Die Lady und der Admiral - Hans Leip - E-Book

Die Lady und der Admiral E-Book

Hans Leip

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Beschreibung

Horatio Nelson, der berühmte englische Admiral im Krieg gegen Napoleon, hat im Schlachtengetümmel ein Auge und einen Arm verloren. Was die schöne Lady Emma Hamilton nicht daran hindert, seiner Anziehungskraft zu verfallen. Die Tatsache, dass beide schon mit anderen Partnern verheiratet sind, muss da gegenüber der Macht der Liebe in den Hintergrund treten, und zumindest Emmas Gatte, der kränkliche Sir William Hamilton, toleriert die Beziehung seiner Frau zu dem mächtigen Mann. Es beginnt eine zu jener Zeit höchst skandalöse jahrelange Ménage-à-trois. In seinem akribisch recherchierten historischen Roman zeichnet Hans Leip die Geschichte dieser Beziehung anhand der Reise "dieser dreigeteilten Liebesfreundschaft" von Triest über Wien und Deutschland zurück nach London im Jahre 1800 auf humorvolle, einfühlsame und allem voran höchst unterhaltsame Weise nach.

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Hans Leip

Die Lady und der Admiral

Roman

Saga

Antlitz des Alltags, zwischen Hast und Feier

halb wach, kleinkramgeschäftig, bald verweht:

Es ist nicht wahr, dass Gott vorübergeht

und das vermisst, was uns Ihm köstlich deucht.

Er liest in dir der Menschheit Wesen freier

als dort, wo hohe Glut uns überzeugt,

die doch, Sein Abglanz, Ihm im Wege steht.

Vorbemerkung.

Von keinem geliebt sein, o Schmerz;

von zweien geliebt sein, geht über mein Herz!

In memoriam Lady Hamilton.

Diesen kleinen einfältigen und verzweifelten Spruch schrieb eine junge Freundin des Berichterstatters in ihr Gebetbuch und nahm den Schleier der Ursulinerinnen, da nämlich zwei ernsthafte junge Leute sie liebten und sie nicht wusste, wem von beiden sie angehören sollte.

Lady Hamiltons Herz aber war aufnehmefähiger. Das Dreigestirn auf der Neige ihrer Laufbahn und Jahre: Sie, ihr Mann, ihr Freund, ist ein seltenes Beispiel dreieiniger Freundschaft und wird nicht untergehen am Himmel der Liebe, solange es jene Zwiespälte gibt, die das Gemüt bewegen bis ins hohe Alter.

Am sonderbarsten und am meisten auf sich selbst gestellt aber erwies sich diese dreigeteilte Liebesfreundschaft auf jener Reise vom Süden gen Norden heim nach England, jener Reise durch Deutschland, die jedem Engländer als „Journey home“ ein Begriff mit Anfang und Ende, aber ohne rechtes Mittelstück ist, die ein Vierteljahr dauerte und eine Probe sein musste auf die Tiefe und Haltbarkeit eines Verhältnisses, das aller drei Stellung und Ruf in Gefahr gebracht hatte.

Die wissenschaftlichen und die schöngeistigen Biographen Nelsons, der Hamilton und ihres Mannes haben bislang diese Heimreise ziemlich mit Stillschweigen übergangen, sei es, weil ihnen der Name des verehrtesten englischen Admirals mit Deutschland keine Zusammenstellung zu sein schien, sei es, weil die Nachrichten darüber sehr spärlich, sehr zerstreut, nur mühsam auffindbar und teils unbekannt waren, sei es, weil man bislang gern solche Ereignisse für die bedeutendsten im Leben der Helden hält, die mit grossen Schlachten, Abenteuern, Lebensgefahr und amtlichen Auszeichnungen verbunden sind.

Abgesehen davon, dass sich nirgends unverblümter die innere Eigenart von Menschen offenbart als auf längeren Reisen, reizte es den Berichterstatter auch betreffs des Hintergrundes an Zeit, Persönlichkeiten, Städten und Landschaft, die Lücke in der Kenntnis jener drei berühmten Engländer auszufüllen. Über die langwierigen Vorarbeiten, über die technischen Schwierigkeiten, über die Mischung aus einwandfreier Quelle, Anekdote, Verknüpfung, Anspielung, Möglichkeit, Glosse und Ergänzung erlaube man ihm zu schweigen.

Die Angelegenheit spielt im Jahre 1800, zu einer reizvollen Jahrhundertwende, unserer Zeit ähnlich, da der Abstand von der französischen Revolution dem Abstande von der deutschen in den Jahren, da dies geschrieben wurde, entspricht und manches andere bemerkenswerte Parallelen aufweist.

Triest–Laibach * Die grosse Passstrasse

Geschichtliche Plattform. Nelson und Napoleon.

Es war schön gewesen zu Neapel, Geld, Paläste, Feste, Kunst und Künstler, klassische Ausgrabungen, Ausschweifungen, Landschaft und Leben die Hülle und Fülle, erheitert vom üppigsten aller Höfe, der gemischt war aus Bourbonensaft und Maria Theresia.

Indessen begann die französische Revolution. Sie erschütterte die Welt, aber noch nicht Neapel. England ersah kühl die günstige Stunde, rundete seine Besitzungen auf der Erdkugel ab und schämte sich nicht, die Alleinherrschaft über die Meere anzutreten. Es verbündete sich mit allen militärfähigen Völkern, bei denen in Übersee nichts zu holen war, Russland, Deutschland, Portugal, Neapel und der Türkei, damit sie die Franzosen in Schach halten sollten und verhindern, dass die grossbritannischen Geschäfte gestört würden.

Aber aus der Revolution stand der kleine Leutnant Bonaparte auf, der durchschaute mehr, als gut war und war gefährlicher als Ideen und Guillotinen. Das Schicksal hatte ihn ausersehen, der Timur des Westens zu sein. Und er griff nach dem uralt ewigen Schlüssel Asiens, Europas und Afrikas, nach der Landenge von Suez, was den Engländern nicht recht sein konnte.

Doch das Schicksal meinte es gut mit den Engländern und liess aus dem zarten Knaben und Pastorensohn Horatio Nelson einen rauhen Seemann werden und machte einen grossen Admiral aus ihm und liess ihn die Ägyptenflotte Bonapartes zu Abukir am Nildelta erschnappen und vernichten.

Aber Bonaparte selber schwebte wie in Engelswolken unsichtbar hin und her übers Mittelmeer; denn das Schicksal dachte, es sei erstmal genug, und liess den kleinen guten Horatio an den seligen Küsten Neapels landen und in Liebe fallen zu der immer noch schönen Lady Hamilton, obwohl sie mit Sir William, dem englischen Gesandten, verheiratet war. Und Admiral Nelson sah seine leibhaftige Göttin in ihr. Zwar hatte er eine Frau daheim, ging aber nicht nach Hause, zwei Jahre und mehr.

Die drei zu Neapel vertrugen sich gut.

Schliesslich wurde aber auch das schöne Neapel von den Jakobinern erreicht. Man musste nach Palermo fliehen. Ach, wie manches wurde zerstört. Jedoch nicht die Dreieinigkeit. Da erhielt Lord Nelson vom neapolitanischen König den Auftrag, die Revolution niederzuschlagen. Viel Unliebsames geschah. Viel Blut wurde vergossen. Es wurde unerfreulich am Tyrrhenischen Meer.

Lady Hamilton will über Land reisen.

Wie nun die verschiedenen Umstände es fügten, verliessen sie, Sir William Hamilton, Lady Emma Hamilton und Lord Horatio Nelson gemeinsam das schöne Land Italien, beziehungsweise Sizilien.

Da nun aber die angebetete Emely seit einiger Zeit an Erbrechen und Zahnschmerzen litt, verlockte sie ihren Mann und auch ihren Geliebten Nelson, noch ein wenig nach Neapel, Livorno oder Genua zu fahren, ehe man die lange schreckliche Seereise nach England antrete.

Heimlich aber gedachte sie, den Landweg zu nehmen, da sie fürchtete, auf der See vor Übelkeit zu sterben. Und weil es sich so machte, dass ihre Busenfreundin Maria Karoline, Königin von Neapel, Geschmack daran fand mitzufahren und einen diplomatischen Abstecher nach Wien zu ihrer kaiserlichen Tochter ins Auge fasste, und die Seeschiffe Shakespeares seit einiger Zeit nicht mehr in Böhmen anlegten, so war alles so gut wie sicher.

Dafür war dem kleinen Admiral und Lord vom Nil, frischgebackenen Herzog von Bronte, Horatio Nelson, old good sailor, weniger gut. Und die öffentliche Meinung dachte ähnlich. Denn:

Ein Seemann darf lieben in Luv und Lee,

Aber auf See gibt es nur Seemann und See.

Die Hamilton aber wusste Nelson zum Troste zu sagen, dass die Karte von Deutschland aussähe wie eine Harlekinshose und daher viele Empfänge an vielen Fürstenhöfen bevorständen, die sehr geeignet seien, das abgekühlte englische Volksgemüt bezüglich des Siegers vom Nil wieder anzuheizen.

Liste der Reisenden.

Es war Juni, als man mit dem Doppeldecker Foudroyant von Palermo abreiste. Neapel und seine unbequemen Erinnerungen liess man über Steuerbord liegen. Und gelangte nach Livorno.

Und an Bord befanden sich: Die Königin von Neapel, Marie Karoline, mit einem Prinzen und drei Prinzessinnen, eine einst schöne Blondine mit verquollen stechenden Augen, verbissenem Mund, lüsternen Mundwinkeln und dem Kinn eines Viehknechtes. Sie war hoch in jenen Jahren, die der Seemann entsprechend den unbehaglichsten Breitengraden der Meere die „roaring forties“ nennt. Bei unpolitischen Gelegenheiten unterzeichnete sie mit: Charlotte.

Ausserdem war Kardinal Ruffo dabei, Organisator der Gegenrevolution, aber kein Mussolini. Dazu einige Minister, Hofdamen, Ärzte, Köche, Lakaien und Zofen, im ganzen siebzig Personen Gefolge.

Sodann Sir William Hamilton, Ex-Gesandter, lang, hager, sehnig, alter Gentleman mit schwerlidrigen, müden Geniesseraugen, langlappigen Ohren und dünnem, gewitztem Munde, im Dezember siebzig Jahre alt.

Sodann Lady Emma, durch ihre Schönheit nach bewegtem Leben aus der Tiefe aufgestiegen und seit neun Jahren seine berühmte Gattin. Immer noch etwas ungeschliffen, oft zu laut, vermochte erregt in ein saftiges Waliser Bauernslang zu geraten, doch bezaubernd im Wechsel ihres Ausdrucks der Augen, der Hände, des Ganges. Nicht mehr schlank trotz aller kosmetischen Mittel, zudem in andern Umständen, ohne dass es bekannt werden durfte. Sie hatte zu Livorno in einem verstaubten unmodernen Laden ein Korsett aufgetrieben, ein Kleidungsstück, das seit zehn Jahren in der ganzen Welt verpönt und ausgestorben war. Ihre ganze Erscheinung war die der Yvette Guilbert um 1930, antik entlehntes Kostüm, antike Haartracht, Grösse, Format, Gesang, Mimik; nur ein wenig jünger.

Sodann Lord Nelson, knabenhaft klein, mager wie ein Schaukelpferd, Held vieler Schlachten, grosser Segler, Stratege und Taktiker der Meere, zur Zeit niedergedrückt, voll Sorgen für die Zukunft, abgebauter Höchstkommandierender im Mittelmeer, durch Verwundung einarmig, einäugig, nervös; blassblond, mit dünnem widerspenstigem Haar, auf dem kein Puder sich hielt und das hinten in einen mageren sogenannten Schweineschwanz gedreht war.

Sodann Frau Cadogan, betagte Mutter der Lady Hamilton, bösen Zungen nach frühere Waschfrau, von Nelson genannt: Signora Madre; am Dienstbotentisch: Mutter Cat; ging gebeugt, demütig und immer wie auf Zehenspitzen. Wagte niemals zu klagen, konnte Karten legen und hütete ein Dutzend Medizinflaschen und Teetüten für allerlei Übel.

Sodann Fräulein Ellis Cornelia Knight, Admiralswaise in Schwarz mit von einem Schornsteinfeger ererbten Vermögen, Schriftstellerin, vortreffliche Zeichnerin, lieb Kind im Hause Hamilton, Poeta laureata Nelsons, ebenso alt wie er, drei Jahre älter als die Lady und fünf jünger als Karoline, nämlich zweiundvierzig.

Ausserdem John Tyson, tüchtiger Sekretär Nelsons, der seine Kasse verwaltete, glatzköpfig, bäuchig, starker Raucher, ein Mann, mit dem man einen vertrauten Umgangston pflegte und der mit am Herrschaftstisch ass. War früher Zahlmeister, trug Tag und Nacht einen kostbaren Brillantring, Geschenk der Königin von Neapel.

Sodann Gaetano, ein lockiger Lazzarone, den Sir William zu einem brauchbaren Menschen und Diener erzogen hatte.

Sodann die kleine sogenannte Mary-Ann, sizilianisches Hausmädchen, deren Eltern froh warm, sie los zu sein. Wegen ihrer stolzen Haltung mit ihrem eigenen Namen Ré Giovanna genannt. Sie wäre gern Königin oder Admiral geworden.

Und auch: Loinette, eine französische Zofe, nicht mehr jung, ein bisschen verknittert und spitznäsig, aber sehr anmutig mit sehr zwitschernder Stimme und verführerischen Beinen, die sie gern zeigte.

Und dann: (obwohl von Kapitän Chamier entlehnt) Bootsmann Brace, der Steward Nelsons, ein vierschrötiger braver Kerl, rothaarig, was er unter einem schwarzen Haarbeutel, als dessen Band ein Stück französischer Admiralslitze aus der Schlacht bei Abukir diente, zu verbergen suchte.

Und schliesslich: Fatima oder Fatme, eine Mohrensklavin, der Hamilton von Nelson geschenkt (was später näher erzählt wird), mit dem von Fräulein Knight erfundenen gelegentlichen Namen Della Mare.

König Ferdinand blieb daheim; denn er war ungeeignet für die feinere Auslandspolitik und vertrieb sich besser die Zeit mit Jagd auf Fasanen und Revoluzzer.

Das Gepäck und ein Sarg.

Unter dem Gepäck Nelsons und der Hamilton befanden sich ein Äffchen, ein Papagei, ein Bologneser Hündchen, eine Harfe Lady Hamiltons, eine englische Kutsche für vier Personen, mehrere Kisten mit griechischen Vasen, Terrakotten, römischen Gläsern, Bronzen, Elfenbeinschnitzereien, Goldschmuck, Gemmen und Münzen, einige Marmorstatuen, das Gemälde mit dem lachenden Knaben von Leonardo da Vinci und allerlei Trophäen aus nelsonischen Schlachten, zum Beispiel das Schiffswappen vom Guillaume Tell, die Flaggenstange vom L’Orient, dem französischen Admiralsschiff, das bei Abukir in die Luft flog, und aus dem Grossmast desselben auch ein Sarg, den Nelsons Offiziere sinnigerweise hatten anfertigen lassen, ihrem Führer zum Geschenk, der stolz darauf war und darin einst begraben sein wollte, weshalb er ihn immer bei sich führte.

Es hilft nichts, man muss über Land.

Zu Livorno erfuhr man leider bald die unglückliche Mär von der Schlacht bei Marengo. Der Gottseibeiuns Bonaparte, inzwischen erster Konsul und Alleinherrscher Frankreichs, war wie weiland Hannibal und Barbarossa über die Alpen gekommen, hatte in einem kleinen Monat Oberitalien genommen und die Österreicher, die beste Hoffnung der europäischen Christenheit, mörderisch geschlagen.

Wie bitter war es für Nelson, dass die Entscheidung herbeigeführt hatte ein gewisser General Desaix, der mit Urlaubertruppen frisch aus Ägypten angelangt und also den englischen Kreuzern wieder einmal entgangen war. Nun musste die Admiralsflagge runter vom Top des Foudroyant, und die hübschen Matratzen flogen über Bord. England konnte sich keinen Passagierdienst leisten. Sizilien war angeblich in Gefahr.

Ärgerlich schrieb der kleine verdiente, ordenüberregnete Admiral an den ihm unliebsamen neuen Chef im Mittelmeer (Keith):

„Livorno, 24. Juni 1800:

Den Foudroyant zurückzuziehen, hat eine Palastrevolte ergeben. Wenn Sir William und Lady Hamilton über Land heimreisen, ist es meine Absicht, mit ihnen zu gehen ...“

Eine Woche später schrieb Fräulein Knight an das Idol ihrer jungfräulichen Träume, einen Kapitän Berry: „Lady Hamilton erträgt den Gedanken nicht, über See nach Hause zu fahren, und nichts kann unsere Reise nach Wien mehr verhindern.“

Nelsons letzte Hoffnung, der Vormarsch der Franzosen, wurde durch einen Waffenstillstand zunichte. Über Mailand oder Venedig nach Triest zu gelangen, war unmöglich. Jedoch die Strasse über Florenz nach Ancona war noch frei.

Quer durch Italien.

Die Königin aber, da sie sah, wie man Nelson und die Hamiltons betreffs des schönen Schiffes schnöde behandelt hatte, wandte sich von ihnen und fuhr ab ohne sie. Man rollte mit dem Gesinde hinterher. Vierzehn Kutschen voll Menschen, drei Lastwagen mit den Bergen Gepäck, schreckliche Strassen, unerträgliche Hitze, Staub, Achsenbrüche, verrenkte Schultern, gequetschte Rippen, verstauchte Knie. Über Florenz, Arezzo, Perugia, durch armseliges Land. Und immer die Angst, von den Franzosen geschnappt zu werden. Nelson so billig zu Lande auszuheben: das wäre vielleicht ein republikanisches Fressen gewesen! Denn mit England war Krieg wie bisher.

Man kam wieder ans Wasser nach Ancona. Ancona hatte man vor Jahresfrist für Österreich miterobert. Da lag für die Königin, Mutter der k. k. österreichischen Landesherrin, eine Fregatte bereit, wurde ausgeräumt, statt der Kanonen mit Teppichen bestückt, mit hübschen Betten, Kissen, Bildern, Spiegeln und Musikinstrumenten versehen, mit Geflügel, Gemüse und Leckereien.

Klein Nelson sagte: Nein! Drei Fischkutter entern das süsse Karussel wie nichts.

Russische Schiffe; ein Revolutionär an Bord.

Es lag auch ein russisches Geschwader im Hafen. Vier Fregatten, davon drei zu 50 Kanonen, eine zu 40 und eine Brigantine zu 10. Insgesamt etwa 2000 Mann Besatzung. Das deuchte dem Helden sicherer. Er war Privatmann und hatte das Recht, vorsichtig zu sein. Das Heldentum der Privatmänner heisst Vorsicht.

Freilich sahen die Kästen finster aus und waren es auch. Und die Königin stellte Nelson zur Rede, warum der Foudroyant nicht nach Ancona gekommen (als ob er ein Luftballon sei), und sie war ungnädig über die Engländer, verliess jedoch angstvoll die heiteren Kabinen des österreichischen Lustkreuzers und verkroch sich mit ihrem engeren Hofstaat unter die schmutzigen Decks des Flaggschiffs Nawarschia, wo denn auch Nelson und die Hamiltons abblieben. Mindere Charaktere, wie beispielsweise Mutter Cadogan und Fräulein Knight, wurden auf die übrigen Schiffe verteilt und hatten es besser.

Auf dem Flaggschiff Nawarschia war ein Offizier, der das Kommando führte, weil Graf Voinowitsch, der Geschwaderchef, teils betrunken, teils seekrank zu sein pflegte. Er hiess Capaci und war aus Neapel, wo er unter Caracciolo am Umsturz teilgenommen hatte, aber entkommen und in die russische Marine eingetreten war.

Und er freute sich, dass ein Wind aufkam, der geeignet war, die Gedärme zu beunruhigen. Und als alles drüber und drunter lag zwischen den düsteren, fauligen, mit zerrissenen Segelbahnen notdürftig abgeteilten, von Ratten und Kakerlaken reichlich bevölkerten Schiffsräumen, da sagte er offen und laut, dass dies alles ein Paradies sei gegen die Kerker zu Neapel oder Messina. Und dass es einen gerechten Ausgleich gebe.

Der sterbenskranken Königin in der elenden Kajüte des Kommandanten Voinowitsch blieben diese Reden nicht verborgen, aber hier war ihre Macht zu Ende, und Lord Nelson war zu erfahren in den internationalen Möglichkeiten auf See, als dass er unnötige Worte verschwendete. Es hiess ausharren. Und der Wind blies aus allen Trompeten. Die Adria schäumte wie ein tollgewordener Waschbottich. Als sollte die ganze schmutzige Wäsche der Jahrhundertwende in eins gewaschen werden.

Die Hamilton wimmerte, Capaci würde das Schiff absacken lassen. Der kleine Lord, noch munter, sah sich daraufhin an Deck die Boote an. Sie waren allesamt wie Teesiebe. Capaci dennoch sah nicht aus, als würde er mit ihnen als Opfer seiner Überzeugung und seiner Rache sterben. Und der Privatmann Nelson prüfte strengen Auges die Segelstellung und hätte gern das Kommando übernommen.

Aber der Hund von Capaci verfolgte den mastaufgewandten Blick des kleinen Admirals, kam freundlich die Schanze entlang und sagte höflich: „Hier gibt’s nicht zu henken, Herr Engländer!“

Erinnerung an einen gehenkten alten Mann.

Das machte unserm Helden kummervoll zu schaffen und warf ihn in die Hängematte, und er bekam seinen halbjährlichen Krampfanfall, und sein Magen erinnerte sich an jenen Manzanillazweig, der einst zu Westindien heimtückisch in der Pfütze hing, aus der er seinen Fieberdurst löschen wollte. Und Caracciolo erschien ihm und baumelte wie ein Hampelmann herab und streckte ihm die Zunge aus.

Caracciolo war ein alter Herr gewesen, einst Chef der neapolitanischen Admiralität, des Umsturzes verdächtig, den hatte Lord Nelson an die Rah knüpfen lassen und danach, mit drei 32pfündigen Doppelkopf-Kanonenkugeln beschwert, dem Meer übergeben. Der Mann war ein Fürst gewesen und so alt wie Sir William, vornehm und weisshaarig und war wieder an die Oberfläche gekommen und verfolgte ihn oft im Traum.

Ein Diamant und ein Herzogtum.

König Ferdinand von Neapel aber verlieh dafür den Titel Herzog von Bronte an Nelson und einen Ehrendegen mit vielen kleinen und grossen Diamanten. Der grosse Diamant war gelblich, und der Degen stammte von des Königs Vater aus Spanien und hatte sozusagen Neapel erobert und gebühre nunmehr dem Wiedereroberer. Das Herzogtum Bronte, nahe dem Berg Ena in Sizilien, nach einem der Zyklopen benannt, was schmeichelhaft gedacht war für den einäugigen Helden, brachte angeblich zwei- bis dreitausend Pfund Sterling jährlich ein. Nelson hatte einen Verwalter bestellt, welcher ersah, dass es dort etwa soviel koste wie es einbringen sollte.

Bronte bedeutet Donner, und dasselbe bedeutet der Name von Nelsons liebstem und ihm nicht mehr gegönntem Schlachtschiffe Foudroyant. Es waren grosse Namen, jedoch die Gelegenheit, ihnen nachzueifern, war spärlicher geworden, die See war ruhig, und der Lorbeer wuchs nur auf den Bäumen, und auch Sir William und Lady Emely hatten gefunden, dass die Zeit des Ruhmes dahin sei.

Verflucht! Die Russen sind schuld! Nelson brüllte es seiner armen Seele zu. Die Russen hatten ihn im Stich gelassen. Er hatte selber zu wenig Schiffe, der Zaun zwischen Alexandrien und Toulon war zu dünn, der Satan Bonaparte wischte hindurch. Die verfluchten Russen! Auch vor Malta. Die Russen. Auch bei Neapel, was sie ja statt seiner hätten zurückerobern können. Auch jetzt. Diesen elenden sogenannten Fregatten Russlands waren sie ausgeliefert, nichts anderes hatte man ihnen gegönnt, der Königin, einer Königin! Und den Hamiltons. Und ihm.

Sturm in der Adria.

Das Schiff tanzte wie ein weggewehter Strohhut. Keiner ausser den Matrosen, der sein Inneres bei sich behielt. Selbst die Ärzte lagen Gott weiss wo und konnten sich und andern nicht helfen. Da gedachte die Königin an die Flucht nach Palermo, Weihnacht vor zwei Jahren; da war ihr kleiner Sohn Prinz Albert gestorben. Es hatte sie wenig gerührt und er erschien ihr jetzt, sie zu ängstigen. Sie verlangte nach frischen Feigen, womit die Sizilianer alle Krankheiten heilen. Aber es gab keine, und sie glaubte, sie müsse nun ebenfalls sterben.

Aber auch Capaci erschien und war lebendig und sprach mit Kardinal Ruffo und wärmte alte Geschichten auf aus der Revolution, beispielsweise die Taten eines Priesters namens Rinaldi, gegen den Rinaldini wirklich nur ein kleinerer war, der mit eigener Hand sechs „Jakobiner“-kinder in Stücke gehauen, zwei Revolutionären die Bäuche aufgeschlitzt und den Arm eines am langsamen Feuer geschmorten Republikaners verzehrt habe und noch dazu eine königliche Auszeichnung empfangen; und auch die Sache mit dem Gelehrten und Malteserritter Dolomieu, der zu Messina sass und mit angebrannten Hölzchen seine Naturgeschichte der Mineralien auf die Blattränder einer Bibel schrieb. Die Dolomiten heissen nach ihm. Ein Franzose, ein Forscher und Revolutionär, den man auf der Fahrt von Malta nach Marseille als Schiffbrüchigen aufgefischt und aufs Grausamste eingekerkert hatte. Denn man schob ihm zu, Malta an Bonaparte verraten zu haben. Und auch, dass gewisse Geheimverträge zwischen Neapel und Russland betreffs Malta durch ihn gescheitert seien.

Was war mit Malta?

Malta. Es war ein wunder Punkt für den armen Nelson. Als Bonaparte nach Ägypten fuhr, hatte er es im Vorbeigehen den Ordensrittern abgekniffen. Nun belagerte England es gemeinsam mit Russen, Türken und Portugiesen seit Jahr und Tag. Und Nelson hatte in treuer Einigkeit mit den Hamiltons die nette Insel unter der Hand an Neapel versprochen. Denn Königin Karoline hatte gesagt, dass Karl V. Malta den Johannitern zum Ersatz für das verlorene Rhodos gegeben habe. Seine Nachkommen aber seien die Könige von Neapel. Das wollte man in London nicht recht einsehen.

Grossherr des Malteserordens aber war plötzlich Zar Paul I., der seinerseits das liebliche Eiland als Sommerfrische und russischen Flottenstützpunkt begehrte und sich herbeiliess, Lady Hamilton zur „Petite Dame de Croix“ zu machen, indem er ihrer durch Nelson unterstützten Legende von einer nie angekommenen Getreidelieferung für die armen hungernden Ritter Glauben schenkte, wohl wissend, was Weiber vermögen, obgleich er wirren Geistes war. Dolomieu aber und Capaci hatten Wind von diesen Schiebungen.

Man muss Dolomieu freilassen! riet der neapolitanische Revolutionär dringlich. Ruffo entgegnete übelriechend und achselzuckend: Wir werden dem Verlangen Russlands nachgeben und ihn dem Zaren ausliefern, mit einem kleinen Hinweis auf den Anreger.

Das brachte den Kapitänleutnant in russischen Diensten Capaci in Zwiespalt. Mit Petersburg war nicht zu spassen. Er schwieg und ging. Setzte aber den Kurs ein wenig querer gegen die See, so dass alle es spürten und des Jammerns und Stöhnens kein Ende war. Und auch dem Äffchen, dem Papagei und dem Hündchen ging es nicht gut; denn niemand dachte daran, sie zu füttern.

Freunde.

Mit Nelson im selben Verschlag lag Sir William; den überkam ein altes Gallenfieber, und die Ärzte, die Bootsmann Brace im wahrsten Sinne an den Haaren herbeizog, gaben alle Hoffnung auf. Und wieder erschien Capaci wie ein böser Geist und gemahnte Sir William an die Brüderlichkeit aller Wissenschaft, und wenn ein gewisser Hamilton über die Vesuvausbrüche und über die Entdeckungen zu Pompeji geschrieben habe, so habe ein ebenso gewisser Dolomieu über die kalabrischen Erdbeben und über die Arten der Gesteine geschrieben, und Sir William wie auch Lord Nelson sollten ihm versprechen, darauf hinzuwirken, dass der Mann freikomme und nicht wie Caracciolo unschuldig verrecken müsse.

Sir William lag, da eine hinreichende Hängematte nicht aufzutreiben ging, mit hochgezogenen Knien in einer Art Bett, das genau so wenig für seine Länge berechnet war. Gaetano hatte es kurzerhand aus Nelsons Sarg zurechtgemacht. Und Nelson erspähte es in seinem Leiden und sagte auf englisch durch das Gewinsel des Schiffes: „Alter Junge, am Ende dieser Fahrt werden wir mager genug sein, gemeinsam Platz zu haben in meiner Totenkiste. Versprechen wir diesem räudigen Zuchthäusler was er will. Wir sterben für Gott, König und Vaterland.“

„Und für unsre Lady!“ fügte der alte Kavalier hinzu: „Gut, wenn wir leben bleiben, soll das unser Dank sein!“ wandte er auf italienisch die schweren Lider an den verflucht jungen und munteren Capaci, der darauf wie ein Gespenst verschwand und die Vision einer gewissen Ausgrabung hinterliess, und jene Worte, die Sir William aufgeschrieben hatte, hingen deutlich in der dicken Luft: Auf der Strasse, gleich vor dem Tore der Villa kam ich eben dazu, als man ein Gerippe ausgrub. Auf mein Ersuchen, dass die Arbeiter den Hirnschädel und die Gebeine ganz sachte wegnehmen möchten, ward ich in der unten liegenden Masse recht deutlich der vollkommenen Abbildung aller Gesichtszüge dieser Person gewahr und sah, dass die Augen geschlossen gewesen waren.

Und er bedauerte, nicht unter einem Aschenregen zu sterben. Aber weniger schön war, dass der Abdruck der Gesichtszüge dem Kopfe Caracciolos zu gleichen begann, wie er über dem Wasser aufgerichtet seegrasbärtig daherschwamm und den Stumpf einer von Fischen angefressenen Zunge gegen ihn ausstreckte. Womit gesagt werden soll, wie das Empfinden zweier Freunde zusammenhängen kann.

Nelson seufzte hohl auf. Da lächelte Sir William mühsam in seinem Fieber und sagte in Abständen: Alter Seiler. Wir haben manches gemeinsam. Die Liebe, die Sünden, die Visionen und den Sarg. Aber für den König zu sterben, das überleg dir. Georg III., der unsre Abberufung zuliess, ist ein leeres Schwein und sein Sohn auch.

Bootsmann Brace, aufrecht und treu, wischte ihm mit einer Hand den kalten Schweiss von der greisen Stirn, mit der andern aber stoppte er den schaurigen Schwung, in den die Hängematte seines Admirals geraten war.

Und die Hamilton?

Lady Hamilton vernahm einiges von den teuern Gesprächen, sie lag nebenan und sagte manches dazwischen, was keiner im Lärm auffasste, hörte auch den Arzt, schrie, flehte, aber sie war nicht fähig aufzustehen. Sie wimmerte den Namen der beiden Männer, die sie liebte; sie weinte, da sie fürchtete, beide zu verlieren, redete sich gut zu, hörte durch das Deck, wie die Königin nach ihr rief; und schwieg. Alles lag hier dicht an dicht, nichts blieb verborgen. Es war entsetzlich, schamlos, gemein, und ging doch unter im Getöse. Sie fluchte mit männlichem Organ auf die Russen, ein verzweifeltes höllisches Echo stimmte ein. Sie versank in sich, fühlte an sich umher, dachte an Romney, der sie so oft gemalt, als sie noch jung und dumm und schlank gewesen war, auch an Reynolds, Tischbein, Rehberg, Angelika Kauffmann. Ihre Schönheit würde der Nachwelt nicht verloren gehen.

Zu ihren Füssen hockte Fatima, die kleine Mohrin, in sich gekrümmt, verhüllten Hauptes, zuckend unter den Schwingungen des Schiffes, doch ohne Laut. Sie stiess mit den Zehen nach ihr: „Fatme! Wasser! Zitronen!“ Fatme kroch davon, kam wieder. Nichts. Es gab nichts auf diesem Schiff.

Die Hamilton biss die Zähne zusammen, presste den Nacken steif gegen eine gerollte Wagendecke, die das Kopfkissen ersetzen musste. Sie dämpfte ihre Übelkeit. Erbrechen würde ihr schaden. Sie war leer bis zur Galle. Ruhe! Schlaf, Kindchen schlaf! Die Nacht ihres Geburtstages im vergangenen April flog hin und her über ihre Seele. Damals schwebten sie zwischen Malta und Palermo, nicht weniger stürmisch, aber in einem schöneren Boot, in Nelsons Flaggschiff. Und Nelson war gekommen, sie zu trösten. Der tolle Knabe Horatio.

O toller Held, o Ruhm, o weite Welt! Sie war erfahren genug. Zweimal hatte sie ein Kindchen gehabt. Verdorben, gestorben. War es denn wahr? Niemand wusste es. Niemand? Ihre Mutter kaum. Und ihre Mutter schwieg. Wo war sie? Jetzt wäre es Zeit; ein bisschen mütterliche Redensarten, das wäre vielleicht angenehm. Nichts! Nichts auf diesem Schiffe. Nur sie. Auf sie kam es an. In ihr wuchs der neue Knabe Horatio, mit zwei Armen, zwei Augen, o toller Heldenheld! O über alle Welt, sternenhoch gestellt.

Es schien ihr fast so gut wie Cornelia Knights Gedichte. Die treue, sture, keusche, angejahrte Musenbonne Ellis Cornelia Knight. Doch das Geburtstagsgedicht war wunderschön. Cheer up, Delia! Hiess es nicht: Delila? Oder Emma? Ah, Nacken steif! Emma Hart! Alias Lion! Alias Lady Hamilton! Alias Herzogin von Bronte? Elias, Prophet, sage mir ... So Allah will, kleine Fatuma! —

So und ähnlich sprach Lady Hamilton sich Mut zu auf dieser ungemütlichen Fahrt.

Triest in Sicht.

Doch eines sinkenden Tages erscholl der Ruf: „Triest in Sicht!“

Das brachte die meisten wieder auf die Beine. Und die österreichische Fregatte La Bellona begleitete die Russen in den Hafen, teils zur Ehre, teils aus Argwohn. Es war schon gegen acht Uhr abend, auf einem Freitag, die Offiziere der Hafenbatterien waren fast alle zum Flanieren, so dass kein Salut gefeuert werden konnte.

Auf Nebengärten und Kirchenkuppeln tupfte ein letztes Abendrot, helle flache Häuser waren in Hügelrücken gespickt, es machte Appetit, es räucherte auch Duft von Olivenöl, Rosen und staubiger Erde.

Hoch auf einem Schlossturme bergoben flatterte steif eine grosse Fahne. Durchs Glas erkannte man deutlich den doppelköpfigen Adler, das Wappentier des altehrwürdigen, jetzo ein bisschen ins Wackeln geratenen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

Man geht an Land.

Lady Emma entzog sich der judashaften Umarmung der Königin, die als erste ausbootete, und sah nach ihren Koffern. Auf dem Kajütgang schrie sie Fatme an, die wie ein dunkler Schatten auf sie gewartet hatte: „Lavendel, rasch, mir wird wieder übel!“ Sie übergoss ihr zerknülltes Taschentuch. Ein reines war nicht mehr vorhanden, diese schreckliche Reise hatte keine Zeit zum Waschen gelassen.

Fatmes grinsende Zähne tickten aufeinander. Die Hamilton fragte: „Fürchtest du dich vor England?“ Die Schwarze antwortete zitternd: „Ich haben gehört, dort immer kalt sein und Nacht“ ... Ihre Herrin nickte tragisch: „Das kann verdammt stimmen.“

Sie liess sich das Diamanthalsband umlegen, das ihr die Königin noch in Livorno geschenkt und schlang den kostbarsten indischen Schal um, so schön und geschickt wie keine in Europa. Wenn denn Karolina allein und zuerst fahren musste, um den behördlichen Büffeln in die devoten Mäuler zu lächeln, gut, mochte die ihr Vortrab sein, Vortrab für die eigentliche Königin neben dem eigentlichen König.

Sir William war so schwach, dass Brace und Gaetano ihn unter die Achsel fassen und so tragen mussten.

Nelson war wieder aufrecht. Das Volk rief lauter Vivat als bei der Königin. Er trug in seiner Hand den neapolitanischen Ehrendegen. Wohl hatte der russische Offizier Capaci beim Abschied spöttisch gesagt, gelbe Diamanten bringen kein Glück. Aber die Hamilton hatte schlagfertig geantwortet: „Den Neidern nicht!“

Der Jahrestag von Abukir.

Die Engländer wohnten im deutschen Gasthaus zum Kaiseradler, der sich auf das frühere alte Zollhaus gesetzt hatte, indem Österreich einen Freihafen aus Triest machte. Die Königin hingegen stieg in der Osteria Grande ab.

Zufällig war gerade der erste August, Jahrestag der Schlacht, die vor zwei Jahren die Ägypten-Indien-Sehnsucht Bonapartes zerstört hatte.

Das Bologneser Hündchen, das der Schlacht zu Ehren auch Abukir getauft war und Aby gerufen wurde, trug eine weiss und rote Schleife und bekam eine Salami. Man trank Wein.

Und Fräulein Knight musste noch einmal die Verse hersagen, darin sie die weltbewegende Tat besungen hatte: „Britannias leader gives the dread command ...“

Britanniens Führer winkt, und gnadenlos

Gehorsam dem Befehl, schiesst Glut herauf;

Die wilde Berstung reist den Himmel auf,

Hoch saust die schwere Masse wolkenwärts.

Das Land erzittert vor dem grausen Stoss,

In eins erdröhnen Lüfte, Meer und Herz.

Den starren Pyramiden wird es kund,

Ihr Urgefüge schauert bis zum Grund.

Man wollte Nelson zu Ehren auch das italienische Lied singen auf die Melodie von den englischen Eichenherzen ... applaudi del gran Nelson la vittoria. Aber der Held winkte ab, da sein bester Freund, Sir William, nicht wohlauf war und schlafen musste.

Als Brace nun seinem Admiral beim Auskleiden behilflich war und leuchtenden Auges noch einmal des ungeheuerlichen nächtlichen Kampfes gedachte, schüttelte Nelson übermüdet den Kopf, und die tiefe Stirnnarbe von damals brannte rot. Ob es wahr sei, fragte er, dass der zehnjährige Sohn des französischen Oberbefehlshabers am Gefecht teilgenommen habe und umgekommen sei. Der treue Brace antwortete: „Jawohl, Euer Gnaden. Er hielt sich ja noch am Mast im Wasser und rief nach seinem Vater, und dann ist er uns ja aus den Augen gekommen.“

Der Sarg im Hafen.

Den andern Morgen trieb im Hafen von Triest ein schwarzer Sarg, mit Blut besudelt, und ein Segel war darauf errichtet, auf dem stand: Caracciolo. Als die Behörden seiner endlich habhaft wurden und ihn öffneten, lag darin ein erwürgtes Lamm.

Es war aber nicht der Sarg Nelsons gewesen, der vielmehr mit dem Gepäck ins Hotel geschafft worden war.

Und die behördliche Entrüstung verfügte alsbald, dass der am Abend unterbliebene Kriegssalut nunmehr nachzuholen sei von allen auf der Reede liegenden Schiffen und von den Batterien des Kastells, der Mole und beim Lazarett, was um elf Uhr denn auch ausgeführt wurde.

Inzwischen hatte sich der englische Konsul zu Triest, Herr Andersson, eingefunden und bot seine Dienste an. Auch Kapitän Messer, ein Engländer, der eins der russischen Schiffe geführt hatte, kam und erkundigte sich nach dem Wohlergehen seiner Passagiere Frau Cadogan und Fräulein Knight und sagte, Graf Voinowitsch wolle sich nicht sehen lassen, denn er sei gebürtiger Dalmatier und hatte geschworen, die Küste nicht eher zu betreten, als bis Triest entweder wieder dalmatinisch oder russisch sei.

Und ehe nicht die unschuldigen Revolutionsopfer zu Neapel gerächt sind! habe der Leutnant Capaci hinzugefügt. Und der Sarg im Hafen wäre nur ein Zeichen.

Ich glaube, dieser Herr, erwiderte die Hamilton rasch, ist ein gewaltiger Idealist und wird sein Leben Wohl auf den Schiffsplanken beschliessen.

Quarantäne, Pass und deutsche Ordnung.

Auch der Quarantänearzt erschien und erklärte, dass eigentlich alle ein paar Tage laut Vorschrift hinter den Eisengittern im neuen Lazarett zur Beobachtung zu weilen hätten.

Herr Tyson durfte dann mit den Pässen weggeschickt werden, und Fräulein Knight wurde ihm als Dolmetscherin mitgegeben. Denn sie war von einem Schweizer Pastoren erzogen und hatte Deutsch gelernt.

Der Passbeamte war ein munterer Wiener, der die Sache scherzhaft nahm, was versöhnlich wirkte, obwohl es ein Glück war, dass Fräulein Knight nicht ganz hinter den Dialekt kam. Und er machte es etwa folgendermassen:

Nelson, a zierlich’s Mander’l, klaa aba dinna wia Bunapate. Des macht des Salzwassa. Des zehrt! Lord vom Nil, Herzog von Bronte. Bronte? Liegt des irgndwo da drunen? Des bronte ihn wohl zu g’fährlich? Des macht die Liabe. Die zehrt aach.

Vornauman Horatio. Ah: Hurräsche? Des hängt mit Hurra z’saum. Guat. —

Da englische G’saundte? Ah so, mit’m Dichter Milton verwandt. H. Milton oder des verlorene Paradies. Muass mehr Bachhenderln und Eiernudeln essen, asunst wird er’s bald g’funden ham. — Sei hochverehrte Gnädige? A bissel gspreizt. Muass fier zwo reich’n. Die Muse des Helden von Abukir. Gaunz Aabukirre. Na is net bees gemaant.

Misses Ca-dogan. Ah, wia se sag’n: Kätteken? A oide Katz. Wird ka Mauserl mehr in Östreich jag’n. — Miss Kniet? Vua wem? Vuam gross’n Nelson natierli. Entschuldigns scho, biettscheen!— Miss Neid! Auf wem denn scho? Auf die dicke Lady? Aba i biettscheen! Se hat a Gsichterl wia de Dame, de da auf’m Thron zwisch’n de zwa Hofmuseen sitzt und es Steiruada in da Haund halt.

Anno 1764. Na, was siech i, Lady Emma is scho sechsadreiss’g Joahr alt? I hab glaubt neinadreiss’g. Is kei Kunst aus de Oins a Vier ze machen. Genehmigt. Kavalierikät muass sei. Und des Fräuln Neid um drei Joahr öta? Nau, des soi nix sag’n, ka Grund zum Neid, Fräuln. Berühmtheit is net so wichtig wia unberiehrt sei. — A, Mister Tyson. Nicht Dieson? A recht: Es haasst Der Sohn oder Nelson. Nässen? Ah biettscheen. Nelson von nass. Des Meer, i vasteh, des is net wenicha. — Dei Sohn? Ah, biettscheen, Teisn. Ei der Teisn! Oeuf, oeuf le mil! — Ah, nau, Mister Brace. Bratsche? Spüht woi de Begleitung. Englisch g’sprochn Blees? R wie L, Blees mir’s Liacht aus, Blees! Jetzt wird’s Nacht. — Fatme. A Negerweiwerl? A Nigger? A Nickerchen. Natierli, derf ni in Kopf schittln. Gebuan? Ah, so net gebuan. Ka Geburane. Schwuaz gebuan. — Und a Dienaschoft, Neapolitano? Dama stempen. Viecha stempen ma stad. Alsdann, her mit der Stempülje! Biettscheen, Fräuln Neid, Herr Teisn, Ihr Diener. Da saan de Bähsse.

Die anatomische Landkarte.

Man nahm die Karte vor, eine bemalte europäische Karte, in der die roten Töne vorherrschten, da sie französischen Ursprungs war und die Verfertiger den Traum der Revolution schon bis Russland hinein über die bunte Flickenkiste gehaucht hatten. Der zerrissene Kontinent lag da recht eingeweidehaft in der spritblauen Seeschüssel. Lady Hamilton umrandete England mit einem schwarzen Stift und behauptete kühn, dass es trotz seiner giftgrünen Farbe das Herz Europas sei der Form nach.

Sir William stimmte zu, lächelte aber mit spöttischer Sportsmannsfalte: Herz Albion stehe leider auf dem Kopfe, und er möge nicht sagen, was Italien ihm dünke, und ob Skandinavien etwa das Gehirn, Russland die Lunge, Spanien die Milz, die Schweiz der Magen, die Niederlande die Nieren, der Balkan das Gedärm, Frankreich die Galle und Deutschland die Leber sein solle?

„Warum denn nicht?“ lachte sie, nicht wenig erbaut über ihre anatomische Anregung.

„Und wir sollen wie eine Laus über diese Leber kriechen?“ seufzte Nelson schwermütig. Und nahm den Stift aus Lady Emmas Hand und zeichnete den Reisekurs mit dicken Strichen hinein: Palermo — Livorno — Florenz — Ancona — Triest — Wien — Prag — Dresden — Magdeburg — Hamburg —Cuxhaven — Yarmouth. Die ganze Linie sah aus wie ein melancholisches Profil, dem Nelsons nicht unähnlich, Palermo als Halstuchperle, Livorno als Gurgel, der Mund in Triest, die Nase in Wien, das Auge in Dresden, bei Hamburg lag die Sorgenfalte der Stirn und in Yarmouth der kitzlige Scheitelpunkt.

Sir William darf nicht sterben.

Und immer blies noch der Wind, zäh brausend, nach Langusten und Lemonen duftend, Wind der Adria. Grund genug, die festliche Illumination der Stadt hinauszuschieben. Man glaubte schon, dass man die Kosten sparen wolle oder könne. Die Königin war jedoch noch nicht fort. Sie lag zu Bett — Nachwirkungen der Reise — und war so krank fast wie Sir William. Doch eher als er erhob sie sich und ging zu der San-Pietro-Kirche, um Gott für mancherlei zu danken und zu bitten. Und wie das Volk so ist, wenn Höhere noch Höheren sich neigen, es jubelte begeistert.

Doch der Hamilton schlug das Gewissen. Wie sollte es sein, wenn ihr Gemahl schon auf der Reise starb? Mit Trauerkleidern macht man schlecht Empfänge, der Rausch des Ruhmes verhält sich vor den Witwen, Festen hat man fernzubleiben, essen darf man wenig, trinken nichts, Attitüden, Gesang sind unmöglich, die freimütige Begleitung, die Vertrautheit, das enge Seite an Seite mit Nelson müsste sofort gegen jeden Ton sein und vorbei: „Mein Gott, du darfst nicht sterben!“ weinte sie an Sir Williams Lager.

„Du meinst, noch nicht!“ meinte er müde, aber das alte gepfefferte Lächeln ringelte schon wieder in wenigstens einem seiner Mundwinkel. Und da er Nelson zur andern Seite seines Bettes erkannte, griff es auch auf die andere Gesichtshälfte über, und er sagte mit Anstrengung, da die beim Sprechen sich notwendigerweise stoppende Luft auf seine geschwollene Galle drückte: „Ich werde mich bemühen, Kindlein! Haben wir den guten Jungen Horatio nun schon aufs Land geführt, so wäre es gemein, ihm die Freude zu versalzen, wo er doch kein Salz liebt ausser in der See.“

„Nein!“ lächelte sie unter Tränen: „Eine Verführung in Trauerkleidern können wir ihm nicht zumuten!“

Aber Nelson mochte nicht auf den leichtfertigen Schwung eingehen, obwohl er ihre Gefasstheit bewunderte. Ihm war höllenschwer. Er hatte immerhin eine Frau in London. Und sein Entschluss, Lady Emma gleich nach dem Tode ihres Mannes als sein Eigentum zu erklären, stand fest bei ihm wie ein Bugsprit bei Windstärke eins, mochte die Welt knistern wie sie wollte.

Aber es war ihm auch honigklar, dass dies Unterfangen, verbunden mit der bevorstehenden Landreise, etwa so verzwickt sein würde, wie mit einem Krokodil über den Vesuv zu reiten.

In den Zeitungen stand, Freunde Dolomieus, voran der amerikanische Konsul in Messina, hätten durchgesetzt, dass der arme Gelehrte zukünftig als Kriegsgefangener behandelt, aber nicht nach Russland ausgeliefert werden solle. Das Schicksal kam ihnen entgegen. Man hatte schon ganz vergessen, was man einem gewissen Capaci auf dem Schiffe versprochen hatte.

Ob Lord Nelson wisse, fragte Messer: dass man in Hamburg-Altona heimlich französische Kaper ausgerüstet habe, um die Postschiffe Yarmouth–Cuxhaven abzufangen und den ganzen, seit vier Jahren so hübsch laufenden England-Hamburg-Dienst zu unterbinden?

Das wäre der Satan! Er hoffe allerdings, von Hamburg mit einer anständigen Fregatte abgeholt zu werden.

Immer noch riefen am Hafen halbnackte Jollenführer: „Due grossi per vedere le Fregatte moscovite!“ Riefen sie nicht auch seinen Namen? Nein, dem Himmel sei Dank, nicht in Verbindung mit dieser russischen Sechs-Kreuzer-Fregatten-Besichtigung. Und dennoch schade! Keinen Kreuzer für Nelson! Für den Abtrünnigen des Meeres, der an der Mole umherstand wie ein Hosenmatz mit blausilbernen Schiffsjungenträumen.

Weiss Sir William?

Und wieder bei Sir William am Krankenlager, wieder, wieder in ihrer Nähe, die alles in ihm besänftigte und neu anfeuerte.

„Lieber alter Haifisch!“ lächelte Nelson dem armen Gesandten a. D. zu: „Du musst es verstehen, ich habe meine Mutter früh verloren, kam aufs Schiff, zwölfjährig, ein ungelenkes Kind. Emely hat die mütterliche Hand für mich. Und dann, du hast doch wenigstens mal ne Tochter gehabt, das ist sie mir auch. Das musst du nun mal anerkennen, mein Junge!“

Sir William erkannte es an. Da war nichts anderes zu wollen: „Du könntest mein Sohn sein, und das tröstet mich, du nicht unberühmter Meertiger und Schwerenöter!“ sagte er und sass schon im Bett, und sein Lächeln war bald das alte: Jawohl, er habe eine Tochter gehabt in erster Ehe, sie sei tot, er würde einen freundlichen Ersatz gern begrüssen.

Und da glaubten die beiden schon zutiefst erschreckten Herzens, dass er ahne, wie es bestellt sei und ein Ersatz ob so oder so nicht gar so ewig fern. Doch als sie ihm vorsichtig auf seine alten Zähne fühlte, stellte sich heraus, dass er entweder ein dreimal durchgegorener Fuchs sei oder aber wirklich nur Lady Emma gemeint habe, die ja seit langem nicht anders wie eine Tochter mit ihm lebte. Und da sie hinter der Tür erwogen, es ihm nun zu sagen, da wuchsen riesengross die englischen Gebäude ritterlicher Ehrbegriffe und die Begriffe der Freundschaft, wie sie ungeschrieben stehen in den europäischen Büchern der Anständigkeit, und sie wussten, dass die Pforten seiner Seele fest in diesen Angeln hingen und dass es grausam sein würde, sie anzusägen, und dass er auch noch zu krank dafür sei.

Und sie atmeten noch ein wenig auf.

Mutter Cadogan jedoch sah ihrer Tochter bekümmert und ergeben nach und hatte längst gemerkt, wie Tag um Tag das lange Kleid ein wenig mehr die Fussspitze freiliess. Nie aber würde sie wagen, in Klarheit das zu denken, geschweige denn auszusprechen, was ihr kundiger Waschfrauenblick von einst durchschaute.

Die berühmte Billington.

Eines Tages tauchte die Billington in Triest auf, aber nicht als die gefeierte Sängerin, sondern um Sir William, den alten wackeren Mäzen, anzupumpen. Als sie hörte, er sei krank, weinte sie der Lady Emma ellenlange Tränen vor. Sie war teuer aufgedonnert, doch nicht ohne Spuren eines ungeordneten Haushaltes. Ihre Laufbahn war kaum weniger sonderbar als die der Hamilton gewesen. Ihr Vater war Sachse, Theaterhornist, ihre Mutter kleine Soubrette, ihr erster Mann Kontrabassgeiger. Sie war geboren in London-Soho, begann in Dublin mit 16 Jahren, verdiente mit achtzehn am Convent Garden zu London 1000 Pfund, musste neidischem Skandal weichen, kam über Deutschland nach Neapel, jung, schön, war bei den Hamiltons gut aufgehoben, hatte in San Carlo unerhörten Erfolg. Als sie den zweiten Abend gerade ins Theater fahren will, trifft ihren Mann, der zuvor zu fett mit dem Bischof von Winchester gespeist hatte, der Schlag. Die Trauerpause verbringt sie im munteren Neapel, tritt dann unerhört erfolgreich auf in Florenz, Venedig, Triest, Mailand. Hier verheiratet sie sich mit einem Franzosen. Es war kein Jahr her.

Sie war immer noch hübsch, aber auch schon reichlich rund, ein tröstlicher Anblick für die Hamilton, die sogleich ungeziert fragte: „Kriegen Sie ein Kind, Beste?“

Elisabeth Billington schluchzte verzweifelt auf: „Natürlich, aber ich will keins von diesem Idioten! Und ich will weg, und es verdirbt mir die Laufbahn, und ich habe doch noch einen Haufen vor, man reisst sich um mich in London“.

Sie nannte unmässige Honorare, und dass sie in Triest ihre Fäden habe und in Venedig und Tujatee trinke und sich nicht mehr prügeln lassen wolle. Die Hamilton schlug ihr vor, doch gleich mitzukommen, nach England. Sie schrie zurück: In diesem Zustand? Der müsse erst erledigt sein. Und dann müsse sie ihr Landgut unter der Hand verscheuern. Aber dann, dann werde sie kommen, und dann solle die Welt staunen. Ihre Zunge entglitt in den rauhen Ton ihrer Kinderzeit zu Soho, und die Hamilton stand ihr mit Geflissenheit darin nach und sprach gewählter als für gewöhnlich.

Ihr war rivalig ums Gemüt, aber auch sehr mitleidig: „Das ist eben der Unterschied zwischen Liebe und Nichtliebe!“ sagte sie sanft in bester Betonung mit leichter dramatischer Geste, die der gefeierten Billington wohl zeigen durfte, dass Bühnenbegabung nicht von einer einzelnen gepachtet werden könne, und wenn man zehnmal zehn Jahre jünger war als andere.

Die Billington hörte nur heraus, dass hier eine Verkleinerung zwischen Ruhm und Ruhm getrieben und ihrer Person zu geringe Beachtung gewidmet werde: „Mensch, Lady!“ trocknete sie derb die Zähren, „Sie haben es leicht mit den beiden kringelwedelnden Katern an der Schürze. Könnte ich dutzendfach haben, aber Scheibe, ich habe darin Pech; die Kerle, die ich heirate, entpuppen nur Dreck, ich muss sehen, sie wieder loszuwerden. Und ich werde auch diesen los, Sie werden es erleben! Und auch das Balg! Mich hindert nichts! Aber kommen Sie durch Sachsen? Grüssen Sie mein Vaterland! Der grosse Bach war Sachse. Sein Sohn unterrichtete meine Mutter, diese mich. Sie sehen, ich habe grosse Tradition!“

Damit entschwebte die berühmteste Sängerin, die England je hervorgebracht hat. Denn sie hatte inzwischen gemerkt, dass es mit dem Pump nichts sei. Die Hamilton sah ihr, deren Tränen einer strahlenden Siegeszuversicht gewichen waren, mit zwiespältigem Herzen nach und musste die Eifersucht auf das, was nun würde vorbei sein für sie, Ruhm, Beifall und Menge, Rausch der Bühne, ein wenig dämpfen, den Durst, den diese Billington hatte reicher stillen können am Born der Öffentlichkeit und den sie, da war kein Zweifel, in London weiter stillen würde, wenn ihr Mann sie nicht vorher totprügelte oder sie am Genusse des Tujatees verendete. Während dann die arme Emely Hamilton in Piccadilly oder irgendwo in einem langweiligen Zimmer an der Wiege sitzen und Privatarien für Säuglinge zwitschern könne.

Tujatee? Oder anderweitige Geheimmittel ihrer Mama? Nein, nein, kleine Emmel-Emely! Ihre Laufbahn war dahin und begann neu unter ihrem Herzen. Sie reckte sich auf, sah aus dem Fenster, stolz, verächtlich, sah, wie der mässige Wagen der Sängerin im Strassengewühl unterging.

Die Königin reist ab.

Gerüchte gingen um von Unruhen.

Der Königin von Neapel war deshalb nicht wohl. Der Sarg Caracciolos ging ihr nicht aus dem Sinn. Trotz ihres Fiebers liess sie packen. Ihre Aufgabe lag in Wien, beim Kaiser Franz, der zugleich ihr Neffe, ihr Schwiegersohn und der Schwiegervater ihres Sohnes war. Sie fürchtete Dolchblitzen und den jähen Anblick eines kleinen schwarzen Pistolenloches aus jeder Ecke. Mit grosser Wachmannschaft begab sie sich den Sonntag bussfertig hinauf zur Kapelle der Jesuiten Santa Marie Maggiore. Sie war nicht schuld, dass den Patres Übles widerfahren war in Österreich, und auch ihrem vertrottelten Gatten und Hundezüchter Ferdinand hatte sie nicht alles unterbinden können.

Sie betete vor der Jungfrau, die da die böse Schlange zertritt. Und die Hamilton war mit ihr oben und betete, obwohl sie gut reformiert war, bedrängten Herzens mit, und weil es sicher nicht schaden könne. Und die Schlange, schien ihr, habe das Gesicht von Fanny Nelson, geschiedener Nesbit, angetrauter Gattin des guten kleinen Admirals, ihres Liebsten.

Der Wind hatte sich nun gelegt. Diesen Sonntagabend endlich prangte die Stadt im Zauberflor tausender kleiner Öllampen. Aber nur die Hoflieferanten und solche, die es zu werden hofften, hatten auf transparente Schilder geschrieben: Viva S. M. la Regina Maria Karolinà! Die meisten hatten, schon weil es kürzer war, ein: Viva Nelson! vorgezogen.

Noch vor Mitternacht, als der tollste Festtrubel durch die Strassen auf zu den stillen Bergen und hin über die geglättete Adria brandete, verliess die Königin mit Extrapost Triest.

An Winkelmanns Grab.

Sir William wollte wenigstens das Grab Winkelmanns sehen. Das war ein Mann, den er und mit ihm die ganze Jahrhundertwende zutiefst verehrte, jenen aus Deutschland aufgestandenen Schusterssohn, welcher der Welt unauslöschlich die Schönheit des Hellenentums in allen Kunstmassstab gegossen hat, und dem zur Bewunderung etwa in dem Jahre, von dem in diesem Buche die Rede ist, ein junger Franzose, Abenteurer und Schriftsteller, im Nachtrab der italienischen Armee Bonapartes seinen christlich-französischen Vatersnamen aufgab und sich nach des geliebten Genius armen Geburtsorte unter Hinzufügung eines nicht minder berühmten preussischen Königsnamens unter gleichzeitiger Selbsttadelung Friedrich von Stendhal nannte, welches der gebildete Deutsche vergebens französisch auszusprechen sucht.

Der einstige englische Gesandte zu Neapel hatte Winkelmann selber noch gekannt, selber mit ihm gesprochen, grosse Anregungen von ihm empfangen, bevor der brennende Gelehrte nach Deutschland zurückreiste und dann in Triest einem habgierigen Diener zum Opfer fiel.

Sir William liess sich in einer Sänfte zum Friedhof Corpe de Christo tragen. Die Stätte, deren Pflege seiner Ansicht nach Sorge des ganzen Abendlandes hätte sein sollen, war gänzlich verwahrlost. Und er weinte eine Träne dem Entschlafenen zu, der da fast so lange schon ruhte wie er nun in Italien geweilt und sein bescheiden Teil in des Toten Sinn und Bahn gewirkt. Und es war ihm, als werde sein Lebensfaden nun zu Triest auch durchschnitten, ob er hier gleich stürbe oder nicht, und dass es vielleicht besser sei, hier alsbald begraben zu sein. So ungern verliess er den Süden.

Doch kein Räuber und Mörder kam, wie er sich fast wohl wünschen mochte, der arme alte Gentleman und Ritter Hamilton. Da stiftete er der Bruderschaft, die den Friedhof zu verwalten hatte, so viele Geldstücke, wie die Anzahl der antiken goldenen Schaumünzen, um deretwillen das gierige Messer den Professor niedergestochen hatte. Und man solle den Hügel wieder wölben und Rosen darauf pflanzen und eine Zypresse und eine halbe korinthische Säule.

Kutschen und Gepäck.

Die Hitze war gross in Triest, und der Gedanke an die erträgliche Sommerkühle Englands wurde verlockender. Und als am 12. August die Schatten der Westhügel lang genug waren, um den Zickzackweg zur Höhe erträglich zu machen, verliess man die Stadt.

Ausser dem englischen Wagen brauchte man noch zwei Postkutschen, alle wegen der Steigung zu sechs Pferden. Die Platzverteilung geschah folgendermassen: Im englischen Wagen sassen das Ehepaar Hamilton und Nelson. Sir William hatte eine Wagenseite für sich, die vordere, damit er es bequem habe und es ihm nicht zog. Da der Postillon ritt, thronte Konsul Andersson, der ihr Führer durch die Gegenden bis Wien sein wollte, auf dem Kutscherbock. Und auch die Kiste mit den Orden und Ehrenzeichen und die mit den Juwelen der Hamilton waren in diesem Wagen untergebracht.

Im zweiten Wagen nahmen Frau Cadogan, Fräulein Knight, Herr Tyson mit der Reisekasse und die Zofe Loinette Platz, und letztere deswegen, weil man sie nicht mit dem Lazzaronen Gaetano in einen Schlag stecken konnte, ihrer Verliebtheit wegen. Wie es bei Regen werden würde, wusste man noch nicht, da dann ihr Platz eigentlich für Herrn Andersson vorgesehen war. Auch hatte Mutter Cadogan das Bologneser Hündchen bei sich, das sich nicht mit dem Papagei vertrug.

John Tyson durfte wegen der Damen im Wagen nicht rauchen; er versuchte es auf dem Kutschersitz, wo es ihm aber wegen seiner mangelnden Haare zu sehr zog, trotz der wollenen Matrosenmütze, die er ausserhalb gesellschaftlicher Anlässe statt der Perücke trug.

Papagei und Äffchen in ihren Käfigen waren sinngemäss der Negerin Fatme anvertraut, und sie hatte sie erstmal beiderseits ihrer Beine auf dem Bock des dritten Wagens verstaut. Im Innern sassen Bootsmann Brace, Gaetano und Klein-Mary-Ann, eingezwängt von den wertvollsten der Kisten und Koffer, Mappen mit Handzeichnungen und Hutschachteln.

Das übrige Gepäck war auf und hinter den Kutschen vertäut. Auf Deck des ersten Postwagens ragte zuoberst ein grosses hölzernes Schnitzwerk in Form von drei gröblichen Wappenfedern in den Farben der Trikolore, die einst die Kappe der Galionsfigur des letzten französischen Linienschiffes „Guilleaume Tell“ geziert hatten, ehe es als entflohener Überrest der Abukir-Flotte im Mai Nelson zur Beute gefallen war. Er hatte übrigens damit für England nicht nur eine beträchtliche Menge der von den Franzosen geraubten italienischen Kunstwerke, sondern auch über sechs Millionen gemünztes Geld ergattert. Kein Wunder, dass er diese unhandliche Trophäe liebte und mitschleppte.

Um nicht oben auf der Strasse an der Grenze des Triester Freihafengebietes aufgehalten zu werden, war das Gepäck schon in der Stadt visitiert und versiegelt worden, was in wenigen Minuten erledigt war, hatte man es doch mit Privatreisenden, Engländern und sozusagen diplomatischen Personen zu tun und nicht mit Kaufleuten. Somit wurden am Grenzzollhause nur die Siegel wieder abgerissen. Ein Freizettel aber gewährte Schutz vor allen weiteren Belästigungen bis Wien.

Addio, bella Italia!

So wand sich der Tross die guten Serpentinen hinauf zur Höhe des Karstes. In den Gärten, deren Erde einst mühevoll hatte erst herbeigeschafft werden müssen, reiften Pfirsiche, Pomeranzen, Orangen und Melonen, mächtige Feigenbäume erhoben sich da und kleine Haine von Edelkastanien, die hohen graugrünen Spindeln der Tuja, die düstern Lanzen der Pinien und allerorts dazwischen die heiteren Rebenlauben. Der Sommer war vorgeschritten, der Staub des Südens zog seinen Schleier über die Gefilde.

Bei den letzten Häusern des Abhanges verschnauften die Pferde. Man stieg ein wenig aus, streckte die Beine und kaufte grosse blaue Trauben, die blau waren wie die abendliche Bucht, die sich überraschend unter ihnen breitete. Die Reisenden waren verwöhnt durch den Blick von Hamiltons Palaste Sessa zu Neapel und von den Höhen bei Palermo. Aber hier kam anderes hinzu. Sie fühlten, es sei das allerletzte Mal, dass ihre Augen die Schönheit des Südens anschauen durften. Das schlachtete sich üppig hinab, die Kuppen mit den Landhäusern endeten in Gassen, die schon gefüllt waren von Abendschatten und vom Rauch der Vesperfeuer überwölkt. Flach schwang der reinliche Plan der Stadt, die Plätze lagen halb lila, halb orange in der tiefstehenden Sonne. Vergoldet schienen die Säulen und Türmchen der Börse und das Kaiserdenkmal auf dem Markte, vergoldet die kleine Werft mit den Spanten eines langen Schiffes, das die Seemacht Österreichs zu befestigen gedachte. Und das Gewimmel des Freihafens mit goldenen Masten, Segeln und Takelungen weiter und weiter in goldenen Flocken zerstreut bis zum Horizont. Und drüben fern im milchigen Dunste ahnte man die Küste Italiens.

„Addio, addio, ma bella Italia!“ schluchzte die Hamilton. Sie breitete überströmend die Arme. So nahm Nausikaa Abschied vom Lande der Phäaken. Ihr Gatte und Nelson sahen es bewundernd und gerührt.

Wohl setzte Sir William die Mundwinkel zu einer ironischen Bemerkung an, aber er war noch zu schwach, um sich so zu meistern, er konnte seine sauren Tränen nicht verschlucken. Was sollte er, ein Greis, der mit der zweiten Hälfte seines Lebens restlos dem Süden verwachsen war, in den Nebeln und der frostigen Feuchte Londons? Es würde sein baldiger Tod sein. Und der Wunsch vorm Grabe Winkelmanns, vorher hier zu sterben, verstärkte sich in ihm, ja er sehnte sich, auf der Stelle den Geist aufzugeben im letzten Anblick des geliebten Landes.

Das merkte sein treuer Freund Lord Nelson mit Wehmut; sein Herz war ihm selber schwer, da er dem Meere den Rücken zukehren sollte, doch indem er die lange, kummergebückte Gestalt des Freundes stützte, sagte er mit verstopfter Stimme: „Ihr Lieben, England braucht uns noch. Wie könnte es sonst so grausam sein, euch von hier wegzunehmen?“ Auch Fräulein Knight weinte. Ihre Mutter lag weit dort hinten in sizilianischer Erde. Ihr Vater war schon längst, ein Admiral, für Englands Ruhm gestorben. Sie war ja kein Kind mehr, war schon über vierzig, eine alte Jungfer ohne Anhang. Im Süden war alles leichter, man lebte in der Landschaft, da hatte sie gezeichnet, radiert, Bücher geschrieben. Wie würde es in den kalten englischen Zimmern sein?

„Teure, liebe Cornelia“, wandte sich da Lord Nelson ihr zu: „Tochter meines toten Kameraden Knight, nun sind wir bald ganz auf Sie angewiesen. Niemand von uns kann Deutsch ausser Ihnen. Gutes Herz, wie sind wir froh, dass wir Sie haben! — Und nun komm, Emely“, ging er zu seiner grossen Freundin, „iss Weintrauben und guck steif Südwest. Wir fahren nach Wien. Man wird dich bestaunen und auf dem Bauche vor dir kriechen.“

Lady Hamilton lachte unvermittelt auf, drehte sich in schönem Schwunge um, liess die Hände wie zwei sanfte Tauben auf seinen Schultern landen, neigte sich zu seinem Ohr und flüsterte eine ein klein wenig anzügliche Bemerkung über diese Art biblischer Schlangenmenschen. Da sie aber im gleichen Augenblicke an das Gesicht der Schlange in der kleinen Jesuitenkapelle denken musste, hob sie ihre Arme wieder, um sie wie zwei vom Sturm zerschmetterte Äste ihrer alten Mutter um den Hals zu werfen, und sie weinte laut und bitterlich, den Himmel und England anklagend.

Herr Tyson rauchte abseits eine Pfeife. — Nelsons Augen vertrugen den Rauch nicht. — Herr Andersson widmete sich der wissenschaftlichen Sache und war in das Posthaus