: »Ich träumte, ich stand am Ende meines Weges, und der Tod kam mir entgegen. ›Schon?‹ Er nickte. ›Das war alles?‹, fragte ich. ›Das war alles, was du daraus gemacht hast.‹«27

Das doppelte X-Chromosom erklärt bei Frauen bestenfalls eine kleine Differenz des höheren Sterbealters gegenüber Männern. Frauen leben zwar in zahlreichen Gesellschaften länger als Männer und unter den sehr alten Menschen finden sich mehr Frauen. Allerdings besteht jeweils ein geschlechtsspezifischer Lebensstil, der vorzeitige Todesfälle bei Männern bedingt: höherer Konsum an Suchtmitteln, größere Risikobereitschaft sowie Berufe mit höheren Unfallrisiken. Bei gleicher Lebensweise gleicht sich auch die Lebenserwartung an.28 Ein Zusammenhang zwischen der ethnischen Zugehörigkeit und dem Lebensalter wird ebenfalls oft unkritisch attestiert, nur weil sich die Durchschnittsalter verschiedener Ethnien in einem Land unterscheiden. Diskrepanzen im Lebensalter derselben Volksgruppen in ihren Heimat- und Gastländern zeigen jedoch, dass die Umwelt dominiert. Dies spiegelt sich auch im Spektrum der Krankheiten wider: Krankheitshäufigkeiten nähern sich für Migranten innerhalb einer Generation der des Gastlandes an.29

In den verschiedensten menschlichen Gesellschaften besteht auch ein Zusammenhang zwischen einem höheren sozioökonomischen Status und der Lebensdauer.3031 Reiche lebten zu allen Zeiten deutlich länger.3233 Die höhere Lebenserwartung liegt allerdings nicht an einem unbehinderten Zugang zu medizinischen Dienstleistungen, sondern an qualitativ besseren Nahrungsmitteln, einem geringeren Missbrauch von Suchtgiften, weniger Übergewicht sowie an Wohngegenden mit niedrigerer Umweltbelastung. Dies erklärt maßgeblich das höhere Sterbealter von Akademikern.34 Wesentlichen Einfluss auf die Lebensdauer haben auch gute Sozialkontakte: Die Sterbewahrscheinlichkeit halbiert sich.35 Dies gilt auch für stabile Partnerbeziehungen.36 Umgekehrt verkürzen Scheidungen und bei Männern auch der Tod des Lebenspartners das Leben.37 Enge zwischenmenschliche Beziehungen bewahren vor Suiziden und sind ein Korrektiv gegen risikobehaftetes Verhalten.

Wesentlich geprägt wird das Potenzial der DNA epigenetisch während der Kindheit und Jugend. Ein langes und gesundes Leben ist wahrscheinlicher, wenn körperliche, geistige und psychische Entwicklung nicht beeinträchtigt werden. Verlaufsbeobachtungen Frühgeborener zeigen, dass vorzeitige Geburten, Entbindungen per Kaiserschnitt, Antibiotikabehandlungen der Mutter und längere Aufenthalte im Inkubator die Krankheitshäufigkeit und die Sterblichkeit im Kleinkindesalter steigern.383940 Entscheidend dürfte eine gestörte Entwicklung des Immunsystems sein, wenn die mütterlichen Vaginal- und Darmkeime für den Aufbau des kindlichen Mikrobioms fehlen. Antibiotikagaben setzen die Schädigung des Immunsystems fort: Je vorzeitiger die Geburt, desto größer ist die Gefahr, an Erkrankungen der Lunge, Diabetes mellitus und Herzkrankheiten zu sterben.414243 Da in Deutschland mehr als ein Viertel aller Kinder mindestens eine Woche zu früh auf die Welt kommt44, wird dies die Lebensdauer verkürzen.

Auch in der späteren Kindheit ist eine fortgesetzte Stimulation des Immunsystems durch Kontakte mit Mikroorganismen sowie organischen und anorganischen Substanzen essenziell. Das Auftreten »allergischer« Krankheiten bei zu geringem Kontakt steht damit in Verbindung. Gleichermaßen entwickeln sich maximale Knochenfestigkeit und Leistungsfähigkeit der Muskulatur nur durch repetitive Beanspruchungen während des Heranwachsens. Die Zahl der Fettgewebszellen wird während der Kindheit angelegt und bestimmt das spätere Risiko für Übergewicht.45 Lassen sich die Eltern scheiden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für spätere Erkrankungen und einen früheren Tod durch gesundheitsschädliche Verhaltensweisen (zum Beispiel höhere Raucherquote).46 Wer lange leben will, sollte sich also eine natürliche Geburt, eine altmodische Kinderstube und eine traditionelle kleinbäuerliche Umgebung als Spielwiese aussuchen, die vor allem das richtige Training des Immunsystems liefert …