Die Orakelkönigin - Kendare Blake - E-Book

Die Orakelkönigin E-Book

Kendare Blake

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Beschreibung

Eine Kurzgeschichte über die legendäre Orakelkönigin aus der Welt von "Der schwarze Thron"

Drillingsköniginnen auf der Insel Fennbirn werden mit unterschiedlichen magischen Begabungen geboren. Doch kommt eine Orakelkönigin auf die Welt, die die Gabe des Hellsehens besitzt, wird sie sofort ertränkt. Niemals darf eine Seherin um den Thron Fennbirns kämpfen, da sie den Wettstreit durch ihre Gabe zu ihren Gunsten beeinflussen könnte ... Dies war nicht immer so. Erst die Herrschaft von Königin Elsabet machte diese brutale Maßnahme nötig. Denn sie war die letzte Orakelkönigin, und ihre Herrschaft war gezeichnet von Blut und Gewalt – so sagt es die Legende. Doch ist es die Wahrheit?

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Buch

Drillingsköniginnen auf der Insel Fennbirn werden mit unterschiedlichen magischen Begabungen geboren. Doch kommt eine Orakelkönigin auf die Welt, die die Gabe des Hellsehens besitzt, wird sie sofort ertränkt. Niemals darf eine Seherin um den Thron Fennbirns kämpfen, da sie den Wettstreit durch ihre Gabe zu ihren Gunsten beeinflussen könnte … Dies war nicht immer so. Erst die Herrschaft von Königin Elsabet machte diese brutale Maßnahme nötig. Denn sie war die letzte Orakelkönigin, und ihre Herrschaft war gezeichnet von Blut und Gewalt – so sagt es die Legende. Doch ist es die Wahrheit?

Autorin

Kendare Blake studierte in London Creative Writing, ehe sie ihre Leidenschaft zum Beruf machte. Die »New York Times«-Bestsellerautorin hat bereits mehrere Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht, der große Durchbruch aber gelang ihr mit der düsteren Fantasy-Saga »Der Schwarze Thron«. Kendare Blake wurde in Südkorea geboren und lebt heute in Kent, Washington. Die Tierfreundin liebt Reisen, Schokolade und Computerspiele.

Kendare Blake

Die Orakelkönigin

Short-Story

Aus dem Amerikanischen übersetzt vonCharlotte Lungstrass-Kapfer

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die amerikanische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »The Oracle Queen« bei HarperTeen.
E-Book-Ausgabe 2019 bei Penhaligon, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München Neumarkter Str. 28, 81673 München All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. Umschlaggestaltung und -illustration: Isabelle Hirtz, Inkcraft Redaktion: Waltraut HorbasHerstellung: SaMSatz: dtp im Verlag

Ungesehen, ungehört,traf einzig sie die Schuld,loyal und treu zu sein.

So starben siean jenem Tagdurch Elsabets Wahn allein.

aus dem »Lied von der verrückten Prophetin«

Prolog

Königin Mirabella saß in der warmen Sommersonne auf den Eingangsstufen der Schwarzen Kate und ließ sich von Hebamme Willa die Haare flechten. Ihre Schwestern – Königin Arsinoe, um gerade mal drei Minuten jünger als sie, und Königin Katharine, die eine halbe Stunde später geboren war – spielten zusammen auf dem Vorplatz.

»Wie gut, dass man auf Schwarz keine Grasflecken sieht«, bemerkte Willa, als Katharine über ihre eigenen Füße stolperte und mit fliegenden Röcken auf die Nase fiel.

»Ha, ha«, spottete Arsinoe. Katharines große Augen wurden feucht. Sofort räusperte sich Mirabella laut, woraufhin Arsinoe ihr einen schuldbewussten Blick zuwarf. Seufzend half sie ihrer kleinen Schwester auf die Beine.

»Warum sagst du ihnen nie, dass sie nett zueinander sein sollen?«, wandte sich Mirabella an Willa.

»Ich sage ihnen, dass sie höflich sein sollen.« Sanft teilte die Hebamme das Haar der kleinen Königin auf. »Es ist so lang geworden. Lang und glänzend. Wenn du Königin bist, musst du es offen tragen und nicht unter einem Schleier verstecken.«

Plötzlich musste Mirabella gegen den Impuls ankämpfen, ihren Kopf wegzuziehen. Selbst im Alter von fünf Jahren wusste sie schon, dass höflich nicht dasselbe war wie nett, auch wenn sie den Unterschied nicht genau erklären konnte.

Auf der Wiese jagten Arsinoe und Katharine inzwischen wieder hintereinander her. Sie lachten, bis sie keine Luft mehr bekamen, und als sie auch nicht mehr lachen konnten, stimmte Katharine das Lied an, das Willa ihnen am Morgen beigebracht hatte.

»Ungesehen, ungehört, traf einzig sie die Schuld, loyal und treu zu sein!«

»So starben sie an jenem Tag durch Elsabets Wahn allein!« Arsinoe vervollständigte den Reim und hob den Stock in ihrer Hand an, als hielte sie ein Schwert. Katharine rannte kreischend davon.

»Warum hast du uns dieses Lied beigebracht?«, fragte Mirabella weiter. Es handelte von einer Königin, der letzten Orakelkönigin, die es je gegeben hatte, aber Mirabella mochte es trotzdem nicht.

»Jeder auf der Insel kennt die Geschichte von der verrückten Prophetin. Also sollte eine Königin sie ebenfalls kennen.«

»Es ist doch nur ein Lied.«

»Lieder erhalten die Geschichte lebendig, damit die Menschen sich daran erinnern.« Als Willa die Stimme senkte, wusste Mirabella, dass das Folgende nur für ihre Ohren bestimmt war. »Man sagt, dass sich die Sehergabe von Königin Elsabet gegen sie gewandt habe. Dass sie davon in den Wahnsinn getrieben wurde, bis sie schließlich so paranoid war, dass sie die Hinrichtung dreier kompletter Familien angeordnet hat.«

»Was bedeutet ›paranoid‹?«

»Dass man sich vor etwas fürchtet oder von etwas überzeugt ist, das gar nicht existiert.«

»Und waren die Menschen absolut sicher, dass sie sich irrte?«

»Ja, sie waren sicher. Aufgrund dieses Verbrechens wurde Königin Elsabet während der letzten zwanzig Jahre ihrer Herrschaft im Westturm des Volroy eingesperrt. Und von da an gab es keine Königinnen mehr, die über die Sehergabe verfügten.«

Mirabella schluckte schwer. Sie wusste, warum das so war. Weil man jeden Drilling, der mit dieser Gabe geboren wurde, sofort ertränkte. »Nur ihretwegen?«

Willa lachte leise, als sie Mirabellas ernste Miene sah. »Mach dir doch keine Gedanken darüber! Das ist lang her.«

»Wie lang?«

»Sehr, sehr lang. Es geschah, noch bevor die Nebel kamen, um uns zu beschützen. Königin Elsabet herrschte, als Fennbirn noch der Außenwelt angehörte. Damals legten in unseren Häfen jede Menge Schiffe aus fremden Ländern an, zum Beispiel aus dem edlen Centra, dem reichen Valostra und dem kriegerischen Salkades.«

Centra, Valostra, Salkades. Diese Namen hatte Mirabella in Willas Lehrstunden bereits gehört, wenn auch nur selten. Inzwischen waren diese Länder in den Nebeln verschwunden, wie auch der Rest des Festlandes. Sie existierten quasi nicht mehr.

»Zwanzig Jahre eingesperrt, das ist ganz schön lang«, murmelte Mirabella, während Willa ihr einen Kuss auf den Scheitel drückte. Ein kurzer Zug an ihren Haaren, dann wurde ein fertiger Zopf über ihre Schulter geschoben.

»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Und jetzt geh spielen.«

Gehorsam stand Mirabella auf. Doch für den Rest des Nachmittages und auch in den kommenden Tagen dachte sie noch oft an Königin Elsabet und das Lied von der verrückten Prophetin. Und sie fragte sich, ob das denn auch alles so stimmte.

Fünfhundert Jahre zuvor

Bei Hofe

Bereits am frühen Vormittag herrschte am Hof der Königin hektische Aktivität. Ausländische Gesandte und Vertreter der angesehensten Familien der Hauptstadt hatten sich versammelt, sobald die Tore geöffnet worden waren. In ihren besten Mänteln und Hüten standen sie tratschend beisammen und tauschten sich über die aktuellen Neuigkeiten und die saftigsten Klatschgeschichten aus, während sie auf die Königin warteten. Aber die Königin schien spurlos verschwunden zu sein.

»Was meint ihr, wie lange wird es heute dauern?«, fragte Sonia Beaulin, als sie am langen Tisch des Schwarzen Rates Platz nahm. Sie ließ einen Dolch in ihrer Hand kreisen und trieb ihn dann mit ihrer Kriegergabe ins Holz.

»Nicht annähernd so lang wie es dauern wird, einen neuen Tisch zu schreinern.« Stirnrunzelnd musterte die Elementwandlerin Catherine Howe die tiefen Kerben. »Übe dich in Geduld. Inzwischen kennst du ihren Regierungsstil, sie ist sehr entschlussfreudig. Das heißt, sie braucht weniger Zeit als andere Königinnen. Außerdem ist sie noch jung. Sie gewöhnt sich noch an ihr Amt.«

»Dazu hatte sie inzwischen drei Jahre Zeit. Und der Schwarze Rat ist ebenfalls jung. Haben wir uns vielleicht noch nicht an unsere Ämter gewöhnt?«

»Bei dir war das von Anfang an der Fall.« Catherine schüttelte ihre hübschen, braunen Locken zurecht.

In der Mitte der Tafel, zwischen der Kriegerin Sonia und dem Seher Gilbert Lermont – dem Ziehbruder der Königin –, saß die Giftmischerin Francesca Arron und hörte aufmerksam zu. Die Arrons waren ohne Ausnahme hervorragende Zuhörer. Und sie wartete. Inzwischen wartete Francesca schon seit drei Jahren, seit sie in den Rat berufen worden war, darauf, dass man sie zu seiner Vorsitzenden erklärte.

»Die Königin kommt! Macht Platz!«

Francesca erhob sich zusammen mit den anderen Ratsmitgliedern, als Königin Elsabet mit ihrem Gefolge die Ratskammer betrat. Die von der frischen Luft geröteten Wangen und ausgelassenen Stimmen der Gruppe hellten den Saal sofort noch weiter auf, obwohl draußen bereits warme Sonnenstrahlen über die Säulen des Innenhofes glitten.

»Bitte entschuldigt, dass ich euch warten ließ«, begrüßte Königin Elsabet den Rat. Sie trug Reitkleidung, und der weite, schwarze Rock war am Saum mit Schlamm verkrustet. Nachdem sie ihre Reithandschuhe abgestreift und ihrer Zofe übergeben hatte, flüsterte sie dem Mädchen noch etwas ins Ohr, woraufhin dieses sofort verschwand. Sicherlich würde sie mit Süßigkeiten, Leckereien und gutem Wein zurückkehren. Wie schlau von der Königin, sie mit Köstlichkeiten zu bezirzen. So würde ihre Unpünktlichkeit bald vergessen sein.

Die langen Beine der Königin trugen sie so schnell durch den Raum, dass manch einer in ihrem Gefolge in Laufschritt verfallen musste, um mithalten zu können. Eigentlich alle außer der Kommandantin der Königlichen Garde. Die kriegsbegabte Rosamund Antere, aus der Kriegerfamilie Antere, überragte selbst die Königin noch um Haupteslänge.

»Du warst auf der Jagd«, stellte Francesca fest, als die Königin sich setzte.

»Jawohl.« Ihr Gesicht glühte noch, und die dunklen Augen funkelten. Dadurch wirkte sie beinahe schön – aber nur beinahe.

Sonia Beaulin räusperte sich. »Deine Dienerschaft sagte, du wärst bereits im Morgengrauen aufgebrochen.«

»Gibt es eine bessere Zeit, um Birkhühner zu jagen?«, fragte Elsabet lächelnd. »Wenn mein Rat seine Befragung zu meiner Freizeitunterhaltung dann beendet hat …« Sie wandte sich demonstrativ ihren Untertanen zu, und die Ratsmitglieder nahmen wieder Platz, Francesca als Letzte.

Gilbert Lermont erhob sich und verlas die Namen derer, die als Erste gekommen waren, und die Aufgerufenen traten vor. Die Königin hörte aufmerksam zu, als sie ihre Anliegen vortrugen: Berichte über Handelsabschlüsse, Ernteerfolge oder die Geburt einer Tochter in einer der ranghohen Familien. Catherine Howe hatte recht, die Königin war wirklich entschlussfreudig. Sie machte nur wenige, dafür aber aufrichtige Kommentare. Außerdem war sie intelligent, verschwendete aber kaum Zeit mit Schmeichelei – weder in Bezug auf ihre eigene Person noch bei ihren Gesprächspartnern.

Für Francesca war das kein schlechter Herrschaftsstil, aber es würde nicht dazu beitragen, sie beim Volk sonderlich beliebt zu machen. Und für jemanden, der so entschlussfreudig war, brauchte Elsabet entschieden zu lange, um Francesca den wohlverdienten Ratsvorsitz zu übertragen.

Sie betrachtete die Königin, die gerade ihr kehliges Lachen ausstieß – erstaunlich tief für eine so junge Frau. Eigentlich war sie mit ihren knapp zwanzig Jahren fast noch ein Mädchen. Manche behaupteten, sie sei attraktiv, aber das war reine Nettigkeit. Mit ihrer Adlernase und ihrem breiten Mund war Königin Elsabet wahrlich keine Schönheit. Zwar war dies bei Königinnen nicht zwingend notwendig, aber eine schöne Königin schloss man nun einmal leichter ins Herz.

Als Elsabets Lachen sich in einen Hustenanfall verwandelte und sie sich mit einer Entschuldigung zurückzog, musste Francesca sich ein Lächeln verkneifen. Sie konnte noch ein Weilchen auf den Ratsvorsitz warten. Aber nicht zu lange.

In den Königlichen Gärten

Später am Tag saß Elsabet, die Orakelkönigin, in dem rechteckigen, grün gehaltenen Garten an der Südwestseite des Volroy. Sie hatte es sich in einem Polstersessel an einem grauen Steintisch bequem gemacht und spielte mit ihren engsten Vertrauten Karten. Ein schwarzer Baldachin spendete angenehmen Schatten.

»Legst du dann langsam mal ab, Gilbert? Oder willst du so lange warten, bis wir vergessen haben, welches Spiel wir spielen?«

Gilberts schmale Lippen wurden noch schmaler, während er angestrengt die Karten in seiner Hand musterte. Dann legte er eine vor sich auf den Tisch, die Elsabet sich sofort grinsend schnappte.

»Genau das, was ich gebraucht habe.«

»Verdammt.« Stirnrunzelnd fuhr er sich durch die dunkelblonden Haare. »Ich bin einfach aus der Übung. Irgendwie will kaum jemand mit einem Seher Karten spielen. Als ob unsere Gabe so funktionieren würde!«

»Allerdings. Um einen so erbärmlichen Spieler wie dich zu schlagen, braucht man keine Sehergabe.« Mit einem fröhlichen Lachen legte Elsabet ihr Siegerblatt auf dem Tisch ab.

»Verdammt.«

Lächelnd sah sie zu, wie er die Karten einsammelte und anfing zu mischen. Gilbert Lermont war ihr Ziehbruder. Sie waren gemeinsam in der weißen Stadt Sonnenmulde aufgewachsen, und die wenigen Gelegenheiten, bei denen er sie im Kartenspiel geschlagen hatte, konnte sie an einer Hand abzählen. Doch er konnte es gerne auf mangelnde Übung schieben. Schließlich wusste sie, wie er sich fühlte – allein in einer neuen Stadt, in der es kaum Propheten gab.

»In letzter Zeit habe ich oft an zu Hause gedacht«, sagte sie schließlich.

Gilberts dunkle Augenbrauen zuckten kurz, als er ihr einen verstohlenen Blick zuwarf. Auch Bess, ihre Lieblingszofe, und Rosamund Antere, die als Kommandantin der Königlichen Garde wie immer in Elsabets Nähe war, sahen die Königin prüfend an.

»Indridskamm ist jetzt unser Zuhause, Elsie.«

Elsabet runzelte irritiert die Stirn. »Kann man nicht an zwei Orten zu Hause sein? Ich meine ja nur … Ich war gerne dort, bevor das alles hier losging.« Mit einer knappen Geste zeigte sie auf die Silberkrone mit den milchigen Steinen, die auf ihrem Kopf festgewachsen zu sein schien. »Es fehlt mir, mich unter Menschen zu bewegen, die wissen, wie es ist, die Sehergabe zu haben. Die wissen, wie sie funktioniert. Hier sehen mich die Leute an, als wäre ich eine fremdartige Kuriosität. Und sie erwarten, dass jeder Tag bei Hofe voller Wunder ist. Als müsste ich ständig große Prophezeiungen ausspucken: zwei pro Nachmittag, und eine vor dem Frühstück.«

Sie griff nach ihren neuen Karten, legte sie aber sofort wieder weg, als Bess ihr einen Becher mit Gilberts Tonikum hinschob.

»Ich will keines mehr. Es schmeckt bitter.«

»Bitte«, sagte Bess nachdrücklich. »Deine Krankheit macht den Menschen Sorgen.«

»Es waren nur Kopfschmerzen. Und ein wenig Staub in der Lunge, von der Jagd.« Doch Elsabet trank das Tonikum aus, schon weil sie Bess lächeln sehen wollte. »Außerdem waren sie nicht besorgt, höchstens genervt.«

»Vielleicht solltest du etwas weniger häufig zu spät kommen«, schlug Gilbert vor, während er seine Karten sortierte.

»Das würde nichts ändern. Mein Schwarzer Rat kann mich nicht leiden, weil ich die Dinge nicht so handhabe, wie sie es gerne hätten. Und warst nicht du es, Gilbert, der mir gesagt hat, ich solle allem meinen persönlichen Stempel aufdrücken, sobald ich im Volroy ankomme? Sobald ich die Krone trage? Hast nicht du mich davor gewarnt, dass junge Königinnen oft nicht ernst genommen werden? Und dass es Jahre dauern kann, bis ich wahrhaftig die Herrscherin dieser Insel bin?«

»Und habe nicht auch ich dir gesagt, dass eine Königin immer nur so gut ist wie ihr Beraterstab?«

»Stimmt.« Elsabet verzog den Mund. »Aber du hast dich geirrt. Das mag auf andere Königinnen zutreffen, aber eine Orakelkönigin ist immer nur so gut wie ihre Gabe.«

Rosamund Antere, die – stets wachsam – am Rand des Baldachins stand, legte den Kopf mit den blutroten Haaren schief.

»Was ist denn, Rosamund?«

»Dein Prinzgemahl ist im Anmarsch.«

Elsabets Puls beschleunigte sich, obwohl sie sich innerlich dafür verfluchte. Schließlich war sie eine Königin, nicht irgendein Bauernmädchen, das sich von seinem Herzen vorschreiben lassen konnte, was zu tun war. Aber bei ihrem Prinzgemahl William fiel es ihr immer schwer, das nicht zu vergessen. Jedes Mal, wenn er den Raum betrat, hielt sie den Atem an. Bei jedem seiner Blicke wollte sie ihr reizloses Gesicht verbergen.

William stammte aus Centra, das in nordöstlicher Richtung auf dem Festland angesiedelt war. Es war bekannt für seine militärische Stärke und ertragreichen Böden. Ein Prinzgemahl aus Centra war politisch gesehen immer eine kluge Wahl. In Wahrheit hätte Elsabet ihn aber auch dann ausgesucht, wenn er ein Niemand gewesen wäre.

Andere Freier waren ebenfalls attraktiv gewesen, eigentlich sogar alle. Manche geradezu umwerfend. Aber keiner von ihnen hatte Elsabet so angesehen, wie William es tat. In ihrem ganzen Leben hatte noch niemand sie so angesehen. Als wäre sie schön. Begehrenswert. Und ein dermaßen attraktiver Mann mit leuchtend blauen Augen und nachtschwarzem Haar hatte ihr ganz bestimmt noch nie solche Blicke zugeworfen. Während er um sie warb, hatte er immer gesagt, dass sie beide mit ihren schwarzen Haaren auf dem Thron so gut zusammenpassen würden wie ein edles Gespann.

Nun trat er unter den Baldachin, wo einer der Dienstboten ihm schnell einen Sessel brachte, auch wenn das wahrscheinlich pure Zeitverschwendung war. William blieb nie lange an einem Ort. Er war ein begeisterter Sportler. Nur auf sein Drängen hin waren sie an diesem Morgen so früh aufgestanden, um auf Birkhuhnjagd zu gehen.

Er beugte sich vor und hauchte der Königin einen Kuss auf die Wange, was diese mit einem irritierten Stirnrunzeln quittierte. Daraufhin ließ er noch einen Kuss auf den Mund folgen. »Die sind für dich.« Er legte einen Strauß Wildblumen auf den Tisch, prächtige rosafarbene, weiße und gelbe Blüten, die Stängel ordentlich mit dem Dolch zurechtgeschnitten und mit einem gestreiften Band versehen.

»Ich habe sie am Flussufer gepflückt, als ich schwimmen war«, erklärte er, als Elsabet an ihnen roch. Tatsächlich, sein Kragen war sichtlich feucht.

Nachdenklich zupfte Elsabet an der bunten Schleife. Es war ein teures Schmuckband, wie man sie neuerdings trug. Sie hatte solche Bänder schon öfter an den Töchtern der reichen Familien gesehen.

»Wo hast du die Schleife her?«, fragte sie, woraufhin William angestrengt schluckte. »Warst du etwa auf dem Markt?«

»Ja! Ich konnte dir ja schlecht einen losen Strauß schenken.«

Elsabet rang sich ein Lächeln ab und zeigte auf die Karten. »Möchtest du mit einsteigen?«

»Nein.« William kaute ungeduldig auf seiner Unterlippe herum. »Mir ist jetzt mehr nach Musik. Ich denke, ich werde uns ein paar Musikanten besorgen.« Ohne sie noch einmal anzusehen, wandte er sich ab, und Elsabet war schon halb aufgestanden, um ihm zu folgen, als sie bemerkte, dass er gar nicht wirklich fortging. Stattdessen blieb er im Garten und unterhielt sich mit einigen kleinen Grüppchen, die in der Nähe der Königin ihre eigenen Gesprächsrunden aufgemacht hatten. Elsabet bekam einen Kloß im Hals, als er eine hübsche Elementwandlerin mit blondem Dutt sanft am Kinn berührte.

»Du weißt, dass er schon immer gern geflirtet hat«, sagte Gilbert leise. »Das war eine der Eigenschaften, die du besonders anziehend fandest, als er noch nur ein Freier war.«

Mühsam riss Elsabet ihren Blick von William los und zwang sich, eine Karte auszuspielen. »Erstreckt sich deine Sehergabe jetzt auch schon auf die Kunst, Gedanken zu lesen, Gilbert?«

»Nein, meine Königin.«

»Dachte ich mir schon.« Gilberts Gabe bezog sich auf Visionen, die aus Rauch entstanden, und auf die unglaubliche Fähigkeit, stets zu finden, was er suchte, auch wenn das einen tranceähnlichen Zustand voraussetzte, in dem er sich merkwürdig vor und zurück wiegte. Doch seine Sehergabe befähigte ihn nicht dazu, die Gedanken anderer zu hören oder deren Gefühle wahrzunehmen. Sie selbst konnte das auch nicht, wofür sie wirklich dankbar war.

In dem krampfhaften Versuch, William zu ignorieren, lehnte sich Elsabet in ihrem Sessel zurück und musterte den prachtvollen Palast. Oder besser gesagt die Pracht, die noch kommen würde. Inzwischen wurde bereits seit hundert Jahren an der mächtigen Festung gebaut, und noch immer waren die höchsten Türme des Volroy nicht vollendet. Hundert Jahre lang war schwarzer Stein quer über die Insel geschafft worden, sowohl über Land als auch auf dem Fluss und über den Seeweg bis zum Hafen von Bardor. In hundert Jahren hatten unzählige Baumeister, Handwerker und Arbeiter hier geschuftet. Aber unter Elsabets Herrschaft würde er vollendet werden. Das wusste sie so genau, weil sie es gesehen hatte – in derselben Vision, die ihr gezeigt hatte, dass sie ihre Schwestern besiegen und zur Herrscherin gekrönt werden würde. In dieser Vision hatte sie sich selbst gesehen, wie sie mit der Krone auf dem Haupt durch die fertiggestellten Räume des Westturms wanderte.

»Bald werden dort oben schwarze Türmchen stehen«, sagte sie, und Bess folgte ihrem in die Höhe gerichteten Blick. »Wusstest du, Bess, dass die Kriegerkönigin Aethiel mit dem Bau des Volroy begonnen hat?«

»Ich weiß das«, verkündete Gilbert, bevor Bess auch nur zu einer Antwort ansetzen konnte. »Aethiel hat ihn begonnen, dann hat die Elementwandlerin Elo, die Feuerspuckerin, ihn fortgesetzt, genau wie unsere letzte Königin, die Kriegerin Emmeline.«

»Natürlich weißt du das.« Elsabet versetzte ihm einen liebevollen Stoß, damit er nicht mehr so selbstgefällig dreinblickte. »Du bist ja auch Historiker. Aber du solltest dafür sorgen, dass das einfache Volk es auch weiß, ja? Ich denke, sie werden langsam etwas ungehalten wegen der hohen Kosten.«

»Deine Herrschaft wird sicherlich weniger kostspielig werden als die der Kriegerköniginnen«, wandte Gilbert ein, »mit ihren ständigen Schlachten und Kriegszügen.«

Diese Feststellung entlockte Rosamund eine prompte Erwiderung, sehr zur Überraschung aller, da sie nicht davon ausgegangen waren, dass sie sich überhaupt die Mühe machte zuzuhören. »Die Menschen verstehen den Krieg. Sie verstehen, dass er kostspielig ist. Und sie verstehen seine Herrlichkeit.« Achselzuckend fügte sie hinzu: »Und die Beute ist auch nicht schlecht.«

»Dann wäre es dir also lieber, wenn ich eine Kriegerkönigin wäre, Rosamund?«

Gelassen wandte Rosamund sich der Königin zu und musterte sie mit ihren grünen Augen. Lächelnd antwortete sie: »Für mich solltest du kein bisschen anders sein als du bist.«