Die nie vergessen - Karl Eidem - E-Book
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Die nie vergessen E-Book

Karl Eidem

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Beschreibung

Eine Spur aus Gewalt führt von Schweden bis nach Damaskus: Der Kriminalroman »Die nie vergessen« von Karl Eidem & Jale Poljarevius als eBook bei dotbooks. Um die Täter zu fassen, muss sie in den Schatten agieren – aber wird sie sich dabei selbst verlieren? Kommissarin Hannah Kaufman wird überraschend vom schwedischen Nachrichtendienst rekrutiert, um an einer internationalen Operation teilzunehmen: Nach monatelanger Fahndung wurde endlich der Drahtzieher hinter einer erschütternden Anschlagsserie in Schweden aufgespürt. Überstürzt muss Hannah nach Damaskus aufbrechen, wo die »Operation Blitzschlag« der Bedrohung ein Ende machen soll. Doch ihr Einsatz unterliegt der höchsten Sicherheitsstufe, sie darf mit niemandem darüber sprechen, niemandem vertrauen. Aber wie leicht wäre es für ihre Gegner, sie hier auf feindlichem Gebiet auszuschalten, wenn keiner weiß, wo sie wirklich ist? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der actiongeladene Spionage-Thriller »Die nie vergessen« des Bestseller-Autorenduos Karl Eidem & Jale Poljarevius ist der dritte Fall für die toughe Ermittlerin Hannah Kaufman und kann unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 425

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Über dieses Buch:

Um die Täter zu fassen, muss sie in den Schatten agieren – aber wird sie sich dabei selbst verlieren? Kommissarin Hannah Kaufman wird überraschend vom schwedischen Nachrichtendienst rekrutiert, um an einer internationalen Operation teilzunehmen: Nach monatelanger Fahndung wurde endlich der Drahtzieher hinter einer erschütternden Anschlagsserie in Schweden aufgespürt. Überstürzt muss Hannah nach Damaskus aufbrechen, wo die »Operation Blitzschlag« der Bedrohung ein Ende machen soll. Doch ihr Einsatz unterliegt der höchsten Sicherheitsstufe, sie darf mit niemandem darüber sprechen, niemandem vertrauen. Aber wie leicht wäre es für ihre Gegner, sie hier auf feindlichem Gebiet auszuschalten, wenn keiner weiß, wo sie wirklich ist?

»Die nie vergessen« sowie die weiteren Bände um die Ermittlerin »Hannah Kaufmann« erscheinen außerdem als Hörbücher bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.

Über die Autoren:

Karl Eidem ist ein schwedischer Autor und Finanzanalyst.

Jale Poljarevius ist Polizeipräsident und ein Experte in Sachen organisierte Kriminalität sowie Bandenkriminalität. Er ist auch aufgrund seiner Expertenrolle in der schwedischen TV-Show »Efterlyst« bekannt.

Bei dotbooks erscheint die gesamte Krimi-Reihe um »Hannah Kaufmann« im eBook: »Die Kinderklinik«»Die Jagd«»Die nie vergessen«

***

eBook-Ausgabe Mai 2023

Die schwedische Originalausgabe erschien erstmals 2019 unter dem Originaltitel »Jakten«.

Copyright © der schwedischen Originalausgabe 2020 Jale Poljarevius, Karl Eidem

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2022 Jale Poljarevius, Karl Eidem und SAGA Egmont

Copyright © der eBook-Ausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Karol Kinal unter Verwendung von Bildmotiven von Shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98690-647-4

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Karl Eidem & Jale Poljarevius

Die nie vergessen

Hannah Kaufmann ermitteltBand 3

Aus dem Schwedischen von Alina Becker

dotbooks.

»Every empire that’s enslaved him is gone

Egypt and Rome, even the great Babylon

He’s made a garden of paradise in the desert sand

In bed with nobody, under no one’s command

He’s the neighborhood bully.«

Neighborhood Bully, Bob Dylan

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Kapitel 1

Solna, Schweden;22. Januar 2020, 15:30 Uhr

Dass die Chance, ein ruhiges Leben führen zu können, ähnlich flüchtig war wie die großen Schneeflocken, die durch die Luft trieben, zeigte sich just in dem Moment, als das Telefon klingelte. Das Handy saß fest in der Halterung am Armaturenbrett, der Anruf ließ auf sich warten. Über der Stadt war bereits die Dunkelheit hereingebrochen.

Die Säpo rief an, kurz nachdem Hannah losgefahren war. Sie wendete am Hornsberg und fuhr auf dem Essingeleden zurück zu dem großen Gebäude in Solna. Das Kribbeln in ihrem Bauch, ein untrügliches Anzeichen ihrer Sehnsucht nach Emil, verschwand hinter einem unnachgiebigen eisernen Vorhang.

Aus der Ferne konnte sie bereits all die Kommunikationsgerätschaften auf dem Gebäudedach erkennen: Antennen, Funkstationen und Satellitenschüsseln, die geheime Nachrichten empfingen und verschickten. Hannah fragte sich, warum sie selbst eigentlich immer im Auto saß, wenn ein wichtiger Anruf eintrudelte.

»Hannah, sie haben sich gemeldet«, sagte ihre Vorgesetzte Jenny Berlin am anderen Ende der Leitung. »Kommen Sie am besten sofort vorbei. Ich habe gesehen, dass Sie gerade erst ausgecheckt haben.«

Bei der Säkerhetspolisen, dem schwedischen Nachrichtendienst, wurde ganz genau festgehalten, wer sich im Gebäude aufhielt und wer nicht. Zu Hause musste Emil mit dem Abendessen warten. Da er für die Nachtschicht im Krankenhaus eingeteilt war, würde aus einem gemeinsamen Essen wohl nichts mehr werden. Das hätten sie lieber vorziehen sollen.

»Bin auf dem Weg. Ich musste nur eben wenden.«

»Rufen Sie mich an, wenn Sie da sind!« Jenny legte auf.

Hannah setzte Emil in Kenntnis, der angesichts der geänderten Pläne vernehmlich seufzte. »Dann esse ich wohl mal allein. Ich lasse dir etwas übrig. Vielleicht sehen wir uns ja morgen früh …« Da er selbst früher für die Säpo gearbeitet hatte, wusste er, dass es keinen Sinn hatte, sie nach Einzelheiten auszufragen. »Bestenfalls bist du noch zu Hause, wenn ich von der Schicht zurückkomme.«

»Hoffen wir es mal!«, sagte Hannah, die eher nicht damit rechnete, in den nächsten Tagen viel Zeit zu Hause verbringen zu können. Jetzt ging es los. Es wurde ernst, und das nur aufgrund eines Anrufs aus dem Nahen Osten. Ein Anruf, der trotz aller Förmlichkeit zwischen den Beteiligten als Schlachtruf zu verstehen war.

Hannah parkte und betrat das Gebäude, das sie erst vor einer Dreiviertelstunde verlassen hatte. Jenny Berlin war eine sachliche und tatkräftige Person, die nicht gern Dinge auf die lange Bank schob. Mit Hannahs Einberufung für den Sondereinsatz der Säpo war Jenny zu ihrer Vorgesetzten und irgendwie auch zu einer Art Lehrerin geworden. Gemeinsam hatten sie sich auf den anstehenden Einsatz vorbereitet.

»Malin hat den Anruf um zwei Uhr bekommen und mich sofort in Kenntnis gesetzt. Wir haben Sie leider nicht direkt erreicht. Sie haben ihn gefunden und wollen so schnell wie möglich zuschlagen.«

»Ich war in einer Besprechung«, sagte Hannah. »Wie sicher sind sie sich?«

»Soweit ich das beurteilen kann, sind sie sich absolut sicher«, antwortete Jenny. »Vielleicht wissen sie es auch schon eine ganze Weile und haben uns nur jetzt erst eingeweiht.«

»Wo hält er sich denn auf?«

»In einer kleinen syrischen Stadt namens as-Suchna. Dort scheint er ein Lager mit Frauen und Kindern aufgeschlagen zu haben.«

»Lager?«, fragte Hannah. »So eine Art Camp?«

»Ganz und gar nicht. Er lebt in einer eingezäunten Villa mit einer Mauer und bewaffneten Wachen, wie es sich für einen Mann gehört, nach dem international gefahndet wird.«

»Verstehe. Offenbar hat er Angst. Zu Recht. Hat die Operation schon einen Namen?«

»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Jenny. »Vielleicht weiß Malin mehr.«

»Gut!« Hannah versuchte zu lächeln, aber was sie zustande brachte, fühlte sich eher wie ein Maulkorb als wie ein Ausdruck der Zufriedenheit an.

»Und wie fühlt sich das an, Hannah?«, fragte Jenny.

»Wie sich das anfühlt? Keine Ahnung. Ich habe noch nicht in mich hineingespürt.«

Hannah Kaufman neigte nicht dazu, die Dinge unnötig zu verkomplizieren. Sie sagte immer klar, was Sache war. Ihre Gefühle gegenüber der bevorstehenden Mission waren allerdings widersprüchlich und schwer in Worte zu fassen. Einerseits freute sie sich darauf, an einer Operation teilzunehmen, die das Ziel verfolgte, einen der gefährlichsten Terroristen der Welt unschädlich zu machen. Sie war vom schwedischen Ministerpräsidenten für die Mission ausgewählt und vom Nachrichtendienst ausgebildet worden und hatte sich in Eigenverantwortung akribisch vorbereitet. Mittlerweile sah sie sich selbst als Kriegerin, die in der Welt für Gerechtigkeit sorgte.

Ihrer entschlossenen Bereitschaft zur Aufrüstung stand die Tatsache entgegen, dass es an der Heimatfront endlich einmal gut zu laufen schien. Nach einer Reihe wenig erfolgreicher Beziehungsprojekte, darunter eine Scheidung, hatte sie mit Emil endlich den Richtigen gefunden. Zwischen ihnen hatte sich etwas Schönes entwickelt, das ihr viel bedeutete und das sie nicht aufs Spiel setzen wollte. Sie hatte das Gefühl, als sei das, was zwischen ihnen war, organisch gewachsen, und noch immer fiel es ihr schwer, Worte dafür zu finden.

»Wann geht es los?«, fragte sie. Ihr war jetzt nicht danach zumute, mit Jenny über ihr Privatleben zu sprechen. »Ich bin bereit und freue mich auf den Einsatz.«

»In Kürze. Wir gehen nur noch verschiedene Möglichkeiten durch. Wenn Sie dort sind, übernehmen die Israelis.«

Hannah nickte bestätigend. Sie befand sich in guter Gesellschaft und würde von den Besten der Besten angeleitet werden. Es war der Mossad gewesen, der israelische Geheimdienst, von dem die Säpo erfahren hatte, dass ihr gesuchter Terrorist nach fast sechsmonatiger Fahndung in hochgefährlichen, vom IS kontrollierten Gebieten in Syrien und im Irak endlich gefunden worden war.

»Direkt in as-Suchna dann?«, fragte Hannah.

»Am besten setzen Sie sich schon früher mit ihnen in Verbindung. Wir überlegen, Sie zuerst nach Damaskus zu schicken. Von dort aus müssen Sie dann selbst weiterfinden. As-Suchna ist ein Wüstenkaff, und Sie werden sich dort nur kurz für die Durchführung der Operation aufhalten.«

Hannah nickte.

»Weiß Ihr Emil darüber Bescheid, dass Sie gehen?«, hakte Jenny nach, offensichtlich interessiert an Hannahs Privatleben.

»Ja«, log Hannah. Sie wollte Emil aus unterschiedlichen Gründen nicht unnötig beunruhigen und hatte ihn daher im Unklaren gelassen.

»Was sagt er dazu? Wie geht es ihm damit?«

»Er hat Verständnis dafür. Er weiß, was auf dem Spiel steht.«

»Ist er traurig darüber, dass Sie fortgehen? Oder beunruhigt?«

»Glücklich ist er darüber natürlich nicht. Aber das ist ja nur eine einmalige Sache. Schnell hin, schnell wieder weg.«

Jenny nickte. »Das wollen wir hoffen.«

Die beiden Frauen tauschten einen Blick aus. Fast sechs Monate lang hatten sie auf diesen Moment gewartet, und dennoch war der Anruf völlig überraschend gekommen. Auf den Tod konnte man sich eben nicht vorbereiten.

»Malin kommt gleich runter«, sagte Jenny. »Dann gehen wir alles gemeinsam durch. Es wird bestimmt spät, deswegen habe ich uns schon Essen bestellt. Ich hoffe, Sie und Emil haben sich für heute Abend nichts Besonderes vorgenommen.«

»Keine Sorge, er hat Nachtschicht«, erklärte Hannah mit zusammengebissenen Zähnen und versuchte dann, mehr Energie, Fassung und Zielstrebigkeit in ihre Stimme zu legen. »Jetzt ist es an der Zeit, den Dreckskerl zu Fall zu bringen. Ihn für immer auszuschalten.«

»Der Auftrag lautet festnehmen, nicht eliminieren. Wir wollen ihn vor Gericht sehen«, mahnte Jenny. »Aber ich verstehe, was Sie meinen …«

»Ich kenne unser Missionsziel, Jenny. Machen Sie sich keine Sorgen!«

»Gut.«

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihr Gespräch.

»Herein!«, rief Jenny.

Malin Johansson, die Leiterin der Säpo, öffnete die Tür und betrat den Raum.

»Hannah Kaufman!«, sagte sie. »Das ist jetzt also die Stunde der Wahrheit.«

Vier Stunden später saß Hannah wieder im Auto. Sie rief Emil an, um ihm zu sagen, dass sie auf dem Weg sei, aber er ging nicht ans Telefon. Vermutlich stand gerade die Abendvisite an und er hatte sein Handy ausgeschaltet.

Hannah hatte zum ersten Mal nach der Explosion in der Polizeistation in Uppsala mit Malin Johansson zusammengearbeitet. Die Rettungsarbeiten waren nur schleppend verlaufen. Die Terroristen hatten sich gefälschter Nummernschilder und Zugangskarten bedient, um zwei mit TNT beladene Lastwagen in die Tiefgarage des Gebäudes zu steuern. Als der Sprengstoff explodierte, gab die Stahlkonstruktion nach und das Gebäude stürzte unter seinem eigenen Gewicht ein. Einige wenige Glückliche in den oberen Stockwerken waren nicht von der Betonmasse verschüttet worden und hatten überlebt. Die meisten ihrer Kollegen hatten hingegen in den Trümmern ihr Ende gefunden.

Die Fahndungsarbeit war leider ebenfalls schleppend verlaufen. Hannah hatte zwar einige Verbindungen zu dem Gebäude gehabt, aber weil sie nicht zur Polizei in Uppsala gehörte, war sie nicht Teil des zuständigen Teams gewesen. Die meisten Hinweise hatten sich buchstäblich in Rauch aufgelöst und es gab nicht mehr viele Anknüpfungspunkte.

Noch bevor man überhaupt Beweise gefunden hatte, war die Säpo davon ausgegangen, dass der Terrorist Abu Q zumindest seine Finger im Spiel hatte, und ein Team unter der Leitung von Jenny Berlin wurde zusammengestellt, um parallel zu den Ermittlungen in Uppsala den internationalen Aspekt des Falles zu untersuchen. Man nahm Kontakt mit den ausländischen Geheimdiensten auf, und Hannah Kaufman wurde gebeten, »das Team anzuführen«. Obwohl Hannah nicht offiziell zur Säpo gehörte, hatte sie bei der Befreiung des Stockholmer Kinderkrankenhauses und der anschließenden Suche nach Aslan Bassajew, dem Drahtzieher hinter dem Attentat, umfangreiche Einblicke in die Terrorismusbekämpfung gewonnen. Bassajew war von Abu Q finanziert und ausgebildet worden. Der Fisch stank vom Kopf, nicht vom Schwanz.

Die Gesichter der Terroristen standen Hannah deutlich vor Augen, während sie durch die Straßen von Kungsholmen fuhr, in der Tiefgarage parkte und mit dem Aufzug hinauf in ihre leere Wohnung fuhr. Sie hatte sich auf ein paar genüssliche Bettstunden mit Emil gefreut, bevor er losmusste. Bekommen hatte sie stattdessen eine Marathonmissionsvorbereitung mit Malin und Jenny in einem fensterlosen Konferenzraum im Hauptsitz der Säpo. Die Mission hatte Vorrang vor allem. Oder etwa nicht? Hannah hatte das Gefühl, als ob sich nach und nach kleine Lichtstrahlen durch ihre stählerne Fassade bohrten. Wann war sie eigentlich so ein harter Knochen geworden?

Offensichtlich hatten ihr die Jahre auf der Polizeischule zugesetzt. In einem derart männerdominierten Umfeld war man als Frau quasi dazu gezwungen, eine Art maskuliner Identität anzunehmen. Hannah hoffte, dass sich in der Zwischenzeit einiges an den Ausbildungsverhältnissen getan hatte, aber im Grunde bezweifelte sie es. Es brauchte seine Zeit, altgewohnte Muster zu durchbrechen. Trotzdem liebte sie ihren Job und hätte ihn gegen nichts auf der Welt eingetauscht. Schon in ihrer Ausbildung hatte sie mit beeindruckenden Menschen zusammengearbeitet, aber sie hatte auch viel über sich ergehen lassen müssen. Sowohl im Korps als auch auf der Straße. Diese ständigen Anspielungen, vor allem sexueller Art. Die Kommentare, die Witze und die »versehentlichen« Berührungen. Hannah hatte sich dagegen abgehärtet und eine toughe Identität entwickelt, die nach und nach zu einem Teil von ihr geworden war. In ihrer Jugend war sie emotionaler und ungestümer gewesen, hatte oft alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das war jetzt vorbei.

Sie streifte ziellos durch die leere Wohnung, verspürte weder großen Hunger noch Durst. Das einzige Gefühl, das gerade Platz hatte, war ihre Sehnsucht nach Emil, nach seinen Worten und vor allem nach seiner Berührung. Er arbeitete nur wenige Hundert Meter entfernt im St.-Göran-Krankenhaus, wo er als Anästhesist vor, während und nach ihren Operationen für seine Patienten da war. Hannah beneidete die Patienten, die gerade von ihm umsorgt wurden. Das klang zu schön, um wahr zu sein. Sie selbst würde jetzt allein schlafen gehen und ihm bei seiner Rückkehr schlechte Nachrichten überbringen. Und dann würde sie abreisen, ohne ihm sagen zu können, wann sie wieder zurückkam.

Kapitel 2: ›Operation Blitzschlag‹ beginnt

Tel Aviv, Israel;25. Januar 2020, 19:00 Uhr

Die Männer am Tisch rauchten. Drei Tage waren vergangen, seit Hannah Kaufman über die bevorstehende Operation informiert worden war. Der einzige Ventilator im Raum war kaputt, und es regte sich kein Lüftchen. Trotz der Jahreszeit herrschte drückende Hitze, und alle Hemden wiesen große Schweißflecken auf.

So war es im Nahen Osten für alle in der Terrorismusbekämpfung Tätigen eben: heiß, drückend und immer gefährlich. Der Geruch von Zigarettenrauch und Schweiß stieg in die Nasen der Männer. Das war eine ganz andere Welt als die skandinavische Winterkälte.

Die Abbildung eines Gesichts wurde auf die lange, fensterlose Wand des Raums projiziert. Die gegenüberliegende Wand war hingegen mit der blau-weißen israelischen Flagge und einem Bibelzitat geschmückt: Wo nicht weiser Rat ist, da geht das Volk unter; wo aber viele Ratgeber sind, findet sich Hilfe.

Das war das Motto des israelischen Sicherheitsdienstes Mossad.

Das Gesicht an der fensterlosen Wand gehörte zu einem Mann in den Sechzigern. Mit seinem grauen Bart, dem starren, leeren Blick und dem weißen Turban ähnelte er sowohl Osama bin Laden, »OBL«, als auch az-Zawahiri, den beiden führenden Köpfen der al-Qaida-Organisation. Zwei führende Terroristen in einer Person. Das war kein Zufall, sondern bewusst von dem Mann herbeigeführt. Er war bestrebt, in jeder Hinsicht, im Auftreten und im Handeln seinen Vorbildern zu ähneln.

»Der Mann auf dem Bild nennt sich Abu Q«, erklärte Ido Zakai. »Das dürfte ja bereits bekannt sein.« Zakai war der ranghöchste Mann im Raum. Er war es außerdem gewesen, der Malin Johansson angerufen hatte. Alle hörten zu, während er sprach. »Abu Q hat einige Jahre in Schweden verbracht und dort oben im Norden einiges angerichtet. Jetzt haben wir ihn leider wieder am Hals. Den Schweden ist es weder gelungen, ihn auszuschalten, noch ihn zu verhaften, falls sie es überhaupt ernsthaft versucht haben. Jetzt sind wir an der Reihe, und bei einem Versuch soll es nicht bleiben.«

»Was wollte er ausgerechnet in Schweden?«, fragte einer der Männer am Tisch.

»Er steckte hinter einer Geiselnahme in einem Kinderkrankenhaus und der Sprengung eines Polizeigebäudes in einer Kleinstadt namens Uppsala, bei der zig Menschen ums Leben gekommen sind. Dann hat er seine Siebensachen gepackt und sich verpisst. Über Deutschland ist er mit einem Gefolge von Ehefrauen, Kindern und Leibwächtern nach Syrien gereist. Er ist Polygamist und hat mehrere Familien. Jetzt hält er sich in einer der vom IS kontrollierten Städte auf, vielleicht in ar-Raqqa, Palmyra oder as-Suchna.«

»Wie wäre es mit einem Drohnenangriff, sobald wir ihn identifiziert haben?«, fragte jemand. »Wäre das nicht die schnellste Lösung?«

»Ich fürchte, das funktioniert nicht«, widersprach Zakai. »Er hält sich immer in der Nähe von Schulen, Krankenhäusern und anderen zivilen Einrichtungen auf, zweifelsohne, um Drohnenangriffe zu vermeiden. Das Leben Unbeteiligter setzen wir nicht aufs Spiel.«

Die Drohnen konnten nicht präzise genug gelenkt werden, um Einzelpersonen aus großer Höhe zu eliminieren. Gesuchte Terroristen versteckten sich daher gern mit Kindern und Frauen in der Nähe ziviler Einrichtungen, die ihre Verfolger nur ungern unter Beschuss nahmen.

»Haben wir denn einen Plan? Wo stehen wir?«

»Nein, deshalb diese Versammlung. Wir haben noch keinen Plan. Wir wissen nicht einmal genau, wo er steckt. Kann ich jetzt einen Moment weitersprechen, ohne unterbrochen zu werden?«, fragte Zakai.

Niemand wagte es, ihm zu widersprechen.

»Ich beschäftige mich schon seit einiger Zeit mit Abu Q. Er wurde in Ägypten geboren, wurde Rechtsanwalt und radikalisierte sich zur Zeit bin Ladens. Offenbar stammt er aus einer Familie mit völlig faulen Wurzeln, alte Nazis und so. Er hat nie wirklich zur Führung von al-Qaida gehört, sondern sich immer im Hintergrund gehalten und kleine, diskrete Operationen geleitet. Als al-Qaida im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg zum Islamischen Staat mutierte, zog er nach Schweden, so weit weg vom Krieg, wie es nur ging.«

»Schweden?«

Das Geplapper ging von vorne los.

»Warum ausgerechnet Schweden?«

Zakai warf einen verärgerten Blick in die Runde, ignorierte die Frage und fuhr stattdessen mit seinen Ausführungen fort. »Ich mag die Schweden, sie machen einen guten Job und meinen es immer gut. Ihr größtes Problem ist, dass sie zu nett sind. Sie denken nur das Beste über jeden einzelnen Asylbewerber, weshalb ihnen gelegentlich ein wirklich faules Ei im Korb landet. Abu Q ließ sich in Stockholm nieder, übernahm dort nach und nach eine Moschee und fing dann an, mit radikalen Predigten Mitglieder für seine Sache zu werben. Er hat so etwas wie einen lokalen Fanklub. Wie er seine Aktivitäten finanziert hat, wissen wir nicht, aber irgendwie hat er es geschafft, genug Kämpfer zu rekrutieren, um zuschlagen zu können. Leider waren die Schweden darauf absolut nicht vorbereitet. Ihnen fehlten gute Informanten. All dies steht übrigens in der vor euch liegenden Broschüre, ebenso wie Vermutungen darüber, was er unserer Meinung nach als Nächstes plant, jetzt, da er wieder im Lande ist.«

Zakai hielt kurz inne, um den Männern am Tisch gerade genug Zeit zu geben, die Informationsschrift in die Hand zu nehmen, ohne sie noch öffnen und sich von ihrem Inhalt ablenken lassen zu können.

»Als sein Netzwerk zu bröckeln begann und es ihm in Schweden zu heiß wurde, hat er sich aus dem Staub gemacht, wie ich schon sagte. Ich habe gehört, dass er ein ziemlicher Feigling sein soll. Ein Rückzug nach Syrien war das Naheliegendste, da die Schweden über Interpol nach ihm fahnden ließen. Es heißt, Abu Q sei bestrebt, seine Stellung vor Ort zu festigen und sich als Machtinhaber im IS zu etablieren. Jetzt, da alle anderen Anführer tot sind, krabbelt diese Kakerlake also unter ihrem Stein hervor. Unsere Quellen in Syrien sagen, er plane einen weiteren Terroranschlag, vielleicht sogar hier in Israel …«, Zakai machte eine weitere Pause, in der er es niemandem erlaubte, den Mund aufzumachen, »… deshalb starten wir jetzt die ›Operation Blitzschlag‹. Abu Q hat es zu weit getrieben. Der Direktor hat mich angewiesen, ihn schnell und mit möglichst wenig Opfern zu eliminieren.«

Er nickte einem der am Tisch sitzenden Männer zu.

»Avihai Stein von den Sajeret Matkal wird die Operation in Syrien leiten. Willkommen, Avihai!«

Die Sajeret Matkal waren eine Eliteeinheit des israelischen Militärs, die sich auf Aufklärung, Fahndung und Terrorismusbekämpfung konzentrierte.

»Außerdem werden wir von Avner Kaufman unterstützt. Für alle, die ihn nicht kennen: Er ist eine Legende im Mossad. Er steht kurz vor dem Ruhestand und das hier könnte seine letzte Operation sein. Heute ist er nicht hier, weil er noch in Schweden ist. Er wird zu gegebener Zeit zu uns stoßen.«

Die Hitze im Raum war drückend, aber Zakai ließ sich nicht anmerken, dass er sich dem Ende seiner Ausführungen näherte. Er versuchte, seine Maske aufrechtzuerhalten, aber wer genau hinsah, konnte ein dezentes Lächeln auf seinem sonst so grimmigen Gesicht erkennen.

»Nun zu etwas viel Angenehmerem …«

Er wechselte zu einem anderen Bild. Der griesgrämige, alte Terrorist Abu Q wurde durch eine dunkelhaarige junge Frau ersetzt. Der Blick aus ihren grünen Augen war kühl, aber gleichzeitig durchdringend, ihre Lippen voll. Die Männer am Tisch pfiffen anerkennend.

»… Darf ich vorstellen: Hannah Kaufman aus Schweden! Sie ist unsere Kontaktperson in Schweden.«

»Ich fahre noch heute Abend nach Schweden«, scherzte Avihai. »Lasset das Vorspiel beginnen!«

Allgemeines Gelächter. Avihai sah mit seiner breiten Kieferpartie und den dunklen, wachsamen Augen aus wie ein Filmstar, und er schien sich seiner Alphamännchenerscheinung durchaus bewusst zu sein.

»Das ist nicht nötig, Avihai. Sie kommt her.«

In der Gruppe der Männer brach wieder Jubel aus. Zakai ließ sie einen Moment warten, bevor er fortfuhr.

»Soweit ich weiß, wird sie von der schwedischen Botschaft in Damaskus aus operieren, wo sie einen diplomatischen Scheinauftrag ausführt. So eine Tarnung ist wichtig, denn Hannah ist inzwischen eine hochqualifizierte Kämpferin gegen den Terrorismus. Sie war Einsatzleiterin beim Anschlag im schwedischen Kinderkrankenhaus und hat sich anschließend an der Jagd auf den dafür verantwortlichen Terroristen Aslan Bassajew beteiligt, Abu Qs obersten Leutnant in Schweden, wenn man so will. Jedenfalls bis er vor Stockholm einer Kugel zum Opfer fiel. Oder vielmehr einem Kugelhagel. Hannah wird die Operation von schwedischer Seite aus leiten und operativ mit uns zusammenarbeiten.«

Avihai sah aus wie ein glückliches Kind. Er spielte sich ordentlich vor seinen männlichen Kollegen auf. »Das ist zu schön, um wahr zu sein«, sagte er. »Hannah Kaufman, willkommen in der wunderbaren Welt der Sajeret Matkal!«

Hannahs an die Wand projiziertes Gesicht sah aus, als würde sie die Runde genau studieren. Sie wirkte wie eine Ikone, aber eher wie eine Kämpferin und Verfechterin der Gerechtigkeit als wie eine heilige Madonna.

»Leute!«, warf Zakai ein. »Ich erwarte, dass ihr in den nächsten Tagen die Broschüre lest. Darin findet ihr sowohl allgemeine Informationen über die ›Operation Blitzschlag‹ als auch über die einzelnen Aufträge, die wir im Rahmen der Operation ausführen werden. Wir haben bei der Jagd auf Abu Q alle eine individuelle Rolle.«

Avihai lächelte und Zakai erwiderte sein Lächeln mit strengem Blick. »Um alle Zweifel im Vorfeld auszuräumen, möchte ich nur erwähnen, dass Hannah die Tochter von Avner Kaufman ist. Seine einzige Tochter, nebenbei bemerkt. Es sieht vielleicht so aus wie Vetternwirtschaft, aber es ist reiner Zufall. Es ist eine Sache, sich mit einem Mann wie Abu Q anzulegen. Ich weiß, dass ihr damit umgehen könnt. Dafür seid ihr ausgebildet worden. Aber ich würde dringend davon abraten, sich mit der Tochter von Avner Kaufman anzulegen. Viele Männer haben für viel weniger als das Kopf und Kragen riskiert. Mit einer kalten Messerklinge zwischen der sechsten und siebten Rippe lebt es sich nicht so gut.«

Zakai schaltete den Projektor aus, verließ den Raum und ließ seine Männer mit einem Gefühl der Unsicherheit, ja, sogar des Unbehagens zurück. Meinte er das wirklich ernst?

Kapitel 3: Ein neues Ziel

Stockholm, Schweden; 27. Januar 2020, 17:00 Uhr

Etwa dreitausend Kilometer vom Konferenzraum in Tel Aviv entfernt saß Hannah Kaufman auf einem Bett in Stockholm. Das Bett stand in ihrer gemeinsamen Wohnung auf Kungsholmen, Hannah war nackt und unter ihr lag Emil, ihr Verlobter. Im Moment verschwendete Hannah keinen Gedanken an den Auftrag, der sie seit der Ankündigung permanent beschäftigte. Sie dachte überhaupt nicht nach. Gerade genoss sie einfach nur.

»Komm schon«, sagte sie auffordernd und setzte fort, womit sie begonnen hatten. »Bringen wir es zu Ende.«

»Sicher«, antwortete Emil.

Sie hielt das Tempo, während er versuchte, mitzuhalten. Hannah war stärker und ausdauernder.

»Langsam, bin ja auf dem Weg!«, scherzte er.

Hannah lachte. Das Bett knarrte und quietschte. Der Raum veränderte seine Form. Die Wände wölbten sich nach innen. Hannah erzitterte. Emil erzitterte. Dann hatten sie es geschafft und sackten auf dem Bett übereinander zusammen. Wären die Nachbarn zu Hause gewesen, hätten sie vermutlich an die Wand gehämmert, aber es war mitten am Tag und die meisten von ihnen waren bei der Arbeit.

Es dauerte einige Minuten, bis Hannah und Emil wieder zu Atem kamen. Er glitt aus ihr heraus und sie rollte sich neben ihm auf den Rücken.

»Danke«, sagte sie.

»Alles gut, Hannah?«

»Wie meinst du das? Mir geht es gut. Bin ganz entspannt.«

»Hannah«, sagte er lachend. »Wir können nicht immer nur Sex haben. Wir müssen auch mal reden.«

»Ich weiß«, sagte sie. »Aber ich werde dich vermissen. Ich würde dich gern irgendwie in mir aufbewahren.«

Emil setzte sich auf. »Erledige deinen Auftrag und komm heil nach Hause! Gehe kein unnötiges Risiko ein! Ich weiß nicht genau, was du tun musst, aber ich ahne, worum es gehen könnte. Wenn du zurück bist, sollten wir uns eine neue Richtung überlegen.«

»Woran denkst du da?«

»Ich weiß nicht so recht. Eine große Hochzeit, vielleicht? Umzug in eine größere Wohnung?«

»Kinder?«, schlug Hannah vor.

»Das auch!«

»Das dachte ich mir schon.«

Aber erst einmal entfernte Hannah sich von ihm. Vorübergehend. Am nächsten Morgen würde sie über Istanbul nach Damaskus reisen, um dort als Vertreterin der schwedischen Einwanderungsbehörde eine Stelle in der schwedischen Botschaft anzutreten.

Der offizielle Zweck ihrer Reise war die Einführung neuer, besserer Verfahren zur Überprüfung des Hintergrunds von Asylbewerbern noch vor deren Ankunft in Schweden. Auf diese Weise sollte die Zuwanderung in Zukunft kontrollierter vonstattengehen. Anstatt Flüchtlinge erst aufzunehmen und sie dann abzuweisen und abzuschieben, könnte bereits vor Ort eine frühere und genauere Prüfung hinsichtlich der Chance auf Asyl in Schweden erfolgen. Das Land brauche eine Atempause und nicht noch mehr Flüchtlinge, so der Ministerpräsident.

Es handelte sich um eine wichtige Aufgabe, die von Agnes Andersson, der schwedischen Botschafterin vor Ort in Damaskus, befürwortet wurde. Ihr gefiel die Vorstellung, dass die Diplomatie auch für die schwedische Innenpolitik eine Rolle spielen könnte. Aber so wichtig die Entsendung einer Mitarbeiterin der Einwanderungsbehörde auch zu sein schien, handelte es sich dennoch um eine Scheinmission. Das war der Botschafterin allerdings nicht bewusst. Sie hatte keine Ahnung, dass Hannah Kaufman tatsächlich auf dem Weg nach Syrien war, um Abu Q zur Strecke zu bringen. Das war streng geheim.

Hannahs Aufgabe bestand darin, sich von schwedischer Seite aus aktiv an der Fahndung zu beteiligen und gleichzeitig die Auslieferung von Syrien nach Schweden vorzubereiten, sobald der Terrorist festgenommen und inhaftiert worden war. Die Verbrechen von Abu Q waren auf schwedischem Boden begangen worden, was der Hauptgrund für die weitere Beteiligung Schwedens war, trotz der geografischen Entfernung. Wie genau die Zusammenarbeit funktionieren würde, war noch nicht bekannt, da es sich um die erste Mission dieser Art handelte. In Damaskus sollte Hannah Kontakt zum israelischen Geheimdienst aufnehmen. Kein Schwede hatte jemals auf syrischem Boden mit dem Mossad zusammengearbeitet, um einen international bekannten Terroristen festzunehmen. Aber es gab für alles ein erstes Mal, hatte Säpo-Chefin Malin Johansson überlegt und die Mission genehmigt. Mehr als das: Sie hatte die Mission gewissermaßen ins Leben gerufen. Sie war der Kopf hinter dem ganzen Einsatz.

Ohne die Hilfe vor Ort wären Hannahs Erfolgschancen bei der Mission minimal und die Risiken enorm hoch gewesen. Sie wäre eine Fremde in einem fremden Land gewesen. Zusammen mit den Israelis bildeten Hannah und ihre Kollegen vom schwedischen Nachrichtendienst jedoch ein hervorragendes Team – die beste Einsatztruppe, die das Königreich Schweden derzeit hervorbringen konnte.

Hannah atmete aus. Sie war entspannt, aber eigentlich auch schon bereit für die nächste Runde. Seit sie ihren Reisetermin genannt und ihre Flugtickets erhalten hatte, hatten sie und Emil dreimal am Tag Sex. Mindestens. Wer wusste schon, wann sie sich das nächste Mal treffen würden? Ihr Verlobter und zukünftiger Ehemann, Emil Ejder, führte ein ungewöhnliches Leben. Neben seiner Tätigkeit als Anästhesist im St.-Göran-Krankenhaus war er in Teilzeit als Leibwächter für den schwedischen Sicherheitsdienst tätig. So hatte er Hannah kennengelernt. Er hatte den Auftrag bekommen, sie zu bewachen und wenn nötig zu beschützen, und trotz seiner ausdrücklichen Arbeitsanweisungen hatte er sich sofort zu ihr hingezogen gefühlt. Das passierte Männern in Hannahs Nähe häufiger – dieses Mal hatte es auf Gegenseitigkeit beruht.

Um offenkundige Konflikte zwischen seinem Beruf und seinem Liebesleben zu vermeiden, arbeitete Emil nun ausschließlich im Krankenhaus. Die Säpo brauchte seine Dienste im Moment nicht. In Damaskus würde Hannah ohne einen schwedischen Leibwächter auskommen müssen. Sie hatte bereits eine Reihe von Videogesprächen mit dem Personal vor Ort geführt, einschließlich der Botschafterin. Sie würde in der nächsten Zeit eine wichtige Bezugsperson für Hannah sein, auch wenn sie vom eigentlichen Zweck der Mission nichts wusste.

»Du wirst mir fehlen«, sagte Emil und zeichnete mit dem Finger Muster auf Hannahs Bauch.

»Du mir auch.«

»Du darfst dich dort unten auf keinen Fall in einen gut aussehenden, starken Israeli verlieben. Das musst du versprechen. Einen stählernen Soldaten mit einer riesigen Kalaschnikow und mehr Körperbehaarung als Hirn.«

»Versprochen.« Hannah lachte. »Und du, Emil Ejder, darfst auf keinen Fall mit einer jungen, vollbusigen Krankenschwester ausgehen.« Sie stand vom Bett auf. »Wollen wir essen gehen? Im Kühlschrank herrscht gähnende Leere.«

»Das können wir tun. Aber komm erst wieder ins Bett. Für ein weiteres Mal ist noch Zeit …«

Das hätte er gar nicht sagen müssen.

Hannah war bereits auf dem Weg.

Emil und Hannah lebten in diesen Tagen, als ob der Weltuntergang kurz bevorstünde. Sie pfiffen auf Alltäglichkeiten wie den Einkauf, Rechnungen mit weit in der Zukunft liegenden Fälligkeitsterminen, Kredite oder Kraftfahrzeuguntersuchungen. Sie lebten im Augenblick wie nie zuvor. In den nächsten vierundzwanzig Stunden würde ihr gewohnter Alltag abrupt von der Mission abgelöst werden.

Aber der Auftrag bedeutete Hannah auch viel. Emil und die Mission wetteiferten um ihre Aufmerksamkeit. Eine Jagd war vorbei, eine neue hatte begonnen. Aslan Bassajew war tot, sein Staub war in einer kleinen Urne aus Ton verschlossen und er stellte für niemanden mehr eine Gefahr dar. Aber sein geistiger Vater und Auftraggeber Abu Q war noch am Leben, und das Blut der Verstorbenen schrie aus den Trümmern nach Rache. So sehr sie einfach ihr Leben mit Emil weiterleben wollte, wusste Hannah, dass sie zuerst die Mission beenden musste. Der Auftrag kam von niemand Geringerem als dem Ministerpräsidenten und der Säpo-Chefin Malin Johansson. Vor ihrem Umzug nach Damaskus war Hannah diskret von der Polizei zum schwedischen Sicherheitsdienst versetzt worden.

Ein paar Stunden später saßen Hannah und Emil erschöpft und entspannt in einem italienischen Restaurant in Kungsholmen und versuchten, ihre Situation in Worte zu fassen, während sie durch die Speisekarten blätterten. Emils Interesse an Migrationsfragen hielt sich in Grenzen, und Hannah konzentrierte sich darauf, nicht von dem Drehbuch abzuweichen, das die Säpo ihr für ihre Rolle in der Botschaft in Damaskus vorbereitet hatte.

»Du musst dich sofort nach deiner Ankunft melden, von deinem Tagesablauf erzählen und so weiter. Versprich es, Hannah!«

»Natürlich!«

»Kann ich dich dort unten besuchen kommen?«

»Mal sehen. Ich werde so bald wie möglich mit der Botschafterin darüber sprechen. Wäre es kein Kriegsgebiet, dürfte es meiner Meinung nach keine Probleme geben. Im Augenblick kann ich nichts versprechen.«

»Vergiss nicht, dass ich Leibwächter bin! Ich habe Kampferfahrung. Ich kann dich beschützen, wenn es nötig ist. Will dein Vater mir übrigens noch weiterhin nachspionieren?«

Sie lachten im Schein der brennenden Kerzen. Emil bezog sich damit auf einen früheren Vorfall, als Avner Kaufman sich in das Personalsystem des Krankenhauses gehackt hatte, um zu überprüfen, ob sein zukünftiger Schwiegersohn tatsächlich zu den von ihm angegebenen Zeiten arbeitete. Emil hatte das sehr amüsant gefunden, aber er kannte das Ausmaß von Avners Erfahrung als Geheimagent schließlich nicht. Hannah selbst im Übrigen auch nicht. Ihr Vater hatte seine Agententätigkeit über die Jahre hinweg geschickt vertuscht und sein überstürztes Verschwinden und Wiederauftauchen auf verschiedene Weise erklärt. Hannah musterte ihren Verlobten. Er war der personifizierte Widerspruch. Er war zärtlich und fürsorglich im Umgang mit seinen Patienten, er ging auf sie ein, wenn sie Sex hatten, aber er hatte auch eine brutale Seite, wenn die Arbeit es erforderte. Sie hatte gesehen, wie er in Sekundenbruchteilen energisch eingreifen und dann wieder zu seiner zurückhaltenden Art zurückkehren konnte.

Das Gespräch am Tisch kam ins Stocken, die Pausen wurden länger. Die leeren Dessertteller standen auf dem Tisch, der Kaffee und die Rechnung waren auf dem Weg. Hannah und Emil hatten nur noch eine Nacht zusammen. Sie bezahlten und gingen nach Hause. Am besten war es, die verbleibende Zeit gut zu nutzen.

Früher am Tag hatte Hannah versucht, sich von ihren Eltern in Upplands Väsby zu verabschieden. Das war in etwa so abgelaufen:

»Hannah, ist es wirklich eine gute Idee, jetzt zu gehen?«, hatte ihre kurdische Mutter Bahar mahnend gefragt.

Bahar war am meisten darüber besorgt, Enkelkinder zu bekommen – oder vielmehr, keine zu bekommen. Es war am besten, jung Kinder zu bekommen, so, wie sie selbst es getan hatte.

»Abwarten, Mutter«, hatte Hannah vor sich hingemurmelt. »Abwarten und Tee trinken.«

Wenn Bahar geahnt hätte, was im Kopf ihrer Tochter vorging, hätte sie wohl laut gejubelt und versucht, die Abreise zu verhindern. Aber sie hatte keine Ahnung, und genau das wollte Hannah im Moment.

Sie wahrte ihre Maske und lächelte. »Mama, das ist ein wichtiger Auftrag der Einwanderungsbehörde. Langfristig könnte das für meine Karriere bei der Polizei sehr wichtig sein. Irgendwann kommen dann auch Kinder. Heutzutage ist das anders, mach dir da nicht so viele Gedanken!«

»Karriere«, murmelte Bahar. »Es gibt wichtigere Dinge im Leben. Was ist denn jetzt mit Emil? Lass einen Mann niemals allein! Und sag mir nicht, ob ich mich sorgen soll oder nicht!« Plötzlich blickte sie Avner wütend an, der in einem Sessel saß und las. »Ich spreche aus Erfahrung. Sieh ihn dir an!«

»Beruhige dich, Bahar!«, sagte Avner, ohne aufzublicken. »Reg dich nicht auf!«

»Sag mir nicht, was ich tun soll!«

Sie begannen zu zanken, bis Hannah sich einschaltete. »Emil und ich haben darüber gesprochen. Er hat einen guten Job im Krankenhaus, den er nicht verlieren möchte. Außerdem ist das nur ein vorübergehender Auftrag. Ich bin bald wieder zurück in Schweden.«

»Emil kann dich doch bestimmt besuchen«, sagte Avner, ohne aufzublicken. »Vielleicht lässt sich das einrichten?«

Er sieht ein wenig steif aus, dachte Hannah. Steif und besorgt. Wahrscheinlich war er auch enttäuscht, konnte es aber nicht in Worte fassen. Gefühle zu zeigen war noch nie seine Stärke gewesen.

»Ich nehme an, du musst das Botschaftsgelände zumindest mal verlassen, oder etwa nicht?«

»Das hoffe ich, Papa. Ich weiß es noch nicht.«

»Kannst du nicht einen Abstecher nach Kurdistan machen?«, fragte Bahar. »Die Familie würde sich freuen, dich wiederzusehen. Es ist mindestens hundert Jahre her. Blut ist dicker als Wasser, kleine Hannah. Vergiss das nicht!«

»Dort unten ist es nicht gerade wie in der schwedischen Pampa«, warf Avner ein. »Es gibt viele gefährliche Gruppen, Bahar. Das ist ein Hexenkessel, wenn du mich fragst!«

»Dich hat niemand gefragt!«, brachte Bahar ihn zum Schweigen. »Aber jetzt reicht es. Wir fahren dich morgen auf jeden Fall zum Flughafen, Hannah.«

»Das ist doch nicht nötig, Mama.«

Bahar rollte mit den Augen. Das war kein Angebot gewesen. Es war eine Anweisung.

Als am nächsten Morgen die Hupe vor dem Fenster der Wohnung ertönte, seufzte Hannah aus tiefster Seele. Sie schnappte sich ihren Rucksack, schloss die Tür ab und ging die Treppe hinunter. Emil war bereits zur Arbeit gegangen, um Patienten auf dem Weg in den Operationssaal zu narkotisieren. Hannah vermisste ihn jetzt schon, und sie hatte Kungsholmen noch nicht einmal verlassen.

Sie nahm auf dem Rücksitz Platz und wunderte sich erneut über die ungewohnte Einigkeit ihrer Eltern. Die Gefahr ihrer letzten Mission hatte die beiden wieder zusammengeführt. Hannah wusste nicht, ob sie auch ihre körperliche Nähe wieder aufgenommen hatten. Und eigentlich wollte sie es auch um nichts in der Welt wissen.

Auf jeden Fall war Avner zur Überraschung aller in Bahars Wohnung im Zentrum von Upplands Väsby eingezogen. Er hatte sein Leben, das er bis dahin geführt hatte, zurückgelassen und war plötzlich wieder nach Schweden gekommen, um in Hannahs Nähe zu sein, und war dann nach dem Angriff im Kinderkrankenhaus einfach geblieben.

Das Einzige, was Hannah wusste, war, dass er direkt aus New York nach Schweden gereist war. Ob er dort gewohnt, einen Job gehabt hatte, vielleicht sogar eine Frau, wusste sie nicht. In gewisser Weise blieb er der Schatten, der er in ihrem Leben immer gewesen war.

»Ich habe meine Cousins zumindest einmal informiert, dass du in Syrien bist«, sagte Bahar vom Beifahrersitz aus. »Vielleicht nehmen sie ja Kontakt zu dir auf.«

Avner schaute gequält drein. »Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist.«

»Du hast meine Familie nie gemocht, Avner. Das ist kein Geheimnis.«

Hannah ließ die beiden sich zoffen, während vor dem Fenster die Vororte Stockholms vorbeizogen. Sollentuna, Upplands Väsby und Märsta. Bald tauchte Arlanda auf der rechten Seite der Autobahn auf. Ein Flugzeug flog über das Auto hinweg.

Hannah verabschiedete sich so schnell wie möglich, und das Letzte, was sie von ihren Eltern sah, war, dass sie ihr zuwinkten, als sie durch die Sicherheitskontrolle ging. Es sah aus, als würden sie immer noch miteinander streiten.

Aus irgendeinem Grund wurde Hannah vom Sicherheitspersonal gefilzt. Die Beamtin leerte den Inhalt von Hannahs Tasche in einen grauen Plastikbehälter und durchsuchte alles sorgfältig. Als sie die fünf Bücher von Inez Samson sah, nickte sie und lächelte. »Die mag ich auch. Sie ist wirklich gut. Die Beste.«

Hannah nickte. »Wirklich gut.«

In der Botschaft würde sie wahrscheinlich viel Zeit zum Lesen haben. Sie hatte bereits eines von Samsons Büchern gelesen und alle anderen eingepackt.

Als Hannah durch die Kontrolle war, ging sie in die Apotheke auf der Luftseite und kaufte einen Schwangerschaftstest. Sie steckte ihn in die Handtasche und begab sich zum Gate. Bevor sie ihr verschlüsseltes Telefon ausschaltete, schickte sie eine Nachricht, dass es ihr gut gehe, das Flugzeug gleich starte und sie nach ihrer Ankunft wieder schreiben würde. Das Flugzeug hob ab und verließ die regennasse Rollbahn. Durch das Fenster beobachtete Hannah, wie die Gebäude unter ihr verschwanden, während das Flugzeug sich den Wolken näherte. Ihre Nachricht war an Jenny Berlin gegangen, ihre persönliche Ausbilderin und engste Vertraute seit dem Bombenanschlag in Uppsala.

Die Explosion hatte die beiden Frauen durch ihr gemeinsames Ziel zusammengeführt: Gerechtigkeit zu schaffen. Als das Flugzeug seine Reiseflughöhe erreicht hatte, steuerte Hannah die Toilette an. Ihr Herz schlug schneller. Sie quetschte sich in den Raum, schloss ab, verrenkte sich und schaffte es trotz der Enge, den Schwangerschaftstest zu treffen. Sie spürte einen Stich der Nervosität im Bauch und schloss die Augen. Nach zwei langen Minuten wagte sie es, hinzuschauen. War etwas passiert?

Zwei Streifen starrten sie mit froher Botschaft an. Weit unten auf dem Boden rauschte die Welt vorbei. In der Luft stand plötzlich alles still. Jetzt waren es nicht mehr nur Emil und die Mission, die um ihre Aufmerksamkeit konkurrierten. Eine dritte Kraft hatte sich gerade dazwischen gedrängt. Ein kleines schlagendes Herz, das noch nicht zu hören war, aber definitiv existierte. Hannahs Freude war groß, wurde aber durch die Tatsache getrübt, dass sie sich auf direktem Weg in die Höhle des Löwen befand.

Kapitel 4: Probleme an der Heimatfront

Solna, Stockholm;28. Januar 2020, 10:30 Uhr

Malin Johansson saß in ihrem Büro bei der Säpo, als sie Hannahs fröhliche SMS vom Flughafen erhielt. Sie stand von ihrem Stuhl auf, durchquerte den Raum und blieb vor dem großen Fenster mit Blick auf die Bahngleise stehen. Der Himmel hatte sich aufgeklart, und in einer halben Stunde würde das Flugzeug mit Hannah an Bord direkt über Solna fliegen, Turkish Airlines auf dem Weg nach Istanbul.

Hannahs Auftrag war möglicherweise der riskanteste, den Malin je geplant und genehmigt hatte, denn die Säpo hatte weitaus weniger unter Kontrolle als sonst. Das war der Preis für die Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsdiensten. Es war nicht so, dass Malin kein Vertrauen in die Israelis hatte, ganz im Gegenteil, aber in diesem Fall leiteten sie die Operation, und die Zügel des Pferdes loszulassen, das man gerade ritt, war immer mit einem Gefühl des Unbehagens verbunden. Man musste darauf vertrauen, dass andere die Zügel fest in der Hand hielten und wussten, was sie taten.

Die geografischen Eckdaten diktierten die Hierarchie: beängstigend weit weg von zu Hause in einer notorisch gefährlichen Region und mit Kollegen, die das Terrain, die Sitten und die Sprache kannten. Die Entfernung und die schwache operative Kontrolle hingen direkt zusammen. Je weiter weg sich ein Einsatz abspielte, desto schwieriger war es, alles zu überwachen und zu beeinflussen.

Malin schaute in den Himmel. Ein Flugzeug flog über sie hinweg. Seine Triebwerke zeichneten zwei deutliche Linien in den kalten, hellen Januarhimmel. Ob die Heckflosse rot war, konnte Malin auf diese Entfernung nicht erkennen, aber das war auch egal. Irgendwo da oben bereitete sich Hannah Kaufman auf ihren bevorstehenden Einsatz in Syrien vor, und als ob die Risiken für Leib und Leben nicht groß genug wären, dachte Malin nun auch noch über die medialen und rechtlichen Aspekte der Mission nach.

Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gab es in Schweden keine Doktrin zur proaktiven Beseitigung potenzieller nationaler Sicherheitsbedrohungen. Das war nicht die schwedische Art. Der israelische Name für eine solche Tätigkeit sei Sikul memukad, hatte Malin kürzlich gelernt. Die Machthaber in Israel hatten kein Problem damit, eine »Beseitigung« zu genehmigen, wenn nachgewiesen werden konnte, dass dadurch tatsächlich die Sicherheit der Bürger erhöht und Anschläge verhindert werden konnten. Im Gegenteil: Das war eine lange und akzeptierte Tradition. Aber so lief es in Schweden eben nicht.

In diesem Fall war die Mission als »Festnahme und Inhaftierung« von Abu Q definiert worden, mit der klaren Absicht, ihn in Schweden für seine Verbrechen vor Gericht zu stellen. Das war ein schöner Gedanke. Eine gute Absicht. Sollte die Operation jedoch mit dem Tod des Terroristen enden, was durchaus möglich war, würde die Säpo erneut in die Kritik bestimmter Kreise in den Medien und der politischen Opposition geraten. Die Auftragsformulierung könnte dann rechtlich angegriffen und vom Verfassungsausschuss geprüft werden. Die Medien würden sowohl über die Ereignisse als auch über die beteiligten Personen berichten. Es war ein Glücksspiel. Wenn man nur die Risiken betrachtete, hätte die Mission nie genehmigt werden dürfen. Dann hätte Malin nicht einen einzigen Gedanken an die Gräueltaten des IS und das, was die Terroristen ihren Gefangenen antaten, verschwenden müssen. Sie erschauderte.

Aber es ging nicht nur um die möglichen Risiken. Es gab noch andere Aspekte: Gerechtigkeit, nationale Stärke und Wiedergutmachung. Es herrschte Einigkeit darüber, dass Abu Q strafrechtlich verfolgt werden musste und dass die Anschläge in Uppsala und im Kinderkrankenhaus aufgearbeitet und nicht »begraben« oder »ignoriert« werden durften. Sowohl der Ministerpräsident als auch die Justizministerin waren in dieser Hinsicht knallhart. Malin war klar, dass ihr eigener Kopf rollen würde, wenn die politischen Folgen für die Minister zu schmerzhaft werden würden. Aber das gehörte zu ihrem Job, und sie konnte sich nicht vollständig davor schützen. Am besten war es, wenn die Operation erfolgreich und planmäßig durchgeführt werden konnte. Daran hatten alle Beteiligten, außer möglicherweise Abu Q selbst, ein gemeinsames Interesse.

Mit anderen Worten: Malin würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um Hannah Kaufman in Syrien zu helfen. Am liebsten würde sie zu ihr nach Damaskus reisen, um sie vor Ort zu besuchen, aber das war das Letzte, was sie sich im Moment leisten konnte. Hannahs Identität könnte von einem Enthüllungsjournalisten aufgedeckt werden und jeder würde sich fragen, warum die Säpo-Chefin zu Besuch kam. Daher war es besser, sich im Hintergrund zu halten und den Fall zwischen Bahngleisen und Autobahnausfahrten vom Büro in Solna aus zu beobachten. Malin drehte dem Fenster den Rücken zu und setzte sich wieder hinter den Tisch.

Eine Zeit lang schob sie ihre Sorgen um Hannah beiseite und schrieb an ihrem neuen Buch über weibliche Spione. Das war die beste Methode, um lästige und störende Gedanken loszuwerden. Wenn sie schrieb, konnten ihr die Sorgen der Welt nichts anhaben. So konnte Malin verschwinden und gleichzeitig an Ort und Stelle bleiben.

Die vorübergehende Ruhe, die ihr das Schreiben bot, wurde jedoch bald durch ein kräftiges Klopfen an der Tür gestört. Malin speicherte und schloss das Dokument, dann rief sie den Besucher herein. Ihre jüngere Kollegin Jenny Berlin betrat den Raum.

»Ich habe Neuigkeiten«, sagte sie. »Ich glaube, das wird dich interessieren.«

Malin nickte und gab ihr ein Zeichen, sich auf das Sofa in der Ecke des Raumes zu setzen. »Lass hören«, sagte sie. »Hannah ist jetzt in der Luft, auf dem Weg in die Türkei. Ich habe sie quasi gesehen.«

Die Operation war so geheim, dass Malin sie zunächst ganz allein hatte durchführen wollen. Bald hatte sie aber gemerkt, dass das unmöglich war. Als Leiterin einer großen und wichtigen Regierungsbehörde in Schweden stand sie ständig unter Beobachtung. Sowohl morgens als auch abends fand sie sich oft auf irgendeiner Talkshowcouch wieder. Außerdem hatte Hannah im Herbst zusätzlich zu ihren polizeilichen Kenntnissen eine rudimentäre Geheimdienstausbildung durchlaufen müssen. Alle Beteiligten mussten sich über die Lage in Syrien informieren, bevor sie sich auf den Weg dorthin machten.

Schließlich hatte Malin Jenny von der Spionageabwehr ausgewählt, an der Mission und im direkten Kontakt mit Hannah zusammenzuarbeiten und sie über alle operativen Details auf dem Laufenden zu halten. Jenny wurde mit der Leitung der maßgeschneiderten Schulungsmaßnahme betraut. Sie hatten bereits zusammengearbeitet, bevor Malin die Leitung der Säpo übernommen hatte, und Malin hatte vollstes Vertrauen in ihre Kollegin. Wenn sie die Entscheidung träfe, würde sie Jenny eines Tages als Nachfolgerin für sich selbst vorschlagen. Aus diesem Grund war es taktisch unklug, Jenny für diesen Auftrag auszuwählen. Wenn Malin versagte und auf dem politischen Altar geopfert wurde, bestand die Gefahr, dass sie Jenny mit in den Abgrund zog. Dennoch war sie die beste Person für diese Aufgabe.

Malin wurde aus ihren Gedanken gerissen und kehrte in die Gegenwart zurück. Jenny beobachtete sie über den Couchtisch hinweg.

»Inzwischen sollte das Flugzeug über Norddeutschland sein«, sagte Malin und sah auf die Uhr. »Sag mir, was du hast!«

»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht«, erklärte Jenny. »Welche willst du zuerst?«

»Die schlechte. Immer die schlechten Nachrichten zuerst.«

»Erinnerst du dich an eine gewisse nervige Journalistin?«

»Zufällig Marianne Stegenius?«, fragte Malin.

Jenny nickte. »Ganz genau. Sie ist schon wieder auf dem Kriegsfuß.«

»Wie das? Sie ist doch in der Psychiatrie gelandet«, wandte Malin ein.

Die Journalistin Marianne Stegenius war gewaltsam in Gewahrsam genommen worden, nachdem sie sich und andere in Lebensgefahr gebracht hatte. Hannah hatte sie in der psychiatrischen Abteilung des St.-Göran-Krankenhauses besucht und Malin von dem trostlosen Besuch berichtet. Hannah hatte sich niedergeschlagen von der Station geschlichen, wo die Journalistin saß, rauchte und über ihre »glorreichen Tage« sprach.

»Ich weiß, aber sie hat sich offenbar selbst entlassen können, nachdem sie dem behandelnden Arzt mit verschiedenen Repressalien gedroht hat«, sagte Jenny. »Dass sie ihn in der Presse an den Pranger stellen würde und so weiter. So etwas macht den Menschen Angst. Ich habe mit dem Krankenhaus gesprochen. Er hat schließlich nachgegeben und jetzt macht sie die Stadt wieder unsicher.«

Malin sah Jenny an. »Was hat sie denn geschrieben? Etwas Kompromittierendes?«

»Bis jetzt nichts von Bedeutung. Aber sie hat die Telefonzentrale hier im Haus so sehr drangsaliert, dass ihre Nummer gesperrt wurde. Ich weiß zwar nicht, ob eine Behörde das Recht hat, bestimmte Nummern zu sperren, aber die Kolleginnen haben es nicht mehr ertragen. Leider ist das noch nicht alles. Sie telefoniert jetzt mit ihren Quellen und versucht herauszufinden, was bei der Jagd auf Aslan Bassajew wirklich passiert ist. Ich glaube, sie bereitet einen riesigen Bericht vor.«

»Kennt sie den Zusammenhang zwischen den Schüssen und der Explosion in Uppsala?«, fragte Malin.

»Das glaube ich nicht«, antwortete Jenny. »Das ist genau das, was wir vermeiden wollen, denn dann könnte die Spur in Richtung Abu Q führen. Auch wenn wir im Prinzip nichts zu verbergen haben, möchte ich eine öffentliche Diskussion über ihn und seine möglichen Rechte in Schweden vermeiden, während Hannah ihr Leben in Syrien riskiert.«

»Das darf wirklich nicht passieren. Ein absolutes No-Go. Das könnte Hannah ernsthaft gefährden und ihr Leben aufs Spiel setzen.«

»Das weiß ich. Aber es wird schwer zu kontrollieren sein. An der Jagd auf Aslan Bassajew waren, wie du sicher noch weißt, eine ganze Reihe fauler Fische beteiligt. Diese Strafverteidiger zum Beispiel. Es gab auch einen Polizisten, vor dem Hannah gewarnt hat, Eve irgendwas.«

Ein grimmiger Ausdruck hatte sich auf Malins Gesicht ausgebreitet. »Eve Jansson heißt der Typ. Er ist ein Widerling, aber leider schützt ihn jemand bei der NOA.« NOA war die Abkürzung für die Nationale Operationsabteilung. »Das Problem ist, dass wir nicht viel dagegen tun können, außer die Augen offen zu halten. Wenn wir anfangen, Journalisten und Anwälte zu bedrohen, weißt du ja selbst, was passieren würde. Wir sind in Schweden. Das würde völlig in die Hose gehen.«

Jenny nickte. »Ich weiß. Ich werde Marianne weiterhin genau im Auge behalten. Vielleicht hat sie ja etwas Unvorsichtiges getan, das wir ausnutzen können?«

»Sag oder tu nichts ohne meine Erlaubnis, Jenny! Bitte! Der Umgang der Medien mit dieser Angelegenheit ist äußerst heikel.«

Jenny nickte wieder und sah aus dem Fenster. »Bald hat Hannah Kebabgeruch in der Nase«, sagte sie. »Sie wird jeden Augenblick in Istanbul landen. Darf ich dir jetzt die gute Nachricht verkünden?«

»Ich bitte darum!«

Jenny richtete den Blick auf ihre Chefin. »Weißt du, wer Shirin al Beda ist?«, fragte sie. »Sagt dir der Name etwas?«

»Nein, sollte er das? In meinem Beruf treffe ich viele Menschen.«

»So meinte ich das nicht. Aber Hannah Kaufman kennt sie tatsächlich flüchtig. Shirin war im Kinderkrankenhaus bei den ganz kleinen Patienten. Sie hat als Krankenschwester dort gearbeitet und wurde als Geisel genommen. Gegen Ende hat sie mit der Polizei kooperiert.«

Malin hatte Mühe, sich zu konzentrieren. »Beeindruckend!«, sagte sie.

»Ja. Außerdem wurde ihr zu Beginn des Dramas von den Terroristen angeboten, das Krankenhaus zu verlassen, weil sie Muslima ist. Sie hat natürlich abgelehnt und weiter dort ausgeharrt. Das hat sie zur Heldin gemacht. Sie hat eine Bürgerauszeichnung bekommen.«

»Was ist denn ihre Verbindung zu Abu Q? Die Uhr tickt.«

»Hör dir das an, Malin: Shirin hat keinen Geringeren als Abu Q selbst für uns ausfindig gemacht. Sie kann ihn auf einem Silbertablett servieren. Es ist wirklich unglaublich.«

Malin richtete sich auf. Die morgendliche Müdigkeit war plötzlich von ihr abgefallen.

»Das ist eine lange Geschichte«, fuhr Jenny fort. »Aber es lohnt sich, sie zu hören.«

»Du hast meine volle Aufmerksamkeit.«