Die Leidenschaft der Nonne - Susan Hastings - E-Book
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Die Leidenschaft der Nonne E-Book

Susan Hastings

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Beschreibung

Ein gefährlicher Tanz aus Verrat und Sehnsucht: Der Historische Roman »Die Leidenschaft der Nonne« von Susan Hastings jetzt als eBook bei dotbooks. Franken im 12. Jahrhundert: Herzogstochter Isabella hat ihre Jugend in einem Kloster verbracht, wo man sie Anstand und Keuschheit lehrte. Nun ruft ihr adliger Vater sie zurück an seinen Hof, denn Isabella soll vermählt werden. Auf dem Weg dorthin wird ihr Tross von mysteriösen Angreifern überfallen. Nur mit knapper Not entkommt sie der Bande, doch deren Anführer, den Raubritter mit den strahlend blauen Augen, kann sie nicht vergessen. Als Isabella diesen auf der väterlichen Burg im stattlichen Ritter Michael vom Drachenfels wiedererkennt, kämpft sie mit ihren Gefühlen: Sie muss herausfinden, wer hinter der versuchten Entführung steckt – aber je mehr sie über Michael erfährt, desto heftiger schlägt ihr Herz mit wachsender Leidenschaft für den geheimnisvollen Ritter … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende historische Roman »Die Leidenschaft der Nonne« von Susan Hastings, vormals erschienen als »In den Armen des Raubritters«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 554

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Über dieses Buch:

Franken im 12. Jahrhundert: Herzogstochter Isabella hat ihre Jugend in einem Kloster verbracht, wo man sie Anstand und Keuschheit lehrte. Nun ruft ihr adliger Vater sie zurück an seinen Hof, denn Isabella soll vermählt werden. Auf dem Weg dorthin wird ihr Tross von mysteriösen Angreifern überfallen. Nur mit knapper Not entkommt sie der Bande, doch deren Anführer, den Raubritter mit den strahlend blauen Augen, kann sie nicht vergessen. Als Isabella diesen auf der väterlichen Burg im stattlichen Ritter Michael vom Drachenfels wiedererkennt, kämpft sie mit ihren Gefühlen: Sie muss herausfinden, wer hinter der versuchten Entführung steckt – aber je mehr sie über Michael erfährt, desto heftiger schlägt ihr Herz mit wachsender Leidenschaft für den geheimnisvollen Ritter …

Über die Autorin:

Susan Hastings ist gelernte Geologin und war lange als Sachverständige für Geologie und Ökologie tätig. Ein Mentor im Studium entdeckte ihr schriftstellerisches Talent und motivierte sie dazu, dieses Talent zu verfolgen. Zunächst schrieb sie dann Kurzgeschichten, später zahlreiche Liebes- und Historienromane, die sie unter verschiedenen Pseudonymen erfolgreich veröffentlichte.

Bei dotbooks sind von Susan Hastings die folgenden historischen Romane erschienen: »Das Vermächtnis der Druidin«, »Die Sehnsucht der Nonne«, »Der schwarze Magier«, »Die Liebe der Wollhändlerin«, »Herzensflammen« und »Die Himmelsträumerin«.

Weiterhin erschienen bei dotbooks die historischen Liebesromane »Die Leidenschaft des Wikingers«, »Die Sklavin und der Wikinger«, »Die Geliebte des Wüstenkriegers«, »Das Verlangen des Gladiators«, außerdem der Liebesroman »Irische Träume« und der Erotikthriller »Dark Heat – Gefährliche Leidenschaft«.

Drei ihrer historischen Liebesromane sind auch als Sammelband unter dem Titel »Verführt – Im Bann der Krieger« erhältlich, mit den Romanen »Die Leidenschaft des Wikingers«, »Das Verlangen des Gladiators« und »Die Geliebte des Wüstenkriegers«.

Die Website der Autorin: www.susan-hastings.de

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Aktualisierte eBook-Neuausgabe Mai 2021

Dieses Buch erschien bereits 2003 unter dem Titel »Der Kuss des Verfemten« im area verlag und 2016 unter dem Titel »In den Armen des Raubritters« bei dotbooks.

Copyright © der Originalausgabe 2003 area verlag GmbH, Erftstadt

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/Alona Dudaieva und eines Gemäldes von Domenico Quaglio »Kloster Maulbronn«

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96655-624-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Susan Hastings

Die Leidenschaft der Nonne

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Es war ein feuchter, kalter Morgen, und dünne Nebelschleier lagen über den Wiesen, als sich das große Tor des Klosters St. Martin öffnete. Die Soldaten, die bis dahin vor dem Kloster gelagert hatten, erhoben sich mit steifen Gliedern. Zwei Nonnen führten ein Pferdegespann hinaus auf die unbefestigte Straße. Auf dem Wagen, der mit einigen Körben und Truhen beladen war, saßen zwei junge Frauen, züchtig in dunkelblaue Umhänge gehüllt.

Die Äbtissin trat neben den Wagen. »Nun seid Ihr wieder eine Hoheit, Isabella. Das weltliche Leben erwartet Euch.«

Die Angesprochene neigte ihren Kopf, und blondes Haar fiel aus der Kapuze des Umhanges auf ihre Schulter. »Ich werde Sie vermissen, Mutter Dolorosa. Sie und alle Schwestern, die mein Leben hinter diesen Mauern teilten. Ich wäre gern für immer hier geblieben. Doch ich muss meinem Vater Gehorsam leisten, wie es meine Pflicht ist. Ich werde Sie niemals vergessen.«

In einer Anwandlung von Rührung ergriff die Äbtissin Isabellas Hand. »Gott sei mit dir, mein Kind«, flüsterte sie, »und beschütze dich vor dem rauen Leben und der Grausamkeit der Männer.« Dann drehte sie sich um und verschwand mit gesenktem Kopf hinter dem Klostertor.

Die Soldaten hatten ihre Pferde bestiegen und sich zu einer Begleiteskorte formiert. Der Hauptmann trat an den Wagen heran und salutierte. Er beorderte einen der Soldaten als Kutscher auf den Wagen mit den beiden Frauen, die es sich nun zwischen den Körben und Truhen so bequem wie möglich machten.

Mit bangem Gesicht schaute Isabella sich um.

»Wie groß die Welt ist«, sagte sie schaudernd und warf einen sehnsüchtigen Blick auf das alte Kloster, das hinter ihnen immer kleiner wurde. Ihre Hand krallte sich an den Rand des Wagens. »Ich fühle mich haltlos. Im Kloster war alles so einfach, geregelt, familiär. Ich weiß doch gar nicht, was mich erwartet.«

»Freude wird Euch erwarten, Isabella«, erwiderte die andere junge Frau, die um wenige Jahre älter schien als Isabella. Ihre feuerroten Locken hatte sie mit mehreren Bändern zu einem langen Zopf verschlungen. Ihre Nase war übersät mit lustigen Sommersprossen, und in ihren braunen Augen leuchteten goldene Pünktchen wie kleine Sterne. »Freude über Eure Heimkehr. Und Euer Vater wird Euch in die Arme nehmen. Ist das nicht Grund genug?«

»Es sind zehn Jahre vergangen, Mathilda. Ich kann mich an meinen Vater kaum noch erinnern. Er war ein stattlicher Mann mit blondem Haar und einem rauschenden Bart, an dem ich als Kind so gern gezupft habe, wenn ich auf seinen Knien saß und er mir von bösen Drachen und mutigen Helden erzählte.« Sie lächelte bei dem Gedanken. »Und an meine Amme erinnere ich mich, die mich getröstet hat, wenn ich mich nachts vor den bösen Geistern fürchtete oder im Garten der Burg auf die Steine gefallen war. Die Burg war sehr groß, gewaltig groß, und innen mit goldenen Gesichtern bemalt.«

»Es waren keine goldenen Gesichter«, widersprach Mathilda. »Es waren Heilige mit ihrem Schein, auf jeder der Kassetten der Vertäfelung im Prunksaal.«

Isabella blickte Mathilda an und runzelte die Stirn. Eigentlich stand es Mathilda nicht zu, ihrer Herrin zu widersprechen. Mathilda war die Tochter eines Ritters des Herzogs und auf Grand ihres lieben Wesens bereits als kleines Kind für die einsame Isabella als Zofe und Gefährtin bestimmt worden. Sie war drei Jahre älter als Isabella und damit schon verständig genug, an ihrer Seite zu sein. Im Laufe der Jahre wurde Mathilda mehr zur Freundin denn zur Bediensteten der Tochter des Herzogs, zumal Isabella allein in der großen Burg ihres Vaters aufwuchs. Sie hatte keine Geschwister, und ihre Mutter war bald nach ihrer Geburt gestorben. Der Herzog war mit der Festigung seiner Macht gegen benachbarte Fürsten beschäftigt, die immer wieder ein Auge auf das kleine Herzogtum warfen und mit oder gegen den Willen des Kaisers die Finger danach ausstreckten.

Sehr zum Leidwesen von Herzog Karl August, der sich brennend Söhne als Erben gewünscht hatte, kümmerte Isabella in der Burg dahin, kannte nur die Ritter ihres Vaters oder die Mägde und Knechte. Von den meisten Festlichkeiten war sie ausgeschlossen, lediglich an ein farbenprächtiges Turnier konnte sie sich noch schwach erinnern, ein Turnier der Ritter mit ihren bunten Fahnen, den prächtig gezäumten Pferden, den blinkenden Rüstungen und langen Lanzen.

Im Alter von sechs Jahren gab Herzog Karl August seine Tochter in die Obhut eines Nonnenklosters, wo sie streng und konsequent im rechten Glauben erzogen werden sollte. Vor allem aber sollte sie vom Umgang mit Männern und niederem Volk entfernt werden, der für eine zukünftige Landesherrin nicht standesgemäß war. Denn dass Isabella einmal an der Spitze des Herzogtums stehen würde, war bereits zu diesem Zeitpunkt klar. Das heißt, an zweiter Stelle des Landes, denn sie würde sich einen der Ritter zum Gemahl nehmen, der nach dem Ableben des Herzogs sein Erbe weiterführen würde. Und dafür war der beste Ritter gerade gut genug.

Die damals neunjährige Mathilda begleitete Isabella ins Kloster, wo sie dem Stand entsprechend zwar untergebracht und versorgt, sonst jedoch in den klösterlichen Alltag integriert lebten.

In diesen zehn Jahren und in der Kargheit des Klosters schwand der Standesunterschied mehr und mehr, und beide Mädchen fühlten sich bald wie Schwestern.

Bereits einige Wochen vor Isabellas sechzehntem Geburtstag hatte die Äbtissin mit ihr gesprochen. Der Herzog rief seine Tochter wieder zu sich. Die Äbtissin bedauerte es sehr, dass Isabella das Kloster verlassen musste. Einer der Gründe war sicher, dass von nun an die herzoglichen Zuwendungen an das Kloster etwas geringer fließen würden. Doch sie hatte Isabella in ihr Herz geschlossen, wenngleich sie darauf achtete, dass sie nicht besser und nicht schlechter behandelt wurde als die anderen Nonnen.

Isabella konnte viele Nächte nicht schlafen bei dem Gedanken, das Kloster, das ihr zur Heimat geworden war, wieder zu verlassen. Sie fürchtete sich vor der Welt da draußen, vor dem Leben, dem Teufel, eigentlich vor allen unbekannten Dingen, mit denen sie im Kloster nicht in Berührung gekommen war. »Nun, wir werden sehen, was es mit den goldenen Gesichtern auf sich hat«, sagte Isabella versöhnlich. »So wie wir wahrscheinlich die gesamte Burg neu entdecken müssen. Vielleicht finden wir Dinge, an die wir uns noch erinnern können.«

»Ja, vielleicht«, seufzte Mathilda. »Wenngleich so ziemlich alle Erinnerungen verblasst sind wie hinter einer Nebelwand.« Sie zog den Umhang enger um ihre Schultern und unterdrückte ein Zittern. Auch ihr war bange vor der Zukunft. Mit den Begriffen Hochzeit, Ehe, Kinderkriegen konnte sie nichts anfangen. Und dass Isabella bald heiraten würde, war gewiss. Und dass Mathilda dann vielleicht nicht mehr ihre Zofe sein durfte, war denkbar.

»Was hast du, Mathilda?«, fragte Isabella teilnahmsvoll, die Mathildas kummervolles Gesicht bemerkte.

»Oh, es ist gar nichts«, wehrte Mathilda ab. Keinesfalls wollte sie Isabella mit ihren eigenen trüben Gedanken ängstigen. »Es ist noch ein wenig der Abschieds schmerz, glaube ich. Aber wir sollten an die Zukunft denken, an all die wundervollen Dinge, die uns erwarten.«

»Ja, du hast Recht. Wir sollten fröhlich sein, wenngleich auch ich traurig bin, unser geliebtes Kloster zu verlassen. Doch wenn ich es bedenke, könnte ich mich wirklich auf einige weltliche Dinge freuen, zum Beispiel auf ein schönes Gewand an Stelle dieser blauen Kutte.«

Mathilda kicherte. »Was würde die Äbtissin wohl sagen, wenn sie uns so reden hörte? Anstatt vor Kummer zu zerfließen, malen wir uns aus, was für Kleider wir wohl tragen werden.«

»Ganz recht! Und ich überlege mir, ob ich mein Kleid nicht mit einer selbst gestickten Borte verzieren werde. Sticken haben wir ja wirklich gelernt, wenn wir es bislang auch nur an Altardecken ausprobieren durften.«

»Keine schlechte Idee. Und wenn uns noch buntes Garn oder gar Silberfaden zur Verfügung stünde …« Mathilda presste die Hand auf den Mund. »Ich versündige mich«, flüsterte sie.

»Als Tochter des Herzogs steht es mir zu, kostbare Kleidung zu tragen«, erwiderte Isabella stolz und warf trotzig den Kopf zurück.

»Aber ob es Gott wohlgefällig ist, eitel zu sein?«, zweifelte Mathilda.

»Nein, Eitelkeit ist nicht gottgefällig. Doch ein kostbares Kleid hat nichts mit Eitelkeit zu tun, sondern mit dem Stand, den man repräsentiert. Oder glaubst du, ein Ritter würde um mich kämpfen, wenn ich in einer blauen Kutte in der Loge säße?«

Jetzt kicherten beide. »Warum nicht? Hübsch genug seid Ihr doch, Isabella.«

Isabella senkte verschämt den Kopf und errötete. »Es ist ein seltsamer Gedanke, dass Ritter um meine Gunst kämpfen werden. Es schmeichelt mir in der Tat, auch wenn es ein wenig eitel klingt.« Sie spürte die Hitze in ihrem Gesicht. »Allerdings wäre es mir lieber, wenn die Ritter mit Liedern und Gedichten um meine Gunst werben.«

»Ja, das ist wirklich viel romantischer. Auch kann man den Sängern und Dichtern ins Gesicht blicken. Die Turnierritter haben das Visier heruntergeklappt.«

Isabella blickte ihre Freundin nachdenklich an. »Warum muss man ihnen ins Gesicht schauen?«

»Na, ob sie hübsch sind! Was wäre, wenn auf dem Turnier ein sehr hässlicher Ritter gewinnt? Ihr wäret ein Leben lang seine Frau und müsstet seinen hässlichen Anblick tagtäglich ertragen.«

»Oh, daran habe ich gar nicht gedacht. Aber sind nicht alle Ritter schön? Es sind doch Kämpfer, Helden. Und wenn ihre Rüstungen blinken und die bunten Wappen an ihren Schilden leuchten, ihre Fahnen wehen und ihre herrlichen Rosse stampfen, so ist das doch wichtiger, als wenn einer ein schönes Gesicht hat. Wichtig ist, dass er die ritterlichen Tugenden aufweist und die Dame seines Herzens respektiert.«

»Und liebt.«

»Liebt? Wo denkst du hin, Mathilda. Einen Ehemann liebt man doch nicht! Ich denke, die Ehe ist eine Zweckgemeinschaft, um ein Land zu regieren. Ganz sicher ist sie nicht gottgewollt, denn sonst gäbe es keine Nonnen und keine Mönche. Ein wahrer Christenmensch liebt nur den Herrn.«

»Meint Ihr wirklich?«

»Aber gewiss, du kleine Närrin. Wenn ich einem Ritter meine Gunst gewähre, weil er besonders tapfer kämpft und sich auf dem Turnier geschickt zeigt, dann hat das doch nichts mit Liebe zu tun. Und auch wenn er ein romantisches Gedicht vorträgt oder eine klare Stimme hat, dann schmeichelt es meinem Ohr, doch nicht meinem Herz. Nein, Mathilda, alles, was darüber hinausgeht, wäre ein Werk des Teufels.«

Mathilda schwieg. Dass das Leben außerhalb der Klostermauern so kompliziert sein würde, hatte sie nicht erwartet. Jetzt wurde ihr doch etwas bange vor der Zukunft. Und sie freute sich plötzlich nicht mehr so sehr auf das Fest und das Turnier und die Hochzeit von Isabella.

Auch Isabella hing ihren Gedanken nach. Im Laufe ihrer klösterlichen Erziehung hatte sie gelernt, dass es nur eine Liebe gab, die Liebe zu Gott. Alles andere war nur niedriger Instinkt, Machwerk des Teufels. Niemals könnte sie nur annähernd für einen Mann ein anderes Gefühl aufbringen als Respekt und Bewunderung, huldvolle Gewährung der Gunst, seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Was sonst wohl ist denn das Ziel des Minnedienstes, als dass der Ritter durch ihn zu mutiger Tat befähigt und angeregt würde, seine Kräfte zu erstaunlichen und außerordentlichen Leistungen wachsen zu lassen und ihn in allen Lagen an die Bewährung ritterlicher Tugenden zu binden? Und je ferner und fremder die Angebetete war, umso verehrungswürdiger musste sie ihm doch erscheinen und dem Inbegriff des Ideals entsprechen. Also war es gar nicht von Vorteil, dass sie ihm in schönen Kleidern erschien und vielleicht gar noch ihr Gesicht zeigte. Eitelkeit war nicht angetan. Die Entfernung erhöhte den Anreiz, ließ sie im Wesen verfeinert, ja märchenhaft erscheinen. Die gegenseitige Beeinflussung im Streben nach höherer Vollkommenheit trug zur Verfeinerung der Gesellschaft bei.

Sie schob die Kapuze wieder über ihr blondes Haar. Niemand brauchte zu wissen, dass sie Isabella, Tochter des Herzogs Karl August von Frankenau, war.

Isabellas und Mathildas Augen trafen sich, und mit der Sicherheit der vollkommenen Vertrautheit errieten sie gegenseitig ihre Gedanken.

Isabella griff unter ihren Umhang und zog eine Kette mit einem kleinen Medaillon hervor, auf dem der heilige Martin abgebildet war. Er war der Schutzpatron des Klosters, und die Äbtissin hatte Isabella die Kette zum Abschied geschenkt.

»Ich glaube, wir haben einiges zu beichten«, sagte Isabella und hob die Augenbrauen.

»Dabei sind wir erst einige Stunden in Freiheit«, erwiderte Mathilda. Wieder hielt sie sich die Hand vor den Mund. Was redete sie da von Freiheit? Keineswegs war der Aufenthalt im Kloster mit einem Gefängnis zu vergleichen. Der Äbtissin mussten ja die Ohren klingeln!

»An der nächsten Kirche werden wir eine Rast einlegen, um zu beten und zu beichten«, beschloss Isabella, und Mathilda nickte zustimmend.

Nach einigen Stunden Fahrt auf der holprigen Straße, bei der sie im Wagen kräftig durchgeschüttelt wurden, entdeckte Isabella abseits des Weges ein Dorf, in dem ein kleiner, kompakter Kirchturm aufragte. Sie rief den Hauptmann der Eskorte, der neben dem Tross ritt, zu sich heran.

»Wir wollen eine Rast machen, Hauptmann«, sagte Isabella. »Dort drüben liegt ein Dorf mit einer kleinen Kirche. Bei dieser Gelegenheit können wir in der Kirche beten.«

»Ich halte es nicht für gut, die Straße zu verlassen, Herrin«, gab der Hauptmann zu bedenken. »Für eine Rast eignet sich das freie Feld besser, und beten könnt Ihr auch im Wagen.« Isabella zog die Brauen zusammen. »Warum widersprecht Ihr mir, Hauptmann? Ich habe den Wunsch, in der Kirche zu beten und etwas meine Füße zu vertreten. Mit welchem Recht verweigert Ihr meinen Wunsch?«

Der Hauptmann blickte sie ernst an. »Es steht mir nicht zu, Euren Wünschen zu widersprechen, Hoheit, aber ich bin auch für Eure Sicherheit verantwortlich. Deshalb halte ich es nicht für klug, die Straße zu verlassen.«

»Was ist der Grund für Euer Misstrauen? Ist es nicht sicher im Reich meines Vaters? Ist es nicht sicher für seine Tochter?«

»O nein, darüber braucht Ihr Euch keine Gedanken zu machen, Hoheit. Natürlich ist es sicher auf den Straßen Eures Vaters.«

Der Hauptmann versuchte etwas zu hastig, Isabella zu besänftigen. In ihrem Ärger achtete sie jedoch nicht darauf.

»Na also, was hindert uns daran, in dieses Dorf da drüben zu fahren und die Kirche zu besuchen?«, fragte sie und warf den Kopf zurück. Sie war immerhin die Tochter des Herzogs. Auch wenn sie im Kloster zu Bescheidenheit und Demut erzogen worden war, konnte es nicht sein, dass ein einfacher Soldat sich ihren bescheidenen Wünschen nach einem Gebet in der Kirche widersetzte.

Widerstrebend wies der Hauptmann die Eskorte an, in den Seitenweg einzubiegen. Langsam näherte sich der Tross dem Dorf, das am Fuß einer kleinen Anhöhe lag. Oben auf dem Hügel stand die Kirche, ein massiver, trutziger Bau mit einem mächtigen Turm. Seltsamerweise trug der Turm kein Dach. Das Schiff war hinter der Breite des Turmes kaum zu erkennen.

Isabella war so in den Anblick der seltsamen Kirche versunken, dass sie nicht auf andere Einzelheiten am Fuße des Hügels achtete. Erst als Mathilda einen leisen Schrei ausstieß, zuckte sie zusammen. Verwirrt löste sie den Blick von der Kirche und schaute sich um.

Mathilda wies mit der ausgestreckten Hand auf einen Baum, der einsam auf einem verwilderten Feld stand. An seinen knorrigen Ästen hingen zwei leblose Körper. Eine Schar schwarzer Krähen hockte auf dem Baum. Ab und zu flatterten einige Vögel auf, um an den Leichen zu hacken.

Entsetzt schlug Mathilda die Hände vors Gesicht. Isabella jedoch beugte sich aus dem Wagen heraus.

»Herr Hauptmann, haltet an! Was ist hier geschehen?«

»Wir sollten besser nicht anhalten, Hoheit«, entgegnete der Hauptmann mit einem Blick auf den Baum. »Der Ort ist nicht geheuer.«

Isabella schwieg, doch ihr blasses Gesicht zeigte große Besorgnis. Jetzt sah sie auch, dass die Häuser teilweise verbrannt, die Ställe leer und die Felder verwüstet waren. War hier etwa die Pest ausgebrochen?

Isabella sprang vom fahrenden Wagen herunter, was Mathilda wiederum zu einem kleinen Protest veranlasste. »Isabella, das dürft Ihr nicht tun«, rief sie.

Der Hauptmann wendete sein Pferd. Doch Isabella war schneller. Sie betrat eines der kleinen Lehmhäuser, die hinter niedergerissenen Weidezäunen standen. Entsetzt blickte sie sich um. Das Haus bestand nur aus einem Raum mit einer Feuerstelle an der Giebelwand. Die wenigen Einrichtungsgegenstände lagen zerschlagen und zerbrochen auf dem gestampften Boden, das Schilfdach war verbrannt und in den Raum hineingestürzt, verkohlte Balken ragten gespenstisch in die Luft. In einer Ecke lag der Kadaver eines Hundes, von dem bestialischer Gestank ausging. Aus zerschlagenen Vorratskrügen war Mehl herausgefallen. Mäuse liefen piepsend darauf herum. Sie hatten auch das graue Brot angenagt, das noch auf dem Tisch lag. Zwei Bettlager an der Wand waren zertrümmert worden und die strohgefüllten Matratzen aufgeschlitzt. Schaudernd erblickte Isabella an der Wand Blutspuren. Deutlich konnte sie die Abdrücke von Händen erkennen, als wenn jemand verzweifelt versucht hätte, sich an der Mauer festzukrallen.

Es schien nichts gestohlen worden zu sein, denn Lebensmittel waren, wenn auch kärglich, vorhanden. Aus einer offenen Truhe waren einige einfache Kleider und Stoffe herausgerissen und auf dem Boden verstreut worden. Alles sah aus, als hätte jemand wie wahnsinnig in diesem Haus gewütet. Es war unheimlich still. Kein Ochse brüllte, kein Schaf blökte, kein Hund bellte. Keine lebende Seele schien sich in diesem Dorf mehr zu befinden.

Isabella warf einen Blick in den Stall, der sich dem Haus anschloss, doch er war leer. Auch hier schien jemand in blinder Wut alles zerschlagen zu haben. Die Stützbalken waren umgehackt, das Dach hing schräg auf der Mauer, und an der Wand hingen abgeschnittene Stricke, an denen offensichtlich einstmals das Vieh angebunden war.

Erschüttert verließ sie den Hof. Der Hauptmann wollte ihr auf den Wagen helfen, doch Isabella wehrte ab. Zu Fuß ging sie weiter zum nächsten Haus. Aber auch hier erwartete sie der gleiche schreckliche Anblick. Und je weiter sie ging, umso entsetzlicher wurde das Bild. Die Häuser waren zerstört, einige davon verbrannt, das Vieh gestohlen oder sinnlos abgeschlachtet. Überall lagen verwesende Kadaver, stinkendes Korn, zerschlagene Vorratsbehälter. In einem Hof entdeckte sie eine abgehackte menschliche Hand.

Mit starrem Blick lief sie die schmutzige Dorfstraße entlang auf die Kirche zu. Mit Unbehagen folgten ihr die Soldaten. Mathilda war im Wagen sitzen geblieben und lugte nur hinter dem Verdeck der Plane hervor. Der Anblick des zerstörten Dorfes und der Gestank nach Brand und verwesendem Fleisch jagten ihr Schauer des Entsetzens über den Rücken.

»Isabella«, wimmerte sie. »Kommt doch zurück!«

Doch Isabella ließ sich nicht beirren. Langsam, Schritt für Schritt erstieg sie den Hügel zur Kirche. Sie sah sehr wohl die im Winde sich bewegenden Körper, die an den alten Bäumen rings um die Kirche hingen. Schwarze Raben krächzten, und der Hauptmann bekreuzigte sich.

Jetzt erkannte Isabella auch, warum der Kirchturm von weitem so eigenartig ausgesehen hatte. Das Dach war abgebrannt, die verrußten Reste lagen um die Kirche verstreut. Der Turm stand an der Westseite der Kirche, und hier befand sich auch der Eingang, ein vergleichsweise kleines Rundbogentor. Die zweiflügelige Holztür war gewaltsam eingeschlagen worden. Isabella blickte an der aus Feldsteinen gemauerten Wand empor. Sie hatte den Brand fast unbeschadet überstanden. Es war eine Wehrkirche, die Mauer mochte mehr als zwei Meter stark sein. Sie bekreuzigte sich, bevor sie die Kirche betrat.

Vorsichtig tasteten ihre Füße nach Halt auf dem steinernen Boden der Kirche, der übersät mit verbrannten Balken, Dachschindeln und Putzfladen war.

Nicht einmal die Kirche hatten die Verbrecher verschont! Dort, wo das schlichte Holzkreuz auf dem Boden lag, kniete Isabella sich nieder und versank in ein tiefes Gebet. Sie hörte nicht, dass Mathilda sich näherte. Sie blieb an der Tür stehen und starrte in sprachlosem Entsetzen in das zerstörte Innere der Kirche. Im Gegensatz zu Isabella war sie nicht in der Lage zu beten. Sie zitterte, und ihre Zähne klapperten vor Angst. Sie schrie auf, als eine der schwarzen Krähen vom Gebälk aufflog.

Isabella schreckte aus ihrer Versunkenheit auf und wandte sich mit Grauen im Gesicht zu Mathilda um.

»Wer war das?«, hauchte sie tonlos. »Welcher Teufel in Menschengestalt hat dieses unvorstellbare Verbrechen begangen?«

»Ich weiß es nicht«, schluchzte Mathilda. »Und ich will es auch gar nicht wissen. Ich will nur fort von hier, von diesem schrecklichen Ort!« Ihre mageren Schultern schüttelten sich.

Isabella erhob sich und nahm die Freundin in den Arm. »Es ist gut, mein Kleines, weine nicht! Wir werden für die armen Seelen dieser Unglücklichen beten.«

Vor der Kirche hob sie den Kopf und blickte den Hauptmann an, der immer noch auf seinem Pferd saß und mit unbehaglicher Miene auf die beiden edlen Mädchen wartete. »Und Ihr, Herr Hauptmann, werdet mit Euren Leuten die Leichen abnehmen und anständig begraben, wie es sich für Christenmenschen gehört!«

Abwehrend hob der Hauptmann die Hände. »Nein, das werden wir nicht tun«, widersprach er in aller Entschiedenheit. »Das sind Abtrünnige, Verbrecher, die gerichtet wurden. Sie dürfen nicht in geweihter Erde begraben werden!«

»Verbrecher? Ein ganzes Dorf voller Verbrecher? Was haben diese armen Bauersleute denn getan, dass sie derart grausam gerichtet wurden?«

»Wisst Ihr denn nicht, dass hier ein Verfemter sein Unwesen treibt? Ein Kaisermörder, ein Geächteter? Wir sollten schleunigst verschwinden, denn er kann noch in der Nähe sein!« Auch Isabella wurde es nun unbehaglich, und sie ließ ihren Wagen wenden. Die beiden Mädchen kletterten wieder hinauf und knieten sich zu einem Gebet für die unglücklichen Seelen der Toten auf die nackten Holzplanken. Was war das für eine schreckliche Welt, die sie gegen die Geborgenheit des Klosters eingetauscht hatten?

Schweigend hockten Isabella und Mathilda auf dem Wagen, jede in Gedanken versunken. Mathilda betete immer noch leise um das Seelenheil der armen Menschen, Isabella hingegen überlegte, welcher Verbrecher für diese Gräueltaten verantwortlich sein konnte.

Auch die Soldaten der Eskorte schwiegen, und der Hauptmann verwünschte im Stillen, dass er sich darauf eingelassen hatte, die Straße zu verlassen. Das, was sie eben gesehen hatten, musste bei den beiden jungen Damen viele Fragen aufwerfen. Und er hoffte inständig, dass sie die ganze Sache bis zu ihrer Ankunft am Sitz des Herzogs wieder vergessen haben mochten.

Die beiden Türme des Doms überragten alle anderen Gebäude der Stadt Worms und zogen die Blicke eines jeden auf sich, der sich der Stadt näherte. Auf den engen Straßen und Gassen herrschte emsige Betriebsamkeit. Eine hoch gewachsene Gestalt in einer dunklen Kutte, deren Kapuze tief über den Kopf gezogen war, eilte durch die Gassen, ohne seine Umgebung eines Blickes zu würdigen. Zielsicher steuerte er einem Stadtteil zu, wo sich die ärmlichen Hütten der Handwerker und Tagelöhner wie Schwalbennester aneinander reihten. Das Haus lag in einer engen und schmutzigen Seitengasse. Der Mann in dem dunklen Umhang stieg mit großen Schritten über den Unrat und die mehrfach verzweigten Rinnsale aus stinkender Jauche, die die Gasse fast unpassierbar machten. Ein paar Hühner flogen mit gackerndem Protest vor seinen Füßen auf, und ein Schwein, das in einem der Abfallhaufen wühlte, sprang mit einem unwilligen Grunzen beiseite. Vor der niederen Tür des Hauses, von dem der Lehmputz von den Wänden bröckelte und das darunter liegende Strohgeflecht freigab, blieb der Mann stehen und klopfte mit der Faust gegen das hölzerne Türblatt. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und der Mann huschte hinein. In der niederen, dunklen Diele blieb er stehen und schob die Kapuze vom Kopf. Sein schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen und der Raubvogelnase wirkte im Dämmerlicht noch härter, und seinen kleinen, dunklen Augen, die sich flink bewegten, schien nichts zu entgehen. Es roch nach Leder und Schimmel und verfaultem Fleisch. Von den Deckenbalken hingen dunkle Lederlappen, auf dem gestampften Lehmboden lagen Berge von Lederflicken, Abfall, in einem Weidenkorb einige billige Schuhe. Mit der Hand schob der groß gewachsene Mann einige herabhängende Lederstücke beiseite.

»Hier herein, Herr«, sagte die zerlumpte Gestalt, die die Tür geöffnet hatte, und lief eilig vor ihm her zu einem Raum, der sich an die Diele anschloss.

Mit schweren Schritten betrat der Mann das kleine Zimmer und blieb an der Tür stehen. Ihm gegenüber saß ein älterer Mann mit strähnigem grauem Haar auf einem Lehnstuhl und blickte ihm erwartungsvoll entgegen.

»Ah, Rupert de Cazeville, es freut mich, Euch zu sehen.«

»Tatsächlich?« Der Angesprochene hob kaum sichtbar eine seiner schwarzen Augenbrauen, und sein Blick wurde noch durchdringender. »Fürchtet Ihr Euch nicht, mich in dieser Umgebung zu treffen?« Er warf einen kurzen Blick auf das schäbige Gemäuer.

Der Ältere lachte meckernd, und es klang, als bräche trockenes Holz. »Es steht die Frage, wer sich mehr fürchten muss.« Seine knochigen Finger umklammerten die Armlehnen des Stuhls.

De Cazeville rührte sich nicht und starrte den alten Mann mit seinen stechenden Augen unverwandt an. »Was habt Ihr für einen Auftrag?«, fragte er.

Wortlos reichte der grauhaarige Mann ihm eine Rolle aus schlechtem Pergament herüber. Das Siegel war erbrochen.

De Cazeville rollte sie auf und überflog die Zeilen. »Sie wird also das Kloster verlassen«, stellte er trocken fest.

Der Grauhaarige nickte. »Wir wissen nur nicht den genauen Tag.«

Ein wenig verächtlich blickte de Cazeville auf den alten Mann herab. »Warum nicht? Es ist wichtig!«

»Der Herzog hielt es bislang geheim. Trotzdem sickerte durch, dass er zu ihrem Empfang ein Fest ausrichten will. Wahrscheinlich wird er sie vermählen und aus diesem Grund ein Turnier veranstalten.«

»Und? Was habt Ihr vor?«

Jetzt drehte der Grauhaarige ihm sein Gesicht zu und blickte ihn an. Ohne ein Wort warf er einen Beutel durch den Raum, den de Cazeville mit bewundernswerter Behändigkeit auffing. Münzen klimperten in dem bauchigen Ledersäckchen. Prüfend wog er den Beutel in der Hand. »Aber unauffällig«, sagte der Alte.

»Was haltet Ihr von mir?«, entgegnete de Cazeville verärgert und reichte die Briefrolle zurück. Er zögerte, sie loszulassen, während der Ältere bereits zugegriffen hatte. Beide standen sich gegenüber und maßen sich mit Blicken. »Ihr solltet Eure Spione mit mehr Bedacht auswählen«, sagte de Cazeville. »Ich brauche genauere Angaben! So eine Sache wie mit Bischof Albert darf nicht noch einmal passieren! Es muss beim ersten Mal klappen!«

Er drehte sich um und zog seine Kapuze über den Kopf. An der Tür blieb er stehen.

»Ist der Mann da draußen verlässlich?«, fragte er.

»Ich habe ihn mit Geld bestochen.«

De Cazeville schnaubte. »Unter der Folter gesteht jeder!«, sagte er verächtlich und verließ den Raum. Der Grauhaarige blickte ihm regungslos nach.

Draußen hastete der Flickschuster durch die Diele und wollte dem dunkel gekleideten Mann die Tür öffnen. Mit der Handfläche presste de Cazeville dagegen. Verängstigt blickte der Schuster zu ihm auf, als er etwas unter seinem Umhang hervorzog. Mit einem gurgelnden Laut sackte der Schuster zusammen. De Cazeville wischte den blutigen Dolch an dessen Lumpen ab und steckte ihn wieder unter seinen Mantel. Dann verließ er das Haus.

Die bislang flache Landschaft mit wenigen Hügeln, die sich nur leicht über die Umgebung erhoben und durch die der Tross mit dem Wagen der beiden jungen Adelsdamen und ihrer acht Begleiter zog, wechselte bald zu einem schrofferen Gelände mit Wald und Sümpfen. Die Straße bog nach Osten ab und querte einen kleinen Fluss. Die Brücke sah verfallen aus, das Wächterhäuschen war verlassen.

War die Straße bis hierher noch leidlich befahrbar gewesen, so ging sie jetzt in einen ausgefahrenen Weg über, in dessen tiefen Mulden Pfützen standen. Die Hufe der Pferde patschten durch den Schlamm, der Wagen schaukelte und ächzte. Aus dem sumpfigen Wald stiegen Nebelfetzen auf, es roch modrig und nach wildem Knoblauch. Sie kamen nur noch langsam vorwärts.

Der Weg verengte sich und wand sich in unübersichtlichen Kurven um bewaldete und mit Gestrüpp bewachsene Hügel. Stellenweise reichte der Wald bis an den Wegrand heran. Auch wurde der Boden schlechter. Tiefe Furchen durchzogen den Weg, hier fuhren offensichtlich häufig schwere Karren mit gefällten Bäumen entlang. Knorrige Äste streiften die Plane des Wagens, und Mathilda befürchtete, dass so ein Ast die Stoffplane zerreißen könnte.

Der Soldat, der die beiden Pferde vor dem Wagen lenkte, schrie und fluchte und zerrte an den Zügeln, während der Wagen wie ein Boot bei schwerem Seegang sich mal zur einen, mal zur anderen Seite neigte.

»Entsetzlich, diese Flüche«, jammerte Mathilda. »Ihr solltet Euch die Ohren zuhalten, Prinzessin.«

»Geht nicht«, ächzte Isabella. »Ich muss mich festhalten, um nicht durch den ganzen Wagen zu fliegen. Meine Güte, sind das die Wege meines Vaters?«

»Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht. Wären wir doch bloß im Kloster geblieben!« Sie wimmerte leise vor sich hin.

Die Pferde wieherten und zerrten ungleichmäßig an den Strängen. »Verdammte Gäule!«, brüllte der Soldat. »Komm doch mal einer her und führe diese elenden Schindmähren!«

Ein anderer Soldat stieg von seinem Pferd ab und ergriff die Zügel der sich ängstlich aufbäumenden Zugpferde. Ungeduldig riss er daran und beunruhigte die Pferde noch mehr. Die anderen Soldaten der Eskorte wandten sich um und beobachteten besorgt die Probleme mit dem Gespann.

»Na, los doch!«, rief der Hauptmann. »Halt sie fest, damit sie auf dem Weg bleiben. Wenn das Rad an einer dieser dicken Wurzeln hängen bleibt, bricht es weg!«

Verzweifelt versuchte der Soldat, die Pferde in die Spur zu bewegen. Doch während er die Tiere in die eine Richtung zog, zerrte der Wagenlenker die Zügel in die andere Richtung.

»Was seid ihr bloß für Holzköpfe!«, tobte der Hauptmann und wies einen dritten Soldaten an, den beiden zu Hilfe zu eilen.

Es krachte, als der Wagen mit einem Rad in die tiefe Furche geriet. Mit einem Aufschrei klammerten sich Isabella und Mathilda fest. Körbe und Truhen flogen durcheinander, der Wagen legte sich bedrohlich zur Seite.

»Was ist geschehen?«, rief Isabella und kroch unter einem Reisekorb hervor. Der Hauptmann steckte den Kopf unter die Plane. »Ist Euch etwas passiert, Prinzessin?«, fragte er.

»Mir nicht, aber offensichtlich dem Wagen. Es knirschte so schrecklich.«

Sie krabbelte über die schräg stehenden Planken nach vom und kletterte vom Bock des Wagens. Einer der Soldaten hatte sich neben das Rad gekniet, das in einem unnatürlichen Winkel zur Achse stand.

»Wir haben einen Achsenbruch, Hoheit. Ich befürchte, dass wir eine Zwangspause einlegen müssen.«

Isabella runzelte die Stirn. Nach dem schrecklichen Erlebnis in dem Dorf war sie bestrebt, so schnell wie möglich die Burg ihres Vaters zu erreichen.

»Kann man das reparieren?«, fragte sie nervös.

»Ich weiß es nicht. Wir müssen den Wagen entladen, um ihn aus der Furche zu heben. Erst dann kann ich sehen, ob wir es hier reparieren können.«

»Das fehlte noch«, stöhnte Isabella, und Mathilda begann wieder, leise vor sich hin zu wimmern. »Reiß dich doch zusammen«, fuhr Isabella sie ärgerlich an und biss sich gleich darauf auf die Lippen. Mathilda tat ihr Leid, sie musste einen Schock durch den schrecklichen Anblick im Dorf erlitten haben. Schützend zog sie die Freundin in die Arme. »Ist schon gut«, tröstete sie.

Mathilda raffte sich auf, und beide begaben sich zum Wegrand. Dort knieten sie nieder, um zu beten. Isabella zog das Amulett des heiligen Martin unter ihrem Mantel hervor und umschloss es mit beiden Händen. Der Schutzpatron des Klosters würde ihr sicher auch in dieser Situation Beistand leisten.

Die Soldaten waren von ihren Pferden abgestiegen, um den Wagen zu entladen. Die Zügel hatten sie über die Zweige des Gestrüpps geworfen. Sie zogen die Körbe und Kisten vom Wagen und stapelten sie am Wegrand auf.

Als der Wagen leer war, kniete sich einer der Soldaten darunter, um den Schaden in Augenschein zu nehmen.

Isabella unterbrach ihr Gebet und hockte sich daneben. »Was ist, könnt Ihr es reparieren?«, fragte sie.

»Die Achse ist gebrochen. Dazu benötigen wir Werkzeug. Hiermit kommen wir heute nicht …« Er stockte. Ein leises, scharfes Sirren war zu vernehmen. Der Soldat kippte nach vom. Entsetzt starrte Isabella auf den Pfeil, der in seinem Rücken steckte. Dann schrie sie auf.

Im gleichen Augenblick sprangen von allen Seiten dunkle, zerlumpte Gestalten auf sie zu. Isabella hörte das metallische Ziehen der Schwerter und Angst einflößendes Gebrüll. Ein zweiter Soldat der Eskorte stürzte neben ihr tödlich getroffen nieder. Weiter vom sah sie einen dritten und einen vierten auf dem Weg liegen. Hinter der Biegung hörte sie noch Kampflärm. Eine schmutzige Hand griff nach ihr.

»Verschwinde!«, kreischte sie auf. Geistesgegenwärtig riss sie dem neben ihr liegenden toten Soldaten das Schwert aus der Hand und wandte sich um. Mit beiden Händen umklammerte sie den Griff und staunte, wie schwer diese Waffe war. Mit aller Kraft hieb sie auf den unheimlichen Angreifer ein. Sie musste ihn verletzt haben, denn er wich mit einem dumpfen Schmerzlaut zurück.

»Heilige Mutter Gottes«, murmelte sie entsetzt, »ich habe einen Menschen verletzt!«

Irritiert ließ sie das Schwert sinken. Im gleichen Augenblick wurde sie von den verwegenen Gestalten umringt.

Gehetzt blickte sie sich um. Sie konnte keinen ihrer Soldaten entdecken, vier lagen tot auf dem Weg, die anderen blieben verschwunden. Neben dem Wagen stand Mathilda wie eine Salzsäule mit schreckensbleichem Gesicht und weit aufgerissenen Augen.

»Was haben wir denn da für ein Schätzchen?«, hörte sie eine krächzende Stimme neben sich. Die Gestalten rückten näher und streckten ihre grässlichen Finger nach ihr aus.

»Neiiiin!«, entrang sich ein verzweifelter Schrei aus Isabellas Kehle, und gleichzeitig schwang sie wieder das Schwert um sich. Die Mauer der schwarzen Gestalten wich zurück, und sie ließ verzweifelt das Schwert weiter kreisen, um sie auf Abstand zu halten. Doch sie spürte, dass die Kraft ihrer Arme erlahmte. Sie presste die Augen zu, um dem albtraumhaften Anblick zu entgehen.

»Lasst die Finger von ihr!«, vernahm sie eine tiefe, wohlklingende Stimme. Isabella öffnete die Augen und hielt inne. Vor sich auf dem Weg erblickte sie zwei Ritter zu Pferde. Beide trugen einfache Kettenhemden unter dem ledernen Brustpanzer. Ein schlichter Mantel war in der Taille gegürtet, und sie trugen Helme mit heruntergeklapptem Visier.

Isabella atmete auf. Genau im richtigen Moment schickte der heilige Martin ihr diese beiden edlen Ritter! Sie stieß ein Stoßgebet aus und ließ das Schwert sinken. Die zerlumpten Gestalten wichen tatsächlich zurück und blieben in angemessener Entfernung stehen.

»Euch schickt der Himmel!«, rief Isabella.

»So?«, erwiderte einer der beiden Ritter und zügelte sein Pferd, während der andere absaß. Doch beide blieben an der Wegbiegung stehen.

Isabella erwartete, dass die beiden Ritter nun, da der Kampf vorbei war, ihre Visiere öffnen und sich vorstellen würden. Sie suchte nach dem Wappen der Ritter, das ihre Identität auswies. Doch seltsamerweise trugen sie kein Zeichen, kein Wappen, keine Farbe auf dem Gewand. Nichts verriet die Herkunft der beiden Retter.

Eine schreckliche Ahnung stieg in ihr auf, und sie umklammerte den Griff des Schwertes fester. Kampflos würde sie diesen Räubern jedenfalls nicht in die Hände fallen.

»Schaut lieber nach, was in den Kisten ist«, vernahm sie die Stimme des Ritters auf dem Pferd, die wegen des heruntergeklappten Visiers ein wenig blechern klang. In seiner rechten Hand trug er das gezogene zweischneidige Langschwert. Entsetzt bemerkte Isabella, dass Blut daran klebte. Der Ritter blieb ruhig auf seinem dunklen Pferd sitzen, das eine einfache, graubraune Decke trug.

Der zweite, groß gewachsene Ritter trug eine ähnliche Tracht. Über dem Kettenhemd lag ein einfacher Waffenrock von graugrüner Farbe, ebenfalls in der Taille gegürtet. Sein Schwert steckte im Gürtel. An der rechten Seite trug er zusätzlich einen Langdolch. Sein Kopf wurde von einem leicht konischen Helm geschützt, dessen Augenvisier geschlossen war. Er trug kein Zimier am Helm, sodass auch seine Identität nicht festzustellen war.

Isabella schluckte schwer. Sie waren in die Hände von Raubrittern geraten!

»Wer wagt es, mir den Weg zu verstellen?«, rief Isabella und bemühte sich, ihrer Stimme Festigkeit zu verleihen. »Ich bin die Tochter des Herzogs!«

»Ich bitte Euch, Isabella, haltet den Mund!«, hörte sie hinter sich Mathildas weinerliche Stimme. In dem Augenblick, als sich die Gestalten von Isabella zurückgezogen hatten, um die Kisten zu durchwühlen, war sie zu ihr geeilt und hatte sich hinter ihrem Rücken versteckt.

»Wieso?«, entgegnete Isabella laut. »Damit sie gleich wissen, mit wem sie es zu tun haben, denn das wird ihre letzte niederträchtige Tat sein!«

Sie erntete schallendes Gelächter, sowohl von den beiden Rittern als auch von der zerlumpten Meute um sie herum. Mathilda krallte sich an Isabellas Schultern fest und schlotterte am ganzen Körper.

»Nimm den Mund nicht zu voll, kleine Wildkatze«, bemerkte der Ritter, der jetzt langsam auf sie zuschritt.

»Keinen Schritt weiter, oder ich zerlege Euch wie einen gebratenen Kapaun!«, rief Isabella, und wieder lachten die Umstehenden.

»Mutig ist sie ja, das muss man ihr lassen.« Der Ritter kam unbeirrt näher, und Isabella hob drohend das Schwert.

»Bleibt stehen!«, zischte sie.

»Da sind nur Stoffe drin, Altardecken und Obst und Wein und Gebäck«, sagte eine der finsteren Gestalten und trat vor den Ritter. Ratlos hielt er einige Frauengewänder hoch.

»Kein Schmuck, kein Geld? Wo Frauen sind, muss auch Schmuck sein!«, rief der Ritter. »Sucht weiter, vielleicht haben sie ihn versteckt.«

Isabella verzog die Mundwinkel. »Da könnt Ihr lange suchen«, sagte sie fast belustigt. »Wir kommen geradewegs aus einem Kloster, da trägt man keinen Schmuck.«

Der Ritter stutzte. »Ihr seid Nonnen?«, fragte er verwirrt.

»Ja!«, rief Mathilda.

»Nein!«, rief Isabella.

Mathilda knuffte sie in den Rücken. »Um Gottes willen, Isabella, verratet nicht Eure wahre Herkunft!«, zischte sie ihr ins Ohr. »Sie werden uns als Geiseln nehmen, um von Eurem Vater Lösegeld zu erpressen. Das heißt, sicher nur Euch, denn ich bin ihnen nichts wert. Mich werden sie wohl gleich erstechen oder enthaupten.«

»Unsinn! Sie haben bestimmt Angst vor meinem Vater. Er wird sie mit seinen Soldaten aufstöbern und zur Strecke bringen. Er duldet keine Wegelagerer, Räuber, Mörder in seinem Reich.«

»Wie Nonnen sehen sie aber nicht aus«, sagte der Ritter auf dem Pferd. »Doch sie tragen schlichte Kleidung. Etwas seltsam ist es schon, dass zwei so junge – und reizende – Damen allein reisen.« Eine heftige Röte überzog Isabellas Wangen. Noch nie hatte ein Mann ihr ein Kompliment gemacht. Und der erste Mann in ihrem Leben, der so etwas sagte, war ein Raubritter! Drohend bewegte sie die Spitze des Schwertes hin und her.

»Dann haben sie etwas zu verbergen, wenn sie sich bewusst einfach kleiden. Unauffällig wollen sie sein. Was trägst du da an deinem Hals?«

Der Ritter streckte den Arm nach dem Amulett des heiligen Martin aus, das Isabella noch vom Beten über ihrem Gewand trag.

»Finger weg, das ist mein Schutzheiliger, der heilige Martin! Ich habe ihn als Abschiedsgeschenk von Mutter Dolorosa aus dem Kloster St. Martin bekommen!«

»Der heilige Martin?«, fragte der Ritter auf dem Pferd und ruckte unruhig im Sattel umher. »Wie passend!«

Isabella verstand nicht, was er meinte. Sie war damit beschäftigt, den anderen Ritter davon abzuhalten, sich der Kette zu bemächtigen. Als er wiederholt nach ihr griff, hieb Isabella mit dem Schwert nach seinem Arm. Flink und geschmeidig wich er aus, doch er schien ob ihrer Entschlossenheit verblüfft zu sein.

Der Ritter auf dem Pferd streckte sein blutiges Schwert nach vom. Einen Augenblick irrten Isabellas Augen zu ihm, im gleichen Moment war der andere Ritter mit zwei großen Schritten bei ihr und packte grob ihre Handgelenke. Mit einem Schmerzensschrei ließ Isabella das Schwert fallen. Jetzt, wo der Ritter vor ihr stand, bemerkte Isabella, wie groß er war.

»Warum habt Ihr nicht Euer Schwert gezogen und Euch verteidigt, wie es sich für einen Ritter gehört«, zischte Isabella und rieb sich die schmerzenden Handgelenke. Hinter dem Visier ertönte ein belustigtes Lachen.

»Das war nicht notwendig. Mit kleinen Mädchen kreuze ich keine Klinge, höchstens die Lippen.«

Wieder errötete Isabella heftig über diese Unverschämtheit. Der Ritter griff nach dem Amulett und zog ihr die Kette einfach vom Hals.

Mathilda hielt Isabella an den Schultern fest, als sie mit bloßen Fäusten auf den Ritter einschlagen wollte.

»Lass los, du dumme Gans!«, schrie Isabella und wehrte sich gegen Mathildas Griff.

»Mir scheint, diese junge Dame ist wesentlich besonnener als Ihr, kleines Fräulein«, sagte der Ritter und hängte die Kette an die blutige Schwertspitze, die der andere Ritter ihm hinhielt. Er wandte sich um und ging zu seinem Pferd zurück.

Der Ritter auf dem Pferd nahm die Kette vom Schwert und steckte es wieder zurück in den Gürtel. Nachdenklich blickte er auf das Medaillon in seiner Hand. Und da schob er sein Augenvisier hoch, um es besser betrachten zu können.

»Es ist tatsächlich der heilige Martin«, murmelte er.

Der andere Ritter stieg auf sein Pferd und beugte sich zu ihm herüber. »Vielleicht stimmt es, was sie sagt. Vielleicht kommen sie wirklich vom Kloster.«

»Möglich ist es. Die Altardecken, das Gebäck, der Wein, mehrere Bibeln, Leinwand, Weiberkleider, Kräutermixturen, das alles sieht eher nach Kloster als nach herzoglichem Hof aus. Schmuck scheinen sie keinen dabeizuhaben und nur wenig Geld.«

»Was machen wir mit ihnen?«, fragte der größere der beiden Ritter.

Der andere straffte den Rücken. »Packt die Kisten zusammen und nehmt sie alle mit!«, rief er seinen Kumpanen zu. »Die beiden Mädchen lasst laufen.«

»Warum willst du sie nicht als Geiseln nehmen? Vielleicht ist sie wirklich die Tochter des Herzogs, und wir könnten sie benutzen, um ihn zu zwingen, uns endlich …«

»Und wenn nicht?«, unterbrach ihn der andere. »Dann haben wir zwei Esser mehr, und das können wir am allerwenigsten gebrauchen.«

Er trieb sein Pferd an und ritt ganz nah an Isabella heran. Sie schaute zu ihm auf – und blickte in zwei wunderschöne, strahlend blaue Augen! Wie vom Blitz getroffen wich sie zurück, ohne ihren Blick von ihm zu wenden. Für wenige Momente versanken ihre Augen ineinander, Momente, die Isabella wie die Ewigkeit vorkamen. Ihr ohnmächtiger Zorn über diesen hinterhältigen Überfall wich einer seltsamen Erregung, die sie sich nicht erklären konnte. Sie atmete tief und heftig, und wie geistesabwesend fuhr ihre Zungenspitze über ihre trockenen Lippen. Der Ritter starrte sie an, und Isabella glaubte plötzlich, dass seine Augen in einem seltsamen, überirdischen Licht leuchteten wie kostbare Edelsteine. Während sie immer noch starr dastand und ihm das Gesicht zuwandte, klappte er plötzlich sein Visier herunter, riss sein Pferd herum und winkte mit dem linken Arm seinen Kumpanen zu, sich zurückzuziehen. Wie ein Spuk verschwanden die Gestalten mit ihrer Beute zwischen den Bäumen. Hinter der Wegbiegung hörten sie den Hufschlag der sich entfernenden Pferde. Dann legte sich tiefe Stille über sie.

Kapitel 2

Ein schmerzlicher Aufschrei durchriss die Stille, und Isabella zuckte leichenblass zusammen.

»Mathilda, wie kannst du mich so erschrecken!«, rief sie. »Ich dachte, ich müsste sterben!«

»Das müssen wir sowieso!«, wehklagte Mathilda und rang verzweifelt ihre Hände. »Sie haben uns hier mitten in der Wildnis allein gelassen! Und die vielen Toten!« Wieder weinte und jammerte sie aus voller Kehle, bis Isabella ihr eine schallende Ohrfeige versetzte.

»Halt den Mund, du hysterische Ziege!«, schrie sie Mathilda an. »Anstatt hier herumzuschreien, sollten wir überlegen, wie wir uns retten können!«

Mathilda starrte die Prinzessin mit offenem Mund an. Noch nie im Leben hatte Isabella sie angeschrien oder gar geschlagen, nicht einmal als kleine Kinder, als sie noch voll von unbeschwertem Entdeckungsdrang in der Burg oder auf den darunter liegenden Wiesen und am Bach gespielt hatten!

»Es gibt keine Rettung für uns!«, widersprach Mathilda und stieß ein lautstarkes Stoßgebet zum Himmel. »Heilige Mutter, erbarme dich unser, und lass uns in das Reich Gottes eingehen, wo wir für immer Ruhe finden werden vor der grausamen Welt und den schrecklichen Menschen, die andere überfallen und töten und ihre Seele dem Teufel verschreiben …«

»Hast du gehört, halt endlich deinen Mund!«, schrie Isabella und schüttelte Mathilda heftig an ihren Kleidern. »Ich will noch lange nicht da hinauf! Wir werden jetzt die toten Soldaten begraben.«

»Was?«, heulte Mathilda auf. »Ich fasse keine Leichen an!«

Zitternd stand Isabella auf dem Weg. Ihr Kleid war schlammverkrustet und zerrissen, während Mathilda ängstlich ihren Umhang erhoben hielt, um den Saum nicht zu beschmutzen.

»Ich fasse es nicht«, stammelte die Prinzessin. »Was bist du nur für eine Schwester, die mich am liebsten sterben sehen würde?« Mathilda fiel Isabella um den Hals. »Ich würde mein Leben für Eures geben, Hoheit«, wimmerte sie.

»Jetzt, wo alles vorbei ist?« Isabella schob Mathilda unsanft von sich. »Reiß dich zusammen, und denke an deine Christenpflicht! Diese tapferen Männer sind für uns gestorben. Das heißt, auch für dich! Du musst sie begraben!«

»Reicht es nicht, wenn ich für sie bete?«

»Nein! Und jetzt fass mit an, bevor ich ganz die Beherrschung verliere!«

Widerwillig half Mathilda, die toten Soldaten zusammenzutragen. Begraben konnten sie sie nicht, weil ihnen dazu die notwendigen Schaufeln fehlten, doch sie konnten sie wenigstens zu einer Sumpfstelle unweit des Weges schleifen, wo sie die armen Männer der Erde übergaben. Doch einer der Soldaten hatte überlebt. Stöhnend wälzte er sich im Schlamm.

Isabella sprach beruhigend auf ihn ein und besah sich seine Wunden. Er hatte eine tiefe, aber nicht lebensgefährliche Stichwunde in der Schulter und einen Hieb am Oberarm.

»Geh, Mathilda, suche im Wagen, ob du irgendwo Nähzeug findest, damit ich seine Wunde nähen kann, und einige Stoffe oder Kleider, um ihn zu verbinden. Und wir brauchen Wasser für ihn.« Sie half dem Unglücklichen, sich an einen Baumstamm anzulehnen. »Ihr seid ein Engel, Hoheit«, flüsterte der entkräftete Soldat. »Jeder andere hätte mich sterben lassen.«

»Ihr dürft nicht sprechen«, erwiderte Isabella. »Schont Eure Kräfte!«

»Pferde«, ächzte der Soldat. »Ihr müsst die Pferde suchen. Ohne Pferde werden wir nicht überleben.«

Isabella blickte sich um. »Pferde? Sie haben unsere Pferde mitgenommen!« Erst jetzt fiel ihr das Entsetzliche auf! Sie waren verloren, wenn sie keine Pferde finden würden! Doch sie gab sich keinen Illusionen hin. Die Räuber hatten nichts Wertvolles in ihrem Wagen gefunden. Das Wertvollste waren die Pferde!

Endlich kam Mathilda zurück. Sie trug lediglich einen Wasserkrug in der Hand und hob die Schultern. »Sie haben alles mitgenommen, auch den Reisekorb mit den Stoffen und Garnen.«

»Diese Bestien!« Zorn flammte in Isabella auf. Doch dann blickte sie auf den armen Soldalten, der tapfer seine Schmerzen ertrug. Kurz entschlossen hob Isabella den Rock ihres Gewandes und riss ihr Unterkleid in lange Streifen.

»Was macht Ihr da, Hoheit?«, fragte Mathilda entsetzt.

»Ich rate dir, das Gleiche zu tun!«, erboste sich Isabella. »Der Ärmste benötigt Verbandsmaterial. Auf seinen Wunden sind die Stoffe wichtiger als an unseren Körpern!«

Seufzend und mit tadelndem Bück zerriss auch Mathilda ihr Unterkleid. Damit konnte Isabella den Soldaten leidlich verbinden. Sie setzte ihm den Krug an die Lippen. Gierig trank er das abgestandene Wasser.

»Du bleibst bei ihm und passt auf, dass er nicht ohnmächtig wird. Ich schaue mich um, ob ich die Pferde finde.«

»Ich soll hier mit ihm allein bleiben?«, fragte Mathilda entsetzt und blickte ängstlich auf den Soldaten.

»Hast du mich nicht verstanden? Er wird dir garantiert nichts tun. Wir brauchen dringend Pferde!«

»Und wenn die Räuber wiederkommen?«

»Sie kommen nicht wieder. Bei uns gibt es nichts mehr zu holen.«

Isabella erhob sich und ging den Weg weiter. Zitternd blieb Mathilda zurück.

Es dauerte lange, und Mathilda hatte jedes Gefühl für Zeit mittlerweile verloren, als sie den Hufschlag eines Pferdes vernahm. In Panik sprang sie auf und versteckte sich hinter einem dicken Baumstamm. Der Soldat war ihr in diesem Augenblick völlig gleichgültig.

Isabella kam, auf einem kräftigen Zugpferd sitzend, um die Wegbiegung. Verwundert blickte sie auf den Soldaten. »Wo ist Mathilda?«

»Hier bin ich«, erklang es zaghaft hinter dem Baum.

»Herrgott, Mathilda! Hatte ich dir nicht befohlen, bei dem Soldaten zu bleiben?«

»Ich dachte, die Räuber kommen zurück«, erwiderte Mathilda kläglich.

Isabella sprang vom Pferd. »Es ist das einzige, das ich gefunden habe«, sagte sie bedrückt. »Es stand bis zum Bauch im Sumpf und wäre wahrscheinlich darin versunken. Die anderen haben die Räuber wohl mitgenommen.«

Der Soldat hob schwach die Hand. »Die Herberge«, flüsterte er. »Reitet zu der Herberge, sie ist etwa sieben Meilen von hier entfernt. Dort könnt Ihr Hilfe holen.«

Isabella blickte zweifelnd auf ihn herab. »Sieben Meilen? Und Ihr? Ich kann Euch nicht Eurem Schicksal überlassen.«

»Lasst mich hier liegen! Ich bin nur ein einfacher Soldat. Rettet Euer Leben, Hoheit!«

Isabella schüttelte den Kopf. »Nein, das würde ich mir nie verzeihen! Ihr seid ein tapferer Soldat. Ihr habt Euer Leben für mich riskiert, jetzt werde ich mit meinem Leben Eures schützen.«

»Isabella, was redet Ihr da!«, ereiferte sich Mathilda. »Vergesst Ihr, wer Ihr seid?«

Isabella blickte sie spöttisch an. »Vor noch nicht allzu langer Zeit gabst du mir den Rat, nicht preiszugeben, wer ich sei!«

»Das war auch etwas anderes. Da ging es um Euer Leben, Hoheit!«

»Und? Habe ich es etwa nicht gerettet? Und deines dazu. Wir werden uns jetzt zu dritt auf den Weg machen zu dieser Herberge, wo wir Hilfe finden können.«

»Wie stellt Ihr Euch das vor?«, fragte Mathilda. »Wir haben nur ein Pferd! Und der Soldat wird den langen Fußmarsch nur schwerlich überstehen.«

»Ja, allerdings. Deshalb wird er auf dem Pferd reiten, und wir beide laufen.«

»Nein!«, Mathildas empörter Aufschrei gellte durch die Luft. »Wir sollen laufen? Ihr seid Prinzessin, Euch steht das Pferd zu.«

»Ganz recht. Und ich kann bestimmen, was mit dem Pferd geschieht. Und ich bestimme, dass der Soldat auf dem Pferd reitet, während wir zu Fuß gehen. Soldat, könnt Ihr auf das Pferd steigen, wenn wir Euch helfen?«

»Ich werde es versuchen. Prinzessin, Ihr seid eine Heilige!« Tränen liefen über sein zerfurchtes Gesicht, und mit zitternden Händen griff er nach Isabellas Hand.

Sie lächelte ihm beruhigend zu. »Betet zu allen Heiligen, dass sie uns beschützen und helfen!«

Es war ein seltsamer Zug, der am späten Abend die kleine, schäbige Herberge erreichte. Von weitem sah sie wie ein ärmliches Bauerngehöft aus mit einem binsengedeckten Haupthaus, einem Stall und einer Scheune.

Misstrauisch kamen die Wirtsleute aus der Herberge gelaufen und leuchteten mit ihren Lichtfässern ungläubig die drei völlig erschöpften Menschen an.

»Gütiger Gott, wer seid Ihr?«, fragte der Wirt.

Isabella wagte nicht zu sagen, dass sie die Tochter des Herzogs sei. Es hätte ihr sowieso niemand geglaubt. Außerdem war sie völlig entnervt von der ständigen Jammerei Mathildas, die riesige Blasen und durchgelaufene Schuhe an den Füßen hatte. Ihre Füße sahen nicht besser aus, und sie hätte nie geglaubt, wie weit sieben Meilen waren. Selbst das Pferd schnaufte heftig, und der Soldat konnte sich kaum noch auf dem Rücken des Tieres halten.

»Wir waren unterwegs zur Burg des Herzogs, als wir im Wald, etwa sieben Meilen von hier, von Wegelagerern überfallen wurden. Alle Soldaten unserer Eskorte wurden getötet bis auf diesen hier. Wir brauchen eine Unterkunft für die Nacht und etwas zu essen. Und jemanden, der sofort zur Burg meines … des Herzogs reitet und Hilfe holt.«

Noch immer beäugte der Wirt sie misstrauisch. So schmutzverkrustet und völlig entkräftet, wie sie aussahen, konnten sie ebenso irgendwelche Flüchtlinge sein.

»Es könnte eine Falle sein«, flüsterte die Wirtin ihrem Mann ins Ohr. »Oder es sind Diebe!«

»Gut möglich. Andererseits sind sie in einer schlechten Verfassung, das sieht man. Sie könnten nicht heimlich verschwinden.«

»Habt Ihr Geld?«, fragte die Wirtin laut.

Isabella runzelte zornig die Brauen. »Ich sagte doch, wir sind überfallen und ausgeraubt worden. Wir haben nichts. Aber ich verspreche Euch, Ihr werdet dreifach belohnt, wenn Ihr uns Hilfe gewährt!«

»Kommt herein, in Gottes Namen«, sagte die Wirtin. »Gerda, bring Wasser und etwas zu essen! Michael, führe das Pferd in den Stall und versorge es!«

Isabella und Mathilda stützten den Soldaten, als er vom Pferd stieg, und führten ihn in die Herberge. Aufstöhnend ließ er sich auf eine Bank gleiten.

»Seine Wunden müssen versorgt werden«, sagte Isabella, und die Wirtin brachte eine Schüssel mit frischem Wasser und Tücher.

»Bei allen Heiligen!«, rief sie erschrocken aus, als sie die tiefen Wunden sah. »Ihr seid tatsächlich überfallen worden!«

»Glaubt Ihr es nun?«, fragte Isabella erbost. »Der Ärmste kann nicht reiten. Habt Ihr einen Knecht, der sofort losreiten könnte?« Der Wirt, der schweigend daneben stand, schüttelte den Kopf. »Nur unsere Magd Gerda.«

»Und wer ist der junge Mann, der das Pferd versorgt?«, fragte Isabella.

»Das ist unser Sohn«, erwiderte der Wirt. Gleich darauf betrat Michael den Gastraum, und Isabella blickte dem etwa sechzehnjährigen hübschen Knaben ins Gesicht. Er hatte dunkle Locken und schöne Augen und schaute jetzt ebenfalls neugierig auf die seltsamen Gäste.

»Michael, ich werde dich reich belohnen, wenn du von der Burg des Herzogs Hilfe holst! Reite los!«

Der Wirt trat dazwischen. »Es hat keinen Zweck, im Dunkeln loszureiten. Ihr müsst Euch bis morgen Früh gedulden. Außerdem könnte Michael ebenfalls in die Fänge der Räuber fallen.« Isabella schüttelte unwillig den Kopf, doch die Wirtin setzte ihnen das Essen vor. »Stärkt Euch, und schlaft Euch aus! Gleich im Morgengrauen reitet Michael los und holt Hilfe. Es hat jetzt keinen Sinn.«

Das sah Isabella schließlich ein. Sie deutete auf den Soldaten, der erschöpft auf der Bank lag. »Kann er hier liegen bleiben?«

»Natürlich! Für Euch wird Gerda eine Kammer unterm Dach herrichten. Und nun stärkt Euch bitte!«

Doch bevor Isabella zu essen begann, faltete sie die Hände zum Gebet und dankte der Mutter Gottes, dem heiligen Martin und noch einigen anderen Heiligen für ihre glückliche, wenn auch völlig erschöpfte Ankunft in der Herberge und bat gleichzeitig um Hilfe und Beistand für den verletzten Soldaten. Und sie fütterte ihn und flößte ihm Wein ein, damit er wieder zu Kräften kam.

Befremdet beobachtete Mathilda sie, doch sie schwieg. Zu anderer Gelegenheit hätte sie sich nicht zurückgehalten, Isabella zu rügen, doch sie war viel zu erschöpft, um auf gewisse Standesregeln zu achten, die Isabella hätte einhalten müssen.

Nach dem Essen führte Gerda die beiden jungen Damen in ihre Kammer unterm Dach. Gerda war ein frisches, rosiges Bauernmädchen mit roten Wangen, einem üppigen Busen und ausladenden Hüften. Ihr breites Hinterteil schaukelte vor Isabellas Augen hin und her, als sie vor den beiden Mädchen die steile Stiege hinaufkletterte, die zu den Kammern unter dem Dach führte.

Es war eine einfache Kammer mit zwei strohgefüllten Säcken und zwei Decken auf dem Boden. Doch es störte beide nicht, wenn sie nur ihre schmerzenden Glieder ausstrecken und die schrecklichen Ereignisse im wohltuenden Schlaf vergessen konnten.

Gerda ließ ihnen ein Leuchtfässchen mit Talg stehen, damit sie sich auch in der Dunkelheit zurechtfänden.

Aufstöhnend ließen sich beide auf das harte Lager gleiten. Doch in diesem Moment erschien ihnen das unbequeme Stroh gleich einer Wolke, die sie gnädig aufnahm und ihren geschundenen Körpern Linderung schenkte. Die Kleidung wagten sie nicht abzulegen, ganz bestimmt warteten gierige Wanzen in den Deckenbalken nur darauf, sich auf die zarten Körper der beiden jungen Damen fallen zu lassen und ihnen das Blut wie Vampire auszusaugen.

Reglos lagen beide da. Erst jetzt kam ihnen zu Bewusstsein, was sie in den wenigen Stunden seit ihrer Abreise aus dem Kloster durchgestanden hatten.

Isabella hörte Mathilda leise beten. Ein wenig verächtlich wand Isabella den Kopf zu ihrer Zofe, die in all den Jahren im Kloster mehr als eine Bedienstete gewesen war. Sie war ihre Freundin, ihre Schwester, ihre Vertraute, mit der sie stets ihre Freuden, ihren Kummer und ihre Geheimnisse geteilt hatte. Sie glaubte Mathilda zu kennen, doch seit sie das Kloster verlassen hatten, schien sie sich verändert zu haben. So ängstlich, verzagt und auch wehklagend hatte sie ihre Freundin noch nie erlebt. Und trotz ihrer Beteuerungen, ihr Leben für Isabella geben zu wollen, hatte sie um ihr eigenes offensichtlich große Sorge. War es die unbekannte Zukunft, vor der sich Mathilda fürchtete? War sie dem Leben außerhalb der Klostermauern gar nicht gewachsen? Sie verspürte Mitleid mit Mathilda, aber auch Zorn. Mathilda hatte sich hinter ihr versteckt, als sie von den Wegelagerern angegriffen worden waren! Sie, Isabella, hatte todesmutig das Schwert geschwungen und war den Raubrittern entgegengetreten, erhobenen Hauptes und mit festem Blick. Und was hatte Mathilda gewinselt? Isabella solle ihre Herkunft verleugnen!

Sie würde mit Mathilda ein ernstes Wort sprechen müssen und sie notfalls auch an ihr Treuegelübde erinnern. Denn schließlich war sie nur die Tochter eines armen Ritters, der sie infolge seines fehlenden Vermögens nicht verheiraten konnte. Mathilda blieb nichts weiter übrig, als in Isabellas Diensten zu bleiben – oder ins Kloster zu gehen!

Doch die überstandenen Strapazen forderten auch bei Isabella ihren Tribut. Unter Mathildas leisem Gemurmel glitt Isabella in einen tiefen, traumlosen Schlaf hinüber.

Nach einiger Zeit quälte Isabella ein menschliches Bedürfnis. Sie hatte vor lauter Durst ziemlich viel Wasser und Wein getrunken. Benommen erwachte sie und versuchte, sich in der winzigen Kammer zu orientieren. Mathilda hatte das Talglicht brennen lassen. Sie sah sich um, konnte jedoch nirgends ein Nachtgeschirr entdecken.

Mathilda erwachte von Isabellas Unruhe. »Soll ich den Wirt rufen, damit er ein Nachtgeschirr bringt?«

»Um Himmels willen, nein! Auf dem Hof wird es wohl einen Abtritt geben.«

»Ihr wollt Euch doch nicht mitten in der Nacht auf den Hof begeben?«, fragte Mathilda entsetzt.

»Warum nicht? Meist steht er gleich neben dem Misthaufen.«

»Es ist gefährlich, mitten in der Nacht draußen herumzulaufen.«

»Gefährlicher als das, was uns heute widerfahren ist, kann es wohl nicht mehr werden«, seufzte Isabella. »Ich nehme das Talglicht mit.«

»Soll ich Euch begleiten, Herrin?«, fragte die Zofe, doch die Angst in ihrer Stimme war bereits Antwort genug.

»Nein, nein«, wehrte Isabella ab. »Den Abtritt finde ich schon allein.«

Sie nahm das Leuchtfässchen mit dem Talglicht und tastete sich leise die Treppe hinunter. Durch den Hinterausgang verließ sie die Herberge und lief über den Hof. Der Abtritt befand sich neben dem Stall unmittelbar neben dem Misthaufen. Isabella hob ihre Röcke, um sie nicht auch noch mit der auslaufenden Jauche zu beschmutzen. Sie stellte den Leuchter ab und hockte sich über den splitterigen Holzbalken.

Ängstlich lauschte sie in die Nacht. Nur das Schnauben der Pferde aus dem Stall drang durch die Dunkelheit. Doch da war ein seltsames Geräusch, ein Reiben und Schmatzen. Isabella hielt den Atem an. Wieder hörte sie etwas, dann flüsternde Stimmen.