Der schwedische Spion - Karl Eidem - E-Book
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Der schwedische Spion E-Book

Karl Eidem

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Beschreibung

Ein eiskaltes Spiel um Leben und Tod! Der fesselnde Skandinavien-Thriller »Der schwedische Spion« von Karl Eidem jetzt als eBook bei dotbooks. Ein schwedischer Staatsbürger wird in Moskau gefangen gehalten, so teilt es der israelische Geheimdienst dem schwedischen Nachrichtendienst mit. Der Fall landet auf dem Schreibtisch des erfahrenen Ermittlers Hans Edelman und entpuppt sich schnell als der kniffligsten Fall seiner bisherigen Karriere. Edelman und sein junger Kollege David Karlén beginnen mit ihren Nachforschungen, ohne zu wissen, wer »der Schwede« ist und warum er festgehalten wird. Schon bald wird ihre Suche nach der Wahrheit zu einem gefährlichen Wettlauf gegen die Zeit … Und die beiden Ermittler müssen sich der Frage stellen, wie viel sie zu opfern bereit sind, um ein Leben zu retten! Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Agenten-Thriller »Der schwedische Spion« von Karl Eidem bietet fesselnde Hochspannung für Fans von Daniel Silva und Robert Dugoni. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 366

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Über dieses Buch:

Ein schwedischer Staatsbürger wird in Moskau gefangen gehalten, so teilt es der israelische Geheimdienst dem schwedischen Nachrichtendienst mit. Der Fall landet auf dem Schreibtisch des erfahrenen Ermittlers Hans Edelman und entpuppt sich schnell als der kniffligsten Fall seiner bisherigen Karriere. Edelman und sein junger Kollege David Karlén beginnen mit ihren Nachforschungen, ohne zu wissen, wer »der Schwede« ist und warum er festgehalten wird. Schon bald wird ihre Suche nach der Wahrheit zu einem gefährlichen Wettlauf gegen die Zeit … Und die beiden Ermittler müssen sich der Frage stellen, wie viel sie zu opfern bereit sind, um ein Leben zu retten!

»Der schwedische Spion« erscheint außerdem als Hörbuch und bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.

Über den Autor:

Der schwedische Autor und Finanzanalyst Karl Eidem lebt mit seiner Familie in Stockholm und hat zahlreiche Nordic-Noir-Romane verfasst.

Zusammen mit Jale Poljarevius veröffentlichte Karl Eidem bei dotbooks auch die Reihe um die schwedische Ermittlerin Hannah Kaufman mit den Bänden:

»Die Kinderklinik«

»Die Jagd«

»Die nie vergessen«

Die ersten beiden Fälle sind auch im Doppelband erhältlich.

***

eBook-Neuausgabe Dezember 2023

Die schwedische Originalausgabe erschien erstmals 2015 unter dem Originaltitel »Svensken« bei Vulkan. Die deutsche Originalausgabe erschien erstmals 2021 unter dem Titel »Der Schwede« bei SAGA Egmont.

Copyright © der schwedischen Neuausgabe sowie der deutschen Erstausgabe 2015, 2021 Karl Eidem und SAGA Egmont

Copyright © der eBook-Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/fogcatcher, Vasya Kovalkov, Catarina Belva

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98952-002-8

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Karl Eidem

Der schwedische Spion

Thriller

Aus dem Schwedischen von Alina Becker

dotbooks.

Jerusalem

1. Februar 2012

Die Veröffentlichung faszinierte ihn. Die Geschichten und die Bilder, die den beschriebenen Geschehnissen Authentizität gaben. Sowohl das große Ganze als auch die einzelnen Ereignisse. Und jetzt das. Ein Foto, eine Schwarz-Weiß-Aufnahme eines jungen Generals. Dieser fanatische Blick. Chiang Kaishek, der führende Politiker Chinas, bis er von Mao Zedong vertrieben wurde, hatte einen Sohn. Besagter Sohn war in jungen Jahren nach Moskau geschickt worden, um mehr über den Kommunismus zu lernen. Das war an und für sich nichts Besonderes, denn zwischen den beiden verbleibenden kommunistischen Großmächten fand regelmäßig ein angeregter, sanktionierter Austausch von Waren und Gefälligkeiten oder Ideen statt. Dem Rest der Welt war nicht bekannt, dass Josef Stalin, der derzeitige Diktator der Sowjetunion, den Jungen als Geisel nahm und ihn als Druckmittel gegen Chiang Kaishek nutzte. Er ließ Chiangs Sohn nicht zurückkehren. Als Stalin politische und militärische Unterstützung von China benötigte, zappelte der Junge bereits als Köder an seiner Angel – und diese Taktik funktionierte einwandfrei. Als Chiangs Sohn schließlich wieder nach China zurückkehren durfte, hatte Stalin längst bekommen, was er wollte.

Der Mann legte das Buch zur Seite und dachte über das gerade Gelesene nach. Er hatte noch nie von diesem Vorfall gehört. Das Buch über die Geschichte Chinas hatte ihm ein Freund geliehen, mit den Worten, er solle es unbedingt lesen. Er stand auf, trat ans offene Fenster und wurde sich mit einem Mal all der Geräusche und Gerüche in der Stadt bewusst. Der Verkehr wirkte wie gewohnt wie ein Vorhang aus Geräuschen – dem ständigen Hupen und dem Brummen der Motoren –, dazu Benzingeruch. Von den zahlreichen Lokalen stieg ein Duft nach frisch gemahlenem Kaffee, Pitabrot und Meeresfrüchten auf, ergänzt durch die Ausdünstungen Tausender Bratpfannen und provisorischer Grillflächen. Über allem leuchtete der strahlend blaue Himmel.

Er holte tief Luft. Das war seine Stadt. Jerusalem. Aber der Text, den er gerade gelesen hatte, ließ ihn einfach nicht los. Er knüpfte an etwas an, womit er sich schon vor langer Zeit beschäftigt hatte. Wie eine plötzliche, unerwartet freie Assoziation, die eine Verbindung zwischen zwei scheinbar zusammenhanglosen Ereignissen aufzeigt. Vielleicht gab es da ein Schlupfloch, einen klugen Schachzug, das fehlende Puzzleteil? Ein internationales Geiseldrama auf höchstem Niveau. Er nahm noch einmal einen tiefen Atemzug am geöffneten Fenster. Jerusalem, Jerusalem …

Sein Name war Ido Zakai, er war in den Vierzigern und arbeitete als einer von vielen Bediensteten für den Mossad, den israelischen Geheimdienst. Sein Spezialgebiet waren Auslandseinsätze. Er hatte dunkles Haar und einen ebenso dunklen Bart, der allmählich in verschiedenen Grautönen zu schimmern begann. Auf der Nase trug er eine stabile unmoderne Brille mit viereckigen Gläsern und unverhältnismäßig dickem Rahmen. Fernsehbrille hatten seine Kinder dieses Gestell getauft. Die durchdringenden dunklen Augen hinter der Fernsehbrille ließen auf einen wachen, aufmerksamen Charakter schließen. Zakai war weder wirklich groß noch klein und unterm Strich nicht der Typ, nach dem man sich auf der Straße umdrehen würde, weder in Jerusalem noch anderswo. Ein unscheinbarer Mann, der in der Masse unterging – in seinem Gewerbe eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft. So gewöhnlich seine äußere Erscheinung war, so ausgeglichen und wenig herausragend waren auch sein Charakter und sein Intellekt. Er verstand es zumindest, mit seiner Intelligenz nirgendwo anzuecken. Seine Meinung bildete er sich für gewöhnlich anhand von Fakten und in diesem Land, in dem nun wirklich alle denkbaren extremen Haltungen vertreten waren, achtete er darauf, sich von allen Formen des Extremismus fernzuhalten. In dieser Hinsicht war er ein ausgezeichneter Repräsentant des Mossads, bei dem es sich entgegen aller Ammenmärchen nicht um eine Ansammlung von Extremisten handelte. Der Geheimdienst vermied es bewusst und konsequent, Personen mit unnötig strengen politischen Ansichten oder anderen radikalen Eigenschaften einzustellen. Das konnte sich bei einem Auftrag nur negativ auswirken. Was immer gebraucht wurde, waren intelligente, analytische, ausgeglichene Personen, die nicht an Heldenmythen festhielten, sondern sich auf die Planung und Ausführung komplexer Missionen konzentrierten und wussten, wie sich das Risiko für verschiedene Fehler minimieren ließ.

Immer noch in Gedanken packte Zakai seine Sachen zusammen und fuhr seinen Laptop herunter. Dann schrieb er seiner Frau Mira eine Nachricht, dass er mit der Arbeit fertig sei und sich auf den Abend freue. Vielleicht konnten sie sich noch irgendetwas Nettes zusammen anschauen, vielleicht In Treatment – Der Therapeut. Mira war Psychologin, und er liebte es, ihr dabei zuzuhören, wie sie die einzelnen Episoden mit einem ausgewogenen Maß an Professionalität und Humor kommentierte. Ah, this is pure Hollywood!, platzte sie manchmal heraus, meistens bei Szenen, die Ido selbst für ausgesprochen realistisch hielt. Das Blatt wendete sich dann meistens, wenn sie sich Homeland anschauten. Was Mira so faszinierte, hielt er in der Regel für Quatsch. Aber das Wichtigste war schließlich, dass sie gemeinsam etwas unternahmen. So diskret wie möglich verließ er das Gebäude und beschloss, einige Stationen zu Fuß zurückzulegen, bevor er in den Bus nach Hause stieg. Aus Stalins Sicht musste die Entführung des Jungen äußerst erfolgreich abgelaufen sein. Der Zweck heiligt die Mittel. Ohne Zweifel war dabei gegen alle Regeln und Abmachungen verstoßen worden, aber so what? Den Kommunismus hatte es vorangebracht. Zakai drängte den Gedanken beiseite und stieg in den Bus.

Nur wenige Tage später hörte er dem Minister zu, der im großen Konferenzraum im obersten Stockwerk des Mossadgebäudes zu ihnen sprach. Das Land wurde abermals attackiert, aber dieses Mal auf eine subtilere Art und Weise. Die Welt schien zu beginnen, sich gegenüber dem Staat Israel zu distanzieren. Sie war wieder einmal auf dem Weg zu vergessen, und es war dringend nötig, dass sich alle daran erinnerten, was damals geschehen war und wie das Land überhaupt entstanden war. Die folgenden Generationen mussten aufgeklärt werden, und in dieser Hinsicht war jedes Mittel erlaubt. Der Auftrag war dem Mossad wie auch anderen zentralen Verwaltungsbehörden und -abteilungen sowie Diensten mit internationaler Reichweite erteilt worden, und alle hatten die Anweisung bekommen, sich zu überlegen, welchen Beitrag sie leisten konnten und welche Fälle und Situationen im Moment Priorität hatten. Ido schloss das Fenster und betätigte eine Kurzwahlnummer auf seinem Telefon. Sein Kollege nahm sofort ab.

»Ido Zakai hier. Kann ich dich um einen Gefallen bitten? Kannst du dich mal umhören, ob es in Moskau etwas Neues von Lena Feldbin gibt?«

»Feldbin?«, murmelte sein Gesprächspartner. »Wer ist das?«

»Wie ich sagte, Feldbin. Eine Sayanim. Eine Putzfrau. Hört sich nach Informationen zu einer bestimmten Situation um. Die Abteilung in Moskau weiß Bescheid.«

»Willst du etwas Bestimmtes wissen?«

»Nur, ob kürzlich irgendetwas gemeldet wurde. Ruf an, peil die Lage und gibt mir dann Bescheid. So schnell du kannst.«

Ido nahm sein Sakko, das er über eine Stuhllehne gehängt hatte, warf es sich über die Schulter und fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter ins Erdgeschoss, um noch eine Runde durch das Stadtviertel zu spazieren. Er brauchte dringend einen Kaffee und etwas Süßes, wenn er die übrigen Stunden bis zum Feierabend noch durchhalten sollte. Und er wollte noch weiter darüber nachdenken, was das historische Geiseldrama in Moskau bedeutete – Stalin gegen Chiang Kaishek – und ob es irgendetwas damit zu tun hatte, was die Sayanim seit einiger Zeit berichtete. Zunächst würde er einen einfachen Zeitstrahl erstellen und die verschiedenen Ereignisse in der richtigen Reihenfolge darauf anordnen. Dann musste er, nicht zum ersten Mal, mit jemandem sprechen, der Erfahrung mit dem KGB hatte. Damals wie heute. Und dann war da noch diese andere Frau in Moskau, wie auch immer die noch einmal hieß. Mit ihr musste er ebenfalls Kontakt aufnehmen.

Moskau

5. Februar 2012

Die beiden Streifenpolizisten hatten ihren Wagen an der Kaimauer geparkt. Sie waren nicht besonders unglücklich darüber, die tote Frau gefunden zu haben. Sie war aus der Tiefe des Flusses aufgetaucht und an die Treppenstufen gespült worden. Ein verantwortungsbewusster Bürger hatte die Polizei informiert. Die beiden eingetroffenen Beamten waren nicht erpicht darauf, nasse Füße zu bekommen, also riefen sie ihrerseits nach Verstärkung mit entsprechender Ausrüstung und zogen sie mit einem Haken heran.

»Verdammt! Verfluchte Moskwa …«, murmelte einer der beiden. Der andere lächelte. Immerhin passierte überhaupt einmal etwas und sorgte für etwas Abwechslung. Ein bisschen Action. Sie zogen den leblosen Körper an Land und ließen ihn eine Weile liegen, während sie verschnauften und Verstärkung riefen. Das hier war auf jeden Fall eine wenig glamouröse Art abzutreten. Schließlich näherte sich der einem Krankenwagen ähnelnde Leichenwagen, und sie verfrachteten die Tote in den hinteren Teil, damit diese quer durch Moskau zum Leichenschauhaus gebracht werden konnte. Dort würde man versuchen, sie zu identifizieren, was – da waren sich alle Beteiligten einig – vermutlich zwecklos war. Die beiden Polizisten gönnten sich eine ausgiebige Mittagspause mit einem Extraschluck Wodka.

»Also«, sagte der eine. »Ich habe mich immer schon gefragt, warum Leichen wieder an die Wasseroberfläche treiben. Ich meine, zum Teufel, die gehen doch erst direkt unter. Was passiert dann?«

Sein Kollege, der die Antwort zufällig wusste, lächelte überlegen und begann, ihm einen Vortrag zu halten.

»Weißt du das wirklich nicht? Hast du auf der Polizeischule nur gepennt? Die Leiche sinkt erst einmal nach unten, wenn sich die Lungen mit Wasser füllen. Aber irgendwann bilden sich Gase im Körper, dadurch wird er leichter als Wasser und wird nach oben getrieben. Hast du wenigstens eine Ahnung, warum das Gesicht dabei immer nach unten zeigt?«

»Absolut keine Ahnung. Sag schon!«

Der Kollege biss ein Stück von einer Pirogge ab.

»Das hat eigentlich nichts mit dem Gesicht zu tun, sondern mit den Gliedmaßen. Sowohl die Arme als auch die Beine knicken nach vorn ab beziehungsweise nach unten. So funktionieren die Gelenke eben. Deshalb zeigt der Oberkörper immer nach unten.«

»Wie bei der Frau, die wir gerade gefunden haben?«

»Wie bei der Frau, die wir gerade gefunden haben! Du lernst schnell. Prost!«

Gläser klirrten, und die Mittagspause wurde fortgesetzt. Wenn man bedachte, wie viele Menschen in Moskau regelmäßig verschwanden und wie lausig die Nachverfolgung dieser Fälle ablief, war es äußerst unwahrscheinlich, dass die Leiche einen Namen bekommen und mit einem Menschenschicksal in Verbindung gebracht werden würde. Die Leiche konnte sonst wo ins Wasser geworfen worden sein. Vielleicht war sie schon längere Zeit und eine weite Strecke getrieben. Oder gar nicht. Durch den ungewöhnlich milden Winter hatte sich das Eis nur spärlich und langsam gebildet.

Aber wie durch einen Zufall passte die Leiche genau zur Beschreibung einer erst neulich verschwundenen Frau, und über die israelische Botschaft wurde diejenige Person, welche die andere Frau als vermisst gemeldet hatte, offiziell in Kenntnis gesetzt. Sie war, ebenso wie die Tote, als Reinigungskraft tätig und ging direkt ans Telefon – so, als hätte sie schon angespannt auf den Anruf gewartet. Sie hatte seit Langem nichts mehr von ihrer Freundin gehört.

»Ida Feinberg. Mit wem spreche ich?«

»Hier spricht die Polizei. Es geht um eine mögliche Identifizierung.«

»Lena?«

»Sie haben eine gewisse Lena Feldbin als vermisst gemeldet. Haben Sie die Möglichkeit, ins Leichenschauhaus zu kommen, um die Tote zu identifizieren?«

»Um Gottes willen! Ist sie es denn?«

»Bitte seien Sie so freundlich und kommen Sie zur Identifizierung …«

Ein paar Tage später wurde die als Lena Feldbin identifizierte Leiche eingeäschert. Als Todesursache war ein Schlag mit einem stumpfen Gegenstand festgestellt worden. Sie war bereits tot gewesen, als man sie ins Wasser geworfen hatte. Außer ihrer Freundin Ida hatte Feldbin niemanden – keine Verwandten, weder Kinder noch Eltern oder Geschwister. Die meiste Zeit hatte sie als Reinigungskraft gearbeitet. Die Polizei machte deutlich, dass keine weiteren Ressourcen für diesen Fall aufgebracht werden würden. Eine unspektakuläre Mitbürgerin, die einen unspektakulären Tod gestorben war. Die israelische Botschaft versuchte gar nicht erst zu widersprechen. Hier war jegliche Mühe umsonst.

Die Mitteilung über ihren Tod fand jedoch den Weg in einen der routinemäßigen Berichte der Botschaft, der wiederum an einen Botschaftsangestellten weitergeleitet wurde. Dieser hatte zufälligerweise gerade eine Anfrage aus Jerusalem bezüglich der betreffenden Person, Lena Feldbin, erhalten, und konnte daher umgehend weitergeben, dass sie tot war, vermutlich ermordet, und dass die Moskauer Polizei kein Interesse daran zeigte, weitere Nachforschungen anzustellen oder umfangreiche Ermittlungen einzuleiten. Für sie war der Fall bereits abgeschlossen.

Als Ido Zakai vom Mossad in Jerusalem ein paar Tage später die Nachricht erreichte, blieb er im Gang vor seinem Büro stehen und schaute aus dem Fenster hinaus auf die in der Mittagssonne leuchtenden Gebäude der Stadt. Aber da war noch etwas anderes. Er erkannte ein Muster. Ido machte auf dem Absatz kehrt, ging zurück in sein Büro und wühlte sich durch all die alten Visitenkarten, die er in einer Schublade aufbewahrte. Es war an der Zeit, den Schweden zu kontaktieren. Auf dieses Zeichen hatte er gewartet.

Stockholm

7. Februar 2012

Hans Edelman saß auf einer Holzbank im Umkleideraum. Er hörte, wie sein Kollege, offenbar zufrieden mit sich selbst und dem Ausgang des Spiels, unter der Dusche eine Melodie vor sich hin summte, mit gutem Grund. Der kleine Raum stank nach Schweiß, Schmerzsalbe und Niederlage, und Hans wiederum war alles andere als zufrieden mit sich selbst und dem Ausgang der Partie – haushoch war er besiegt worden. Sein Squashschläger lag neben ihm auf der Bank, Hans’ Kollege tauchte in der Tür zum Duschraum auf.

»Verdammt cool hier. Eine schöne Squashhalle!«

»Ja, oder?«, murmelte Hans und begann, sich auszuziehen. Er selbst hatte auf dieses Match bestanden, nachdem er in aller Heimlichkeit Privatstunden im Squash genommen hatte. Er hatte sich dazu bereit gefühlt, aufs Feld zu gehen, gegen einen jüngeren Kollegen anzutreten und ihn zu überrumpeln. Ihm zu beweisen, dass er noch mithalten konnte. Und dann? Dann war er in der Luft zerrissen worden. Der Lächerlichkeit preisgegeben. Er hatte nicht im Mindesten mithalten können, und es musste äußerst komisch ausgesehen haben, wie er hinter dem Ball hergehechelt war – ohne eine ernsthafte Chance, mehr als einen gelegentlichen Glückstreffer zu erzielen. Hans versuchte, das unbehagliche Gefühl abzuschütteln, ahnte aber, dass er daran noch eine Weile zu knabbern haben würde.

»Willst du jetzt zurück zum HQ?«, fragte sein Kollege.

»Das hatte ich vor, ja.«

»Okay. Ich bin mit dem Wagen da und kann dich hinfahren, wenn du willst.«

»Danke, ich springe nur schnell unter die Dusche.«

Hans beeilte sich und wusch sich, ganz ohne die Beschwingtheit, die auf einen Sieg gefolgt wäre. Verdammt, wie war es so weit gekommen? Hatte er seinen Gegner unterschätzt oder hatte er sich selbst, seine eigene Technik und Kondition überschätzt? Er zog sich an, so schnell er konnte, und setzte sich niedergeschlagen zu seinem Kollegen ins Auto.

»Lass von dir hören, wenn du Lust auf eine neue Runde hast!«, rief sein Partner ihm zu, bevor sie sich vor einem der Fahrstühle im Büro trennten. Hans nickte und grinste mit zusammengebissenen Zähnen. In den nächsten Stunden nahm das unbehagliche Gefühl allmählich ab, während er sich die Situation noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Wie gewöhnlich zu dieser Jahreszeit brach die Dunkelheit früh herein, und irgendwann wanderten seine Gedanken weiter zum nahenden Abend. Ob wohl ein guter Film lief? Was würde es zum Abendessen geben? Und hatte er noch einen guten oder wenigstens akzeptablen Wein zu Hause – nicht nur einen Kochwein, sondern etwas Richtiges, Süffiges? Hans griff nach seinem Mantel und war gerade im Begriff, das Büro zu verlassen, als das Telefon klingelte.

Er überlegte kurz, das Gespräch auf sein Handy umzuleiten, beschloss dann aber, noch eine Weile im Büro zu bleiben und die Angelegenheit dort abzuarbeiten. Er verschloss die Tür. Der Anrufer war jemand, mit dem er seit bestimmt fünf Jahren nicht mehr gesprochen hatte. Oder sogar noch länger? Er hieß Ido Zakai – jedenfalls stand das so auf seiner Visitenkarte – und arbeitete in Jerusalem für den Mossad, den israelischen Geheimdienst. Genau wie Hans war Zakai ein ranghoher Mitarbeiter und trug Verantwortung in Überwachungsangelegenheiten. Mehr wusste Hans über dessen Tätigkeit für den Mossad allerdings nicht. In diesen Kreisen sprach man nur so viel über die Arbeit, wie es die Umstände erforderten. Sie hatten noch nie gemeinsam eine Mission geplant oder auch nur durchgeführt. Hans hatte Ido Zakai kennengelernt, als sie beide in einer unbedeutenden mitteleuropäischen Hauptstadt einer internationalen Konferenz zum Thema Sicherheitsfragen beigewohnt hatten. Durch Zufall hatten sie nebeneinandergesessen und so ein paar unterhaltsame Tage miteinander verbracht. Sie hatten die Vorträge verfolgt, sich Notizen gemacht und an ein paar Gruppenarbeitsrunden teilgenommen. Abends hatten sie ein paar Glas Wein getrunken und über alles Mögliche diskutiert, von Weltpolitik bis zur Fußball-WM. Hans hatte wohlwollend festgestellt, dass Zakai die übliche israelische Steifheit gegenüber dem schwedischen Staat und dessen Einwohnern vollkommen fehlte. Nach der Konferenz hatten sie noch ein paar Monate lang E-Mails ausgetauscht, bis der Kontakt nach und nach abgeebbt war. Aber jedes Mal, wenn Hans irgendetwas über Israel oder den Mossad las, kam ihm Ido Zakai wieder in den Sinn.

»Is this Hans Edelstam? This is Ido Zakai from the Mossad. Remember me?«

»Ido, what’s up? It’s Edelman, not Edelstam, otherwise you’re absolutely right! Good to hear from you. Haben lange nichts voneinander gehört, aber ich musste neulich an dich denken. Ihr werft wieder mit Bomben, habe ich vernommen?«

Ido ging auf den Scherz ein und feuerte direkt zurück.

»Alles ruhig und unter Kontrolle, wie üblich hier im Nahen Osten. Aber hier erzählt man sich, dass ihr vorhabt, in Norwegen einzumarschieren. All das teure Erdöl und so …«

Beide lachten und unterhielten sich dann eine Weile über Nichtigkeiten, bis Ido unvermittelt und wenig dezent das Gesprächsthema wechselte – Schluss mit dem ungezwungenen Plauderton.

»Hans, wir müssen reden. Ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen. Können wir uns so schnell wie möglich sehen? Je eher, desto besser. Ich bin nächste Woche beruflich in London. Meinst du, wir können uns dort treffen?«

Ein flüchtiges, aber angenehmes Gefühl durchströmte Hans. Eine kurze Dienstreise war immer eine willkommene Unterbrechung des Alltagstrotts. Und eine Möglichkeit, seiner Frau etwas Nettes mitzubringen. Das Squashspiel war schon wieder vergessen.

»Ich schau mal, was sich machen lässt. Ist deine E-Mail-Adresse noch aktuell? Dann melde ich mich morgen bei dir. Wir hören voneinander!«

Auf dem Weg nach draußen blieb Hans’ Blick auf seinem Spiegelbild in der Fensterscheibe hängen, an seinem schmalen, kindlichen Gesicht mit der spitzen Nase, der hohen Stirn und den kurzrasierten Haaren. Jemand hatte ihn einmal als nondescript bezeichnet. Hans war sich sicher, dass das so viel wie nichtssagend bedeutete und nahm an, dass seine extrem lichten und hellen Augenbrauen ihren Teil dazu beitrugen. Eigentlich waren sie kaum existent, und es schien, als hätten die Leute aufgrund dessen Schwierigkeiten, sich an sein Gesicht zu erinnern. Es passierte höchst selten, dass man ihn auf der Straße wiedererkannte. Hans schenkte seinem Spiegelbild ein Lächeln. Jetzt würde er sich auf jeden Fall erst einmal auf den Heimweg machen – und bald auf den Weg nach London.

Eine gute Woche später saß Hans Edelman in der Lobby eines anonymen Flughafenhotels in der Nähe von London Heathrow. Die Schwingtüren öffneten sich, und herein trat Ido Zakai. Er war älter geworden. Der einst rabenschwarze Bart war nun von Grau durchzogen. Aber Ido trug noch immer dieselbe Brille. Wie mochte Hans wohl auf ihn wirken? Bestimmt auch keinen Tag jünger als damals. Sie bestellten jeweils ein Bier, und nach einer Weile fing Ido an, Hans nach seiner neuen Stelle auszufragen, seinem Zuständigkeitsbereich und seiner Position bei der Säkerhetspolisen, dem schwedischen Nachrichtendienst. Hatte sich irgendetwas verändert? War er immer noch für Überwachungsangelegenheiten zuständig? War er mittlerweile eine graue Eminenz? Während Hans antwortete, hörte Ido konzentriert zu, wog die Antworten ab und kam schließlich zu dem Schluss, dass er die richtige Person vor sich sitzen hatte.

»Hans, du bist der Einzige beim schwedischen Nachrichtendienst, den ich kenne, und du scheinst ein guter Typ zu sein. Ich habe, sagen wir, ein kleines bisschen recherchiert, bevor ich dich angerufen habe. Du hast einen beeindruckenden Lebenslauf. Daran gibt es wirklich nichts auszusetzen. I couldn’t find any noise in your profile!«, ergänzte er nachdrücklich. »Ich suche einen Schweden, der etwas von seinem Geschäft versteht, der sich nichts anmerken lässt und der liefern kann, wenn es darauf ankommt. Ich bin vollends überzeugt, dass du der Richtige bist.«

Ido genehmigte sich einen Schluck Bier und fuhr dann mit seinem einstudierten Monolog fort.

»Was ich dir jetzt erzähle, ist vielleicht keine große Neuigkeit, was weiß ich schon? Wie gesagt, du bist der Einzige beim schwedischen Nachrichtendienst, den ich kenne, und es liegt ganz bei dir, was du mit meinen Informationen anstellen willst. Vielleicht findet die Geschichte, die ich dir gleich erzähle, schon hier und jetzt ein Ende. Wir haben jedenfalls nicht vor, irgendetwas in dieser Hinsicht zu unternehmen. Wie du vielleicht weißt, haben wir ein Netzwerk aus freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – wir nennen sie Sayanim. Sayan ist das hebräische Wort für Assistent. Sayanim ist die Pluralform. Sie werden nicht bezahlt, aber im Gegenzug setzen wir sie keinem direkten Risiko aus. In der Regel. Sie versorgen uns mit Informationen zu ganz unterschiedlichen Angelegenheiten und beteiligen sich an kleineren Aufträgen. Das kann bedeuten, dass sie jemandem einen Leihwagen besorgen, ohne dass derjenige irgendwelche Unterlagen ausfüllen muss. Oder dass eine Reinigungskraft im Hotel die Sachen eines bestimmten Gasts nach Hinweisen durchsucht. Was auch immer, diese Mitarbeiter sind unser verlängerter Arm, unsere Hand draußen in der Welt. Sie vertreten unsere Werte.«

Er erzählte weiter von den Sayanim und nannte einige bekannte Beispiele, wie den kanadischen Schriftsteller Victor Ostrovsky. Dann kam er plötzlich wieder auf den konkreten Fall zu sprechen.

»Vor einer Weile haben wir eine Information bekommen, die darauf hindeutet, dass ein Schwede in Russland versteckt gehalten wird. In Gesprächen kam plötzlich immer wieder das Wort schwed auf, das ist einfach das russische Wort für Schwede. Und dafür gab es keinen Grund. Wir könnten uns natürlich auch verhört haben, die Hand dafür ins Feuer legen kann ich nicht. Aber in der gegenwärtigen Lage ist unsere beste Einschätzung, dass jemand in einer Villa in Moskau gefangen gehalten wird, bei dem es sich um einen schwed handelt – einen schwedischen Mann.«

»Vor einer Weile?«, warf Hans ein. »Was heißt das?«

»Gute Frage. Wir haben diesen Fall schon eine ganze Zeit lang auf dem Radar, vielleicht seit einigen Jahren. Aber ein Muster hat sich erst im Laufe des letzten Jahres abgezeichnet. Du weißt ja selbst, wie unser Gewerbe funktioniert. Linear ist da nichts. Komplizierte Fälle entwickeln sich durch neue Informationen, laufendes Nachdenken und …«, er suchte nach dem richtigen Wort, »… Reife. Ein bisschen wie ein Wein. So sind sie, die komplizierten Fälle …«

Hans beobachtete Ido unschlüssig. Er war sich nicht sicher, ob er die Metapher als zutreffend empfand und hatte viele Fragen zu dem Fall. Trotzdem ließ er den Israeli weitererzählen.

»Wir haben eine Weile hin und her überlegt und uns dann entschieden, die Geschichte an den schwedischen Nachrichtendienst weiterzuleiten, aber so informell wie möglich. Vielleicht handelt es sich ja auch gar nicht um einen Gefangenen, sondern um einen Schweden, der einfach dort wohnt. Und dann besteht natürlich das Risiko, dass das Wort schwed falsch verstanden wurde. Ich lege die Sache in deine Hände, Hans. In dem Umschlag hier findest du die Adresse der Villa. Auf jeden Fall hat es mich gefreut, dich nach all den Jahren wiederzusehen. Wer weiß, vielleicht war das ja nicht unser letztes Treffen? Jetzt muss ich mich aber beeilen, um meinen Flug zurück nach Tel Aviv nicht zu verpassen.«

»Tel Aviv?«, fragte Hans. »Ich dachte, ihr sitzt in Jerusalem?«

»Das ist ja auch richtig. Aber dort gibt es keinen Flughafen.«

Hans versuchte, Ido zurückzuhalten.

»Ein bisschen mehr musst du mir schon anbieten, Ido!«

Ido ließ sich wieder in seinen Sessel sinken, machte aber keine Anstalten, seinen Mantel abzulegen. Er schaute Hans geradeheraus an.

»Ob wir schon eine Theorie zu dem Fall haben? Nein, ich persönlich habe noch keine. Aber was im Hier und Jetzt passiert, hat fast immer auf irgendeine Art und Weise einen Hintergrund in der Vergangenheit, besonders in Russland. Wir glauben, dass dieser Fall ebenfalls irgendwo in der Vergangenheit wurzelt.«

Hans runzelte die unsichtbaren Augenbrauen. Er zog Fakten und Informationen allgemeinen und vagen Spekulationen vor.

»Habt ihr die Informationen von einem dieser Sayanim? Sind das quasi eure Abhörwanzen in Russland?«

»Ja, das ist richtig, auch wenn wir natürlich noch andere Wanzen haben. Unsere Sayanim sammeln Informationen und leiten sie an uns weiter.«

»Aber ihr habt doch sicher noch weitere Nachforschungen angestellt, bevor ihr beschlossen habt, uns zu benachrichtigen, oder nicht? Kannst du nicht noch mehr darüber erzählen, wie ihr an diese Informationen gekommen seid? Und wann? Ich brauche mehr Fakten.«

»Mehr kann ich dir gerade nicht bieten. Wahrscheinlich werden wir parallel zu euren Nachforschungen noch eigene Ermittlungen durchführen, aber wir wollten euch, wenn man es so sagen will, erst zu Insidern machen. Euch anfixen …«

Manche Ausdrücke verbreiteten sich wirklich wie ein Lauffeuer, dachte Hans. Vor ein paar Jahren war der Ausdruck noch sehr speziell gewesen, aber mittlerweile wurde ständig jemand von jemand anderem angefixt – mit Informationen und wilden Spekulationen gleichermaßen. Und Hans’ Stoff war in diesem Fall ein Schwede irgendwo in Moskau. Während er nachdachte, stand Ido erneut auf und machte Anstalten zu gehen. Sein Glas war immer noch zur Hälfte gefüllt. Er war nach London gekommen, um eine Schwesterorganisation zu aktivieren, nicht um Bier zu trinken und über alte Zeiten zu schwadronieren.

»Eine letzte Frage noch, Ido. Diese Sache mit den Wurzeln in der Vergangenheit. Was meinst du damit? Steht das in irgendeinem Zusammenhang zu diesem Fall oder ist das nur eine allgemeine Aussage? Ich meine, so wie ich das verstehe, hat ja alles irgendeinen Hintergrund.«

»Nur so ein Gefühl, Hans. Nur so ein Gefühl. Wenn einer weiß, wie das ist, dann du: Es gibt Fälle, die tauchen plötzlich auf, wie ein Schössling, und gehen wieder ein – bestenfalls. Ein extremes Beispiel: Ein junger, uns unbekannter Student wird rekrutiert, radikalisiert, bekommt seinen Auftrag und kommt mit eingezogenem Schwanz wieder angekrochen. Das war kein Spaß mehr, sondern schlicht und ergreifend gefährlich. Er führt uns direkt zu seinen Kontakten, und wir können mit der Überwachung beginnen und zum passenden Zeitpunkt gegen die Terroristen vorgehen. Case closed. Aber es gibt ja auch den entgegengesetzten Fall, nämlich den, der schon lange ruht, gärt und immer größere Ausmaße annimmt. Ein Maulwurf, der nach fünfundzwanzig Jahren sorgfältiger und geduldiger Spitzfindigkeiten eine hohe, respektable Position erreicht. Als Spion, wohlgemerkt. So etwas entwickelt sich derart langsam, dass man nichts davon mitbekommt, obwohl es sich direkt vor den eigenen Augen abspielt. Wie ein Wein, der steht und gärt. Ja, wie gesagt, dir brauche ich wohl kaum etwas zu erklären, was das anbelangt.«

Er versucht doch, mir zu schmeicheln, dachte Hans. Aber warum?

»Ich nehme an, das heißt, dass der Schwede zur zweiten Kategorie gehört.«

»Ja, davon gehen wir aus. Das ist ein slow burn.«

Hans kannte den Ausdruck nicht, ließ die Sache aber auf sich beruhen. Acquired taste hatte ihm neulich jemand erklärt. Aber slow burn …? Das musste er später einmal nachschlagen.

»Okay, Ido. Ich denke über die Sache nach und durchforste ein paar Register. Vermisst gemeldete Schweden in Moskau, zum Beispiel. Erwartet ihr Feedback von uns?«

»Bleiben wir eine Zeit lang in Verbindung und schauen wir, wo die Reise hingeht. Ich komme auf dich zurück – wenn du nicht schneller bist. Aber jetzt mach’s gut, Hans!«

Ido verschwand durch die Schwingtüren, und Hans konnte sehen, wie er ein Taxi herbeiwinkte und sich auf den Rücksitz fallen ließ. Reiseziel Jerusalem mit Zwischenlandung in Tel Aviv. Das war ein ungewöhnliches Treffen gewesen, aber auch nicht vollkommen einmalig. Ausländische Geheimdienste ließen in regelmäßigen Abständen von sich hören, brauchten Hilfe oder Tipps oder wollten einfach ein paar Informationen weitergeben, von denen sie glaubten, dass die Schweden irgendeinen Nutzen für ihre Arbeit daraus ziehen konnten.

Trotzdem war sich Hans nicht sicher, ob der Mossad ihn gerade um Hilfe gebeten oder ihm zur Hilfe geeilt war – sowohl als auch, nahm er an. Er warf einen Blick auf die Uhr. Eigentlich konnte er sich jetzt auf die Socken machen. In diesem Hotel würde jedenfalls nichts Spektakuläres mehr passieren, so viel war sicher. Er bezahlte die Rechnung, bestellte sich ein Taxi und machte sich auf zum Duty-free-Shop.

Moskau

10. Februar 2012

Oberst Petrow überquerte den Roten Platz in Richtung des Maneschnajaplatzes. Er war auf dem Weg zu einem Empfang, bei dem unter anderem Ministerpräsident Putin anwesend sein sollte. Den Morgen über hatte Petrow sich Recherchen zu dem Buch über die Geschichte des KGBs gewidmet, das er zu schreiben beabsichtigte. Seine Oberlippe zierte ein wohlgepflegter Schnurrbart und obwohl er Zivilkleidung trug, einen dunklen Anzug und Krawatte, war seine Haltung durch und durch militärisch. Seit er mit der Arbeit an seinem Buch begonnen hatte, war er von solch unverkennbar freudiger Erregung erfüllt, dass selbst seine Frau Swetlana mit kaum verhohlenem Misstrauen ihre Kommentare abgegeben hatte. Was konnte an der Geschichte des KGBs schon derart aufregend sein? Man musste schon eine Weile suchen, um ein langweiligeres und – ihrer Meinung nach – gefährlicheres Thema zu finden.

Swetlana Petrowa zeichnete sich durch einen ordentlichen Pagenschnitt, eine moderne Brille und maßgeschneiderte Kostüme aus. Sie war eine elegante Frau und durch tägliches Training war ihr Körper gut in Schuss. Sie arbeitete als eine angesehene Herzchirurgin, hatte Artikel in russischen und internationalen Fachmagazinen publiziert und leitete mittlerweile eine Privatklinik im Zentrum Moskaus. Ungerührt bezeichnete sie ihren Mann als altmodisch. Natürlich liebte und respektierte sie ihn, hatte er doch in vielerlei Hinsicht ihr Leben zum Positiven verändert, aber war es nicht langsam an der Zeit, die alten Gewohnheiten fallen zu lassen und nach vorn zu schauen?

Oberst Petrow glaubte, dass sich ihm mit der Arbeit an seinem wichtigen Buch über den KGB eine große Wahrheit auftat: Der Geheimdienst KGB war das Herz Russlands, sein Rückgrat und sein Dreh- und Angelpunkt. Herrscher kamen und gingen, Zaren, Lenin, Stalin, die Kommunisten und dann Jelzin. Aber Geheimdienste hatte es immer gegeben.

In der Vision, die Petrow entwickelte, nahm der KGB immer mehr die Rolle des roten Fadens ein, der sich durch alle historischen Entwicklungen zog, welche das Land durchlitten hatte. Und jetzt wurde es, Gott sei Dank, von dem richtigen Mann geführt. Er selbst, Petrow, war mit der Leitung einer Mission beauftragt worden. Ein General hatte ihn an sein Sterbebett gerufen und ihm offenbart, dass man ihm die Verantwortung für eine wichtige geheime Angelegenheit übertragen wolle. Petrow erkannte darin eine Symbolik, die zu dem Werk passte, an dem er arbeitete – einen greifbaren, wenn auch höchst geheimen Beweis dafür, dass der Dienst größere Bedeutung hatte als jene, denen er diente. Dass er eine größere Reichweite hatte als jede sichtbare und damit vorübergehende Machtstruktur. Hier bestimmte man sich selbst. Wie viel Wladimir Putin davon ahnte, wusste Petrow nicht und durfte auch keine Fragen dazu stellen. So lauteten die Anweisungen.

Petrow hatte das Ganze so verstanden, dass es Stalin persönlich gewesen war, der diese Mission einst ersonnen hatte – einen Gefangenen mit dem Hintergedanken am Leben zu halten, dass er eines Tages von Nutzen sein konnte, um an Informationen zu kommen oder sogar einen Gefangenenaustausch durchführen zu können. Im Grunde war es Kidnapping, ganz einfach. Stalin hatte ein Faible dafür gehabt. Aber irgendetwas war schiefgegangen. Man hatte einmal zu oft gelogen, und der Gefangene war mehr oder weniger nutzlos geworden. Was sollte man jetzt mit ihm machen? So war Stalin verstorben und schließlich auch Lawrenti Beria, der berüchtigte KGB-Chef und Stalins Nemesis. Andere hatten die Macht übernommen, und die Frage war im Niemandsland versumpft, was mit dem Gefangenen geschehen sollte. Der Geheimdienst hatte beschlossen, ihn am Leben zu halten. Man wusste schließlich nicht, ob er irgendwann einmal wieder von Nutzen sein konnte. Außerdem traute sich niemand, ihn hinzurichten, denn wer konnte schon ahnen, was die neuen Machthaber wollten oder in Zukunft wollen würden? Chruschtschow ging dann Stalin und Beria hinterher. Der KGB war im Besitz des Geheimnisses – und Wissen war Macht. Geheime Anweisungen wurden innerhalb einer äußerst kleinen Gruppe erteilt. Die Botschaft war klar und deutlich: Vielleicht konnte man den Gefangenen eines Tages noch als Druckmittel gebrauchen. Als Druckmittel gegen die eigenen Politiker, um sie in Schach zu halten. Das war quasi die Leiche im Keller des Politbüros, aber eben nur quasi, denn eine Leiche gab es nicht – nur einen zwar alternden, aber lebenden Menschen, der in regelmäßigen Abständen, vielleicht alle vier Jahre, unter größter Geheimhaltung verlegt wurde. Neue safe houses in anderen Teilen des Reichs. Die Anweisungen blieben aber immer dieselben. Kein Wort zu niemandem. Maximum security.

Der Gefangene wurde älter, zeigte aber keine Anzeichen eines nahenden Todes. Beinahe keine Anzeichen. Einmal hatte Petrow in einer Notsituation gegen die Anweisungen verstoßen. Der Gefangene war erkrankt, und Petrow hatte nicht gewusst, was zu tun war. Alles hatte nach einer Art Herzproblem ausgesehen. Der Gedanke, dass der Gefangene sterben könnte, während die Verantwortung allein bei ihm lag, hatte Petrow nicht behagt und so hatte er sich dazu durchgerungen, Swetlana miteinzubeziehen. Schließlich war sie Kardiologin und darüber hinaus eine der besten im Land. Er bläute ihr ein, wie geheim die ganze Sache war, wie riskant es wäre, den Gefangenen in ein richtiges Krankenhaus zu verlegen und dass sie den Vorfall direkt im Anschluss wieder vergessen musste.

»Versprochen, Wjatscheslaw«, hatte Swetlana auf dem Weg im Auto gesagt. »Hoch und heilig.«

Sie hatte den Gefangenen gründlich untersucht, seinen mageren Oberkörper abgetastet und das Herz abgehört. Zum Schluss hatte sie ihm ein paar Blutproben entnommen. Damals hatte er nicht weiter darüber nachgedacht. Das war eine ganz gewöhnliche Untersuchung gewesen. Erst später hatte er begonnen, sich Sorgen zu machen. Aber in dieser Nacht waren sie in der Dunkelheit heimgefahren, und Swetlana hatte ihm versichert, dass der Gefangene überleben und sich erholen würde und dass sie kein Sterbenswörtchen über die Angelegenheit verlieren würde.

Später am selben Tag dachte Petrow über das Treffen mit dem Ministerpräsidenten nach. Der Empfang war gut abgelaufen. Petrow hatte Wladimir Putin die Hand schütteln können. Jetzt saß er wieder an seinem richtigen Arbeitsplatz, einem schäbigen Korridor in der Lubjanka, dem alten, verrufenen Gefängnisgebäude mitten in Moskau. Ungeduldig stand Petrow von seinem Stuhl auf und betrat den Kontrollraum. Die Mitarbeiter hier waren unterschiedlich gut qualifiziert, hatte er widerwillig feststellen müssen. Sein Favorit war Medwedew oder auch der Bär – ein junger, ordentlicher und fähiger Offizier, der für ihn und die Mission durchs Feuer gehen würde. Experte im Nahkampf und im Gebrauch von Handfeuerwaffen.

Viele der älteren Offiziere verachtete Petrow hingegen. Was taten sie schon wirklich hinter ihren Computerbildschirmen? Einige handelten mit Aktien, der eine surfte auf Pornoseiten, der nächste schaute sich Fotos der Enkelkinder an und plante den nächsten Sommerurlaub. Oder er bezahlte private Rechnungen. Petrow nickte dem Bären zu und signalisierte ihm damit, dass es an der Zeit für ein bisschen Frischluft und eine Zigarette war. Sie gingen über die Treppen nach oben und studierten vom Balkon aus die Häuser und Kirchen Moskaus. Und die Wolkenkratzer.

Moskau wirkt wie eine eigene Galaxie, eine gigantische Stadt, dachte Petrow. Wie viele Einwohner waren es zurzeit noch einmal? Zwölf Millionen? Alles ist so bunt, genau wie die Menschen, die hier wohnen. Die altrussische Architektur und die Kirchen mit den Zwiebeldächern drängten sich dicht an dicht mit riesigen, unverkennbar sozialistischen Betonbauten. Die wiederum konkurrierten mit modernen Wolkenkratzern um den wenigen Platz. Das alles spiegelte die schnellen örtlichen Veränderungen wider, die nie zur Gänze mit der Stadt verschmelzen konnten. Mit neuen Regimes hatten neue Architekturstile Einzug gefunden, ohne Rücksicht auf das bestehende Stadtbild.

»Das ist typisch für Moskau«, stellte er fest und nickte in Richtung Stadt.

»Was genau?«, fragte der Bär.

»Diese ganze Melange hier. Anstatt das große Ganze im Auge zu behalten, wurde einfach neu gebaut, die bisherige Architektur übertrumpft oder sogar zerstört. Die Christ-Erlöser-Kathedrale wurde während der kommunistischen Ära für ein gottverdammtes Freibad abgerissen.«

»So was.«

Die nächsten Minuten qualmten sie schweigend.

»Das Einzige, was hier funktioniert, sind die Verkehrsringe in der Stadt und um sie herum«, fuhr Petrow irgendwann fort. »Die funktionieren wirklich.«

Der Bär nickte gelangweilt.

Mitten in der Stadt lag der Kreml, das Epizentrum der Staatsmacht, das von dreien dieser Verkehrsringe umgeben war. Sie befanden sich gerade im inneren Ring, der eher die Form eines Hufeisens denn eines Rings aufwies, aber trotzdem als erster Ring bezeichnet wurde. Der nächste, der Gartenring, führte um die Stadt und war extrem stark befahren. Der dritte Ring, eine Autobahn, lag etwas außerhalb.

Sie schauten hinaus auf die Moskwa, die die Stadt durchfloss und ihr den Namen gab. Im Süden änderte der Fluss seinen Verlauf, gleich unterhalb des Leninberges und der Universität. Dann sprachen sie ein wenig über die jüngsten Ereignisse und Turbulenzen, bevor sie zurück in den Kontrollraum gingen.

Petrow hatte insgeheim bereits beschlossen, den Bären zu seinem Nachfolger im Rahmen dieser Mission zu ernennen. Er hatte alles darüber in einem Brief festgehalten, für den Fall, dass ihm etwas zustoßen sollte.

Sein Handy klingelte. Es war Swetlana. Sie sprachen kurz über die Pläne für den Abend. Nichts Bemerkenswertes. Petrow ließ abermals den Blick über seine Männer schweifen. Er hoffte, dass seiner Gruppe durch den Fortschritt an seinem Buch eine höhere Stellung innerhalb des Geheimdienstes gewährt würde. Ihm war wohl einerseits bewusst, dass viele Kollegen auf sie herabsahen und niemand wusste, was diese Truppe überhaupt trieb. Und wenn er ehrlich war, dann war die ganze Geschichte ja auch ein wenig diffus. Andererseits waren Unterabteilungen mit nebulösen Aufgaben nichts Ungewöhnliches beim KGB. Ursprünglich war das Kommando einberufen worden, um den Schutz und die heimliche Unterbringung des Gefangenen sicherzustellen. Aber als es rund um die Mission immer heißer wurde, mussten Vorwände erdacht werden, um die Herkunft der Gruppe zu verschleiern. Schließlich wusste niemand mehr wirklich, warum es diese Abteilung gab – abgesehen von demjenigen, der verantwortlich für die Mission war. Mit anderen Worten, Oberst Petrow selbst. Die neueste Erklärung war, dass die Gruppe eine Art internen Kontrollauftrag ausführte. Wir überwachen die, die überwachen. Petrow war nicht ganz zufrieden mit diesem Etikett. Damit sendeten sie falsche Signale und würden möglicherweise andere Mitarbeiter des Geheimdienstes gegen sich aufbringen. Aber bis auf Weiteres fehlte es ihm an Alternativen, und daher konzentrierte er sich lieber auf sein Buch und darauf, sich regelmäßig zu vergewissern, dass angemessen für den Gefangenen gesorgt und alle routinierten Maßnahmen eingehalten wurden.

Swetlana war zu Hause in der Wohnung. Sie hatte die Klinik früh genug verlassen, um die Hauptverkehrszeit zu umgehen. Sie hörte Beyoncé in voller Lautstärke. Warum waren die Amerikaner den Russen in jeglicher Hinsicht eine Nasenspitze voraus? Warum konnte Beyoncé keine Russin sein? Oder Alicia Keys? Würden ihre Kinder jemals nach Russland zurückkehren, nachdem sie so viele Jahre dort drüben verbracht hatten? Mittlerweile war Swetlana sich nicht mehr sicher.

Sie stellte die Musik leiser und wechselte in Vorbereitung auf den Abend ein paar Worte mit ihrem Mann. Von diesem neuen KGB-Fimmel, den er an den Tag legte, war sie überhaupt nicht begeistert. Das war so unnötig. Es wäre besser, er würde die Dinge auf sich beruhen lassen. Warum sollte man diese ganzen alten Geschichten wieder aufs Tapet bringen? Es mochte durchaus glorreiche Episoden gegeben haben, aber viele andere Dinge blieben besser verborgen im Dunkel der Vergangenheit. Jeder vernünftige Russe wusste da. Sie selbst war darüber hinaus auch noch Jüdin. Wie sich der KGB in der Vergangenheit an ihrem Volk versündigt hatte, war abscheulich.

Sie dachte über ihre eigene Lebensgeschichte nach. In jedem anderen Land der Welt wäre ihr Dasein erstaunlich gewesen, aber hier war sie außergewöhnlich. Ihr Vater war ein hochdekorierter Soldat gewesen, der im Großen Vaterländischen Krieg gegen die Deutschen gekämpft hatte. Als Held von der Front zurückgekehrt, war er dennoch plötzlich in Verdacht geraten. Trotz all seiner Verdienste war er immer noch ein Jude. Ein möglicher Verschwörer. Nicht vertrauenswürdig. Er wurde in den Gulag geschickt und überlebte allen Widrigkeiten zum Trotz, blieb aber ein gezeichneter Mann. Zusammen mit ihrer Mutter waren sie durch verschiedene kleine, in Vergessenheit geratene Städte gereist. Und dann diese ständige Erinnerung während ihrer Schulzeit, die manchmal in regelrechtes Mobbing ausartete. Jüdin. Judenbalg.

Die Eltern starben, und Swetlana war gezwungen, schnell erwachsen zu werden. Das brachte sie zum Entschluss, ihren Namen zu ändern, von Judith zu Swetlana, was eher nach einer Russin klang. Dann lernte sie Petrow kennen. Gott weiß, wohin es sie verschlagen hätte, wäre sie ihm nicht ins Auge gesprungen. Er war ein vielversprechender junger Offizier in der Roten Armee gewesen. Es gab keinen Zweifel daran, dass sie ihm vieles verdankte. Allerdings ließ sich auf Schuldgefühlen und damit verbundener Dankbarkeit keine gute Ehe aufbauen, das war ihnen beiden bewusst. Das war ihrer beider persönlicher Hintergrund, die Karte der Vergangenheit, durch die sie sich von Beginn an tagtäglich hindurchnavigieren mussten. Dass Petrow sich jetzt dazu entschieden hatte, ein Loblied auf den KGB zu singen, irritierte Swetlana in vielerlei Hinsicht.

Was geschehen war, war geschehen, und die Vergangenheit ließ sich demzufolge nicht rückgängig machen. Am schlimmsten fand Swetlana die Vorstellung, dass das Buch Konsequenzen hinsichtlich ihrer Auslandsreisen nach sich ziehen könnte. Wollte Petrow wirklich, dass sie auf irgendwelchen Listen mit Menschen landeten, die in enger Verbindung zum Kreml standen? Insiderlisten? Sie hatte gelesen, dass die Sanktionen in Zukunft schärfer ausfallen sollten. Und war es möglich, dass es auch die Kinder traf und sie die USA wieder verlassen mussten? Obwohl sie mitten im Studium steckten? Welche Risiken brachte diese Veröffentlichung mit sich?

Swetlana hatte versucht, mit ihrem Mann über ihre Sorgen zu sprechen, aber er hatte ihr nicht zuhören wollen. Und dann war da noch sein neuer alberner Schnauzbart. Sie wusste, dass er oft über den Agenten Farewell