Die Legende von Frostherz 2. Flucht aus Aurora - Jamie Littler - E-Book

Die Legende von Frostherz 2. Flucht aus Aurora E-Book

Jamie Littler

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Beschreibung

Ash und der Rest der Frostherz-Crew sind endlich in der Festung Aurora angekommen und können es kaum erwarten, den nächsten Hinweis zu finden, der sie zu seinen Eltern führen wird. Doch schnell wird klar, dass sie sogar in der Festung nicht sicher sind. Denn eine fanatische Pionier-Kapitänin treibt in der Stadt alle Klangweber zusammen. Ash muss erneut fliehen. Welchen Gefahren müssen er und die Crew sich jetzt im Schneemeer stellen? Die packende Fortsetzung der "Legende von Frostherz"-Trilogie!

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Über dieses Buch

Ash und der Rest der Frostherz-Crew sind endlich in Aurora angekommen und können es kaum erwarten, dort den nächsten Hinweis zu finden, der sie zu Ashs Eltern führen soll. Doch schnell wird klar, dass Klangweber sogar in der Festung nicht sicher sind.

Als sie nach einem teuflischen Dämonenangriff im Schneemeer stranden, stehen Ash, Lunah, Krah und Tobu jedoch plötzlich einer ganz neuen Gefahr gegenüber – und einem unfassbaren Geheimnis …

 

Der zweite Band der fantastischen Trilogie um Die Legende von Frostherz!

Für Mum und Dad, die mir dabei halfen, den Gesang zu hören

Prolog

Die Überreste des Schlittens lagen direkt vor ihnen.

Außer der Karte des Navigators, die über dem zerstörten Deck im Wind flatterte, bewegte sich nichts. Zersplittertes Holz und in Fetzen gerissenes Metall waren rund um das trostlose Tal verstreut, doch Kapitän Norrows geschultes Auge erkannte keine Anzeichen für eine unmittelbare Gefahr. Trotzdem war er auf der Hut. »Bleibt wachsam, Burschen«, schärfte er seiner Crew ein, als hätte sie diese Warnung nötig gehabt. Vorsichtig steuerte er die Eissprinter weiter, um nach Überlebenden zu suchen.

Es war wirklich ein trauriger Anblick.

Dieses Massaker war eindeutig das Werk von Leviathanen – die grauenhaften Zahn- und Krallenabdrücke, die den Rumpf des Schlittens übersäten, machten das überdeutlich. Trotzdem bestand eine kleine Chance, dass Überlebende sich zu den steilen Berghängen gerettet hatten, die am Rand des Tals aufragten, jenseits der schrecklichen Bedrohung, die unter dem Schnee lauerte. Falls dem so war, waren sie auf die Hilfe der Eissprinter angewiesen. Norrow betete zu den Geistern, dass er richtiglag.

»Sieht aus wie die Morgenstern!«, meldete der Ausguck aus dem Krähennest mit Blick auf das Symbol, das auf die hilflos in der Brise schaukelnden Segel des Schlittenwracks gemalt war. Norrow fluchte leise. Er kannte die Morgenstern. Und ihre Crew – es waren gute Leute.

Noch ein Schlitten, der für die Pioniere verloren ist.

Nicht zum ersten Mal stellte Norrow sein Leben als Pionier infrage. Ihm waren die Gefahren immer klar gewesen, und er hatte nie ein Problem damit gehabt, solange das bedeutete, dass er die weiter draußen liegenden Festungen mit der Hilfe Auroras unterstützen konnte. Doch die Welt veränderte sich, und Norrow war nicht sicher, ob er in dieser neuen Welt noch überleben konnte. Ich werde zu alt für diese Aufgabe, dachte er mit einem bitteren Lächeln.

Nun hatte die Eissprinter die Trümmer der Morgenstern erreicht.

»Irgendwelche Überlebenden?«, rief Norrow seiner Mannschaft zu. Der Wind wisperte durchs Tal, und am schiefergrauen Himmel wirbelten weiße Schneeflocken.

Sie waren allein.

Norrow wurde allerdings das Gefühl nicht los, dass man sie beobachtete. Er kannte seine Crew gut genug, um zu wissen, dass auch sie es spürte – die Bewegungen seiner Leute waren angespannt, in höchster Alarmbereitschaft. Die Kopfschmerzen, die Norrow plagten, seit sie das Wrack gesichtet hatten, waren seinen blanken Nerven keine Hilfe. Begonnen hatte es wie ein nerviges Sirren in seinem Hinterkopf, doch nun wuchs es zu einem Dröhnen an, das undeutlich durch seinen Kopf hallte und ihm das Denken schwermachte. Er schob es auf den Stress. Nach dieser Fahrt setze ich mich endgültig zur Ruhe, dachte er. Ist längst überfällig.

»Kann niemand sehen«, rief der Ausguck. »Nicht mal –« Abrupt brach er ab.

Norrow blickte auf und sah gerade noch, wie der Mann aus dem Krähennest kippte, mit einem schwarzen Pfeil in der Brust. Plötzlich huschten Schemen zwischen den Wrackteilen der Morgenstern umher. Skelettartige Wesen mit gespenstisch weißen Gesichtern und gewundenen Hörnern, in zerrissene schwarze Lumpen gekleidet und mit Speeren und Bogen bewaffnet.

»DÄMONEN!«, hörte er einen seiner Männer brüllen. »WIR WERDEN ANGEGRIFFEN!«

Wie ein Phantom tauchte aus den Schatten ein Dämon auf, der pure Bösartigkeit verströmte. Seine Hörner waren länger und knorriger als die der anderen, seine schwarzen Augen noch mitleidloser und wie tot. Norrow gefror das Blut in den Adern.

Der Dämonenfürst.

Jeder wusste, dass Dämonen böse Geister waren, die aus den dunkelsten Tiefen der Unterwelt hervorgekrochen waren, doch der Dämonenfürst war der Schlimmste von allen. Ihr Anführer, insofern ein solches Übel überhaupt geführt werden konnte.

»VOLLE KRAFT VORAUS!«, befahl Norrow, während er verzweifelt und von grauenhafter Angst gepackt das Ruder herumriss, um ihre Flucht einzuleiten. Doch bevor der Turbinör reagieren konnte, fuhr ein gewaltiger Schatten, der nur aus Schwanz und Zähnen zu bestehen schien, von oben auf ihn nieder und pflückte den Pionier vom Deck. Die Turbine wurde abgewürgt, sodass die Eissprinter plötzlich manövrierunfähig auf dem Schnee lag. Entsetzt sah Norrow zu, wie sich Enterhaken in die Seiten seines Schlittens gruben und seine Männer ringsum vergifteten Pfeilen zum Opfer fielen.

Er war ein Narr. Man hatte sie in eine Falle gelockt. In Norrows altem Kopf ratterte es. Er wusste, dass er seiner Mannschaft das Schicksal der Morgenstern ersparen musste – er musste sie von hier fortbringen.

Hastig stieg er von der Brücke und eilte zum Sonnensteinantrieb, um den Schlitten wieder mit Energie zu versorgen. Doch als er die Kontrollhebel erreichte, glitt ein Schatten über ihn hinweg. Ein weiterer dunkler Umriss am Himmel, ein geflügeltes Etwas, schnellte wie ein schrecklicher Albtraum mit gespreizten Klauen auf ihn zu.

»Nein …«, raunte Norrow, dessen Herz zu Eis erstarrte.

Er hatte versagt, seine Crew war verloren. Mit einem grässlichen Schrei warf das Wesen sich auf ihn.

Ich hätte mich längst zur Ruhe setzen sollen, dachte Kapitän Norrow noch einmal. Zum letzten Mal.

1Der Mittelpunkt der Welt

Die zerschlissenen roten Segel blähten sich im Wind, als die Frostherz über die Schneeebene schoss.

Sie war ein großer Pionierschlitten, trotzdem wirkte sie neben dem gewaltigen Berg, der vor ihr aufragte, regelrecht winzig.

Ash hielt sich an der Reling fest. Sein wirres schwarzes Haar wehte ihm wild in die Augen, während er staunend zusah, wie sie in den gigantischen Schatten des Berges eintauchten. Von den Hängen erhoben sich Türme in den Himmel, wie ein Wald aus kunstvollen Bäumen, in denen warmes Licht leuchtete. Auf dem Gipfel erahnte Ash eine große Kuppel, unscharf und umnebelt, als wollten die Wolken sie wie ein Geheimnis hüten.

»Unglaublich …«

Vor der Abreise aus seinem alten Zuhause vor mehreren Monden hatte er nichts gekannt, was höher gewesen wäre als das Dach von Alderman Kindils Haus. Die gesamte Feura-Festung hätte gerade einmal bis an die niedrigsten Ausläufer dieser gargantischen Erhebung gereicht. Ashs Aufregung war von Tag zu Tag, an dem sie dem Berg näher gekommen waren, gewachsen, sodass er sich nun nicht mehr halten konnte. Er johlte und lachte laut.

»Ziemlich cool, was …?«, kommentierte Ashs beste Freundin Lunah neben ihm, während ihr mit Sternbildern bestickter Umhang im Wind wehte.

Nachdem die Frostherz vor mehreren Wegstunden eine erste gewaltige Mauer passiert hatte, näherte sie sich nun einer zweiten, die den Berg vollständig umgab. Sie war so hoch wie eine Felswand und bot sowohl Wachtürmen als auch Windmühlen Platz, deren rotierende Flügel ihnen hoch über dem Schlitten zuzuwinken und sie willkommen zu heißen schienen.

»Unter dem Schnee reichen die Wände noch mal so tief runter wie drüber nach oben«, erklärte Lunah so stolz, als hätte sie selbst sie erbaut. »Da kommt kein Leviathan durch, der meint, hier rumschnüffeln zu müssen, verstehste?«

In der Ferne sah Ash weitere Pionierschlitten, die auf verschiedene Tore in der Mauer mit dem gewaltigen Umfang zutrieben. Dieser Wall musste mehrere Wegstunden lang sein. Ash überlegte, wer wohl an Bord der anderen Schlitten sein mochte und welche Abenteuer sie bestanden hatten. Ob auch diese Mannschaften zwischendurch befürchtet hatten, nie wieder heimzukehren, so wie die der Frostherz. Als er sich zu der Crew umdrehte, die ihn unter ihre Fittiche genommen hatte, wurde ihm trotz der Kälte warm. Er wusste, im ganzen Schneemeer gab es keine Truppe, bei der er lieber wäre.

»CHECKPOINT AHOI!«, rief Teya, der Ausguck, nach unten.

»Signalflaggen hissen!«, befahl Kapitänin Nuk von der Brücke aus.

»Aye, aye!«, antwortete Kailen und zog am Bug des Schlittens eine Leine mit bunten Fahnen in die Luft, um den Wachposten auf der Mauer zu signalisieren, wer auf sie zukam. Ihr kurzes flachsfarbenes Haar bedeckte ihr vernarbtes blindes Auge, während sie den Torwächtern dabei zusah, wie sie an großen Rädern drehten, um das massive Tor knarrend zu öffnen und die Frostherz einzulassen. Bei der Durchfahrt konnte Ash endlich zum ersten Mal den Fuß des Berges sehen, der von brodelnden Tümpeln umgeben war, aus denen Dampf in die kalte Luft aufstieg. Zu Ashs Überraschung entdeckte er an den Bergflanken grüne Abschnitte, die von Menschen mit für ihn vollkommen fremden Werkzeugen bearbeitet wurden. »Was …?«, setzte Ash an.

»Farmen«, antwortete Lunah, bevor er ausreden konnte.

»Farmen?«

»Farmen. Dieser Berg war früher mal ein Riesenvulkan, und durch die ganze Hitze, die noch immer von unten hochkommt, und das ganze Wasser, was hierhergeleitet wird, ist er einer der wenigen Orte im Schneemeer, an denen man so richtig was anbauen kann. Hier müssen sie nicht ständig Jäger losschicken, die irgendwo draußen auf Nahrungssuche gehen. Ziemlich clever.«

Ash konnte ihr nur recht geben.

Er grinste, als er sah, dass sein riesiger Yeti-Vormund Tobu das Krankenzelt verließ. Vor einigen Wochen war Tobu auf der wagemutigen Flucht der Frostherz vor einem Dämonenangriff schwer verwundet worden. Doch nachdem er sich lange ausgeruht hatte (was allein Arla, der alten Heilerin des Schlittens, zu verdanken war, die den Yeti förmlich angefleht hatte, nicht mit dem Speer zu trainieren), hatte er sich endlich erholt und ging schon fast wieder vollkommen aufrecht, in all seiner beeindruckenden Größe.

»Hier baut man das Essen direkt vor der Tür an, Tobu!«, sagte Ash zu ihm, als er sich neben sie stellte. »Stell dir nur mal vor, nicht mehr auf Jagd gehen zu müssen!«

Tobu grunzte, was wohl bedeutete, dass er beeindruckt war – ein deutlicheres Zeichen der Anerkennung war von dem Yeti nicht zu erwarten.

»Glaub mir, das war noch gar nix, Feuerjunge …«, prahlte Lunah, die ihre Rolle als Ashs inoffizielle Reiseleiterin offensichtlich genoss.

Das gewaltige Tor, durch das man Zugang zum Berg – und damit zur eigentlichen Festung Aurora – hatte, kam näher. Der darüber positionierte Wächter blies in ein gebogenes Horn, dessen Ruf über die Schneeebene hallte, um ihr Eintreffen zu verkünden.

Auf den mächtigen Holztüren bemerkte Ash aufwendige Verzierungen und Schnitzereien, die die Geschichte der Pioniere zu erzählen schienen. Allerdings blieb ihm nicht viel Zeit, sie zu bewundern. Als die Frostherz das Tor passierte und in den Berg fuhr, regnete Eis aufs Deck. Yallah, die Turbinörin des Schlittens, stellte den Sonnensteinantrieb ab, und die Frostherz kam in einer Höhle mit hoher Decke zum Stehen, die gerade breit genug war, um dem Schlitten Platz zu bieten.

Wuchtig schlossen sich hinter ihnen die Türen, sodass die Höhle in Dunkelheit getaucht wurde. Nach dem blendenden Weiß des Schnees draußen dauerte es einige Schläge von Ashs wild pochendem Herzen, bis er sich an das Zwielicht gewöhnt hatte. Neugierig reckte er den Hals, um zur Höhlendecke zu blicken, und stellte überrascht fest, dass weit oben Licht leuchtete. Auf den ersten Blick erkannte er darin etwas, das nach großen, hohlen Baumstämmen aussah, die aus den Wänden ragten. War das der Weg nach draußen? In diesem Fall … Wie zum Teufel sollten sie da hochkommen?! Der Rest der Mannschaft schien allerdings völlig unbesorgt. Teya kletterte aus dem Krähennest, um Kob, Picke und Kailen dabei zu helfen, die Segel einzuholen.

»Also, äh … wie kommen wir da rauf?«, wollte Ash wissen.

»Wir gehen mit dem Schlitten eine Runde schwimmen …« Lunah grinste, als Ash über sich auch schon Rauschen hörte. Aus den Baumstämmen spritzte Wasser, das sich in tosenden Fluten in die Höhle ergoss. »Los geht’s!«, rief Lunah begeistert. Zu Ashs Verblüffung füllte sich das Gewölbe recht schnell, sodass die Frostherz vom steigenden Wasser in die Höhe getragen wurde. Hoch, hoch und immer höher ging es.

Lunah kicherte, breitete die Arme aus und rannte herum, als würde sie fliegen. Ash ließ sich anstecken, und gemeinsam alberten sie ausgelassen herum, während sie lachend durch den Sprühnebel der aufstiebenden Gischt hüpften und tanzten.

»Wie sieht’s aus, packt ihr Grünschnäbel vielleicht auch mal mit an?«, rief Kailen ihnen mit hochgezogener Augenbraue zu und hielt ihnen auffordernd ein Tau hin.

Kapitänin Nuk gluckste. »Ach, lass die Racker doch in Ruhe, Kailen. Sogar du erinnerst dich doch bestimmt noch daran, wie begeistert du bei deiner ersten Fahrt mit Auroras Aqualift warst!«

Kailen schwieg, doch Ash entging nicht, dass sie tatsächlich kurz lächelte.

»Also hergehört, Mannschaft!«, rief Nuk. »Wie immer möchten Master Podd und ich euch allen für eure heldenhaften Dienste an Bord der Frostherz und für euren standhaften Mut danken, mit dem ihr euch für die Mission der Pioniere einsetzt.«

»In der Tat«, bestätigte Master Podd mit seiner tiefen Stimme. Der kleine Vulpis stand neben Nuk, die Arme hinter dem Rücken verschränkt und den Kopf hoch erhoben.

»Wir haben es geschafft, meine lieben Freunde. Wir sind wieder zu Hause!«

Im selben Moment, als die Crew in Jubel ausbrach, erreichte der Schlitten den Rand des Aqualifts. Licht flutete das Deck, während die wahre Pracht Auroras zum Vorschein kam.

Ash blieb der Mund offen stehen.

Vergessen war die Höhle, die sie gerade verlassen hatten – der ganze Berg war ein gigantischer Hohlraum, der die größte, fantastischste Festung beherbergte, die Ash sich je hätte träumen lassen. Auf mehreren Terrassen erhob sich stufenförmig eine mächtige Stadt bis ganz hinauf zum Gipfel des schwindelerregend hohen, schlummernden Vulkans. Von Lava war zum Glück nirgends etwas zu sehen. Die Steingebäude, Paläste und Türme waren größer, als Ash es für möglich gehalten hätte, und alles war aufwendig mit Schnitzereien, Kacheln und moosbedeckten Säulen verziert. Blendend helle Schleier aus Licht fielen durch große Öffnungen in der Bergwand und erhellten die dichten Menschenmengen, die sich in den vornehmen Straßen tummelten. Brücken und Wasserleitungen durchzogen die gewaltige Fläche, und in Kanälen, die sich wie Baumwurzeln durch die Stadt schlängelten, glitten Kanus.

Verglichen mit den Feura waren alle Festungen, die Ash in den vergangenen Wochen gesehen hatte, beeindruckend gewesen – eine mächtiger als die andere. Doch das hier stellte alles in den Schatten.

Es war so riesig, dass Ashs Augen nicht fassen konnten, was sie sahen.

Es war Ehrfurcht gebietend.

Es war wunderschön.

»Mach den Mund zu, dein Kinn hängt ja gleich am Boden, Ash!«, sagte Lunah und stieß ihm in die Seite. »Sabbern ist hier nämlich streng verboten.«

Ash hörte sie kaum. Staunend stieß er die Luft aus. »Wir haben es geschafft. Ich glaub’s nicht, dass wir es echt geschafft haben …«

Nach den vielen Geschichten, die er von durchreisenden Pionieren – und den Feura selbst – gehört hatte. Nachdem er allein im Vertrauen auf ein Schlaflied durch das halbe Schneemeer gereist war. Nach den Kämpfen mit den Dämonen und den Leviathanen … nachdem er beinahe alles verloren hatte, was ihm ans Herz gewachsen war. Nach all dem war er endlich am Ziel. Er wusste, dass ihn das Wiegenlied seiner Eltern hierhergeführt hatte und dass der nächste Hinweis irgendwo in den Tiefen der Festung verborgen war … Doch was, wenn ihn seine Eltern selbst hier erwarteten? Allein beim Gedanken daran machte Ashs Magen einen freudigen Sprung. Vielleicht würde er sie endlich finden, mit ihnen reden, sie berühren, endlich in ihre sicheren Arme fallen.

Eins wusste Ash mit Sicherheit: Worauf er hier auch stoßen sollte, es würde etwas ganz Großes sein.

Immerhin war er zu guter Letzt in Aurora, dem Mittelpunkt der Welt.

2Wo anfangen?

Gemächlich segelte die Frostherz durch einen großen Kanal, der das gesamte Fundament der monumentalen Stadt umrundete. An Hunderten von Anlegestegen, die aus der Hafenanlage ragten, waren Pionierschlitten aller Formen und Größen vertäut und dümpelten auf den kleinen Wellen, die von der Frostherz ausgingen.

»Komisch …«, sagte Kob. »Sieht fast so aus, als ob die komplette Pionierflotte hier vor Anker liegt.«

»Das hatte noch nie was Gutes zu bedeuten«, nuschelte Arla, den Blick ihrer alten Augen auf den Wald aus Masten gerichtet. Ash überlegte, ob auch die Feuergleiter dabei sein könnte, der Schlitten, den seine Mutter befehligt hatte. Die Vorstellung machte ihn ganz kribblig.

Schließlich gelang es der Frostherz, eine freie Anlegestelle zu finden, und die Crew warf den umherwuselnden Hafenarbeitern dicke Taue zu, damit diese den Schlitten festbanden. Ash schwankte hinter den anderen die Landungsbrücke hinab und stellte fest, dass er auf fester Erde recht wacklig auf den Beinen war, nachdem sie wochenlang über das Schneemeer gefegt waren. Im Innern des Berges war es überraschend warm, die Luft dick und schwül, ein himmelweiter Unterschied zu der Eiseskälte draußen. Schon bildeten sich Schweißperlen auf Ashs Rücken.

»Willkommen zurück, Frostherz!«, begrüßte einer der Hafenarbeiter, der recht schmuddelige Kleidung trug, die Mannschaft mit einem Lächeln. »Wir hatten uns schon Sorgen gemacht, euch nicht mehr zu Gesicht zu bekommen …«

»Uns wird man so leicht nicht los!« Kapitänin Nuk lachte. »Obwohl es da draußen ein paarmal wirklich knapp war, das kann ich nicht abstreiten.«

»Habt ganz schön was mitgemacht, was?«, fragte der Mann, als er die beschädigte Frostherz betrachtete, die nur noch mit Mühe und Not zusammenhielt.

Nuk seufzte. »Du hast ja keine Ahnung …«, sagte sie im selben Moment, als der Querbalken des Hauptmasts donnernd aufs Deck krachte.

»Leider doch.« Der Arbeiter verzog das Gesicht. »Irgendwas macht die Leviathane in letzter Zeit rasend – sie werden immer angriffslustiger. Wenn die Schlitten überhaupt zurückkommen, sehn sie leider viel zu oft so aus wie eurer. Und jedes Mal werden es weniger Crewmitglieder.« Die Mannschaft senkte gemeinschaftlich den Blick, um ihres eigenen gefallenen Kameraden, Yorri, zu gedenken. »Is’ jedenfalls schön, euch wieder hierzuhaben«, sagte der Hafenarbeiter schnell, als er merkte, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. »Ich sehe zu, dass die Frostherz ordentlich repariert wird – bald ist das gute Stück wie neu!«

»Hab Dank«, sagte Nuk. »Uns sind die vielen Schlitten aufgefallen, die vor Anker liegen. Haben wir etwas verpasst?«

»Habt ihr tatsächlich! Da ihr so lange fort wart, habt ihr’s wahrscheinlich nicht gehört: Sämtliche Schlitten haben Ausfahrverbot. Die Bestienschlächterin hat eine Ratsversammlung einberufen, zu der alle Pionierkapitäne erscheinen sollen – Ihr natürlich auch.«

»Bestienschlächterin?« Nuk lachte. »So nennt sich Käpten Sturmbändigerin heutzutage?«

Bestienschlächterin. Sturmbändigerin. Für Ash klang das nach einer Kapitänin, mit der man sich besser nicht anlegte.

»Keineswegs«, sagte der Mann und rümpfte die Nase. »Ihr wisst ganz genau, dass sie dafür viel zu bescheiden ist. Aber die Leute nennen sie so. Und ich würd’ meinen, so viele Leviathane, wie sie und ihre Crew erlegt haben, hat sie den Titel mehr als verdient.«

Nuk runzelte die Stirn. »Da hast du wohl recht. Ihr Schlitten transportiert mehr Harpunenwerfer als Fracht.«

Jetzt zog der Hafenarbeiter die Stirn kraus. »Die Leute hier lieben sie, Käpten Nuk. Für sie ist sie ’ne Heldin – und für Euch wär’s besser, keinen Stunk zu machen.«

»Würde mir im Traum nicht einfallen.« Nuk grinste, wobei ihre Stoßzähne funkelten.

Der Mann wirkte nicht überzeugt, nickte aber, bevor er mit einem Winken abzog.

»Na schön, liebe Leute«, wandte Nuk sich an ihre Mannschaft. »Ich muss los und dem Rat Bericht erstatten. Aber ich finde, heute Abend wäre durchaus eine kleine Feier angebracht, was meint ihr?« Die Crew jubelte zustimmend. »Bis dahin habt ihr frei. Ruht euch aus, gönnt euch eine Pause. Die Valkyren wissen, ihr habt sie euch verdient.« Erleichtert seufzte die Crew auf, als ihre Kapitänin, dicht gefolgt von Master Podd, Richtung Stadt aufbrach.

Es tat gut, zurück zu sein.

»Schäääätze, ich schmeiß mich in ein vernünftiges Bett und steh erst wieder auf, wenn wir zur nächsten Fahrt auslaufen«, sagte Teya stöhnend.

»Ich nicht!«, rief Lunah, die sich auf die Zehenspitzen stellte und die Arme weit nach oben reckte. »Ich war viel zu lang auf so engem Raum eingepfercht. Hast du Lust, die Stadt zu erkunden, Ash?«

Ash nickte begeistert. Jede Sekunde, die er diese fantastische Metropole nicht erforschte, kam ihm wie absolute Zeitverschwendung vor – erst recht, wenn er diese Zeit möglicherweise mit seinen Eltern verbringen konnte, sollte er sie finden. Wer würde da an Ausruhen denken?

Ash strahlte. »Nur wo fangen wir an? Es gibt so viel zu sehen!«

»Bist echt ein Glückspilz, dass du die perfekte Stadtführerin hast …« Lunah reckte beide Daumen in die Höhe und zeigte damit auf sich. »Hab auch nich’ vergessen, dass du ’ne Verabredung mit dem Wegfinder hast.«

Ashs Herz setzte einen Schlag aus, als er an den neuen Vers des Schlaflieds dachte, den er und Lunah erst vor Kurzem enträtselt hatten:

Hinter himmelhohen Mauern tanzt der Geisterreigen,

dort des Wegfinders Lied dir dein Schicksal wird zeigen.

Anscheinend hatte der Wegfinder – wer immer das sein mochte – den nächsten Hinweis der Schnitzeljagd, die ihn zu seinen Eltern führen würde. Und obwohl Ash hoffte, in Aurora auf sie zu stoßen, vermutete er eher, dass seine Eltern sich in ein weit entlegeneres Versteck hatten zurückziehen müssen: nach Sonnwende, der geheimen Festung der Klangweber. Doch so oder so deutete das Wiegenlied an, dass ein Ende der Reise in Sicht war. Nach allem, was Ash bereits durchgemacht hatte, konnte es auch gar nicht anders sein.

Anfangs hatte Ash sich gefragt, warum sein Vater die Spur, die er für seinen Sohn gelegt hatte, so kompliziert verrätselt hatte, doch seine bösen Erfahrungen mit einem Reisenden namens Shaard hatten Ash bewiesen, dass es für Fernos Vorsicht gute Gründe gab. Ferno stammte aus Sonnwende, und Shaard war jedem Hinweis auf Ashs Vater nachgegangen, in der Hoffnung, auf diese Art die verborgene Festung ausfindig machen zu können. Was Shaard dort so dringend wollte, wusste Ash nicht genau, doch feststand, dass er ein bösartiger, hasserfüllter Mann war und es nur im Interesse aller sein konnte, dass er sein Ziel nie erreichte. Einmal war Ash ihm bereits entkommen, und er hatte nicht vor, ihm je wieder über den Weg zu laufen.

Ash schüttelte den Gedanken ab und dachte lieber wieder über den letzten Rätselvers nach. Wer war der Wegfinder? Noch ein Klangweber? Lunah schien eine Idee zu haben, aber sie hatte ihren Spaß daran, Ash auf die Folter zu spannen, also behielt sie es für sich.

Plötzlich riss Kailens wütende Stimme Ash aus seinen Gedanken. »Kannst du vielleicht noch mehr Unordnung anrichten?!«

Lunah und Ash wechselten einen Blick und liefen los, um nachzusehen, was der Aufruhr zu bedeuten hatte. Sie fanden Kailen wild fuchtelnd auf dem Deck der Frostherz, wo sie sich über Krah aufregte, die kaum zu sehen war, weil sie sich in einer Ecke des Hauptdecks im Schatten eines Sonnendachs herumdrückte. Offenbar wühlte sie dort in den Sachen, die Shaard zurückgelassen hatte: uralte Relikte, vergessene Schriften und komische Geräte. Was sie uninteressant fand, warf sie einfach hinter sich. Offenbar war die Frostherz erst komplett, solange in dieser Ecke irgendein düsterer, geheimnisvoller Fremder hauste.

Kailen meckerte weiter. »Schlimm genug, dass deine blöden Krähen überall Federn verlieren, sollen wir uns jetzt auch noch den Hals brechen, wenn wir über den Müll von diesem Verräter stolpern?« Die Krähe, die auf Krahs Schulter hockte, krächzte erbost, während Krah zur Antwort fauchte. Kailen zuckte zusammen. »Grrrng!«

Noch beäugte die Crew diese merkwürdige Klangweberin, die sich ihnen kürzlich angeschlossen hatte, voller Misstrauen. Dass Krah sich nur durch schroffe Bruchstücke von Gesang verständlich machen konnte, die allein Ash verstand, war dabei keine Hilfe.

Und »verstand« war mehr als übertrieben.

Außer Krah hatte Ash noch keinen anderen Klangweber kennengelernt – abgesehen von Shaard (der die Klangweber nicht gerade mit Ruhm bekleckerte) –, und er war völlig aus dem Häuschen gewesen, als er erfahren hatte, dass sie eine Freundin seines vermissten Vaters war. Er hatte gehofft, wenigstens auf ein paar seiner vielen Fragen Antworten zu erhalten, zum Beispiel, wie sie sich kennengelernt hatten, wie Ferno so war und warum er Ash hatte zurücklassen müssen. Doch aus Krah bekam man so schwer Antworten heraus wie aus Tobu ein Lächeln. Das Hauptproblem war, dass Ash aus ihrem Gesang kaum schlau wurde. In ihrer Vergangenheit schien irgendetwas passiert zu sein, etwas Schlimmes, und das hatte Folgen für ihren Gesang gehabt. Unterm Strich wusste Ash also noch immer nichts über Krah. Bei allen Geistern, er wusste ja nicht einmal, wie sie unter dieser Riesenkapuze aussah!

Absolut unbeeindruckt von all dem war Lunah, die sich nicht scheute, Krahs Geheimnis auf den Grund zu gehen.

»Woher kommst du eigentlich?«, fragte sie bei jeder Gelegenheit. »Wer bist du, wer steckt da wirklich unter der Kapuze?« Eine Antwort erhielt sie nie. »Ach, komm schon, gib mir ’ne Chance, unser neustes Crewmitglied kennenzulernen! Hast du da drunter kein Gesicht oder was? Oder vielleicht zwei?«

»STILLE, QUÄLGEIST«, hatte Krah einmal einen Gesang gezischt, als ihr die Dauerausfragerei auf die Nerven gegangen war.

»Ooooh, was hat sie gesagt?«, hatte Lunah sich in freudiger Erwartung einer Antwort neugierig an Ash gewandt.

»Sie, äh, meinte, es ist ein Geheimnis …«

»Verstehe.« Lunah hatte nachgedacht. »Also drei Gesichter? AU!« Prompt hatte die Krähe auf Krahs Schulter Lunah ins Ohr gezwickt.

»Willst du dir mit uns die Stadt angucken, Krah?«, bot Ash nun an. Möglicherweise könnten sie sich dabei besser kennenlernen, außerdem würde es Krah davor bewahren, von Kailen über Bord geworfen zu werden …

»NEIN. Suche.« Kurz unterbrach Krah das Wühlen und zeigte anklagend auf Ash. »Schütze. HERZ.« Instinktiv fasste Ash nach der Archeomek-Hülle, die an seinem Gürtel hing. Wie immer fühlte sie sich zwar kalt an, gleichzeitig aber auch tröstend. Angeblich stammte das Frostherz darin von einem Leviathan, der schon lange tot war, und war von einer Generation zur nächsten weitergereicht worden, bis es als Glücksbringer und Namenspatron auf der Frostherz gelandet war. Kapitänin Nuk hatte es Ash zum Dank dafür geschenkt, dass er ihnen allen vor Wochen in der Festung der Isolai das Leben gerettet hatte – und nachdem Shaard alles darangesetzt hatte, es für seine mysteriösen Pläne zu stehlen.

»Außerdem«, hatte Nuk erklärt, »war ich schon immer der Ansicht, wenn ein uralter Stein plötzlich anfängt, mit jemand anderem zu plaudern und sich mit ihm anzufreunden, ist es Zeit, ihn ziehen zu lassen …«

Ash wusste nur, dass sein Wiegenlied von ihm verlangte, das Frostherz um jeden Preis zu beschützen. Und wie Krahs Geschichte auch aussehen mochte, in diesem Punkt schien sie der gleichen Meinung zu sein. Sie wirkte sogar regelrecht besessen von dem Frostherzen, obwohl Ash noch nicht herausgefunden hatte, warum. Fairerweise musste man sagen, dass Shaard beinahe genauso fixiert darauf gewesen war wie Krah – irgendwas musste es wohl an sich haben. Als hätte es seine Gedanken gelesen, ertönte aus dem Frostherzen ein sanfter, heller Gesang, der Ash sofort beruhigte, wie so häufig in letzter Zeit.

»Oh, o-okay. Tja, sag einfach Bescheid, falls du deine Meinung änderst«, wandte Ash sich an Krah, doch die war schon wieder auf Shaards Sachen konzentriert.

»Schräg wie immer«, sagte Lunah. »Was soll’s. Bereit zum Aufbruch, Ash?«

»Aber immer.« Er grinste, selbst beeindruckt davon, wie cool er geklungen hatte. Dann schaute er sich nach Tobu um und stellte überrascht fest, dass der Yeti allein und gedankenverloren auf der anderen Seite des Decks stand.

»Bist du fertig, Tobu?«, fragte Ash, als er zu ihm trat.

Tobu riss sich aus seiner Grübelei und warf den Kindern seinen üblichen schroffen Blick zu.

»Dieser Ort ist anders als die, an denen wir bisher waren, Junge. In jedem Schatten, hinter jeder Ecke könnte Gefahr lauern. Wir müssen auf der Hut sein. Unsere Umgebung und die Menschen im Auge behalten. Sicherstellen, dass deine Ausbildung als Klangweber hier ohne Risiko stattfinden kann.«

»Entspann dich, Fellknäuel!« Lunah lachte. »Ihr zwei werdet voll abfahren auf diese Stadt.«

Tobu grunzte skeptisch. »Ich bestehe darauf, dass wir uns unauffällig verhalten und keine Aufmerksamkeit erregen.«

»Jaaaaaa … Also nich’ falsch verstehen, aber das könnte mit euch beiden bisschen schwierig werden.«

»Was soll das heißen?«, knurrte Tobu.

»Hör mal, wir alle wissen, dass du ein kleiner Sonnenschein bist, aber Aurora nicht. Hier spazieren nich’ gerade viele Yetis durch die Gegend, und die Leute könnten … tja … hibbelig reagieren.«

»Hibbelig?« Tobu bleckte die mächtigen Zähne.

»Will damit nur sagen, dass es schwer is’, dich zu übersehn. Genau wie jemanden von den Feura – eure Festung is’ so weit weg, dass manche Leute nich’ mal daran glauben, dass es sie gibt! Aber keine Sorge – ich hab für euch die perfekten Verkleidungen …«

»Verkleidungen?«, wiederholten Ash und Tobu im Chor.

»Lasst mich nur machen«, sagte Lunah mit einem Grinsen im Gesicht und einem Funkeln in den Augen.

3Auf der Spur

Aurora hatte bei Ash schon jetzt einen bleibenden Eindruck hinterlassen, trotzdem hätte ihn nichts auf die Leute dort vorbereiten können.

Es waren einfach so viele.

Während die Mannschaft durch die schmalen steinernen Gassen steuerte, die vom Hafen in die eigentliche Stadt führten, kämpfte Ash gegen das Gedränge von Menschen an wie gegen die Strömung eines brausenden Flusses. In der Feura-Festung lebten insgesamt einige Hundert Leute, doch allein auf diesen niedrigsten Ebenen der Stadt musste es Tausende von Aurorianern geben!

Wie bitte schafft es hier irgendwer irgendwohin? Und wie soll man einen klaren Gedanken fassen, wenn alle durcheinanderreden?

Ash entdeckte Menschen aus allen Ecken der bekannten Welt, aber die Aurorianer stachen deutlich hervor. Anders als die anderen Völker, die hauptsächlich in Häute und Felle gekleidet waren, trugen sie farbenprächtig bestickte Kleidung und standen in krassem Gegensatz zu den ruppig wirkenden Pionieren und Reisenden unter ihnen. Außerdem waren sie von Kopf bis Fuß mit so vielen Juwelen, Zubehör und hübschem Klimbim eingedeckt wie nur irgend möglich. Wieder vollkommen anders war die beeindruckend bewaffnete Festungsgarde, die inmitten der Menge alles beaufsichtigte. Aufmerksam spähten sie aus dunklen Augen unter pelzbesetzten Helmen hervor, während sie in den behandschuhten Händen lange schöne Speere hielten, die den Eindruck erweckten, als könnten sie Fleisch ebenso leicht durchbohren wie Tobus einfacher Speer aus Feuerstein.

Ash folgte Lunah und den anderen durch das enge Gedränge, merkte jedoch schnell, dass er hinter Tobu besser dran wäre, der die Menge spaltete wie ein Felsen einen Fluss.

»Bei allen Sternen, Tobu, du siehst hinreißend aus«, meinte Lunah mit einem Blick zur Seite.

»Dieser Aufzug ist beschämend.«

»Quatsch. Du wirkst elegant und zauberhaft, dafür muss man sich ja wohl nicht schämen, oder, Ash?«

»Klar … du siehst toll aus, Tobu«, log Ash.

Lunah hatte Tobu bis zur Unkenntlichkeit verkleidet, keine Frage, nur was er darstellen sollte, war ein Rätsel.

Seine Hörner hatte sie unter einer von Pickes Pudelmützen versteckt, und um sein Kinn hatte sie ein Stück Pelz gebunden, sodass es aussah, als hätte er einen wilden, störrischen Bart – oder als hätte sich ein komisches Tier unter seiner Nase eingenistet. Anschließend hatte sie ihn in mehrere Lagen Stoff und Seil gewickelt, sodass man ihm den Yeti nicht mehr ansah – vielmehr wirkte er wie ein Riese, der sich in der Takelage eines Schlittens verfangen hatte. Tobu drohte, aus allen Nähten zu platzen. Er sah absolut lächerlich aus.

Ash zu verkleiden, hatte weit weniger von Lunahs Einfallsreichtum erfordert. Er trug eine alte Pionierkluft aus Fell, die nicht so sehr herausstach wie seine Feura-Kleidung. Nur um ganz sicherzugehen, hatte sie ihm zusätzlich mit Farbe einen gezwirbelten Oberlippenbart ins Gesicht gemalt.

»Hi!«, sagte Ash zu einem Passanten, der ihm und Tobu einen höchst merkwürdigen Blick zugeworfen hatte, und gab sein Möglichstes, selbstbewusst zu klingen. Der andere wirkte entsetzt und schob sich so eilig wie wortlos weiter.

»Seht ihr?«, sagte Lunah siegreich. »Keiner schöpft den geringsten Verdacht.«

»Mag sein. Trotzdem kannst du die Leute hier nicht einfach so ansprechen, Junge«, sagte Kailen. »Stadtbewohner sind zu beschäftigt.« Ash wurde rot. Er hatte noch so viel zu lernen.

»Mir gefällt das nicht«, knurrte Tobu und zog die dichten Brauen über seinen kleinen Augen zusammen, der einzige Teil von ihm, der zwischen den vielen Lagen überhaupt sichtbar war.

Eine Frau schnappte erschrocken nach Luft und scheuchte ihre Kinder aus Tobus Weg.

»Auf die Art kannst du wenigstens dabei sein!«, sagte Ash. »Würdest du dir das hier entgehen lassen wollen?«

Die Sehenswürdigkeiten und Geräusche Auroras brachen wie eine Lawine über Ash herein. Er kam sich vor, als wäre er in einer alten Feura-Legende gelandet, die mitsamt all ihrer unmöglichen Magie und Farben vor seinen Augen zum Leben erwachte. Dieser Ort war so voll – in jeder Ecke und Nische gab es etwas zu entdecken. Gewundene Straßen und Treppen schlängelten sich zwischen eng an eng stehenden Steingebäuden vorbei. Vor Schreinen, die Geistern und Göttern gewidmet waren, die Ash nicht kannte, beteten in Roben gekleidete Gestalten mit bemalten Gesichtern und ließen Opfergaben zurück. Die in leuchtenden Farben bemalten Vordächer der Hauseingänge wurden von kunstvoll geschnitzten Holzpfosten gestützt. Töpfe, Pfannen, Glocken und Glücksbringer baumelten von Dachbalken und Fenstern mit Läden. Gerne hätte Ash um sämtliche Ecken geguckt, um zu sehen, welche Wunder sich dort verbergen mochten, doch gleichzeitig hatte er Angst, womöglich etwas falsch zu machen, etwas, womit er diese Leute, die so geschäftig unterwegs waren und keinen Spaß verstanden, vor den Kopf stoßen könnte. Die Einheimischen gingen ihrem Alltag nach, kochten, putzten, arbeiteten, doch für Ash war es das reinste Spektakel. Das Einzige, was ihn entfernt an sein altes Zuhause erinnerte, waren die Laternen, die an von Dach zu Dach gespannten Leinen hingen. Unerwartet spürte er einen leisen Anflug von Heimweh, was sein Gefühl, klein und unbedeutend zu sein, nur verstärkte. Er war die Bräuche der Feura gewöhnt, wo man mit Ach und Krach überlebte und alles, was man zu diesem Überleben brauchte, mit dem wenigen herstellte, was man hatte. Dagegen strotzte Aurora nur so von Kultur und Kunst – hier ging es nicht darum, praktisch zu sein, sondern möglichst schön.

»Alles klar bei dir, Feuerjunge?«, erkundigte sich Lunah, als hätte sie seine Gedanken gelesen.

»J-ja«, antwortete er. »Die Geschichten, die ich gehört habe, haben immer erzählt, wie riesig und fantastisch Aurora ist, aber ich hätte mir nie vorstellen können … Ich hätte nie gedacht, dass es so … so … na ja, so riesig ist! Und so fantastisch! Als wäre es für Riesen erbaut, nicht für einfache Menschen …«

»Dabei is’ das hier noch gar nichts. Wart’s ab, bis wir weiter rauf kommen!«

»Es ist gewiss … groß«, grunzte Tobu und zauste seinen falschen Bart. Ash rollte mit den Augen und überlegte nicht zum ersten Mal, ob Tobu zwischen all den mürrischen Blicken und der grummeligen Stirnrunzelei überhaupt noch fähig war zu so etwas wie Ehrfurcht oder Staunen.

Nachdem sie weit gelaufen waren (und Ash viel bewundert hatte), kam die Mannschaft durch eine große Halle, zum Bersten voll mit laut grölenden Pionieren. Die meisten tranken gierig aus Bechern oder aßen herzhafte Mahlzeiten, die Ash das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Zum Fröhlichen Pionier stand auf dem gebogenen Bug eines Schlittens, der als Hinweisschild diente.

»Hier verlasse ich euch – bis heute Abend!«, verkündete Kob.

»Ich auch!«, fügte Arla schnell hinzu, deren runzliges Gesicht vor schelmischer Freude strahlte. »Ich werde echtes Essen essen, bis ich platze! Wenn ich noch eine Ration Proviant runterwürgen muss, fange ich an zu schreien, das garantiere ich!«

»Ach, ich komme mit!«, beschloss Picke. »Ich hab den andern so viele Geschichten zu erzählen!«

»Oh. Ich … äh … Mir ist gerade eingefallen, dass ich … ähm, dass ich jemanden im Grölenden Garganten treffen muss …«, stammelte Kob und zeigte auf eine Trinkhalle am anderen Ende des Platzes, während Arla rasch zustimmend nickte. Alle wussten, wie quälend lang Pickes Geschichten dauern konnten, sobald er erst loslegte – noch dazu hatten sie selten eine Pointe.

»Na, das ist ja sogar besser!« Picke lächelte. »Im Garganten wissen sie gute Geschichten noch mehr zu schätzen als im Pionier!« Seufzend ergaben sich Kob und Arla in ihr Schicksal und verließen die Gruppe, dicht gefolgt von Picke, der bereits die Geschichten auflistete, die er zum Besten geben wollte. »Wartet, bis sie von dem Fels hören, der wie ein Stein aussah! Oder wie wär’s mit dem einen Mal, als ich im Kochtopf gerührt habe?«

»Die armen Narren«, sagte Kailen und schüttelte mitfühlend den Kopf.

»Kailen und ich wollen rauf zu den Festungsambassaden«, wandte Yallah sich an Tobu. »Passt du auf die Kinder auf?«

»Natürlich.«

»Und schön sauber bleiben!«, sagte Kailen.

»Aber immer«, erwiderte Lunah und putzte sich hörbar die Nase.

Ash rieb sich die eigene Nase, nur um sicherzugehen, und begriff leider zu spät, dass er sich dabei den falschen Bart abgewischt hatte. Während die anderen sich unterhielten, beäugte Ash aufmerksam die Mannschaften, die im Fröhlichen Pionier versammelt waren.

Bestimmt waren meine Eltern auch schon hier – immerhin waren sie Pioniere, dachte Ash und legte die Hand auf die Ecke des Gebäudes. Vielleicht haben sie sogar diese Wand berührt … Der Gedanke, er könnte auf ihren Spuren wandeln, löste in ihm ein warmes Gefühl der Zuversicht aus. Mum … Dad … bald finde ich euch …

Lunah führte den Rest der schrumpfenden Crew auf einen Marktplatz voller Händler und Kaufleute – und Kunden, die das seltsame und wundervolle Angebot gründlich unter die Lupe nahmen. Der Geruch von betörenden Gewürzen und Kräutern lockte die Truppe in die lärmende Menge, wo ein fröhlich wirkender Mursu-Krämer mit einem goldenen Stoßzahn Ash ein Amulett vor die Nase hielt.

»Komm her und staune, mein Freund! Dieses uralte Relikt stammt angeblich aus den zerklüfteten Gefilden von Kluftland! Ist es verflucht? Bist du tapfer genug, es herauszufinden? Kannst du es riskieren, dieses großartige, wirklich fantastische Angebot auszuschlagen?«

»Darauf fällt er nicht rein – lass uns mit dem Kram in Ruhe!«, schnauzte Lunah den Händler an und schob Ash weiter, der hoffte, sie hätte nicht bemerkt, dass er drauf und dran gewesen war, die Hand nach dem Anhänger auszustrecken.

Ash fiel ein Pionierkapitän auf, der mit einem Verkäufer feilschte. Sein Gesicht war unter mehreren Lagen Schal verborgen, und dank der Stelzen an seinen Beinen überragte er die Menge um einen Kopf.

»Er kommt aus der Tekko-Festung, draußen in den Salzseen und Salzmooren der Tanzenden Wasser«, erklärte Lunah. »Und die Typen da drüben?« Sie zeigte auf eine Gruppe, die auf großen zotteligen Tieren ritt (und die verärgerten Einkaufenden in deren Nähe, die sich nach Kräften bemühten, nicht in deren Pfad aus Hinterlassenschaften zu treten). »Das sind Tier-Bändiger aus Oso.«

»Sie reiten auf Bovoren?«, fragte Tobu überrascht

»Unter anderem. Die reiten auf allem übers Schneemeer, was sie dazu abrichten können. Schlitten findet man in Oso keine – widerspricht irgendwie ihrem Stolz. Viele gibt’s von ihnen allerdings nich’ mehr, weil die Leviathane nun mal schneller sind als so manches Trampeltier.«

Ash sah staunend zu, wie die Tiere vorüberstapften und brüllten, als ein Rudel zwitschernder Vulpis mit großen Säcken voll Archeomek über den Schultern unter ihren Fellbeinen hindurchwuselten.

Die Welt ist größer, als ich je für möglich gehalten hätte, ging es Ash verblüfft durch den Kopf. Es gibt so viele Festungen, von denen ich noch nichts gehört und erst recht nichts gesehen habe.

Lächelnd beobachtete er, wie selbstbewusst Lunah durch die Menge schritt, und fand nicht zum ersten Mal, dass er sich glücklich schätzen konnte, sie gefunden zu haben – wie hoffnungslos verloren er doch ohne ihre Orientierung wäre!

»Also wo ist nun dieser Wegfinder?«, fragte Ash sie, als sie den Markt über eine Kanalbrücke verließen.

»Geduld, junger Ash. Wir sind fast da«, antwortete sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht, bevor sie auf einen relativ ruhigen Platz abbog, der sich nach den verstopften Gassen und dem Gedränge auf dem Markt wie eine Brise Frischluft anfühlte.

»Mir scheint, dein Vater ist ein sehr großes Risiko eingegangen, zu hoffen, du würdest seinen Kontaktmann in einer so geschäftigen Festung wie dieser finden …«, merkte Tobu an.

Ash hatte eingesehen, dass Geheimnisse – manchmal – zu groß wurden, um sie für sich zu behalten.

Erst hatte er nur Lunah von seinem Wiegenlied erzählt, auch dass er Sterne am Nachthimmel aufleuchten sah, wenn er es sang. Er hatte Angst davor gehabt, was die Mannschaft von ihm halten könnte, und davor, möglicherweise sich selbst oder Sonnwende in Gefahr zu bringen, wenn er sein Geheimnis preisgab. Doch nachdem Shaard sein wahres Gesicht gezeigt hatte, war Ash klar geworden, vor wem er sich in Acht nehmen musste – und vor wem nicht. Daher hatte er sich Tobu und der übrigen Mannschaft der Frostherz anvertraut. Erst hatten sie nicht gewusst, was sie davon halten sollten. Einige hatten gelacht, andere daran gezweifelt, doch die meisten überließen die Angelegenheit einfach Ash und waren ganz froh darüber, die seltsamen Kräfte der Klangweber nicht wirklich zu verstehen. Allerdings hatte Ash sich vor allem davor gefürchtet, was Tobu davon halten würde. Es wäre nicht übertrieben zu behaupten, dass Tobu hin und wieder etwas … schwierig sein konnte. Der Yeti hatte bereits gewusst, dass Ash an Bord der Frostherz gegangen war, um seine Eltern zu finden, doch er hatte keine Ahnung davon gehabt, dass Ash heimlich einem Schlaflied zu ihnen und zur verborgenen Festung Sonnwende folgte.

»Du … weißt, wo deine Eltern sind?«, hatte Tobu gefragt, wobei allein seine umherzuckenden Pupillen verraten hatten, dass es in seinem Kopf hoch herging.

»Glaub schon. Und ich komme ihnen immer näher, hoffe ich …«

Tobu schien es die Sprache verschlagen zu haben. »Dann hat das Weltengespinst … dich die ganze Zeit über geführt …«

»Ich … kann sein.« Ash hatte dieses »Weltengespinst« noch immer nicht so recht kapiert. Es war so ein mystisches Yeti-Ding – angeblich der Gesang der Welt, der alles und jeden miteinander verband, und Tobu bedeutete es eine Menge. Genau genommen konnte er seit Ashs Geständnis allem Anschein nach an nichts anderes mehr denken, obwohl Ash wirklich nicht verstehen konnte, warum.

Doch nun waren sie nur noch wenige Schritte davon entfernt, mehr herauszufinden. »Lunah scheint ziemlich sicher zu wissen, wer der Wegfinder ist«, versprach er Tobu, während sie über den Platz liefen. »Und mein Dad wird uns nicht enttäuschen, hat er noch nie …«

Lunah brachte sie zur Statue einer Frau, die stolz in der Mitte des Platzes aufragte. Man hatte sie in einer heldenhaften Pose verewigt. Ihr Haar wehte im nicht existenten Wind, während sie ein Fernrohr ans Auge hielt und eisern damit den Horizont absuchte. In der anderen Hand hatte sie eine Schriftrolle, und flankiert wurde sie von zwei Lauerern, die im Vergleich zu ihr klitzeklein dargestellt waren. Vor der Statue machte Lunah halt und wirbelte herum, die Hände in die Hüften gestemmt.

»Ash. Tobu. Darf ich vorstellen: die Wegfinderin.«

4Die Wegfinderin

»Das ist der Wegfinder?«

»Wegfinderin – und rein zufällig die allererste Pionierin überhaupt!«, erklärte Lunah und schaute mit aufrichtiger Ehrfurcht zu der eindrucksvollen Statue auf. »Natürlich war sie eine Drifterin, und Schlaflied hin oder her hätte ich dich hergebracht, damit du ihr Respekt erweist! Mit ihr hat alles angefangen. Vor Hunderten und Aberhunderten von Jahren hat sie schon gewusst, dass die Festungen nur überleben können, wenn sie zusammenhalten, was ziemlich schwierig ist, wenn man durch zahllose Wegstunden monsterbevölkerten Schnees voneinander getrennt is’. Also kam sie auf die geniale Idee, mit den Vulpis zusammenzuarbeiten, um einen Sonnensteinantrieb auf ein Gefährt zu packen, in dem man über Schnee reisen kann, und ZACK! Der erste Pionierschlitten war geboren. Und seitdem tun die Pioniere ihr gutes Werk.«

»Ein umsichtiger, friedlicher Mensch«, sagte Tobu. »Eine Seltenheit.«

»Ich meine, sie ist ja sehr beeindruckend«, gab Ash zu, »aber wie soll sie mir dabei helfen, meine Eltern zu finden?« In seiner Stimme lag Enttäuschung. Er hatte gehofft, der Wegfinder – die Wegfinderin – sei eine echte Person, also eine, die noch lebte. Eine, die ihm Antworten liefern konnte.

»Keine Ahnung, Kumpel.« Lunah zuckte mit den Schultern. »Schätze, was das angeht, müssen wir noch mal scharf nachdenken. Tut mir leid.«

»Seid ihr sicher, dass ihr das Rätsel richtig gedeutet habt?«, wollte Tobu von Ash wissen.

»Dort des Wegfinders Lied dir dein Schicksal wird zeigen«, wiederholte Ash die Zeile aus dem Wiegenlied. »Kann die Statue … ähm, rein zufällig reden?«

Lunah schaute ihn schief an. »Nein, Ash, die Statue redet nicht.«

»K-klar. Natürlich nicht. Na ja, vielleicht kommt uns ja eine Idee, wenn wir uns hier ein bisschen umsehen?« Zu dritt umkreisten sie die Statue und suchten nach allem, was irgendwie ungewöhnlich erschien und ihnen einen Hinweis geben könnte. Lunah klopfte ein paarmal mit der Hand gegen den Stein. Ash sah sich genauer an, was man an ihren Gürtel gemeißelt hatte: einen Beutel. Ein aufgerolltes Seil. Einen Dolch samt Hülle. Einen Sonnenstein. Alles gewöhnliches Pionierzeug, abgesehen von einem Gegenstand, der Ash stutzig machte. Es war ein zylinderförmiger Behälter mit hübschen Deckeln an beiden Enden und kleinen Vertiefungen entlang der Seite, in die Runen der Alten Welt geritzt waren.

»Was ist das?«, fragte er Lunah. »Irgendein Archeomek?«

»Ehrlich gesagt weiß das keiner so genau. Die schlauen Gelehrten mit den langen Bärten können sich nich’ einigen. Manche sagen, es symbolisiert die Verbindung der Wegfinderin zur Alten Welt und den Schlittenturbinen, die sie und die Vulpis gefunden haben. Andere meinen, es ist ein Zauberstab, mit dem sie Leviathane aus dem Weg räumte, die ihr blöd kommen wollten …«

Ash beugte sich näher zu dem Gegenstand. Er streckte die Hand aus und drückte auf eine der Vertiefungen mit den eingravierten Runen. Zu seiner Überraschung klickte sie unter seiner Berührung. Er nahm den Finger weg und stellte sich darauf ein, dass etwas passieren würde, was jedoch nicht der Fall war.

»Knöpfe …?«, flüsterte er. »Was denkst du, was es ist, Lunah?«

»Ich? Is’ ja wohl ziemlich eindeutig, oder?«

»Ach ja?«, fragte Tobu.

Ash war froh, dass er nicht der Einzige war, der nicht darauf kam.

»Eine superschicke Wasserflasche, liegt doch auf der Hand!«

»Ach ja?«, war nun Ash an der Reihe.

»Klar! Die Wegfinderin hatte natürlich eine viel coolere Flasche als wir anderen – is’ ja schließlich die verdammte Wegfinderin! Die Klickknöpfe da sind … na so was wie bequeme Fingervertiefungen, damit das Ding gut in der Hand liegt.« Sie schaute von Ashs skeptischer Miene zu Tobus und zurück. »Echt jetzt, Leute, hier geht’s nich’ um Schlitten-Archeomekanik!«

»Kann sein …«, meinte Ash, der gerne das Thema gewechselt hätte. »Ich hab mich nur gefragt … vielleicht sollte ich zu der Statue singen? Immerhin ist im Vers von Wegfinders Lied die Rede …«

Tobu blickte sich grimmig auf dem Platz um und betrachtete die Leute. »Vorsicht, Junge. Vergiss nicht, wie die Menschen auf Klangweber reagieren. So etwas wie in Himmelsbrück wollen wir kein zweites Mal erleben …«

»Aber jetzt sind wir in Aurora! Bestimmt sind sie in einer so fantastischen Festung wie der hier aufgeschlossener.« In der Hoffnung auf Unterstützung schaute er zu Lunah, doch ausnahmsweise schien sie nichts zu sagen zu haben, sondern trat nur unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Leise stieß Tobu ein besorgtes Knurren aus, gab Ash aber mit einem Nicken zu verstehen, dass er sein Glück versuchen sollte.