Die Liebe der Wollhändlerin - Susan Hastings - E-Book
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Die Liebe der Wollhändlerin E-Book

Susan Hastings

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Beschreibung

Immer an seiner Seite, doch niemals in seinem Schatten … Der historische Roman „Die Liebe der Wollhändlerin“ von Susan Hastings als eBook bei dotbooks. Ein kleines Dorf in Sachsen, 1790: Schon in seiner Jugend will Maximilian mehr – mehr als das harte, entbehrungsreiche und viel zu kleine Leben seiner Eltern. Als sich ihm eine unerwartete Chance bietet, ergreift er sie ohne zu zögern und erarbeitet sich über die Jahre außerordentliches Wissen und Respekt. Rasch steigt er in einer Leipziger Wollhandlung zum angesehenen Mitarbeiter auf und begegnet so Charlotte, der hübschen Tochter einer Patrizierfamilie. Die kluge junge Frau bezaubert Maximilian und macht ihn, der noch weniger Jahre zuvor so weit unter ihr stand, zu ihrem Ehemann. Als starke und doch sanfte Partnerin steht sie ihm von nun an zur Seite. Doch das junge Glück wird schon bald vom drohenden Krieg überschattet, der nicht nur Maximilians Geschäft, sondern auch die junge Familie bedroht … Sie gehörten zu den faszinierendsten Figuren ihrer Epoche – mit Liebe zum Detail und viel Gefühl zeichnet Susan Hastings das Leben und Wirken des Maximilian Ritter von Speck, Freiherr von Sternburg und seiner selbstlosen Frau Charlotte nach. Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Die Liebe der Wollhändlerin“ von Susan Hastings. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Ein kleines Dorf in Sachsen, 1790: Schon in seiner Jugend will Maximilian mehr – mehr als das harte, entbehrungsreiche und viel zu kleine Leben seiner Eltern. Als sich ihm eine unerwartete Chance bietet, ergreift er sie ohne zu zögern und erarbeitet sich über die Jahre außerordentliches Wissen und Respekt. Rasch steigt er in einer Leipziger Wollhandlung zum angesehenen Mitarbeiter auf und begegnet so Charlotte, der hübschen Tochter einer Patrizierfamilie. Die kluge junge Frau bezaubert Maximilian und macht ihn, der noch weniger Jahre zuvor so weit unter ihr stand, zu ihrem Ehemann. Als starke und doch sanfte Partnerin steht sie ihm von nun an zur Seite. Doch das junge Glück wird schon bald vom drohenden Krieg überschattet, der nicht nur Maximilians Geschäft, sondern auch die junge Familie bedroht …

Sie gehörten zu den faszinierendsten Figuren ihrer Epoche – mit Liebe zum Detail und viel Gefühl zeichnet Susan Hastings das Leben und Wirken des Maximilian Ritter von Speck, Freiherr von Sternburg und seiner selbstlosen Frau Charlotte nach.

Über die Autorin:

Susan Hastings ist gelernte Geologin und war lange als Sachverständige für Geologie und Ökologie tätig. Ein Mentor im Studium entdeckte ihr schriftstellerisches Talent und motivierte sie dazu, dieses Talent zu verfolgen. Zunächst schrieb sie dann Kurzgeschichten, später zahlreiche Liebes- und Historienromane, die sie unter verschiedenen Pseudonymen erfolgreich veröffentlichte.

Bei dotbooks sind von Susan Hastings die folgenden historischen Romane erschienen: »Das Vermächtnis der Druidin«, »Die Sehnsucht der Nonne«, »Der schwarze Magier«, »Herzensflammen«, »Die Leidenschaft der Nonne« und »Die Himmelsträumerin«.

Weiterhin erschienen bei dotbooks die historischen Liebesromane »Die Leidenschaft des Wikingers«, »Die Sklavin und der Wikinger«, »Die Geliebte des Wüstenkriegers«, »Das Verlangen des Gladiators«, außerdem der Liebesroman »Irische Träume« und der Erotikthriller »Dark Heat – Gefährliche Leidenschaft«.

Drei ihrer historischen Liebesromane sind auch als Sammelband unter dem Titel »Verführt – Im Bann der Krieger« erhältlich, mit den Romanen »Die Leidenschaft des Wikingers«, »Das Verlangen des Gladiators« und »Die Geliebte des Wüstenkriegers«.

Die Website der Autorin: www.susan-hastings.de

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Aktualisierte eBook-Neuausgabe November 2017

Dieses Buch erschien bereits 2008 unter dem Titel »Der Wollhändler« im Plöttner Verlag GmbH & Co. KG, Leipzig

Copyright © der Originalausgabe 2008 Plöttner Verlag GmbH & Co. KG, Leipzig

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildabbildung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Kataryn Upit und eines Gemäldes von Joseph M. Kolb

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-96148-139-2

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Susan Hastings

Die Liebe der Wollhändlerin

Roman

dotbooks.

Dörfliche Enge

Die Sommersonne vergoldete das flache Land beidseits der Elbe. Der Fluss brachte nur wenig Kühlung in diesen Augusttag des Jahres 1790. Dabei lag er nur in einer Entfernung eines gespuckten Kirschkerns vom Gasthaus »Zum Schifflein« in Gröba entfernt. Das behauptete zumindest Max Speck, der Stiefsohn des Gastwirtes. Im Wettbewerb mit den Jungs aus dem Dorf spuckte er am weitesten die Kirschkerne, fast bis zur Elbe. Die lag ebenso in Sichtweite des Gasthauses wie das wuchtige Herrenhaus derer von Arnims. Doch heute hatte Max keinen Blick und keine Zeit.

Mit beiden Händen ergriff der vierzehnjährige Junge die gefüllten Bierkrüge, die der Stiefvater bereitgestellt hatte, und trug sie hinaus in den Biergarten, sorgsam darauf bedacht, nichts vom Bier zu verschütten. Im Schatten der beiden Kastanienbäume drängten sich die Gäste. Die meisten waren Dragoner des Prinz-Clemens-Regiments, das als Reserve in die Nähe von Dresden verlagert wurde. In Lommatzsch gab es Unruhen unter den Bauern. Man sprach von einem bevorstehenden Krieg. Doch in dem kleinen Dorf vor den Toren Riesas war alles friedlich.

Träge verscheuchten die angebundenen Pferde mit ihrem Schweif die lästigen Fliegen. Das Klappern ihrer Zäumung mischte sich mit dem Summen der Insekten. Auch einige Schiffer zählten zu den heutigen Gästen.

Max beeilte sich, die Krüge auf die Tische zu verteilen. Von den Dragonern wurde er lautstark begrüßt. Sie nahmen den kleinen Umweg über Gröba gern in Kauf. Hier ließ es sich vorzüglich rasten.

Der Junge wischte sich die feuchten Hände an den zu kurzen Hosen ab, aus denen seine Beine ragten. Wie immer im Sommer ging er barfuß. Er war froh, wenigstens für den Winter festes Schuhwerk zu besitzen. Dabei hoffte er, dass seine Füße nicht zu sehr gewachsen waren, damit die Schuhe noch passten. Doch im Augenblick dachte er nicht an den Winter. Sein sehnsüchtiger Blick galt den Pferden neben dem Gasthof an der Tränke. Wie gern wäre er einmal aus dem Dorf herausgekommen, dorthin, wohin die Elbe fließt. Die Schiffer erzählten, sie fließe direkt in ein Meer, das Nordsee heiße und dessen Wasser salzig schmecke. Oder nach Dresden, wo der Kurfürst residierte. Dort sollte alles so prachtvoll sein, mit Palästen, breiten Straßen, auf denen die Kutschen rollten. Einmal war er bis Riesa gekommen, zu seinem Patenonkel, dem Getreidehändler Johann Gottfried Gürmer.

Doch heute kam Max nicht zum Nachdenken, nicht zum Kernespucken, ja nicht einmal zum Verschnaufen. Die Dragoner verlangten erneut nach Bier. Eine Kutsche rollte heran, weitere Gäste stiegen aus. Der Kutscher rief nach zwei Eimern, um seine Pferde zu tränken.

Vorsichtig strich Max über das Fell des Pferdes, während es seinen Kopf in den Eimer steckte. Ein Pferd roch nach Weite, nach Entfernung, nach Abenteuer und fremder Welt. Vielleicht sollte er zu den Soldaten gehen. Dann würde er endlich aus diesem Dorf herauskommen. Doch wohin?

Er spitzte die Ohren und lauschte den lautstarken Unterhaltungen der Dragoner. Die sprachen von Krieg, von Kanonen, Pulverdampf, getöteten Feinden – und lachten dabei. Er holte einen zweiten Eimer Wasser.

Wieder strich er über das warme, feuchte Fell und die samtigen Nüstern. Das Pferd blickte ihn an. Er zuckte zusammen, als er aus der Wirtschaft den zornigen Ruf seines Stiefvaters vernahm: »Maaaaax, wo steckst du denn?«

***

Umständlich zog Kantor Wilhelm Lohmann sein Schweißtüchlein hervor und wischte sich über die Glatze. Johann Kabisch füllte zwei Bierkrüge und stellte sie auf den Tisch, an dem der Kantor saß. Er setzte sich hinzu. »Zum Wohl, Herr Kantor.«

Ebenso umständlich verstaute Lohmann sein Schweißtüchlein wieder, griff zum Bier und prostete dem Wirt zu. »Der Herrgott meint es heute besonders gut mit uns«, stellte er fest. »Ich ahnte es nicht, als ich am Morgen von Riesa aus zu meiner Wanderung aufbrach. Zum Wohl, Herr Wirt.« Er nahm einen tiefen Schluck, seufzte wohlig und wischte sich dann den Schaum von den Lippen.

Max schleppte gefüllte Bierkrüge in den Garten und verteilte sie auf die Tische. Tagein, tagaus bediente er die Gäste, rollte Bierfässer ins Haus, versorgte das Vieh, ging der Mutter in der Küche zur Hand, ärgerte sich mit seiner vorlauten Schwester herum und fand es ungerecht, dass sein jüngerer Bruder weniger helfen musste.

Der Kantor blickte Max nach, der zurück ins Wirtshaus rannte. Kabisch bemerkte den Blick.

»Ein fleißiger Junge«, sagte er. »Er ist meinem Weib und mir eine große Unterstützung.«

Lohmann nickte in Gedanken versunken. »Etwas mager ist er ja, aber flink. Nicht nur auf den Beinen.«

Johann Kabisch schaute ihn fragend an.

»Ich meine seine geistige Regsamkeit«, fuhr der Kantor fort. »Sie sollten den Jungen unterrichten lassen.«

Der Wirt schüttelte den Kopf. »Wozu? Was er braucht, lernt er bei mir. Es reicht, wenn er sich die Bestellungen merken kann. Und mit Geld rechnen kann er auch.«

»Er könnte es im Leben aber weiter bringen.«

Der Gastwirt lachte auf. »Setzen Sie dem Max keine Flausen in den Kopf, Herr Kantor. Wir werden nicht jünger, da brauchen wir die Unterstützung. Als ich die Witwe Speck heiratete, war es auch für mich nicht leicht, ihre drei Kinder mitzuernähren. Das Gasthaus führte sie gut, aber es fehlte eben ein Mann.« Er strich sich nachdenklich übers Kinn. »Nicht, dass ich damit unzufrieden gewesen wäre. Ich bin zufrieden mit meinem Auskommen. Aber jetzt müssen die Kinder eben ihren Teil dazu beitragen.«

»Kinder sind ein Gottesgeschenk, vor allem die Wohlgeratenen. Sie haben ihn rechtschaffen erzogen, Herr Kabisch, aber …«

»Nichts aber! Komm her, Max, und begrüße den Herrn Kantor. Und bring ihm noch ein Bier. Auf meine Rechnung.«

»Dank, Dank, Herr Wirt, aber ich muss auch wieder zurück nach Riesa kommen. Das Bier könnte mich vom rechten Weg abbringen.«

»Keine Sorge, der HERR wird schon auf Sie Acht geben. Bier ist Stärkung. Also, zum Wohl!«

»Zum Wohl!« Kantor Lohmann leerte auch den zweiten Krug und nahm sich vor, bei Gelegenheit mit Frau Anna zu reden. Wegen Max.

***

Draußen hielt der Winter das Land in eisigem Griff. Zwei kindliche Köpfe erschienen vor dem Fenster der Gastwirtschaft. Es waren Johannes und Gottfried, die Söhne von Max’ zweiten Patenonkel, des Schiffers Johann Christian Raffs. Max öffnete das Fenster einen Spalt.

»He, Specki, kommst du mit Eislaufen? Unser Vater hat uns aus Fassbändern Kufen gebaut, die man unter die Schuhe binden kann.«

»Ein andermal«, gab Max zurück. »Muss helfen.«

»Aber es sind doch gar keine Gäste da«, stellte Johannes fest.

»Mutter will nicht, dass ich aufs Eis gehe. Seit der Junge des Gutsgärtners vor ein paar Jahren eingebrochen und ertrunken ist, verbietet sie es.«

»Dann rodeln wir eben. Drüben auf der Anhöhe liegt genügend Schnee. Gottlieb holt ein Brett aus dem Schuppen.«

»Nee, nee, lasst mal. Ich hab wirklich keine Zeit.«

Enttäuscht zogen die beiden ab. Doch sie hatten sich noch nicht weit vom Gasthaus entfernt, als sie Max entdeckten. In eine dicke Jacke gehüllt, stapfte er mit gesenktem Kopf durch den Schnee.

»Wo will er denn hin?« wunderte sich Gottlieb. Die beiden versteckten sich hinter einem Baum und beobachteten Max. »Der hat doch was vor.«

»Vielleicht will er nichts mehr mit uns zu tun haben«, mutmaßte Johannes.

»Unsinn! Max ist nicht so. Im Sommer spielt er doch auch mit uns, wenn ihn sein Stiefvater lässt.«

»Und gewinnt immer beim Kirschkernspucken. Da, schau, er geht zum Lehrer.«

»Was will er denn da? Der Kabisch will doch nicht, dass Max die Schule besucht.«

»Na ja, ’s ist eben der Stiefvater. Warum sollte er auch? Wir gehen ja auch nicht hin…«

»Stimmt! Statt uns vom alten Drombusch verprügeln zu lassen, sollten wir lieber zum Eislaufen gehen.«

Max bekam von all dem nichts mit. Schnurstracks eilte er zu dem kleinen, etwas verfallen wirkenden Haus hinter den Wirtschaftsgebäuden des imposanten Herrenhauses. Der Dorflehrer Drombusch lebte hier in ebenso bescheidenen Verhältnissen wie seine Schüler, die er in dem kleinen Raum neben seiner Kammer unterrichtete. Doch im Sommer kamen nur wenige Knaben zum Unterricht. Die meisten mussten auf den Feldern helfen, Schiffersöhne fuhren oft auf den Kähnen mit. Und auch im Winter verirrten sich kaum Kinder in sein Haus. Die wenigsten konnten das Schulgeld bezahlen.

»Was willst du?« Drombusch blickte Max aus zusammengekniffenen Augen durch seine verbogene Nickelbrille an. Sein abgewetzter Gehrock glänzte.

Verlegen blieb Max an der Tür stehen. »Ich wollte Sie fragen, ob ich … ob ich etwas zuhören darf.«

»Kannst du Schulgeld bezahlen?«

Max schüttelte verzagt den Kopf.

»Dann verschwinde! Ich muss ja auch irgendwie überleben«, knurrte der Lehrer. Er schlurfte zum Tisch, wo sich abgegriffene Bücher stapelten.

Max starrte auf den gebeugten Rücken des Lehrers. Neben den Büchern lag eine Weidenrute. Unfolgsame Schüler wurden damit gezüchtigt. Aber es gab keine Schüler.

»Du bist ja immer noch hier.« Drombusch sah aus wie eine der Krähen, die auf den verschneiten Feldern mit eingezogenem Kopf hockten.

Max zeigte mit dem Finger auf die Bücher. »Darf ich mir eins ausleihen?«

»Das sind kostbare Bücher! Was denkst du Bengel dir eigentlich? Du kannst doch gar nicht lesen. Was willst du damit?«

»Lesen lernen. Ich bringe es mir selbst bei.«

Drombusch brach in ein meckerndes Lachen aus. »Und dann willst du wohl auch selbst schreiben lernen?«

Max nickte ernsthaft. »Rechnen kann ich auch schon.«

»So einen Unsinn habe ich noch nicht gehört. Aber so Gott will.« Er griff zur Rute. »Wenn du es mir nicht in zwei Wochen unversehrt zurückbringst, dann lernst du meine Rute kennen.«

Max wich einen Schritt zur Tür zurück. »Ich verspreche es Ihnen, Herr Lehrer. Und dann lese ich Ihnen auch aus dem Buch vor.«

Er stopfte das Büchlein, das Drombusch ihm reichte, unter die Jacke und presste es an seine Brust. An den langen Winterabenden hatte er Gelegenheit, es zu studieren.

Drombusch blickte dem Jungen kopfschüttelnd aus dem winzigen Fenster nach. »Selbst beibringen … so ein Narr!«

***

»Es bleibt nichts übrig«, stellte Johann Kabisch fest und kaute auf seiner Pfeife herum. Mit ungelenker Schrift hatte er einige Zahlen auf ein Blatt Papier geschrieben. Er legte die Gänsefeder ab und schob seiner Frau das Blatt hin.

Mutter Anna saß am Spinnrad. Das monotone Klappern des Spinnrades durchbrach die Stille in der Stube. Es roch nach Rauch, die feuchte Luft vom Fluss drückte auf den Kamin.

Die Witwe Anna Speck, die sich schon bald nach dem Tod ihres Mannes mit dem Dienstmann Johann Gottlob Kabisch vermählt hatte, um die kleine Gastwirtschaft am Ufer der Elbe weiter betreiben zu können, war eine liebenswerte und rechtschaffene Frau. Doch es waren bescheidene Verhältnisse, in denen Max mit seiner älteren Schwester Auguste und dem jüngeren Bruder Karl Friedrich aufwuchs.

Auguste hockte am Boden und zupfte Wolle. Der kleine Karl Friedrich bearbeitete ein Holzstück mit dem Messer, aber es wollte keine Figur werden. Max kniete neben dem Ofen, einen brennenden Kerzenstumpen neben sich, und studierte das Buch des Lehrers. Zeile für Zeile entzifferte er den Text. In einer Anwandlung von Großzügigkeit hatte ihm der Dorflehrer ein Jahr zuvor ein Blatt mit dem Alphabet gegeben und ihm erklärt, wie die Buchstaben ausgesprochen wurden. Seitdem hatte Max begierig jeden Schriftzug, der ihm unterkam, zu lesen versucht. Er fand es gar nicht so schwer, wie alle behaupteten. Und er fand es ganz nützlich, lesen zu können, auch wenn der Stiefvater dagegen war. Schließlich reichte es seiner Meinung nach, die Bierkrüge zählen zu können.

Mit der Holzkohle, die manchmal im Herd übrig blieb, kritzelte er die Buchstaben nach. Die Mutter hatte ihm Gänsefedern zugesteckt, die er sich selbst anspitzte und mit denen er erste Schreibversuche auf alten Papierseiten unternahm.

Das Klappern des Spinnrades verstummte plötzlich. »Ich weiß«, erwiderte Anna Kabisch. Sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. »Es kommen ja auch kaum noch Gäste.«

»Auch keine Soldaten. Es scheint ernst zu werden mit dem Krieg.«

»Gott möge es verhüten«, murmelte die Mutter und setzte das Spinnrad wieder in Bewegung.

»Ich könnte zusehen, ob ich noch einmal ein Darlehen bekomme. Allerdings …« Er kratzte sich am Kopf.

»Muss man auf ein Darlehen Zinsen bezahlen?«, ließ sich Max plötzlich vernehmen.

Johann Kabisch zog die Augenbrauen zusammen. »Was verstehst du denn davon?«

»Wenn man Zinsen bezahlen muss, erhöhen sich dadurch die Schulden. Man muss mehr zurückbezahlen. Besser ist es, das schuldfreie Geld so anzulegen, dass man daraus Gewinn erzielt.«

Der Stiefvater stemmte die Arme auf den Tisch. »Wer hat dir denn solche Weisheiten eingeflüstert? Das kommt davon, wenn man seine Nase in Bücher steckt, anstatt ordentlich anzupacken. Da würde es uns jetzt vielleicht besser gehen.«

»Lass den Jungen in Frieden«, schaltete sich die Mutter ein. »Er hilft, wo er kann. Wir sollten über seine Worte nachdenken.«

»Was gibt es da nachzudenken? Wir haben kein Geld.«

»Ich möchte das richtig lernen, das mit dem Geld, wie man Geschäfte macht. Dann könnte man später die Gastwirtschaft viel besser führen.«

Alle starrten Max an.

»Du willst klüger sein als dein … dein Stiefvater?« Johann Kabisch schlug mit der Faust auf den Tisch.

Auguste blies die Backen auf und ließ die Luft lautstark wieder ab. »Du spinnst ja! Wo willst du denn hin?«

Max zuckte mit den Schultern. »In eine Kaufmannslehre eben.«

»Aber dann musst du von Zuhause weg …«

»Das wäre nicht so schlimm.« Er blickte zu seiner Mutter. Sie schwieg, aber er bemerkte Verständnis in ihren Augen. »Frau Mutter, das hat nichts mit Ihnen zu tun. Ich werde Ihnen immer ein liebender Sohn sein. Nur …«

Anna Kabisch seufzte. »Das weiß ich doch, mein Junge. Lass mich in Ruhe darüber nachdenken.«

»Du willst seine Hirngespinste unterstützen?« Der Stiefvater hatte sich noch immer nicht beruhigt. Seine finstere Miene drückte aus, was er von Max’ Wunsch hielt.

Auguste kicherte. »Du wirst es noch bereuen, wenn du fort gehst. Außerdem steht in der Bibel: Du sollst Vater und Mutter nicht verlassen.«

»Nein, da steht: Du sollst Vater und Mutter ehren. Das kommt davon, wenn man nicht lesen kann.«

Auguste heulte auf. »Das ist gemein von dir! Nur weil du die Buchstaben kennst.«

»Schluss mit eurem Streit!« Johann Kabisch stand auf und stapfte in der winzigen Stube hin und her. »Wer hilft dann in der Gastwirtschaft, wenn Max nicht mehr da ist?«

»Karl Friedrich«, erwiderte die Mutter.

»Ich bin noch zu jung«, protestierte Karl.

»Du bist zwölf Jahre alt. Alt genug, jetzt deinen Teil beizutragen.«

Karl schob schmollend die Unterlippe vor, doch er wusste, dass es wenig Zweck hatte, dagegen aufzubegehren. Dabei stand doch fest, dass Max als der Ältere einmal die Gastwirtschaft übernehmen würde.

»Du bevorzugst Max«, warf Kabisch seiner Frau vor. »Ich weiß nicht, warum du einen Narren an dem Jungen gefressen hast.« Er schnaufte ungehalten. »Nein, ich ahne, warum du ihn vorziehst. Man erzählt sich da so einiges, wenn das Bier die Kehlen geschmeidig gemacht hat.«

»Hör nicht auf dieses Gerede«, fuhr Anna Kabisch auf. »Das ist alles Unsinn!«

»Unsinn? Stimmt es also nicht, dass der junge bayrische Herzog Maximilian damals incognito nach Dresden an den Hof reiste und hier Station nahm?«

»Bitte nicht vor den Kindern«, flüsterte sie erschrocken.

»Also stimmt es doch! An jedem Gerücht ist etwas Wahres.«

»Du besudelst das Andenken meines verstorbenen Mannes.«

»Er würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste …«

»Nichts ist dran, sage ich dir. Und nun gib Ruhe!«

Verständnislos verfolgte Max den Streit. »Heißt das, ich darf in eine Lehre gehen?« Seine Wangen hatten sich vor Aufregung gerötet.

»Ja«, sagte Anna Kabisch.

»Nein«, rief Johann Kabisch.

Die Mutter wandte sich zu Max um. In ihren Augen standen Tränen. »Max, du bist etwas ganz Besonderes. Vergiss das niemals.«

Max nickte, auch wenn er nicht verstanden hatte, was die Mutter meinte. Dann erhob er sich. »Ich werde Sie nicht enttäuschen, liebe Frau Mama. Ich muss nur noch dem Lehrer das Buch zurückgeben.«

***

Mit bedächtigen Bewegungen legte Magister Friedrich Gottlob Stephani ein dickes Holzscheit in den eisernen Ofen, der den kleinen Raum notdürftig ausheizte. Das Holz hatte Max gehackt. Dass er jetzt hier im alten Pfarrhaus unterhalb der trutzigen Beuchaer Wehrkirche wohnte, hatte er der Vermittlung von Kantor Lohmann aus Riesa zu verdanken. Er hatte der Mutter versichert, sie könne Max dem Pfarrer mit gutem Gewissen anvertrauen.

Für Max änderte sich das Leben von einem Tag auf den anderen. Er hatte sein Dorf verlassen und zu seinem Erstaunen festgestellt, dass er dabei keine Wehmut verspürte. Ihn lockte die Ferne.

»Mach uns keine Schande«, hatte ihn der Stiefvater ermahnt, als er und Mutter Anna in Riesa die Postkutsche bestiegen, die sie in Richtung Leipzig bringen sollte.

Anna Kabisch ließ es sich nicht nehmen, Max höchstpersönlich in die Obhut des Pfarrers zu geben. Dazu hatte sie Max einen neuen Rock schneidern lassen. Auch ein Paar neue Schuhe und Strümpfe bekam er. Zudem zog sie mit geheimnisvoller Miene etwas aus einem Karton – eine gepuderte Perücke. »Damit du ordentlich Eindruck beim Herrn Pfarrer machst.«

Max wollte fragen, woher sie denn das Geld dafür hatte, doch sie legte den Zeigefinger auf die Lippen. Liebe Mutter, dachte Max. Irgendwann werde ich dir alles zurückzahlen.

Die ganze Fahrt über hatte Max aus dem Fenster der Kutsche geschaut, um nichts zu verpassen. In seiner neuen Kleidung kam er sich wie ein feiner Herr vor, wie ein Kaufmann, ein Baron, ein reisender Diplomat. Nur unter der Perücke juckte es unangenehm. Fremde Orte, Dörfer, Felder, Menschen, da und dort ein Kirchturm wie ein Fingerzeig Gottes auf dem Weg … auf dem Weg wohin?

Und nun saß er in der kleinen Kammer im Pfarrhaus in Beucha. Die Tränen beim Abschied von der Mutter hatte Max heruntergeschluckt. Zu aufgeregt war er, zu neugierig auf das Leben, das ihn erwartete.

Frierend rieb der Junge sich die Hände, während er dem Pfarrer zuschaute, wie der den Ofen heizte. Die Wärme, die sich in der Kammer ausbreitete, tat ihm gut. Dann griff er in seine Jacke und zog ein kleines Heftchen hervor.

»Ich habe Lesen geübt. Und … ich habe alles abgeschrieben.«

Verwundert blätterte Stephani in dem Heft. Es beinhaltete eine Sammlung kleiner Gedichte und Kirchenlieder. Er hatte es Max eine Weile zuvor überlassen, damit er Lesen üben konnte. Zwischen den Seiten lag jeweils ein Blatt grobes Papier, auf dem der Junge die Texte abgeschrieben hatte. Die Handschrift war ungelenk, hier und da prangte ein Tintenklecks. Doch es war nicht zu übersehen, dass Max sich bemüht hatte, fehlerfrei zu schreiben.

»Sehr löblich«, bemerkte der Pfarrer. »Wann hast du das gemacht? Hast du deshalb deine Pflichten im Haushalt vernachlässigt?«

»Nein, nein, der Frau bin ich in der Küche zur Hand gegangen, habe ihr Holz und Wasser gebracht, die Hühner gefüttert, den Hof von Schnee beräumt und die Asche auf dem Weg verteilt. Und dem Kaufmann habe ich das Geld gebracht, das Ihre Frau ihm schuldete.«

Der Pfarrer räusperte sich. »Nicht schuldete«, verbesserte er Max. »Der Kaufmann hat es gestundet, weil sie es gerade nicht dabei hatte.«

Max senkte beschämt den Kopf. Dabei wusste er, Magister Stephani war im Ort sehr beliebt. Bereits vor sechs Jahren hatte er das Predigeramt übernommen und betreute seither die Gemeinden von Beucha und Zweenfurth. Unermüdlich förderte er begabte Kinder und Jugendliche. Zumeist im Winter versammelten sie sich in seinem Haus und erhielten vom Magister Unterweisung in Lesen, Schreiben, Mathematik, Geographie und Katechismus. Die Menschen im Ort achteten die Familie des Magisters sehr. Die Ladenbesitzer gaben auch gern mal einen kleinen Kredit, weil sie wussten, der Pfarrer zahlte alles ordnungsgemäß wieder zurück.

Während die anderen Schüler wieder nach Hause gehen mussten, lebte Max in der Familie des Pfarrers. Gern machte er sich im Haushalt nützlich, half der Frau des Pfarrers in der Wirtschaft und betreute das Vieh auf dem kleinen Hof. Auch mit Eduard, dem Sohn des Pfarrers, verstand er sich gut. Eduard war der beste Schüler seines Vaters, sehr gelehrig und bestrebt, später selbst einmal das Pfarramt auszuüben. Max nahm sich Eduard als Vorbild, strebte ihm in seinem Lerneifer nach und unterhielt sich gern mit ihm über Gott und die Welt.

Aber es gab auch lustige Tage, an denen er mit Eduard entweder in die alten Porphyrsteinbrüche kletterte oder Ausflüge in die ausgedehnten Wälder rund um Beucha unternahm.

Es war beinahe Luxus, dass Max eine winzige Kammer unterm Dachboden ganz allein bewohnen durfte. Ein Bett, ein Tisch, ein Schemel und ein Haken am Dachbalken, an dem er seine Sachen aufhängen konnte, mehr gab es nicht. Es war lausig kalt im Winter, und Max hatte sich in die Schlafdecke gewickelt, während er im Schein einer fast abgebrannten Altarkerze mit klammen Fingern Zeile um Zeile aus dem Gesangbuch abschrieb. Und wenn sich aus seiner roten Nase ab und zu ein Tropfen löste, dann wischte er ihn ungeduldig mit dem Handrücken weg. Sein Ehrgeiz ließ ihn die Kälte vergessen und auch den knurrenden Magen. Die Nacht war kurz, der Morgen kam viel zu rasch. Doch er war stolz wie ein kleiner König auf sein Werk. Nur eines war fatal …

»Was ist denn noch?« fragte der Pfarrer, als er bemerkte, wie Max von einem Fuß auf den anderen trat.

»Es … es tut mir leid, Herr Magister … ich … ich habe beim Schreiben die Gänsefeder zerdrückt.«

***

Es gab eine Enttäuschung, die Max jedoch für sich behielt. Beucha war größer als Gröba, es gab einen kleinen Marktplatz, die betuchten Bürger wohnten in den Häusern, die mit ihren schmalen Treppengiebeln den Platz umrahmten.

Die Kirche überragte auf einem Felsvorsprung den Ort. Von hier aus erschloss sich dem Betrachter ein wundervoller Ausblick über den Ort und das umliegende Land. Max, der nur das flache Elbland in Gröba kannte, war begeistert.

Das Pfarrhaus versteckte sich in der schmalen Gasse unterhalb der Kirche. Ein gewundener Weg führte hinauf zu dem Gotteshaus, dessen Turm aus dem roten Stein gebaut worden war, den es überall in der Umgebung gab. Da und dort zeugten kleine Steinbrüche von der Bautätigkeit. Interessant war es hier auf jeden Fall, doch es genügte Max nicht. Er wollte nicht undankbar sein, so behielt er seine Sehnsüchte für sich.

Man muss nur fest an seinen Wunsch glauben, dann geht er auch in Erfüllung, hatte Eduard einmal zu ihm gesagt. Doch mehr und mehr kam Max zu der Erkenntnis, dass es an ihm selbst lag, wie er seine Wünsche erfüllen konnte. Und sein größter Wunsch war es, eine Lehre zu beginnen.

Magister Stephani wusste um den heimlichen Wunsch des aufgeweckten Jungen. Max lernte nicht nur eifrig, er bestach auch durch seinen wachen Geist und seine außerordentliche Disziplin. Er verlangte so viel von sich selbst, dass Stephani ihn manchmal bremsen musste. Und nun hatte er eine Überraschung für Max.

»Mutter!« Max ließ vor Freude und Überraschung beinahe die Schüssel mit den gekochten Kartoffeln fallen, die für das Abendessen bestimmt waren. Die Familie hatte sich um den großen Tisch in der Küche versammelt. Magister Stephani schien allerdings weniger überrascht, sondern lächelte geheimnisvoll.

Auch Anna Kabisch war aufgeregt. »Lass dich anschauen, mein Junge«, sagte sie, nachdem sie den Pfarrer und seine Frau begrüßt hatte. »Du bist gewachsen. Und ein wenig blass siehst du aus.«

»Das ist nur durch den Winter«, erwiderte Max verlegen. »Jetzt gibt es ja wieder genügend im Garten zu tun, da bin ich mehr an der frischen Luft.«

»Nein, Max«, widersprach der Magister. »Für dich stehen ganz andere Arbeiten an. Es hat einen bestimmten Grund, warum deine Mutter gekommen ist.«

Fragend blickte Max von einem zum andern.

»Nun«, fuhr Stephani fort, »deine Mutter hat dich zu mir gebracht und nun ist die Zeit gekommen, dass sie dich wieder abholt.«

Erschrocken riss Max die Augen auf. »Sie wollen mich wieder wegschicken, Herr Pfarrer?« Ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals und erstickte seine Stimme.

Stephani nickte. »Die Zeit ist gekommen, mein Sohn, dass du endlich deine Lehre als Kaufmann beginnst. In Leipzig habe ich für dich eine Ausbildungsstelle in einer Ausschnitthandlung aufgetan. Die können einen tüchtigen Lehrjungen gut gebrauchen.«

Augenblicklich änderte sich Max’ Gesichtsfarbe. Die Freude schoss ihm bis unter die Haarwurzel. »Herr Magister, ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll …«

»Das ist kein Geschenk, Max. Du hast es dir selbst erarbeitet. Deine Mutter kann stolz auf dich sein.«

Max wandte sich zu Eduard um, der in der Tür stand und alles schweigend beobachtete. Die Freude wurde etwas getrübt. »Nun müssen wir uns trennen, Eduard. Ich … ich gehe nach Leipzig.«

»Leipzig ist nicht so weit, dass du uns nicht besuchen könntest. Außerdem gehe ich auch nach Leipzig, um an der theologischen Fakultät der Universität zu studieren. Ich denke, wir laufen uns schon mal über den Weg.«

***

Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Wer dies gesagt hatte, war wohl durch eine ebenso strenge Lehre gegangen, wie sie Maximilian Speck in seinem fünfzehnten Lebensjahr begann.

Die Stadt Leipzig überwältigte Max durch ihre Größe, ihre Betriebsamkeit, die vielen Menschen und die stattlichen Gebäude. Nicht zu vergleichen mit Beucha war der Marktplatz mit dem imposanten Rathaus, das von der Wohlhabenheit der städtischen Bürger zeugte, die herrlichen Häuser rund um den Marktplatz, die unzähligen Werkstätten, Handelshäuser und Läden in den Gässchen rund um den Markt.

Auch die Textilhandlung von Karl Wilhelm Jonas befand sich in einer dieser schmalen Gassen. Schon von alters her hatten sich in den einzelnen Gassen verschiedene Gewerke zusammengefunden, um ihre Produkte herzustellen oder zu handeln. Da gab es die Gasse der Kupferschmiede, der Pelzhändler, der Schuhmacher, der Fleischer und Böttcher. Und es gab die Gasse der Tuchhändler. Vom zeitigen Morgen an herrschte reger Verkehr, wurden Karren und Wagen mit Waren auf- und abgeladen, schrien die Gassenjungen, fluchten die Kutscher, riefen die Marktfrauen, wieherten Pferde, knarrten Achsen und Räder, quietschten die Aufzüge, die die Waren auf die Speicherböden beförderten.

»Maximilian, hierher!« Fritz, der Geselle, winkte heftig mit den Armen. Eine neue Lieferung von Stoffen war angekommen. Fritz hielt die Lieferlisten in der Hand. »Wir müssen kontrollieren, ob alles ordnungsgemäß aufgeführt ist. Du musst jeden Ballen einzeln ausmessen, damit wir nicht betrogen werden.«

»Weiß ich doch.« Max nahm ihm die Listen ab. Maximilian hatte Fritz zu ihm gesagt. Das hatte Herr Jonas so befohlen. Daran musste sich auch der Geselle halten. Ja, Maximilian war nicht nur der Lehrjunge, der Botengänge verrichtete und Lager und Werkstatt auskehren musste. Er durfte die Stoffe ausmessen, die Listen vergleichen, sogar schon Ware abschneiden, wie es der Kunde verlangte. Es gab ja so viel zu beachten. Max lernte schnell, sehr schnell. Nicht nur, wie er den Stoff gerade schneiden musste, wie die Stoffballen gelagert wurden, wie er Schafwoll- von Baumwollstoffen unterschied.

»In den Listen sind böhmische Ellen aufgeführt.«

»Ganz recht«, bestätigte Fritz. »Da wir die Ware aber zur Messe verkaufen wollen, müssen wir sie in Leipziger Ellen umrechnen. Wir wissen ja nicht, wer das Tuch kaufen will.« Er zwinkerte listig mit den Augen. »Und wenn es ein Bayer ist, dann müssen wir alles wieder umrechnen.«

»Das ist nicht schlimm. Ich habe das Umrechnen geübt. Dreißig böhmische Ellen, wie auf diesem Ballen, sind einunddreißigeinhalb Leipziger Ellen. Und die sind wiederum einundzwanzigeinhalb bayrische Ellen. Wenn der Kunde aber ein Fremdländer ist, ein Engländer oder Franzose, dann sage ich ihm, es sind fünfundzwanzigeinhalb Brabanter Ellen. Da weiß er gleich Bescheid.«

Fritz stieß hörbar die Luft aus. »Wann hast du das gelernt?«

»In der Nacht, als alle schliefen. Da stört mich keiner.«

»In der Nacht, so, so. Nun will ich mal sehen, ob du auch so viel Kraft in den Armen hast wie in deinem Kopf.«

Max packte den Ballen. Eigentlich war es gleichgültig, ob auf dem Ballen dreißig böhmische, fünfundzwanzig Brabanter oder einunddreißig Leipziger Ellen waren, er war immer gleich schwer. Er freute sich auf die Messe, zu der neben den ohnehin unzähligen Menschen in der Stadt noch viele fremde Kaufleute kommen würden. Der Herr Jonas hatte erzählt, dass es genauso viele fremde Sprachen wie Maße und Gewichte gab. Max fand es nicht verwirrend, sondern eine große Herausforderung, all diese verschiedenen Einheiten so schnell wie möglich gegeneinander umrechnen zu können. Dagegen waren die Bierbestellungen daheim in Gröba ein Kinderspiel.

Nur einen Herzschlag lang dachte Max an Daheim, das jetzt weit weg war. Gröba, neben der gemächlich dahin fließenden Elbe …

»Wo bleibst du denn?« Fritz’ Stimme drang bis hinauf auf den Speicherboden. »Hier, das ist Baumwolle aus Ägypten. Pass besonders auf, die ist kostbar. Fünfzig ägyptische Ellen.«

»Königliche oder geringe?« fragte Max zurück.

»Hol mich der Teufel, Maximilian, sieh selbst nach! Die sind für einen russischen Kaufmann bestellt.«

»Also rechnen wir sie gleich in Arschin um. Trotzdem muss ich wissen, ob es geringe oder königliche ...«

Fritz stöhnte. »Der Bursche bringt mich um den Verstand. Pack die Ballen hinauf, umrechnen kannst du später.«

Schnaufend hob Max den Ballen Baumwollstoff an. Er war schwer. »Ich schätze, es sind königliche Ellen. Das wären dann sechsundvierzig Leipziger Ellen oder vierzig russische Ellen. Wenn der russische Kaufmann den Stoff aber nun gar nicht haben will, können wir ihn auch mit siebenundreißigeinhalb Brabanter Ellen auszeichnen.«

»Der will ihn aber haben.« Fritz packte Max den nächsten Ballen auf die Schulter. »Du denkst zu viel nach.«

»Wie sonst soll man Geschäfte machen? Vor allem muss man diese fremden Kaufleute auch verstehen.«

»Ach, die sollen unsere Sprache sprechen, damit wir sie verstehen können. Nun spute dich!«

Max hastete die steile Holzstiege auf den Speicherboden hinauf. Sorgfältig getrennt wurden die verschiedenen Stoffarten gelagert. Da gab es grobes Leinen, feine Baumwolle, zarte Seide, derben Brokat, weichen Samt oder Nessel. Vorsichtig strich Max mit der Handfläche darüber. Jeder Ballen war auf seine Weise kostbar. Wie musste es sein, Kleidung aus diesen Stoffen zu tragen?

Seine Mutter hatte ihm zu seiner Abreise aus Gröba eine neue Jacke schneidern lassen. Der Stoff war grob gewebt, mit kleinen Knötchen darin. Es war kein kostbares Tuch, aber für ihn war diese Jacke wertvoller als die Seide aus dem fernen China. Mutter hatte sie sich vom Munde abgespart, damit er in die Welt hinaus konnte.

»Feierabend!« Fritz klopfte sich den Staub von den Hosen, während draußen der Kutscher lautstark versuchte, sein Gespann aus der fast völlig verstopften Gasse herauszuführen.

Mit einem letzten Blick auf die Stoffballen ließ sich Max am Strick des Aufzuges herab. Er landete genau vor den Füßen des Gesellen. »Ist man reich, wenn man all diese Stoffe besitzt?«, wollte Max von ihm wissen.

»Das kannst du dir selbst ausrechnen, du Neunmalklug«, erwiderte Fritz. »Natürlich ist man reich. Aber vergiss nicht, dass du alles erst bezahlen musst, bevor du es in deinen Speicher einlagern kannst. Und dann musst du Kunden finden, die dir alles wieder abkaufen, und zwar zu mehr Geld, als du dafür bezahlt hast. Was übrig bleibt, ist der Gewinn. Aber was fragst du solche Dinge? Du wirst niemals so einen Tuchhandel haben. Wovon willst du die ersten Ballen kaufen? Dazu muss man schon reich sein. Ich sage dir, als Geselle hast du dein Auskommen. Im nächsten oder übernächsten Jahr kann ich sogar heiraten, wenn ich will.«

»Wenn die Marie will und solange auf dich wartet«, erwiderte Max und beeilte sich, aus der Reichweite von Fritz’ Hand zu kommen. Er war nicht kleinlich im Austeilen von Ohrfeigen. Aber eigentlich war er ein guter Kerl. Max bereute schnell seine kecken Worte, als sie die Küche betraten. Gunda, die Magd, hatte für alle einen großen Topf Erbsen gekocht, aus Fleischbrühe von Rinderknochen mit viel gehacktem Grünzeug drin. Fritz flüsterte Gunda etwas ins Ohr, die daraufhin Max abschätzend von oben bis unten betrachtete.

»So, so«, meinte sie nur. Dann gab sie Max zwei Kellen voll Erbseneintopf in eine Schüssel. »Der Geselle meinte, du bist so schwach, dass du kaum die Stoffballen auf den Speicher tragen kannst. Kein Wunder, wie dünn du bist.«

Max wollte protestieren, doch Gunda zwinkerte ihm verschmitzt zu. Als er mit dem Löffel umrührte, gewahrte er ganz unten eine dicke Scheibe geräuchertes Bauchfleisch.

***

Es war ein allabendliches Ritual, das in Max sowohl Begeisterung als auch Ehrfurcht hervorrief. Mit Einbruch der Dunkelheit begannen die Laternenanzünder mit ihrer Arbeit. Auf allen großen Straßen der Stadt gab es Beleuchtung. Nicht die kleinen Laternen, wie sie sie daheim an der Tür hängen hatten, auch keine Fackeln, wie man sie in Gröba benutzte, um in der Dunkelheit den Weg nach Hause zu finden. Es waren richtige große Laternen auf einem Mast aus Eisen, mit Glasfenstern über dem Ölbehälter, die das Licht über die ganze Straßenbreite streuten. Die Laternenanzünder in ihren weiten dunklen Mänteln füllten die Ölbehälter stets auf und zündeten am Abend die Laternen mit langen Stangen an, an deren Enden kleine Lunten glimmten. Wenn Max aus dem Dachfenster seiner Kammer schaute, dann sah es aus wie eine Perlenkette aus Glühwürmchen, die sich durch die Stadt schlängelte.

Fast jeden Abend erfreute sich Max an diesem Anblick, dann packte er Bücher, Kohlestift und den Leuchter mit dem Kerzenrest und stieg auf den Speicher hinauf. Die ruhigen Atemzüge verrieten, dass die Gehilfen, die beiden Knechte und der Geselle Fritz, fest schliefen. Max hoffte, dass sie nicht zu viel Bier am Abend getrunken hatten. Einmal war ein Gehilfe die Treppe hinuntergefallen, weil Max die Laterne mitgenommen hatte. Max hatte am nächsten Tag vom Gehilfen eine Tracht Prügel und von Fritz eine Rüge erhalten. Da war es herausgekommen, dass der schmächtige Lehrjunge seine Nächte auf dem Speicher über Büchern verbrachte, um Maße, Gewichte, Währungen und die Techniken der Tuchherstellung zu studieren.

Nur Herr Jonas brachte es nicht übers Herz, Max dafür zu bestrafen.

»Magister Stephani hat mir schon berichtet, wie strebsam du bist, Maximilian. Der Geselle hat mir von deinen erstaunlichen Fortschritten erzählt. Nun, das ehrt dich, aber deswegen muss sich der Gehilfe nicht das Genick brechen. Lass dir von Gunda einen Leuchter geben und nimm die Kerzenstummel. Womit schreibst du überhaupt? Mit Kohle? Dafür gibt es Feder und Tinte. Morgen kommst du ins Kontor, dann wirst du lernen, wie die Bücher geführt werden.«

Zum Glück hatte der Gehilfe sich nichts gebrochen. Aber Max musste nun nicht mehr so oft Stoffballen schleppen, sondern durfte im Kontor die Ein- und Ausgänge der Waren aufschreiben, die Preise umrechnen und Rechnungen schreiben. Und Herr Jonas verfügte, dass der Lehrjunge Max ab sofort mit Maximilian anzusprechen sei.

Dass Max trotzdem weiterhin nachts auf den Speicherboden schlich, besaß eine besondere Bewandtnis. Rechnen, Schreiben und Lesen konnte er schon recht gut. Doch das genügte ihm nicht. Wenn zur Messe fremde Kaufleute nach Leipzig kamen, dann wollte er sie verstehen, sich mit ihnen unterhalten können, in deren Sprache. Frankreich war das Land, das derzeit in aller Munde war. Und England. Aber auch Italien. Welche Sprache sollte er zuerst lernen?

Die Frau des Stoffhändlers schenkte ihm ein kleines französisches Wörterbüchlein. »Wer etwas auf sich hält, spricht französisch«, flüsterte sie ihm zu. »Übrigens ist auch die französische Mode sehr beliebt. Wir verkaufen viele Stoffe für diese neuen Kleider, wie sie in Frankreich jetzt Mode sind.« Sie zeigte auf ein Journal, das sie von einer befreundeten Familie aus Paris bekommen hatte. »Im Augenblick geht es da ja drunter und drüber und man weiß nicht, was man davon halten soll. Aber diese Negligé-Kleider ohne die lästigen Versteifungen, und diese niedlichen Pölsterchen statt des unförmigen Reifrockes sind recht hübsch. Mein Mann findet die englische Mode viel praktischer, aber ich sage ihm immer, wer etwas auf sich hält, der trägt einen Seidenrock mit Jabot. Das wirkt sehr elegant. Diese englischen Stoffe, so dunkel und unauffällig. Weißt du, mein Junge, die Mode ist etwas Wichtiges in der Gesellschaft. Will man anerkannt sein, muss man immer mit der neuesten Mode gehen. Man muss zuerst das Neueste bieten können, dann gewinnt man die Kunden – und deren Geld«, fügte sie schmunzelnd hinzu.

So lernte er Französisch, weil Französisch ohnehin überall gesprochen wurde. Und er lernte Englisch, weil die meisten Stoffe aus England kamen. Er betrachtete Zeichnungen von Webstühlen, von Manufakturen, wo die Stoffe viel effektiver hergestellt werden konnten als in den engen Stuben der Heimweber.

Mehr als einmal schlief Max auf dem Speicherboden über seinen Büchern ein und wurde am Morgen von Fritz unsanft geweckt.

»Dir ist wirklich nicht zu helfen«, seufzte der Geselle. »Wohin soll das mit dir noch führen? Nachher fällst du mir vor Schwäche und Müdigkeit wieder von der Stiege.«

Max flitzte schnell nach unten, indem er im Laufen Bücher und Leuchter schnappte und unter seinem Bett verstaute. Das war auch in dieser Nacht kalt geblieben.

***

Nachdenklich betrachtete Max die abgeschnittenen Stoffstreifen, die sich überall auf dem Boden kringelten. Es waren nur schmale Stücke, die nicht mehr zu gebrauchen waren.

»Was stehst du so herum«, fuhr ihn Geselle Fritz an. »Kehr das Zeug zusammen.«

»Eigentlich ist es schade, diese Reste wegzuwerfen«, überlegte Max.

»Was willst du denn damit noch anfangen?«

»Ich weiß nicht … Kann ich die Streifen behalten?«

Fritz schüttelte verständnislos den Kopf. »In Gottes Namen, wenn du herumlaufen willst wie ein Musikant von diesen fahrenden Theatertruppen. Manchmal weiß ich sowieso nicht, was in deinem Kopf vorgeht.«

Sorgfältig las Max die Reste vom Fußboden auf, dann kehrte er den Raum aus. Der Meister sollte mit ihm zufrieden sein. Er war neugierig, was der zu seiner Idee sagen würde.

Nach dem Abendessen ging Max noch einmal in den Laden und suchte sich eine Schere. Damit schnitt er die Stoffreste zu kleinen Vierecken gleicher Größe. Mit Nadel und Faden heftete er sie wie ein Buch zusammen, vorn und hinten mit einem festen Deckel aus Pappe. Dann betrachtete er zufrieden sein Werk. Nein, diesmal würde er Fritz nicht davon überzeugen wollen. Er klopfte an die Stube seines Herrn.

Frau Jonas öffnete und starrte ihn erschrocken an. »Was ist los, Maximilian? Bist du krank?«

»Nein, nein, Frau Jonas, ich würde nur gern dem Herrn Meister zeigen, was ich … also, vielleicht kann er es gebrauchen, was ich mir ausgedacht habe.«

»Was hast du dir denn ausgedacht?« Jonas trat hinter seine Frau, in einem Schlafrock und mit Pantoffeln bekleidet. Zwischen seinen Zähnen hielt er eine gebogene Pfeife, die er auch beim Sprechen nicht aus dem Mund nahm.

Wortlos reichte Max ihm das kleine Büchlein mit den Stoffseiten.

»Ja, was ist denn das?«, staunte Jonas.

»Ein Musterbuch«, erwiderte Max. »Von jedem Stoff ein Muster, da braucht man nicht den ganzen Ballen zu schleppen und der Kunde kann sich in Ruhe etwas davon aussuchen, den Stoff befühlen und prüfen. Man kann sogar zu dem Kunden ins Haus gehen, damit er sich ganz bequem auf dem Sofa in Filzpantoffeln …« Er stockte, als er auf die mit einem neckischen Schleifchen versehenen Seidenpantoffeln seines Herrn blickte. Was erzählte er denn da nur?

Karl Jonas brach in lautes Lachen aus. »Na, du bist ja ein ganz pfiffiger Bursche! Ich hoffe, du hast dafür nicht alle meine Ballen zerschnitten.«

»Nein, nein«, versicherte Max. »Das habe ich aus den Schnittresten gemacht, die ohnehin zusammengekehrt werden sollten.«

Das Gesicht von Jonas wurde wieder ernst. Dann legte er Max seine Hand auf die Schulter. »Ich werde es mir überlegen, Maximilian, dein Einfall ist gar nicht so schlecht.«

Zufrieden stieg Max in seine Kammer hinauf, aber nur, um das Französischbuch unter dem Bett hervorzuholen und sich auf den Dachboden zu schleichen, bevor die anderen Lehrburschen es bemerkten. Ihr Spott wäre ihm sonst wieder sicher gewesen.

***

Der junge Mann stand etwas verloren an der Ecke und lehnte sich gegen die Straßenlaterne. Er fiel Max sofort auf, weil er diese seltsame französische Mütze trug, die seit der Revolution in Mode gekommen war. Mit suchendem Blick musterte er die Leute auf der Straße. Als er Max gewahrte, flog ein unsicheres Lächeln über sein Gesicht.

»Monsieur, Sie sicher kennen ’ier die Leute? Isch warte auf Freund, der mir soll zeigen, wo kann isch bleiben.«

Max blickte in zwei graue Augen. »Sie sind Franzose?«

Der andere nickte zögernd. »Ich spreche etwas Französisch. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«

»Isch ’offe sehr, Monsieur, weil isch bin fremd in Leipzig.«

»Gern. Sie suchen ein Quartier?«

»Lamothe, Jean Baptiste de Lamothe. Sehr erfreut.«

»Maximilian Speck, ebenfalls erfreut. Leider kenne ich Ihren Freund nicht. Aber es ist bestimmt nicht schwer, eine Unterkunft für Sie zu finden.«

Lamothe druckste verlegen herum. »Ja, aber isch ’abe kein Geld. Wenig Geld. Isch bin – wie ’eißt es? – ein Geflohling.«

»Bitte was? Sie meinen sicher Flüchtling.«

»Ja, ja, Flüchtling.«

Lamothe gab es auf, weiter Deutsch zu sprechen, zumal ihn Max ganz gut auf Französisch verstand. Es sprudelte aus dem jungen Mann hervor wie aus einem angezapften Bierfass. Innerhalb kürzester Zeit erfuhr Max von Lamothes Schicksal, von seinen Weingütern in Frankreich, von denen ihn die Jakobiner vertrieben hatten, von der Flucht und dem Heimweh, der Angst und Sorge, allein in Leipzig bleiben zu müssen.

»Bitte warten Sie einen Augenblick, ich muss nur dieses kleine Musterheft zu einem Kunden bringen.« Er deutete auf das Haus an der Ecke. »Dann komme ich wieder und ich suche mit Ihnen eine preiswerte Unterkunft. Ich kenne eine Wirtin, die an Studenten und Lohndiener vermietet, da ist es bestimmt nicht teuer.«

»Sie mir würden ’elfen, Monsieur Max?«

Max nickte heftig. »Aber selbstverständlich.«

***

Das Lager war voll! So voll, dass Herr Jonas beschloss, die Waren zur Messe im gegenüberliegenden Gewandhaus unterzubringen. Hier lagerten die Waren vieler Leipziger Tuchhändler, die sich in und um die Gewandgasse angesiedelt hatten.

»Komm mal mit!« Geheimnisvoll winkte Fritz zu Maximilian, der die eingestapelten Stoffballen genau auf eine Liste notierte. »Von hier oben kannst du in den Konzertsaal schauen.«

Max eilte hinter Fritz die Stiege hinauf, die auf einen Zwischenboden über dem zweiten Stockwerk führte. Fritz öffnete eine Luke. »Das Orchester probt.«

Neugierig steckte Max seinen Kopf hindurch. »Sind das viele Musiker«, staunte er.

»Genau dreizehn«, grinste Fritz.

Natürlich war Max nicht verborgen geblieben, dass im Zeughaus hin und wieder Musik aufgeführt wurde. Aber das geschah nach Feierabend, wenn die fein gekleideten Damen und Herren der Leipziger Gesellschaft kamen, um den Konzerten zu lauschen. Man konnte es auf der Gasse und sogar in Max’ Kammer hören, wenn auch nur leise. Aber er hatte keine Ahnung gehabt, was ein ganzes Orchester war!

Andächtig lauschte er, auch wenn der Dirigent immer wieder unterbrach und ganze Abschnitte wiederholen ließ.

»Ob es schwer ist, so ein Instrument zu spielen?«

Fritz lachte. »Ich denke schon, sonst könnte es ja jeder. Außerdem muss man dazu Musikunterricht nehmen und das ist teuer. Sophie, die ältere Tochter von Herrn Jonas, spielt Spinett. Ich durfte einmal zuhören, als sie eine Vorstellung gab. Aber das ist nichts für mich, nur was für feine Leute.«

»Willst du nicht zu den feinen Leuten gehören?«

»Nee, nee, lass mal, es reicht, wenn ich die Stoffe für die feinen Leute schleppe. Komm, sonst bekommen wir Ärger, wenn wir so lange verschwunden sind.« Er ließ die Klappe fallen. Max konnte gerade noch den Kopf wegziehen.

»Wenn ich Geld gespart habe, kaufe ich mir ein Billet für ein Konzert«, sagte er.

Fritz zog Max am Ohr. »Lehrbursche bist du, Herr Maximilian, und hast mir gefälligst zu gehorchen. Also, bring die nächsten Ballen rüber, sonst knote ich dir die Ohren hinter dem Kopf fest.«

Max nahm es dem Gesellen nicht übel. Fritz war einfach so.

»Maximilian, da bist du ja!« Herr Jonas stand mit mehreren anderen Männern auf der Gasse. »Komm her!«

Max schwante Schlimmes. Jetzt bekam er nicht nur Ärger mit Fritz, sondern auch mit seinem Dienstherrn. Wahrscheinlich hatte er ihn schon überall suchen lassen. »Verzeihen Sie, Meister, ich habe nur kurz der Musik gelauscht. Ich bringe gleich die restlichen Ballen …«

»Nein, das kann Fritz erledigen. Begrüße bitte die Herren, Herrn Beyer und die Herren Johnston und Miller aus England.«

Max dienerte artig. »Einen schönen Tag, Herr Beyer, good Morning, Mr. Johnston, good morning, Mr. Miller. I hope, you’re feeling fine.«

»Oh, thanks, my boy. What a surprise, you speak english!«

»Sorry, I don’t speak very good.«

Herr Beyer lächelte. »Sie haben nicht übertrieben, Herr Jonas, der Bursche hat wirklich Talent. Maximilian, kannst du uns helfen bei den Geschäftsverhandlungen? Leider sprechen die beiden Herren aus England kein Wort Deutsch, und ich spreche nur bedingt Englisch. Ich habe es bislang nur mit dem Französischen gehalten.«

»Sehr gern Herr Beyer. Ich hoffe, mein Wortschatz reicht dafür aus.«

»Maximilian, zum Teufel, du solltest doch …« Fritz schlug sich schnell mit der Hand auf den Mund als er den strengen Blick von Karl Jonas bemerkte. Verlegen zog er sich seine Mütze in die Stirn.

»Maximilian hat von mir eine andere Aufgabe bekommen.«

»Selbstverständlich, Herr Jonas.« Fritz machte sich schleunigst aus dem Staub. Aber es ärgerte ihn schon, dass der kleine Lehrjunge offensichtlich bevorzugt wurde.