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Familie, Liebe, Leidenschaft: Der faszinierende MacGregor-Clan.
Zwei Millionen Dollar? Dabei war Darcy Wallace doch gerade noch fast pleite, nachdem sie ihren allzu dominanten Verlobten verlassen hat. Nun gewinnt sie mit ihren letzten zehn Dollar den Jackpot und ist eine Berühmtheit. Soviel Geld lockt leicht die falschen Freunde an. Der Casino-Besitzer Robert MacGregor will sicherstellen, dass Darcy ihr Geld behält und genießt. Je besser der charismatische Mann die junge, unerfahrene Frau kennenlernt, desto mehr will er ihr Herz gewinnen. Aber wie kann er sie dazu bringen, ihm zu vertrauen?
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Seitenzahl: 292
Nora Roberts
Die MacGregors 7
Das Spiel geht weiter
Roman
Aus dem Amerikanischen von Emma Luxx
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
1. KAPITEL
Als der Motor ihres Wagens eine Meile vor Las Vegas stotterte und schließlich endgültig aufgab, erwog Darcy Wallace ernsthaft, einfach zu bleiben, wo sie war, und unter der erbarmungslosen Wüstensonne zu verdorren. Sie hatte noch genau 9 Dollar 37 in der Tasche und eine lange Fahrt hinter sich, die nirgendwohin führte.
Dass sie diese klägliche Summe überhaupt noch besaß, war pures Glück, denn am vergangenen Abend hatte man ihr in einem Imbiss gerade außerhalb von Utah die Handtasche gestohlen. Das aufgeweichte Hühnchensandwich war wohl die letzte Mahlzeit für sie gewesen, und das Zehncentstück, das sie zufällig noch in ihrer Hosentasche gefunden hatte, auch das letzte Wunder, auf das sie hoffen konnte.
Ihren Job und ihr Zuhause in Kansas hatte sie aufgegeben. Sie hatte keine Familie mehr und nichts, wohin sie zurückkehren konnte. Ihr war nichts anderes übrig geblieben, als ihre wenigen Habseligkeiten zu packen und alles hinter sich zu lassen.
Nach Westen war sie nur gefahren, weil ihre Kühlerhaube in diese Richtung gezeigt hatte, und sie hatte es als ein Zeichen genommen. Sie hatte sich ein Abenteuer versprochen, eine ganz persönliche Odyssee – und ein neues, besseres Leben.
Nur von all den Frauen zu lesen, die der Welt mutig die Stirn boten und sich ihren eigenen Weg suchten, war nicht mehr genug gewesen. Es war Zeit, selbst etwas in Angriff zu nehmen.
Wenn sie geblieben wäre, wäre sie in ihren alten Trott zurückgefallen. Wieder. Sie hätte getan, was man ihr sagte. Wieder. Und wäre ihr restliches Leben von unerfüllten Träumen und nagender Reue verfolgt worden.
Doch jetzt, eine lange Woche nachdem sie sich mitten in der Nacht davongeschlichen hatte, begann sie sich zu fragen, ob ihr nicht einfach nur ein ganz normales Dasein bestimmt war. Vielleicht hätte sie sich mit dem, was das Leben ihr bot, zufriedengeben und den Blick gesenkt halten sollen, anstatt ständig nachsehen zu wollen, was hinter der nächsten Wegbiegung liegen mochte.
Mit Gerald hätte sie ein gutes Leben erwartet, um das viele Frauen sie beneidet hätten. Ein Leben in einem hübschen Heim, mit vollen Kleiderschränken, die der Frau eines wohlhabenden Mannes angemessene Garderobe beherbergten, einem Sommerhaus in Bar Harbor und Winterurlauben in tropischen Gefilden.
Sie hätte nur das tun müssen, was man ihr sagte. Wann man es ihr sagte. Sie hätte nur ihre Wünsche und Sehnsüchte ein für alle Mal begraben müssen. Es hätte ihr eigentlich nicht schwerfallen dürfen. Schließlich hatte sie ihr ganzes Leben lang nichts anderes getan.
Doch es war ihr schwergefallen.
Darcy schloss die Augen und legte die Stirn aufs Lenkrad. Was hatte Gerald nur an ihr gefunden? Es gab nichts Besonderes an ihr. Sie war intelligent und vernünftig, ja, und hatte ein Durchschnittsgesicht. Ihre eigene Mutter hatte sie oft genug so beschrieben. Dabei glaubte sie nicht einmal, dass es so sehr körperliche Anziehung von Geralds Seite war. Auch wenn es ihm wohl gefiel, dass sie klein und zierlich war. Leicht zu dominieren.
Himmel, er machte ihr Angst.
Sie erinnerte sich an seinen Tobsuchtsanfall, als sie sich ihr schulterlanges Haar abgeschnitten hatte. Wie eine Herrenfrisur.
Also mir gefällt es, dachte sie mit einem Anflug von Trotz, während sie sich durch die kurzen goldbraunen Locken fuhr. Und es ist mein Haar.
Glücklicherweise waren sie noch nicht verheiratet gewesen. Er hatte kein Recht gehabt, ihr zu sagen, wie sie auszusehen, sich zu kleiden und zu benehmen hatte. Und wenn sie nicht aufgab, würde er dieses Recht auch nie bekommen.
Sie hätte seinen Heiratsantrag gar nicht erst annehmen dürfen. Sie war nur so müde gewesen, so ängstlich, so durcheinander. Auch wenn ihr schon bald darauf die ersten Zweifel gekommen waren und sie ihm schließlich den Ring zurückgegeben hatte, waren ihr sein Zorn und der Tratsch, der mit der ganzen Sache unweigerlich einherging, nicht erspart geblieben. Aber dann hatte sie herausgefunden, dass er verantwortlich dafür war, dass sie ihren Job verloren hatte und ihr die Kündigung ihres Apartments ins Haus geflattert war.
Er hatte sie verändern wollen. Und du hättest ihm diesen Gefallen fast getan, dachte sie, während sie sich mit dem Handrücken den Schweiß vom Gesicht wischte.
Zum Teufel damit, entschied sie und rang sich schließlich dazu durch, auszusteigen. Dann hatte sie eben nur noch knappe zehn Dollar, keinen fahrbaren Untersatz und eine Meile Fußmarsch vor sich. Sie hatte es geschafft, Gerald zu entkommen. Und sie war endlich, mit dreiundzwanzig Jahren, ganz auf sich gestellt.
Ihren Koffer ließ sie im Wagen und nahm nur die vollgestopfte Einkaufstasche mit, die alles enthielt, was ihr wirklich wichtig war. Dann machte sie sich zu Fuß auf den Weg. Sie hatte die Brücken hinter sich abgebrochen. Jetzt würde sie endlich sehen, was hinter der nächsten Ecke lag.
Sie brauchte eine Stunde, um an ihr Ziel zu gelangen. Sie hätte nicht erklären können, warum sie weiter an der Landstraße 15 entlangtrottete, fort von der verstreuten Ansammlung von Motels und auf die glitzernde Skyline von Las Vegas zu. Sie wusste nur, dass sie dort sein wollte, wo all die bunten Lichter blinkten.
Die Sonne schickte sich an, hinter den westlichen Spitzen der roten Berge zu versinken. Darcys unaufhaltsam wachsender Hunger hatte sich in einen dumpfen Schmerz verwandelt. Sie erwog, irgendwo eine Pause einzulegen, um einen Happen zu essen und sich ein bisschen auszuruhen, aber es hatte etwas Beruhigendes an sich, einfach monoton einen Fuß vor den anderen zu setzen, den Blick auf die spektakulären Hoteltürme gerichtet, die in der Ferne glitzerten.
Wie sie wohl von innen aussahen? Sie malte sich eine knisternde Atmosphäre aus, mit einem Anflug von Verruchtheit, in der das Spielfieber sich umtrieb. Sie würde sich in einer dieser mit allem Prunk ausgestatteten Lasterhöhlen einen Job suchen und bei jeder Show in der ersten Reihe sitzen.
Oh, wie sehr hungerte sie danach, neue Erfahrungen zu sammeln und zu leben.
Sie wollte die Menschen sehen, den Lärm hören und den Trubel empfinden. Alles genau das Gegenteil ihres bisherigen Lebens. Am meisten aber sehnte sie sich danach, zu fühlen – starke, aufwühlende Gefühle, überschäumende Freude, prickelnde Erregung. Und über all das würde sie schreiben, beschloss sie, während sie das Gewicht der großen Tasche auf ihrer Schulter verlagerte, in der sich ihre Notizbücher und Manuskriptseiten befanden, die sich plötzlich in Steine verwandelt zu haben schienen. Sie würde sich ein kleines Zimmer nehmen und dort nach der Arbeit all ihre Erlebnisse zu Papier bringen.
Dann hatte sie die Stadt erreicht. Vor Erschöpfung stolperte sie über einen Bordstein, aber sie fing sich gerade noch. Die Straßen waren dicht bevölkert, jeder schien irgendwohin zu müssen. Jetzt, in der Abenddämmerung, blinkten und funkelten die Lichter der Stadt, schienen jeden zu locken: Komm näher, versuch dein Glück.
Sie erblickte Touristenfamilien – Väter in kurzen Hosen, die bloßen Beine verbrannt von der unbarmherzigen Sonne, Kinder mit staunenden großen Augen, Mütter, leicht hektisch und aufgeregt von den vielen Eindrücken.
Darcys eigene goldbraune Augen waren groß und wirkten trübe vor Müdigkeit. Ein von Menschenhand gemachter Vulkan brach in einiger Entfernung aus, zog Zuschauer an und entlockte ihnen erstaunte Ausrufe. Der Tumult übertönte das seltsame Summen, das sie ständig hörte.
Verwundert und verwirrt wanderte sie ziellos umher, bestaunte die riesigen nachgebauten römischen Statuen, blinzelte ins Neonlicht, schlenderte an Springbrunnen vorbei, die Wasser in wechselnden Farben ausspien. Es war ein Märchenland, laut und knallig, bunt und unverfroren, und sie fühlte sich so verloren wie Alice im Wunderland.
Darcy fand sich vor zwei riesigen Türmen wieder, weiß schimmernd wie der Mond, die durch eine gewölbte Brücke mit Hunderten von Fenstern miteinander verbunden waren. Der Gebäudekomplex war von einem Meer wilder, exotischer Blumen umgeben, in dessen Mitte ein kristallklarer See lag, der aus einem rauschenden Wasserfall gespeist wurde.
Der Eingang des Hotels wurde von einem überdimensionalen Indianerhäuptling auf einem goldenen Hengst bewacht. Sein Gesicht und seine entblößte Brust waren aus glänzendem Kupfer. Sein prächtiger Kriegsschmuck war mit glitzernden roten, blauen sowie grünen Steinen besetzt. In der Hand hielt er einen Speer mit einer feuerrot blinkenden Spitze.
Er ist schön, schoss es ihr durch den Kopf, so stolz und furchtlos.
Sie hätte schwören mögen, dass die dunkelgrünen Augen der Statue jetzt aufblitzten und sie anschauten. Ja, sie herausforderten, das Gebäude zu betreten und ihr Glück zu wagen.
Darcy betrat das »Comanche« mit weichen Knien und schwankte bei dem Schwall kühler Luft, der ihr entgegenschlug, gleich wieder einen Schritt zurück.
Die Eingangshalle war großartig. Die Steinplatten des Fußbodens waren in einem kühnen geometrischen Muster in Smaragdgrün und Saphirblau gelegt. Aus Ton- und Kupfertöpfen wuchsen majestätisch Kakteen und Palmen. Die riesigen Tische waren mit herrlichen Blumenarrangements geschmückt, der Duft der Lilien war so süß, dass er ihr die Tränen in die Augen trieb.
Darcy ging weiter, hingerissen von einem Wasserfall, der an einer Steinwand herab in einen Teich mit bunten Fischen fiel. Unzählige Kristalllüster schienen goldenes Licht zu sprühen. Das Hotel war ein Dschungel aus Farben und Licht, heller und leuchtender als jede Realität, die sie je erlebt, und jeder Traum, den sie je geträumt hatte.
Es gab Geschäfte, deren Auslagen in den Schaufenstern ebenso glitzerten wie die Kronleuchter. Sie beobachtete eine elegante Blondine, die sich zwischen zwei Brillantcolliers zu entscheiden versuchte wie andere Menschen zwischen zwei Sorten Äpfeln.
Ein Kichern arbeitete sich in ihrer Kehle empor, aber Darcy presste die Hand auf den Mund. Dies war weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt, um aufzufallen. Sie gehörte nicht hierher, in eine so elegante und glamouröse Umgebung.
Sie bog um die nächste Ecke und spürte plötzlich, wie sich in ihrem Kopf alles zu drehen begann, als die vielfältigen Geräusche aus dem Casino an ihr Ohr drangen. Gebimmel und Stimmengewirr, das metallische Klimpern, wenn Münzen auf Münzen trafen.
Überall standen dicht gedrängt die Spielautomaten, in denen sich alles Mögliche und in allen erdenklichen Farben drehte. Vor den Automaten standen oder saßen Menschen, die die Münzschlitze mit Münzen aus kleinen weißen Plastikeimerchen fütterten. Darcy beobachtete eine Frau, die gerade einen großen roten Knopf an der Maschine drückte, darauf wartete, dass das sich drehende Blatt zum Stillstand kam, und dann einen Freudenschrei ausstieß, als drei gleiche Symbole in einer Reihe standen. In schneller Folge spuckte der Automat Münzen aus.
Hier konnte man seinen Spaß haben. Hier gab es die Möglichkeit zu gewinnen oder zu verlieren. Und hier war Leben, laut, chaotisch und wild.
Sie hatte noch nie in ihrem Leben gespielt, nicht um Geld. Geld war etwas, das man verdiente, sparte und auf das man gut aufpasste. Dennoch schienen ihre Finger sich selbstständig zu machen und glitten in die Tasche, wo ihre letzten zerknitterten Scheine an ihrer Haut förmlich zu pulsieren schienen.
Wenn nicht jetzt, wann dann? fragte sie sich, während ein weiteres unbändiges Kichern in ihr aufstieg. Wozu waren 9 Dollar 37 gut? Ich könnte mir etwas zu essen kaufen, überlegte sie, während sie unschlüssig an ihrer Unterlippe nagte. Und dann?
Als sie wie eine Schlafwandlerin den Gang zwischen den Automaten entlanglief, war ihr leicht schwindlig, und in ihren Ohren ertönte ein seltsames Klingeln, während sie die Leute an den Automaten eulenhaft anblinzelte. Sie sind alle entschlossen, sich auf ihr Glück zu verlassen, dachte sie. Deshalb waren sie hier.
War sie nicht auch deshalb hier?
Und dann sah sie ihn. Er stand allein, groß, knallig bunt und faszinierend. Er war größer als sie, und auf seiner breiten Front prangten stilisierte Sterne und Monde. Sein Arm war fast so dick wie ihrer und hatte am Ende einen leuchtend roten Knopf zum Anfassen.
Er nannte sich »Comanche Magic«.
JACKPOT! flammte es darüber diamantweiß auf. An einem schwarzen Streifen blinkten rubinrote Lämpchen auf. Darcy starrte fasziniert auf die Zahl, die innerhalb des blinkenden Rechtecks aufleuchtete.
1.800.079,37 Dollar.
Was für eine merkwürdige Summe! 9 Dollar und 37 Cents, dachte sie, während sie erneut das Geld in ihrer Tasche befingerte. Vielleicht war es ein Zeichen.
Wie viel es wohl kostete? Sie trat näher, blinzelte ein paarmal rasch hintereinander, um einen klaren Blick zu bekommen, und bemühte sich, die Anleitung zu entziffern. Es handelte sich um einen Automaten, der das ganze Geld, mit dem ihn die Spieler fütterten, anhäufte und irgendwann alles auf einen Schlag ausspuckte.
Sie konnte für einen Dollar spielen, las sie, aber den Jackpot würde sie nicht knacken können, selbst wenn es ihr gelänge, die Sterne und Monde an den drei Balken entlang aufzureihen. Um wirklich ins Spiel zu kommen, würde sie dreimal drei Dollar berappen müssen. Praktisch alles, was sie besaß.
Ergreif deine Chance, schien eine Stimme ihr ins Ohr zu flüstern.
Sei kein Dummkopf. Diese Stimme war missbilligend und streng, eine Stimme, die sie nur allzu gut kannte. Du kannst nicht dein ganzes Geld zum Fenster hinauswerfen.
Leb ein bisschen. Das Geflüster klang aufreizend und verführerisch. Worauf wartest du noch?
»Ich weiß es nicht«, murmelte sie. »Und ich habe es satt zu warten.«
Langsam, die Augen starr auf die herausfordernde Front des Automaten gerichtet, begann Darcy, in ihrer Hosentasche zu graben.
Ohne den Blick von den Tischen zu nehmen, zeichnete Mac MacGregor-Blade einen Zettel ab, den eine Angestellte ihm hinhielt. Der Mann auf Platz drei an dem Hunderter-Tisch würde seinen Verlust nicht so leicht verschmerzen. Wenn du an dem Hunderter-Tisch spielen willst, musst du wissen, wie man spielt, dachte Mac, als der Geber eine Sieben aufdeckte.
Mac hob unauffällig eine Hand und winkte einen der Aufpasser zu sich herüber. »Behalten Sie ihn im Auge«, murmelte er. »Er könnte uns Scherereien machen.«
»Ja, Sir.«
Problematische Situationen zu entdecken und entsprechend damit umzugehen war Mac zur zweiten Natur geworden. Er war ein Spieler in der dritten Generation, und seine Instinkte waren gut ausgeprägt. Sein Großvater Daniel MacGregor hatte ein Vermögen mit waghalsigen Unternehmungen gemacht. Daniels erste Liebe waren Immobilien gewesen, er kaufte und verkaufte sie immer noch, obwohl er schon über neunzig war.
Macs Eltern hatten sich in einem Casino an Bord eines Schiffes kennengelernt. Seine Mutter hatte dort als Kartengeberin am Blackjack-Tisch gejobbt, und sein Vater war schon immer ein Spieler gewesen. Es hatte sofort gefunkt zwischen den beiden, wobei keiner von ihnen gewusst hatte, dass Daniel mit dem Hintergedanken an eine spätere Heirat bei ihrer Bekanntschaft die Finger mit im Spiel gehabt hatte.
Justin Blade war damals bereits Besitzer des »Comanche« in Las Vegas und eines weiteren Spielcasinos in Atlantic City gewesen. Serena MacGregor war erst seine Geschäftspartnerin geworden, dann seine Ehefrau.
Beim erstgeborenen Sohn floss von Geburt an Spielerblut in den Adern.
Jetzt, mit knapp dreißig, stand das »Comanche« in Vegas unter Macs Leitung. Seine Eltern hatten es ihm anvertraut. Er würde dafür sorgen, dass sie es nicht bereuen mussten.
Es lief gut, weil er dafür sorgte, dass es gut lief. Es war ein ehrliches Casino, weil es schon immer ein ehrliches Casino gewesen war. Und es warf Gewinn ab, weil es ein Blade-MacGregor-Unternehmen war.
Er glaubte fest ans Gewinnen – auf saubere Art.
Ein Lächeln zuckte um seine Lippen, als er eine Frau an einem der Fünfdollartische sich selbst zu ihrem Gewinn gratulieren sah. Manche gewannen, die meisten nicht. Das Leben war ein Spiel, und der Vorteil lag immer beim Haus.
Mac war ein hochgewachsener Mann. Elegant und lässig bewegte er sich in seinem maßgeschneiderten Anzug zwischen den Tischen. Das Erbe seiner Komantschen-Vorfahren zeigte sich in seiner bronzefarbenen Haut und dem dichten schwarzen Haar, das ein schmales, wachsames Gesicht einrahmte und den Kragen seines eleganten Jacketts umspielte.
Nur seine blauen Augen, die waren schottisch. Tief wie ein See und genauso undurchdringlich.
Als ein Stammgast ihn anhielt, huschte ein charmantes Lächeln über sein Gesicht. Er wechselte ein paar freundliche Worte mit dem Mann, dann ging er eilig weiter. In seinem Büro wartete jede Menge Arbeit auf ihn.
»Mr. Blade?«
Er schaute auf und blieb stehen, als eine der Kellnerinnen auf ihn zukam. »Ja?«
»Ich komme gerade von den Automaten.« Die Kellnerin verlagerte das Gewicht ihres Tabletts und versuchte, nicht sehnsüchtig aufzuseufzen, als Mac sie mit einem Blick aus diesen dunklen blauen Augen bedachte. »An dem großen ist eine Frau. Sie sieht ziemlich fertig aus, Mr. Blade. Nicht gerade sauber und scheint ziemlich durcheinander. Vielleicht hat sie ja irgendwas genommen. Sie starrt die ganze Zeit nur den Automaten an und murmelt unverständliches Zeug vor sich hin. Ich dachte schon, ich sollte vielleicht den Sicherheitsdienst rufen.«
»Ich sehe mir die Frau an.«
»Sie ist … also, na ja … fast ein bisschen mitleiderregend. Kein Strichmädchen«, fügte die Kellnerin hinzu. »Aber sie ist entweder krank oder zugedröhnt.«
»Danke, ich kümmere mich darum.«
Mac änderte die Richtung und begab sich in den Automatenwald anstatt zu seinem Privatlift. Der Sicherheitsdienst konnte sich um alle Probleme kümmern, die den Ablauf im Casino zu stören drohten. Aber das hier war sein Besitz, und er kümmerte sich immer selbst um sein Eigentum.
Ein paar Meter weiter fütterte Darcy den Geldschlitz mit ihren letzten drei Dollar. Du bist verrückt, schalt sie sich, während sie sorgfältig den Geldschein glättete, den der Automat wieder ausgespuckt hatte. Dann steckte sie ihn ein weiteres Mal in den Schlitz. Du hast völlig den Verstand verloren. Aber, Herr im Himmel, es war ein wunderbares Gefühl, etwas Verrücktes zu tun.
Sie schloss für einen Moment die Augen, atmete tief durch, dann öffnete sie sie wieder und packte mit zitternder Hand den leuchtend roten Griff des Hebels.
Und zog.
Sterne und Monde begann sich vor ihren Augen zu drehen, die Farben verschwammen. Dann setzte ein ohrenbetäubendes Klingeln ein. Angesichts dieses absurden Krawalls musste sie lächeln. Ein geradezu verträumter Ausdruck, während die Formen sich drehten und immer weiterdrehten.
Genauso ist im Augenblick dein Leben, dachte sie gedankenverloren. Es dreht sich schnell und schneller. Wann wird es aufhören, sich zu drehen? Welche Richtung wird es nehmen?
Ihr Lächeln wurde noch breiter, als die Sterne und Monde nach und nach klickend auf ihren Platz fielen. Sie waren so hübsch anzusehen. Allein das war es wert gewesen. Zu wissen, dass sie es gewagt hatte.
Klick, klick, klick, glitzernde Sterne, glühende Monde. Als sie vor ihren Augen verschwammen, blinzelte sie verärgert. Sie wollte nichts verpassen, jede Bewegung sehen, jedes Geräusch hören. So hübsch, dachte sie noch einmal und stützte sich mit der Hand an dem Automaten ab, als sie zu schwanken begann.
Sie fühlte das kühle Metall, und schlagartig hörte das Schwanken auf. Und dann explodierte die Welt.
Alarmsirenen heulten und ließen sie erschrocken einen Schritt zurücktaumeln. Über dem Automaten begannen grellbunte Lichter einen verrückten Tanz, und eine Kriegstrommel schlug an. Pfiffe schrillten, Glocken schlugen. Die Leute um sie herum begannen zu schreien und zu drängeln.
Was hatte sie getan? Himmel, was hatte sie getan?
»He, Wahnsinn! Sie haben ihn geknackt!« Irgendjemand packte sie bei den Schultern und wirbelte sie im Kreis herum. Sie bekam keine Luft mehr, versuchte sich loszureißen, hatte nicht die Kraft dazu.
Alle drängelten und schubsten, zerrten an ihr, schrien Worte, die sie nicht verstand. Gesichter verschwammen vor ihren Augen, Leute drängelten, bis sie mit dem Rücken an den Automaten wie gefangen und eingekreist dastand.
Mac drängte sich durch die johlende Menschenmenge, schob die Gratulanten aus dem Weg. Dann sah er sie. Eine winzige Person, die kaum alt genug aussah, um ein Casino betreten zu dürfen. Ihr dunkelblondes Haar war kurz und katastrophal geschnitten. Ihr Gesicht war lustig wie das eines Kobolds, mit großen rehbraunen Augen und bleich wie Wachs.
Ihr Baumwollhemd und ihre Hose sahen aus, als ob sie darin geschlafen und die Nacht irgendwo in der Wüste verbracht hätte.
Nicht zugedröhnt, entschied er, als er sie am Arm nahm und ihr Zittern spürte. Sie hatte Angst.
Darcy scheute zurück, blickte an dem Fremden hoch. Und sah den Indianerhäuptling, sah Kraft und Herausforderung und Entschlossenheit. Entweder rettet er dich, dachte sie, oder er gibt dir den Rest.
»Ich wollte nicht … ich habe doch nur … Was habe ich getan?«
Mac legte den Kopf schräg und lächelte leicht. Nicht gerade clever, entschied er, aber harmlos. »Sie haben den Jackpot geknackt«, erklärte er ihr.
»Oh, na dann«, hauchte sie und fiel in Ohnmacht.
Unter ihrer Wange war etwas wundervoll Glattes. Seide … oder Satin, dachte Darcy verschwommen. Das Gefühl von Seide an ihrer Haut hatte sie schon immer geliebt. Einmal hatte sie einen ganzen Gehaltsscheck für eine Seidenbluse ausgegeben. Cremeweiß, mit winzigen goldenen Knöpfen in Herzform. Sie hatte zwei Wochen lang auf ihr Mittagessen verzichten müssen, aber jedes Mal, wenn sie die Bluse übergestreift hatte, war es ihr die Sache wert gewesen.
Sie seufzte bei der Erinnerung.
»Kommen Sie, wachen Sie endlich auf.«
»Was?« Sie blinzelte ein paarmal und versuchte sich auf den hellen Lichtschein über sich zu konzentrieren.
»Hier, probieren Sie’s damit.« Mac schob ihr eine Hand unter den Kopf, hob ihn an und hielt ihr ein Glas Wasser an die Lippen.
»Was?«
»Sie wiederholen sich. Trinken Sie einen Schluck Wasser.«
»Ja, gut.« Sie nippte gehorsam und betrachtete die sonnengebräunte Hand mit den schlanken Fingern, die das Glas hielten. Sie lag auf einem Bett, so viel wurde ihr jetzt klar, einem überdimensionalen Bett mit einem seidenen Bettüberwurf. Und über ihr an der Decke hing ein riesiger Spiegel. »Ach du meine Güte.« Dann entdeckte sie Mac. »Ich dachte, Sie seien der Indianerhäuptling.«
»Fast ins Schwarze getroffen.« Er stellte das Glas beiseite, dann setzte er sich auf die Bettkante und sah zu seiner Belustigung, dass sie sofort ein Stück von ihm wegrutschte. »Mac Blade. Ich leite den Laden hier.«
»Darcy. Ich heiße Darcy Wallace. Wie komme ich hierher?«
»Mir erschien es hier besser, als Sie auf dem Boden des Casinos liegen zu lassen. Sie sind ohnmächtig geworden.«
»Ohnmächtig?« Zutiefst verlegen schloss sie wieder die Augen. »Es tut mir schrecklich leid, bitte entschuldigen Sie.«
»Es ist keine ungewöhnliche Reaktion für jemanden, der fast zwei Millionen Dollar gewinnt.«
Sie riss die Augen auf. »Entschuldigen Sie. Ich bin immer noch ein bisschen durcheinander. Sagten Sie eben, ich hätte fast zwei Millionen Dollar gewonnen?«
»Sie haben Ihr Geld in den Automaten gesteckt, den Hebel gezogen und gewonnen.« Sie war bleich wie eine Wand, wie er bemerkte. »Wir regeln den Papierkram, wenn Sie sich ein bisschen besser fühlen. Möchten Sie, dass ich einen Arzt rufe?«
»Nein, ich bin nur … Mir geht es gut. Ich kann bloß keinen klaren Gedanken fassen. In meinem Kopf dreht sich alles.«
»Lassen Sie sich Zeit.« Ohne groß nachzudenken, schüttelte er die Kissen in ihrem Rücken auf und drückte sie dann sacht wieder zurück. »Kann ich jemanden für Sie anrufen?«
»Nein! Rufen Sie niemanden an!«
Ihr schneller, heftiger Widerstand veranlasste ihn, verwundert die Stirn zu runzeln, dann aber nickte er. »Na schön. Wie Sie wollen.«
»Es gibt niemanden«, fügte sie etwas ruhiger hinzu. »Ich befinde mich auf Reisen. Mir wurde gestern Abend die Handtasche gestohlen. Und mein Wagen hat ungefähr eine Meile vor der Stadt seinen Geist aufgegeben. Ich glaube, dieses Mal ist es die Benzinpumpe.«
»Gut möglich«, murmelte er. »Wie sind Sie denn in die Stadt gekommen?«
»Zu Fuß. Ich bin gerade erst angekommen.« Das glaubte sie zumindest. Es fiel ihr schwer abzuschätzen, wie lange sie tatsächlich hier staunend herumgewandert war. »Ich hatte 9 Dollar und 37 Cents bei mir.«
»Ich verstehe.« Er war sich nicht sicher, ob sie verrückt oder eine wirkliche ausgebuffte Spielerin war. Aber vielleicht war sie ja beides. »Nun, jetzt haben Sie 1.800.079 Dollar und 37 Cents.«
»Oh … oh.« Fassungslos schlug sie die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus.
Es hatte zu viele Frauen in Macs Leben gegeben, als dass ihn Tränen noch übermäßig beeindrucken könnten. Er blieb ruhig sitzen und wartete, bis ihr Tränenstrom versiegt war. Ein seltsames kleines Persönchen, dachte er. Als sie ohnmächtig in seine Arme gesunken war, war sie nicht schwerer gewesen als ein Kind. Jetzt erzählte sie ihm, dass sie in der glühenden Hitze über eine Meile zu Fuß gegangen war und dann das bisschen Geld, das ihr noch verblieben war, an einen Einarmigen Banditen verfüttert hatte.
Dafür musste man entweder Nerven wie Drahtseile haben oder nicht ganz richtig im Kopf sein.
Was auch immer zutraf, sie hatte einen Volltreffer gelandet. Und jetzt war sie reich und oblag – für eine Weile zumindest – seiner Verantwortung.
»Entschuldigen Sie.« Sie wischte sich ihr irgendwie charmant schmutziges Gesicht mit den Händen ab. »So bin ich normalerweise nicht. Wirklich. Ich kann es nur einfach nicht fassen.« Sie nahm das Taschentuch entgegen, das er ihr hinhielt, und putzte sich die Nase. »Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll.«
»Lassen Sie uns mit dem Grundlegendsten anfangen. Wann haben Sie zum letzten Mal etwas gegessen?«
»Gestern Abend«, gestand sie nach kurzem Nachdenken. »Nun, eigentlich war es ein Schokoriegel, der schon halb geschmolzen war, bevor ich ihn zu Ende essen konnte. Also zählt das wohl nicht.«
»Ich lasse Ihnen etwas zu essen kommen.« Er stand auf und blickte auf sie hinunter. »Warum nehmen Sie nicht ein heißes Bad und versuchen sich ein bisschen zu entspannen? Dann haben Sie sich bestimmt schnell wieder im Griff.«
Sie nagte an ihrer Unterlippe. »Ich habe nichts anzuziehen. Ich habe meinen Koffer im Auto gelassen. Oh! Meine Tasche! Ich hatte eine Tasche dabei.«
»Die habe ich mitgebracht.« Weil sie schon wieder bleich wurde, bückte er sich eilig und brachte die schlichte braune Einkaufstasche zum Vorschein. »Ist es die hier?«
»Ja. Ja, danke.« Sie schloss vor Erleichterung die Augen. »Ich dachte, ich hätte sie verloren. Es ist nämlich meine Arbeit.«
»Sie ist hier in Sicherheit, und dort im Schrank hängt ein Bademantel.«
Darcy räusperte sich. So nett er auch sein mochte – sie war allein mit diesem Fremden in einem sehr sinnlich ausgestatteten Schlafzimmer. »Ich weiß es zu schätzen. Aber ich sollte mir ein Zimmer nehmen. Wenn ich einen kleinen Vorschuss auf das Geld bekommen könnte, wäre ich in der Lage, mir ein Hotel suchen.«
»Stimmt mit diesem hier irgendetwas nicht?«
»Mit diesem was?«
»Mit diesem Hotel«, sagte er mit – wie er fand – bewundernswerter Geduld. »Diesem Zimmer.«
»Nein, natürlich nicht. Es ist wundervoll.«
»Dann machen Sie es sich bequem. Betrachten Sie das Zimmer für die Dauer Ihres Aufenthalts …«
»Was? Wie bitte?« Sie setzte sich noch ein bisschen aufrechter hin. »Ich kann dieses Zimmer haben? Ich kann einfach … hierbleiben?«
»Das ist die übliche Behandlung für Leute mit einer ausgeprägten Glückssträhne. Sie haben sich qualifiziert.«
»Wirklich?«
»Die Geschäftsleitung hofft, dass Sie einen Teil Ihres Gewinns wieder in den Topf zurückwerfen. An den Spieltischen, in den Geschäften. Das Zimmer, Ihr Essen und Ihre Getränkekosten gehen auf Kosten des Hauses.«
Sie rappelte sich von dem Bett auf. »Ich bekomme all das gratis, weil ich Geld gewonnen habe?«
Ein Grinsen blitzte in seinem Gesicht auf, schnell und nur ein ganz kleines bisschen lauernd. »Ich möchte zumindest die Chance haben, etwas davon zurückzugewinnen.«
Verflixt, sah er gut aus. Wie ein Romanheld. Dieser Gedanke schoss ihr völlig unvermittelt durch den Kopf. »Scheint fair zu sein. Vielen, vielen Dank, Mr. McBlade.«
»Nicht McBlade«, korrigierte er sie, während er die Hand nahm, die sie ihm hinhielt. »Mac. Mac Blade.«
»Oh! Ich fürchte, ich kann noch immer nicht richtig zusammenhängend denken.«
»Wenn Sie etwas gegessen und sich ausgeruht haben, werden Sie sich besser fühlen.«
»Ganz bestimmt.«
»Und morgen früh, sagen wir um zehn, unterhalten wir uns dann ein bisschen. In meinem Büro.«
»Ja, morgen früh.«
»Willkommen ins Las Vegas, Miss Wallace«, sagte er und wandte sich einer breiten Treppe zu, die hinunter in den Wohnbereich führte.
»Danke.« Mit zitternden Beinen folgte sie ihm zu dem Treppengeländer. Als sie auf den in Smaragdgrün und Saphirblau gehaltenen Wohnbereich hinunterschaute, deren leuchtende Farben durch Möbel in schwarzem Ebenholz noch betont wurden, stockte ihr der Atem. Sie schaute ihm nach. »Mr. Blade?«
»Ja?« Er wandte sich um und schaute zu ihr hinauf. Sie sah aus wie ein verlorenes Kind.
»Was soll ich mit all dem Geld bloß machen?«
Er zeigte wieder dieses umwerfende Lächeln. »Da wird Ihnen schon etwas einfallen. Ich würde an Ihrer Stelle auf jeden Fall Buch führen über die Ausgaben.« Mit diesen Worten drückte er einen Knopf und verschwand in einem privaten Aufzug.
Als die Lifttüren zugeglitten waren, ließ Darcy sich auf den Boden sinken und schlang die Arme um die Knie. Wenn dies hier ein Traum war oder vielleicht eine Halluzination, hervorgerufen durch Stress oder einen Sonnenstich, so hoffte sie, es möge nie mehr enden.
Sie war nicht nur einfach entkommen. Sie war frei.
2. KAPITEL
Die Seifenblase platzte auch am nächsten Morgen nicht. Darcy erwachte abrupt um sechs Uhr aus dem Schlaf und sah verwirrt zu ihrer Reflektion in dem Spiegel über dem Bett hoch. Vorsichtig hob sie eine Hand an die Wange, nur zum Test. Sie spürte und sah ihre Finger, folgte ihnen mit dem Blick hinauf zur Stirn und an der anderen Seite wieder hinunter.
Wie seltsam es auch sein mochte, es war real. Sie hatte sich bisher noch nie in der Horizontalen gesehen. Sie sah so … so anders aus, fand sie, lang ausgestreckt in dem riesigen, zerwühlten Bett, umgeben von einem Berg weicher Kissen. Und sie fühlte sich auch so anders. Wie viele Jahre war sie Morgen für Morgen in dem schmalen Bett aufgewacht, das seit ihrer Kindheit ihre Zuflucht gewesen war?
Dahin würde sie nie mehr zurückkehren müssen.
Allein dieser Gedanke, die Tatsache, dass sie sich nie wieder an diese unbequeme Matratze würde gewöhnen müssen, ließ eine Welle ungeheuren Glücks über ihr zusammenschwappen. So mitreißend, dass Darcy in helles Lachen ausbrach und nicht mehr aufhören konnte, bis sie außer Atem war.
Sie rollte sich quer über das breite Bett, von einem Ende zum anderen, strampelte mit den Füßen in der Luft und umarmte die Kissen. Und da das immer noch nicht reichte, begann sie auf dem Bett herumzuhüpfen.
Als sie wirklich um Luft ringen musste, ließ sie sich einfach fallen und schlang die Arme um die angezogenen Knie. Sie trug eine seidene Pyjamajacke in einem reizvollen Rosa. Es war eins der Teile ihrer Grundausstattung, die kurz nach dem Abendessen eingetroffen war. Alles kam aus der Boutique im Erdgeschoss und war ein Geschenk des Hauses.
Sie würde sich nicht einmal Sorgen darum machen, dass der umwerfende Mac Blade ihr die Dessous gekauft hatte. Nicht, wenn es sich dabei um so wunderschöne Wäsche handelte.
Darcy sprang auf, um die Suite zu erforschen. Am Abend zuvor war sie noch so erschlagen gewesen, dass sie sich einfach wieder ins Bett gelegt hatte.
Sie griff nach einer Fernbedienung und begann wahllos Knöpfe zu drücken. Die blau schimmernden, bodenlangen Vorhänge öffneten und schlossen sich wie von Geisterhand. Nachdem Darcy sie wieder aufgezogen hatte, sah sie, dass sie ein Fenster mit Blick auf ganz Las Vegas hatte.
Jetzt lag alles in gedämpftem Grau und Blau da, eingehüllt in die sanfte Morgendämmerung der Wüste, die sich gerade Bahn brach. In welchem Stockwerk werde ich hier wohl sein? fragte Darcy sich. Im zwanzigsten? Dreißigsten? War eigentlich auch egal. Darcy fühlte sich wie auf dem Gipfel der Welt.
Nachdem sie einen anderen Knopf gedrückt hatte, öffnete sich eine holzgetäfelte Wand und gab den Blick auf einen Fernseher, einen Videorekorder und eine Stereoanlage frei. Sie probierte mehrere Knöpfe durch, bis es ihr gelang, den Raum mit Musik zu füllen, dann rannte sie die Treppe nach unten.
Sie öffnete alle Vorhänge, roch an den Blumen, setzte sich in jeden Sessel und auf jedes Sofa. Sie bewunderte den Kamin und das große schneeweiße Piano. Und weil niemand da war, der ihr das Spielen verbot, setzte sie sich auf den Klavierschemel und spielte die erste Melodie, die ihr in den Sinn kam.
»›La vie en rose‹«. Darcy lachte laut und herzhaft auf.
Hinter einer glänzenden Bar entdeckte sie einen kleinen Kühlschrank und kicherte wie ein Schulmädchen, als sie sah, dass er mit zwei Flaschen Champagner bestückt war. Zu der Musik, die aus der Stereoanlage tönte, tanzte sie aus dem Wohnraum ins Bad. Dort fand sie ein Telefon und einen in die Wand eingelassenen Fernseher sowie eine Reihe hübscher Toilettenartikel, die in einer Schale aus Porzellan arrangiert waren.
Nachdem sie ihre Besichtigungstour beendet hatte, lief sie summend wieder nach oben in ihr Schlafzimmer. Das Hauptbad, das vom Schlafzimmer abging, war eine Symphonie für die Sinne, angefangen vom Whirlpool bis hin zu der hell erleuchteten Spiegelwand. Der Raum war größer als ihr ganzes Apartment. Allein hier könnte ich glücklich und zufrieden leben, dachte sie. Auf einem Regal neben der Badewanne standen üppige grüne Pflanzen.
Im angrenzenden Ankleideraum hing ein flauschiger Bademantel für sie bereit. Pantoffeln mit dem »Comanche«-Logo standen unter einem eleganten Stuhl. Auf einem kleinen Tischchen stand eine zierliche Vase mit frischen Blumen. Es war die Art von üppigem Luxus, den Darcy bisher nur aus Büchern und Zeitschriften oder Filmen kannte. Jetzt, da der erste Adrenalinstoß nachließ, fragte Darcy sich, ob hier kein Irrtum vorlag.
Wie war so etwas möglich? Die Umstände, wie sie nach ihrer langen Fahrt hierher in diese Stadt gekommen war, verwischten sich in ihrer Erinnerung. Nur einige Fetzen konnte sie klar ausmachen – die blitzenden Lichter des Automaten, ihr hämmernder Puls, das verboten attraktive Gesicht von Mac Blade.
Sie biss sich auf die Unterlippe, griff nach dem Telefon und wählte die Nummer des Zimmerservice.
»Zimmerservice. Guten Morgen, Miss Wallace.«
»Oh.« Sie sah über ihre Schulter, ob nicht vielleicht jemand sie beobachtete. »Ich wollte nur fragen, ob ich vielleicht eine Tasse Kaffee haben könnte.«
»Selbstverständlich. Frühstück auch?«
»Ja, gut.« Sie wollte nicht unbescheiden sein. »Vielleicht ein Muffin, wenn das geht.«
»Ist das alles?«
»Ja, es wäre nett.«
»Wir bringen Ihnen das Frühstück sofort hoch. Vielen Dank, Miss Wallace.«
»Keine Ursache, äh … ich danke Ihnen.«
Sobald sie aufgelegt hatte, eilte Darcy ins Schlafzimmer, schaltete die Stereoanlage aus und den Fernseher an. Vielleicht brachten sie ja in den Nachrichten etwas über eine Massenepidemie, bei der Halluzinationen auftraten.
Mac war in seinem Büro über der bunten Glitzerwelt des Casinos und streifte mit einem kurzen Blick die Überwachungsmonitore. Es waren mehr als nur ein paar Unermüdliche, die in der Nacht zuvor angefangen hatten und immer noch weitermachten. Aufreizende Abendkleider saßen Hüfte an Hüfte mit ausgewaschenen Jeans.
Zehn Uhr morgens, zehn Uhr abends – in Las Vegas machte das keinen Unterschied. Hier gab es keine Zeit, keine Kleiderordnung … und für manche auch keine Realität außer der des Glücksrads.
Mac ignorierte das Piepsen eines ankommenden Fax, nippte an seinem Kaffee und wanderte durch den Raum, während er mit seinem Vater telefonierte. Er konnte sich bestens vorstellen, dass sein Vater im Moment genau das Gleiche tat, drüben in seinem Büro in Reno.