Die Nackten und die Tobenden - Ernst Horst - E-Book

Die Nackten und die Tobenden E-Book

Ernst Horst

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Beschreibung

Kultur kurios: neue Einblicke in die deutsche Seele von Bestsellerautor Ernst Horst.

Deutschland 1953: In Würzburg verlangt ein Regierungsschulrat, dass Medizinstudenten Anatomie nur am männlichen Körper gelehrt bekommen. Die Anatomie des weiblichen Körpers solle erst dazukommen, wenn die Studenten verheiratet seien. Im neu eröffneten Schwimmbad von Paderborn dürfen Männer nur mit Badehosen von vorgeschriebener Beinlänge und Frauen nur mit einteiligen Badeanzügen baden. Sittlichkeit landauf, landab. Kein Wunder, dass die Freikörperkultur, genauer: die Gründung eines Vereins zu dem Zwecke, nackt mit Familie und Freunden alltäglichen Vergnügungen wie Ringtennis oder Baden nachzugehen, ein ausgesprochen deutsches Phänomen in der Geschichte darstellt.

In Die Nackten und die Tobenden lässt Kulturforscher Ernst Horst die Hochzeit der FKK-Bewegung von 1949 bis 1970 wiederaufleben, um zu untersuchen, wie der nackte Körper zum deutschen Kult wurde, welche Kontroversen die Deutschen „im Lichtkleid“ verursachten und wie sie ganz nebenbei eine nie da gewesene Medienlandschaft hervorbrachten.

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Ernst Horst

Die

Nackten &dieTobenden

FKK – Wie der freie Körper zum deutschen Kult wurde

KarlBlessingVerlag

1. Auflage

Copyright © 2013 by Karl Blessing Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich,unter Verwendung des Umschlagmotivs von Licht und Schönheit, Heft Nr. 3,Walter Lehning Verlag, 1953

Satz: Leingärtner, Nabburg

ePub-ISBN: 978-3-641-09322-8

www.blessing-verlag.de

Inhalt

Einleitung

Wie alles anfing – Prolog

Die Phänomenologie der deutschen FKK-Zeitschriften nach dem Zweiten Weltkrieg

Die Verlage

Das Schmutz- und Schundgesetz von 1953 und der Volkswartbund

Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. 2. 1954

Die FKK-Fotografie

Ehret eure großen Männer: Die nackte Prominenz

Sehnsuchtsorte

»Neue Wege der Freikörperkultur«

Kleinanzeigen

Toleranz: Ein Fremdwort mit acht Buchstaben

Die sonderbarsten Sonderhefte

Alpensonne: Österreich und die Schweiz

Hund beißt nackten Mann: Die äußerst langweilige Geschichte der FKK in der DDR

Ein Ende ohne Schrecken – Epilog

Anhang

Erst ohne Hose, sonder Wamsist Baden etwas Wondersams!Drum weine keine Zährchen, Maid,und eil in diese Märchenzeit,wo dich der Strahl der Sonne wetztund dich in diese Wonne setzt.

Ri, der Schüttelreimer, im Sonnenmensch/Helios Nr. 129

Einleitung

She has eyes that folks adore so,And a torso even more so.

Groucho Marx: Lydia the Tattooed Lady

Dieser Bericht ist eigentlich eine Liebeserklärung. Bitte denken Sie daran, wenn ich es vergessen sollte. Es ist so meine Art, dass ich das, was mir gefällt, auch gerne verspotte. Aber worum geht es genau? Vielleicht kennen Sie ja den Begriff Pseudoereignis, den Daniel J. Boorstin in seinem Buch The Image (1961, deutsch 1964) eingeführt hat. Ein Pseudoereignis ist ein Ereignis, das hauptsächlich als seine mediale Inszenierung stattfindet. Ich bin der Meinung, dass die Freikörperkultur von 1893 bis circa 1970 hauptsächlich ein solches Pseudoereignis war. Ich glaube, dass es in dieser Zeit viel mehr Leser von FKK-Zeitschriften und -Büchern gab als tatsächliche Nacktbader. Wenn man so will, dann war am Anfang der Hauptzweck der FKK-Bewegung, dass die einschlägigen Publikationen Stoff hatten, über den sie berichten konnten. Und diese Wechselbeziehung von den Nackten und den Verlagen will ich hier unter anderem schildern. Was die Zeitschriften zu einer besonders angenehmen Lektüre machte, waren natürlich die vielen Fotos von netten jungen Damen, die darin im »Lichtkleid« zu sehen waren. Die FKK ist eine Weltanschauung, und da Deutschland ein Rechtsstaat war und ist oder sich zumindest häufig Mühe gab, als solcher zu erscheinen, konnte die Obrigkeit die Zeitschriften mit diesen Bildern nicht so ohne Weiteres verbieten. So schützten die FKKler die Verlage, und umgekehrt waren die Zeitschriften so etwas wie Rekrutenwerbung für die Nacktvereine. Im Laufe der Jahrzehnte lockerten sich die Sitten dann immer mehr. Die deutschen Männer konnten ihren Bedarf an Aktfotos auch anderswo decken. Die Polizei verlor die Lust daran, Nacktbader zu jagen. Heute gibt es in Deutschland keine kommerziellen FKK-Hefte mehr, und wer nackt baden will, der findet ohne allzu viele Probleme seinen Platz. Der ganz große Trend ist die FKK schon seit vielen Jahren nicht mehr.

Ich will hier aber hauptsächlich über die heroische Epoche berichten, als die FKK-Presse noch der Zerrspiegel war, der die Freikörperkultur-Bewegung zwar entstellt, aber doch noch erkennbar reflektierte. Dabei will ich mich hauptsächlich auf die Zeit von 1949 bis 1970 beschränken. Das hat gute Gründe. Erstens könnte man über die Periode vor 1933 ein eigenes Buch schreiben. Dazu müsste man aber in Hannover leben, weil es nur dort die perfekte Bibliothek für diesen Zweck gibt. Später dann im Nationalsozialismus war die FKK gleichgeschaltet und nur noch eine Persiflage der vielschichtigen Bewegung, die sie noch kurz zuvor in der Weimarer Republik gewesen war. Außerdem fällt mir wie Karl Kraus zu Hitler nichts ein. Erst nach dem Krieg und der Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 ging es in Westdeutschland dann wieder richtig los. Vorher hatte man andere Sorgen. Etwa um 1970 hatte sich die FKK vom Pseudoereignis zum Ereignis entwickelt. Das war zwar gut für die FKK, aber das Thema verlor damit weitgehend seine skurrilen und absurden Aspekte. Pseudoereignisse sind viel komischer als Ereignisse.

Bild 1: Vor vielen tausend Jahren: zeitweiliges Ende der FKK

Mein wichtigster Grund für das Primat der Jahre 1949 bis 1970 sind aber die Bilder. Die FKK-Hefte in dieser Zeit bestanden in der Regel halb aus Fotos und halb aus Text. Das lag wohl am Herstellungsverfahren. Zwei Druckbögen wurden miteinander kombiniert. Deshalb gibt es aus dieser Zeit schöne ganzseitige Fotos in Hülle und Fülle. Diese wirken auf mich etwa so nostalgisch wie Abbildungen von alten amerikanischen Straßenkreuzern. Die besten Schwarz-Weiß-Bilder sehen aus wie die bräunlichen Fotos, die man von früher kennt, nur sind sie wesentlich größer, nämlich ungefähr im Format DIN A5. Die wenigen Farbbilder hingegen haben den Reiz des Unvollkommenen. Sie wirken oft wie handkoloriert, obwohl sie es gar nicht sind.

Man muss gar nicht groß erwähnen, dass nicht die FKK selbst, wohl aber das Betrachten von FKK-Publikationen eine hauptsächlich männliche Beschäftigung war. Frauen sind subtiler, sie betrachten vielleicht auch einmal ganz gerne einen Adonis, aber bei ihnen brennen da nicht gleich alle Sicherungen durch. Falls Sie eine Frau sind, dann müssen Sie, verehrte Leserin, sich das Buch, das Sie gerade in der Hand halten, nicht unbedingt anschauen, außer Sie sind Professorin für Volkskunde. Kaufen Sie einfach zehn Exemplare und verschenken Sie diese an männliche Freunde. Die werden es Ihnen danken.

Aber was ist FKK beziehungsweise Fkk oder Freikörperkultur genau? Das ist einer von mehreren Namen für das gleiche Freizeitvergnügen. Der ursprüngliche Begriff war Nacktkultur. Im Laufe der Zeit bekam dieser Ausdruck einen abwertenden Beiklang. Charly Strässer, ein Nacktkultur-Pionier der 1920er-Jahre, erinnerte sich 1956 daran, dass man sich deshalb 1925 auf einer Tagung in Naumburg auf den Terminus Freikörperkultur einigte. Auf Englisch sagt man nudism (von englisch nude, was wiederum von lateinisch nudus kommt). Auf Deutsch klingt Nudismus aber nicht so gut, etwa so wie Säufer statt Trinker. Deshalb wurde auch noch das Wort Naturismus erfunden, das aber nur die Naturisten selbst verstehen. Bleiben wir also bei FKK, das Wort ist zwar irgendwie kakofon, aber wir sagen ja auch LKW und USA. Manchmal wird die FKK auch Fkk geschrieben, aber man muss sich ja immer festlegen. Der Duden bevorzugt FKK.

FKK ist das gemeinsame nackte Baden, Sonnenbaden und Ballspielen von Männern, Frauen und Kindern im Freien. Das macht man entweder an dafür allgemein freigegebenen Stellen oder auf abgetrennten »Geländen«, die von einem FKK-Verein für seine Mitglieder unterhalten werden. Der deutsche Dachverband der Vereine ist der Deutsche Verband (ursprünglich Bund) für Freikörperkultur, der DFK. Die internationale Organisation der nationalen Verbände ist die INF/FNI, die International Nudist Federation. Viel Bürokratie für die Rückkehr in den Garten Eden! Die FKK ist in Deutschland entstanden und hat sich anschließend in sehr unterschiedlichem Ausmaß auch in anderen Ländern verbreitet. Gerade die deutsche und die schweizerische FKK waren ursprünglich lebensreformerisch und asketisch geprägt. Über alle diese Punkte können Sie später noch mehr lesen.

Was hat FKK mit Sexualität zu tun? Das ist eine schwere Frage, auf die ich noch keine vollständige Antwort weiß. Die größten Gegner der FKK (zumindest in Deutschland und Umgebung) stammten früher sehr oft aus den konservativen Tiefen der katholischen Kirche. Sie sahen wohl weniger in der Nacktheit selbst eine Sünde, vielmehr befürchteten sie einen Automatismus, der von der Nacktheit zu unkeuschen Gedanken und Schlimmerem führt. Irgendwie kam da auch die Erbsünde ins Spiel. FKKler bestritten die Existenz eines solchen Automatismus immer wieder. Furchtlose Reporter wie Rudolf Walter Leonhardt, der verstorbene Feuilletonchef der ZEIT, und Manfred Schmidt, der bekannte Zeichner und Reiseschriftsteller aus den 1960er-Jahren, haben im heldenhaften Selbstversuch einen Nacktbadestrand besucht und dort nur wenig Erotik gefunden. Leonhardts Begleiterin Yvonne Lefranc fasste das Erlebnis so zusammen:

»Ein bisschen viel strip für meinen Geschmack und vielleicht ein bisschen wenig tease, aber das kann ich nicht so beurteilen.«

Ich glaube, die Wahrheit liegt in der Mitte. Männer sind verschieden. Nicht jeder ist ein abgeklärter Rudolf Walter Leonhardt. Der eine oder andere wird auf Sylt vermutlich durchaus seines Nächsten Weib begehren, auch wenn er sich nicht gleich auf sie stürzt. Am FKK-Strand benimmt man sich nämlich hochanständig. Manchmal wird der Begriff FKK auch im Zusammenhang mit Gruppensexaktivitäten missbraucht. Dafür können die FKKler nichts. Das ist ein wenig so wie mit den Masseusen, die sich irgendwann in Masseurinnen umbenannten, weil sich irgendwelche Liebesdienerinnen als Masseusen tarnten. FKK ist nur dann echte FKK, wenn auch Kinder zugelassen sind. Gewisse dumme Menschen ohne Sprachgefühl verwenden den Begriff »FKK« einfach als Synonym für »ganz oder teilweise ausgezogen«. Das ist unpräzise. Ein FKK-Bild zeigt einen vollständig nackten, naturnah aussehenden Menschen im Freien. Vielleicht mit Badesandalen, wenn das Terrain felsig ist, aber niemals mit Stöckelschuhen.

Bild 2: Hinter dem hohen Sichtschutz spielt sich Unvorstellbares ab.

Man kann vermuten, dass die FKK auch eine gewisse Anziehungskraft auf manche Exhibitionisten und Voyeure ausübt. Meine Meinung dazu ist, dass Exhibitionismus und Voyeurismus zwar schon pathologisch sein können, aber als Straftaten ein übertrieben schlechtes Image haben. Laut Spiegel-Online (»Ich mach doch nix«, 31. 5. 2008) fand eine Untersuchung des Bundeskriminalamts unter 8 000 Exhibitionismusopfern kein einziges, das irgendwelche Spätschäden aufwies. Wenn die Exhibitionisten Irre sind, dann doch relativ harmlose. Und Voyeure, die nicht mehr durchs Astloch starren, sondern sich bereits zur anderen Seite des Bretterzauns hin emanzipiert haben, sind sowieso schon fast geheilt. In den 1950er- und 1960er-Jahren haben die FKK-Vereine die Kandidaten für eine Mitgliedschaft immer sehr gründlich geprüft. Wie ich vermute, weit gründlicher als zum Beispiel irgendein Fußball- oder Schachverein. Vielleicht steckte dahinter eine gewisse Paranoia, aber vielleicht kannten sie auch ihre Pappenheimer. Was dabei letztlich herauskam, waren Klubs von handverlesenen biederen Mittelschichtlern. Mittelschichtler schon deshalb, weil dieses Freizeitvergnügen nicht ganz billig war. So ein Verein brauchte ein großes Grundstück. Das lag etwas abseits und war nur mit dem Auto bequem zu erreichen. Eine beliebte Anschaffung war auch ein Wohnwagen, der auf dem Gelände dauerhaft stationiert wurde. Kurz und gut: Die FKKler, die in der Fantasie der Öffentlichkeit aller möglichen Perversionen verdächtigt wurden, waren in Wirklichkeit ein besonders braver Haufen.

Ein wenig anders war allerdings das Publikum, das die FKK-Zeitschriften kaufte. Natürlich gab es da eine Schnittmenge mit den aktiven Wochenend- und Urlaubs-FKKlern. Die dürfte aber gar nicht so groß gewesen sein. Hefte wie die Sonnenfreunde oder der Helios, um einmal die am meisten verbreiteten zu nennen, erreichten eine viel größere Schicht der – vermutlich hauptsächlich männlichen – Bevölkerung. Ab 1953 gab es sie legal nur noch für Erwachsene beim Buchhändler oder im Versandhandel. Man kann aber annehmen, dass es so war wie mit Schnaps und Zigaretten. Eine gewisse Menge fand zumindest im städtischen Milieu auch den Weg zu interessierten Jugendlichen. Ich denke aber, dass sich der Schaden, den das in den Kinderseelen anrichtete, in Grenzen hielt. Wenn ich mir anschaue, was heute im Internet für jedermann frei zugänglich ist, dann waren die 1950er- und 1960er-Jahre im Vergleich dazu eine Art mediales Nonnenkloster. Man konnte allerdings auch immer wieder einmal entsetzte Berichte in der Zeitung lesen, dass die Polizei bei jugendlichen Verbrechern unter dem Bett einen Karton mit billigen erotischen Heften gefunden hatte. Dahinter stand aber nur die klassische Verwechslung von Korrelation und Kausalität. Auch die Comics verdächtigte man seinerzeit regelmäßig, Kinder und Jugendliche auf die schiefe Bahn zu bringen. Von dieser Gefahr liest man heutzutage genauso wenig.

Die meisten Konsumenten der FKK-Hefte waren vermutlich schüchterne Twens, biedere Familienväter, Witwer, zölibatäre Priester und so weiter, die sich einfach nur ein paar schöne Gedanken machen wollten. Das führte dazu, dass eine einmalige Form von Gebrauchskunst entstand, wie es sie vermutlich nie wieder geben wird. Heutzutage darf man ja Dinge als Kunst bezeichnen, die man vor fünfzig Jahren noch als Trash eingeordnet hätte. Die FKK-Presse konnte nur existieren, weil dahinter eine Weltanschauung stand. Man konnte sie nicht abschaffen, da war das Grundgesetz im Weg. Sie war letztlich eine Form der erotischen Literatur, aber auf eine extrem unschuldige Art. Jedes einzelne Foto zeigte etwas, das auch am Strand von Sylt erlaubt war. Die Auswahl der Fotos war aber so, als hätte eine gute Fee alle Badenden bis auf die fünf Prozent der hübschesten und jüngsten Frauen weggezaubert. Dazu kam dann noch ein Anteil von Alibifotos, um alles gerichtsfest zu machen. Die FKK-Hefte waren schiere Heuchelei, aber genau das machte ihren Reiz aus. Pseudoereignisse eben.

Aber wieso die Nackten und die Tobenden? Wer hat da getobt? Erstaunlicherweise haben alle getobt. Die FKK war immer ein Thema, bei dem die Emotionen hochkochten. Betrachten wir zunächst einmal die in Vereinen organisierten FKKler. Die wollten in der Regel ein Gelände in eigener Verwaltung betreiben. Die Vereine bildeten sich meistens in größeren Städten, weil es nur da die notwendige Toleranz und Anonymität gab. Das Gelände aber suchten sie ein wenig entfernt von der Stadt, weil so ein Grundstück ja auch nicht zu teuer sein durfte. Wenn es sich bei den Bauern vor Ort herumsprach, dass es einschlägige Pläne oder Verhandlungen gab, dann war der Aufruhr groß. Vor allem natürlich im erzkatholischen Oberbayern. Eigentlich ist es ja schwer zu begreifen, dass man die Nackten nicht einfach hinter ihrem Sichtschutz machen ließ, was sie wollten. Organisierte FKKler waren immer besonders harmlose Bürger, wenn man von ihrem Alleinstellungsmerkmal einmal absieht. Sie betrieben ihr Freizeitvergnügen mit Frau und Kindern, und viele waren sogar Abstinenzler und Vegetarier. Sie kauften ihr Benzin und ihre Buttermilch umsatzfördernd bei den lokalen Händlern ein. Nichtsdestotrotz wurden manchmal sogar richtige Kriege um so ein Gelände ausgefochten. Es gab Prozesse in mehreren Instanzen und die örtlichen Behörden handhabten das Baurecht sehr restriktiv. Ein FKK-Klub brauchte ja eigentlich nicht viel mehr als ein Angelverein: einen Teich oder ein Schwimmbecken, ein paar Duschen und Toiletten sowie einen Aufenthaltsraum. Aber das mussten sich die Vereine oft mühsam erkämpfen.

Bild 3: Der Sonne entgegen

Ein- oder zweimal habe ich sogar gelesen, dass die Obrigkeit getrennte Duschen für Männer und Frauen vorschrieb – eine besonders kreative Schikane. Etwa im Jahr 1953 oder 1954 prozessierte der FKK-Bund von Neuwied gegen die Gemeinde Bendorf, die ihm die Benutzung seines Geländes im Westerwald verboten hatte. In erster Instanz wurde der Prozess auch gewonnen. Daraufhin ließ das Forstamt vor dem Ortstermin des Gerichts der zweiten Instanz den umliegenden Wald so abholzen, dass der Sichtschutz nicht mehr gewährleistet war. Eine Schulklasse unter Führung eines Pfarrers legte Trampelpfade an, die als »öffentliche Wege« ausgegeben wurden, von denen aus man das schamlose Treiben dann tatsächlich beobachten konnte. Kein Wunder, dass der Prozess endgültig verloren ging.

Ein weiteres Schlachtfeld war eben auch die FKK-Literatur. Diese bestand nach 1949 hauptsächlich aus reichlich illustrierten Zeitschriften. Wie gesagt zeichneten die nicht unbedingt ein getreues Bild der tatsächlichen FKK-Bewegung. Im Pressewesen ist die Auflage immer wichtiger als die Wahrheit. Aber das erklärt noch nicht den Hass, den diese Schriften bei vielen Wichtigtuern auslösten. Ein Bergdoktorroman beschreibt ja auch nicht unbedingt das authentische Leben eines Bergdoktors. Jedenfalls wurden die FKK-Hefte aus der konservativkatholischen Ecke mit einem Aufwand bekämpft, der einer besseren Sache würdig gewesen wäre. In den ersten Jahren nach dem Krieg, als Westdeutschland noch in der Gestalt von drei Besatzungszonen regiert wurde, fand dieser Kampf hauptsächlich lokal statt. Zum Beispiel wurde in vielen Städten den Zeitungskiosken auf städtischem Grund strikt verboten, erotische oder vermeintlich erotische Publikationen zu verkaufen.

Nach der Gründung der Bundesrepublik kam dann 1953 nach vielen Diskussionen das Schmutz- und Schundgesetz, das »Schriften, die durch Bild für Nacktkultur werben« automatisch indizierte. Begründet wurde das mit dem Jugendschutz. Dadurch wurden diese Veröffentlichungen aber auch den Erwachsenen schwerer zugänglich, ein Kollateralschaden, der von interessierter Seite vermutlich mit Freude zur Kenntnis genommen wurde. Warum sonst gab es wohl ein Werbeverbot für diese Hefte? Jugendliche durften ja auch keinen Schnaps trinken und nicht Auto fahren, und die Werbung für Cognac und Cabrio war trotzdem nicht verboten. Um die FKK-Zeitschriften gab es serienweise Prozesse in allen Instanzen. Gegen Ende der 1950er-Jahre kehrte dann allmählich Ruhe ein. Die juristischen Fronten hatten sich stabilisiert, und die FKK-Hefte bildeten eine Publikationsform, die von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt eine bescheidene Blüte ausbildete. Erst 1971 kam das Bundesverfassungsgericht dann reichlich verspätet zu der Erkenntnis, dass das Schmutz- und Schundgesetz verfassungswidrig war, jedenfalls so weit die Nacktpostillen betroffen waren.

Aber am allerfaszinierendsten sind die Kämpfe, die die FKKler untereinander ausfochten. Hart auf hart! Das macht Spaß! Dass man sich da gründlich prügelte, ist freilich eine Vorstellung, an die man sich erst gewöhnen muss. An sich sollte man ja meinen, dass die Mitglieder einer kleinen Minderheit, die nach Akzeptanz durch die große Gesellschaft streben, sich wenigstens untereinander vertragen würden. Das war aber nicht so. In der Weimarer Republik gab es diverse FKK-Organisationen unterschiedlicher Ausrichtung, von völkisch bis sozialistisch. In der Bundesrepublik hingegen schlossen sich alle Neu-FKKler, von denen nicht wenige schon vor 1933 aktiv gewesen waren, in dem einen einzigen Dachverband, dem DFK, zusammen. Da trafen sich dann die (ehemaligen?) Antisemiten mit den Naziopfern. Das konnte nicht immer gut gehen. Richard Ungewitter zum Beispiel war jemand, der zwar nie gefordert hatte, die Juden zu ermorden, aber sie doch aus Deutschland ausweisen wollte. Adolf Koch hingegen war ein in der Wolle gefärbter Sozialist, dessen Nacktturninstitut die Nationalsozialisten gleich 1933 verwüstet hatten.

Einen weiteren Konflikt gab es zwischen den – wie ich sie einmal nennen will – asketischen und den hedonistischen Nackten. Ursprünglich war die FKK eng mit der Lebensreform verbunden. Diese FKKler ernährten sich vegetarisch, sie lehnten Alkohol und Tabak ab, sie trugen Reformkleidung und forderten eine Architektur mit viel Zugang zu Sonne und frischer Luft. Ein typisches Beispiel war der gerade erwähnte unsympathische Richard Ungewitter oder der liebenswerte, aber genauso verrückte Schweizer Wandermystiker Werner Zimmermann. Später gab es dann immer mehr FKKler, die einfach nur nackt im Wasser herumplanschen wollten und anschließend auf dem Gelände eine Zigarette rauchen, ein Bier trinken und ein Wurstbrot essen. Diese Hedonisten waren häufig auch deshalb gegen restriktive Vorschriften, weil sie von der FKK als Massenbewegung träumten und niemanden ausgrenzen wollten.

Beim dritten Streitpunkt ging es um das Verhältnis zur feindlichen Umwelt. Die einen wollten möglichst wenig auffallen. Sie hatten ihr Gelände im Wald und versuchten ansonsten unter dem Radar von Staat, Kirche und Justiz zu bleiben. Die freie FKK-Presse war ihnen ein Gräuel. Nicht weil sie diese für wirklich obszön hielten, so viel Heuchelei wäre auch wenig glaubhaft gewesen, sondern weil sie sahen, dass sie die eigentliche FKK in der konservativen Öffentlichkeit in einen schlechten Ruf brachte. Die anderen wie zum Beispiel Adolf Koch waren vom missionarischen Eifer erfüllt. Sie wollten die Welt verbessern und plädierten vielleicht sogar für die – igitt – Sexualreform. Adolf Koch organisierte in Berlin regelmäßige Informationsveranstaltungen über die FKK und ihre Randbereiche und warb dafür an Litfaßsäulen. Damit erregte er so viel Anstoß bei seinen eigentlichen Gesinnungsgenossen, dass er 1964 samt seinem Verein aus dem DFK ausgeschlossen wurde. In den Jahren danach glätteten sich die Wogen aber allmählich. Koch wäre zweifellos irgendwann wieder in den Schoß der Familie zurückgeholt worden, aber sein Tod im Jahr 1970 verhinderte das.

Ganz generell kann man sagen, dass der DFK zwischen 1960 und 1976 alles falsch machte, was er falsch machen konnte. Er musste gegen Gegner von außen kämpfen, die die öffentliche Nacktheit für unzüchtig hielten (jedenfalls bis circa 1970), gleichzeitig maßte er sich die absolute Definitionshoheit für den Begriff FKK an und vergraulte viele, die eigentlich seine Freunde gewesen wären. Dazu kam ein gewisser Größenwahn, der zu einem ungeschickten und verschwenderischen Umgang mit dem Vereinsvermögen führte. Im Jahr 1964 glaubte der damalige 1. Vorsitzende des DFK noch, dass die FKK Deutschland und auch Länder wie Frankreich und Großbritannien alsbald im Sturm erobern würde, als logischer und natürlicher Ausgleich für die Industrialisierung. Es hat nicht sollen sein. Eigentlich ist das alles ja eine eher abschreckende Geschichte, aber im Nachhinein entbehrt sie doch nicht einer gewissen Komik. Und diese Geschichte ist ja auch gut ausgegangen. Heute sind die Schlachten geschlagen und der Pulverdampf hat sich verzogen. Der DFK ist ein lieber kleiner Verein geworden. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft keine Lücke mehr. Wer nackt baden, in der Sonne liegen oder Volleyball spielen will, der findet sein passendes Biotop, und kaum jemand nimmt daran Anstoß. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass die Geschichte der deutschen FKKim 21. Jahrhundert sterbenslangweilig ist. Wenn nur jeder Konflikt so enden würde, »not with a bang but a whimper«, wie es T. S. Eliot formuliert hat, nicht mit einem Knall, sondern einem Winseln.

Wie alles anfing – Prolog

So wächst, Haus für Haus, nackt und dürftig die Jugend heran zu jenem Gliederbau, zu jenen Riesengestalten, an denen wir staunend hinaufschauen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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