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Bachelorarbeit aus dem Jahr 2011 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,1, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Germanistisches Seminar), Sprache: Deutsch, Abstract: Die "Orestie" von Aischylos ist mit über 2.500 Jahren die älteste erhaltene Dramentrilogie aus der griechischen Antike, die eine so große Bekanntheit erlangte, dass sie noch immer auf dem Theater gespielt wird. Dennoch ist nicht nur die starke Präsenz in den Spielplänen beeindruckend. Auch die zunehmende Rezeption in den neueren Dramen ist überraschend und faszinierend zugleich. Besonders auffällig ist dabei die Häufigkeit der Rezeption in den letzten beiden Jahren, wobei das Jahr 2010 als erster Höhepunkt dieses Prozesses gelten kann. Gleich drei Theaterstücke beziehen sich auf die Tragödie von Aischylos, sei es thematisch, motivisch oder formal. Die "Orestie" bleibt damit weiterhin im kulturellen Gedächtnis der Gesellschaft verhaftet, sofern die Instanz »Theater« auch in Zukunft Gültigkeit hat. Mein Anliegen in der vorliegenden Arbeit ist es, die Zusammenhänge aktueller gesellschaftlicher und politischer Themen mit der antiken "Orestie" aufzudecken sowie zu ergründen, worin das Interesse der Gegenwartsdramatik in Bezug auf die Tragödie von Aischylos besteht. Um zu zeigen, dass die "Orestie"-Rezeption nach wie vor in der Gegenwartsdramatik präsent ist, möchte ich vier Theaterstücke analysieren, die explizit aber auch implizit auf die "Orestie" verweisen. Zum einen sind dies "Echtzeit" (2010) von Albert Mestres und "Orestie: Die Brut" (2009) von Henry Mason, zum anderen "Ein Sturz" (2010) von Elfriede Jelinek und "Kassandra oder die Welt als Ende der Vorstellung" (2010) von Kevin Rittberger.
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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Germanistisches Seminar
Sommersemester 2011
Teilbereich Neuere Deutsche Literaturwissenschaft
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Einleitung
DieOrestievon Aischylos ist mit über 2.500 Jahren die älteste erhaltene Dramentrilogie aus der griechischen Antike, die eine so große Bekanntheit erlangte, dass sie noch immer auf dem Theater gespielt wird. Dennoch ist nicht nur die starke Präsenz in den Spielplänen beeindruckend. Auch die zunehmende Rezeption in den neueren Dramen ist überraschend und faszinierend zugleich. Besonders auffällig ist dabei die Häufigkeit der Rezeption in den letzten beiden Jahren, wobei das Jahr 2010 als erster Höhepunkt dieses Prozesses gelten kann. Gleich drei Theaterstücke beziehen sich auf die Tragödie von Aischylos, sei es thematisch, motivisch oder formal. DieOrestiebleibt damit weiterhin im kulturellen Gedächtnis der Gesellschaft verhaftet, sofern die Instanz »Theater« auch in Zukunft Gültigkeit hat.1
Mein Anliegen in der vorliegenden Arbeit ist es, die Zusammenhänge aktueller gesellschaftlicher und politischer Themen mit der antikenOrestieaufzudecken sowie zu ergründen, worin das Interesse der Gegenwartsdramatik in Bezug auf die Tragödie von Aischylos besteht.
Um zu zeigen, dass dieOrestie-Rezeptionnach wie vor in der Gegenwartsdramatik präsent ist, möchte ich vier Theaterstücke analysieren, die explizit aber auch implizit auf dieOrestieverweisen. Zum einen sind diesEchtzeit(2010) von Albert Mestres undOrestie: Die Brut(2009) von Henry Mason, zum anderenEin Sturz(2010) von Elfriede Jelinek undKassandra oder die Welt als Ende der Vorstellung(2010) von Kevin Rittberger. Die ersten beiden Dramen behandeln offensichtlich sowohl die Figurenkonstellation als auch die familiäre Problematik der antiken Tragödie. So werden ähnliche Namen und Eigenschaften der Personen als auch die familiären Gewalttaten übernommen.
Dagegen ist es-abgesehen vom Dramentitel-bei den beiden letztgenannten Stücken nicht sofort erkenntlich, dass sie sich stofflich oder thematisch auf dieOrestiebeziehen. Erst in der eingehenden Beschäftigung mit den Inhalten und Motiven bestätigt sich rückwirkend die Vermutung.
1In einem kurzen Essay habe ich meine These derOrestie-Rezeptionin der Gegenwartsdramatik bereits
darlegen können. Siehe dazu Hilbig, Nicole:Die „Orestie“ von Aischylos -ein Nährboden der
Gegenwartsdramatik. Ein Vergleich mit „Echtzeit“ von Albert Mestres und „Ein Sturz“ von Elfriede
Jelinek,ein Essay, [6 Seiten]. Zu finden unter folgendem Link:http://www.grin.com/e-book/168963/die-
orestie-von-aischylos-ein-naehrboden-der-gegenwartsdramatik.
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Im Folgenden werde ich jedes einzelne Theaterstück isoliert betrachten und unter zwei Gesichtspunkten untersuchen. Einerseits interessiert mich der formale, sprachliche und inhaltliche Aspekt derOrestie-Rezeption;welche Elemente aufgegriffen und verarbeitet wurden. Andererseits richtet sich mein Blick besonders auf die aktuellen tagespolitischen Themen in den jeweiligen Werken insofern, welche neue Lesart und heutige Präsenz der antike Stoff erhält.
Zuvor möchte ich allerdings noch einen kurzen Einblick in die Trilogie des Aischylos geben, um die stoffliche und thematische Problematik der beteiligten Figuren in Erinnerung zu rufen, welche als Grundlage für die nachstehenden Ausführungen vorauszusetzen ist.
Die TrilogieOresteíavon Aischylos2ist in drei dramaturgisch abgeschlossene Einzelwerke geteilt, welche aneinandergefügt inhaltlich allerdings ein Gesamtwerk ergeben. In diesen drei TeilenAgamemnon, Die ChoephorenundDie Eumenidenwird die Tragödie der Familie um den mykenischen König Agamemnon nach dem Sieg im Trojanischen Krieg als Folge des Atriden-Fluchs erzählt.Agamemnon:Agamemnon, der das Leben seiner Tochter Iphigenie gegen die Hilfe der Götter im Trojanischen Krieg tauscht und opfert, wird nach der Rückkehr zusammen mit seiner Geliebten Kassandra von seiner Ehefrau Klytaimestra getötet.Choephoren:Klytaimestras Sohn Orestes, nachdem er seine Schwester Elektra wiedergefunden hat, rächt den Vatermord und tötet schließlich seine Mutter sowie deren Geliebten Aigisthos.
Eumeniden:Als Orestes schließlich von den racheliebenden Erinnyen verfolgt wird und seinen inneren Frieden wieder erlangen möchte, wird er durch den Einsatz des neu entstandenen Areopags mit Athenes Hilfe freigesprochen, womit der Atriden-Fluch aufgelöst ist.
2Die TrilogieOrestievon Aischylos wurde uraufgeführt im Jahre 458 v. Chr. zu denGroßen Dionysien
in Athen. Nähere Informationen zur Aufführungstradition derDionysienund den Dichtern siehe
Nesselrath, Heinz-Günther:Die Orestie von Aischylos-ein erster Höhepunkt des europäischen Theaters.
In: Die Tragödie. Eine Leitgattung der europäischen Literatur, hrsg. von Werner Frick in Zusammenarbeit
mit Gesa von Essen und Fabian Lampart, Göttingen: Wallstein, 2003. S. 9-28.
Ebenfalls erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist der Aufsatz von Wickevoort Crommelin,
Bernhard van:Die Rolle des Theaters im politischen Leben Athens.In: Die griechische Tragödie und ihre
Aktualisierung in der Moderne, zweites Bruno Snell-Symposion der Universität Hamburg am Europa-
Kolleg, hrsg. von Gerhard Lohse und Solveig Malatrait, München; Leipzig: K. G. Saur, 2006. S. 13-44.
(Beiträge zur Altertumskunde, hrsg. von Michael Erler u.a., Bd. 224)
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Exemplarisch für eine expliziteOrestie-Rezeptionsteht das TheaterstückEchtzeit3(2010) vom katalanischen Autor und Regisseur Albert Mestres. In diesem Drama verarbeitet er das Thema der Gewalt in der Familie, sei sie physischer oder psychischer Natur. Die Gewalt ist stark in den Vordergrund gerückt und unterliegt dem Umgang innerhalb einer vom Leben sehr enttäuschten und unglücklichen Familie. Der Inhalt ist schnell erzählt. Nachdem der Ehemann Nonet nach jahrelanger Abwesenheit als Soldat im Krieg ins wohlbehütete Zuhause zurückkehrt, hat seine Frau Clita bereits einen Nebenbuhler. Als sie und ihr Geliebter Gisto die Situation als Patchwork-Familie nicht mehr ertragen können, töten sie Nonet. Die Kinder allerdings, welche den Vater abgöttisch lieben und die Ignoranz der Mutter und die körperliche Gewalt des Stiefvaters nicht mehr dulden wollen, töten erst Gisto und schließlich auch die Mutter.
Das Thema der häuslichen Gewalt ist bei Mestres in eine Handlung eingebettet, die derOrestievon Aischylos zugrunde liegt. Die Trilogie der Stücke in derOrestiewird inEchtzeitin drei Akte aufgelöst, wobei rückwirkend nur mit den beiden ersten Teilen, demAgamemnonund denChoephoren,gearbeitet wurde. Folgende Punkte sind im unmittelbaren Vergleich auffällig: die Gesänge, die Namensähnlichkeit und die Handlung.
1.) Die Gesänge
Jeder Akt beginnt mit einem zwei-strophigen Gesang, deren Metrik und sprachliche Gestaltung dem derOrestiesehr ähnlich formuliert sind: sie lauten derGesang der Elektra, Gesang des Agamemnon, Gesang der KlytaimnestraundGesang des Orest,welche von einem explizit als„Schauspieler“ausgewiesenen Redner im Stück verkörpert werden. Dieser hat die Aufgabe, dem Zuschauer den Stoff als Rahmenprogramm aufzuzeigen.
DerGesang der Elektrabeispielsweise vermittelt inhaltlich den Tod des Vaters, obwohl dessen Ermordung in den ersten beiden Akten nicht dargestellt wird. Erst im dritten Akt
3Stückabdruck und einleitende Worte sind zu finden inTheater der Zeit. Die Zeitschrift für Theater und
Politik,Jahrgang 65, Heft Nr. 12, Dezember 2010. S. 46 ff.
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wird der Gewaltakt von der Mutter und deren Geliebten ausgeführt. Auch in derOrestievon Aischylos betrauert Elektra bereits ihren toten Vater an der Grabesstätte, allerdings beginnt dieser Auftritt erstmals in denChoephoren.Hier hat Mestres also eine Veränderung vorgenommen. Er setzt einen Auszug aus der aischyleischen Tragödie über die Trauer des Kindes-oder Kinder, da zu Beginn derChoephorenauch Orestes selbst als Trauernder auftritt-in den Zusammenhang mit der Trauer der Kinder Uri und Eli inEchtzeitüber den Tod ihres Vaters. Zwar ist dieser Vorgang im Verlauf des Stückes an verschiedenen Stellen wahrzunehmen, aber die Erwähnung als Vorgriff auf den ersten Akt erhöht die Spannung und Erwartung des Lesers oder Zuschauers enorm, sodass der szenische Einsatz der Trauer bereits vorab mit Neugierde besetzt ist. Der inhaltliche Vorgriff ist auch sprachlich interessant. Vergleicht man denGesang der Elektramit dem ersten Auftritt der Elektra in denChoephoren,fällt auf, wie nah sich Albert Mestres fürden „Vorspann“an der aischyleischen Vorlage orientiert hat.4Gesang der ElektraAuftritt Elektra in derOrestie
Wie red ich schicklich, Wie red ich schicklich, Flehe wie den Vater an? flehe wie den Vater an? (V. 88) Von wem gesandt, Schütt’, weinend, ich Wenn ich die Feuchte schütte Die Feucht´aufs liebe Grab. auf des Vaters Grab. (V. 92) Wie lang noch, Vater sag? Schnitter, lass die Sichel schallenSchneid nah an der Erd’Denn das Korn ist teuerSchneid nah an der Erd’