Die MacGregors 9. Herz gewinnt - Nora Roberts - E-Book

Die MacGregors 9. Herz gewinnt E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Familie, Liebe, Leidenschaft: Der faszinierende MacGregor-Clan.

Auch die temperamentvolle Cybil Campbell verliebt sich leidenschaftlich - in ihren gutaussehenden Nachbarn Preston McQuinn. Doch der hütet offenbar ein Geheimnis ...

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Nora Roberts

Die MacGregors 9

Herz gewinnt

Roman

Aus dem Amerikanischen von Emma Luxx

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe The Perfect Neighbor ist bei Silhouette Books, Toronto, erschienen. Die deutsche Erstausgabe ist im MIRA Taschenbuch erschienen.
Wilhelm Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Copyright © 1999 by Nora Roberts Published by Arrangement with Eleanor Wilder Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by MIRA Taschenbuch in der Cora Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Fotos von shutterstock/conrado Satz: Uhl + Massopust, Aalen ISBN: 978-3-641-12073-3 V003
www.penguinrandomhouse.de/nora-roberts

1. KAPITEL

»Und? Hast du schon mit ihm gesprochen?«

»Hmm?« Cybil Campbell wandte den Blick nicht von ihrem Zeichenbrett. Mit der Fertigkeit langer Erfahrung teilte sie das Blatt Papier schwungvoll in Sektionen ein. »Mit wem hätte ich sprechen sollen?«

Ein langer, inbrünstiger Seufzer war zu hören, einer, bei dem Cybil sich ein Grinsen verkneifen musste. Sie kannte Jody Myers, ihre Nachbarin aus dem ersten Stock, sehr gut. Und wusste genau, wen diese mit »ihm« meinte.

»Mit unserem umwerfenden Mr. Geheimnisvoll in 3B, Cyb. Er ist vor einer Woche eingezogen und hat noch mit niemandem ein Wort gewechselt. Komm schon, du weißt bestimmt mehr über ihn. Schließlich wohnt er dir genau gegenüber. Wir wollen Details hören.«

»Ich war ziemlich beschäftigt.« Cybil blickte auf und sah kurz zu Jody mit ihren ausdrucksstarken braunen Augen und dem dunkelblonden Haar, die jetzt mit energischen Schritten durch den Raum ging. »Ich habe ihn kaum bemerkt.«

Jody schnaubte abfälllig. »Unsinn. Du bemerkst alles.« Sie kam zum Zeichenbrett geschlendert, sah über Cybils Schulter und krauste die Nase. An diesen blauen Linien war nichts besonders spannend. Ihr gefiel es immer, wenn Cybil mit den Zeichnungen in den Kästchen begann.

»Er hat noch nicht mal seinen Namen auf dem Briefkasten angebracht. Und kein Mensch hat ihn tagsüber das Haus verlassen sehen. Nicht einmal Mrs. Wolinsky, und an der kommt garantiert keiner vorbei.«

»Vielleicht ist er ein Vampir.«

»Wow.« Die Vorstellung hatte einen gewissen Reiz. Jody spitzte die hübschen Lippen. »Wäre doch cool, was?«

»Zu cool.« Cybil konzentrierte sich weiter auf ihre Vorbereitungsarbeiten, während ihre Freundin durchs Atelier marschierte und unaufhörlich redete.

Es hatte Cybil noch nie gestört, bei der Arbeit Gesellschaft zu haben. Im Gegenteil, sie freute sich sogar darüber. Von Ruhe und Abgeschiedenheit hatte sie nie viel gehalten. Und genau deshalb lebte sie ja in New York in einem kleinen Mietshaus mit einer Handvoll schändlich neugieriger Nachbarn.

Was nicht nur ihrer Persönlichkeit entsprach, sondern ihr auch reichlich Stoff für ihre Arbeit lieferte. Und von all den Bewohnern des umfunktionierten ehemaligen kleinen Warenhauses war Jody Myers ihre Lieblingsnachbarin. Als Cybil vor drei Jahren eingezogen war, hatte sie die springlebendige und damals frisch verheiratete junge Frau kennengelernt. Jody glaubte fest daran, dass jeder so glücklich werden musste, wie sie selbst es war.

Was im Klartext hieß, verheiratet.

Und jetzt, als Mutter eines acht Monate alten Wonneproppens namens Charlie, war diese Überzeugung so unerschütterlich wie in Stein gemeißelt. Was Cybil zur obersten Zielperson machte.

»Bist du ihm denn noch nicht auf dem Flur begegnet?«

»Noch nicht.« Cybil nahm einen Bleistift und tippte sich damit gegen die volle Unterlippe. Die Augen unter den langen Wimpern waren grün wie das Meer in der Dämmerung und hätten exotisch oder sogar sinnlich gewirkt, wenn da nicht immer dieses humorvolle Funkeln gewesen wäre. »Aber Mrs. Wolinsky ist offensichtlich nicht mehr auf der Höhe. Ich habe nämlich gesehen, wie er tagsüber das Haus verließ. Ein Vampir ist er also nicht.«

»Wirklich?« Begierig, alles zu erfahren, zog Jody sich einen Hocker zum Zeichenbrett. »Wann? Wo? Wie?«

»Wann? Im Morgengrauen. Wo? Er ging auf der Hauptstraße nach Osten. Und wie? Ich konnte nicht schlafen.« Die Sache fing an, Cybil Spaß zu machen. Ihre Augen blitzten belustigt, als sie auf ihrem hohen Drehhocker herumschwang. »Ich bin früh aufgewacht, weil ich immer an die Schokokekse denken musste, die noch von der Party am Vorabend übrig geblieben waren.«

»Überirdisch gute Kekse«, stimmte Jody eifrig zu.

»Genau. Deshalb konnte ich ja auch nicht mehr einschlafen, ich musste mir einen holen. Und da ich sowieso schon auf war, habe ich mir gedacht, ich kann auch genauso gut ein bisschen arbeiten. Also stellte ich mich hier ans Fenster, um erst den Keks zu genießen. Und da habe ich ihn das Haus verlassen sehen. Denn übersehen kann man ihn ja wohl kaum. Er muss mindestens eins neunzig sein. Und dann diese Schultern …«

Beide Frauen verdrehten theatralisch schmachtend die Augen.

»Jedenfalls hatte er eine Sporttasche bei sich und trug schwarze Jeans, dazu ein schwarzes T-Shirt, also wollte er vermutlich ins Fitnessstudio. Solche Schultern bekommt man nicht, wenn man den ganzen Tag herumliegt, Chips isst und Bier trinkt.«

»Aha!« Jody ließ ihren Zeigefinger in die Höhe schießen. »Du bist also doch interessiert.«

»Ich bin weder blind noch tot, Jody. Der Mann sieht gefährlich gut aus, und wenn man zu dieser geheimnisvollen Aura noch den knackigen Hintern dazugibt …« Sie hob die Hände, die nur selten still waren, in einer hilflosen Geste an. »Wie sollte ein Mädchen sich da nicht ein paar Gedanken machen?«

»Warum denn nur Gedanken machen? Warum klopfst du nicht an seine Tür und bringst ihm ein paar von deinen selbst gebackenen Keksen? Sozusagen als Willkommensgruß. So kannst du dann auch herausfinden, was er den ganzen Tag über treibt, ob er allein dort wohnt, womit er sich seinen Lebensunterhalt verdient, ob er eine Freundin hat, woher …« Sie verstummte und lauschte mit erhobenem Kopf. »Das ist Charlie. Er ist aufgewacht.«

»Ich habe nichts gehört.« Cybil wandte den Kopf zur Tür und horchte ebenfalls, zuckte dann die Schultern. »Ich sage es dir, Jody, seit du Mutter geworden bist, hast du Ohren wie ein Luchs.«

»Ich werde ihm die Windel wechseln und einen Spaziergang mit ihm machen. Kommst du mit?«

»Kann nicht. Muss arbeiten.«

»Dann sehen wir uns heute Abend. Um sieben zum Essen.«

»Okay.« Cybil lächelte, als Jody davoneilte, um ihren Sohn von seinem Nachmittagsschläfchen aus dem Bett zu holen.

Dinner um sieben. Mit Jodys nervigem Cousin Frank. Wann würde sie endlich allen Mut zusammennehmen, fragte Cybil sich, um Jody zu sagen, dass sie damit aufhören musste, sie, Cybil, verkuppeln zu wollen?

Vermutlich erst dann, wenn sie das auch zu Mrs. Wolinsky sagen konnte. Und zu Mr. Peebles aus dem Erdgeschoss. Und der Frau aus der Reinigung. Warum waren bloß alle so versessen darauf, ihr einen Mann zu verschaffen?

Sie war vierundzwanzig, Single und glücklich. Natürlich wollte sie irgendwann eine Familie. Und vielleicht ein hübsches kleines Haus am Stadtrand. Mit einem Garten für die Kinder. Und einen Hund, ein Hund gehörte einfach dazu. Aber noch nicht. Im Moment gefiel ihr ihr Leben genau so, wie es war. Vielen Dank!

Sie stützte sich mit den Ellbogen auf das Zeichenbrett und erlaubte es sich, eine Weile aus dem Fenster zu starren und sich in Tagträumen zu verlieren. Muss wohl am Frühling liegen, dachte sie, dass ich so unruhig und rastlos bin.

Sie überlegte gerade, ob sie nicht doch mit Jody und Charlie ein wenig frische Luft schnappen sollte, als ihre Freundin ihr einen Abschiedsgruß zurief. Eine Sekunde später fiel die Haustür ins Schloss.

Dann eben nicht.

Zurück an die Arbeit, ermahnte sie sich und begann damit, die nächste Folge ihres Comicstrips »Freunde und Nachbarn« zu Papier zu bringen.

Das Zeichnen fiel ihr leicht, war ihr praktisch in die Wiege mitgegeben worden. Ihre Mutter war eine erfolgreiche, international anerkannte Künstlerin, ihr Vater der kreative Genius hinter einer bereits seit Ewigkeiten erscheinenden Satire-Serie. Zusammen hatten sie Cybil und deren Geschwistern die Liebe zur Kunst vermittelt, einen Sinn für das Absurde und eine gründliche künstlerische Ausbildung.

Als Cybil vor drei Jahren die Sicherheit des Elternhauses in Maine verließ, war das in dem Bewusstsein geschehen, hier jederzeit wieder willkommen zu sein, sollte sie in New York nicht Fuß fassen können.

Doch New York hatte sie akzeptiert.

Seit drei Jahren gewann ihr Comicstrip beständig an Beliebtheit. Cybil war stolz auf ihre Figuren, stolz auf die Schlichtheit und menschliche Wärme und den Humor. Sie beschrieb deren Alltag in lustigen oder nachdenklich stimmenden Erlebnissen und versuchte gar nicht erst, die Ironie ihres Vaters oder seine oft spitzen politischen Satiren zu kopieren. Das tägliche Leben brachte sie oft genug zum Lachen. Es gab genügend komische Situationen in der Warteschlange vor der Kinokasse, auf der Suche nach dem richtigen Paar Schuhe, beim zufälligen Kennenlernen zweier Menschen in einer Bar.

Während viele ihre Heldin Emily für eine Figur mit autobiografischen Zügen hielten, sah Cybil in ihr eine schier unerschöpfliche Quelle für neue Ideen. Und schließlich war Emily eine stattliche Blondine, die ständig Pech mit ihren Jobs und noch weniger Glück mit Männern hatte. Und was die Männer anging, so waren die Cybil nicht wichtig genug, um überhaupt ein Problem darzustellen.

Sie runzelte die Stirn über sich selbst, als ihr auffiel, dass sie den Bleistift nur dazu benutzte, um sich damit gegen die Lippen zu tippen. Irgendwie schien sie sich heute nicht konzentrieren zu können. Sie fuhr sich mit den Fingern durch das kurze braune Haar, schürzte die Lippen und zuckte mit den Schultern. Na schön, vielleicht brauchte sie einfach eine kleine Pause. Ein Stückchen Schokolade würde ihre Energie bestimmt wieder zurückbringen.

Sie schob sich mitsamt Stuhl vom Zeichentisch zurück und steckte sich den Bleistift hinters Ohr – eine gedankenverlorene Geste, die sie sich seit frühester Kindheit erfolglos abzugewöhnen versuchte –, verließ das helle Mansardenstudio und ging nach unten.

Ihre Wohnung war geräumig und offen, deshalb hatte sie ja damals auch so schnell zugegriffen. Nur eine lange Theke trennte Küche und Wohnzimmer, große Fenster ließen Licht und die Geräusche von der Straße herein. Die Geräusche, die sie die ersten Wochen nach ihrer Ankunft in der großen Stadt so begeistert und fasziniert hatten.

Sie bewegte sich geschmeidig, fließend. Noch eine Eigenschaft, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte und die ihr Vater die »Grandeau-Grazie« nannte. Die langen Gliedmaßen hatten genau den Ansprüchen des Ballettunterrichts, um den sie als kleines Mädchen gebettelt hatte, entsprochen. Bis es ihr zu langweilig geworden war. Jetzt tappte sie mit bloßen Füßen in die Küche, zog die Kühlschranktür auf und überlegte.

Sie könnte sich etwas Interessantes zurechtmachen. Sie hatte auch Kochkurse gehabt. Da war es ihr erst zu langweilig geworden, als ihre Kreativität die der Kursleiterin um Längen überrundet hatte.

Und dann hörte sie es und seufzte. Die Musik drang über den schmalen Flur und durch die alten Wände. Das Schluchzen des Saxofons war gleichzeitig traurig und sexy, befand Cybil. Mr. Geheimnisvoll in 3B spielte leider nicht jeden Tag. Dabei wünschte sie inzwischen, er würde es tun.

Die Musik berührte sie immer zutiefst, diese lang gezogenen Noten, in denen so viel Gefühl lag, wühlten sie auf.

Ob er Musiker war? Einer, der hoffte, in New York den Durchbruch zu schaffen? Eine Frau musste ihm das Herz gebrochen haben, spann sie die Geschichte um ihn weiter, während sie ein paar Zutaten aus dem Kühlschrank holte. Ein eiskalter rothaariger Vamp, genau. Erst hatte sie ihm das Herz aus der Brust gerissen, und dann war sie mit ihren italienischen Schuhen mit den Zehn-Zentimeter-Absätzen darauf herumstolziert.

Vor ein paar Tagen hatte Cybil sich etwas anderes für ihn ausgemalt. Da war er mit sechzehn Jahren vor seiner unverschämt reichen, aber lieblosen Familie geflohen und hatte sich als Straßenmusikant in New Orleans – eine ihrer Lieblingsstädte – durchgeschlagen. Dann musste er gen Norden fliehen, weil seine Familie, an der Spitze ein geisteskranker Onkel, nach ihm suchte und mehrere Privatdetective auf ihn angesetzt hatte.

Warum die Familie nach ihm suchte, hatte sie noch nicht so recht ausgeknobelt, aber eigentlich war das auch nicht so wichtig. Entscheidend war nur, dass er einsam und auf der Flucht war und nur Trost in seiner Musik fand.

Oder er war Undercoveragent.

Ein international gesuchter Juwelendieb.

Ein Serienkiller, der auf sein nächstes Opfer wartete.

Cybil lachte über ihre ausufernde Fantasie und starrte auf die Zutaten, die sie ohne zu überlegen auf dem Tresen aufgereiht hatte. Was immer der Mann aus 3B auch sein mochte – so wie es aussah, würde sie ihm Kekse backen.

Sein Name war Preston McQuinn, und als besonders rätselhaft hätte er sich nicht bezeichnet. Nicht einmal menschenscheu. Höchstens zurückhaltend. Er legte Wert auf eine ungestörte Privatsphäre, und genau deshalb wohnte er jetzt im Herzen einer geschäftigen Weltmetropole.

Vorübergehend, dachte er, während er das Saxofon in den Koffer zurücklegte. Noch zwei Monate, dann würde sein Haus an der felsigen Küste von Connecticut fertig renoviert sein. Es gab Leute, die behaupteten, es sei eine Festung, und das war ihm nur recht. In einer Festung konnte ein Mann wochenlang seine Ruhe haben, und niemand konnte eindringen, solange er die Fallgitter unten ließ.

Er stieg wieder die Treppe hinauf, ließ das fast leere Wohnzimmer zurück. Er benutzte es nur, um darin zu spielen – die Akustik war großartig. Und um zu trainieren, wenn er keine Lust hatte, ins Fitnessstudio zu gehen.

Die meiste Zeit verbrachte er oben in der Mansarde, und auch dort brauchte er für den Übergang nicht mehr als ein Bett, einen Kleiderschrank, das richtige Licht und einen Schreibtisch für seinen Laptop, den Drucker und die Papierstapel, die er recht häufig produzierte.

Selbst auf ein Telefon hätte er verzichten können, aber seine Agentin hatte ihm ein Handy aufgezwungen und ihn beschworen, es auch eingeschaltet zu lassen.

Was er tat – meistens jedenfalls.

Preston setzte sich an den Schreibtisch, zufrieden, dass die kleine Musikeinlage die Spinnweben aus seinem Kopf vertrieben hatten. Mandy, seine Agentin, knabberte seit Wochen an ihren viel zu langen Fingernägeln, weil sein neuestes Theaterstück auf sich warten ließ. Er hätte ihr raten sollen, dem Lack keinen Schaden anzutun. Das Stück würde fertig sein, wenn es fertig war, keine Minute früher.

Das war ja das Unangenehme am Erfolg: Er entwickelte eine eigene Dynamik. Hatte man einmal etwas vollbracht, das den Leuten gefiel, erwarteten sie von einem, dass man es wiederholte. Nur dieses Mal noch schneller und noch eindrucksvoller. Preston war es egal, was die Leute wollten. Sollten sie doch dem Theater die Tür einrennen, um seine Stücke zu sehen, ihm noch einen Pulitzerpreis oder »Tony Award« verleihen und ihm das Geld mit Lkws heranfahren. Seinetwegen konnten sie das Stück auch auspfeifen und ihr Eintrittsgeld zurückverlangen.

Hauptsache, sie ließen ihn in Ruhe seine Arbeit machen. Allein die war ihm wichtig.

Finanziell war er abgesichert, war er immer gewesen. Sehr zu Mandys Leidwesen, die behauptete, genau darin liege das Problem. Er sei nicht hungrig genug und deshalb publikumsscheu und arrogant. Auf der anderen Seite fand sie aber auch, dass genau das ihn zu einem Genie machte. Ihn kümmerte weder das eine noch das andere.

Groß und muskulös saß er da. Sein dunkelbraunes Haar war zerzaust, das Blau seiner Augen kühl, während er überflog, was er geschrieben hatte. Sein Gesicht war schmal, ernst und unglaublich attraktiv, aber auf eine Weise, die verriet, dass auch das ihm egal war.

Er ignorierte die Straßengeräusche, die Tag und Nacht unablässig gegen die Fenster schlugen, und tauchte hinab in die Seele des Mannes, den er auf diesem smarten kleinen Computer erschaffen hatte. Ein Mann, der verzweifelt darum kämpfte, seine Sehnsucht zu überleben.

Als es an der Tür klingelte und er sich in die Realität und den großen Raum zurückgezogen fühlte, fluchte er. Sollte er das Klingeln einfach ignorieren? Nein, wer immer es war, sie würden wiederkommen, es sei denn, er vertrieb sie jetzt ein für alle Mal.

Bestimmt war es wieder diese spitzmausige alte Lady mit den Adleraugen aus dem Erdgeschoss, die ihm schon zweimal aufgelauert hatte, als er abends zum Training gegangen war. Eigentlich verstand er es, den Leuten aus dem Weg zu gehen, aber langsam wurde es lästig. Es war sicher wirkungsvoller, wenn er sie jetzt mit ein paar unhöflichen Sprüchen bedachte, dann könnte sie empört davonschlurfen und hatte genug Gesprächsstoff für den Hausklatsch.

Als er jedoch durch den Spion blinzelte, sah er eine hübsche Brünette mit jungenhaft kurzem braunen Haar und großen grünen Augen.

Von gegenüber, erkannte er und fragte sich, was zum Teufel sie von ihm wollte. Er hatte gehofft, dass sie ihn in Ruhe lassen würde, da sie ihn die ganze erste Woche nicht belästigt hatte. Was sie, seiner Ansicht nach, zur perfekten Nachbarin gemacht hatte.

Verärgert darüber, dass sie diesen Eindruck zerstört hatte, riss er die Tür auf. »Ja?«

»Hi.« Oh ja, dachte Cybil, aus der Nähe sieht er sogar noch besser aus. »Ich bin Cybil Campbell aus 3A.« Lächelnd zeigte sie auf ihre eigene Wohnungstür.

Er zog nur eine schön geschwungene Augenbraue hoch. »Ja?«

Nicht sehr gesprächig, dachte sie und lächelte weiter. Sie wünschte, er würde wenigstens mal blinzeln, damit sie einen Blick in seine Wohnung werfen konnte. Schließlich konnte sie schlecht den Hals recken, wenn er sie unentwegt anstarrte, ohne neugierig zu erscheinen. Was sie natürlich nicht war. Wirklich nicht.

»Ich habe Sie vorhin spielen gehört. Ich arbeite zu Hause, wissen Sie. Die Musik dringt durch.«

Falls sie sich über die Musik beschweren wollte, hatte sie Pech. Er spielte, wann immer ihm danach war. Er musterte sie kühl. Der Mund war sinnlich, die Nase keck, die Füße lang und schmal mit rosa lackierten Nägeln.

»Meistens vergesse ich, die Stereoanlage einzuschalten, wenn ich arbeite«, fuhr sie fröhlich fort, wobei ihm das kleine Grübchen an ihrem Mundwinkel auffiel. »Deshalb freue ich mich immer, wenn Sie spielen. Ralph und Sissy standen auf Vivaldi. Nicht schlecht, aber auf die Dauer etwas eintönig. Ralph und Sissy haben vor Ihnen in der Wohnung gewohnt«, erklärte sie. »Sie sind nach White Plains gezogen, weil Ralph eine Affäre mit einer Verkäuferin aus dem Kaufhaus angefangen hat … Nun, eigentlich hatte er keine Affäre, aber er stand kurz davor, und Sissy hat ihm gedroht, die Scheidung einzureichen und ihm den letzten Cent aus der Tasche zu ziehen, wenn sie nicht woandershin ziehen. Mrs. Wolinsky hat ihnen sechs Monate gegeben, aber ich denke, die beiden schaffen es. Nun, wie dem auch sei …«

Sie hob einen sonnengelben Teller, auf dem sich unter Frischhaltefolie ein Berg Schokoladenkekse häufte. »Ich habe Ihnen ein paar Kekse gebracht.«

Er senkte den Blick, und sie nutzte die Gelegenheit, an ihm vorbei in sein leeres Wohnzimmer zu schauen.

Der arme Kerl kann sich nicht einmal eine Couch leisten, dachte sie. Und dann lag der Blick aus den unfreundlichen blauen Augen auch schon wieder auf ihr.

»Warum?«, fragte er unvermittelt.

»Warum was?«

»Warum bringen Sie mir Kekse?«

»Na ja, manchmal backe ich welche, wenn ich mich nicht auf meine Arbeit konzentrieren kann. Und wenn ich sie behalte, esse ich sie alle auf und hasse mich dafür.« Das Grübchen war wieder da. »Mögen Sie keine Kekse?«

»Ich habe nichts dagegen.«

»Na, dann lassen Sie sich die Kekse schmecken.« Sie drückte ihm den Teller in die Hand. »Und willkommen in der Hausgemeinschaft. Falls Sie etwas brauchen, ich bin meistens zu Hause.« Sie wedelte mit einer schmalen Hand. »Und sollten Sie etwas über Ihre Nachbarn wissen wollen, ich wohne seit ein paar Jahren hier und kenne jeden.«

»Will ich nicht.« Er trat zurück und schloss die Tür.

Verblüfft starrte Cybil auf die weiße Fläche vor ihrem Gesicht. Sie war ziemlich sicher, dass ihr in den vierundzwanzig Jahren ihres Lebens noch niemand die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Und jetzt, da sie diese Erfahrung gemacht hatte, wurde ihr bewusst, dass ihr das überhaupt nicht gefiel.

Am liebsten hätte sie gegen die Tür gehämmert und ihre Kekse zurückverlangt. Aber so tief wollte sie nicht sinken, also drehte sie sich abrupt um und ging in ihre eigene Wohnung.

Jetzt wusste sie, dass Mr. Geheimnisvoll zwar atemberaubend gut aussah und eine göttliche Figur besaß, aber auch übellaunig war wie ein verwöhnter Zweijähriger, der dringend einen Klaps auf den Po brauchte. Nun, ihr sollte es egal sein. Sie konnte ihm auch aus dem Weg gehen.

Sie knallte die eigene Tür nicht zu. Er würde es nur hören und abfällig diesen umwerfenden Mund verziehen. Doch kaum war sie in der Sicherheit ihre eigenen vier Wände, drehte sie sich zur Tür um und streckte ihm in einem Anfall kindischen Gehabes die Zunge heraus und zog eine Fratze.

Danach ging es ihr etwas besser.

Trotzdem blieben folgende Tatsachen festzustellen: Der Mann hatte ihre Kekse, ihren Lieblingsteller und ihre Abneigung.

Und sie kannte noch nicht einmal seinen Namen.

Preston bereute nicht, was er getan hatte. Nicht eine Sekunde. Er ging davon aus, dass seine bewusste Unfreundlichkeit ihm diese aufdringliche Nachbarin mit der kecken Nase und den sexy rosafarbenen Fußnägeln ein für alle Mal vom Hals halten würde. Das Letzte, was er brauchte, war ein Empfangskomitee der Hausbewohner auf seiner Schwelle, vor allem, wenn es von einer munter drauflosplappernden Brünetten mit Grübchen und den Augen einer Nixe angeführt wurde.

Verdammt, in New York interessierte man sich nicht für seine Nachbarn. Er war ziemlich sicher, dass das ein allgemeines Gebot in dieser Stadt war. Und wenn nicht, dann sollte es eines werden.

Zu seinem Pech war sie auch noch Single – er zweifelte nicht daran. Denn wäre da ein Partner, hätte sie sich garantiert über dessen wunderbare Eigenschaften ausgelassen. Dass sie zu Hause arbeitete und er ihr vermutlich dauernd über den Weg laufen würde, sprach zusätzlich gegen sie.

Und dass sie die besten Schokoladenkekse machte, die er je gesehen hatte, war einfach unverzeihlich.

Solange er arbeitete, konnte er die Kekse ignorieren. Wenn die Worte aus ihm herausflossen, würde er sogar einen Atomangriff ignorieren können. Doch sobald er aus seiner kreativen Welt auftauchte und den Blick vom Bildschirm nahm, musste er daran denken, dass die Kekse in der Küche auf dem bunten Teller lagen.

Er dachte an sie, während er duschte, sich anzog und dann trainierte, um den Schaden an seiner Haltung, hervorgerufen durch stundenlanges Sitzen vor dem Bildschirm, wieder auszubügeln. Schon seine Lehrerin in der dritten Klasse, Schwester Maria-Josef, hatte seine Sitzhaltung als erbarmungswürdig bezeichnet.

Als er irgendwann nach unten ging, um sich ein wohlverdientes Bier zu gönnen, warf er einen Blick auf den Teller mit den Keksen, während er die Dose öffnete und den ersten Schluck nahm. Warum eigentlich nicht? dachte er. Sie in den Müll zu werfen war unnötig. Schließlich hatte er dieser vorwitzigen Cybil eine nachhaltige Abfuhr erteilt.

Sie würde allerdings ihren Teller zurückhaben wollen. Da konnte er genauso gut die Ware testen, bevor er ihr den Teller vor die Tür stellte.

Er biss in einen Keks und brummte anerkennend. Er aß einen zweiten und stieß ein schwärmerisches Schnauben aus.

Nachdem er fast zwei Dutzend verdrückt hatte, fluchte er.

Das Zeug macht süchtig, dachte er grimmig. Ihm war leicht übel, und er fühlte sich so träge wie schon lange nicht mehr. Halb angewidert, halb gierig starrte er auf den fast leeren Teller. Er brachte den letzten Rest seiner Willenskraft auf, kippte die letzten Kekse in eine Plastikschüssel und ging durch den Raum, um sein Saxofon zu holen.

Er würde ein paarmal um den Block laufen müssen, bevor er in den Club ging.

Als er die Wohnung verließ, hörte er jemanden die Treppe heraufstampfen. Hastig zog er sich wieder zurück und ließ die Tür einen Spaltbreit offen. Und dann hörte er die Schnellfeuerstimme seiner Nachbarin. Der, die ihm die leckeren Kekse gebracht hatte. Als er sah, dass sie allein war, zog er eine Augenbraue hoch.

»Nie wieder«, murmelte sie. »Und wenn sie mir Bambussplitter unter die Fingernägel schiebt oder mir glühende Eisen vor die Augen hält. Das ist mir egal. Nie wieder eine solche Tortur. Das war’s, Schluss, aus und vorbei.«

Sie hatte sich umgezogen, fiel Preston auf. Sie trug eine schwarze Hose, einen perfekt sitzenden schwarzen Blazer und darunter eine Bluse in der Farbe reifer Erdbeeren. Lange Ohrringe baumelten an ihren Ohrläppchen.

Während sie eine winzige Handtasche öffnete, führte sie ihr Selbstgespräch weiter. »Das Leben ist zu kurz, um sich zwei Stunden lang so zu langweilen. Das wird sie mir nie wieder antun. Ich weiß doch, wie man Nein sagt. Ich muss es nur üben. Wo zum Teufel ist mein Schlüssel?«

Beim Geräusch der sich hinter ihr öffnenden Tür zuckte sie zusammen und fuhr herum. Preston bemerkte, dass die Ohrgehänge nicht zu ihrem Aufzug passten, und fragte sich, ob das Absicht oder Gleichgültigkeit war. Da es ihr nicht einmal gelingen wollte, den Wohnungsschlüssel in dieser Handtasche zu finden, die kleiner war als seine Handfläche, ging er von Letzterem aus.

Sie wirkte erregt, aufgewühlt und energiegeladen. Und sie duftete sogar noch besser als ihre Kekse.

»Warten Sie«, sagte er nur und verschwand in seiner Wohnung, um ihren Teller zu holen.

Cybil hatte nicht die geringste Absicht zu warten. Hektisch suchte sie weiter nach dem Schlüssel und fand ihn in der schmalen Innentasche. Genau dort, wo sie ihn verstaut hatte, damit sie genau wusste, wo er war, und ihn schnell fand.

Doch er war noch schneller. Schon war er wieder da. Die Wohnungstür fiel hinter Preston zu. In der einen Hand hielt er den Saxofonkoffer, in der anderen ihren Keksteller.

»Hier.« Er würde sie nicht fragen, was diesen trotzigen Ausdruck auf ihr Nixengesicht gebracht hatte. Er bezweifelte nicht, dass sie es ihm sofort erzählen würde – ausführlichst.

»Gern geschehen«, fauchte sie und riss ihm den Teller aus der Hand. Ihr Kopf dröhnte, denn sie hatte sich zwei Stunden lang anhören müssen, wie spannend Jodys Cousin Frank den Aktienmarkt fand. Sie war schlechter Laune und beschloss, Mr. Geheimnisvoll klar und deutlich ihre Meinung zu sagen, solange sie in Stimmung war.

»Hören Sie, wenn Sie keinen Kontakt wollen, mir soll’s recht sein. Ich brauche nicht noch mehr Freunde«, sagte sie und unterstrich die Worte, indem sie mit dem Teller wedelte. »Um genau zu sein, ich habe sogar so viele, dass ich keine neuen mehr annehmen kann, bis nicht einer von den alten außer Landes zieht. Aber es gibt keinen Grund, sich wie ein unmöglicher Banause zu benehmen. Ich habe mich nur vorgestellt und Ihnen ein paar verdammte Kekse vorbeigebracht, mehr nicht.«

Seine Lippen zuckten, doch er hielt sich zurück. »Verdammt gute Kekse«, bemerkte er und bereute es sofort, als die Wut in ihren Augen in Heiterkeit umschlug.

»Ach wirklich?«

»Ja.« Er ging davon und ließ sie leicht geschmeichelt und völlig verblüfft zurück.

Also berief sie sich auf ihr liebstes Hobby: Sie handelte rein impulsiv. Sie schloss ihre Wohnungstür auf, stellte rasch den Teller in der Küche ab, schloss wieder ab und folgte ihrem Nachbarn so leise wie möglich.

Das würde eine tolle Episode für Emily abgeben. Wenn es richtig lief, konnte das Stoff für die nächsten Wochen werden.

Natürlich würde Emily verrückt nach diesem Typen sein müssen, beschloss Cybil, während sie auf Zehenspitzen die Treppen hinunterzurennen versuchte. Normale Anziehungskraft würde da nicht reichen, es musste schon ein richtiges Schmachten sein, vielleicht sogar Besessenheit.

Atemlos und aufgeregt von der Verfolgungsjagd wirbelten unzählige Möglichkeiten durch Cybils Kopf. Jetzt war sie bei der Haustür angekommen und lugte vorsichtig hinaus.

Er hatte schon fast den ganzen Häuserblock hinter sich zurückgelassen. Ganz schön lange Schritte, die mein Nachbar da macht, dachte Cybil grinsend und folgte ihm.

Emily würde natürlich eine richtige Verfolgungsjagd veranstalten, sich hinter Laternenpfählen verstecken, an Hauswänden entlangschleichen, sich in Hauseingänge drücken, nur für den Fall, dass er sich umdrehen sollte und …

Fast hätte sie aufgeschrien. Mit einem Satz sprang sie hinter einen Laternenpfahl, als ihre Zielperson einen lässigen Blick über die Schulter warf. Die Hand auf das rasend klopfende Herz gepresst, wagte Cybil die Nase hervorzustecken, und sah ihn gerade noch um die Ecke biegen.

Sie verfluchte sich, weil sie zu der Dinnereinladung Schuhe mit hohen Absätzen gewählt hatte, anstatt flache Sandalen anzuziehen. Mit einem tiefen Atemzug spurtete sie zu der Straßenecke.

Zwanzig Minuten später taten ihre Füße höllisch weh, und ihr anfänglicher Enthusiasmus hatte sich längst gelegt. Wanderte dieser Mann etwa jede Nacht mit seinem Saxofon ziellos durch die Stadt?

Vielleicht war er gar nicht unhöflich, sondern verrückt. Er war gerade aus der Psychiatrie entlassen worden, in die seine stinkreiche Familie ihn eingewiesen hatte, damit er das ihm rechtmäßig zustehende Erbe der verstorbenen Großmutter nicht antreten konnte. Und in all den Jahren hatte ein sadistischer Psychiater ihn gequält und mit Medikamenten vollgestopft, deshalb wusste er jetzt nicht mehr, wie man normal mit Leuten umging.

Ja, genau so etwas würde Emily sich ausdenken – in dem Wissen, dass ihre bedingungslose Liebe und ihre aufopfernde Zärtlichkeit ihn heilen würde. Natürlich würden alle Nachbarn und Freunde versuchen, ihr das auszureden, aber bevor man sich noch recht versah, würde Mr. Geheimnisvoll …

Cybil blieb wie angewurzelt stehen, als er in einem kleinen heruntergekommenen Club namens »Delta’s« verschwand.

Endlich, dachte sie erleichtert und strich sich das Haar zurück. Jetzt brauchte sie nur hineinzuschlüpfen, sich eine dunkle Ecke zu suchen und abzuwarten, was als Nächstes geschehen würde.

2. KAPITEL

Es roch nach Whiskey und Rauch, doch der Club erschien Cybil nicht so abschreckend, wie sie erwartet hatte, sondern eher … stimmungsvoll. Im Halbdunkel tauchten Scheinwerfer eine kleine Bühne in bläuliches Licht. Runde Tische, kaum größer als Kuchenplatten, drängten sich im Raum, und obwohl an allen Tischen Gäste saßen, war die Lautstärke erträglich.

An Orten wie diesem sprach man bestimmt nur im Flüsterton, plante Treffen, wann man sich wo wiedersehen konnte, heimliche Affären …

An der massiven Bar an der Längsseite des Raumes saßen Männer auf Barhockern und hielten ihren Drink fest, als müssten sie ihn vor Rivalen beschützen.

So ein Club gehört eher in einen alten Schwarz-Weiß-Film aus den Vierzigerjahren, dachte Cybil. Die Art Film, in dem die weibliche Hauptfigur ein langes, eng anliegendes Kleid trug und leuchtend rote Lippen hatte. Ihr platinblondes Haar würde fast die Hälfte ihres Gesichts bedecken, während sie im Scheinwerferlicht auf der Bühne stand und mit rauchiger Stimme eine Ballade ins Mikrofon hauchte, über den Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte. Und eben jener Mann würde an der Bar sitzen und mit brütendem Blick in seinen Drink starren, den Hut tief in die Stirn gezogen …

Mit anderen Worten, es war einfach perfekt.

So unauffällig wie möglich schob Cybil sich an der Rückwand entlang, fand einen der wenigen freien Plätze und beobachtete den geheimnisvollen neuen Nachbarn durch eine Nebelwand aus Zigarettenrauch.

Er trug Schwarz, Jeans und T-Shirt. Die Lederjacke hatte er schon abgelegt. Die Frau, mit der er sprach, sah atemberaubend aus. Afroamerikanerin, in einem leuchtend roten Overall, der jede Kurve betonte, stand sie neben ihm, und als sie den Kopf in den Nacken legte und lachte, wirkte sie hinreißend charmant und verführerisch.

Zum ersten Mal sah Cybil ihn lächeln. Nein, ein Lächeln war das nicht. Das wäre eine viel zu harmlose Bezeichnung dafür, wie sein ernstes, strenges Gesicht sich plötzlich entspannte und aufzuleuchten schien. Dieses überwältigende Grinsen besaß eine solche Kraft, dass man es wahrlich nicht mehr nur »Lächeln« nennen konnte.

Von einer Sekunde zur anderen spiegelten sich darin Zuneigung, Lebensfreude und Humor. Automatisch stützte Cybil das Kinn auf eine Hand und strahlte zurück.

Sie vermutete, dass er und die wunderschöne Amazone ein Liebespaar waren, und sah sich in ihrem Verdacht bestätigt, als die Frau sein Gesicht zwischen die Hände nahm und ihn herzhaft küsste. Natürlich, dachte Cybil, ein so geheimnisvoller Mann muss eine exotische Geliebte haben, und natürlich treffen sie sich in einer dunklen, verrauchten Bar, in der die Musik verträumt und traurig ist.

Sie fand es herrlich romantisch und seufzte wehmütig.

Auf der Bühne kniff Delta den genervten Preston zärtlich in die Wange. »Jetzt verfolgen die Frauen dich schon, was?«

»Sie ist verrückt.«

»Soll ich sie hinauswerfen?«

»Nein.« Er sah nicht zu ihr hinüber, aber er spürte den Blick aus ihren großen grünen Augen. »Ich bin sicher, dass sie harmlos ist.«

Delta lächelte amüsiert. »Ich sehe sie mir mal genauer an. Wenn eine Frau meinem Zuckerschnäuzchen nachsteigt, muss ich wissen, woraus sie gemacht ist, nicht wahr, André?«

Der magere Schwarze am Klavier hob den Blick von seinen Tasten gerade lange genug, um sie anlächeln zu können, aus einem Gesicht, das so alt war wie das abgenutzte Instrument, auf dem er spielte. »Nur zu, Delta. Aber tu der Kleinen nichts. Können wir loslegen?«, fragte er Preston.

»Fang du an, ich hole dich ein.«

Während Delta von der Bühne glitt, entlockten Andrés lange, schmale Finger seinem Instrument wahre Zauberklänge. Preston schloss die Augen und ließ Melodie und Stimmung auf sich wirken, dann spürte er, wie die Musik in ihm an die Oberfläche drängte.

Er ließ sich davontragen. Es klärte seinen Kopf, verbannte alle Wörter und Figuren und Szenen, die sich darin tummelten. Wenn er spielte, gab es nichts als die Musik und das fast schmerzhafte Glück, sie zu machen.

Er hatte Delta einmal anvertraut, es sei ähnlich wie Sex. Musik verlangte einem etwas ab, gab etwas zurück. Und es war immer zu schnell vorbei.

Von ihrem Tisch in der hinteren Ecke starrte Cybil fasziniert auf die Bühne. Sie ließ sich von den tiefen Blues-Klängen einhüllen, sank mit ihnen in die Tiefe, richtete sich mit den plötzlichen Schluchzern des Saxofons wieder auf. Ihn spielen zu sehen war ganz anders, als die Musik nur durch die Wände hindurch zu hören. Ihn zu sehen hatte viel mehr Kraft, Kummer, Energie und noch mehr erotische Anziehungskraft.

Es war eine Musik, zu der man weinen konnte. Lieben. Träumen.

Sie lächelte versonnen und war so versunken, dass sie Delta nicht bemerkt hatte.

»Worüber freuen Sie sich so?«

»Hm?« Überrascht drehte Cybil sich zu der Frau in Rot um. »Sie ist wunderbar. Die Musik. Sie geht mir ans Herz.«

Delta zog eine Braue hoch. Das Mädchen sah nicht nur hübsch, sondern auch intelligent aus. Ganz und gar nicht wie eine Verrückte. »Trinken Sie etwas, oder belegen Sie nur den Platz?«

»Oh.« Natürlich, dachte Cybil. Dies ist eine Bar. »Es ist Whiskey-Musik.« Sie lächelte wieder. »Ich nehme einen Whiskey.«

Delta zog kritisch die Braue noch höher. »Sind Sie überhaupt alt genug, um einen Whiskey zu bestellen, Kleine?«

Cybil sparte sich den Seufzer. So etwas passierte ihr immerzu. Sie griff nach der Handtasche und holte ihren Führerschein heraus.

Delta sah ihn sich genau an. »Okay, Cybil Angela Campbell, ich hole Ihren Whiskey.«

»Danke.« Zufrieden stützte Cybil wieder das Kinn auf die Hand und lauschte der Musik, bis Delta zurückkehrte. Erstaunt sah sie, wie die Frau nicht nur ein, sondern zwei Gläser auf den Tisch stellte und sich dann auf den Stuhl neben ihr niederließ.