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Margje ist ein gewöhnliches Mädchen von fast achtzehn Jahren. Sie hat eine Großmutter, die Hohepriesterin in Wicca ist, aber ist das heutzutage so ungewöhnlich? Plötzlich stellt sich heraus, dass ihr wiederkehrender Albtraum mit echter Magie zusammenhängt. Margje landet mit rasender Geschwindigkeit in der Welt der Magie, wo eine schwierige Aufgabe auf sie wartet. Kann ihre aufkeimende Liebe zu Raven damit umgehen? Kann sie sich in dieser seltsamen magischen Welt behaupten, die mit unserer koexistiert?
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Die magische Welt von Margje
Die magische Welt von Margje
Margjes magische Welt
Teil 1: Die Rote Hexe
Urheberrecht © 2019
Autor: Attie Dotinga
Falinn Verlag
NUR-Code 334
ISBN 9789463458092
Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne vorherige Genehmigung des Herausgebers durch Drucken, Fotokopieren, automatisierte Dateien oder auf andere Weise reproduziert werden.
Sie schoss in ihrem schmalen Bett hoch und ihre blauen Augen starrten groß und erschrocken in die Dunkelheit. Ihr Atem ging schnell, noch immer von der Angst erfasst. Schweißgebadet klebten ihre roten Haare an ihrer Stirn. Ihre Hand tastete nach dem Lichtschalter der Nachttischlampe neben ihrem Bett. Ein beruhigendes Licht verdrängte die Dunkelheit.
Margje warf die Decken von sich und spürte die Kühle der Außenluft auf ihren warmen, verschwitzten Beinen. Sie stand auf und ging zum weit geöffneten Fenster, durch das die kühle Morgenluft hereindrang. Langsam beruhigte sich ihr Atem. Schon wieder dieser Traum! Dieser Albtraum! Sie ging ins Badezimmer und schaltete das Licht an. Sie sah noch leichte Spuren der Panik in ihrem Gesicht und seufzte tief.
Sie drehte den Wasserhahn auf und tupfte ihr Gesicht mit dem kalten Wasser ab. Ein Schluck Wasser aus einem großen Glas und sie war wieder vollkommen geerdet. Sie nahm das Glas mit zurück zu ihrem Bett und stellte es auf den grauen Nachttisch neben ihren Wecker. Vier Uhr morgens!
Sie spürte, wie sie durch den Morgennebel abkühlte und schlüpfte wieder unter die Bettdecke. Was für ein Traum! Aber schon wieder derselbe! Und alle sagten ihr, dass Träume Schäume seien, aber so fühlte es sich nicht an. Es fühlte sich so echt an! Plötzlich wurde ihr Blick auf eine Schramme an ihrem Unterarm gezogen, weil diese brannte.
Die war noch nicht da gewesen, als sie zu Bett ging. Außerdem sah sie frisch aus, rot und geschwollen, als hätte sie sich gerade erst aufgeschürft.
Aber das konnte nicht sein.
In ihren Gedanken sah sie wieder, wie sie in ihrem Traum im Dunkeln eine Treppe hinunterging und in einen großen, schwarzen Raum gelangte. Es roch muffig und sie war überzeugt, dass es eine Art Keller war. Plötzlich kam ein Geräusch direkt auf sie zu, und das brachte sie in Bewegung, die Treppe hinauf. Dort schürfte sie ihren Arm an der rauen Steinmauer, von der die Treppe ausging. Aber das war im Traum gewesen!
Krampfhaft suchte Margje in ihrem Gedächtnis nach einer anderen Erklärung.
Vielleicht hatte sie sich gerade an der Wand des Badezimmers aufgeschürft.
Das musste es sein, was sonst? So real konnte niemand träumen! Sie schaltete die Nachttischlampe aus und kroch tief unter die Decke. Sie hatte sich im Badezimmer verletzt. So war es.
Und mit dieser Gewissheit schlief sie ein.
Ihr Wecker klingelte laut. Mit einem Ruck wachte sie auf. Es war schon Morgen. Mit einem Seufzen schwang sie ihre Beine aus dem Bett und stand auf. Es würde ein schöner Tag werden, die Vögel zwitscherten bereits und der Himmel war himmelblau. Margje suchte ihre Kleidung zusammen, eine einfache ausgebleichte Jeans und ein hellblaues Shirt. Schnell wusch sie ihr Gesicht, putzte ihre Zähne und band ihre langen, roten Haare zusammen. Aus der Nähe sah sie im Badezimmerspiegel, dass ihre Sommersprossen sich wieder vermehrten. Sie seufzte.
Das war der Nachteil des Sommers. Und davon, eine Rothaarige zu sein, na ja, es machte Margje nichts aus. Sie war ziemlich stolz auf ihr rotes Haar. Es war selten. Früher war es ein großes Thema gewesen, und es war auch mal karottenrot.
Mit der Zeit hatte ihr Haar einen dunkleren Schimmer bekommen, und die Intensität der Farbe nahm etwas ab. Sie zog abgetragene Turnschuhe an und rannte die Treppe hinunter.
‘Morgen, Papa. ’
Ihr Vater hatte den Tisch bereits gedeckt und schaute von seiner Zeitung auf.
‘Guten Morgen, Liebling. Gut geschlafen? ’
‘Ja, sicher. ’
Etwas in ihrer Stimme ließ ihren Vater die Zeitung beiseitelegen und seine braunen Augen betrachteten sie forschend.
‘Wieder geträumt? ’
Margje zog überrascht die Augenbrauen hoch.
‘Ich dachte schon, ich hätte dich heute früh im Badezimmer gehört, ’ gestand er.
Margje überlegte kurz, ob sie ihm ausführlich von ihrer angstvollen Nacht erzählen sollte. Ihre Gedanken wurden jedoch durch das Geräusch lauter, schneller Schritte auf der Treppe unterbrochen. Die Haustür schlug zu, wurde dann aber sofort wieder geöffnet. Dann erschien das verschlafene Gesicht ihres älteren Bruders kurz in der Tür des Zimmers.
Sie hörte ihn etwas von zu spät murmeln, bevor er den Kopf wieder zurückzog und kurz darauf die Haustür hinter sich zuschlug. Das Geräusch seiner Schritte verklang schnell.
‘Er ist jedenfalls auf dem Weg zur Schule, ’ meinte ihr Vater und schüttelte verständnislos den Kopf.
Erst aufstehen, wenn man gehen musste, dass verstand Margje nicht. Sie schmierte sich langsam ein Knäckebrot, sie hatte alle Zeit der Welt. Sie hatte ihre Prüfungen abgeschlossen und daher schon Sommerferien. Sie hatte den Wecker gestellt, weil sie noch vieles erledigen, wollte an diesem Tag, und außerdem würde es schönes Wetter werden.
‘Ich weiß nicht genau, wann ich heute Abend zu Hause bin, du machst die Einkäufe und kochst? Und vergiss nicht, neue Kräutertee bei Oma zu holen, ganz wichtig, ’ sagte ihr Vater.
‘Hm, ’ antwortete Margje mit vollem Mund und nickte heftig.
‘Da ist etwas an deinem Arm, ’ sagte ihr Vater und ging weg.
Margje nickte und schaute auf ihren Unterarm, in der Annahme, dass es um ihre Schramme ging. Sie sah nur ein paar Brösel vom Knäckebrot, keine Schramme mehr.
Margje genoss das schöne Wetter. Sie fuhr mit dem Fahrrad in die Stadt. Die Vögel im Park zwitscherten, als sie hindurchfuhr. Das mochte sie so sehr an der Stadt, in der sie wohnte: Es gab viel Natur in der Umgebung, so nah am Haus. Vom Park aus kam sie auf die asphaltierte Zufahrtsstraße zur Stadt, bog nach dem Bahnübergang rechts ab und beschloss plötzlich, zuerst zu ihrer Großmutter zu fahren. Sie fuhr weiter, bis sie zum Bahnhof kam, der noch aus dem Jahr 1883 stammte. Sie hatte eine Vorliebe für alte Gebäude und musste warten, um die Straße zu überqueren. Sie spürte wieder eine Art Energie, die ihre Aufmerksamkeit erregte. Es war fast so, als könnte sie die Menschen, die im Laufe der Jahre den Bahnhof passiert hatten, noch hören. So seltsam.
Das Hupen eines Autos riss sie aus ihrer Trance und sie überquerte die Straße. Die Bahnhofstraße war genauso alt wie der Bahnhof und war 1883 der große Eingang der Stadt gewesen. Ihre Oma wohnte in einem der Häuser dort, die früher zur Elite gehörten und es immer noch ein wenig taten.
Sie schwang das schmiedeeiserne Gartentor auf, das laut quietschte, und schob ihr Fahrrad hinein. Der Kies knirschte unter ihren Füßen. Margje wusste, dass Oma meistens im Garten arbeitete, und ging direkt durch. Die Schuppentür stand offen und bildete eine Verbindung zum Hintergarten. Der Duft von Flieder kitzelte ihre Nase, als sie in den Garten trat.
‘Omem? ’
Hinten im Garten sah sie eine Gestalt, die sich über das Kräuterbeet beugte.
‘Omem? ’
Fragend schaute die Frau auf, die viel jünger wirkte, als ihr Oma-Status vermuten ließ, ihre blauen Augen glitten suchend umher.
‘Margje! ’
Oma, die in der Sprache der Friesen ‘oare mem’ – andere Mutter – hieß, reagierte auf die Abwandlung, die ihre Enkelkinder daraus gemacht hatten. Sie umarmte Margje fest und schaute sie fragend an. ‘Gibt es einen besonderen Grund für deinen Besuch, außer dass dein Vorrat an Kräutertee fast aufgebraucht ist? ’
Margje seufzte und wollte es leugnen, sie wusste, dass Oma weitersehen konnte, als das, was sichtbar war. Genau wie sie immer bemerkte, wenn ihr Kräutertee fast aufgebraucht war, ohne dass Margje es gesagt hatte.
‘Es geht wieder um meine Albträume, Omem. Ich habe sie immer häufiger und wache dann schweißgebadet auf. Sie scheinen so real, und letzte Nacht...’ Ihre Oma legte beruhigend ihre Hand auf Margjes Arm und unterbrach damit den Redeschwall.
‘Komm, wir gehen nach drinnen. Erstmal eine Tasse Tee. ’
Margje seufzte und lächelte. Ihre Oma hatte immer eine besondere Art, den Fokus von Unannehmlichkeiten abzulenken. Sie folgte ihrer Oma durch die geöffneten Terrassentüren nach drinnen.
In der kleinen Küche stellte Oma einen großen schwarzen Kessel auf den Herd. Sie kramte in einer Schublade, um den richtigen Kräutertee zu finden. Sie murmelte etwas vor sich hin und schaute zu Margje.
‘Eine Tasse Melisse officinalis wird dir guttun. ’
‘Zitronenmelisse? ’ antwortete Margje sofort, ‘das ist gut. ’
Sie wusste, dass es auch eine beruhigende Wirkung hatte.
‘So, erzähl mir inzwischen, was genau in deinen Albträumen passiert. ’ Oma stellte die dampfende Tasse Tee auf den alten Tisch mit der alten Holzplatte, die Margjes Opa einst gemacht hatte. Es waren schon so viele Geschichten daran erzählt worden. Margje seufzte tief.
‘Ich träume immer wieder, dass ich eine Treppe hinuntergehe, die irgendwo aus einer Wand nach unten führt. Es ist stockdunkel und ich weiß wirklich nicht, wo ich bin. Manchmal bin ich schon unten und versuche, die Umgebung zu ertasten. Ab und zu kommt plötzlich etwas auf mich zu mit einem schrecklichen Geräusch. ’ Sie schaute ihre Oma fragend an.
‘Vielleicht brauche ich etwas von deinem Kräutertee, Omem, um die Albträume zu vertreiben? ’
‘Du träumst das doch schon eine Weile, Liebes. Was macht dich jetzt so angespannt? ’ Oma legte ihre Hände auf die leicht zitternden Hände von Margje. ‘Weißt du, Omem, manchmal fühlt sich alles so echt an. Ich rieche und fühle alles noch, wenn ich aufwache. ’ Margje stoppte ihren Redeschwall abrupt.
Sie holte tief Luft, bevor sie ruhiger von der Schramme an ihrem Arm erzählte.
‘Heute Morgen war die Schramme weg! Manchmal denke ich, ich werde verrückt! ’ In einem Zug kamen ihre Frustration und Angst heraus. Sie schaute ihre Oma an, der sie so sehr ähnelte. Besonders wenn sie die Fotos von ihrer Oma in ihrem Alter ansah. Dasselbe rote Haar und dieselben blauen Augen. Und auch die Ausstrahlung war fast identisch, obwohl Omems Gesichtszüge im Laufe der Jahre weicher geworden waren. Omem war auch eine der wenigen Personen, die sie wirklich verstanden.
‘Margje. ’ Omem schaute sie fest an. ‘Du bist nicht verrückt, Mädchen, wirklich nicht. ’ Margje sah plötzlich eine seltsame Glitzerung in ihren blauen Augen. ‘Du musst noch etwas warten, Kind. Geduld. Bald wirst du achtzehn Jahre alt und dann wird alles klar werden. ’
‘Was denn, Omem? Warum sagst du nicht, was los ist? Weißt du, warum ich diese Träume habe? Und wieso erst, wenn ich achtzehn bin? ’
Oma klopfte ihr beruhigend auf die Hand, aber Margje sah, dass sie nicht weiter ausführen wollte.
‘Geduld, Liebes. Geduld. ’
Man hörte Schritte auf dem Kies, das Geräusch einer sich öffnenden Schuppentür und Raafs langer, muskulöser Körper wurde sichtbar. Wie immer trug er eine zerrissene schwarze Jeans und ein Bandshirt. Sein schwarzes Haar war rasiert, und er trug einen langen Pony, den er unzählige Male am Tag mit der Hand zurechtstrich. Von links nach rechts, obwohl er diesmal den Pony unter einem schwarzen Hut versteckt hatte.
Seine stechend blauen Augen schauten die Welt forschend und misstrauisch an. Er hob kurz die Augenbrauen zum Gruß in Margjes Richtung und küsste Omem auf den Kopf.
‘Hi. ’
Kurz angebunden, wie er meistens war.
Omem schob ihn lachend von sich weg. ‘Ich bin kein Kind, Raaf, das du auf den Kopf küsst. ’ Raafs Augen glitzerten belustigt.
‘Aber ein kleines Omchen. ’
Er nahm eine Tasse, füllte sie mit heißem Wasser und kramte in Omems Kräuterschrank. Er fand, was er suchte, roch daran und nickte zufrieden. Er setzte sich an den alten Küchentisch und schaute Margje an. ‘Was ist los, Rotschopf? ’ Margje seufzte.
‘Nichts, Metalhead, ’ es klang ziemlich bissig, wie sie selbst feststellte.
Aber Raaf lächelte entwaffnend.
‘Womit belästigst du Omem dann? ’
‘Wieso? ’
‘Ich sehe es an deinem Gesicht und fühle es in deiner Energie. Du hast irgendetwas auf dem Herzen. ’ Es klang nicht wie eine Frage, sondern mehr wie eine Feststellung. Raaf blies in seine Tasse und schien den aufsteigenden Duft zu genießen.
Margje schaute ihn an.
Sie kannte Raaf erst seit ein paar Jahren. Plötzlich war er in ihr Leben getreten, als ob es selbstverständlich wäre. Sie hatte ihn zum ersten Mal bei Omem getroffen, die häufiger Jugendliche zu Besuch hatte.
Omem hatte ein Herz für Jugendliche in Not und Margje ging davon aus, dass er einfach einer von ihnen war. Danach tauchte er immer wieder irgendwo in ihrer Nähe auf, und so wurden sie Freunde. Sie fühlte sich in seiner Gegenwart wohl und konnte sich nicht einmal mehr vorstellen, wie das Leben ohne ihn gewesen war. ‘Meine Albträume sind schlimmer geworden, ’ sagte sie heftig. ‘Sie sind fast real! ’
Tauschten Omem und Raaf einen Blick des Einvernehmens aus oder sah sie das nicht richtig?
‘Heftig, ’ reagierte Raaf.
Sie schaute ihn forschend an.
‘Das ist alles? Heftig? ’
‘Was willst du, dass ich sage? ’
Raaf zog fragend die Augenbrauen hoch.
‘Es ist nicht nur heftig, Raaf! Es ist unheimlich, gruselig! ’
‘Wow. ’ Raaf machte eine abwehrende Geste, ‘das ist wirklich heftig, Margje! ’ ‘Sorry. ’
Ihr Ausbruch klärte jedoch die Luft, und die heftige Angstenergie wurde abgeführt. Sie erzählte ihm von der Schramme, die sie an ihrem Unterarm gesehen hatte, nach dem Albtraum, der so real wirkte.
‘Ja, das ist gruselig, ’ bestätigte Raaf mit einem ernsten Blick in seinen stechend blauen Augen.
Omem stand auf und schaute Raaf kurz stirnrunzelnd an.
‘Ich gehe noch etwas im Garten arbeiten, ihr jungen Leute. ’ Und sie setzte ihre Worte in die Tat um.
‘Omem weiß mehr darüber, ’ sagte Margje und schaute ihrer Oma nach. ‘Sie sagte, ich solle warten bis zu meinem achtzehnten Geburtstag, und dann würde alles klar werden. ’
‘Das ist wirklich gruselig, Margje! ’
Die Art, wie er das sagte, brachte sie zum Lachen. Und das war auch eine seiner Tugenden. Er brachte sie immer zum Lachen.
Sie stand auf, fühlte, wie ihre Energie leichter wurde, es tat gut.
Ich gehe. Ich muss noch einkaufen. ’ Sie verschwand gehend um die Hausecke. ‘Und kochen! ’ rief sie noch.
Er sah ihr nach mit einem speziellen Gefühl im Körper. Er wurde unruhig, was immer häufiger passierte, wenn er sie sah. Er sah Moon, wie er sie nannte, im Garten das Kräuterbeet hacken und trank den letzten Rest seines Tees aus. Er musste Ruhe finden, er war erschöpft. Raaf rannte die zwei Treppen hinauf in sein Zimmer im obersten Stockwerk. Er schaltete seine Musikanlage ein und ließ sich auf das Bett fallen. Die Müdigkeit überkam ihn plötzlich, als er sich entspannte. Die Heavy-Metal-Musik erfüllte den Raum, und er schloss die Augen. Er verlor sich im heftigen Rhythmus der Musik. Nichts denken und fühlen, nur diesen Bass in seinem Körper spüren. Das Doppelleben forderte seinen Tribut. In Gedanken kehrte er zurück zu jener Nacht, als er im Dunkeln ein Mädchen eines Ortes zum anderen brachte. Wieder so eine geheime Rettungsaktion, um die Moon ihn immer bat. Die Erinnerung an ihre dankbare Umarmung war noch sehr lebendig. Wie sie ihren Mund auf seinen drückte. Raaf lächelte bei der Erinnerung und seufzte tief. Vielleicht sollte er zuerst eine lange, kalte Dusche nehmen. Denn dieses rothaarige Mädchen drängte sich auch schon wieder in seine Gedanken. Mit einem tiefen Seufzer stand er auf und schaltete die Musik aus. Seine Kleidung blieb liegen, wo er sie ausgezogen hatte. Dann ging er mit einem Handtuch in den Flur zu dem Badezimmer. Im Spiegel sah er allerlei Kratzer und blaue Flecken auf seinem Rücken. Er verstand, warum es so unangenehm war, auf dem Rücken zu liegen. Nach einer langen Dusche ließ Raaf sich erschöpft auf das unordentliche Bett fallen und schlief schnell tief ein. Er träumte wirr und plötzlich handelte es von Margje, und er wollte sie in seine starken Arme nehmen und sie leidenschaftlich küssen. ‘Raaf! ’ Mit einem Schock öffnete er seine Augen. Moon stand plötzlich in seinem Zimmer und weckte ihn rufend aus diesem tiefen, verwirrenden Schlaf. ‘Ja, was? ’ Seine Stimme klang noch heiser, weil er plötzlich geweckt wurde. Und er richtete sich mühsam auf, weil seine Muskeln noch gegen diese seltsame Schlafhaltung protestierten. ‘Sorry Raaf, wir brauchen deine Hilfe erneut, einige Leute sind in Gefahr. ’ Moon bückte sich und hatte eine Salbe in der Hand, die sie selbst mit Kräutern hergestellt und mit einem Wicca-Zauber verstärkt hatte. ‘Warte einen Moment, Junge, lass mich erst deine Wunden eincremen. ’ Die kühle Salbe auf seinem Rücken fühlte sich gut an, bis er bemerkte, dass er nur in einem Handtuch gekleidet war. Er fühlte sich sehr unwohl. Moon lächelte und stand auf. ‘Ich gehe nach unten, bis gleich. ’ Er nickte. Schnell zog er seine Boxershorts, die Arbeiterhose und ein schwarzes T-Shirt an, Socken, Stiefel und fertig. In der Küche roch es nach warmem Essen, und Raaf verspürte Hunger. Moon hatte ihm schon einen Teller serviert, den er mit Genuss, aber eilig hinunterschlang. ‘Diesmal sind es drei Menschen in Not, ’ erklärte sie ihm. Er nickte, es schienen immer mehr zu werden, die seine Hilfe brauchten. Sie erzählte ihm, wohin er gehen sollte und was der Zweck der Rettung war. Sie gab ihm ein Amulett und ein Kräuterbeutelchen mit, die ihm bei seinen Aufgaben helfen könnten. ‘Sei vorsichtig, ’ sagte sie und sah ihn besorgt an. ‘Bin ich immer, ’ antwortete er und lächelte. ‘Raaf, ich meine es ernst. ’ Er sah den ernsten Blick in ihren blauen Augen und nickte zustimmend. ‘Ich werde so vorsichtig wie möglich sein, ’ versprach er und machte sich auf den Weg in den Keller.
Es war schon wieder Morgen, als Raaf nach Hause zurückkehrte. Diesmal sah er aus, als hätte er sich im Schlamm gewälzt, und so roch er auch. Ein Mädchen begleitete ihn, das nicht viel besser aussah. ‘Moon, Rosmarijn. Rosmarijn, Moon. ’ Er machte nicht viele Worte und ließ sie bei Moon zurück. Er rannte nach oben, um zu duschen. Die warmen Wasserstrahlen waren eine Wohltat für seine Muskeln, die in den letzten Tagen viel mitgemacht hatten. Er stand eine Weile mit geschlossenen Augen da und genoss es. Danach ging er in sein Zimmer und zog seine Boxershorts an. Die Tür öffnete sich leise. ‘Ich wollte dir danken, ’ sagte Rosmarijn und ließ ihre Augen über seinen Körper wandern, der noch von den warmen Wasserstrahlen dampfte. Er nickte. ‘Das ist okay. ’ Sie schloss die Tür leise und sah ihn weiterhin an. Auch sie hatte geduscht. Er sah, wie das Wasser noch aus ihrem langen, blonden Haar tropfte. Er stand auf und überragte sie mit seiner langen Gestalt. ‘Ich sagte, es ist okay, ’ sagte er freundlich und wollte die Tür öffnen, um sie hinauszuschicken. Plötzlich schlang sie ihre Arme um seinen Hals und zog ihn zu sich. Sie küsste ihn leidenschaftlich und drückte sich gegen ihn. Einen Moment war er sprachlos und fühlte, wie er reflexartig auf sie reagierte. Sie drückte ihn aufs Bett, wodurch er rückwärtsfiel und sie auf ihm landete. Dann küsste sie ihn erneut leidenschaftlich. Er packte ihre Arme und löste sich aus ihrer Umarmung. ‘Ein Dankeschön hätte gereicht, ’ brummte er, stand auf, half ihr hoch und schob sie aus dem Zimmer. Er schloss die Tür ab und setzte sich auf die Bettkante. Mein Gott, manche Frauen waren sehr heftig in ihren Dankesbekundungen, sie wussten immer, wie sie seine Leidenschaft entfachen konnten! Er spürte, wie die Sehnsucht durch seinen langen Körper zog. Plötzlich musste er an Margje denken. Sie kam ihm immer wieder in den Sinn. Raaf schaltete die Stereoanlage ein, um sich abzulenken. Er schaute aus dem Fenster und sah die helle Sonne am strahlend blauen Himmel. Er wusste, dass es wieder ein heißer Tag werden würde und das Schlafen wahrscheinlich wieder schwierig wäre. Dieses rothaarige Mädchen mit den vielen Sommersprossen und den blauen Augen, die ihn manchmal so empört ansahen. Sie war wieder da und machte ihn unruhig. Er schaltete die Musikanlage wieder aus, diese Gedanken halfen ihm auch nicht, sich zu beruhigen. Raaf legte sich hin, und es dauerte noch eine ganze Weile, bis er in einen tiefen, unruhigen Schlaf fiel.
Erst am frühen Abend wachte er auf, mit Muskeln, die laut protestierten, wenn er sich bewegte, und einem heftigen Hunger. Vielleicht war es eine Idee, wieder häufiger ins Fitnessstudio zu gehen, dachte er und zog sich schnell an. Er rannte nach unten, um einen Teller warmes Essen zu holen, und der Duft kam ihm schon auf halber Treppe entgegen. Rosmarijn saß auch am Tisch und sah ihn immer wieder über ihren Teller hinweg an. Wenn er ihren Blick erwiderte, lächelte sie verführerisch. Raaf wusste, dass er für die Frauen und Mädchen, die er rettete, attraktiv war, er war dann eine Art Held. Er wies ihre Aufmerksamkeit immer höflich zurück, obwohl das nicht die einfachste Aufgabe war. Er war schließlich ein gesunder Junge. Aber er kannte die Magie-Regel. Kein Sex vor dem 21. Geburtstag. Eine Hexe oder ein Magier musste ihr oder sein volles Potenzial entfalten können. Dazu war es notwendig, die eigene Energie so rein wie möglich zu halten. Bei Sex wurde Energie vermischt, zumindest bei Penetration. Man konnte zwar auch anders vorgehen, mit Händen oder Mund, aber eigentlich war das verboten. Enthaltsamkeit wurde verlangt. War das alles zu schwierig, gab es noch die Möglichkeit, ein sehr starkes Anti-Liebeselixier zu verwenden, dass die Leidenschaft dämpfte. Er bekam regelmäßig eine Flasche davon von Moon. Sie gab es ihm immer mit einem warnenden Blick in ihren Augen. Raaf war fertig mit dem Essen und ging in die Bibliothek, jedoch dicht gefolgt von Rosmarijn. Er sah sie an und seufzte tief. All ihre Energie war auf ihn gerichtet, das konnte er fühlen. ‘Rosmarijn, ich habe kein Interesse, ’ sagte er noch einmal zur Klarstellung. Einen Moment lang flog ein enttäuschter Ausdruck über ihr Gesicht. ‘Hast du dann eine Freundin? ’ fragte sie. Auch das war so eine Frage, die ihm immer gestellt wurde. Er wusste, dass, wenn er darauf negativ reagierte, er für den Rest der Zeit verfolgt würde. Als ob er dann überredet werden könnte, auf diese alternative Weise mit ihnen zu schlafen, die eigentlich auch nicht erlaubt war. Diesmal versuchte er es anders. ‘Ja. ’ ‘Ich glaube dir nicht, ’ sagte Rosmarijn, ‘wo ist sie dann? Wenn ich deine Freundin wäre, wäre ich ständig in deiner Nähe. ’ Er lächelte amüsiert.
Sie lebt zwischen dem Normalen, und wir haben beide auch noch ein eigenes Leben.’ Sie runzelte kurz die Stirn und betrachtete ihn prüfend.
‘Und sie liebt dich sehr?’ ‘Über alles,’ antwortete er und nickte.
‘Wie heißt sie denn dann?’ ‘Warum willst du das alles wissen?’ fragte er amüsiert.
‘Weil ich denke, dass du das nur sagst, um mich loszuwerden,’ sagte sie ehrlich. Das konnte er schätzen.
‘Ihr Name ist Margje,’ sagte er. ‘Sie ist die Enkelin von Moon. Frag ruhig nach.’
Sie sah ihn an, stand auf und ging weg. Er hatte keine Ahnung, ob sie wirklich Moon um Bestätigung bitten würde.
Später am Abend saß Raaf am Kamin, der übrigens nicht brannte, dafür war es viel zu warm. Er dachte nach.
Margje kam in letzter Zeit oft in seine Gedanken. Überall sah er ihr flammendes Haar und ihre wechselnden blauen Augen.
Sein Herz schlug dann schneller. Es machte ihn unruhig. Vielleicht sollte er etwas damit anfangen? Es wäre seltsam, das mit Moon zu teilen. Was sollte er sagen? ‘Moon, deine Enkelin macht mich verrückt, einfach nur durch ihre Anwesenheit? Ich vergleiche jede Frau mit ihr?’ Ach, das war natürlich alles Unsinn, seine Beziehung zu Margje war rein freundschaftlich. Schon seit dem Tag, an dem er in ihr Leben getreten war. Seine einzige Aufgabe war es, sie zu beschützen, so wie Moon es damals von ihm verlangt hatte.
Und so blieb es einfach dabei. Viel einfacher für alle Beteiligten. Dann konnte er wenigstens normal mit ihr umgehen.
Er schob seine Gedanken beiseite und trank seinen Kaffee. Aber die verwirrenden Gefühle verschwanden nicht aus seinem Körper, egal wie sehr er versuchte, sie zu ignorieren.
Die Treppe war kaum beleuchtet, die Steinmauer so uneben, dass die unterschiedliche Dicke zusätzliche Schatten warf. Sie ging Zoll für Zoll hinunter, bis ihre nackten Füße den Boden am Ende der Treppe berührten. Dort war es stockdunkel. Sie konnte nur vage Umrisse erkennen, wusste aber nicht, von was oder wem. Ihr Atem beschleunigte sich. In der Stille war es, als würde sie zu viel Lärm machen, allein durch das Einatmen. Vorsichtig schaute sie sich um, alle Sinne geschärft. Wieder fiel ihr auf, dass es seltsam roch. Nicht modrig, nicht nach feuchter Erde, sondern alt, mit einem Hauch von Sandelholz.
Ja, das war es. Sandelholz, das sie bei ihrem Großvater gerochen hatte, der verrückt nach Weihrauch war und regelmäßig etwas anzündete. Sie setzte ihren Weg fort, jeden Schritt bedacht. Der Boden war uneben und aus Stein, das spürte sie unter ihren nackten Füßen. Sie war stolz darauf, dass sie sich trotz ihrer Angst Zeit nahm, dies zu bemerken. Die Forschung lenkte ihre Aufmerksamkeit um. Sie schaute sich um, um abzuschätzen, wo die Treppe zur Sicherheit führte. Ihre Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit, und sie konnte immer mehr unterscheiden.
‘Es wäre schön, wenn hier Licht wäre’, flüsterte sie leise vor sich hin. Und plötzlich erhellte ein sanftes Licht den Raum. Ihr Herzschlag überschlug sich und sie unterdrückte einen Schrei. Halb auf dem Weg zurück zur Treppe blieb sie stehen. Der Anblick dessen, was sie sah, übte eine gewisse Faszination auf sie aus und verlangsamte ihre Bewegung.
Sie befand sich in einer Art unterirdischem Raum. Es schien wie ein Tunnel, eine ausgegrabene Stelle. Sie schätzte die Höhe auf etwa zwei Meter fünfzig, da sie selbst ein siebenundsiebzig Meter groß war. Der Boden bestand tatsächlich aus schweren Steinen, wie sie bereits gespürt hatte. Laternen brannten in den Nischen der Mauer. Margje ging näher heran. Kerzen in den Laternen! Wie konnten plötzlich Kerzen brennen? Und alle gleichzeitig? Das beunruhigte sie wieder, und die Angstspannung baute sich in ihrem Magen auf, während ihr Herzschlag beschleunigte.
Plötzlich erklang eine laute Stimme, die ihren Namen rief.
Margje saß plötzlich aufrecht. Schweiß auf ihrer Stirn, ein schnell schlagendes Herz, keuchende Atmung. Sie seufzte tief und versuchte, sich zu beruhigen. ‘Mein Gott’, flüsterte sie und legte sich wieder in die vielen weichen Kissen zurück.
Die Stimme, die ihren Namen gerufen hatte, hallte immer noch in ihrem Kopf wider. Obwohl es sie ängstigte, überwog ihre Neugierde. Sie versuchte sich zu erinnern, wer es gewesen sein könnte, der ihren Namen gerufen hatte. Es kam ihr bekannt vor, aber sie konnte es nicht klar zuordnen. Margje klopfte ihre Kissen auf und drehte sich auf die linke Seite, ihre bevorzugte Einschlafposition, und entspannte sich. Noch ein paar Tage, dann würde sie achtzehn Jahre alt werden. Und dann hatte Opa etwas für sie, etwas, das mit dem wiederkehrenden Traum zu tun hatte, den sie seit Jahren hatte.
Erst seit kurzem träumte sie von der dunklen Treppe. Früher lief sie nur durch ein dunkles Haus. Diese Treppe konnte sie nicht einordnen. Das Haus ähnelte ein wenig dem ihres Großvaters, aber sie hatte dort noch nie eine solche Treppe gesehen. Und erst recht keine großen Tunnel mit Kerzen, die von selbst angingen und auch noch alle gleichzeitig.
Margjes Augenlider wurden schwer vom Grübeln, und sie fiel langsam in einen unruhigen Schlaf.
‘Thom! Tho-om!’
Margje rief laut unten auf der Treppe im Flur. Ihr Bruder musste um acht Uhr zur Schule gehen, und sie hatte noch nichts von ihm gehört.
‘Thom!’
Genervt griff sie nach ihrem Handy und rief ihn an. Sie hörte sein Telefon über ihrem Kopf klingeln, hörte es vibrieren.
‘Ja?’, krächzte seine Stimme am anderen Ende der Leitung.
Das klang verschlafen!
‘Thom, es ist acht Uhr vorbei!’, meldete sie ihm.
‘Ja... was?’
Er legte auf, es folgte viel Lärm, bei dem sie einschätzte, dass er aufstand, fiel, sich anzog, wieder fiel, seine Tasche packte und schließlich oben an der Treppe erschien.
Sein blondes Haar stand zu Berge, und auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck totaler Verzweiflung und Unglaube.
‘Wie spät ist es?’
‘Fast acht Uhr’, sagte sie mit einem triumphierenden Lächeln.
‘Hä? Oh.’
Er verstand, dass sie ihn über die Zeit belogen hatte, eine Notlüge.
In einem etwas weniger gehetzten Tempo kam er die Treppe weiter hinunter.
‘Hier ist dein Lunchpaket.’ Margje hielt ein eingepacktes Paket hoch, verpackt in Folie.
‘Erdnussbutter mit Käse.’
Ein erleichtertes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
‘Mein Dank ist groß, Schwesterchen.’
Im Vorbeigehen drückte er ihr einen Kuss auf den Kopf, schnappte sich das verpackte Brot und ging ruhig zur Haustür.
‘Tschüss’, klang es noch.
Margje lachte laut, ging in das kleine Wohnzimmer und ließ sich auf das graue Ecksofa fallen.
‘Nicht so ploffen’, murrte ihr Vater, ‘du könntest auch ruhig hinsetzen.’
Er sah sie untersuchend an.
‘Oma hat mich gefragt, ob es okay ist, dass du diesen Sommer bei ihr einziehst.’
‘Einziehen?’
‘Es hat etwas mit ihrem Kräuterstudium oder so zu tun und mit all ihren Projekten, bei denen sie etwas Hilfe gebrauchen könnte.
Margje sah ihren Vater an und bemerkte, dass er müde aussah. Sie wusste, dass er lange Stunden in der Fabrik verbrachte, wo er als Polierer und Schweißer in der großen Produktionshalle arbeitete. Es war ein altes Handwerk, das er sein ganzes Leben lang ausgeübt hatte. Sein dunkles Haar begann an den Seiten schon weiß zu werden und von dort aus gab es eine Mischung aus Grautönen in verschiedenen Abstufungen. Seine braunen Augen sahen sie liebevoll an.
‘Lass dich nicht von Oma verrückt machen, ich weiß, dass sie manchmal sehr intensiv sein kann’, lächelte Margje.
‘Das wird schon gut gehen, Papa. Schaffst du es allein hier?’