Die Midgard-Saga - Svartálfaheimr - Alexandra Bauer - E-Book

Die Midgard-Saga - Svartálfaheimr E-Book

Alexandra Bauer

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Beschreibung

Verzweifelt darüber, dass Odin kein Interesse daran zeigt, ihr den Weg zurück nach Hel zu ermöglichen, befreit Thea die einzige Person, die ihr in ihren Augen noch helfen kann. Doch mit dieser Tat bringt sie ganz Asgard gegen sich auf. Zuflucht findet Thea ausgerechnet in Schwarzalbenheim. Dort begegnen ihr alte Feinde und Gefahren. Bald entdeckt sie, dass Loki nicht alleine in den Lauf des Schicksals eingegriffen hat. Entschlossen, die Ereignisse zu korrigieren, trifft sie eine schwere Entscheidung.

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Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
Personen und Wesen – Midgard-Saga 7 – Svartálfaheimr

Impressum neobooks

Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Svartálfaheimr

Die Midgard-Saga

~ Svartálfaheimr ~

Alexandra Bauer

Copyright © 2024 Alexandra Bauer 1. Auflage D-65817 Niederjosbach

[email protected]

Illustration Petra Rudolf

All rights reserved.

Signierausgabe

Prolog

Mit schweren Gedanken lag Thea in Toms Armen und beobachtete die Feiernden, die vielzählig um sie herum durch die Halle streiften. Die Personen an den Tischen wechselten seit Stunden kontinuierlich. Krakeelend strömten sie aus den anderen Räumen Walhalls heran, ließen sich nieder, stießen ihre Becher zusammen, bejubelten den Sieg über Asgards Feinde und verschwanden wieder, um neuen Ankömmlingen Platz zu machen. Der Sitz neben Thea erfreute sich großer Beliebtheit. Tisch und Bank klebten vom Met, den die Krieger mit fortschreitender Erheiterung und zunehmend unkontrollierten Bewegungen beim Zuprosten mit ihrer Heldin vergossen. Nicht selten trafen Bier und Met dabei Theas Kleidung. Zu Beginn hatte sie sich noch bemüht, die Spuren des Gelages wegzuwischen, es dann aber aufgegeben. Juli, nach ihrem mutigen Aufeinandertreffen mit Vidar und Thor längst dem Rausch des Alkohols erlegen, wackelte freudetrunken von einem Tisch zum anderen und fiel mehr auf ihre neuen Plätze, als dass sie sich setzte. Irgendwann schwang sie den Arm um Tjorben und entschwand mit ihm in den Raum nebenan. Thea starrte ihrer Freundin nach, ohne zu verfolgen, wohin sie ging. Odins Worte hämmerten in ihrem Kopf. Er hatte ihre Hoffnung, eines Tages Vergebung von Hel zu finden, mit nur einem Satz zerschlagen. Er offerierte ihr einen Aufenthalt in Asgard bei Tom oder eine Rückkehr zu ihrer Familie nach Midgard. Nichts davon ließ sie zuversichtlich in die Zukunft schauen. Der Allvater gab ihr eine Wahl, die, egal wie sie sich entschied, nur Verlust mit sich brachte. Toms Nähe tat ihr gut, sie schenkte ihr Trost und für einen zarten Augenblick ein Gefühl von Unbeschwertheit. Gleichzeitig fühlte sie sich in seinen Armen unendlich bedrückt. Sie war nicht in der Lage, einfach nur Thea zu sein, eine junge Frau, die bei ihrer Familie in Midgard lebte und einen anderen Menschen liebte, wie sie es normal für ihr Alter empfand. Sie war so viel mehr. Sie war Fengur, ein Schmied, der ein erfülltes Leben mit Frau, Kindern und Kindeskindern gelebt hatte - auch über deren Tod in Midgard hinaus. Nichts wünschte sie sich sehnlicher als das Mädchen zu sein, das sie einst war. Doch dafür war es längst zu spät. Zerrissen zwischen drei Welten und Menschen, die sie dort liebte, kreisten ihre Gedanken wild in ihrem Kopf. Falls sie in Asgard bliebe, würde sie Tom gewinnen, aber ihre beiden Familien verlieren. Kehrte sie nach Midgard zurück, musste sie von Tom loslassen. Sie wäre in der Lage, ein Leben mit ihren Eltern, Mats und Juli zu teilen, doch was würde danach folgen? Sie hatte Ragnarök abgewehrt, eines Tages würden sie alle den friedlichen Strohtod sterben. Während Thea in den Kreis der ewigen Wiedergeburt treten würde, so wie es Hel verfügt hatte, wären alle Menschen, die ihr etwas bedeuteten, in die Totenwelt gegangen. Selbst wenn Odin sie wieder in Asgard aufnahm, sie hätte zwei Familien verloren - auch Geirunn. Nie waren Thea die Erinnerungen an ihre einstige Gefährtin so nah und allgegenwärtig wie jetzt, da sie mit ihr zusammen in der Totenwelt gereist war und Jahre gemeinsamer Erlebnisse mit ihr geteilt hatte. Im Nu fühlte sie sich wie eine Ehebrecherin. Hier in Walhall lag sie in Toms Armen, obwohl sie Geirunn erst vor wenigen Stunden das Versprechen gegeben hatte, alles dafür zu tun, um zu ihr zurückzukommen. Jäh wurde ihr Toms Umarmung zu eng. Liebevoll ergriff sie dessen Hand und schlüpfte unter seinem Arm hindurch.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er.

Thea nickte. „Ja“, log sie. „Ich will mir nur die Beine vertreten.“

Ein Krieger prostete Tom zu und lachte. „Bei einem Menschen muss der Met wieder raus!“

„Genau“, stimmte Thea zu, froh darum, dass der Mann die passende Ausrede für sie aufgezeigt hatte.

„Du findest mich hier“, sagte Tom rasch.

„Leider“, wollte Thea antworten, stattdessen nickte sie und erwiderte: „Ich weiß.“ Sie lächelte ihm zu und schob sich an den Feiernden vorbei in den nächsten Raum. Ihre Fylgja folgte ihr, ebenso wie das erfreute Grölen unzähliger Kehlen, sobald Thea entdeckt wurde. Begeisterte Einherjer ließen sie langsamer vorankommen, als es ihr lieb war, dabei wünschte sie sich in diesem Moment nichts mehr, als einen Platz für sich und ihre sich überschlagenden Gedanken zu finden. Für ihr Dilemma musste es eine Lösung geben und sie glaubte zu wissen, wo sie diese fand. Scheinbar jeder Krieger wollte ihr auf die Schulter klopfen, selbst diejenigen, von denen sie überzeugt war, dass sie es längst getan hatten. Eine Soldatin fiel ihr um den Hals und lallte ihr ins Ohr, wie unsagbar stolz sie auf ‚Kyndills Trägerin‘ sei, vier weitere Einherjer folgten ihrem Beispiel und Thea kam nur mit Mühe von ihnen los. Als sie sich vor ungewollten Blicken geschützt wähnte, huschte sie nach draußen. Vor Walhalls Toren zeigte sich die Götterburg wie ausgestorben. Wer nicht schlief, schien in der Walstatt zu feiern. Die Fylgja blieb neben ihrem Schützling stehen und sah fragend an ihm hoch. Thea begegnete dem Blick des Folgegeistes und presste entschuldigend die Lippen zusammen. Sie hatte eine Idee, doch diese würde niemandem gefallen.

„Djarfur, bist du da?“, schickte sie ihrem Begleiter einen Gedanken.

Das Pferd antwortete mit offenem Staunen: „Ja, meine Heldin. Was ist passiert?“

Selbst in der Sprache des Geistes wagte Thea es kaum auszusprechen. Sie flüsterte ihre Worte nur: „Ich brauche dich.“

„Was ist geschehen? Wo bist du?“

Thea sah sich um. Die Stimmen der Einherjer drangen bis zu ihr auf den Platz hinaus. „Vor den Toren Walhalls.“

Sie hob den Blick in das Meer der Sterne, die wie Milliarden kleiner Warnsignale über ihrem Kopf funkelten. Sie versuchte ihr pochendes Herz zu ignorieren, ruhig zu atmen und rieb sich gleichzeitig die feuchten Hände.

Leichtfüßig und beinahe geräuschlos setzte Djarfur neben ihr auf. Liebevoll stieß er sie mit der Stirn an. Für einen Moment verweilte er in Theas Liebkosung, ehe er leise schnaubte.

„Was ist geschehen, meine Heldin? Du bist traurig.“

„Odin sagt, ich könne bei Tom in Asgard bleiben“, erklärte sie.

Das Pferd wieherte fröhlich. „Wie wunderbar! Dann werden wir ebenfalls zusammenbleiben.“

Thea presste die Stirn an die des Tieres. Tränen tropften auf sein dunkles Fell, während sie nach Worten suchte.

Djarfur schnaubte leise. „Es scheint dich nicht zu erfreuen.“

„Ich würde meine Familie nie wiedersehen.“

Erneut schnaubte der Rappe. „Irgendetwas sagt mir, dass du nicht von deinen Eltern in Midgard sprichst.“

Thea schüttelte den Kopf.

„Was ist geschehen? Odin wollte sich doch für dich bei der Totengöttin einsetzen.“

„Er glaubt nicht, dass sie sich erweichen lässt, genauso wenig wie sie seiner Bitte nachkam, Balder gehen zu lassen.“

„Ich verstehe. Aber wie kann ich dir helfen. Ich bin nur ein Pferd und ein schlechter Ratgeber. Was sagt Wal-Freya dazu?“

„Sie ist damit einverstanden.“

Erneut schnaubte Djarfur. Es klang wie ein langes Seufzen. „Du aber nicht.“

„Ich habe Geirunn versprochen zurückzukommen.“

„Seine Versprechen muss man halten. Aber was hast du vor? Willst du dich ein weiteres Mal in die Totenwelt einschleichen? Bin ich deshalb hier? Du wirst dort keine Ruhe finden, wenn Hel es herausfindet.“

Thea schüttelte den Kopf. „Nein, aus diesem Grund habe ich dich nicht gerufen ...“ Sie holte Luft und sammelte all ihren Mut, ehe sie die Frage stellte: „Kannst du mich zu Loki bringen?“

Hastig trat Djarfur zurück. Mit aufgerissenen Augen sah er seine Heldin an und schnaubte abfällig. „Zu ... Loki?“

Thea hob beschwichtigend die Hände. „Er ist der Einzige, der mir jetzt noch helfen kann.“

„Wie sollte er? Er liegt bis zum Weltenende angebunden auf den Felsen.“ Der Rappe sah kurz zu Walhalls Toren und mit einem nie gekannten Gesichtsausdruck blanken Entsetzens zurück zu Thea. „Nein! Daran darfst du nicht einmal denken!“

„Ich will nur mit ihm reden.“

„Ich bin in diesem Gespräch das Pferd, aber selbst ich besitze genug Vorstellungskraft, um zu ahnen, dass es nicht dabei bleiben wird. Er wird dir nie ohne eine Gegenleistung helfen, das weißt du ebenso wie ich!“

Thea rieb sich die Augenbrauen. Djarfur hatte Recht, das wusste sie, aber sie durfte nicht auf ihr Gewissen hören, sie musste es für sich tun. Sie hatte zu viel für die Götter geopfert, um jetzt auf diese Weise von ihnen enttäuscht zu werden. Von Odin hatte sie keine Hilfe zu erwarten, das wusste sie nun. Loki hatte es vorausgesagt und es ihr in der Höhle deutlich gemacht: die Asen würden ihr eine Rückkehr zu Geirunn nie zugestehen. Ob sie es nicht vermochten oder wollten, spielte für Thea keine Rolle mehr. Der Feuergott hatte Recht. Nur er konnte ihr helfen zurückzukehren. Sie musste von ihm erfahren wie. Egal welche Gegenleistung es mit sich brächte, sie würde sich auf nichts einlassen, das den Asen oder ihrer Familie schadete. „Sie sind alle am Feiern, selbst Heimdall. Ich werde nie wieder eine Gelegenheit dazu bekommen mit ihm zu reden. Aber ich muss es tun. Ich darf nichts unversucht lassen. Ich habe es Geirunn versprochen.“

Djarfur schnaubte herablassend. „Nun, dann helfe ich dir. Der Allvater ließ mich fesseln, weil er Verrat von mir befürchtete. Wir wollen ihn in keiner Weise enttäuschen, indem ich jetzt vernünftig bin. Ich folge dir, egal was du tust, denn du hast es immer gut mit mir gemeint und auch wenn ich nur ein Pferd bin, fühle ich, dass du nichts Böses im Schilde führst.“

Thea stiegen Tränen in die Augen. Erleichtert fiel sie dem Rappen um den Hals. „Danke! Du bist ein echter Freund!“ Sie sprang auf seinen Rücken und suchte Halt an seiner Mähne. „Dann los! Bring mich zu ihm.“

Djarfur hastete durch die Dunkelheit hinab nach Midgard. Noch immer war das Meer unruhig. Hohe Wellen schlugen dort gegen die Steilküste, wo Jörmungand es aufgewühlt hatte. Nahe einiger Felsen, die in schroffen Reihen entlang einer schneeverwehten Senke verliefen, setzte er auf. Thea erkannte den Pfad wieder. Sie sprang von Djarfurs Rücken und folgte dem Steig hinab, bis sich der Höhleneingang vor ihren Augen abbildete. Sie ballte die Fäuste und holte noch einmal Luft. Dann trat sie ein. Herabfallende Wassertropfen durchbrachen die gespenstische Stille, welche in der Dunkelheit vorherrschte. Die Aura der Fylgja leuchtete den Platz aus und spiegelte sich rot in den feuchten Wänden wider. Thea wollte warten, bis sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse anpassten, doch sie war kaum den ersten Schritt gegangen, als sich unter das Geräusch der fallenden Tropfen ein abfälliges Knirschen mischte.

„Guck an, wer sich zu uns bemüht. Thea Helmken, das Gottgeschenk!“ Lokis Stimme war so hasserfüllt, dass Thea ein kalter Schauer über den Rücken lief.

Sigyn, eine Schale zwischen das tropfende Maul der Schlange und dem Gesicht ihres Mannes haltend, sah erstaunt auf. „Thea? Was tust du hier?“

Abfällig hob der Feuergott die Oberlippe. „Tritt nur näher, Mädchen, guck dich genau um! Das alles hier ist dein Werk!“

Mit Abscheu dachte Thea an die Ereignisse in der Höhle zurück. Es war nicht viel Zeit vergangen, seit sie diese verlassen hatte. Auf dem Boden schimmerte noch immer Narfis Blut. Ihr Blick fiel unwillkürlich auf die Fesseln des Feuergottes. „All das hier ist das Ergebnis deines eigenen Handelns“, erwiderte sie im Versuch, kein Mitleid zu zeigen.

„Du scheinst die Früchte deiner Taten gleichwohl geerntet zu haben, oder warum bist du hier, Thea Helmken? Solltest du nicht bei deinen neuen Kameraden in Walhall hocken und euren Sieg feiern? Weiß Odin von diesem Abstecher nach Midgard?“

Thea schüttelte den Kopf.

„Natürlich nicht“, versetzte der Feuergott grimmig.

„Er ist dagegen, Tom nach Hel gehen zu lassen“, murmelte sie. „Und so wie es scheint, sieht er das mit mir genauso.“

Loki lachte abfällig. „Welch Überraschung!“

„Hast du davon gesprochen, als du mir sagtest, auch ich hätte verloren?“

„Von was denn sonst? Es war offensichtlich, auf was das Ganze hinausläuft. Schön, dass du vorbeischaust, jetzt können wir uns gegenseitig am Leid des anderen laben.“

Ein Tropfen aus dem Maul der Schlange fiel in die Schale und tönte in die Stille.

„Deshalb bin ich nicht hier.“

„Völlig egal, warum du gekommen bist. Verschwinde! Wir haben uns nichts mehr zu sagen. Ich hatte dir eine Chance gegeben, bei Geirunn zu sein, du hast sie nicht genutzt. Wir sind fertig miteinander. Aber ich schwöre dir, eines Tages sehen wir uns wieder und dann werde ich dir genug Zeit geben, deine Entscheidung zu bereuen.“

„Das war keine wirkliche Chance! Du hast mich ohne Hels Einverständnis in der Totenwelt zurückgelassen. Ich wäre immer in Gefahr gewesen, entdeckt zu werden.“

„Hättest du gewartet, anstatt mir zu schaden, wäre mir bestimmt eine Idee gekommen, um das für dich zu regeln. Nun ist es zu spät.“

„Jemand musste dich aufhalten. Ragnarök herbeizuführen war falsch! Ich hätte meine Familie in Midgard niemals im Stich gelassen und sie diesem Schicksal ausgeliefert.“

Loki lachte. „Dafür hast du Geirunn übergangen, und das alles, weil du dachtest, die Asen würden sich um etwas anderes außer ihre eigenen Belange scheren. Egal was man anstellt, hat man mit ihnen zu tun, läuft es immer falsch für einen selbst, nicht wahr?“

Sigyn rückte die Schale leicht zur Seite. Tadelnd sah sie zu ihrem Mann. „Sei nicht so hart zu ihr. Sie hat das Richtige getan. Du bist zu weit gegangen.“

„Fällst du mir etwa in den Rücken? Sie hätten nie Ruhe gegeben.“

„Schau, wohin es uns geführt hat.“

Thea sah zu ihrer Fylgja, die unbeteiligt neben ihr hockte und ihren Blick von einem Anwesenden zum anderen wechselte. Trotz Theas Plan blieb der Folgegeist unerwartet gelassen, dabei musste er längst fühlen, was sie vorhatte. Thea holte tief Luft, ehe sie Loki antwortete: „Noch ist es nicht zu spät. Versprich mir, den Asen nicht mehr zu schaden, wenn ich dich befreie, und dich dafür bei Hel für mich einzusetzen!“

„Diese Fesseln kannst du nicht lösen“, sagte Sigyn.

„Ich nicht, aber vielleicht vermag es Kyndill.“ Sie sah zu Loki. „Wir können es versuchen. Seine Flammen werden dich nicht verletzen.“

Sigyn schüttelte den Kopf. „Das ist eine ...“

Loki zischte mehrmals. „Still, nimm ihr nicht ihren Atem. Wäre es nicht längst zu spät, würde ich mich nur hier anketten lassen, um das zu hören.“

„Ich werde auf gar keinen Fall etwas tun, ehe ich dein Versprechen habe“, beharrte Thea.

Spöttisch hob Loki die Augenbrauen. „Na gut, ich verspreche es.“

„Loki ... ich denke ...“, wollte Sigyn einwenden, doch der Feuergott runzelte die Stirn und schüttelte leicht den Kopf.

Thea presste die Lippen zusammen. „Nicht so! Sprich es aus! Schwöre mir, dass du dafür sorgst, dass ich nach meinem Leben in Midgard ...“ Thea verharrte, sie formulierte es falsch. Dem Feuergott einen Eid abzunehmen musste ebenso gut überlegt sein, wie der Wunsch an einen Djinn zu äußern. Ihr Leben in Midgard würde endlos sein, wenn es nach Hels Willen ging. Hastig suchte sie die richtigen Worte. „Versprich mir, alles dafür zu tun, dass ich nach meinem Leben als Thea Helmken nach Hel zurückkehren darf, zu Geirunn und meinen Familien und nicht an einen Ort der Bestrafung.“

„Es ist ja nicht so, dass ich dafür nicht schon einmal gesorgt hätte“, erwiderte Loki vorwurfsvoll.

Thea hob eine Augenbraue.

„Ja doch! Ich verspreche dir, alles mir Mögliche zu tun, damit du nach deinem Ableben als Thea Helmken zurück nach Hel darfst, nach Hause zu Geirunn, ohne einen Ort der Bestrafung als Zwischenstation oder Endaufenthalt.“

„Und versprich mir, dass du den Asen nicht mehr schaden wirst, wenn du frei bist.“

„Och Thea! Jetzt hör schon auf!“

„Ich werde wieder gehen, wenn du es nicht aussprichst“, erwiderte sie entschieden.

„Das ist ausgegorener Unfug. Ich muss mich doch gegen sie wehren dürfen!“

Sigrun legte eine Hand auf die Brust ihres Mannes. Sie sah ihn mit Bedauern an, ehe sie zu Thea blickte. „Hast du dir das alles gut überlegt? Diese Tat wird dir Odin niemals vergeben. Du wirst nie wieder nachhause zurückkehren können. Du wirst bis zu deinem Lebensende auf der Flucht sein und deine Familie in Midgard nie wiedersehen.“

Loki runzelte zornig die Stirn. „Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“

„Ich weiß“, erwiderte Thea. „Aber ein Leben mit ihnen in Midgard im Tausch gegen ein Leben in der Ewigkeit scheint mir ein fairer Preis dafür zu sein. Eines Tages werden sie es verstehen.“

Ehe Sigyn erneut das Wort erheben konnte, sagte Loki: „Ich verspreche, den Asen nicht mehr zu schaden, wenn du mich befreist.“

Erleichtert zog Thea das Schwert aus der Scheide. Kyndills Flammen loderten auf und erhellten die Dunkelheit. Auch jetzt sah die Fylgja nur aufmerksam zu.

Loki legte das Kinn auf die Brust und starrte auf seine Füße. „Sei bloß vorsichtig! Wenn du mir etwas abschlägst, werde ich dir das nicht vergeben.“

Thea schmunzelte bitter und schnarrte: „Wie könnte ich dir je etwas abschlagen?“

Ein unangenehmes Ziehen packte ihren Magen, als sie das Schwert an den Fesseln des Feuergottes ansetzte. Sie wusste, dass sie etwas Unentschuldbares tat. „Verzeih mir, Wal-Freya“, wisperte sie, dann schob sie die Klinge zwischen Knöchel und Fessel des Feuergottes und zog das Schwert gegen den Widerstand des Eisens an sich heran. Doch das Band wollte nicht reißen. Angestrengt spannte Thea die Muskeln fester an. Sie spürte ein Kribbeln in ihre Finger fahren, dass sich rasch den Weg über ihre Hand bis in den Oberarm bahnte. Der seltsame Geschmack aus Honig und Schwefel bildete sich auf ihrer Zunge. Zornig biss Thea die Zähne zusammen und legte mehr Kraft in ihre Bewegung. Als das Eisen unerwartet nachgab, taumelte sie zurück.

Verblüfft lachte Loki auf. Verängstigt, dass ihre Tat die Götter bereits auf den Plan rief, eilte Thea zur Fessel an Lokis Handgelenken. Dort wiederholte sie den Vorgang. Nachdem Kyndill auch das letzte Band durchtrennte, schob der Feuergott behutsam die Schale zur Seite, mit der seine Frau noch immer sein Gesicht schützte. In der Bewegung richtete er sich auf.

Theas Herz klopfte bis zum Hals. „Djarfur wartet draußen“, erklärte sie und steckte Kyndill zurück in seine Scheide. Ihre Fylgja schien entspannt, doch Thea wollte nicht riskieren, Zeit zu verlieren. „Lass uns schnell verschwinden!“

Loki nickte entschlossen. Doch schon nach zwei Schritten blieb er stehen und blickte sich zu Sigyn um. „Was ist mit dir? Kommst du mit uns?“

Traurig schüttelte sie den Kopf. „Ein Leben auf der Flucht ist nichts für mich. Ich kehre nach Asgard zurück und werde dort auf dich warten.“

„Mein Schicksal hat sich verändert. Du wirst das hier nie wieder tun müssen“, versuchte er, sie umzustimmen.

Statt eine Antwort zu geben, küsste sie ihren Mann sanft. Der Feuergott strich ihr über die Wange und drehte sich zu Thea um. „Das musst du zurücklassen“, sagte er zu ihr und deutete auf ihren Hals.

Da sie nicht verstand, wovon Loki sprach, runzelte sie verdutzt die Stirn.

„Freyas Amulett, du musst dich von ihm trennen. Ihr seid damit verbunden, solange du es bei dir trägst, wird sie immer wissen, wo du bist.“

Unwillkürlich ging Theas Hand zur Triskele. „Aber ... es verleiht mir die Möglichkeit zu zaubern!“

Loki schnaubte amüsiert. „Das Ding? Mit Kyndill hast du alles, was du zum Wirken der Magie brauchst, oder ist dir nicht längst in den Sinn gekommen, dass du in Hel auch ohne diesen Anhänger gezaubert hast?“ Er lugte an ihr vorbei zum Höhleneingang und streckte die Hand aus. Ungeduldig krümmte er die Finger. „Mach schon!“

Widerwillig und erfüllt von einer tiefen Traurigkeit legte Thea das Amulett ab. Loki platzierte es auf dem Felsen neben seiner gesprengten Fessel. Dann hob er auffordernd das Kinn in Theas Richtung. Wissend, dass ihr keine andere Wahl mehr blieb, setzte sie sich in Bewegung. Am Ende des Pfads schreckte sie zurück und stolperte über Lokis Füße. Neben Djarfur stand Sleipnir!

„Achtung!“, warnte der Feuergott und fing sie auf.

Djarfur wieherte und schüttelte mit dem Kopf. Thea war auf dem Weg zur Flucht. Doch Loki packte sie am Kragen.

„Er ist hier, um zu helfen“, sagte er.

„Sleipnir? Aber er ist Odins Pferd!“, antwortete sie alarmiert.

„Und mein Sohn.“ Loki schob sich an Thea vorbei, eilte auf das achtbeinige Tier zu und begrüßte es fröhlich. „Ich bin dir sehr dankbar.“ Er legte die Arme um den Hals des Pferdes und drückte es. Ohne die Umarmung zu lösen, sah er zu Thea. „Er hat Djarfur aufbrechen sehen und ist ihm gefolgt. Sei unbesorgt. Er will uns helfen.“

„Odin wird unendlich wütend sein“, raunte Thea.

Loki lachte. Seine Augen blitzten amüsiert. „Er wird aus der Haut fahren“, erwiderte er.

Abermals wieherte Djarfur und stapfte mit dem Fuß. „Was hast du?“, fragte Thea ihn.

Das Pferd schnaubte und nickte mehrmals.

„Sag schon!“, forderte sie ihn auf.

„Er möchte dich wissen lassen, dass du hoffentlich weißt, dass mit dieser Tat eure Heldenlieder Geschichte geworden sind. Man wird euch eher aus den Legenden streichen, als euch zu verehren.“

„Warum sagt er mir das nicht ...“, Thea stockte der Atem. Ihre Hand fuhr an den leeren Platz an ihrem Hals. Schnaufend knüpfte sie an: „... selbst?“

„Es tut mir leid“, antwortete Loki aufrichtig.

„Ohne die Triskele kann ich nicht mehr mit ihm sprechen“, erkannte sie.

Djarfur nickte und schnaubte vorwurfsvoll.

„Wir finden eine Lösung dafür“, erwiderte Loki. Er sprang auf Sleipnirs Rücken. „Jetzt komm, Thea Helmken. Folge mir!“

Schon eilte Sleipnir davon.

Thea strich dem Rappen über die Stirn. „Es tut mir leid, Djarfur.“

Abermals schnaubte das Pferd vergrämt. Verunsichert warf Thea einen Blick hinterwärts in den Himmel. Irgendwo außerhalb ihrer Sichtweite ließ sie alles zurück, was ihr einst so viel bedeutet hatte. Ihre Fylgja brummte erwartungsvoll und holte ihren Schützling wieder in die Gegenwart. Mit einem letzten Gedanken an Juli, Tom, Wal-Freya und Thor schwang sich Thea auf Djarfurs Rücken. Sie blinzelte eine Träne fort, kniff die Augen zusammen und ließ sich vom Walkürenpferd davontragen.

1. Kapitel

Dumpf drangen die Geräusche der Umgebung an Juli heran. Der Alkohol hatte ihre Lider so schwer gemacht, als wären Fässer von Met an ihnen befestigt. Ebenso bleiern wog ihr Kopf, den sie seit geraumer Zeit in ihren verschränkten Armen auf den Tisch bettete. Hier und da hämmerte Thors Gegröle in ihren Ohren. Unermüdlich hob der Donnergott seinen Becher und stieß auf den errungenen Sieg an. Gelächter lag in der Luft wie der Geruch von Bier und gebratenem Fleisch. Irgendwann mischten sich erste Fragen nach Thea in das Gemurmel, bis sich diese zu einem immerwährenden Echo ausbreiteten. Bald schon war es für Juli kaum noch zu ertragen. Sie wollte doch nur ihrem Verlangen folgen und ein paar Minuten schlafen. Sie hätte einfach mehr essen sollen, ehe sie sich auf Äl und Met einließ.

Tjorben hieb ihr das ein ums andere Mal lachend auf den Rücken und hielt sie wach, ehe auch er besorgt fragte: „Hast du Thea gesehen? Alle suchen nach ihr.“

„Sie verträgt nur halb so viel wie ich. Sicher liegt sie längst unter irgendeinem Tisch“, antwortete Juli vergrämt. Sie stellte fest, dass ihr die Zunge noch weniger gehorchte als ihre Lider. „Wo ist Freyr? Ich brauche meinen Koffer. Vorausgesetzt, dass Wal-Freya nicht vor mir da war, ist auf Skidbladnir Aspirin verstaut.“

Tjorben lachte. „Das wäre geschummelt! Lass dir von den Walküren Wasser bringen und etwas Brot, dann kommst du schon wieder auf die Beine. Schlapp machen ist keine Option. Dieses Fest wird noch ein paar Tage andauern. Ich suche in der Zwischenzeit unseren alten Freund. Sie schläft unter einem Tisch, glaubst du?“

„Falls sie nicht in Toms Armen liegt, findest du sie bestimmt dort“, erwiderte Juli. „Oder sie ist in Folkwang, schlummert längst in ihrem warmen Bett und amüsiert sich königlich, weil sie euch nach ihr brüllen hört.“

Tjorben lachte lauthals „Das sähe ihr ähnlich. Aber so leicht kommt sie uns nicht davon. Sie ist der Grund für diese ausgelassene Stimmung. Der Ehrengast hat kein Recht sich zu verdrücken, er geht, wenn alle mit dem Feiern fertig sind! Ich hole sie.“

„Wal-Freya hat sich ebenfalls schlafen gelegt. Sie wird dich umbringen, solltest du in Folkwang eindringen und sie dabei wecken.“

Lachend hieb der Einherjer ihr auf den Rücken. „Dann bin ich erst morgen Früh zurück und du musst solange ohne mich auskommen. Bis gleich! Komm du in der Zwischenzeit auf die Beine! Wenn ich wieder da bin, füllen wir den alten Schmied ab.“

Es war das Letzte, das Juli von Tjorben vernahm, im nächsten Augenblick ließ sie ein Donnern hochschrecken. Zwei Hände ruhten vor ihr auf der Tischplatte. Verwirrt richtete sie den Blick hinauf zu deren Besitzer. Juli war eingeschlafen. Es brauchte einen Atemzug, ehe sie aus ihrem traumlosen Schlummer in die Wirklichkeit zurückkehrte. Noch immer beeinträchtigte der Alkohol ihre Sinne.

„Nicht mehr habe ich von dir verlangt, außer, dass du sie nicht aus den Augen lässt!“, polterte Wal-Freya.

Juli hob die Augenlider. Im Gelächter und Raunen der Feiernden waren die Worte der Wanin kaum zu verstehen. Sie blickte in ein Gesicht, das Wut und Traurigkeit gleichzeitig spiegelte. Wal-Freya trug ihre langen schwarzen Haare ungewöhnlicherweise offen. Bekleidet war sie mit einem schlichten dunkelblauen Kleid, das sie um die Hüften mit einem Gürtel raffte.

„Verdammt, Juli!“, knurrte die Wanin.

Juli, das Ersuchen der Liebesgöttin nicht begreifend, bettete den Kopf zurück auf die Arme. Sie fühlte sich elend. „Bitte, Wal-Freya! Lass mich einfach ein bisschen schlafen, wir reden später.“

Erneut erschall ein unangenehmes Geräusch, als die Walküre ihre Hände auf die Tischplatte donnerte. „Wo ist Thea?“

Juli drehte den Kopf zur anderen Seite. „Sie ist also nicht bei dir? Ich habe Tjorben schon gesagt, dass er unter den Tischen schauen soll“, murmelte sie.

„Er sucht sie noch immer, genauso wie Tom und nun auch ein Teil meiner Walküren. Sie ist nirgendwo zu finden, verstehst du?“ Abermals schlug Wal-Freya die Handflächen auf das Möbelstück. „Du solltest doch auf sie aufpassen!“

Erst jetzt bemerkte Juli, dass es in der Halle vollkommen still geworden war. Erstaunt richtete sie sich auf und sah sich um. Sie spiegelte das Bild mehrerer Personen, die schlaftrunken über den Tischen lehnten oder mit ausgestreckten Beinen an den Wänden saßen. Alle hatten ihre entsetzten Blicke auf die Walküre gerichtet. Mit einem Mal war Juli hellwach. Die Anspannung der Wanin war offensichtlich. Ein heftiges Ziehen breitete sich in Julis Magengegend aus. Sie wünschte sich, dass es vom Hunger kam, aber es packte sie so unangenehm, dass es nur von einer bösen Vorahnung herrühren konnte.

„Sie hat viel erlebt heute, das sie verarbeiten muss. Wahrscheinlich hockt sie nur auf der Wiese und grübelt“, versuchte sie, sich selbst zu beruhigen.

„Wir werden es bald erfahren“, raunte Wal-Freya unheilvoll.

Viel zu schnell erhob sich Juli von der Bank. Eilig suchte sie Halt an der Tafel und vertrieb den Schwindel. „Ich hole sie. Sie ist ganz bestimmt dort!“, schnaufte Juli. Sie rüttelte den Mann neben sich auf. „Reigar, hilf mir! Los! Wir müssen Thea finden.“

Benommen nickend ergriff der Einherjer seinen Becher. Er leerte ihn mit einem Zug und setzte sich in Bewegung, kaum dass er das Gefäß zurück auf den Tisch gestellt hatte. Auf seinem Weg nach draußen stieß er weitere Krieger an, die ihm folgten. Die Trümmer der vorangegangenen Auseinandersetzung machten Julis Weg nicht leicht. Mühevoll stolperte sie die gespaltene Treppe Asgards hinab und eilte zum Platz auf der großen Wiese, an dem sie und Thea so oft gesessen hatten. Doch diese war menschenleer.

„Wir schauen in Bilskinir nach“, erklärte Reigar. „Such du bei Baba Jaga.“

Juli nickte hastig und preschte davon. Ihr dunkles Gefühl wuchs mit jeder Minute, die sie vergebens nach ihrer Freundin Ausschau hielt. Das Haus der Baba Jaga stand nicht weit von ihrem Picknickplatz und war ebenfalls verlassen. Juli rief mehrmals Theas Namen, aber er hallte wirkungslos von den hölzernen Wänden. Sie rannte zum Thingplatz und schließlich zum Brunnen der Nornen, ehe sie zurück nach Walhall hetzte, nicht ohne dabei Thea und die Treppe zu verfluchen. Sollte sie ihre Freundin unter einem Tisch finden, oder diese sich sonst wo versteckt haben, würde sie höchstselbst dafür sorgen, dass Thea die Stufen zur Strafe drei Mal hintereinander hinauf und wieder hinablief. Erschöpft und durstig, kehrte sie in der Halle ein. Dort war neben Wal-Freya auch Skadi eingetroffen. Die Wintergöttin war kaum wiederzuerkennen. Sie trug ein einfaches, weißes Gewand, mit nachtblauen Borten. Julis erster Impuls, dass Skadi nun freundlicher wirken müsse, erstarb, als sie der kalte Blick ihrer blauen Augen traf. Das glatte, helle Gesicht der Riesin zeigte keine Regung.

Die Plätze in der Halle waren inzwischen völlig verwaist. Nur die Asen standen oder lehnten an den Tischen und warteten auf Neuigkeiten. Odin saß zurückgelehnt auf seinem Sitz. Geri und Freki waren verschwunden. Juli sah sich nach Thor um, doch er war ebenso wenig zu finden wie Hermodr und Tyr. Sie haschte ein Stück Brot, das sie auf einem Teller fand, stopfte es in den Mund und spülte den Bissen mit dem Inhalt eines herrenlosen Bechers herunter. Wie erwartet benetzte Met ihre Lippen, statt des erhofften Wassers. Missmutig zog sie den Mund schief. So würde sie ihren Schwindel nie vertreiben! Als sie bemerkte, dass alle Augen auf ihr ruhten, hob sie erstaunt die Brauen.

Da sie die stille Erwartung der Asen zu erkennen glaubte, sagte sie: „Ich habe sie nicht gefunden. Auf der Wiese und bei den Baba Jagas ist sie nicht.“ Die regungslosen Blicke ließen Julis Herz pochen. „Ich gehe noch einmal in den Hain.“

Hastige Schritte näherten sich. „Djarfur ist fort“, offenbarte eine Frau. Es war Herja, eine der jüngsten Walküren.

„Was sagst du da?“, knurrte Odin. Sein Unmut entlud sich über den festen Griff an den Armlehnen seines Throns.

„Djarfur ist fort“, wiederholte Herja ungerührt und für Juli war es unumstritten, dass ihre Freundin eine Dummheit begangen hatte – erneut!

Ungehalten sprang der Allvater auf. Schnaubend nahm er seinen Speer und eilte zum Tor. „Holt Sleipnir! Rasch!“

Herja hob die Hand, doch der oberste der Götter war bereits an ihr vorbeigeschritten. „Er ist ebenfalls verschwunden“, rief sie ihm nach.

Odin wirbelte herum. „Was?“ Seine Stimme dröhnte von einer solch unermesslichen Wut begleitet durch die Halle, dass selbst Juli den Kopf einzog. Anders als ihre Freundin, hatte sie nie Furcht vor dem obersten Gott empfunden. Nur das eine Mal, als er auf Thea losging. Das dunkle Gefühl, das Juli auf der Suche nach ihrer Freundin versucht hatte zu vertreiben, wurde stärker. Besorgt hastete sie vor und ergriff Wal-Freyas Hand. „Was geschieht hier?“, wisperte sie.

Die Wanin antwortete mit einem leichten Händedruck und ließ sie los. Schon stand Odin vor ihr. Stumm starrte er die oberste Walküre an, dann stapfte er davon. „Bringt mir ein Pferd! Sofort!“, rief er auf dem Weg zum Kampfplatz.

Herja eilte ihm nach.

„Ich vermute, es ist überflüssig, zu fragen, ob du sie im Gedanken gerufen hast“, sprach Juli Wal-Freya an. Sie hatte das Gefühl, eine Schlinge schnüre sich um ihren Hals, so schwer fiel ihr plötzlich das Atmen.

„Das ist es“, erwiderte die Wanin reserviert.

„Wohin will Odin?“, fragte Juli.

„Seinem Verdacht nachgehen“, antwortete Wal-Freya vielsagend.

Julis Gedanken kreisten wirr durch den Kopf. In ihrer Angst um ihre Freundin suchte sie nach einer harmlosen Erklärung für das Verschwinden. Doch vergebens. Thea hatte Ragnarök verhindert, den Dienst an ihren Familien und den Göttern vollendet. Es gab keinen Anlass für sie, sich frühzeitig von der Feier loszureißen, außer schlafen zu gehen, oder ...

„Sie ist nach Hause geritten!“, rief Juli. „Sie hat ihre Familie so vermisst.“

„Welchen Grund hätte sie, ohne dich nach Midgard zurückzukehren?“ Der Blick, mit dem Wal-Freya Juli nun bedachte war von so viel Traurigkeit erfüllt, dass Juli ein Stich durch den Magen jagte.

„Na ja, ich war am Feiern ... Das hätte ich noch Tage ausgehalten“, druckste Juli. „Und sie wusste wahrscheinlich, dass ich ein paar Vorratssäcke gepackt hätte, ehe ich aufgebrochen wäre ...“ Sie senkte den Kopf, denn welche Erklärung sie auch immer zu finden versuchte, die Wanin war die falsche Person, um darüber zu spekulieren. Juli wusste, dass Wal-Freya die Antwort bereits kannte. Sie war lange genug mit der Liebesgöttin gereist, um zu wissen, dass sie ihr die Zukunft nicht offenbaren würde, sie würde ebenso wie Juli darauf warten, dass sie die Wahrheit erfuhr. Aber auch wenn sie schweigen mochte, so beunruhigte Juli die Gemütsregung der Göttin. Etwas stimmte nicht. Djarfur und Thea verband eine besondere Freundschaft. Es konnte kein Zufall sein, dass man beide vermisste. Aber wieso fehlte Sleipnir? Nun war sie davon überzeugt, dass sich ihre Freundin nicht mehr in Asgard aufhielt. „Ist sie zurück nach Hel?“, fragte Juli in einer aufblitzenden Idee. „Aber warum sollte sie? Sie würde doch Mats und ihre Eltern im Stich lassen!“

Wal-Freya presste die Lippen zusammen. „Es war ein großes Unglück, dass Thea ihrer alten Sippe begegnete. Sie ist ein Mensch mit starken Gefühlen. Wir haben ihre Zerrissenheit selbst heraufbeschworen, als wir ihr zuerst ihre Erinnerungen an ihr vergangenes Leben wiedergaben und sie später nach Hel führten. Ich habe gehofft, dass ihr die Liebe zu Tom hilft, mit dem Schmerz zurechtzukommen - aber diese war nicht tief genug.“

„Wie auch? Was hätte Tom anstellen können, um gegen eine Liebe anzukommen, die sogar über den Tod andauerte? Ich habe ein ganzes Leben mit Njal verbracht. Er hat Arnora immer gut behandelt, doch da war nie das in seinen Augen, was ich sah, als Thea Geirunn gegenüberstand.“

Wal-Freya nickte wissend.

„Aber worauf warten wir? Wenn Thea in die Totenwelt aufgebrochen ist, müssen wir ihr rasch hinterher. Sie ist verbannt worden und gewiss weiß Hel bereits, dass sie gegen ihren Urteilsspruch verstoßen hat. Sie beschwört ihren Zorn doch nur weiter herauf. Wie kann sie derart die Nerven verlieren?“

Die Wanin hob die Augenbrauen. „Du wirst deine Antworten gleich erfahren“, sagte sie mitfühlend. „Was du hörst, wird niemanden erfreuen.“

Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, da trat Thor in die Halle. Julis Herz machte einen Sprung. In der Nähe des Donnergottes konnte einfach kein Unheil geschehen. Doch auch sein Gesicht spiegelte Verwirrung und Bedauern wider. „Ich habe sie nicht gefunden. Thialfi, Röskwa und Smule laufen noch einmal den Wald ab“, brummte er.

Nach und nach kamen die Einherjer zurück. Auch Reigar und Tjorben betraten kopfschüttelnd die Halle. Viel später nach ihnen erschien Tom. Er drückte seine erfolglose Suche mit einer stummen Geste aus und hob die Schultern. Als er Juli erblickte, runzelte er um Entschuldigung bittend die Stirn, eilte auf sie zu und nahm sie in die Arme.

„Was hat sie nur getan?“, wisperte Juli.

„Ich habe keine Ahnung. Sie wirkte völlig normal. Aber sie ist nicht mehr in Asgard, das steht fest.“

Juli drehte sich der Magen. „Sie ist nach Hel geritten und sie hat Sleipnir überredet mitzukommen, weil sie genau weiß, dass er das einzige Mittel wäre, um sie einzuholen und ihr diese fixe Idee auszutreiben.“

„Was sollte sie dort? Ihre Familie wartet in Midgard“, erwiderte Tom.

„Ja, die eine“, antwortete Juli verbittert. Wal-Freyas Worte tanzten durch ihre Gedanken. „Du solltest doch auf sie aufpassen.“ Verzweifelt ballte sie die Fäuste. Wie hätte sie ahnen können, dass Thea im Moment ihres größten Glücks die Nerven verlor. Niemand wagte, sich zu setzen. Alle lehnten an den Tischen oder an den Wänden, die Köpfe ratlos gesenkt, während sie warteten. Als Wal-Freya die Arme verschränkte, tönte das Rascheln ihres Kleides so laut in die Stille, dass sich alle Augen auf sie richteten. Die Walküre hob verdutzt die Brauen und ließ ihren Blick verständnislos durch die Reihe schweifen. Peinlich berührt schauten die meisten rasch auf ihre Füße oder zur Decke. Nur Juli nicht. Sie verstand nicht, warum alle ausharrten, statt zu handeln. Sie holte Luft, doch Wal-Freya hob die Hand, bevor sie ihren Einwand anbringen konnte.

„Nicht jetzt“, wisperte sie. Den Rest ihrer Worte, schickte sie Juli in Gedanken. „Wenn er anfängt zu toben, möchte ich, dass du mit Tom sofort nach Folkwang gehst. Wartet dort auf mich.“ Es ging schnell und rief dennoch Julis Empörung herauf. Sie hasste es, wenn die Walküre auf diese Weise mit ihr kommunizierte. Es war ihr ein Rätsel, wie Thea das auf Dauer ertrug. Hastig drückte sie den Handballen an die Stirn und sah Wal-Freya böse an. Ihre Protestrede wurde von einem Brüllen erstickt. Erschrocken drehte sie sich zum Hallentor. Mit ihr alle Anwesenden. Der Allvater erschien in ihm, von einem solch finsteren Blick begleitet, dass Julis Herz förmlich zu Eis gefror und für einen Wimpernschlag aufhörte zu schlagen.

„Er ist fort! Sie sind beide fort!“, knurrte er. Ein Tisch wurde Opfer seines Wutausbruchs. Er trat so kräftig gegen dessen Kante, dass sich das Möbelstück an der nächsten Tafel aufstellte und im hohen Bogen durch die Halle wirbelte. Ein paar Einherjer wichen gerade noch rechtzeitig zurück.

Als Juli die Person erkannte, die der Allvater mit sich brachte, gefror auch der Rest ihres Körpers. Regungslos starrte sie auf Sigyn, die die Blicke der Anwesenden auf sich zu spüren schien. Sie schlug die Augen nieder, legte ihre Hände um ihre Ellenbogen und blieb stehen. Mit langen Schritten trat Odin an Wal-Freya heran. Er hielt die geballte Faust vor ihr Gesicht, eine Kette mit einem Anhänger baumelte daran. „Das hat sie dir dagelassen!“, brüllte er und warf das Schmuckstück vor Wal-Freyas Füße. Gleich darauf packte er sie am Kragen. „Du wusstest es! Du, Frigg und Gefjon! Wie konntet ihr das zulassen?“

Statt seine Wut an der Wanin auszulassen, ließ er sie los und fegte die Gegenstände auf dem Tisch neben ihr davon. Dann hob er diesen an und schleuderte ihn ebenfalls durch die Halle. „Sie hat ihn befreit! Sie hat ihr vermaledeites Schwert genommen und seine Fesseln gelöst!“

Juli wechselte den Blick von Odin zu Sigyn. Sie hat ihn befreit, wiederholte sie seine Worte im Gedanken. Verzweifelt versuchte sie, die Lösung dahinter zu deuten, aber die Erklärung war so unglaublich, dass sie ihren Ohren nicht trauen wollte. Er musste von Sigyn sprechen, doch sie besaß weder ein Schwert noch war sie fort.

„Jetzt! Geh!“, hörte sie Wal-Freyas Stimme energisch in ihren Geist dringen.

„Ich werde ihre Freunde nehmen und sie solange an Asgards Zinnen aufhängen lassen, bis sie den Mut hat, sich zu stellen! Das wird sie zur Besinnung bringen.“

Wal-Freya stellte sich zwischen Juli und Odin. Sie deutete nach draußen und blickte dabei eindringlich auf Tom. Juli spürte seine Hand an ihrem Arm zerren. „Los!“, forderte er sie auf und zog sie mit sich.

„Ihr bleibt!“, brüllte Odin.

„Geht!“, befahl Wal-Freya.

Nun stellte sich auch Thor zwischen seinen Vater und Juli. „Das bringt doch nichts! Lass uns in Ruhe darüber beraten!“

Gegen Julis Willen zog Tom sie mit sich. Reigar und Tjorben unterstützten ihren Freund, indem sie seine Freundin von hinten anschoben. „Lasst mich!“, rief diese verzweifelt. „Das ist sicher alles nur ein Irrtum. Sigyn! Sag doch etwas.“

„Ihr bleibt hier!“, brüllte Odin.

Lokis Frau hob die Achseln und schüttelte in einer Geste ehrlichen Bedauerns den Kopf. Ehe Tom Juli durch die Öffnung gezerrt hatte, erschien Frigg. Wissend berührte sie Juli an der Schulter und schob sich an ihr vorbei.

„Geht! Es ist in Ordnung“, versicherte sie. Dann hob sie die Stimme an. „Beruhige dich, Odin!“

„Du hast es gewusst!“, lärmte der Allvater. Heftiges Poltern verriet Juli, das erneut ein Möbelstück durch die Halle flog. „Ich sollte euch alle an seiner statt an den Felsen binden!“

Odins Stimme war selbst außerhalb Walhalls deutlich zu hören. Sie toste um Asgards Gemäuer wie ein böser Sturmwind. Als Juli über die Trümmer hinweggestiegen war, schüttelte sie Reigars und Trjorbens Hände aus ihrem Rücken und riss sich von Tom los.

„Lasst mich! Ich kann alleine laufen!“, knirschte sie. Eine Fülle übler Gefühle wirkte gleichzeitig auf sie ein. Sie war wütend! Wütend auf Thea, die sie, entgegen aller Versprechen, erneut zurückgelassen hatte und wütend auf deren Tat. Wie konnte sie nur? Was hatte sie dazu bewogen? In ihrer Erregung schob Juli die Schuld auf Tom, der nicht bemerkt hatte, dass ihre Freundin etwas beschäftigte und schließlich empfand sie eine unendliche Wut auf sich selbst. Wal-Freya hatte sie gewarnt. Warum nur hatte sie Thea aus den Augen gelassen? Als sie die Abzweigung nach Folkwang erreichten, folgte sie der Treppe weiter hinab.

„Juli! Wir sind da! Bleib stehen!“, rief Tom.

„Mir egal!“, antwortete sie.

„Wal-Freya hat uns befohlen, in Folkwang auf sie zu warten!“, erinnerte Reigar.

„Ich will aber nicht mit euch auf sie warten“, erwiderte Juli.

„Juli, bitte! Ich kann mich ihr nicht widersetzen“, flehte Tom.

„Deine Schuld! Was bist du auch ein Einherjer geworden“, konterte Juli verbittert. Der gerissene Spalt, der die große Treppe in zwei Hälften teilte, verschwamm vor ihren aufsteigenden Tränen. Tom war ihr gerade kein Trost. Sie wollte alleine sein. Müde und von einer selten gefühlten Traurigkeit erfüllt, folgte sie dem Pfad hinab und ließ sich schließlich auf der Wiese nieder. Hier gab sie sich ihren Tränen hin. Sie fühlte sich elend. Sie waren am Ziel gewesen, sie hatten so viel auf sich genommen und schlussendlich alles erreicht. Warum nur hatte Thea das zunichtegemacht? Was war in ihr vorgegangen? Nach Hel zu gehen wäre verzeihbar gewesen, aber Loki befreien? Sie wollte nicht glauben, dass Thea das gewagt hatte, nicht nach all den Jahren, in denen sie den Feuergott jagten und nach alledem, was er ihnen angetan hatte. Diesen Fehler würden ihr die Götter niemals verzeihen! „Du solltest doch auf sie aufpassen!“, Wal-Freyas Vorwurf wiederholte sich immer und immer wieder in ihren Gedanken. Erschöpft rollte sie sich zusammen und schloss die Augen. Verzweifelt suchte sie nach einer Erklärung, doch je länger sie darüber nachdachte, umso unglaublicher wurde das Handeln ihrer Freundin. Sie bettete die Ereignisse der letzten Stunden in einen Traum ein, der jedoch ein glückliches Ende nahm und erwachte jäh, da sie noch immer weinte – oder schon wieder? Sie setzte sich auf und vergrub den Kopf zwischen den Knien. Genauso hatte sie sich ihre Heimkehr stets ausgemalt. Aber nichts davon war geschehen. Thea war fort und sie hatte Loki mit sich genommen. Es war so unvorstellbar wie undenkbar. Was sollte sie jetzt nur anstellen?

„Hier bist du“, hörte sie eine Stimme.

Ein Schatten beschirmte den Platz, auf dem Juli saß. Als sie den Blick hob, sah sie in die dunklen Augen eines jungen Mädchens.

„Baba, du bist es“, erkannte sie.

„Wir sind es“, verbesserte das ältere Ich der dreifaltigen Göttin. Mit gerunzelter Stirn gesellte sie sich neben das Mädchen.

„Ich denke, ich würde lieber alleine sein“, erwiderte Juli.

„Das willst du nicht“, widersprach die Frau und setzte sich liebevoll lächelnd nieder. Ehe es sich Juli versah, fand sie sich in ihrer Umarmung wieder. Gegen ihren Willen begann Juli zu weinen.

„Also bitte!“, krächzte eine dritte Stimme. „Was tust du da? Das steht dir nicht.“

Juli drehte den Kopf, ohne sich aus der Umarmung zu lösen. Die älteste der Baba Jagas stand vor ihr, unter ihrem Arm eine zusammengefaltete Decke geklemmt, die sie mit Schwung auf dem Platz ausbreitete. „Korb!“, sagte sie und winkte ungeduldig mit dem Finger, worauf ihr jüngstes Ich auf dem Stoff niederkniete und den geforderten Gegenstand darauf abstellte. Mit flinken Bewegungen leerte sie den Inhalt aus. Teller, Besteck, Becher, Marmelade und ein Tablett, auf dem sich ein Berg Pfannkuchen auftürmte, präsentierten sich rasch vor Julis Füßen.

„Ich habe wirklich keinen Hunger“, schniefte Juli.

„Dann schaust du zu“, sagte die mittlere Baba Jaga und drückte sie für einen Moment fester an sich.

„Wir wollen dein Problem doch nicht daran hindern, sich selbst zu lösen“, fügte die Jüngste schmunzelnd hinzu. Sie setzte sich auf ihre Fersen, legte die Hände in den Schoß und sah Juli erwartungsvoll an.

„Das ist mein Spruch und es ist unfair ihn gegen mich zu verwenden“, erwiderte Juli.

„Nun, in einer Sache stimmen wir stets überein, dass die Welt mit ein paar Pfannkuchen gleich wieder besser aussieht“, sagte die Älteste. Sie lächelte aus ihrem runzligen Gesicht und trotz ihrer dunklen, unheimlichen Augen sah sie dabei so liebevoll aus, dass Juli es schaffte, sich aus der tröstenden Umarmung ihres jüngeren Ichs zu lösen.

„Wer soll die alle essen?“, fragte Juli und deutete auf den Pfannkuchenberg. Sie war im Schätzen schlecht, aber sie vermutete, dass sich mindestens einhundert Stück auf dem Tablett stapelten. „Damit könntet ihr ganz Walhall versorgen.“

„Es ist eine große Portion für großen Kummer“, raunte die Alte.

„Außerdem werden wir nicht lange zu viert bleiben“, ergänzte die Jüngste.

Juli schüttelte ergriffen den Kopf. Sie sollte nicht alleine hier sitzen, ihre Freundin müsste an ihrer Seite sein. „Sie hat alles kaputt gemacht, wofür wir so hart gekämpft haben“, flüsterte Juli. Sie legte das Kinn auf den Knien ab und beobachtete die Baba Jagas, die sich synchron Pfannkuchen vom Tablett auf die Teller platzierten. Das Gebäck roch verführerisch, doch Thea machte Juli das Herz zu schwer, um etwas zu essen.

„Es muss sehr viel in ihr vorgegangen sein, um auf diese Weise zu handeln“, brummte die Älteste.

„Sie hat Loki befreit!“, erwiderte Juli. Die Tatsache klang so unglaublich falsch, dass Juli mit jedem ausgesprochenen Wort die Zunge schwerer wurde. Sie musste es wiederholen, um es zu glauben: „Sie ist nach Midgard zu ihm in die Höhle geritten und hat ihn losgebunden. Er ist frei und sie ist schuld.“ Sie legte die Stirn auf die Knie. „Und jetzt ist sie weg und hat ganz Asgard gegen sich aufgebracht. Wie konnte ich nicht bemerken, dass etwas mit ihr nicht stimmte.“

„Du trägst keine Verantwortung für ihr Handeln“, sagte die jüngste Baba Jaga eindringlich.

„Ich bin ihre Freundin, nicht nur in dieser Zeit. Wir haben bereits ein ganzes Leben miteinander verbracht. Statt auf sie zu achten, gab ich mich meiner Glückseligkeit hin und habe ihre Gefühle dabei übersehen! Das hätte nicht geschehen dürfen!“

„Wir feierten alle“, erinnerte die mittlere Baba Jaga. „Niemand von uns hat etwas bemerkt.“

„Eine traurige Seele kann sich unter vielen Menschen sehr einsam fühlen“, raunte die Mittlere.

Juli hob den Kopf. Der Berg der Pfannkuchen verschwamm vor ihren nicht versiegen wollenden Tränen. „Sie hat sogar die Triskele abgelegt! Wenn sie nur mich oder Odin vor den Kopf gestoßen hätte, aber Wal-Freya? Das passt nicht zu ihr. Ich verstehe das alles nicht.“ Nun runzelte sie die Stirn. Mühevoll versuchte sie, die Ereignisse zu ordnen. In ihrem Traum hatte Thea sich mit Odin unterhalten und sie hatte danach so unheilvoll geschaut, dass Juli ein Schauer über den Rücken lief, als sie nur daran dachte. Versuchte ihr ihr Unterbewusstsein etwas damit zu sagen? „Sie hat mit Odin gesprochen“, raunte sie. Sie beugte sich vor, nahm einen Pfannkuchen und rollte ihn nachdenklich zusammen. „Kurz bevor ich mich mit Vidar und Thor auf diesen Wettstreit eingelassen habe.“

„Nur du kannst so vermessen sein und von einem Wettstreit sprechen, wenn du mit Thor versuchst, um die Wette zu trinken!“, krächzte die Alte.

Die jüngste Baba Jaga nickte. „Ja, das war eher Verlieren durch eigene Hand.“

„Was hat er nur zu ihr gesagt?“, rätselte Juli und biss ein Stück des gerollten Pfannkuchens ab. Der süße Geschmack von Honig, Vanille und Zimt kitzelte ihre Zunge.

Die mittlere Baba Jaga sah sie lange an. „Wie kommst du darauf, dass Odin etwas mit Theas Entscheidung zu tun hat?“

„Ich kenne sie. Das war keine Idee, die sie geplant hatte. Sie hatte genau das erreicht, was sie wollte, sie konnte endlich nach Hause. Etwas muss vorgefallen sein.“

„Er hat ihr angeboten, in Asgard zu bleiben.“ Wal-Freya war so unbemerkt an sie herangetreten, dass nicht nur Juli erstaunt den Kopf drehte. Einzig die alte Baba Jaga, die ihr gegenübersaß, schien nicht überrascht.

Seufzend ließ sich Wal-Freya auf der Decke nieder. „Ich habe dir befohlen, in Folkwang zu warten“, sprach sie Juli mit leichtem Vorwurf an.

„Was meinst du damit, er hat ihr gesagt, dass sie in Asgard bleiben könne?“, erwiderte Juli. „Hat er ihr etwa verboten, nach Midgard zurückzugehen?“

Wal-Freya schüttelte den Kopf. „Nein, das nicht.“

„Warum dann dieses Angebot? Theas Antwort war doch vorhersehbar. Sie würde ...“, den Rest ihrer Worte konnte Juli nur noch flüstern, „... ihre Familie niemals zurücklassen.“ Sie sah zur alten Baba Jaga und flüsterte noch immer. „Aber genau das ist jetzt passiert. Das hätte sie keinesfalls für Loki getan.“ Hastig und lauter wandte sie sich an Wal-Freya: „Ich hatte Recht! Es hat mit Hel und Geirunn zu tun! In der Höhle hat Loki gesagt, nur er könne ihr bei diesem Problem helfen.“ Juli runzelte die Stirn. Erst jetzt fiel ihr auf, dass die Wanin bei Lokis Fesselung gefehlt hatte. „Wo bist du währenddessen eigentlich gewesen?“

Wal-Freya zuckte in einer entschuldigenden Geste mit der Schulter. „Meine Anwesenheit bei dieser Sache war nicht erforderlich.“

Juli zog die Nase kraus. „Du hast dich davongestohlen.“

„Ich habe schlichtweg nicht teilgenommen“, versetzte Wal-Freya kühl.

Juli hob das Kinn, entschied sich aber, es dabei zu belassen. Offensichtlich wollte die Wanin nicht über ihre Beweggründe reden und es spielte ohnehin keine Rolle. „Was also hat Odin zu ihr gesagt, dass Thea glaubte, nur Loki könne ihr helfen? Odin hätte ihr doch nur versichern müssen, dass er sich ebenso für sie einsetzt.“ Noch während sie die Wanin ansah, gab sie sich die Antwort selbst: „Das ist es, oder? Das hatte er nicht vor.“

„Er ist nicht davon überzeugt, dass sich Hel in dieser Hinsicht erweichen lässt. Deshalb schlug er Thea vor, in Asgard zu bleiben.“

Juli rollte die Augen. „Was für eine großartige Idee.“ Sie biss die Zähne zusammen, als sie näher darüber nachdachte und ihr klar wurde, in welchen inneren Kampf der Allvater ihre Freundin gebracht hatte. „Du wusstest davon?“

Wal-Freya nickte. „Er ersuchte mich darum, sie in Sessrumnir aufzunehmen, falls sie sich dazu entscheidet zu bleiben. Das habe ich ihm natürlich nicht abgeschlagen.“

Verzweifelt hob Juli die Augenbrauen. „Warum hast du ihm das nicht ausgeredet? Dass Thea deshalb ausflippt, hättest du nicht nur sehen müssen, weil du die Zukunft kennst. Außerdem haben wir fast genau die gleiche Situation gehabt, als sie Loki dazu überredete, sich für Tom einzusetzen.“

„Es war eine gute Idee. Wenn Hel Theas Verbannung aufrecht erhält, wäre sie hier an einem sicheren Ort, fern ihrer Strafe der ewigen Wiedergeburt.“

„Aber in Asgard zu bleiben würde für sie bedeuten, beide Familien zu verlieren. Du bist eine Göttin und diese Triskele verband euch noch inniger. Du hättest ihre Gefühle besser kennen sollen als ich. Ich bin nur ein Mensch, aber ich wäre sofort in der Lage gewesen, dir zu sagen, wie das endet. Sie ist ein Familienjunkie durch und durch. Sie würde selbst Garm aus dem Totenreich holen, wenn sie dächte, dass sie das zu ihren Familien bringt.“

„Odin hätte ihr das Angebot so oder so unterbreitet. Sessrumnir war in meinen Augen das Bessere als Walhall.“

Juli schüttelte den Kopf. Missmutig warf sie den angebissenen Pfannkuchen zurück auf den Teller. Sie war nicht in der Lage dazu, so viel zu essen, wie sie herausbrechen wollte. Ihre Freundin hatte Odin gegenüber stets Distanz gewahrt. In ihren Gedanken über sein Handeln schwang immer eine Welle des Misstrauens mit. Zum ersten Mal ergab es einen Sinn für Juli, dass er Tom nach Walhall hatte holen wollen. „Das war es, nicht wahr? Das war sein Plan, seit wir aus der Totenwelt zurückgekommen sind. Deshalb hat er seine Walküren auf Tom angesetzt. Damit wollte er Thea dazu bringen, in Asgard zu bleiben!“

„Vielleicht solltet ihr nicht hier darüber sprechen“, raunte die jüngste Baba Jaga.

Wal-Freya winkte ab. „Solange Odin in Walhall tobt, wird er keine Gelegenheit dazu finden, uns von seinem Hochsitz aus zu beobachten.“ Sie öffnete die Hand und betrachtete die Triskele darin. Dann ließ sie das Amulett in einer Tasche an ihrem Gürtel verschwinden. „Er hatte von Beginn an seine Aufmerksamkeit auf Tom gerichtet. Er hungert stets nach guten Kriegern für Walhall. Es war nichts Außergewöhnliches und natürlich hatte er ein großes Interesse daran, dass Thea mit Kyndill in Asgard bleibt.“

„Das ist nicht fair. Sie ist nur nach Hel gegangen, um euch zu helfen.“

„Einerseits ja und andererseits hatte sie ohnehin keine Wahl. Sie musste die Dinge, die sie mit Kyndill losgetreten hatte, aus der Welt räumen. Davon abgesehen war es dein Vorschlag, nach Hel zu gehen.“

Die alte Baba Jaga krächzte ungehalten. „Was in der Vergangenheit liegt, ist nicht mehr zu ändern. Ihr habt diese Entscheidungen alle zusammen getroffen. Sie haben euch schlussendlich zum Ziel geführt. Das ist wichtig.“

„Nur dass Thea hinter dem Ziel statt mit Blumen und Dankbarkeit mit einer kalten Dusche begrüßt wurde. Wenn Odin doch nur versucht hätte, auch etwas für sie zu tun. Es schmerzt nicht weniger, dass sie mich wieder einmal nicht in ihre Pläne eingeweiht hat, aber langsam verstehe ich sie. Odin hat das Unglück selbst heraufbeschworen! Erneut!!“

Nun nahm sich auch die Walküre einen Pfannkuchen. Schweigend rollte sie ihn zusammen, behielt ihn aber in der Hand.

Die mittlere Baba Jaga folgte ihrem Beispiel. Auch ihre zweite Portion bestrich sie mit Marmelade. „Was wirst du jetzt tun?“

„Wir werden sie suchen“, erwiderte Wal-Freya und nahm einen Bissen.

Juli runzelte die Stirn und die Wanin nickte ihr entschlossen zu.

„Wir?“, versetzte Juli. „Schließt das mich mit ein?“

Die Walküre nickte abermals.

„Auf gar keinen Fall! Niemand außer mir wünscht sie sich sehnlicher zurück. Aber Odin hat eindrucksvoll bewiesen, wie er mit ihr umgeht, wenn er auch nur den Verdacht hegt, sie habe ihn verraten. Nicht auszudenken, was er jetzt mit ihr anstellt, sollte er sie zu fassen bekommen.“

„Meinst du nicht, dass es genau deshalb umso wichtiger ist, dass wir sie zuerst finden? Ganz Asgard wird sich an ihre Fersen heften.“

„Keinen Finger mache ich mehr für Odin krumm. Ich habe seine Drohung mir und Tom gegenüber sehr wohl verstanden. Wir haben nichts mit Theas Tat zu tun. Kein Argument der Welt würde ein solches Handeln rechtfertigen. Loki hat ihn Jahrhunderte vorgeführt und er hat Sigyn auch nicht an irgendwelche Zinnen gehängt.“

„Das hätte Loki nicht dazu gebracht, aufzutauchen“, versetzte Wal-Freya.

„Das soll mich jetzt trösten?“, ächzte Juli.

„Da ist er ja“, sagte die alte Baba Jaga völlig aus dem Zusammenhang gerissen.

Juli drehte sich um und folgte ihrem Blick. Mit langen Schritten stapfte Thor heran. Schweigend hob er die Hand zum Gruß. Sein mürrischer Gesichtsausdruck hellte sich auf, je näher er der Decke kam. „Pfannkuchen!“, kommentierte er mit leuchtenden Augen und griff in den Stapel, kaum dass er sich niedergelassen hatte. Er rollte gleich zwei davon zusammen, nahm sich den Topf mit der Marmelade und tunkte die Mehlspeise darin ein. Ein wohliger Laut kündete von seiner Verzückung. „Wie machst du das nur, dass sie so locker sind?“

„Du musst das Eiweiß vorher trennen und aufschlagen“, erklärte die junge Baba Jaga.

Empörung machte sich in Juli breit. „Wollt ihr jetzt wirklich Kochtipps austauschen?“

Thor lächelte ihr zu. „Nicht doch, ich esse sie lieber, statt sie zu backen. Du solltest auch noch ein paar davon zu dir nehmen, so schnell wirst du die nicht mehr bekommen, wenn du erst in Nif bist.“

„Nif?“

Thor nickte und nahm sich bereits die nächsten beiden Stücke. „Ja, Odin will, dass du und Wal-Freya dort nach Loki und Thea Ausschau haltet.“

„Was soll sie denn in Nif?“, erwiderte Juli fassungslos.

„Es ist nahe der Totenwelt und Loki hat sich schon einmal vor all unserer Augen in Niflheim versteckt“, antwortete Thor kaum verständlich.

„Sie will zu Hel, nicht zu den Riesen“, murrte Juli.

Wal-Freya hob die Schultern. „Loki und Thea haben zum jetzigen Zeitpunkt nicht viele Optionen. Thea ist aus Hel verbannt. Über die Gjallarbrú kommt sie nicht ins Totenreich. Würde sie sich erneut einschleichen, um mit Hel zu reden, riskiert sie, umgehend in den Slidr gestoßen zu werden. Loki muss zuerst mit seiner Tochter verhandeln und Thea an der Gjallarbrú oder tatsächlich in Nif zurücklassen. Jetzt, wo Alvar nicht mehr lebt und die Riesen alle Hände voll mit der Wahl seines Nachfolgers zu tun haben, wäre es der ideale Ort, um zu warten. Hermodr ist bereits auf dem Weg nach Niflheim. Er würde sie an der Brücke antreffen. Das wird Loki nicht riskieren, deshalb sollen wir nach Nif.“

„Du bist also ebenfalls davon überzeugt, dass Thea Loki nur befreit hat, um die Sache mit Hel zu bereinigen.“

Wal-Freya schmunzelte. „Wir brauchen darüber nicht zu rätseln. Sigyn war dabei, als Thea Loki von seinen Fesseln löste. Sie kennt ihre Verabredung und ja, nichts anderes hat Thea gefordert.“

Juli schlug sich vor die Stirn. „Wie dumm von mir! Hättest du mich in der Halle bleiben lassen, hätte ich nicht darüber spekulieren müssen.“

Die alte Baba Jaga brummte abwehrend. „Es zeigt nur, dass du deine Freundin gut kennst.“

„Und glaub mir, es war nur zu deinem Besten“, raunte Wal-Freya.

Seufzend rollte Juli einen weiteren Pfannkuchen zusammen. Sie musste zugeben, dass es ihr mit Baba Jagas Gebäck schon viel besser ging. „Es beruhigt mich ein klein wenig, dass Thea dabei einen Plan verfolgte. Ich hatte Angst, die Grausamkeit der Fesselung hätte ihr das Herz weich gemacht“, brummte Juli.

„Hat es nicht“, erwiderte die alte Baba Jaga.

Die Mittlere schüttelte den Kopf. „Das ist allerdings auch keine Entschuldigung für ihre Tat.“

„Ich werde euch trotzdem nicht helfen, sie zu suchen, es ist besser, wenn sie in Hel ist. Dort ist sie vor Odins Zorn in Sicherheit. Ich wiederhole: Gerade wollte er mich an Asgards Zinnen aufhängen und ich hatte mit der Sache nichts zu tun.“

Thor lachte. Er lehnte sich vor, stützte seine Hand neben das Tablett und wuschelte Juli erst in den Haaren, ehe er sich zwei weitere Pfannkuchen angelte. „Als würde jemand in Asgard zulassen, dass Odin dich irgendwo aufhängt. Vorher stürzt der Himmel ein“, sagte er, als er wieder saß.

Juli verschränkte die Arme. „Schön, ich suche sie trotzdem nicht.“

Thor hob erstaunt die Augenbrauen.

„Ich helfe niemandem dabei, meine Freundin zu jagen. Wo immer sie jetzt ist, ich hoffe, sie erhält das, was sie sich wünscht.“

„Wenn Skadi sie zuerst in die Hände bekommt, bindet sie sie mit oder ohne Loki an den Felsen fest“, erwiderte Thor leidenschaftslos. „Thea hat Skadi ihre Rache genommen. Sie ist wütender als mein Vater. Glaub mir, man hat lieber Streit mit ihm.“

„Bis dahin hat Loki die Dinge mit Hel hoffentlich geklärt“, raunte Juli.

„Er wird es, Loki hält stets seine Versprechen, er wird sich für Thea einsetzen. Aber er ist zu schlau, um das jetzt zu riskieren. Der Plan wäre zu offensichtlich und viel zu gefährlich. Er weiß, dass wir ihr Ziel kennen. Er hat nur einen geringen Vorsprung. Er würde es niemals wagen, es sei denn er plant, uns Thea auf einem silbernen Tablett zu servieren. So schätze ich ihn jedoch nicht ein. Er wird irgendwo warten, bis die Luft rein ist. Früher oder später wird Theas Ziel Hel sein, aber nicht zu diesem Zeitpunkt.“

„Auch gut. Loki hat sich Jahrhunderte vor euch versteckt, er wird dafür sorgen, dass es so bleibt“, erwiderte Juli.

„Thea ist nicht Loki“, erinnerte Wal-Freya.

Mürrisch brummte Thor: „Du kannst doch nicht wollen, dass sie Jahre irgendwo herumlungern muss.“

„Was sonst? So ist sie vor Odin geschützt. Ich werde ihr nicht in den Rücken fallen.“

Seufzend erwiderte Thor: „Was hast du für eine Alternative? Willst du nach Midgard zurück und dort auf sie warten, während wir sie suchen?“

„Ihr plant nicht wirklich, das zu tun und sie dann eurem Thing vorzuführen, nach all dem, was wir zusammen durchgestanden haben.“

„Noch einmal: Nein!“, erwiderte Wal-Freya bestimmt.

„Und eure Alternative ist?“

Thor zuckte die Schulter. „Für sie einstehen ...“

Juli hob ratlos die Hände. Sie holte ihren Pfannkuchen zurück und kaute nachdenklich auf ihrem Bissen. Beide Vorstellungen behagten ihr nicht. Die Situation war zu verrückt, es schien gerade so, als wäre alles auf Anfang gesetzt, nur dass Thea jetzt auf der anderen Seite stand. „Wenn sie überhaupt noch bei Loki ist, wird sie nicht zulassen, dass er Asgard erneut angreift“, murmelte sie. „Ich hoffe, sie ist bereits in Hel. Dort sehe ich sie eines Tages wieder. Ich kann euch dabei helfen, Loki zu schnappen, aber nicht Thea.“

„Er hat sie schon dazu gebracht, ihn zu befreien. Niemand weiß, was sie sonst noch tun wird, um ihr Ziel zu erreichen“, raunte Thor.

„Nichts, was uns schadet!“, begehrte Juli auf.

Wal-Freya brummte aufmunternd. „Loki suchen ist doch ein guter Anfang.“

Juli schüttelte den Kopf. Sie wollte noch immer nicht begreifen, was mit ihr geschah. „Können wir vorher einen Abstecher nach Midgard machen? Ich fürchte, das müssen wir nicht nur meinen Eltern erklären.“

„Und ich fürchte, dass das schon längst geschehen ist“, erwiderte Thor.

„Was meinst du?“

„Odin hat Walküren nach Midgard geschickt“, erklärte Thor.

Juli sah zu Wal-Freya und konnte gerade noch erkennen, dass diese ihren verdutzten Blick vom Donnergott abwandte.