Die Modeschöpferin von Manhattan - Joan Weng - E-Book

Die Modeschöpferin von Manhattan E-Book

Joan Weng

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Beschreibung

Die Haute Couture der Liebe. 

August, 1939: Die Welt steht am Abgrund, doch Manhattan tanzt – in den Kleidern von Valentina Schlee, den exquisitesten Kreationen der Welt. Die Modeschöpferin und ihre junge Assistentin Daisy arbeiten nur für die reichsten, schönsten und glamourösesten Damen der Gesellschaft: Marlene Dietrich, Katharine Hepburn und vor allem eine – die große Greta Garbo. Doch während Daisy sich zu einem Mann hingezogen fühlt, den sie nicht lieben darf, merkt sie bald, dass auch Valentina ein Geheimnis mit sich trägt … 

Ein facettenreicher Roman über eine riskante Liebe inmitten der goldenen Ära Hollywoods.

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Über das Buch

New York, August 1939: Flirrende Hitze liegt über Manhattan, wo Daisy täglich die Subway zu »Valentina Couture« nimmt – dem Laden der legendären Modeschöpferin Valentina Schlee. Die talentierte Daisy genießt das Vertrauen der unnahbaren Valentina und glaubt, die Wünsche und Sehnsüchte der exklusiven Kundinnen zu kennen. Doch als sich eine der berühmtesten Schauspielerinnen ankündigt, reicher und glamouröser als alle anderen, muss Daisy einsehen, dass sie sich getäuscht hat, denn in der Welt der Eitelkeit herrschen ganz eigene Regeln.

Über Joan Weng

Joan Weng, geboren 1984, studierte Germanistik und Geschichte und promoviert über die Literatur der Weimarer Republik.

Im Aufbau Taschenbuch sind ihre Romane »Die rote Tänzerin«, »Amalientöchter«, »Das Café unter den Linden«, »Die Frauen vom Savignyplatz«, »Die Damen vom Pariser Platz« und »Die rote Tänzerin« sowie die Kriminalromane »Feine Leute« und »Noble Gesellschaft« lieferbar.

Mehr zur Autorin unter joanweng.de

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Joan Weng

Die Modeschöpferin von Manhattan

Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Widmung

Kapitel 1 — Manhattan 20. August 1939

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25 — Manhattan Oktober 1939

Nachwort

Danksagung

Impressum

Für Silvia Lupu In Erinnerung

Kapitel 1

Manhattan 20. August 1939

Der Sommer war drückend heiß und voller Hoffnung – man hoffte auf andauernden Frieden in Europa, man hoffte auf einen wirtschaftlichen Aufschwung oder wenigstens auf einen neuen Garbo-Film.

Daisy Goldenblatts Eltern jedoch hofften vor allem auf eines: einen Heiratsantrag von Alistair Fraser, von den Frasers aus Louisville.

Der wirtschaftliche Aufschwung kam, das sah Daisy allenthalben. Es war, als durchströme ein großes Aufatmen ganz Amerika: aufwärts, nach zehn quälenden Jahren Wirtschaftskrise, endlich wieder aufwärts.

Überall wurde das Wunder sichtbar: Die zerlumpten Arbeitslosen, die rachitischen Kinder, die mageren Frauen, die sich in löchrigen Strümpfen feilboten, all diese Schreckgespenster des Schwarzen Freitags waren plötzlich verschwunden, oder zumindest schrumpfte ihre Zahl.

Roosevelt hatte es geschafft.

Ein neuer Garbo-Film würde auch kommen oder wurde zumindest aktuell gedreht, eine Komödie sollte es sein. Etwas Lustiges über Russen und Stalin und die große Liebe würde es werden – so hatte es Daisy zumindest gerade in der Zeitung gelesen.

Eigentlich las sie nicht gerne Zeitung, all die unerfreulichen Dinge darin gingen ihr auf die Nerven.

Nur hatte der Herr, der seit der Station Wall Street in der Subway neben ihr gesessen hatte, seine Blätter so umfassend ausgebreitet, dass Daisy schon die Augen hätte zukneifen müssen, um dem baldigen Garbo-Film zu entgehen.

Und auch in Europa schien sich die Lage gut zu entwickeln, der Frieden würde halten. Verhandelten all diese grauen Anzugträger nun nicht schon seit Wochen sehr öffentlich im Geheimen mit Josef Stalin, um diesen hässlichen kleinen Deutschen von allen Seiten einzukeilen?

Zumindest glaubte Katej, Daisys Kollegin bei Valentina Schlee Couture, fest an Genosse Stalins guten Willen, verteidigte dessen Kriegshass gerne laut und wortreich. Der Sozialismus per se war ja schon ein Garant für den Frieden und wer war mehr davon beseelt als der große Genosse Stalin? Da reichte Katej ein Blick in seine seelenvoll dunklen Augen.

Daisy für ihren Teil hegte Zweifel daran – doch da sämtliche Männer in ihrer Familie fanden, Frauen sollten sich keine politische Meinung anmaßen, hielt sie sich mit dieser Einschätzung zurück.

In New York hatte man vielleicht im Moment eine politische Meinung, aber hier trugen die Damen auch Taschen mit Bambushenkeln, und beides war im Süden im wahrsten Sinne des Wortes untragbar. Man konnte da fragen, wen man wollte.

Eine Frau mit politischer Meinung war einfach ungehörig. Was käme dann bitte als Nächstes? Krokodilleder nach fünf Uhr?

Daisy stammte aus Savannah, tief im Süden. Wie froh sie war, von dort fortgekommen zu sein. Und wie froh sie war, dass heute Montag war. Vergnügt ließ sie ihre Handtasche am Bambushenkel hin und her schlenkern.

Montag war der beste Tag der Woche, genau wie Samstag der gefährlichste war: Samstags war das Risiko eines Heiratsantrags am höchsten, Sonntag war auch noch nicht ohne, aber niemand hielt montags um die Hand einer Dame an – am allerwenigsten Alistair Fraser von den Frasers aus Louisville. Der tat sowieso nie etwas, was sich nicht gehörte.

»Hast du den Sonntag überstanden, oder muss ich kondolieren? Ich meine natürlich: zur Verlobung gratulieren?«, rief Katej nun auch sehr passend, gerade als Daisy aus der herrlichen Kühle der Subway-Unterführung hinaustrat. Es war, als liefe sie gegen eine heiße, nach Abgasen stinkende Wand. Ihr luftiges, bunt gestreiftes Leinenkleid begann fast sofort an ihr zu kleben.

»Ah, ich sehe schon: Du bist entkommen.« Lachend hakte sich Katej bei ihr ein, fragte dann: »Was hast du ihm gesagt?«

»Sommergrippe.« Daisy hustete einige Male demonstrativ, aber es gab eben Dinge, die waren unausweichlich, und seit zwei Wochen war Alistair nun fertiger Jurist, ein Einstieg in die Kanzlei von Daisys Vater war für Oktober geplant, weshalb ihre Mutter und ihre zukünftige Schwiegermutter ihr auch schon reichlich hektisch Briefe schrieben.

Woran lag die Verzögerung? Warum hatte Alistair ihr noch immer keinen förmlichen Antrag gemacht?

War Daisy nicht extra seinetwegen und wegen seines – reichlich extravaganten – Wunsches, in New York zu studieren, in diesen Moloch von einer Stadt gezogen? Als ob es im Süden keine Universitäten gäbe! Hatte sie nicht nur seinetwegen bald zwei Jahre unter diesen barbarischen Yankees und fern von ihrer Familie gelebt? Nun ja, bei Tante und Onkel, aber trotzdem.

Ihre Mütter wollten endlich mit den konkreten Planungen für die Hochzeitsfeierlichkeiten beginnen – am besten wäre das letzte Septemberwochenende, denn im Oktober verfärbte sich das Laub schon, und das würde einen ziemlich grässlichen Hintergrund zu Daisys rotblondem Haar abgeben.

»Was meinst du, Katej? Wie lange kann ich krank bleiben? Wie lange dauert so eine Sommergrippe denn schlimmstenfalls?«

»Ach, bei Grippe weiß man nie. Das ist tückisch, da gibt’s auch immer mal einen Rückfall. Schonung ist das Beste und strikt keine emotionale Aufregung.« Katej zwinkerte ihr vergnügt zu. »Überhaupt warst du schlau, gestern direkt nach dem Film heimzugehen. Freddy ist so eine Landplage, wenn er getrunken hat. Also den heirate ich bestimmt nicht!«

Katej war auch noch nicht verlobt, was daran lag, dass sie sich einfach nicht entscheiden konnte. New York war voll von Kandidaten, und wenn man sich erst einmal festgelegt hatte, dann war der Spaß vorbei. Endgültig. Dann gab es nur noch Haushalt und Kinder und nie mehr schöne Kundinnen bei Valentina Couture und durchtanzte Nächte.

»Dabei hat er doch – ich zitiere – ›den prächtigsten Schnurrbart von ganz Manhattan‹«, stichelte Daisy gut gelaunt, während sie an sommerlich dekorierten Schaufenstern vorbeieilten. Man trug nun wieder Pastell und gerne auch gestreift.

»Also heiratest du dann doch Mick? Ich kann dir sagen, so eine Festanstellung bei der Vertretung von Shell Oil, das ist viel wert.«

»Hör mir auf mit Festanstellung. Mit dem war ich ja am Samstag weg, und um den zu ertragen, musste ich drei Blue Mondays trinken. Von dem ganzen Zucker habe ich bestimmt zugenommen.«

Daisy musterte Katejs gertenschlanke Erscheinung in ihrem blau-weißen Lieblingskleid, todschick mit neuem Strohhütchen und Handtasche mit Bambushenkel.

»Nein, ich glaube, es ist alles in Ordnung«, gab sie Entwarnung, aber Katej schien ihr nicht zu glauben und erklärte: »Ich versuche ab heute eine neue Diät. Die macht Mae West auch, habe ich gehört, als die Crawford es Madame Valentina erzählt hat. Weil Madame sich doch weigert, mit der West zu arbeiten, weil die – jetzt zitiere ich – ›ein Gesicht wie ein Pfannkuchen hat, aber keiner von der leckeren Sorte‹.«

»Aber du bist viel schlanker als Mae West, sonst hätte Madame dich auch nie eingestellt«, gab Daisy zu bedenken. »Ich glaube nicht, dass du Diättipps brauchst. Und außerdem arbeitet Madame mit der West nicht, weil die über Madame gesagt hat, sie sähe aus wie ein Suppenhuhn von der Heilsarmee.«

»Die ist aber echt lecker, also die Hühnerbrühe von der Heilsarmee, meine ich. Ich hab die als Kind öfters gegessen«, wandte Katej ein, und wie immer, wenn sie nachdachte, blieb sie erst einmal stehen. Dabei hatten sie es mal wieder furchtbar eilig, um fünf vor acht musste aufgeschlossen werden, damit sie Schlag acht in ihren schönen Salesdresses am Schreibtisch sitzen und die Morgenpost sortieren konnten. Um halb neun würde Katej damit beginnen, die unwichtigeren Korrespondenzen in die Maschine zu hacken, während Daisy rasch noch einmal durch den Verkaufsraum von Valentina Couture eilen, das wachsame Auge schweifen lassen würde.

Auf der Suche nach – was?

Vielleicht einem Stäubchen oder einem welken Rosenblatt? Sie erkannte einen Makel, wenn sie ihn sah.

Nach nun mehr zwei Jahren in ihrer Stelle wusste Daisy, worauf die große, die gottgleiche Valentina Schlee Wert legte: vollkommene Perfektion.

Nicht mehr und nicht weniger.

Und der Verkaufsraum hatte das zu spiegeln – wobei das Wort Verkaufsraum die besondere Bedeutung dieses fast schon magischen Zimmers nicht traf.

Im Gegensatz zu normalen Geschäften fanden sich hier keine turmhohen Stapel voll grellfarbiger Pullover oder Rollwägen mit auf Bügeln gespießten Röcken. Auch Kleiderpuppen suchte man vergeblich. Zwar arrangierte Madame persönlich jeden Donnerstag das Schaufenster, aber die androgynen Drahtgestalten darin trugen nur Ensemble, die bereits verkauft oder zumindest bestellt waren.

Oft waren die Fenster auch bis auf die cremeweiße, strahlend reine Bespannseide leer, oder auf der marmornen Präsentiersäule stand etwas seltsam Unpassendes – ein zur Pusteblume werdender Löwenzahn, eine zerknüllte, vielleicht aus dem Rinnstein gefischte Zeitung, ein russischsprachiges Buch mit einem Kaffeefleck auf dem Einband.

Weder Daisy noch Katej noch dem Boy war klar, was diese extravagante Dekoration sollte, und die gesichtslos in den Hinterräumen werkelnden Näherinnen wussten es vermutlich erst recht nicht.

Doch betrat sowieso keine Kundin wegen des Huts im Schaufenster den marmorgefliesten Verkaufsraum – und tat es eine unwissende Touristin, eine neugierige Passantin doch einmal, dann war es Daisys Aufgabe, den Eindringling mit freundlichen, aber unmissverständlichen Worten aus den geweihten Hallen hinauszukomplimentieren.

Nein, Valentina Couture glich keinem anderen Laden, weder in Manhattan noch sonst irgendwo.

Hatte eine Kundin einen in dem von Daisy geführten Buch vermerkten Termin, dann führte Katej sie zu einer kleinen rosafarbenen Louis XVI.-Chaiselongue, wo man sie zu warten bat.

Jede Dame wartete geduldig, immer und grundsätzlich – was Madame Valentina währenddessen tat, wusste niemand.

Sie ließ eben warten, und ihre Kundinnen warteten klaglos, oder sie machten ihren Platz in der strengen Kundenkartei frei – wie beispielsweise Ava Gardner, die nach einer Dreiviertelstunde wutentbrannt davonstürmte und Madame Valentina mit einem Kopfschütteln zurückließ.

»Ein Jammer, ich hätte ihr gerne geholfen. Heutzutage muss niemand mehr so herumlaufen. Sie weiß vermutlich gar nicht, was sie sich für Chancen verbaut, in so einem … so einem … Überwurf!«

Auf das Entsetzen über Ava Gardners Kleid hin hatte Daisy Madame Schlee ein in Champagner aufgelöstes Aspirin bringen und alle weiteren Termine des Tages absagen müssen.

»Komm, Katej, wir sollten weiter«, drängelte Daisy nun und gab ihrer Freundin einen kleinen Puff mit dem Ellenbogen.

Es war schon jetzt so unerträglich heiß, zwischen all diesem ins grenzenlose Blau aufragenden Beton staute sich die Hitze. Nicht einmal die ewigen Tauben flatterten herum und verbreiteten etwas Luftzug.

Wie schafften es nur all diese Männer, in ihren grauen und beigen Anzügen nicht einfach zu kollabieren? Abends sah man manchmal eine gelockerte Krawatte, einen geöffneten Kragenknopf oder eine in den Nacken geschobene Kreissäge, aber jetzt …

Katej stand wie angewurzelt und erklärte: »Ich überlege, an welchem Tag es immer die gute Brühe gab. Wir könnten da mal zusammen hin. Brühe macht nicht dick.«

»Ich muss heute Abend ins Ritz. Alistair hat mich eingeladen«, bekannte Daisy und kam nicht umhin, eine vage Bannigkeit zu spüren. Am Ende hatte ihn seine Mutter so unter Druck gesetzt, dass er ihr doch einen Antrag machen würde. An einem Montag!

»Ich hab ihm aber gesagt, ich weiß nicht, ob ich gesund genug bin. Stichwort: Sommergrippe.«

»Hühnerbrühe ist ein bewährtes Hausmittel gegen Erkältung«, wandte Katej ein, doch sie war aus ihrer Versteinerung gerissen. »Ich würde absagen, Ritz ist brandgefährlich. Da schellen meine Verlobungsalarmglocken wie verrückt, ganz egal, welche Theorien über die Mondphase du da hast.«

»Über die Wochentage, nicht die Mondphase«, korrigierte Daisy und fuhr nachdenklich fort: »Was ist daran so besonders? Ich meine, er wohnt im Ritz. Das ist doch dasselbe, wie wenn Freddy uns zu dem Italiener einlädt, über dem er sein Zimmer hat, oder? Für einen Antrag sollte er sich schon etwas Mühe geben.«

»Er ist ein Fraser. Sein Urgroßvater hat sich so viel Mühe gegeben, das reicht für die nächsten zehn Generationen.«

Darauf fiel Daisy nichts mehr ein. Vermutlich hatte Katej recht.

Für einen Alistair Fraser galten eben andere Regeln als für Freddy, Jerry oder Charles oder mit wem Katej sonst gerade tanzen ging.

Alistair war schmal und blond, und wenn man gemein sein wollte, dann konnte man ihm eine Ähnlichkeit mit diesen mageren, vollkommen überzüchteten Windhunden nachsagen. Die Frasers besaßen Plantagen, Mietshäuser, eine Ziegelfabrik, aber auch Eisenbahnen, und aus einer Laune heraus hatte Alistairs Onkel mehrere Kaufhäuser erworben.

Alistair selbst war jedoch wenig geschäftstüchtig, er las gern, und manchmal komponierte er kleine Stücke für die Geige, außerdem schrieb er Gedichte und malte, sehr abstrakt – nicht einmal Daisy erkannte, was er da kritzelte, und sie gab sich wirklich Mühe.

»Na ja, irgendwann wird er mich sowieso fragen«, sagte Daisy und seufzte gottergeben. »Dass wir heiraten, steht seit Jahren fest, der Antrag ist eine reine Formsache. Also warum nicht heute, bringen wir es hinter uns.«

»Hach, wie romantisch«, erwiderte Katej und verdrehte die hübschen Veilchenaugen. »Warum sagst du ihm nicht einfach, dass du nicht willst?«

»Ich will ja nicht nicht. Also ich meine, ich habe nichts gegen Alistair. Er ist ein feiner Kerl und alles …«

Daisy nickte entschieden. Besonders entschieden, weil sie durchaus einen nagenden Zweifel fühlte: Was, wenn Alistair sie nicht fragen würde? Sie am Ende auch nicht heiraten wollte? Zum Gespött von ganz Savannah hätte sie sich dann gemacht. Hatte ihre Mutter ihr nicht gleich geraten, nicht seinetwegen nach New York zu gehen? Sah das nicht nach Hinterherlaufen aus? Was sollte dann aus ihr werden, so ohne Antrag?

Nein, sie würde jetzt nicht anfangen, sich verrückt zu machen. Sie brauchte einen klaren Kopf für die Arbeit, auch wenn sie den Job ja bald aufgeben würde.

Das würde ihr nicht leichtfallen, sie mochte ihre Stelle, aber es war, wie ihre Mutter und die Tante ständig sagten: Daisy konnte nicht ewig Saleslady bleiben. Zu arbeiten ging für eine junge Dame vielleicht gerade noch so bis zur Verlobung, danach war aber Schluss. Das ließ sich nicht ändern. Aber darum würde sie sich jetzt noch besonders viel Mühe geben.

Gegen elf würde Judy Garland zur Anprobe für dieses Reisekleid kommen, und morgen, ja morgen war der große Tag: Eleonora Roosevelt, die Präsidentengattin, hatte sich angekündigt. Erst mal nur für ein Kennenlernen – Madame Valentina war zögerlich. Offensichtlich würde sie den klangvollen Namen gern in ihre Kundenkartei aufnehmen, da würde er sich zwischen den Namen von Erbinnen und reichen Gattinnen, neben den Kennedy-Töchtern, Wallis Simpson und Katharine Hepburn auch gut machen. Andererseits sah Mrs. Roosevelt eben nicht aus wie die Schönheitsköniginnen, die sich sonst von Madame Valentina einkleiden ließen. Trotzdem bereitete Daisy seit Wochen schon alles für den morgigen Tag vor – beispielsweise würden gegen fünf Uhr am Morgen cremefarbene Orchideen auf Eis geliefert werden, ganz frisch und strahlend schön, trotz der grauenhaften Hitze. Die Schnittrosen, die für gewöhnliche Kundinnen im Salon standen, waren – trotz beständig surrendem Ventilator – manchmal schon gegen Mittag in den Blättern etwas welk. Beim Gedanken, die Präsidentengattin in einem Salon voller schlapper Blumen zu begrüßen, war Madame Valentina schon wieder bedenklich blass geworden –, aber dann hatte Daisy ja die Idee mit dem Eiswasser gehabt. Darauf war sie durchaus etwas stolz.

»Es interessiert dich ja ohnehin nicht weiter, aber nachdem du gestern gegangen bist, ist Christopher doch noch gekommen, ziemlich viel später«, warf Katej ihr beiläufig zu und zwang Daisy, ihr luftiges Strohhütchen etwas tiefer ins Gesicht zu ziehen.

Sie bekam rote Wangen, das lag zwar vor allem an den Temperaturen, aber die Freundin brauchte es nicht zu sehen, sie würde sonst nur wieder feixen.

Christopher Flanagan war Freddys Cousin, was nicht viel bedeutete, weil sämtliche Iren New Yorks mehr oder weniger Cousins und Cousinen zu sein schienen. Aber vermutlich wegen der Verwandtschaft hatte er Freddy im Januar gefragt, ob der sich mit ihm die Miete teilen wollte, und es war ganz sicher allein die Verwandtschaft, wegen der er Freddy ständig Geld lieh. Selbst hatte er nämlich auch keines, er schrieb für ein sozialistisches Blatt regelmäßig kleine Artikel über die irische Unterschicht und Glossen für teure Magazine, und in der aktuellen Ausgabe des New Yorker war eine Kurzgeschichte von ihm abgedruckt. Aber weil ihm das zum Leben nicht reichte, verkaufte er zusätzlich Hotdogs am Eingang zum Central Park. Außerdem hatte er ganz blaue Augen, einen Kopf voller braun-blonder Locken, und wenn er lachte, sah man, dass sein linker Schneidezahn etwas abgebrochen war. Dafür war sein Vater verantwortlich oder vielleicht auch jemand ganz anderes – es war nicht leicht, als Ire in Manhattan aufzuwachsen. Trotzdem lachte Christopher viel oder hatte es zumindest früher getan.

Allein beim Gedanken daran verkrampfte sich Daisys Herz derart, das konnte nicht gesund sein, aber sie ging einfach schneller, und da lag es auch schon vor ihnen: Valentina Couture – immer wieder ein beeindruckender Anblick.

So schlicht, mit den bizarr arrangierten Schaufenstern, den in weißen Marmortrögen stehenden Buchsbäumchen, der schwarz-weißen Markise und der täglich auf Hochglanz polierten Messingklinke. Noch lag kein Teppich vor der Tür, und auch der Boy war vermutlich gerade dabei, den letzten Staub von seinen blauschwarzen Lackschuhen zu wischen, aber in zwei Stunden würde hier alles bereit sein.

Während sie die Tür aufschloss, fragte Daisy so beiläufig wie möglich: »Warum ist Christopher denn erst so spät gekommen? Ich habe ihn schon seit zehn Tagen nicht mehr gesehen. Ist alles in Ordnung bei ihm?«

»Was weiß ich«, entgegnete Katej mindestens genauso gleichgültig. »Ich glaube, er arbeitet für den New Yorker an irgendeiner Geschichte. Und er hat ein Angebot bekommen für eine Festanstellung als Journalist.«

»Das ist aber schön für ihn.« Betont geschäftig verstaute Daisy den Schlüsselbund. »Worum geht es denn in der Geschichte?«

»Ach, ich weiß nicht. Ich war ja auch schon ziemlich beschwipst. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern …« Katej grinste undamenhaft und ergänzte: »Er hat übrigens nach dir gefragt.«

»Ach.« Daisy drückte die Tür auf, betrat den Salon. Vollkommene Stille umfing sie, vollkommene Stille und der seltsam tröstliche Geruch nach Marmorpolitur und Rosen. Sie glaubte, ihren hektischen Herzschlag hören zu können, fasste all ihren Mut zusammen und erkundigte sich: »Was wollte er denn wissen?«

»Nur wie es dir geht, was deine Verlobung macht und ob du schon den Umzug zurück nach Savannah planst. Ich hab gesagt, er solle dich vor dem größten Fehler deines Lebens bewahren und dich einfach entführen«, sagte Katej und kicherte. »Ich war wie gesagt schon etwas beschwipst.«

»Oh, Katej«, seufzte Daisy und bemühte sich dabei, ausreichend tadelnd zu klingen. »Wann wirst du endlich begreifen, dass das Leben kein Hollywoodfilm ist?«

»Hoffentlich nie!«, rief die Freundin ihr über die Schulter zu und lief eilig in Richtung Büro.

Daisy aber blieb im Salon stehen, atmete abermals tief ein, sie liebte den morgendlichen Geruch dieser Räume, da lag etwas Magisches in der Luft, das Versprechen, dass am Ende alles gut und schön werden würde. Ja, das glückliche Ende war zum Greifen nahe – alles, was es brauchte, war das richtige Kleid.

Kapitel 2

Wir sind am Ende!«, flüsterte Katej, und in ihren veilchenblauen Augen glänzten Tränen. »Wir sind verloren, vollkommen verloren. Was sollen wir denn nur tun?«

In ihrer kleinen Hand schwenkte sie ein Telegramm, und Daisy hielt sich einen Finger an die rougierten Lippen, legte den Telefonhörer auf die Gabel und lächelte – das war das Mindeste, was man von einer höheren Tochter aus Savannah erwarten konnte, das Lächeln verließ sie nie. Das sah man an ihrer Mutter, das sah man an ihrer Tante – wobei die Mundwinkel der Letzteren inzwischen manchmal verdächtig zitterten.

»Was ist los?«, fragte sie, wobei sie erneut den Hörer in die Hand nahm – sie hatte noch eine ganze Reihe von Telefonaten abzuarbeiten, aber sie kam einfach nicht voran.

Ständig musste sie daran denken, dass sie am Abend ins Ritz sollte und vermutlich einen Heiratsantrag bekommen würde, und dann war sie hochoffiziell am Ziel aller Träume einer höheren Tochter aus Savannah angelangt. Sie war Mrs. Alistair Fraser.

Aber nie wieder würde Christopher Flanagan sie dann durch das nächtliche Manhattan zu ihrer Tante nach Hause begleiten. Nie wieder würden sie den Heimweg absichtlich in die Länge ziehen, sittsam nebeneinander laufend, und nie wieder würden sich ihre Finger, ihre nackten Unterarme rein zufällig ein wenig berühren. Christophers Hände waren immer warm und von Sommersprossen überzogen, so dicht, man konnte sie für Bräune halten.

Manchmal hatten sie sich am Gartentor noch eine Zigarette geteilt, der Abschied war ihnen jedes Mal schwergefallen. Es hätte so viel zu reden gegeben, immer war der Heimweg zu kurz für all das, was sie einander erzählen mussten: von ihren Familien, die so unterschiedlich und dabei doch ähnlich waren, von ihrer Kindheit, die so gar nichts gemein hatte, von ihrem Alltag, der sich so verschieden gestaltete. Von Büchern, die sie beide bewunderten, oder auch darüber, wie es war, wenn geliebte Menschen zu viel tranken, heimlich wie ihre Tante oder ganz offen wie Christophers Vater.

Oft hatte er ihr von seinen Artikeln und sie ihm von Valentinas Kundinnen berichtet, und manchmal hatten sie über Katej und deren Herzenswirrungen gelacht. Sie waren sich einig, dass die Liebe einfach war, man musste nur den richtigen Menschen finden.

Eines konnte Christopher jedoch nie begreifen: dass Daisy keine Wahl hatte. Sie würde Mrs. Alistair Fraser werden, denn so hatten es ihre Familien seit Jahren geplant.

»Daisy!«, brüllte Katej plötzlich ziemlich hysterisch. »Wir sind erledigt, vollkommen erledigt!«

»Ja, was ist denn?« Daisy bemühte sich, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. »Weißt du, hier ist auch viel los. Ich versuche seit bestimmt zwanzig Minuten, die de Acosta zu erreichen, weil ihr Pyjama nicht fertig wird.«

Mercedes de Acosta war Schriftstellerin für Leinwand und Bühne. Eine Tätigkeit, die ihr ganz offensichtlich ausreichend Zeit ließ, ihren beiden wahren Leidenschaften nachzugehen: Zum einen hatte sie – Daisys Wissen nach – mit so ziemlich jeder schönen Frau Manhattans geschlafen, zum anderen liebte sie Mode.