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Prickelnde Leidenschaft und unbändiges Verlangen – drei historische Liebesromane im Sammelband: »Geraubt« von Susan Hastings als eBook bei dotbooks. Drei Männer, die sich dem Kampf und dem Schwert verschrieben haben, stehen unvermittelt den Frauen gegenüber, die sie in die Knie zwingen könnten … und eine unbändige Leidenschaft in ihnen entfachen: Der junge Wikinger Yngvar hat es eigentlich nur auf den Reichtum der stolzen Burgherrin Adelaise abgesehen. Doch schon bald kann er ihrer Schönheit kaum noch widerstehen … Ebenso ergeht es dem römischen Krieger Claudius beim Anblick einer geheimnisvollen germanischen Sklavin und dem Wüstenprinzen Arkani, der die eigenwillige Desirée verschleppt – und sich mit aller Kraft dagegen wehren muss, dem Zauber der schönen Französin zu verfallen! Drei exotische Begegnungen, die prickelnde Romantik versprechen – über 1000 Seiten Lesevergnügen, die zum Träumen einladen! Jetzt als eBook kaufen und genießen: In »Geraubt« von Susan Hastings erhalten Sie mit »Die Leidenschaft des Wikingers«, »Das Verlangen des Gladiators« und »Die Geliebte des Wüstenkriegers« gleich drei historische Liebesromane im Sammelband! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 1479
Über dieses Buch:
Drei Männer, die sich dem Kampf und dem Schwert verschrieben haben, stehen unvermittelt den Frauen gegenüber, die sie in die Knie zwingen könnten … und eine unbändige Leidenschaft in ihnen entfachen: Der junge Wikinger Yngvar hat es eigentlich nur auf den Reichtum der stolzen Burgherrin Adelaise abgesehen. Doch schon bald kann er ihrer Schönheit kaum noch widerstehen … Ebenso ergeht es dem römischen Krieger Claudius beim Anblick einer geheimnisvollen germanischen Sklavin und dem Wüstenprinzen Arkani, der die eigenwillige Desirée verschleppt – und sich mit aller Kraft dagegen wehren muss, dem Zauber der schönen Französin zu verfallen!
Drei exotische Begegnungen, die prickelnde Romantik versprechen – über 1000 Seiten Lesevergnügen, die zum Träumen einladen!
Über die Autorin:
Susan Hastings ist gelernte Geologin und war lange als Sachverständige für Geologie und Ökologie tätig. Ein Mentor im Studium entdeckte ihr schriftstellerisches Talent und motivierte sie dazu, dieses Talent zu verfolgen. Zunächst schrieb sie dann Kurzgeschichten, später zahlreiche Liebes- und Historienromane, die sie unter verschiedenen Pseudonymen erfolgreich veröffentlichte.
Bei dotbooks sind von Susan Hastings auch die folgenden historischen Romane erschienen: »Das Vermächtnis der Druidin«, »Die Sehnsucht der Nonne«, »Der schwarze Magier«, »Die Liebe der Wollhändlerin«, »Herzensflammen« und »Die Himmelsträumerin« sowie die historischen Liebesromane »Die Sklavin und der Wikinger«, »In den Armen des Raubritters«, außerdem »Irische Träume« und »Dark Heat – Gefährliche Leidenschaft«.
Die Website der Autorin: www.susan-hastings.de
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Sammelband-Originalausgabe November 2020
Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München
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Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut, Atelier für Gestaltung, Stephanie Weischer unter Verwendung eines Bildmotivs von © Fotolia / Kanea und mehrerer Bildmotive von © Shutterstock / Book Cover Photos / Paul Broadbent / Sergey Klopotov / Phil Kieran eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)
ISBN 978-3-95885-641-7
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Susan Hastings
Geraubt
Drei Romane in einem eBook
dotbooks.
Yngvar, Bruder des Wikinger-Fürsten Thoralf, überfällt mit seinen Kriegern eine normannische Jagdgesellschaft. Die Geiseln will er gegen viel Geld bei der reichen Burgherrin Adelaise einlösen. Doch kaum steht er der wunderschönen Frau gegenüber, vergisst er alle Forderungen. Das Gold ist ihm plötzlich egal – er will nur noch einen Preis: die stolze Adelaise. Doch die hat ihre eigenen Pläne und der starke Wikinger kommt ihr da gerade recht …
915 n. Chr., Burg Coquille, südliche Normandie
Im gestreckten Galopp trieb der Reiter sein Pferd den Hang hinauf Seine blonden Locken wehten, er beugte sich tief über den Hals des Pferdes, Schaumflocken flogen aus dessen Maul. Er steuerte genau auf den Hügel zu, auf dessen sanft gerundetem Gipfel sich eine bunte Gesellschaft befand.
In dem Trubel bemerkte niemand sein Kommen. Man hatte sich beiderseits eines langen Tafeltuches, das auf der Wiese ausgebreitet worden war, plaziert. Auf dem Tuch standen Schüsseln, Platten und Krüge mit allerlei Leckereien, Braten, Früchten, Wein. Die jungen Damen trugen Blumenkränze im Haar und schienen sehr vergnügt. Ihr Lachen und ihre hellen Stimmen stiegen wie Lerchengezwitscher in den blauen Himmel. Männer in bunten Umhängen hockten zwischen ihnen, spielten auf ihren Musikinstrumenten – Lauten, Harfen, Flöten – und wussten so manches schelmische Lied zu singen. Es war eine heitere Gesellschaft, nicht nur vom Anblick her. Eine der jungen Damen hielt einen Falken auf ihrer Hand, die in einem dicken Lederhandschuh steckte. In der anderen hatte sie einen silbernen Weinbecher.
»Ein Hoch auf die Freiheit«, rief sie, und alle stimmten ein. In einem Zug leerte sie ihren Weinbecher, dann gab sie den Falken an einen Mann weiter, der seinem Äußeren nach ein Falkner war. Fast alle seine Kleidungsstücke bestanden aus Leder.
»Wieso? Der Falke ist nicht frei«, wandte eine junge Frau aus der Runde ein. »Adelaise, er hat eine Fessel.«
Adelaise schüttelte ihre wundervollen langen Haare, die ihr bis auf den Rücken reichten. Dabei fiel ihr Blumenkranz in ihren Schoß. Sie nahm ihn, hob ihn auf Augenhöhe und betrachtete ihn nachdenklich. »Stimmt, in gewisser Weise ist er an mich gefesselt. Und weil ich sein Leid nachfühlen kann, lasse ich ihn immer wieder fliegen. Aber er kommt stets zu mir zurück.«
»Unter Menschen nennt man das Liebe«, erwiderte die andere schwärmend.
»Melisande!« Adelaise zog tadelnd die Augenbrauen zusammen. »Vielleicht liebt mich der Falke, aber ich will keine Fesseln, auch nicht die der Liebe. Ich will frei sein, frei wie ein Vogel in der Luft.«
»Das wollen wir alle«, rief eine andere junge Dame aus der lustigen Runde. Sie winkte einem jungen Bediensteten, erneut Wein auszuschenken. Überhaupt war es auffällig, dass sich nur junge Leute in der Gesellschaft befanden. Entsprechend ausgelassen war die Stimmung. Doch das Treiben wurde jäh unterbrochen, als der stürmische Reiter heranpreschte und von seinem Pferd sprang, noch bevor es zum Stehen kam. Kurz beugte er das Knie vor Adelaise und rang nach Luft.
»Comtesse Adelaise«, keuchte er. »Es ... ist ... Unheil ... im Anmarsch!«
Adelaise blickte zum Himmel. »Keine einzige Wolke ist zu sehen, mein süßer Gwendal. Was soll unsere fröhliche Stimmung trüben?«
Gwendal zeigte in das flache Tal hinab. »Da ... da ... da kommt Besuch. Es ist ... Pepin.«
Adelaise sprang auf »Was? Er wagt es? Er weiß, dass mein Vater unterwegs ist.«
Gwendal rollte mit seinen himmelblauen Augen und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. »Comtesse, ich bitte Euch dringend, er hat keine lauteren Absichten.«
Sie lachte glucksend. »Das weiß ich doch.« Sie strich ihm spielerisch mit den Fingerspitzen über seine geröteten Wangen. Er hatte wunderbar zarte Haut, fast kindlich, obwohl es nicht zu übersehen war, dass er ein Mann war, mit jugendlichem Charme, schlanker Figur und einem unwiderstehlichen Lächeln. Alle Frauen auf Chateau Coquille, ob jung oder alt, mochten Gwendal. Doch heute lächelte er nicht. Er fasste nach Adelaises Händen und blickte sie flehend an.
»Diesmal hat er gedroht und gesagt, er werde nicht eher abreisen, bis Ihr ihm Euer Jawort gegeben habt.«
Adelaise ließ sich wieder auf der Wiese nieder und reichte Gwendal einen Becher Wein. »Darauf kann er lange warten. Komm, setz dich und labe dich an dem köstlichen Tropfen. Du bist ja völlig außer Atem.«
Gwendal schüttelte heftig den Kopf »Dazu ist keine Zeit. Pepin ist nicht allein gekommen. Er hat mindestens zweihundert Krieger in seinem Gefolge. Sie bauen am Fuß der Burg ein Zeltlager auf«
»Ist der verrückt geworden?« Empört sprang Adelaise wieder auf »Das wird er mir büßen, dieser liebestolle Gockel!«
Gwendal hielt Adelaise an den Schultern fest. »Bitte seid jetzt nicht unbesonnen. Pepin meint es ernst.« Er stand sehr nahe bei ihr, spürte ihren süßen Blumenduft und hätte sie am liebsten in die Arme gezogen. Es kribbelte auf seiner Haut, in seinem Bauch bildete sich ein Knoten. Doch er wusste, was sich gehörte. Er war nur ein Page, und Adelaise ... Er holte tief Luft, um sich zu beruhigen.
»Ich meine es auch ernst.« Unwillig schüttelte Adelaise seine Hände ab. Sie ließ Gwendal einfach stehen und schwang sich auf sein Pferd. »Los, lauf schon«, feuerte sie es an.
»Halt! Adelaise! Comtesse! Da ist noch etwas ...«
Doch Adelaise war schon zu weit entfernt. Verzweifelt ruderte Gwendal mit den Armen. »So folgt ihr doch! Sie begibt sich in Gefahr!«
Seufzend blickte Melisande auf die vielen Köstlichkeiten auf dem langen Tafeltuch. Aber die Stimmung war dahin. »Packen wir zusammen«, wies sie die Dienerschaft an. Die Musikanten nahmen ihre Instrumente, zwei Pferdeknechte spannten den Wagen an, auf dem die ganze Damengesellschaft Platz fand.
»Wir können ja auf dem Wagen noch etwas essen und trinken«, schlug Jocelyne vor, die Adelaises zweite Kammerjungfer war. »Ja, lassen wir uns die Laune von diesem hässlichen Pepin nicht verderben«, erwiderte Melisande. Doch die Fröhlichkeit kehrte nicht wieder. Während die berittenen Männer Adelaise folgten, zog der Rest mit Wagen und zu Fuß langsam hinterher. Eilig hatten sie es nicht, zurück auf die Burg zu kommen.
Gwendal hatte sich einfach ein anderes Pferd genommen, um Adelaise zu folgen. Doch sosehr er es antrieb, er konnte sie nicht einholen. Adelaise war eine ausgezeichnete Reiterin. Und wenn sie in Rage war ...
Sein Herz krampfte sich zusammen. Er vergötterte sie, er betete sie an und er tat alles, um für sie da zu sein. Er hatte sogar Lieder für sie gedichtet und ihr vorgetragen. Immer hatte sie ihm dafür ein Lächeln geschenkt, das ihn beglückte. Er war auch glücklich, wenn er ihren Duft spüren, ihre Hand berühren oder ihr in die Augen sehen durfte. Er beneidete Melisande und Jocelyne, dass sie Adelaise des Abends beim Auskleiden behilflich sein durften oder des Morgens beim Ankleiden, beim Kämmen und Flechten ihres herrlichen Haars oder bei den monatlichen Badetagen im großen Holzzuber. Am liebsten hätte er laut aufgeseufzt, wenn ihm nicht die Luft durch den schnellen Ritt knapp geworden wäre.
***
Adelaise hatte das Pferd nicht geschont. Sie musste schnell die Burg erreichen, um das Schlimmste zu verhindern. Pepin mit zweihundert Männern? Die Burg war nur gering bewacht, die meisten Männer begleiteten ihren Vater Gurvan auf seiner Reise nach Burgund. Wollte dieser hinterhältige Pepin das ausnutzen?
Sie umrundete den Hügel, der ihr die Sicht auf das Geschehen am Fuß der Burg nahm. Sie zügelte das schwitzende Pferd. Gwendal hatte recht gehabt. Es wimmelte wie in einem Ameisenhaufen. Emsig stellten die Männer Zelte auf, alles starrte vor Waffen. Lanzen und Spieße ragten in die Luft wie ein seltsam abgestorbener Wald, und ringsum waren schwere Schilde aufgestellt. Überall wehten die Fahnen und Wimpel mit Pepins Zeichen, einem rosaroten Fisch auf gelbem Grund und vier Kreuzen. Zwei Männer standen vor dem Tor, mit breiten Schwertern und Pepins Standarte. Er befand sich also schon in der Burg! Was für eine Frechheit!
Empört wollte Adelaise das Pferd wieder antreiben, als ihr der Atem stockte. Von der anderen Seite näherte sich ebenfalls ein langer Zug von Menschen der Burg. Es bestand kein Zweifel, dort kam Graf Hamo!
Jetzt war erst recht Eile geboten. Wenn die beiden zusammentrafen, so würde es unweigerlich zum Kampf kommen.
Atemlos erreichte Adelaise die Burg. Sie würdigte Pepins Männer keines Blickes. Im Innenhof sprang sie vom Pferd und eilte in den Burgfried, an den sich der Rittersaal anschloss.
Es war eine lange Halle, gestützt von zwei Reihen steinerner Säulen. An den Wänden hingen verblichene Fahnen mit dem Wappen derer von Pattefleur, zwei weißen Blumen auf blauem Grund und den Abdrücken von Wolfspfoten. Ja, die Pattefleurs waren ein altes, stolzes und wehrhaftes Geschlecht. Graf Gurvan war ein Günstling des Grafen Rollo, reich von diesem mit Lehen bedacht und angesehen. Leider war er nicht mit vielen Kindern gesegnet, nur einen Sohn und eine Tochter nannte er sein Eigen. Sein Sohn würde einmal sein Nachfolger werden, sein Lehen bewirtschaften und den Reichtum mehren. Für Adelaise jedoch würde er einen reichen und hochgestellten Ehemann suchen, bei dem nicht nur Adelaise, sondern auch er ein luxuriöses und sorgenfreies Leben führen konnte. So war alles aufs Beste geregelt.
Adelaise genoss so viele Freiheiten, wie man einer Comtesse nur zugestehen konnte. Ein Pater des nahe gelegenen Klosters hatte sie im Lesen und Schreiben unterrichtet, in griechischer und hebräischer Sprache, in Geographie und Sternenkunde. Noch lieber widmete sie sich aber ganz irdischen Vergnügen wie dem Reiten, Jagen, der Falknerei und der Musik. Sie versammelte junges Volk um sich, Troubadoure, Dichter, Mädchen, die singen, tanzen, schöne Kleider nähen und ihr die Zeit vertreiben konnten. Es war ein schönes, leichtes und angenehmes Leben auf Chateau Coquille, wenn da nicht die benachbarten Grafschaften gewesen wären.
Graf Pepin du Saumon war der Lehnsherr im Osten. Er besaß viele Dörfer, guten Acker, einen fischreichen Fluss und vier Kirchspiele. Eigentlich hätte Adelaise froh sein müssen, denn damit war Pepin bedeutend wohlhabender als Graf Gurvan de Pattefleur. Dessen Land lag zwischen dem fruchtbaren Ackerland von Pepin und dem waldreichen Gebiet von Graf Hamo du Bois Noir. Eine Verbindung der Pattefleurs mit den Saumons wäre für den Wohlstand aller sicher wünschenswert, doch bislang hatte Gurvan gezögert, Pepin seine Tochter zu versprechen. Er war der Meinung, Adelaise hätte mehr verdient als ein paar Dörfer und einen Fluss.
Adelaise dachte ebenso, aber aus anderen Gründen. Pepin war ein kleiner Mann auf kurzen, stämmigen Beinen, mit einem runden Bauch vom unmäßigen Essen und einer roten Nase vom unmäßigen Trinken. Er litt ständig an Sodbrennen, und sein Begleiter war ein stets verzweifelter Leibarzt, der seinem Herrn fortwährend Diäten und Enthaltsamkeit verordnete – Ratschläge, die Pepin ebenso oft in den Wind schlug. Dafür schluckte er Pillen, Pülverchen und Tropfen von zweifelhafter Rezeptur im irrigen Glauben, dass diese ihm gegen seine Leiden helfen würden.
Sein schütteres blondes Haar, das sich immer weiter an die Randgebiete seines kugelrunden Kopfes zurückzog, ließ er von einem Diener mit Honig über die kahlen Stellen kämmen und festkleben in dem ebenfalls irrigen Glauben, er könne damit seine fortschreitende Kahlheit verbergen. Wenn er den Helm abnahm, dann war der Honig zu einer klebrigen Brühe zerschmolzen, die ihm in den Kragen rann und sein Leinenhemd gelb färbte. Pepin hasste das Reiten, doch anders konnte er sich nicht fortbewegen. So gehörte zu seinem Gefolge ein Pferdeknecht, der eine kleine Leiter mit mehreren Tritten mit sich führte, über die Pepin bequem auf sein Ross steigen konnte.
Adelaise hätte bei Pepin zumindest die Freiheit besessen, ihm davonreiten zu können, doch Pepin hatte in seinem ganzen Reich verboten, dass Frauen sich jemals auf einen Pferderücken schwangen. Frauen wurden entweder in Sänften getragen, wie seine ebenso kugelrunde Schwester, oder sie mussten zu Fuß gehen, was er für angemessener hielt.
Doch Adelaise hatte weder Lust auf Sänften noch auf Pepins Kugelbauch oder verklebtes Haar, auf seinen Mundgeruch und seine Fischaugen, die immer wässriger wurden, je mehr Wein er trank. Weiß der Teufel, warum er auf die Idee kam, unbedingt heiraten zu wollen. An Gurvans Land konnte es nicht liegen, denn es war nicht so fruchtbar wie sein eigenes Lehen, auch gab es dort keinen Fluss, sondern nur Burg Coquille mit ihrer schneckenförmigen Serpentine hinauf, die Pepin jedes Mal in Atemnot brachte, wenn er zu Besuch weilte.
Pepin nahm diese Anstrengung in den letzten Jahren allerdings immer häufiger in Kauf, denn ihm war nicht verborgen geblieben, wie sich aus der kleinen, zarten Adelaise mit dem dunklen Haar und den veilchenfarbenen Augen eine wunderschöne junge Dame entwickelt hatte, deren körperliche Reize durch das geschnürte Mieder aus Leder, das sie entgegen jeglicher höfischer Mode über ihrem Kleid trug, mehr unterstrichen wurden denn verborgen blieben. Er bewunderte ihre schlanke, biegsame Taille, die apfelrunden, festen Brüste und ihren schwanengleichen Hals. Ihre zarte helle Haut schimmerte im Kontrast zu ihrem dunklen Haar wie die Schale einer kostbaren Muschel, und wenn sie ihre Lippen zu einem Lächeln öffnete, entblößte sie zwei Reihen tadelloser Zähne wie Perlenketten. Pepin hätte Adelaise auch zur Frau genommen, wenn sie arm wie eine Kirchenmaus gewesen wäre, denn reich war er selbst, nur dass ihm bei Tag der Anblick einer schönen Frau und des Nachts ihr aufregender Körper an seiner Seite fehlten. Er verstand Gurvans Zögern nicht, ja, er vermutete sogar, dass Gurvan den Preis hochtreiben wollte. Dabei fand Pepin, dass Gurvan ein gutes Geschäft machte, wenn er ihm ein Kirchspiel und zwei Dörfer sowie ein Zehntel des Fischrechts als Gegenleistung anbot. Adelaises Mitgift war sicher nicht gering, doch die interessierte ihn nicht halb so viel wie Adelaise selbst. Er malte sich in seinen Träumen aus, welche leiblichen Genüsse ihm seine junge Frau zu schenken vermochte, wenn sie nur erst unter seiner Decke lag. Die Ungeduld darauf trieb ihn zu der Reise nach Burg Coquille, und er nahm das große Pferd, die Schaukelei des Rittes, die Hitze des Tages und seine unter dem Ritterhelm zerlaufende Honigfrisur in Kauf. Doch seine Eile hatte noch einen anderen Grund. Es war sein Konkurrent Hamo du Bois Noir, der ebenfalls ein Auge auf Adelaise geworfen hatte.
Einstmals hatte Gurvan den leichtfertigen Fehler begangen, sowohl Hamo als auch Pepin seine gerade geborene Tochter als Frau in Aussicht zu stellen, wenn sie nur gute Nachbarschaft und Frieden gewähren würden. Doch weder Hamo noch Pepin wussten damals, dass Gurvan auch dem jeweils anderen diese Verlockung in Aussicht gestellt hatte.
Zunächst war es auch zweitrangig gewesen, denn Adelaise war ein kleines Mädchen mit dünnen Armen und Beinen und großen veilchenblauen Augen, das ihrer Amme stets davonlief, auf Bäume kletterte und Vogelnester ausnahm, aufgeschlagene Knie hatte und alle hohen Gäste der Burg aus einem Hinterhalt mit einem Katapult und kleinen Kieselsteinchen beschoss.
Hamo hatte sich auch mehrfach mit Gurvan bekriegt, weil das Wild aus Hamos Wald öfter auf Gurvans Land wechselte und dieser es fröhlich jagte. Solche Kriege endeten dann allerdings meist in einer Pattsituation, denn beide Kriegsherren zogen, wenn ihre Kassen leer waren, vor das Gericht in Rouen, und das entschied, dass Hamo dafür sorgen müsse, dass sein Wild ihm nicht davonliefe, und dass er beweisen müsse, dass das Wild, das Gurvan jagte, auch tatsächlich das aus seinen Wäldern sei. Es war Hamo jedoch unmöglich, alle seine Hirsche, Rehe, Wildschweine und Fasane zu kennzeichnen oder seinen ganzen schwarzen Wald einzuzäunen. Gurvan hingegen schwor heilige Eide, dass er sich niemals an einem Wild vergreifen würde, das eindeutig Hamos Zeichen, also sein Wappen auf dem Fell oder Federkleid, tragen wurde.
Als Adelaise zu einer wunderschönen jungen Dame heranreifte, erinnerte sich Hamo an Gurvans Angebot, verzichtete lieber auf das Wild und erhoffte sich dafür die schöne Adelaise.
Es dauerte eine geraume Weile, bis Pepin und Hamo Gurvans falsches Spiel bemerkten. Er hatte eben nur eine Tochter und konnte sie nur einem zur Frau geben. Und jeder der beiden Grafen beschloss, dass er selbst das sein würde. So schickten beide ihre Hochzeitsfreier und ließen offiziell um Adelaises Hand anhalten. Während sich Gurvan in hundert Ausflüchte rettete, sprach Adelaise deutliche Worte. Sie lehnte beide Angebote rundweg ab und sagte, lieber würde sie in ein Kloster oder unter die Seeräuber gehen, als die Frau eines dieser oder jedes anderen Grafen zu werden. Natürlich fühlten sich beide bis aufs Blut in ihrer Ehre gekränkt, und Blut würde auch fließen, wenn Gurvan nicht zu seinem Wort stünde.
Mehrere Drohungen Gurvan gegenüber verliefen im Sande. Er schien sich nichts daraus zu machen, sondern begab sich auf eine Reise nach Burgund in einer sehr wichtigen Angelegenheit, wie er beiden ausrichten ließ. Danach würde er ihnen seine Entscheidung mitteilen.
Pepin wollte diese Entscheidung zu seinen Gunsten beeinflussen und Gurvans Abwesenheit nutzen, die schöne Adelaise für sich zu gewinnen. In seinem Gepäck trug er wertvolle Geschenke bei sich, mit denen er Adelaise endgültig willig und einsichtig machen wollte. Und sollte dies nicht so fruchten wie geplant, dann hatte er immer noch zweihundert seiner Ritter und Soldaten im Gefolge, die mit ihren Schwertern rasseln konnten. Wie auch immer, er war sich sicher, die jetzt schutzlose Adelaise beeindrucken zu können. Er ahnte, dass Graf Hamo ähnlich dachte, und wollte ihm zuvorkommen.
Ganz so schutzlos war Adelaise indes nicht, denn die Burg war gut bewacht und sie nannte viele junge Männer ihre Beschützer. Allerdings waren es nur etwa zwanzig und keine zweihundert. Diese zwanzig hatten ihre liebe Mühe, der erzürnten Adelaise zu folgen. Im Rittersaal, am Kopfende der langen Tafel, hockte Pepin schwitzend und mit rotem Gesicht und leerte gerade einen großen Becher Wein, den ihm der alte Diener Nouel serviert hatte. Nouel hatte bereits Gurvans Vater gedient und besaß ein lebenslanges Wohnrecht auf Burg Coquille, weil er Gurvan und seinem Vater einmal das Leben gerettet hatte. Nouel war derzeit der einzige alte Mensch auf der Burg, etwas langsam im Gehen und von den jungen Leuten oft mit gutmütigem Spott verfolgt, aber er war ebenso treu ergeben wie erfahren. Für Adelaise war er der verlässlichste Mensch überhaupt, dem sie ihre Geheimnisse anvertraute und bei dem sie sich Rat holte.
Pepin zuckte zusammen und verschüttete den köstlichen roten Wein auf seinem drückenden Brustpanzer, als die schwere Holztür des Rittersaales mit einem Knall aufflog und Adelaise hereingestürmt kam. Sie bot einen entzückenden Anblick. Auch ihr Gesicht war erhitzt, gerötet und schimmerte feucht und verlockend wie ein reifer Apfel nach einem Regenguss. Ihr Haar flog wie ein Kometenschweif hinter ihr her, aufgelöst vom schnellen Ritt und mit verstreuten Blütenblättern darin. Ihr Mieder hatte sich geöffnet, die dünnen Lederschnüre kringelten sich wie kleine Schlangen aus den Ösen und gaben den Blick auf den Ansatz ihrer prachtvollen Brüste frei, eine jede eine Männerhand voll, fest und weiß wie Schneebälle.
Adelaise schien es nicht zu bemerken. Mit stürmischen Schritten eilte sie zu Pepin, blieb kurz vor ihm stehen, schlug mit der Hand auf die Tischplatte und beugte sich angriffslustig zu ihm vor. Dabei schoben sich ihre Brüste beinahe vollends aus ihrer Hülle. Pepin starrte mit kugelrunden Augen darauf, während ihm Speichel im Mund zusammenlief, sich mit dem Rest des Weins vermischte und aus seinen Mundwinkeln troff.
»Uiiih«, brachte er bloß heraus, während ein dümmliches Grinsen seine Lippen verzog.
»Was soll dieser Aufmarsch, Graf Pepin«, schnaubte Adelaise. »Ihr wisst genau, dass mein Vater nicht anwesend ist.«
»Weiß ich«, nickte Pepin und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. »Meine Aufwartung gilt auch nicht Eurem Vater, meinem teuren Freund und Kampfgefährten Gurvan, sondern Euch, meine liebreizende Adelaise. Denn ich glaube kaum, dass ich Euren Vater mit meinen Geschenken, die ich mit dem Herzen wählte, erfreuen würde. Dafür hoffe ich, dass sie Euch und Euer Herz erfreuen und Ihr mir endlich Eure Gunst schenkt. Ich warte schon so lange auf Euer Wort und Einverständnis.«
»Was für ein Wort? Was für ein Einverständnis? Doch nicht etwa als Eure Frau?«
»Wartet ab, bis Ihr meine Geschenke gesehen habt, dann ändert Ihr Eure Meinung.«
Er winkte einem seiner Gefolgsleute, der bislang im Schatten einer Säule verborgen gestanden und den Adelaise nicht bemerkt hatte. Er hielt ein Kästchen in der Hand. Pepin erhob sich vom Stuhl, öffnete das Kästchen und entnahm ihm eine zauberhaft gearbeitete silberne Kette mit einem augengroßen violettfarbenen Edelstein als Anhänger. Stolz zeigte er sie Adelaise, die für einen Augenblick sprachlos daraufstarrte.
Die Kette war wirklich einer Königin würdig, kunstvoll verschlungen wie Blütenranken, dabei filigran und leicht, als wäre sie aus glitzernden Spinnweben gefertigt. Der Edelstein besaß genau die Farbe ihrer Augen, die Fassung umschmeichelte ihn in Form zarter Blütenblätter.
Pepin nutzte Adelaises Verblüffung, um sie ihr um den Hals zu legen. Der Edelstein berührte wie ein Eiskristall die zarte Haut ihres Dekolletés, um dann in die Spalte zwischen den Brüsten zu rutschen.
»Huch!« Erschrocken zuckte sie zurück.
»Verzeihung, liebste Adelaise, das war ein kleines Missgeschick. Dieser Edelstein sollte Eure ... hm ... Äpfelchen krönen, anstatt darin zu verschwinden.«
Mit seinen dicken Fingern fuhr er zwischen Adelaises Brüste, um den Stein hervorzuholen.
Adelaise schrie auf und schlug Pepin auf die Hand.
In diesem Augenblick vernahmen sie harte Schritte an der Tür des Saales.
»Ahnte ich es doch!« Eine unangenehme Fistelstimme schallte schrill durch den Saal. Sie gehörte Graf Hamo, der sich jetzt schnell näherte, und stand völlig im Gegensatz zu seiner Erscheinung. Er war groß, sehr dünn und erinnerte etwas an einen abgestorbenen Baum. Seine langen Arme und Beine wirkten mit den knotigen Gelenken wie knorrige Äste. Er trug keine Rüstung, sondern ein schwarzes Gewand aus eng anliegenden Beinlingen und einer gegürteten Tunika, die oberhalb der Schenkel endete und seinen seltsam unförmigen Schritt den Blicken preisgab. Adelaise wusste aus den Erzählungen ihrer Freunde, dass Hamo aufgrund seiner asketischen Figur Probleme beim Reiten hatte und das unangenehme Scheuern seines Geschlechtsteils am hohen Knauf des Sattels mit einer Art Polster zu mindern versuchte. Böse Zungen behaupteten, er trage ständig eine Windel wie ein Säugling, weil seine Blase ihm manchmal einen üblen Streich spielte. Aber das war nur ein Gerücht.
»Comtesse Adelaise, Ihr seht mich entsetzt. Während ich in allen Ehren Euch ein Geschenk zu Füßen legen will, lasst Ihr Euch von diesem fetten Widerling unsittlich berühren.«
Pepin errötete, aber aus Zorn. »Was unterstellt Ihr mir, Graf Hamo? Niemals würde ich wagen, die teure Adelaise unsittlich zu berühren, bevor sie nicht ganz die Meine geworden ist. Es ist mein Geschenk, das ich ihr ans Herz legte als Eheversprechen. Damit könnt Ihr nicht aufwarten, nicht wahr?« Er fasste erneut an Adelaises Busen, noch bevor sie zurückweichen konnte. Triumphierend hielt er den violetten Anhänger hoch und beeindruckte Graf Hamo mit dem Schmuckstück sichtlich.
Ein heftiges Gefühl des Ekels durchfuhr Adelaise. Pepins Berührung empfand sie als ebenso widerlich wie seinen Anblick. Wie gelähmt stand sie da, doch dann kniff sie die Augen zusammen und schlug seine Hand beiseite. »Finger weg«, zischte sie erbost.
Auch Hamos Schweigen dauerte nur einen Augenblick. »Pah, was ist schon Schmuck«, blaffte er. »Kalter Stein, kaltes Metall, nichts Lebendes. Und wenn dieser Busen erst schlaff und runzelig ist, dann kann ihn auch der schönste Edelstein nicht mehr krönen.« Seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen, während er sich vor Adelaise entschuldigend verbeugte. »Damit es erst gar nicht so weit kommt, so nehmt mein Geschenk an.« Er winkte seinem Gefolgsmann, der ebenfalls eine kleine Schatulle trug. Vorsichtig öffnete Hamo sie und entnahm ihr einen kleinen, geschliffenen Kristallflakon, in dem eine Flüssigkeit schimmerte.
»In vielen schlaflosen Nächten ist es mir gelungen, in meinem Labor ein großes Geheimnis zu ergründen. Hierin befindet sich ein wahrer Jungbrunnen, nämlich das Elixier der ewigen Jugend. Liebe Adelaise, Ihr werdet damit ewig leben, vor allem aber ewig so jung und schön bleiben wie jetzt.«
Entsetzt blickte Adelaise auf die kleine Flasche, die Hamo in Händen hielt. Sie wusste, dass er sich mit Alchimie beschäftigte, hielt es aber für eine Marotte, der sie keine weitere Bedeutung beimaß. Jetzt ahnte sie, warum sein Gesicht so bleich und seine Nase so spitz war. Wer weiß, wie viele Tage und Nächte er sich in seinem Labor vergrub, das sich tief unten in den Kellergewölben seiner Burg befand. Sie blickte in seine kleinen, stechend schwarzen Augen, die tief in den Höhlen lagen. Er besaß ebenso rabenschwarzes Haar, das er entgegen der Mode kurz geschnitten trug. Schaudernd wich sie zurück.
»Wollt Ihr mich vergiften, Graf Hamo? Wer glaubt Euch diesen Unsinn? Und woher wollt Ihr wissen, dass es wirkt?«
»Ich habe es an einer alten Katze ausprobiert. Sie wurde wieder zu einem nackten Wurm.«
»Aha, dann soll ich wohl auch zu einem nackten Wurm ...«
Weiter kam sie nicht, denn nun rannte Gwendal, gefolgt von mehreren Männern, in den Saal.
»Belästigt Euch dieses fette Schwein, Comtesse?«, schrie er, stieß Hamo beiseite und packte Pepin am Hals.
»Aua!« Der blies empört die Backen auf »Was erlaubt sich dieser Grünschnabel?«
»Ich darf mir alles erlauben, wenn es nur um den Schutz der Comtesse geht«, erwiderte Gwendal aufgebracht. »Comtesse, Eure Brüste sind beinahe entblößt!« Er nahm beide Hände und zog das Brusttuch ihres Kleides nach oben, um sie vor den Blicken der beiden lüsternen Grafen zu verbergen.
»Zum Glück bin ich rechtzeitig gekommen«, stellte Gwendal voller Stolz fest. Er träumte davon, als Ritter an Adelaises Seite zu stehen. Doch auch wenn er keine Rüstung und kein Schwert besaß, ihr Beschützer konnte er dennoch sein.
Adelaise schob seine Hände beiseite. Sie liebte ihn für seinen aufrichtigen Edelmut, doch sein Überschwang war manchmal zermürbend. Sie hatte schon vor Jahren die Hoffnung aufgegeben, ihm verständlich zu machen, dass sie einen Beschützer weder brauchte noch wollte. »Ich hätte mich ihrer schon zu erwehren gewusst. Es soll auch der erste und letzte Blick gewesen sein, den sie auf meine Brüste werfen konnten. Wo sind meine Zofen, damit sie mein Mieder wieder zuschnüren?«
»Die sitzen auf dem Wagen«, erwiderte Gwendal mit Verzweiflung in der Stimme. »Und der Wagen ist noch nicht da. Aber ich kann Euch das Mieder schnüren. Wenn Ihr bitte stillhalten würdet, damit ich die Schnüre wieder in die Ösen fädeln kann ...« Er ging leicht in die Knie, mit Händen und Augen auf Adelaises Brusthöhe. Er versuchte die Lederschnüre einzufädeln, doch es gelang ihm nicht. Seine Hände zitterten, sein Blick verirrte sich, statt auf das Mieder gerichtet zu sein, zu ihren Brüsten. Zudem atmete Adelaise noch immer heftig, ihr Busen hob und senkte sich, schwoll an, ihm entgegen, so rund, so köstlich. Er seufzte laut auf. »Haltet doch still, damit ich Euch ...«
»Ach was, das kann ich selbst!« Ungehalten drehte sich Adelaise zur Seite, die Schnüre entglitten Gwendals Händen, und das Mieder öffnete sich wieder.
»Halt!« Gwendal stellte sich schützend vor Adelaise. »Keinen Blick mehr, ihr alten Ferkel!«
»Raus!«, schrie Adelaise. »Alle Männer raus hier!«
»Und die Kette?«, wollte Pepin wissen.
Adelaise riss sie sich vom Hals und warf sie ihm zu.
»Jawohl, ihre Brüste sind schön genug, die brauchen keinen Schmuck«, rief Gwendal erbost.
»Und mein Elixier?« Hamos Spitzbart wippte wie der Schwanz einer Elster.
»Gebt es Euren Hirschen und Wildschweinen, damit wir immer etwas zu jagen haben«, rief Adelaise.
»Der Spott wird Euch noch vergehen, Comtesse«, giftete Hamo. »Ich sehe Eure Zurückweisung als Beleidigung an.«
»Ich auch«, pflichtete ihm Pepin bei.
»Und Ihr wisst, was das bedeutet, Comtesse«, krähte Hamo.
»Ich weiß es auch«, ergänzte Pepin.
»Krieg!«
»Krieg!«
»Bigre – verflucht!«, flüsterte Gwendal. Nur Adelaise, die direkt hinter ihm stand, vernahm es.
»Ist das Euer letztes Wort?«, wollte Hamo wissen.
»Ja, mein allerletztes«, rief Adelaise zornig. »Ihr sollt Euren Krieg haben. Mich jedenfalls bekommt keiner von euch beiden.«
Mit versteinertem Gesicht deuteten Pepin und Hamo eine winzige Verbeugung an, dann drehten sie sich um und verließen den Saal. Hinter ihnen fiel krachend die Tür ins Schloss. Einen Moment blickten Gwendal und Adelaise auf die Tür.
»Endlich sind sie weg.« Adelaise fand als Erste die Sprache wieder. Sie ließ sich auf eine Bank sinken und fingerte an den Miederschnüren herum.
»Es war sehr unbedacht von Euch«, wagte Gwendal eine leise Kritik.
»Was?«
»Das mit dem Krieg. Womit sollen wir kämpfen? Euer Vater befindet sich mit einem großen Teil der Männer im Burgund, die anderen Männer begleiten Euren Bruder auf der Jagd, und wir sind doch nur eine Handvoll Leute.« Er blickte auf seine Hände, dann auf Adelaises Brüste, die sie in das Mieder zu zwängen versuchte.
»Wir werden das schon irgendwie schaffen«, murmelte sie. Erst jetzt kam ihr zu Bewusstsein, worauf sie sich da eingelassen hatte. Pepin stand mit zweihundert Mann vor der Burg, auch Hamo hatte eine halbe Armee mitgebracht. Ohne Zweifel war das eine sehr handfeste Bedrohung. Und sie waren keine dreißig Leute auf der Burg. Es gab die Zugbrücke, ein großes Tor, die Pechnasen und die Turmzinnen, aber sie waren viel zu wenige, um Coquille verteidigen zu können.
Gwendal sank vor Adelaise auf die Knie. »Comtesse, Ihr könnt Euch auf mich verlassen. Ich verteidige Euch mit meinem Leben.«
Gerührt blickte Adelaise in Gwendals hübsches Gesicht, auf dem sich pure Verzweiflung widerspiegelte.
»Das weiß ich, mein junger Freund. Aber lebend bist du mir viel lieber.« Sie fasste seinen Kopf mit beiden Händen und zog ihn wie ein Kind an ihren Busen. Gwendal seufzte verzückt auf.
Adelaise deutete sein Seufzen jedoch ganz anders. »Wir werden es schon schaffen, mein lieber Gwendal. Irgendwie werden wir es schaffen.«
»Ja«, flüsterte er. »Darf ich Euch um etwas bitten?«
Sie strich ihm tröstend über seine blonden Locken. »Um alles, was du willst.«
»Lasst bitte Euer Mieder offen.«
Adelaise lachte und schob ihn von sich, um ihre Kleidung zu richten.
915 n. Chr., Skollhaugen, norwegische Westküste
Der helle Klang der Glocke wehte wie eine zarte Wolke über den Fjord. Es war nur eine kleine Glocke, es war auch nur eine kleine Kirche hoch oben über der stattlichen Wikingerburg. Doch die klare Luft trug den Klang weit hinaus, so dass alle, die auf Skollhaugen lebten, ihn vernehmen mussten. Es war Sonntag, der Tag des Herrn, und eigentlich sollte die Arbeit ruhen. Die vor kurzem erst erfolgte Christianisierung mit der Massentaufe aller Bewohner von Skollhaugen hatte die neue Religion noch nicht in den Köpfen verankert. Warum sollte man am Sonntag nicht arbeiten?
Die Menschen begaben sich hinauf zu dem ganz aus Holz gebauten kleinen Gotteshaus, allen voran Thoralf Björgolfson, der Jarl von Skollhaugen. Neben ihm schritt Viviane, seine hübsche Frau. Ihr zuliebe hatte er die kleine Kirche bauen lassen. Viviane stammte von einer Insel vor der Küste Englands, und es war großes Unrecht, als Thoralf, der stolze Wikinger, eines Tages ihr Dorf überfallen, geraubt und geplündert, die Dorfbewohner gefangen genommen und in die Sklaverei verkauft hatte. Nur Viviane blieb bei ihm, als Sklavin, als Geschenk für Thoralfs Braut Gunnardviga.
Doch es war alles anders gekommen. Nicht nur, dass Gunnardviga das Geschenk ablehnte, sie forderte Thoralf auch auf, noch mehr Kostbarkeiten zu erbeuten, bis sie endlich heiraten würden. Während Thoralfs Abwesenheit wurde Skollhaugen überfallen, Thoralfs Vater getötet und alle Schätze geraubt. Nur durch Glück konnten wenige Bewohner überleben. Erst nach seiner Rückkehr begriff er, wer ihn wirklich und aufrichtig liebte. Aus der Sklavin Viviane wurde seine Braut. Die schreckliche Zeit für Skollhaugen war vorbei, die Gebäude und Palisaden wurden wiederaufgebaut, größer und schöner als vorher. Und ein neuer Glaube verbreitete sich, dank eifriger Missionare. Viviane war Christin, doch im rauhen Wikingerland musste sie sich den herrschenden Göttern unterordnen. Als eines Tages ein Gesandter des Königs kam mit einem Priester im Gefolge, änderte sich auch das geistliche Leben der Bewohner. Odin, Thor und all die anderen Götter der Wikinger durften nicht mehr angerufen, es durfte ihnen nicht mehr geopfert werden. Sonntags wurde nicht mehr gearbeitet, und alle versammelten sich in der kleinen Kirche oberhalb der Burg. Das heißt, nur das Fürstenpaar und dessen Familie –Thoralfs Mutter Astrid und Bruder Yngvar, seine Schwestern Dalla und Halveig – sowie die angesehenen freien Männer aus Thoralfs Gefolge fanden darin Platz. Alle anderen mussten draußen warten. Die Tür blieb offen, und alle konnten der Predigt des Priesters, der extra nach Skollhaugen gekommen war, lauschen. Keiner verstand ein Wort von dem, was der Priester sagte, denn er hielt die Messe in Latein ab, einer Sprache, die niemand auf Skollhaugen beherrschte. Aber danach gab es viel Freizeit mit Spaß und Spiel, Met und gutem Essen, so dass sich niemand darüber beschwerte.
Thoralf hatte anfangs Probleme, die Messe im Innern der Kirche zu verfolgen. Wieso benötigte man ein Haus, damit man Gott näher war?
»Gott kann mich hier drinnen doch gar nicht sehen«, beschwerte er sich bei Viviane.
Viviane lächelte still. Sie kannte das rauhe Gemüt ihres Gemahls, auch wenn sich das schon sehr gemäßigt hatte. Und in letzter Zeit war der einst gefürchtete Wikinger besonders sanft geworden, seit sich unter Vivianes Kleid ein deutlicher Bauch wölbte. Auf seinen zukünftigen Sohn war er mindestens genauso stolz wie auf die kleine Bronzeglocke oben im Kirchturm. Sie hatte ihn ein Vermögen gekostet, denn Bronze war kostbar und bei den Wikingern begehrt, allerdings für Schmuck, Gürtelschnallen, Prunkwaffen. Daraus eine Glocke zu gießen, auf diese Idee war bislang niemand gekommen.
Thoralf waren Kirchen nicht fremd. Er hatte daraus viele Schätze erbeutet, denn die Christen weihten ihrem Gott reich verzierte Gegenstände wie Kreuze, Kelche, Statuen. Lange hatte er das nicht verstanden, und auch heute noch tat er sich schwer damit. Er verweigerte konsequent das Aufstellen wertvoller Dinge in der Kirche. So weit traute er seinen eigenen Leuten nicht.
Das Innere der Kirche war denkbar schlicht gestaltet. Es war ein leerer rechteckiger Raum, an der Stirnseite befand sich der Altar. Es gab nichts weiter als ein großes hölzernes Kreuz, das an der Wand befestigt war. Davor stand der Priester und hielt die Messe in dieser fremden Sprache. Niemand wusste, was er da sprach, warum er es sagte und was es bedeutete. Doch sie standen geduldig, schauten dem Priester zu, wie er aus einem dicken Buch las. Es war die Bibel, in der viele Geschichten über den neuen Gott und seinen Sohn standen, der einmal ein Mensch gewesen und in den Himmel gefahren war. Thoralf überlegte, ob er auch an Odins Tafel sitzen dürfte, weil er doch von Soldaten getötet worden war. Allerdings hatte dieser Herr Jesus gar nicht gekämpft. Also würde ihm Odin auch einen Platz an seiner Tafel verwehren. Viviane meinte, dafür gebe es das Paradies, aber niemand konnte genau sagen, wo es sich befand und wie es darin aussah. Niemand war jemals von dort zurückgekommen. Auch eine Hölle solle es geben für die bösen Menschen und Sünder und die, die nicht an Gott glaubten. Diese Hölle war schrecklich mit rußschwarzen Teufeln, viel Feuer und einem Kessel, worin die Sünder gekocht wurden.
Kessel? Das kam ihm bekannt vor. So einen Kessel hatten sie auch Odin geopfert, damit er ihre Fahrten über das Meer beschützen und Sturm und Unglück fernhalten möge.
Das Läuten über seinem Kopf brachte ihn wieder zur Besinnung. Verstohlen blickte er auf Viviane, die den Kopf gesenkt und die Hände gefaltet hielt und still betete. Die Messe war vorbei, und Thoralf atmete erleichtert auf. Geblendet schloss er die Augen, als sie aus der Kirche hinaustraten. Die Männer und Frauen, das Gesinde und sonstigen Bewohner von Skollhaugen standen auf der Wiese davor. Thoralf bemerkte in ihren Gesichtern, dass sie genauso wenig von der Zeremonie verstanden hatten wie er. Doch das Läuten der kleinen Bronzeglocke über ihren Köpfen war das Signal, dass nun der angenehmere Teil des Tages begann.
Eifrig wurden Strohscheiben zum Zielschießen herbeigeholt, Gevierte abgesteckt, wo man sich bei Brettspielen, Würfelspielen oder Geschicklichkeitsspielen vergnügte. Die Knechte brachten Krüge mit Bier, die Mägde begannen mit der Vorbereitung der Sonntagsmahlzeit, die etwas üppiger ausfiel als an den anderen Tagen.
Langsam schlenderten die Frauen den Hang hinab. Astrid hatte sich bei Viviane untergehakt, beide Frauen stützten sich gegenseitig, während die Schwestern Dalla und Halveig ihnen folgten. Thoralf blieb stehen und blickte den Frauen nach.
»Woran denkst du?« Es war sein jüngerer Bruder Yngvar, der sich zu ihm gesellte und nun Thoralfs Blick folgte. Die Brüder waren fast gleich groß, hatten blondes Haar, das ihnen bis auf die Schultern fiel, und ausdrucksvolle blauen Augen. Yngvar war etwas schlanker als Thoralf, seine Haut nicht so stark gebräunt wie die seines Bruders.
»Wie froh und glücklich ich bin, dass alles so gekommen ist. Odin sei ...« Thoralf stockte. »Gott sei Dank, denn Viviane ist die rechte Frau für mich. Und wenn sie mir erst einen Sohn schenkt ...«
Yngvar schwieg. Er musste Thoralf recht geben, alles hatte sich zum Guten gewendet, nachdem über Skollhaugen lange dunkle Wolken gehangen hatten. Es waren pechschwarze Wolken gewesen, Wolken von Brand und Zerstörung, von Raub und Tod. Nicht viele Bewohner waren damals übrig geblieben, und wenn es nach dem neidischen und ehrlosen Fürsten Ragnvald und seinem durchtriebenen Sohn Hoskuld gegangen wäre, wäre Skollhaugen nie wiederauferstanden. Yngvar dachte an die fruchtbaren Ländereien, die Viehherden, die Bauerngehöfte, die sich rundum Skollhaugen befanden. Alles hatten Ragnvald und Hoskuld damals an sich gerissen. Yngvar war mit Leib und Seele Landwirt, hatte stets für den Wohlstand von Skollhaugen und seine Bewohner gesorgt. Das Vieh war fett und vermehrte sich prächtig, das Getreide stand dicht auf den Feldern, und mit den Abgaben von den Höfen konnte eine große Fürstenfamilie samt Gesinde ernährt werden.
Doch wenn Thoralf von einer seiner Fahrten zurückkam und stolz seine geraubten Schätze oder gehandelten Waren ausbreitete, jubelten die Menschen, feierten große Feste und priesen Thoralf als Held. Yngvar stand seit jeher in seinem Schatten. Zu seinen Ehren wurden keine Feste gefeiert, er wurde nicht bewundert, als Held gefeiert, ja, er hatte nicht einmal eine Frau gefunden. Woher auch? Die stolze und intrigante Gunnardviga hatte letztlich Hoskuld ihr Wort gegeben, in der Annahme, dass dieser nach der Plünderung Skollhaugens nun der reichste Mann weit und breit sein würde.
Aber Thoralf ergab sich nicht der Schmach. Nach seiner Rückkehr forderte er Hoskuld zum Zweikampf heraus, um seine Ehre wiederherzustellen. Es war fast wie ein Zauber, ja, es musste Zauber gewesen sein, dass die bislang so stille und zurückhaltende Viviane plötzlich den Schmiedehammer ergriff und ein wundersames Schwert schmiedete, das Thoralf den Sieg brachte. Viviane war die Tochter eines Schmieds, und keiner hatte es gewusst!
Seitdem stieg die einstige Sklavin im Ansehen der Bewohner der Burg und vor allem der fürstlichen Familie. Sie war ein bezauberndes Wesen, das Thoralf die Liebe gelehrt hatte. Sie hatte von Anfang an gespürt, dass sich unter seiner harten Schale ein weicher Kern verbarg. Als Skollhaugen in Schutt und Asche lag, begriff er offenbar, was er Viviane einstmals angetan hatte. Seitdem kannte jeder auf Skollhaugen das Gefühl, inmitten rauchender Ruinen zu stehen und Angst, Wut und Rachegelüste zu verspüren.
»Ja, ich glaube, Viviane hat aus dir einen anderen Menschen gemacht«, sagte Yngvar leise, doch Thoralf protestierte.
»Ich lasse mich nicht von einer Frau verändern. Ich bin immer noch Thoralf Björgolfson, der Seefahrer, und der Jarl von Skollhaugen. Habe ich das Dorf nicht wiederaufgebaut, die Bauern unterstützt, Felder und Viehherden zurückerobert?«
Yngvar seufzte leise. »Ja, das hast du. Aber du bist nicht mehr so streitlustig, hart und unbeugsam. Ist es nicht so, dass du Viviane das Versprechen gegeben hast, nie wieder auf Víking zu fahren?«
Thoralfs Nacken versteifte sich. »Das habe ich von mir aus getan. Ich will bei ihr sein, unseren Sohn aufwachsen sehen. Ich will meine Familie beschützen, das Land, die Menschen, die uns dienen.«
»Das Land und die Menschen waren bislang meine Aufgabe«, erwiderte Yngvar verbittert.
»Dafür bin ich ja jetzt da«, gab Thoralf zurück.
»Ja, jetzt bist du da.« Yngvar seufzte wieder.
»Du musst dich erholen. Nachdem dich der Bär angefallen hat, bist du noch nicht wieder völlig genesen. Ich nehme dir einen Teil der Aufgaben ab. Du kannst dich völlig auf deine Genesung konzentrieren.«
»Ich bin wieder völlig hergestellt dank Vivianes Kräuterkunst und der Pflege unserer Schwestern. Ich kann sehr wohl meine Aufgaben wahrnehmen.«
Yngvar deutete auf die drei Drachenboote, die unten im Fjord lagen. Sie nickten mit ihren Bugköpfen im Takt des leichten Wellenganges. Man hatte nun keine Verwendung mehr für sie. »Was wirst du damit tun? Willst du sie verbrennen?«
Einen Augenblick schien Thoralf mit sich zu kämpfen. Er presste die Lippen zusammen, und sein Blick wurde starr. »Nein«, gab er zurück. »Noch nicht. Man soll mich auf meinem Schiff begraben, schließlich habe ich viele Jahre meines Lebens auf dem Meer verbracht. Doch noch lebe ich. Ja, jetzt lebe ich erst richtig. Odin wird mich noch lange nicht abberufen.« Er wandte sich zu seinem Bruder um. »Warum fragst du?«
»Weil ich mir manchmal wünsche, du würdest wieder auf Víking fahren.« Ohne ihn anzublicken, ging Yngvar mit großen Schritten den Hang hinab. Er zog noch immer das linke Bein nach.
***
Die Nacht hatte sich wie ein schwarzes Tuch über den Fjord gelegt. Die Bewohner von Skollhaugen hatten sich längst zur Ruhe begeben. Spiel, Spaß und Schlemmerei machten müde, das Bier tat sein Übriges. Nur Yngvar lag noch wach und starrte in die Dunkelheit. Auf den Schlafbänken des Herrenhauses schnarchten die betrunkenen Männer. Auf der anderen Seite lagen die Frauen der Fürstenfamilie, außer Viviane. Yngvar schüttelte jetzt noch den Kopf über Vivianes seltsamen Wunsch, nicht gemeinsam mit den anderen Familienmitgliedern auf den Bänken zu schlafen. Thoralf hatte beim Wiederaufbau des Haupthauses eine separate Kammer einrichten lassen, in der sich nichts weiter als ein großes Bett befand. Darin schlief das Fürstenpaar. Mit Viviane waren neben einem neuen Gott und einem neuen Glauben auch andere Sitten und Gebräuche auf Skollhaugen eingezogen. Denn Viviane hatte nicht nur veranlasst, dass sie getrennt von den anderen schlief, sondern auch einen Badetag pro Woche sowohl für die Mitglieder der Fürstenfamilie als auch für das gesamte Gesinde angeordnet. Keiner durfte sich davor drücken. Das stieß nicht bei allen auf Gegenliebe. Zu viel Reinlichkeit machte schließlich krank. Zudem waren Blutopfer verboten, Arbeiten an Sonntagen und die Sklavenhaltung. Alle bisherigen leibeigenen Männer und Frauen des Gesindes waren freigelassen worden und verpflichteten sich freiwillig, weiter auf Skollhaugen zu arbeiten. Sie wurden dafür verpflegt, bekamen Kleidung und Unterkunft sowie einen kleinen Lohn für ihre eigenen Bedürfnisse.
Es hatte Viviane nicht wenig Überzeugungskraft gekostet, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Aber sie schaffte es jedes Mal, Thoralf zu überzeugen, und der befahl die Veränderungen, an die sich alle zu halten hatten. Ausgerechnet Thoralf bestritt nun, dass Viviane ihn verändert hätte!
Die Tür zur Kammer knarrte leise, jemand kam auf nackten Sohlen herausgetappt. Es waren keine Frauenfüße, so viel konnte Yngvar hören. War er Viviane überdrüssig, jetzt, wo sie kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes stand? Dann würde Thoralf ohnehin die Kammer räumen müssen, denn die Geburt war etwas, das Männern verborgen bleiben musste. Die Weiber machten stets ein großes Geheimnis darum. Dann war plötzlich das Kind da, klein, rot, schrumpelig und schreiend wie ein frisch gebrühtes Ferkel. Bislang gab es Kindersegen nur unter den Mägden von Skollhaugen, und alles geschah in deren Hütten. Yngvar war der Jüngste der Fürstenfamilie, seine Schwestern waren bereits in dem Alter, um selbst Kinder zu bekommen. Allein es fehlten passende Ehemänner. Es war nicht leicht, vor allem für die streitsüchtige Dalla einen Mann zu finden. Astrid schien es auch nicht eilig zu haben, ihre Töchter fortzuschicken. In der weiteren Umgebung gab es keine Fürstenhöfe, an die sie die Mädchen freiwillig gegeben hätte. Nach dem feigen Überfall von Fürst Ragnvald lebten sie hier wie auf einer Insel. Auch ihm, Yngvar, ging es nicht viel anders. Bislang war er ja mit seinem Leben zufrieden gewesen, doch nun war sein Bruder Fürst, und Yngvar kam sich überflüssig vor.
Er schlug seine dünne Decke zurück und folgte Thoralf in die Nacht hinaus. Es war eine laue Sommernacht, von den Hängen vernahm er das leise Schnauben der Rinder. Ab und zu klapperte eine Schelle, die die Schweine um den Hals trugen, damit sie im Wald nicht verlorengingen. Ja, Skollhaugen war wieder zu Wohlstand gelangt. Im Winter würde es viel Fleisch geben, und Butter, Käse, Milch und Skyr, das köstliche Milchgetränk, gab es jetzt schon im Überfluss.
Er sah lhoralf als dunkle Silhouette gegen den Nachthimmel auf halber Höhe des Hanges stehen. Leise näherte er sich ihm, doch Thoralf bemerkte seinen Bruder.
»Kannst du auch nicht schlafen?«, fragte er, ohne sich umzudrehen.
»Ich habe offenbar nicht genug getrunken, um das Schnarchen der anderen zu überhören«, entgegnete Yngvar.
»Es ist nicht das Schnarchen, was mich nicht schlafen lässt«, gab Thoralf zurück. »Es sind deine Worte.«
»So? Was habe ich denn gesagt?«
Thoralf deutete hinunter zum Fjord. »Die Schiffe. Was wird aus meinen Schiffen? Sollen sie hier liegen, bis ich sterbe?«
»Was weiß ich? Es ist deine Entscheidung. Du kannst sie verkaufen, verbrennen – oder eben liegen lassen, bis du stirbst.«
»Du wärst also mit meiner Entscheidung einverstanden?«
»Du bist der Jarl auf Skollhaugen, dein Wort gilt.«
»Höre ich da so etwas wie Eifersucht aus deiner Stimme?«
»Ich habe mich damit abgefunden, der Jüngere zu sein«, gab Yngvar trotzig zurück. »Hattest du je Grund zur Klage über mich?«
»Nein, nein, im Gegenteil! Du hast dich vorbildlich um alles hier gekümmert, während ich auf Víking fuhr. Nur jetzt ...«
»... bin ich überflüssig«, ergänzte Yngvar. »Jetzt kümmerst du dich um alles.«
Thoralf reckte sich. »Ich werde das Geschlecht Björgolfs weiterführen. Viviane wird bald meinen Sohn gebären.«
»Ich kann auch heiraten«, warf Yngvar ein.
»Wen?«
Yngvar zuckte mit den Schultern. »Es wird sich doch eine Fürstentochter finden.«
»Ich wüsste keine.«
Thoralf sog scharf die Luft durch die Nase ein. Er sprach seine Gedanken nicht laut aus. Einer war hier zu viel, und das war Yngvar. Er war sein Bruder, und Thoralf würde ihn niemals vertreiben wollen. Was hatte seine Mutter gesagt? Ein Jarl musste nicht nur mutig, sondern auch weise sein. Ihm musste eine weise Entscheidung einfallen.
Schweigend standen die Brüder nebeneinander und starrten durch die Dunkelheit auf den Fjord. Lediglich das leise Klatschen der Wellen an der Bordwand unterbrach die Stille. Irgendwo kläffte ein Hund, kurz nur, dann trat wieder Ruhe ein.
Thoralf verschränkte die Arme über der Brust. So hatte er oft am Heck seines Schiffes gestanden, den Blick auf das Meer gerichtet. Ja, er war ein erfahrener Seemann, hatte Wind und Wellen, Thors Stürmen und der Midgardschlange getrotzt. Deshalb wurde er nun als Held gefeiert. Sein jüngerer Bruder musste immer daheim bleiben auf Skollhaugen, dem Fuchshügel mit seiner hölzernen Burg, bei seinen alten Eltern und den beiden zänkischen Schwestern, musste das Land hüten, die Bauern beaufsichtigen und Vieh zählen. Thoralf kam sich schuldig vor, dass sein Bruder nicht so ein Held werden konnte wie er.
Unvermittelt schlug er Yngvar auf die Schulter, so dass dieser erschrocken zusammenzuckte. »Fahr du zur See«, sagte er plötzlich. »Dann wirst du auch ein Held.«
»Was?« Thoralf konnte Yngvars Gesicht nicht sehen, aber am Klang seiner Stimme erkannte er, dass Yngvar völlig überrascht war. »Ich habe keine Ahnung von der Seefahrt.«
»Das kannst du lernen«, gab Thoralf zurück. »Ich werde dich darin unterrichten.«
»Du? Nein, ich werde nicht zur See fahren.« Trotzig verschränkte nun Yngvar die Arme über der Brust. »Ich bin ein Landmann.«
»Das ist eines Wikingers unwürdig«, entgegnete lhoralf. »Ein Wikinger muss zur See fahren, fremde Länder überfallen und Schätze heimbringen.«
»Ich könnte auch niemanden überfallen«, widersprach Yngvar. »Hast du diese Überfälle nicht selbst als Unrecht erkannt?«
»Hmmm, na ja«, brummte Thoralf. »Du musst ja nicht gleich jemanden überfallen, vielleicht eine Kirche ausrauben, wenn niemand drin ist. Nein«, unterbrach er sich selbst. »Wir sind ja jetzt Christen.«
»Also, dann verbrenne deine Schiffe. Sie sind nicht mehr notwendig.«
»Es sind meine Schiffe, da entscheide auch ich, was daraus wird.« Thoralf schnaubte ärgerlich. Er wollte einfach nicht zusehen, wie seine wunderbaren Schiffe langsam im Wasser verrotteten. Er konnte aber Yngvar auch nicht auf Víking schicken. Yngvar konnte kein Schiff führen, er konnte niemanden überfallen, nichts rauben. Er konnte nur Vieh zählen und Getreide wiegen ...
»Du könntest handeln«, entfuhr es ihm. »Wir besitzen mehr Vieh und Getreide, als wir selbst brauchen. Also können wir es verkaufen. Du bringst alles zu einem Markt, verkaufst es und kaufst dafür andere Dinge ein, die wir hier nicht haben.«
»Ich bin kein Händler«, erwiderte Yngvar. »Ich bin der Sohn eines Fürsten.«
»Und Bruder des Jarls von Skollhaugen«, gab Thoralf zurück. »Du solltest mehr können als nur die Bauern beaufsichtigen.«
»Nur?«, fragte Yngvar gedehnt. »Das war bisher mein Leben.«
»Ziemlich kläglich. Ich gebe dir die Chance, ebenfalls ein Held zu sein. Du wirst sehen, wenn du mit dem ersten Schiff voller Ware zurückkommst, wirst du ebenso gefeiert wie ich, als ich von einer Víking heimkehrte.«
»Mach, was du willst«, gab Yngvar unwillig zurück. »Ich werde niemals zur See fahren. Und nun leg ich mich wieder aufs Ohr, morgen wartet viel Arbeit auf mich.«
Er drehte sich um und stapfte den Berg hinauf zum Haus, wo auf jedem Wachturm eine Fackel brannte. Er gab sich dem Wächter zu erkennen.
»Der Jarl befindet sich bei seinen Schiffen. Er kann sich wohl nicht von ihnen trennen.«
»Das ist verständlich«, erwiderte der Mann und schloss hinter Yngvar sorgfältig das Tor. »Wenn man einmal zur See gefahren ist, dann ist das wie ein Rausch. Man wird krank, wenn man immer an Land bleiben muss. Ich gehörte zur Mannschaft des Jarls.« Der Alte seufzte. »Schade, nun ist alles vorbei.«
»Du würdest wohl lieber wieder zur See fahren?«
»O ja, bei Odin, das wäre mein größter Wunsch. Aber leider ...«
Yngvar ließ den Wachmann einfach stehen und begab sich wieder zu seiner Liege. Er zog sich die dünne Felldecke über die Ohren, aber er konnte nicht einschlafen. Thoralfs Worte gingen ihm durch den Kopf. Es stimmte, er, Yngvar, war weder ein Held noch ein Seefahrer noch ein Kämpfer. Er war gar nichts. Doch da gab es die drei Schiffe unten im Fjord, da gab es die Männer, alles erfahrene Seeleute, die gern wieder zur See fahren würden, da gab es so viele Produkte von Skollhaugen, die man auf einem Markt zu gutem Geld machen oder eintauschen konnte.
Unruhig rutschte Yngvar auf seiner Bank hin und her. Und wenn man bloß am Heck stehen bleiben konnte, während die Ruderer und der Steuermann alles andere übernahmen ...
Er sprang auf, eilte über den Hof und rief dem überraschten Wachmann zu, er möge das Tor wieder öffnen. Ohne etwas zu erkennen, lief Yngvar den Hang hinab. Thoralf stand noch dort, wo er ihn verlassen hatte.
»Ich habe es mir überlegt«, sagte Yngvar. »Zeig mir, wie man ein Schiff führt.«
Eine Weile schwieg Thoralf, und Yngvar befürchtete schon, Thoralf hätte es sich inzwischen anders überlegt.
»Gut«, hörte er Thoralfs Stimme durch die Dunkelheit. »Aber erst, wenn es wieder hell ist.«
Der Wind blies Adelaises Haar wie einen Schleier aus nachtschwarzer Seide vor ihr Gesicht. Verzückt verfolgten Gwendals Augen dieses Spiel. Er wünschte sich, Wind zu sein und mit seinem Körper durch dieses wundervolle Haar zu wehen. Wie musste sich das anfühlen! Er stand dicht neben seiner Herrin, als wollte er sie beschützen, hoch oben auf den Zinnen des Burgfrieds, wo der Wind besonders kräftig blies. Von hier aus hatten sie einen guten Überblick über das Land. Unten vor den Toren der Burg gab es ein buntes Gewimmel. Von oben wirkte es wie ein Jahrmarkt. Doch sie wussten es besser. Während Gwendal besorgt blickte, zeigte sich zwischen Adelaises Augenbrauen eine steile Zornesfalte.
»Die beiden meinen es wirklich ernst«, sagte Gwendal düster. »Sie ziehen nicht ab.«
»Sie werden abziehen«, erwiderte Adelaise bestimmt.
»Warum sollten sie?« Gwendal hätte Adelaise am liebsten schützend in den Arm genommen. Doch er war ja nur ihr Page, wenn auch ein sehr verliebter. »Beide wollen Euch freien. Erst werden sie gegeneinander kämpfen, dann wird der Sieger gegen die Burg anstürmen. Sie wissen, dass Ihr allein seid.«
»Allein, aber nicht schutzlos.« Trotzig schob Adelaise das Kinn vor.
»Ganz recht, ich bin ja hier.«
Gwendal rückte noch ein Stück näher an Adelaise heran.
Adelaise lächelte gerührt. »Mein guter Gwendal, ich weiß deine Treue zu schätzen. Aber du allein wirst nichts gegen zweihundert geharnischte Soldaten ausrichten können. Wir müssen wohl oder übel ausharren, bis mein Vater von seiner Reise nach Burgund zurückkehrt. Nicht einmal einen Boten können wir schicken. Wir sind gefangen.«
Gwendal ballte die Fäuste. »Es ist einfach furchtbar! Ich würde sofort losreiten ...«
»Untersteh dich! Man wird dich abfangen, einkerkern, töten. Lebendig bist du mir lieber. Sagte ich das nicht schon?«
»Allerdings! Aber wie soll ich Heldentaten vollbringen, wenn Ihr mich nicht lasst?«
Sie warf ihm einen kecken Blick zu. »Mein Held, du sollst mich hier beschützen. Schließlich bin ich in der Falle, belagert von zwei liebestollen Kampfhähnen.«
»Jawohl, ich beschütze Euch, meine Gebieterin! Ich bin ganz nah bei Euch.«
Lachend wehrte sie ihn ab. »Gwendal, du schubst mich ja beinahe die Zinnen hinab. Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen. Außerdem glaube ich nicht, dass mir ein Haar gekrümmt wird. Schließlich wollen die beiden mich heiraten.«
Sie deutete auf das Gewimmel auf der Wiese vor der Burg. »Aber wenn die beiden Herren Grafen glauben, sie können mich auf diese Weise einschüchtern, dann irren sie sich. Bald muss auch mein Bruder von seiner Jagd zurückkommen.«
»Hoffentlich«, seufzte Gwendal. »Es gefällt mir nicht, auf der Burg gefangen zu sein.«
»Mir auch nicht«, erwiderte Adelaise.
Sie wurden unterbrochen, als der Falkner, begleitet von Adelaises Zofen, die Plattform betrat. Melisandes Augen leuchteten auf, als sie Gwendal entdeckte.
»Comtesse, der Falke wird krank, wenn er nicht fliegen kann«, sagte der Falkner. »Schon seit mehreren Tagen hockt er nur auf seiner Stange.«
»Ich weiß«, seufzte Adelaise. »Und schuld sind die da unten. Aber deswegen wird mein Falke nicht krank werden.« Sie nahm ihm den prachtvollen Vogel ab und streifte ihm die Kappe ab. Aufmerksam blickte der Falke sich um.
»Flieg, Falke, flieg«, forderte Adelaise ihn auf und gab ihm mit dem Arm den Schwung zum Start. Mit einem hellen Schrei breitete der Falke die Flügel aus und ließ sich einfach in die Tiefe fallen. Schwerelos glitt er dahin, bewegte kaum die Flügel, während er kreiste. Adelaise verfolgte ihn mit sehnsüchtigen Blicken. »Ach, könnte ich doch auch einfach so dahinfliegen wie der Falke.«
»Ich könnte mir Flügel bauen und einfach über die Belagerer fliegen«, bot Gwendal an.
Melisande prustete laut los. »Wie dieser tragische Held in der Sage der antiken Griechen?«
Etwas hilflos blickte Gwendal sie an. »Was für ein Held? Was für eine Sage?«
»Wir haben die Geschichte doch gelesen, in dem Buch, das unsere Herrin von dem Kaufmann erworben hat.«
»Buch?« Gwendal errötete. »Ich kann doch nicht lesen.«
»Dann werde ich es dir vorlesen«, bot sich Melisande mit gutmütiger Herablassung an. »Das mache ich wirklich gern.«
Gwendal presste die Lippen zusammen und starrte in die Landschaft hinaus. »Ich muss mich nicht von einer Frau belehren lassen. Ich finde es auch nicht passend, wenn eine Frau lesen kann. Das kommt nur Gelehrten und den Männern der Kirche zu.«
»Ich will dich doch nicht belehren«, lenkte Melisande schnell ein. »Die Geschichte ist aber sehr aufschlussreich und wurde von einem griechischen Philosophen aufgeschrieben.« Sie warf ihm einen prüfenden Blick aus den Augenwinkeln zu. »Willst du nicht wissen, wie es diesem Helden ergangen ist?«
»Nein!« Gwendals Nacken versteifte sich. »Wie denn?«
Melisande verkniff sich ein Grinsen. »Dieser Held hieß Ikarus und hat sich Flügel aus Vogelfedern gebaut, die er mit Wachs zusammenklebte. Als er in die Luft flog und immer höher stieg, schmolz die Sonne das Wachs, und er stürzte in den Tod.«
»Warum erzählst du mir das?«, fuhr Gwendal auf
»Um dich vor Torheiten zu bewahren. Außerdem könnten dich die Soldaten mit Pfeil und Bogen abschießen.«
Adelaise winkte ab. »Lassen wir das. Wir benötigen keinen Held mit Wachsflügeln, sondern einen, der denen da unten mal die Schwertklinge zeigt. Anders kann man es den beiden wohl nicht klarmachen, dass sie nicht die geeigneten Ehemänner für mich sind.«
»Hat da Euer Vater nicht auch ein Wort mitzureden? Immerhin obliegt es nicht einer Tochter, sich selbst den Ehemann auszusuchen.« Jocelyne meldete sich zum ersten Mal zu Wort. Sie ärgerte sich, weil sich Melisande Gwendal an den Hals warf Dabei war es doch offensichtlich, dass Gwendal Adelaise anbetete, in Anstand und auf die Distanz selbstverständlich. Außerdem wäre es Jocelyne nicht unangenehm gewesen, wenn Gwendal auch sie als Frau wahrnehmen würde. Sie besaß ebenso dunkles Haar wie Adelaise, musste es jedoch stets flechten. Nur der Herrin kam es zu, ihr wundervolles Haar offen zu tragen. Melisande hatte blondes Haar, blaue Augen, und auf ihrer Nasenspitze tanzten mindestens drei Sommersprossen, die sie mit einem Puder aus feinem Kreidestaub zu übertünchen versuchte.
Adelaise fuhr erbost herum. »Hüte deine Zunge, Jocelyne. Ich weiß sehr wohl, was mir zukommt. Aber selbst mein Vater käme nicht auf die absurde Idee, mich mit einer dieser beiden Witzfiguren zu vermählen. So werde ich mir also meinen Ehemann selbst erwählen. Ich habe feste Vorstellungen, wie er aussehen soll. Bislang ist er mir jedoch noch nicht erschienen. Also werde ich auch nicht heiraten.«
Sie hob den Arm mit dem gepolsterten Lederhandschuh, und der Falke flog näher und setzte sich darauf. Er schlug nur kurz mit den Flügeln, um das Gleichgewicht zu finden. Der Falkner reichte Adelaise ein kleines Stück rohes Fleisch aus seiner Gürteltasche, das sie dem Falken hinhielt. »Brav, mein Schöner. Du liebst mich, das weiß ich. Du kehrst immer wieder zu mir zurück. Wenn du nur erzählen könntest, was du gesehen hast. Wie viele sind es da unten? Was reden sie? Was planen sie? Wie lange wollen sie diese Belagerung noch aufrechterhalten?«
Der Falke schwieg. Stolz und erhaben blickte er um sich. Der Falkner wollte ihm die Haube wieder aufsetzen, doch Adelaise wehrte ab. »Wenn er blind wird, so bricht das seinen Stolz ebenso wie mich meine Gefangenschaft. Ich will frei sein. Deswegen müssen die da unten verschwinden!«
»Jawohl!« Jocelyne warf Gwendal einen spöttischen Blick zu. »Dann fang schon mal an, du Held.«