Die Partnerschule - Rudolf Sanders - E-Book

Die Partnerschule E-Book

Rudolf Sanders

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Beschreibung

Partnerschule statt Scheidung Jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden – mit oft negativen Folgen für die Partner selbst wie für die Kinder. Eine einvernehmliche Trennung ist ein hehres Ziel, das aber nur selten erreicht wird. Die meisten Paare, die wegen Beziehungskonflikten eine Beratung aufsuchen, wollen ihre Beziehung retten. Diesem Anliegen trägt Rudolf Sanders mit seiner Partnerschule Rechnung. In einem geschützten Rahmen können die Paare ganz neue Erfahrungen machen und bisher verborgene Ressourcen entdecken. Das Lernziel: Beziehungskompetenz. Die ersten Gruppenseminare nach diesem Ansatz fanden 1990 statt. Stets wurden die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse integriert, und inzwischen wird die Partnerschule – nach mehr als 170 Gruppenseminaren – auch für einzelne Paare angeboten. In diesem Buch werden … -die theoretischen Grundlagen der „Partnerschule“ beschrieben, - Anwendungsgebiete der Methode benannt, - zahlreiche Übungen für jedes einzelne Modul angeboten.

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Rudolf SandersDie PartnerschulePaartherapie im Integrativen Verfahren

Über dieses Buch

Partnerschule statt Scheidung 

Jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden – mit oft negativen Folgen für alle Beteiligten, Erwachsene wie Kinder. Eine einvernehmliche Trennung ist ein hehres Ziel, das aber nur selten erreicht wird. 

Die meisten Paare, die wegen Beziehungskonflikten eine Beratung aufsuchen, wollen ihre Beziehung retten. Diesem Anliegen trägt Rudolf Sanders mit seiner „Partnerschule“ Rechnung. In einem geschützten Rahmen können die Paare neue Erfahrungen machen und bisher verborgene Ressourcen entdecken. Das Lernziel: Beziehungskompetenz. Die ersten Gruppenseminare nach diesem Ansatz fanden 1990 statt. Stets wurden die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse integriert, und inzwischen wird die Partnerschule – nach mehr als 170 Gruppenseminaren – auch für einzelne Paare angeboten. 

In diesem Buch werden … 

die theoretischen Grundlagen der „Partnerschule“ beschrieben, Anwendungsgebiete der Methode benannt, zahlreiche Übungen für jedes einzelne Modul angeboten.

Dr. Rudolf Sanders, Ehe-, Familien- und Lebensberater, Lehr- und Forschungstätigkeit im Bereich der Ehe- und Paarberatung, Begründer des Verfahrens Partnerschule, Mitglied im Vorstand der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung (DAJEB). Herausgeber der Online-Fachzeitschrift Beratung Aktuell.

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2022

Coverfoto: © Lya_Cattel – iStock

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2022

ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0269-1

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0270-7 (EPUB), 978-3-7495-0272-1 (PDF), 978-3-7495-0271-4 (EPUB für Kindle).

Vorwort von Katharina Klees

Dieses Buch ist die Fortführung und zugleich die Konkretisierung der Eheberatung und Paartherapie der Partnerschule, hier für die Begleitung einzelner Paare. Das zentrale Anliegen der Partnerschule ist die Verbesserung der konkreten Lebenssituation von Paaren, damit Liebende im Augenblick des Chaos wieder zueinander finden.

Dr. Rudolf Sanders ist der Begründer der Partnerschule (1990), Integrativer Paartherapeut und seit vielen Jahren aktiv tätig im Bereich der Lehre und Forschung für die Eheberatung und Paartherapie. Er ist außerdem im Vorstand der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung e.V. (DAJEB). Seit etlichen Jahren führt er Seminare für Paare durch, ist Herausgeber von Beratung Aktuell – Online-Zeitschrift für Theorie und Praxis der Beratung und forscht zur Wirksamkeit und Nachhaltigkeit von Paartherapie.

Die Partnerschule, ein umfassender, komplexer und viel beachteter Ansatz zur Begleitung von Paaren in Gruppen und Seminaren, soll nun durch die hier vorliegende ausführliche Beschreibung auch für das Einzelsetting in der individuellen Paartherapie und Eheberatung anwendbar und nachvollziehbar werden.

Ich bin seit Jahren Fan der Partnerschule und habe nun die Ehre, für dieses neue Buch von Rudolf Sanders ein Vorwort zu schreiben. Es ist mir kaum möglich, einleitende Worte für ein so umfassendes Lebenswerk zu verfassen, ohne auf den Einfluss hinzuweisen, den der Ansatz der Partnerschule auf mein eigenes Werden und Wirken als Paartherapeutin und Wissenschaftlerin genommen hat. Das besonders einprägsame Motto der Partnerschule „Lieber mit dem alten Partner etwas Neues, als mit einem neuen Partner wieder das Alte“ war mir stets präsent. Ich sehe mich noch heute auf dem Teppich meines Therapiezimmers sitzen, das Buch Beziehungsprobleme verstehen – Partnerschaft lernen. Partnerschule als Kompetenztraining in der Hand, während mein Paartherapeutinnenherz höher schlug, da die vielen lebendigen Methoden so erfrischend anders daherkamen. Mich hat die Lektüre damals wirklich ergriffen und dazu ermutigt, ebenfalls erlebnisorientiert mit Paaren zu arbeiten. Nach meiner Kenntnis der Paartherapielandschaft, meiner jahrelangen wissenschaftlichen Fokussierung auf Paarprobleme, Interventionsmöglichkeiten und meinem nicht unwesentlichen Einblick in die verschiedenen Weiterbildungen steht die Partnerschule für einen Wendepunkt in der Begleitung von Krisenpaaren. Neben der Vielfalt der Methoden gibt es wohl kaum einen anderen wissenschaftlich fundierteren Ansatz, der auf eine solche Vielzahl von durchgeführten Seminaren und Gruppen mit Paaren zurückblicken kann.

Was Rudolf Sanders und mich eint, ist das große Interesse und die Leidenschaft für notleidende Paare, erlebnisorientierte Methoden und die wissenschaftliche Begründbarkeit des eigenen Handelns. Mich beeindrucken insbesondere der große Respekt gegenüber den verstrickten Paaren, der achtsame Umgang mit dem Paarsystem und die Ressourcenorientierung der Partnerschule. Der Theorie, die der Partnerschule zugrunde liegt, kann ich uneingeschränkt zustimmen. Rudolf Sanders bezieht sich auf die Positive Psychologie, die Salutogenese, die Erfahrungen zu Selbstwirksamkeit, die Bindungstheorie, die Integrative Therapie, die emotionsfokussierte Paartherapie, und zu meiner großen Freude auch auf meinen Ansatz zur traumasensiblen Paartherapie. Eindrücklich wird auf die Rolle der Therapeutin, des Beraters in der Partnerschule hingewiesen, als einer klügeren und weiseren Führung und Orientierung für das krisengeschüttelte Paar. Das Ziel, das Paar zu einer sozialbezogenen Autonomie und jeden Part zu einem stabilen Selbst zu befähigen, sollte oberster Maßstab für jede Paarbegleitung sein.

Emotionen im dysfunktionalen Bereich der Motivation dieser Bewegung führen zu Schemata in einer Beziehung, die in der Herkunftsfamilie das Überleben oder Anerkennung sicherten, in der aktuellen Partnerschaft jedoch zu den schlimmsten Verwirrungen und Krisen beitragen. So unterscheidet Rudolf Sanders für seinen Ansatz vier Bereiche, den der Ablehnung und Abgetrenntheit, den der Beeinträchtigung von Autonomie und Leistung, den der Beeinträchtigung im Umgang mit Begrenzungen und die übertriebene Außenorientierung und Femdbezogenheit. Hier finden wir verschiedene Bewältigungsstile: den des Erduldens oder den, sich den entwicklungsschädigenden Anforderungen an ein Kind zu unterwerfen; die Vermeidung bestimmter Situationen oder Emotionen und schließlich den der Überkompensation. Das ist eine nachvollziehbare Orientierung hinsichtlich dysfunktionaler Beziehungsstile, die sich insbesondere in Stresssituationen zeigen, und zugleich Maßstab für den Weg zur funktionalen Beziehungsfähigkeit.

Rudolf Sanders versteht die Paartherapie der Partnerschule als integrativen Ansatz, der sich auf das komplexe Verfahren der Integrativen Therapie nach Hilarion Petzold bezieht, „ein moderner, interdisziplinär orientierter, schulen- und methodenübergreifender Ansatz, der sich dem neuen Integrationsparadigma in der modernen, forschungsorientierten Psychotherapie und der klinischen Psychologie“ (http://www.eag-fpi.com) verpflichtet. Hier wird der ganze Mensch in seiner Biografie, seinem Gewordensein und seiner Entwicklung, in seinem Bedürfnis nach Heilwerden und Gesundheit, nach Bildung und Bezogenheit in den Blick genommen. Klienten werden in der Partnerschule auf Augenhöhe angenommen, willkommen geheißen und in ihrem Bezugsrahmen, Erleben und Kulturumfeld gewürdigt und gesehen. Ganzheitlichkeit bedeutet auch die Einbeziehung aller Sinne, des Körpers, der Bewegung, der Kreativität und der lebensgeschichtlich erworbenen Ressourcen der Paare.

Rudolf Sanders stellt eine klare Struktur der Paarbegleitung im Beratungsalltag vor, die dem Paar sowie der Fachperson Orientierung und Überblick zur Theorie der angewandten Methoden ermöglicht. Fünf Module gliedern den Beratungsprozess in aufeinander bezogene, sich sinnvoll ergänzende und weiterführende Entwicklungschancen für das Paar. Es geht um die Diagnostik und die Vertrauensbildung zu Beginn der Paarberatung. Dann um Einblicke und die Aufarbeitung früher Bindungserfahrungen und deren Einwirkung auf die aktuelle Paarbeziehung. Das Paar übt des Weiteren kommunikative Kompetenzen und entwicklungsförderliches Verhalten. Auch die Sexualität wird unter dem Aspekt einer Beziehungsressource betrachtet, und nicht zuletzt widmet sich die Partnerschule auch der Bewegung durch körpertherapeutische Zugänge. Ein in sich sinniges, umfassendes und vollständiges Konzept, um Paaren zu helfen, wieder in einen gemeinsamen Frieden zu kommen und miteinander zu wachsen. Der Prozess der Begleitung ist aufsteigend angelegt, um den Beteiligten immer mehr ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, Selbstwert und Selbstermächtigung zu ermöglichen.

Wahrlich beeindruckend ist die Vielfalt der in der Partnerschule zur Anwendung kommenden Methoden. Die Übungen, Trancen, Fragebögen, Anleitungen, Listen und Einführungen sind eine Schatzkiste für die Paartherapiepraxis – sicherlich gut verortet und eingefügt in die Entwicklungsherausforderungen des Paars und die Phasen der Paartherapie im Rahmen der Partnerschule. Doch zugleich kann jede Methode auch für sich stehen und lädt ein zum Ausprobieren, Testen und Umsetzen. Die Lektüre macht Spaß, motiviert, macht neugierig und sinneshungrig. Es entsteht der Wunsch, dabei zu sein, mitzuwirken, sich einzubringen und selbst auszuprobieren.

Die Partnerschule – 1990 von Rudolf Sanders gegründet – hat sich weiterentwickelt, ist zu einer Bewegung geworden, hat unzähligen Paaren geholfen und Familien gerettet. Das Konzept, der Ansatz und die Methoden haben sich bewährt, Kreise gezogen und zu neuen Wegen ermutigt. Rudolf Sanders mahnt mit seinem Lebenswerk und seinem unermüdlichen selbstlosen Einsatz zugleich auch an die Aufgabe der Gesellschaft, wirksame und nachhaltige Angebote für Paare zur Verfügung zu stellen. Hier ist er ein Vorreiter, ein Vorbild, ein Mentor und Wegbereiter. Da ich Rudolf kennenlernen durfte, bin ich sehr beeindruckt von seinem Lebensweg, der nicht immer leicht war. Es wurden ihm Steine in den Weg gelegt, die er meisterhaft zum Aufbau seiner Partnerschule zu nutzen wusste.

Ich wünsche diesem Buch viele Leserinnen und Leser, regen Austausch und eine weite Verbreitung. Zugleich wünsche ich der Paartherapie Menschen, Fachpersonen, Paarbegleiter, engagierten Zusammenhalt und wohlwollende Kooperation, um die Begleitung von notleidenden Paaren qualitätssicher und professionell zu gestalten. Die Verantwortung in der Beratung ist groß. Die Familien, betroffene Kinder und das soziale Umfeld von Paaren verdienen das Beste. Mich hat immer das Bild inspiriert, das mir vom Vorgehen der Hawaiianer zugetragen wurde. Dort legt das ganze Dorf alle Arbeiten nieder, um einem Paar in einer akuten Krise zu helfen. Das gesellschaftliche Leben und die Arbeiten werden erst dann wieder aufgenommen, wenn der Konflikt bereinigt ist. Die Idee, die dahintersteht, finde ich in der Partnerschule wieder: Wie kann eine Gemeinschaft funktionieren, wenn auch nur ein unglückliches Paar unter uns ist? So gebührt dem Helfersystem Ehre, die ich mit diesem Vorwort Rudolf Sanders voller Dank für sein Wirken erweise.

PD Dr. Katharina Klees

Traumasensible Paar- und Sexualtherapie

Aufwind-Institut

Vorwort

Zu Beginn meiner beruflichen Tätigkeit habe ich als Diplom-Pädagoge erlebnisorientiert im Rahmen der Ehevorbereitung und -begleitung Konzepte entwickelt und mit Paaren gearbeitet. Nach der Ausbildung zum Ehe- und Familienberater (Kath. BAG) und der Graduierung zum Integrativen Paartherapeuten (EAG / FPI) leitete ich von 1990 bis 2016 die Katholische Ehe- und Familienberatungsstelle Hagen & Iserlohn. Bis auf ganz wenige Ausnahmen suchten alle Paare Unterstützung, um ihre „Ehe zu retten“, was ich immer als meinen Dienstauftrag verstanden habe. Indem ich die Erfahrungen aus der Erwachsenenbildung integrierte, entstand die Partnerschule als Paartherapieim Integrativen Verfahren.

Der Untertitel meiner Dissertation, Eine pädagogische Intervention zur Förderung der Beziehung von Frau und Mann als Partner (Sanders 1997), macht das Ziel deutlich. Den Wunsch (der meisten) Paare nach Rettung und Wiederherstellung ihrer Beziehung habe ich aufgenommen, mein Augenmerk aber auf die Stärkung künftigen Handelns in der Beziehung gelegt. Ganz im Sinne der Positiven Psychologie (Seligmann 2005, 2010) und der Salutogenese (Antonovsky 1997) werden einerseits vorhandene Ressourcen bewusst gemacht und genutzt, andererseits wird ein Rahmen zur Verfügung gestellt, in dem Paare ganz neue Erfahrungen miteinander machen können. Sie erleben Selbstermächtigung und Erfahrungen von Selbstwirksamkeit (Bandura 1977) hinsichtlich der erfolgreichen Gestaltung einer Bindungsbeziehung auf der Ebene von zwei gleichberechtigten Partnern. Sie spüren, wie sie sich im Angesicht des Anderen zu einer zunehmend autonomen, souveränen und zugleich sozial bezogenen Persönlichkeit entwickeln. Dabei beziehe ich mich auf Plessners Vorstellung der Conditio Humanae (Plessner 2003). Therapeutisch fundiert ist die Partnerschule im bio-psycho-sozialen und ökologischen Paradigma und findet ihre Entfaltung in der Integrativen Therapie (Petzold 2003).

Zwei Personen haben die Entwicklung der Partnerschule maßgeblich beeinflusst. Das ist zum einen Prof. Dr. Christine Kröger, die durch ihre Forschungsarbeit die Partnerschule auf ihre Wirksamkeit und Nachhaltigkeit evaluiert hat und ferner durch ihre wissenschaftliche Durchdringung gemeinsam mit mir in Veröffentlichungen diesen Ansatz in der Fachwelt publik gemacht hat (z. B. Kröger & Sanders 2018).

Zum anderen ist es Renate Lissy-Honegger (M. A.) gelungen, auf dem Hintergrund der Partnerschule einen eigenständigen Ansatz der Arbeit mit dem Körper zu entwickeln, um so existenzielle Themen eines Paars im Embodiment aufzugreifen und beiden eine leibnahe Möglichkeit der persönlichen Entwicklung und Entfaltung zu eröffnen. In Modul 5 zeigt sie, wie diese die Partnerschule durchdringt.

Als Antwort auf die große Nachfrage nach Beratung und aufgrund der Schwierigkeiten von Eltern, zu den offiziellen Sprechzeiten der Beratungsstelle ihre Kinder zu versorgen, entstand die Partnerschule vornehmlich als Beratung in einer Gruppe mit vier bis acht Paaren. Diese Gruppen fanden abends statt und vor allem auch an Wochenenden bzw. wochenweise in Bildungshäusern mit paralleler Kinderbetreuung (Sanders 2013). Aufgrund des großen Zuspruchs fanden in Kooperation mit Kolleg*innen* unter meiner Leitung von 1990 bis Ende 2020 174 Seminare statt, mit einem jeweiligen Umfang von 40 bzw. 80 Stunden. Da es aufgrund unterschiedlichster struktureller Bedingungen oftmals nicht möglich ist, eine Gruppe anzubieten, und sich Rat suchende Paare zunächst nicht leichttun, an einer Gruppe teilzunehmen, zeige ich in diesem Buch auf, wie die Partnerschule im Einzelsetting mit einem Paar durchgeführt werden kann.

Dieses Verfahren wird kontinuierlich weiterentwickelt, wobei die wissenschaftlichen Ergebnisse für eine erfolgreiche Beziehungsgestaltung in Ehe und Partnerschaft integriert werden (Sanders 1997, 2009, 2019). Die Ergebnisse der quantitativ prospektiven (Sanders 1997, Kröger & Sanders 2005, Kröger 2006) und der qualitativ retrospektiven Forschung (Lissy-Honegger 2015, Damaschke 2016, Löwen 2016) haben es ermöglicht, dass die Partnerschule seit 2016 in der Grünen Liste Prävention beim Justizministerium des Landes Niedersachsen geführt wird.

Einige liebe Menschen haben das Manuskript durchgeschaut und es mit ihren Anregungen aus Kultur, Beratungswissenschaft, Psychotherapie, Philosophie, Erwachsenenbildung, Theaterpädagogik und Theologie bereichert. Dafür danke ich ganz herzlich Barbara Langos, Sabine Grimm, Frank Euteneuer, Hans-Peter Schulz und Frank Honegger.

Mein besonderer Dank gilt dem Junfermann Verlag, der als ein renommierter Fachverlag für angewandte Psychologie mir diese Veröffentlichung ermöglichte. Ein guter Inhalt bringt allerdings nichts, wenn er nicht auch gut vermittelt wird. So danke ich ausdrücklich Heike Carstensen. Mit ihrer Kunst der Aufarbeitung und Präsentation als Lektorin hat sie aus meinen Vorlagen ein wirklich gutes Buch gemacht.

So wünsche ich mir, dass Rat suchende Paare, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, durch diesen paartherapeutischen Ansatz erleben können, dass eine exklusive Verbundenheit mit einem Menschen ihnen ermöglicht, selbst immer mehr der Mensch zu werden, der sie sind. Aber nicht nur das! Ich wünsche den Paaren, davon so zu profitieren, dass auf ihrem Lebensweg das Schwere leichter und das Schöne schöner wird.

Dr. Rudolf Sanders

*   Neben einer gendergerechten Sprache nutze ich einer besseren Lesbarkeit wegen auch unterschiedlich die männliche oder weibliche Form. Grundsätzlich sind immer alle Geschlechter, männlich, weiblich und divers, gemeint.

1. Der Ansatz Partnerschule

Probleme in einer Partnerschaft, einer Ehe sind etwas ganz Normales. Warum also sollte man sich deshalb trennen? Wieso erscheint Scheidung in vielen Fällen als einziger Weg, die aktuellen Herausforderungen zu klären und zu bewältigen? Angesichts des objektiven Leids, das der Weg der Trennung bei den Betroffenen und insbesondere deren Kindern auslöst, habe ich mich entschieden, in meinem Beruf als Paartherapeut all das, was wissenschaftliche Forschung zum Gelingen einer Partnerschaft, einer Ehe sagt, den Rat suchenden Paaren zur Verfügung zu stellen und es kontinuierlich auch auf seine Wirksamkeit und Nachhaltigkeit hin zu überprüfen.

Ganz im Sinne von Carl Rogers begegne ich den Paaren akzeptierend und wertschätzend. Gleichzeitig lasse ich mich von dem, was sich vor meinen Augen abspielt, was beide jenseits ihrer Worte im Augenblick der Begegnung in Szene setzen, inspirieren. Mit kindlicher Neugier versuche ich zu entdecken, was sich wohl hinter den vorgebrachten Problemen, unter der Oberfläche verbirgt. Wo mag der Sinn im Unsinn liegen? Mit meiner wohlwollenden Wertschätzung auch für den „Unsinn“ wird es dann möglich, ganz im Sinne der Positiven Psychologie die immer auch vorhandenen Schätze zu heben: den Blick auf das Gelingende zu richten, psychoedukativ Skills zu vermitteln, die für ein zufriedenes Miteinander förderlich sind. Der Macht der Probleme wird so immer mehr der Boden entzogen. Denn letztlich wünschen sich alle Paare lieber eine Partnerschule statt einer Scheidung.

1.1 Partei ergreifen oder Verbindendes betonen?

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Ein Paar hat Stress, nicht erst seit gestern, sondern schon seit längerer Zeit; nicht etwa nur kleine Streitigkeiten, sondern manchmal sogar in Handgreiflichkeiten ausartende. Da beide „vernünftige“ Menschen sind, haben sie schon vieles überlegt, wie sie miteinander wieder ins Reine kommen könnten. Sie haben Beziehungsratgeber gelesen, Freunde gefragt und auch im Internet nach Hilfe gesucht. Vielleicht haben die beiden Kinder und sehen, wie diese Auseinandersetzungen nicht spurlos an ihnen vorübergehen. Wofür sie sich zutiefst schämen, ist, nicht alleine damit klarzukommen! Vielleicht sind da auch Ideen im Kopf wie: „Wir haben uns nichts mehr zu sagen“ oder „Wir haben uns auseinandergelebt“. Wäre das tatsächlich so, würden sie nicht leiden, sondern wie „vernünftige“ Menschen ihre Beziehung beenden, fair und gerecht die Besitztümer teilen und natürlich die Last der Erziehung und Fürsorge der Kinder gleichmäßig auf die Schultern beider verteilen. Doch in der Realität dürfte das eher die Ausnahme sein. Mehr oder weniger leiden alle unter dem Schmerz, den das Ende einer Liebesbeziehung verursacht, und nicht wenige geben sich der Illusion hin, die Trennung in gutem Einvernehmen zu schaffen.

Forschungsergebnisse zu Auswirkungen von Trennung und Scheidung, sowohl für die Betroffenen als auch für deren Kinder, sprechen zum Thema einvernehmliche Trennung eine andere Sprache. Denn: „Eine feste, stabile und glückliche Partnerschaft erweist sich als einer der besten Prädikatoren für Lebenszufriedenheit, Glück, Wohlbefinden und Gesundheit. Umgekehrt ist eine unglückliche Paarbeziehung ein relevanter Risikofaktor für psychische Störungen (Depressionen, Angststörungen, Substanzmissbrauch)“ (Bodenmann 2016, S. 23). Ferner: „Die Scheidung gehört neben chronischen destruktiven Partnerschaftskonflikten zu einem der bedeutendsten Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer Störungen beim Kind und Jugendlichen und stellt eine lebenslange Vulnerabilisierung dar“ (Bodenmann 2016, S. 167). Diese Aussagen werden durch eine aktuelle bevölkerungsrepräsentative Studie für Deutschland (Witt et al. 2019) untermauert.

Ebenfalls nicht unerheblich sind die Kosten in finanzieller Hinsicht, für die Betroffenen selbst wie für die Solidargemeinschaft. So schätzt Wilbertz (2003) die Scheidefolgekosten für die Gesellschaft auf vier Milliarden Euro. Bei einem Drittel der Scheidungspartner wird einer von beiden zum Sozialhilfeempfänger, das Armutsrisiko für Frauen verdoppelt sich, die Betreuungsqualität der Kinder leidet, und Geschiedene nehmen das Gesundheitswesen deutlich stärker in Anspruch (Borgloh et al. 2003). Diese Befundlage macht deutlich, dass eine zielorientierte Paartherapie, die die Klärung der Störungen und deren Bewältigung im Blick hat, auch gesellschaftlich von großer Relevanz ist. Deshalb gilt es in höchstem Maße wertzuschätzen, dass beide Partner um Hilfe nachsuchen. Als Paartherapeut*innen haben wir die ethische Verpflichtung, unser Handeln an dem auszurichten, was wissenschaftliche Forschung zum Gelingen von Paarbeziehungen bisher schon beigetragen hat.

So kommt Bauer (2008, S. 37) aufgrund neurobiologischer Studien zu der Feststellung: „Nichts aktiviert die Motivationssysteme so sehr wie der Wunsch, von anderen gesehen zu werden, die Aussicht auf soziale Anerkennung, das Erleben positiver Zuwendung und – erst recht – die Erfahrung von Liebe.“ Trotz allem: Um für den Veränderungsprozess zu einer Triebfeder zu werden, bedarf jeder Druck von außen, jede Bewertung von richtig oder falsch (auch die Lehrmeinung der katholischen Kirche „Eine Ehe ist unauflöslich, bis dass der Tod sie scheidet“), das Registrieren des Leids der Kinder und auch jeder persönliche Leidensdruck einer Transformation in eine persönliche Motivation und in Annäherungsziele, im Sinne von: „So stelle ich mir eine Ehe oder Partnerschaft vor. So wäre sie für mich attraktiv!“ Eine solche intrinsische Veränderungsmotivation ist, vor allem anderen, für den Therapieerfolg entscheidend (Grawe 1995, 2000).

Mit dieser Motivation, das Ruder herumzureißen, raffen sich Paare auf, um Hilfe zu suchen. Nicht selten ist das für sie nach vielen Jahren einer latenten Unzufriedenheit ein letzter Versuch. Und so sieht dann die Ausgangslage vieler Paare aus, die bei uns in der Ehe- und Familienberatung oder in der Paartherapie landen. In ihrem Miteinander sind sie aufgeregt und voller Anspannung, der Adrenalinspiegel ist bei den Einzelnen extrem hoch. Fachlich sprechen wir hier von einer typischen Bindungssituation. Menschen in großer innerer Not – hier das System Paar – suchen nach jemand „Klügerem“, „Weisem“, der in der Lage ist, mit seiner fachlichen Kompetenz und seiner menschlichen Zugewandtheit Ruhe in der Situation zu behalten, damit das System auch zur Ruhe findet, um die anstehenden Herausforderungen angemessen zu klären und zu bewältigen. Ist es dann vonseiten der Therapeutin eigentlich zu verantworten, von „Ergebnisoffenheit“ oder von „Neutralität“ zu sprechen? Grawe (2000, S.21) weist eindrücklich darauf hin, dass es unsere Aufgabe sei, den Menschen, die sich in einem Zustand der Hoffnungslosigkeit und Demoralisierung befinden, wieder Hoffnung, das heißt positive Erwartung auf eine Besserung zu induzieren, ihnen wieder Glauben an eine bessere Zukunft zu vermitteln. Deshalb müssen wir ihnen zunächst bewusst machen, dass sie zusammen etwas kreieren, nämlich das System Paar, und dass alles, was der Einzelne tut, Auswirkung auf diese gemeinsame Identität hat.

Was wäre nun der Anker, um wieder Hoffnung zu vermitteln? Das könnte ein Anknüpfen an die im Unbewussten vorhandenen Erinnerungen an die guten Zeiten sein; an den tiefen Wunsch, doch wieder im Miteinander ins Reine zu kommen. Deshalb soll im Folgenden das Dazwischen explizit in den Fokus genommen werden, das Band, das zwischen beiden besteht und das zu zerreißen droht. Dieses Buch ist auch ein Plädoyer, sich als Therapeut für das Verbindende, für ihre Liebe einzusetzen. Unter Liebe ist hier nicht die katholische Unauflöslichkeitslehre zu verstehen oder die falsche Idee der „gütlichen Trennung“. Es geht auch nicht um die „technische“ Frage nach den Kompetenzen für eine „Vernunftehe“. Im Fokus steht das hohe Gut des leiblich erlebten Miteinanders. Liebe ist zweifellos der motivierende Mechanismus der Paarbildung, die fast immer mit Sex verbunden ist. Letzterer stärkt das Liebesband, aber die Liebe wurzelt nicht in der Sexualität, wie der Verhaltensforscher Eibl-Eibesfeldt (1970, S. 148) belegte. Man muss sich ganz im Gegenteil von der Idee befreien, Liebe auf Sex zurückführen zu wollen. Ihr evolutionärer Ursprung liegt ganz woanders, nämlich im Brutverhalten, genauer in der Mutter-Kind-Bindung der Säugetiere. Diese ist eine biologische Voranpassung (Präadaption) für die spätere biologische Entwicklung zur Liebesbindung zwischen Erwachsenen (Müller-Schneider 2019, S. 86). Was diese Liebe auszeichnet, ist das beiderseitige Bedürfnis, viel Zeit miteinander zu verbringen. Manchmal verfallen beide auch in eine Kindersprache, tauschen Zärtlichkeit aus und empfinden Trennungsstress, umarmen sich nach längerer Trennung und suchen häufig körperliche Nähe. Zudem gehen Liebende gegenseitig auf ihre Bedürfnisse ein, vermitteln Zuversicht und Vertrauen und bieten einander Schutz (Fletcher et al. 2015, S. 24).

Mit beiden gemeinsam ist zu klären, warum sie aktuell keinen Zugang zu dieser Liebe haben (Ryba 2018), wo die Ursachen maladaptiver Interaktionen und Kommunikation liegen (Young & Klosko 2006, Roediger 2016) und wie diese durch Erfahrungen der Selbstwirksamkeit (Bandura 1997) verändert werden können. Und last, but not least gilt es, die Entwicklung einer souveränen Persönlichkeit mit einer sozial bezogenen Autonomie zu fördern. Darum soll es nachfolgend gehen.

1.2 Welche therapeutischen Ansätze eignen sich für die Arbeit mit Paaren? 

Ende der 1980er-Jahre nahm ich meine Beratungsarbeit mit Paaren auf. Diese berichteten oft von heftigen, immer wiederkehrenden Streitigkeiten mit intensiver emotionaler Ladung, an deren Ursachen sie sich nur selten erinnern konnten. Mache spürten auch, dass die Anlässe eines Streits häufig in keiner Weise dessen Heftigkeit rechtfertigten. In einer ersten Exploration wurde die Kindheit in der Regel als „ganz normal“ beschrieben. Ließ ich diese jedoch nach einer Induktionshypnose (siehe 4.1.13) malen, zeigte sich ein ganz anderes Bild. Vielfältige Bindungstraumatisierungen in den ersten Lebensjahren kamen in unterschiedlichsten Ausprägungen zum Vorschein. Besonders eindrücklich wurde dies, als ich anfing, mit Paaren in Gruppen zu arbeiten. Ich war froh, wenn es unter sechs teilnehmenden Paaren vielleicht ein oder zwei Teilnehmer*innen gab, die eine Kindheit erlebt hatten, aus der sie als sicher gebunden hervorgegangen waren.

Sehr berührend war es zu erleben, wenn die Partner sich gegenseitig ihre Bilder vorstellten. Oftmals entstanden dann zwischen beiden eine ganz besondere Nähe und Intimität. Diese wurden zur Basis, die aktuell im Miteinander des Paars störenden, destruktiven Formen der Interaktion und Kommunikation in Verbindung mit früh gelernten Verhaltensweisen aus Kindertagen zu bringen. Den Betroffenen fiel nicht selten „ein Stein vom Herzen“, als sie erfuhren: Sie waren lediglich Auslöser, aber nicht Ursache für die Verstrickungen und die damit verbundenen heftigen emotionalen Reaktionen.

1.2.1 Wirksamkeit therapeutischer Ansätze

In der Theorie der Emotionsfokussierten Therapie (EFT) gilt die Unfähigkeit zur Emotionsregulierung als eine übliche Form der Dysfunktion. Menschen, die nicht in der Lage sind, ihre Emotionen zu regulieren, werden möglicherweise von intensiven, schmerzlichen Emotionen überwältigt oder betäubt und distanzieren sich von diesen. Der Aufbau von Fertigkeiten einer gesunden Emotionsregulierung ist deshalb ein wichtiger Teil der emotionalen Entwicklung. Als optimale Methode hierfür versteht die EFT den Zugang und die Akzeptanz bisher vermiedener Emotionen und die Fähigkeit, sie zuzulassen, zu akzeptieren, zu validieren und zu verstehen, denn Emotionen zeigen auf, was wichtig für das Wohlbefinden ist, und bereiten Menschen darauf vor, adaptiv zu handeln. Im Sinne einer Klärung besteht für ein Paar also der grundlegende Prozess darin, sich im Angesicht des Anderen seiner Emotionen gewahr zu werden und unterscheiden zu lernen, welche emotionalen Reaktionen gesund sind und als Richtschnur benutzt werden können, und welche maladaptiv sind und verändert werden müssen (Greenberg 2011). Dies wird dann zur Grundlage der Bewältigung.

Etwa zeitgleich mit Beginn meiner Arbeit mit Paaren erschien eine Metastudie zur Wirksamkeit von Psychotherapie: Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession (Grawe et al. 1994). Seinerzeit löste sie gesellschaftlich und unter den Fachvertretern viel Wirbel aus. Diese Studie enthält auch ein Kapitel zur Paartherapie, in dem auf den weltweiten Mangel an kontrollierten Studien (damals insgesamt nur 35) über Paartherapie hingewiesen wird. Die meisten dieser Studien wurden von VT-orientierten Psychologen in den USA durchgeführt, die mit Techniken arbeiteten wie Kontingenzverträge, Problemlösungstrainings, Selbstbeobachtung, Verhaltensübungen etc. Bechter (1993) überprüfte die Studien der nachfolgenden Jahre und konnte die Angaben Grawes et al. (1994) bestätigen. Aus den Studien ergab sich hinsichtlich der Wirksamkeit der Methoden ein positives Bild. Doch trotz wirksamer Therapie gelang es nicht, die Klientenpaare so zufrieden zu machen wie normale Paare (Hahlweg & Markmann 1988). Und wie sieht es aktuell aus? In der bislang größten Untersuchung zur Paartherapie in Deutschland, Evaluation der Paarberatung in katholischer Trägerschaft in Deutschland mit 554 Paaren zur Wirksamkeit von Paartherapie unter den realen Praxisbedingungen von Ehe, Partnerschafts- und Familienberatungsstellen, zeigt sich durchgängig, dass hier nur 40 % der Paare in einem klinisch bedeutsamen Sinne von der Intervention profitieren. Insbesondere Paare mit anfänglich hoher Belastung können sich nicht verbessern, brechen oftmals vorzeitig ab und trennen sich in der Folge (Roessler 2019).

Grawe et al. (1994, S. 555 f.) weisen in diesem Zusammenhang auf eine „sehr gute Untersuchung von Synder und Wills (1989)“ hin, in der eine herkömmliche Verhaltenstherapie mit einer „Insight Oriented Marital Therapy“ verglichen worden war. In der Letzteren geht es darum, dass die Partner mehr Verständnis füreinander gewinnen, indem sie kennenlernen, wie jede*r von ihnen aufgrund seiner Herkunftsfamilie und seiner Lebensgeschichte so geworden ist. Im Gegensatz zur bewältigungsorientierten Verhaltenstherapie (eine bessere Kommunikation und Problemlösungsstrategien erlernen etc.) handelt es sich um eine einsichtsorientierte Therapie. Die Wirksamkeit war bei beiden Methoden, mit leichter Überlegenheit der VT, auch bei der Katamnese nach sechs Monaten etwa gleich gut. Völlig überraschend war allerdings für Snyder et al. (1991) die Vierjahreskatamnese. 38 % der mit VT behandelten Paare waren geschieden, aber lediglich 3 % der Paare, deren Therapie auf ein größeres gegenseitiges Verständnis ausgerichtet war. Damit hatte die verständnisorientierte Therapie langfristig den Paaren zu größerer Zufriedenheit verholfen als die problemlösungsorientierte Therapie. Grawe et al. schlossen daraus: „Die Studien … deuten an, dass klärungsorientierte Vorgehensweisen der Paartherapie Wirkungen erzielen können, die mit bewältigungsorientierten Vorgehensweisen nicht zu erzielen sind. Dies könnte auch in der Paartherapie dafür sprechen, die Vorzüge beider Vorgehensweisen miteinander zu verbinden. Dafür bestehen aber bisher weder ausgearbeitete Konzepte, noch liegen dazu Untersuchungen vor … [Es] wäre … wünschenswert, auch in der Paartherapie durch die Verbindung bewältigungs- und klärungsorientierter Vorgehensweisen neue Wege zu erproben, die bisher noch gar nicht zu gehen versucht wurden“ (1994, S. 556).

1.2.2 Konsequenzen für die Partnerschule: Emotionsfokussiert und schematherapeutisch

Mich hat das motiviert, an dieser Spur weiterzuarbeiten und die Klärung der Ursachen und deren Bewältigung durch Vermittlung von Beziehungskompetenzen zu verbinden. Eine Bestätigung fand ich in einem späteren Aufsatz von Grawe (1996), in welchem er die Klärungs- und Bewältigungsperspektive als wichtigstes therapeutisches Wirkprinzip definierte.

Ebenfalls Anfang der 1990er-Jahre wurden auf Initiative von Notker Klann, dem damaligen Geschäftsführer der Katholischen Bundesarbeitsgemeinschaft für Beratung, unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Kurt Hahlweg, Braunschweig, alle deutschsprachigen Eheberater*innen eingeladen, sich an einer prospektiven Studie zur Wirksamkeit von Paarberatung zu beteiligen (Klann & Hahlweg 1994). Bei dieser lagen mir die Prae-Post-Daten von 14 Paaren sowie von jeweils einem Mann und einer Frau vor, die die Paarberatung in Form der Partnerschule durchlaufen hatten.

Diese Daten nutzte ich für eine Überprüfung der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit und stellte diese mit einer theoretischen und praktischen Darlegung dieses Ansatzes der Eheberatung im institutionellen Kontext einer Beratungsstelle zum ersten Mal im Rahmen meiner Dissertation vor (Sanders 1997). Sehr aufschlussreich waren dabei die Ergebnisse einer Drei-Faktoren-Analyse (S. 300), bezogen auf die Problemlage der Paare. In dieser wurden drei Themen deutlich.

Der erste Faktor beschrieb die

Qualität des Binnenklimas in der Beziehung,

der zweite die

Ehezufriedenheit der Eltern

und

der dritte die

Beziehung zwischen Eltern und Kindern.

Diese drei Faktoren legten die Vermutung nahe, dass die Ursachen der Partnerschaftsprobleme in einer transgenerationalen Weitergabe von maladaptiven Interaktions- und Kommunikationsmustern liegen könnten.

War das Familienklima eher entspannt oder führte es häufig zu Stress? Die sich daraus entwickelnden Beziehungsschemata wurden im familiären Kontext implizit wie die Syntax und Grammatik einer Sprache gelernt (Grawe 2000). Später, wenn man wieder in einer nahen Beziehung lebt, kommen diese Schemata automatisch zur Anwendung. Weil sie aber für Situationen in Kindertagen gelernt wurden und nicht selten dem „Überleben“ dienten, eignen sie sich in keiner Weise als Grundlage der Interaktion und Kommunikation zweier Erwachsener auf Augenhöhe und führen somit zu Unzufriedenheit mit dem Binnenklima in der aktuellen Partnerschaft. Dieses Binnenklima wirkt sich auch auf das Miteinander mit den eigenen Kindern aus und bildet sich in Unzufriedenheit ab.

Was sehr spannend zu erleben war: Wenn den Partnern in der Klärungsphase deutlich wurde, worin eigentlich die Ursachen der Störungen der Interaktion und Kommunikation lagen, waren sie leichter bereit und motiviert, adaptive Verhaltensweisen zu lernen. Zu Beginn der 1990er-Jahre wurde also der Baustein dafür gelegt, die Partnerschule emotionsfokussiert und schematherapeutisch zu konzipieren (Sanders & Kröger 2013).

1.3 Warum ist es so schwierig, sich als Paar Hilfe zu suchen?

Der Grund, warum viele Paare Hilfsangebote lange Zeit meiden, lässt sich an einer tief sitzenden Scham festmachen, es nicht miteinander „hinzukriegen“. „Alle anderen Paare schaffen es doch auch!“ So könnte sich der wohlgemeinte Ratschlag der (Schwieger-)Mutter oder des Pfarrers anhören. Außerdem ist das Label „geschieden“ immer noch mit einem gewissen Makel versehen.

Die Ursachen des „offensichtlichen Scheiterns“ lassen sich in frühen Bindungstraumatisierungen verorten, welche sich im heutigen Paargeschehen wieder aktualisieren (Klees 2018). Als Kind hat man doch alles für Vater und Mutter getan, um in diesem System zu überleben. Aber ein Kind ist noch nicht zu der Erkenntnis fähig: „Meine Eltern lieben mich nicht, sie hassen mich, sie lehnen mich ab, und sie vernachlässigen mich“, auch wenn es dies im ganzen Leib spürt. Um mit diesem innerlich Gespürten und äußerlich nicht Erkannten leben zu können, igelt man sich geradezu in der Familie ein. Hilfe oder Unterstützung kommen nicht infrage, denn sie würden nur zur Enttäuschung führen. Schon früh entsteht deshalb der Gedanke: „Ich muss alles selbst tun, weil mir niemand hilft.“ Das immerhin hilft, das Grundbedürfnis nach (Selbst-)Kontrolle aufrechtzuerhalten.

1.3.1 Scham

Tief sitzende Kognitionen, die im Leibgeschehen einen Ausdruck finden, aktualisieren sich später in nahen Beziehungen (Bauer 2002, Trautmann-Voigt & Voigt 2020). Eigentlich müsste da die Erkenntnis sein: „Ich weiß noch gar nicht, wie ich richtig meine Wünsche äußern kann“ oder: „Wie geht das eigentlich, sich in meine Partnerin einzufühlen?“ Doch die (noch) mangelnde Kompetenz schlägt sich negativ auf den eigenen Selbstwert nieder. Verstärkt wird dies durch eine gesellschaftliche Erwartungshaltung, es doch mit der Ehe „hinzukriegen“; andere schaffen das ja. Dieser innere und äußere Druck führt zu einer Selbststigmatisierung und -beschämung (Rüsch et. al. 2005). Und wer präsentiert sich damit freiwillig anderen? Also macht man lange gute Miene zum bösen Spiel, bis es ohne Hilfe von außen überhaupt nicht mehr geht. Und noch etwas führt zu Scham: Die Diskrepanz zwischen der Idealvorstellung, auch zwischen den Hoffnungen und Träumen aus der Phase der Verliebtheit und dem tatsächlichen Erleben der Beziehung (Wurmser 2017).

Nicht wenige Klienten kennen Scham als lebensbegleitendes Gefühl. Sie erzählen, wie sie sich dafür geschämt haben, dass es im Elternhaus Gewalt gab oder dass man als Neunjähriger im Auftrag der Mutter den Vater aus der Kneipe abholen musste. Für die eigene Not, zwischen dem Auftrag der Mutter und der Beharrungstendenz des Vaters in der Kneipe („Junge, trink noch eine Cola!“) zerrieben zu werden, gab es keinen Ansprechpartner. Nicht selten kamen in der Schule noch Rügen der Lehrerin hinzu, nicht genug aufzupassen.

Die Emotion Scham signalisiert, dass die eigenen inneren Grenzen missachtet und überschritten wurden. Es ist eine anerzogene menschliche Unlustreaktion, die sich auf die Verletzung der Intimsphäre, aber auch auf andere Bereiche wie Ansehen oder Wertschätzung beziehen kann. Die Grundlage ist ein leibliches Spüren, Erwartungen nicht zu entsprechen oder gegen wichtige Normen und Wertvorstellungen zu verstoßen. Da die Schaminhalte häufig ein Tabu darstellen, ist Scham ein schwer zu ertragendes Gefühl. Sie ist die Folge der Verletzung elementarer Bedürfnisse, wie z. B.:

Anerkennung:

„Du bist ein wertvoller Mensch!“

Schutz:

„Wir achten deine Intimsphäre!“

Zugehörigkeit:

„Du bist ein Teil von uns!“

Integrität:

„Wir achten deine Wertvorstellungen und Normen!“ (Fleckenstein et al. 2020).

Was lehrt uns das als Paartherapeut*innen? Ist es nicht einfach eine unglaublich großartige Leistung, wenn sich Menschen, trotz aller Scham, dazu durchringen, Hilfe in einer Beratungsstelle oder Paartherapie zu suchen? Das anerkennend zu sagen ist das eine. Aber wichtig ist es vor allem, den Blick auf Folgendes zu lenken: Was ist diesem Paar, trotz aller (Selbst-)Stigmatisierung und Widrigkeiten, trotz aller in der Kindheit geprägten maladaptiven Beziehungsmustern, bisher gelungen? Da werden Kinder versorgt, da läuft der Alltag, psychische Beeinträchtigungen des Einzelnen werden aufgefangen. Und das Ganze vielleicht schon seit 10, 15 oder 30 Jahren! Im ersten Kontakt mit uns spüren Menschen, wenn wir das wertschätzen. Für uns gilt, dass wir ihnen explizit und vor allem implizit durch unsere Haltung vermitteln, dass sie auf diese Leistung stolz sein können!

1.3.2 Stolz

Die Emotion Stolz hat mehrere Funktionen (Tagney 1999). Zum einen wirbt sie um einen hohen Status und sozialen Wert, zum anderen stärkt sie das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Gruppenzugehörigkeit. Im Rahmen der Selbsttheorie wird unterschieden zwischen authentischem und überheblichem Stolz. Letzterer ist nicht an konkrete Handlungen gebunden, sondern betrifft die gesamte Person. Seine Wurzeln liegen in verzerrten und auf Überschätzung basierenden Selbstbildern. Diese Art des Stolzes dient häufig der Schamabwehr. Authentischer Stolz dagegen ist das Ergebnis spezifischer Verhaltensweisen, z. B. dass man sich anstrengen und Erfolge selbst erarbeiten kann.

Für ein Paar – sie hatte ihm zur Silberhochzeit eine Todesanzeige ihrer Ehe geschickt – war es der zentrale Motivationsschub, sich auf die weitere Arbeit mit mir einzulassen, als ich im Erstgespräch positiv hervorhob, wie gut sie doch ihren Alltag mit zwei Kindern, einem Adoptivsohn und einer psychisch kranken Mutter zur Zufriedenheit aller bewältigen würden. Ein Jahr später holten beide am Abschlussabend eines paartherapeutischen Seminars ihre Silberhochzeit nach – mit den anderen Teilnehmer*innen der Partnerschule-Gruppe als „Gästen“. Vor zwei Jahren schickten sie mir ein Bild von ihrer Goldhochzeit.

Es braucht einen langen Atem, um eine verstrickte unglückliche Partnerschaft zu einer Beziehung auf Augenhöhe zu entwickeln, in der Geben und Nehmen ausgeglichen sind. Die Emotionen Stolz und Scham sind hier die wichtigsten positiven bzw. negativen Anreize (Heckhausen 1989). Williams & DeSteno (2008) gehen davon aus, dass sich die Emotion Stolz evolutionär entwickelt hat. Sie soll Menschen unterstützen, ausdauernd auf ein Ziel hin zu arbeiten, auch wenn sie das kurzfristig etwas kostet. Wie es aussieht, wird Ausdauer durch Stolz erhöht, indem erfolgreiche Anstrengungen verstärkt und belohnt werden, und mit größerer Wahrscheinlichkeit werden Menschen, die das erfahren haben, auch künftig solche Mühen auf sich nehmen. Es sind also positive Emotionen, es ist der Stolz auf das, was man bisher in seiner Partnerschaft schon alles geschafft hat, die helfen, sich auf den paartherapeutischen Prozess einzulassen. Kann man sich außerdem auf die therapeutische Allianz verlassen und sich mit den Zielen der Therapie identifizieren, wirkt dies sehr unterstützend.

Die Emotion Stolz ermöglicht eine geistige Freiheit, die größere Handlungsspielräume eröffnet und die Motivation stärkt, neues Verhalten (learning by doing) auszuprobieren. Ergeben sich daraus Evidenzerfahrungen, werden sie dem persönlichen Repertoire hinzugefügt. Hinter diese neuen und guten Erfahrungen kann man nicht mehr zurückfallen. Laut der „Broaden-and-Build-Theorie“ (Frederikson 1998) vergrößern („broaden“) positive Emotionen das Repertoire an Gedanken und Handlungen, die einem Menschen im Augenblick bewusst zur Verfügung stehen. Sie motivieren ihn, sich mutig auf Neues einzulassen. So weiten sich die Möglichkeiten zu spüren, zu fühlen, zu denken und zu handeln, was auf eine Vermehrung („build“) der Ressourcen hinausläuft.

Damit unseren Klient*innen dieser Stolz möglich wird und sie so auch zu ihrer Würde (Hüther 2018) gelangen, haben wir Therapeut*innen eine zentrale Funktion. Laut Susan Johnson (2011) existiert in unserer Gesellschaft die Idee, dass wir als reife erwachsene Menschen unabhängig und auf niemanden angewiesen sein sollten. Doch welcher gesunde Erwachsene würde einem traurigen Kind zu verstehen geben, es möge allein mit seinen Gefühlen fertigwerden? Auch Ratsuchende, die zu uns in die Paartherapie kommen, brauchen ein wohlwollendes Verständnis dafür, dass persönliche Entwicklungsprozesse Zeit in Anspruch nehmen und sie dafür auf ein mitfühlendes, verständnisvolles Gegenüber angewiesen sind. Denn gerade in schwierigen Situationen ist es unglaublich heilsam, von einem zugewandten Menschen verstanden und gehalten zu werden.

Exkurs: Paartherapie, Paarberatung, Paarcoaching oder Beziehungskompetenzentraining?

Was genau ist die Partnerschule? Eine Paartherapie, eine Paarberatung, ein Paarcoaching oder ein Beziehungskompetenzentraining?

Nähern wir uns einer Antwort über einen der Begriffe. Das Wort Therapie kommt aus dem Griechischen (therapeía) und bedeutet: Pflege, Förderung, Hege, Heilung und auch Dienen. In diesem Begriff zeigt sich die umfassende Perspektive der antiken Medizin im Sinne des Heilens und Förderns des Menschen. Zum Handeln des Arztes gehörte, über eine „reparative Wiederherstellung“ – bezogen auf den aktuellen Anlass – hinaus, die Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten des Einzelnen. Apollon war nicht nur der Gott der Heilkunst, sondern auch ein Erzieher der Menschen, und die Ärzte verstanden ihr Tun als umfassende Menschenbildung. Durch pädagogische Führung erreichten sie die rechte Lebensweise.

Hippokrates, dessen Eid noch heute die Ärzte sprechen, gab als Richtschnur: „Es ist wohlgetan, die Gesunden zu führen“ und: „Man muss das philosophische Wissen in die Heilkunst, und die Heilkunst in die Lebenskunst einführen“ (zitiert nach Petzold 1990, S. 216). In diesem Sinne ist der Arzt immer auch Pädagoge, und der Therapeut ist immer auch Lehrer (Schipperges 1986). Als solcher bringt er den Menschen auf den Weg zur „rechten Lebensführung“, begleitet den Kranken auf dem Weg zur Besserung und stellt sich dem unaufhaltbaren Niedergang entgegen. Er wirkt darauf hin, dass, ganz im Sinne Apollons (Paracelsus), die Krankheit wie der Lebensweg einen guten Verlauf nehmen (Petzold 1990). Damit wird die Nähe zu Konzepten der Gesundheitsförderung, also der Salutogenese im Sinne der Theorie von Aaron Antonovsky (Magistretti 2019), deutlich. Dem Pathologischen wird nur begrenzt Aufmerksamkeit geschenkt. In dem Moment, wo die Ratsuchenden nicht mehr ihre Kraft in die Aufrechterhaltung ihrer Störungen setzen müssen – sie konnten integrieren, dass diese Kraft einmal in Kindertagen überlebenswichtig war (Klees 2018) –, steht sie jetzt für die Entwicklung des Einzelnen zur Verfügung. Statt vor sich „hin zu welken“ erhält der Mensch die Möglichkeit, aufzublühen („Flourishing“) zu einem erfüllten Leben (Keyes 2007). Dadurch verändert sich auch die therapeutische Haltung: Der Therapeut wird zum Schatzsucher, der anstrebt, verschüttete Ressourcen zu heben und zu stärken. 

Zu einer Paartherapie kommen nicht nur zwei Einzelpersonen, sondern zwei Menschen, die miteinander verbunden sind. Da ist etwas spezifisch „zwischen ihnen“, das sie zum Paar macht. „Jenseits des Subjektiven, diesseits des Objektiven, auf dem schmalen Grat, darauf Ich und Du sich begegnen, ist das Reich des Zwischen“ (Buber 1962, S. 406). „Wenn sich zwei Einzelwesen begegnen, entsteht etwas Neues, das beiden gemeinsam ist, jedoch über die besondere Sphäre beider hinausreicht. Dieses Neue ist die grundlegende Wirklichkeit, die Sphäre des Zwischen, die wirkliche tatsächliche Beziehung“ (Helg 1992, S. 216). Und so wird dieses „Zwischen-ihnen“, ihre Zwischenleiblichkeit, zum eigentlichen Thema der Therapie. Diese gilt es im oben genannten Sinne einer umfassenden Gesundheitsförderung, einer Salutogenese (Antonovsky 1997), zu erreichen. Deshalb – und damit zurück zur Eingangsfrage dieses Abschnitts – verwende ich im Folgenden den Begriff Paartherapie und spreche von (Paar-)Therapeut*innen. 

Den Namen „Partnerschule“ gibt es seit 2000. Klient*innen fällt es leichter, sich als Lernende in Sachen Beziehung, Ehe und Partnerschaft zu sehen anstatt als „Therapiebedürftige“. Immer noch fällt es nicht gerade wenigen Menschen schwer, im Bekannten- oder Freundeskreis davon zu erzählen, sie hätten eine Eheberatung „nötig“. Wie anders wirkt im Vergleich der Begriff Partnerschule! Die Partner*innen erzählen bereitwillig im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz von ihren Erfahrungen, lassen sich auf der Website abbilden, und vor allen Dingen machen sie Freunde und Bekannte, die Unterstützung brauchen, gerne auf diese Möglichkeit aufmerksam.

Doch wie verhält es sich mit den anderen eingangs genannten Begriffen, z. B. mit Coaching? Laut Roth & Ryba (2016, S. 79) sind beide Dienstleistungen, Psychotherapie und Coaching, zwei Pole eines Kontinuums, mit einem Überschneidungsbereich, der viel größer ist, als bisher angenommen. Oder pointiert gesagt: „Wer Psychotherapie macht, hat ein Defizit, wer sich coachen lässt, verbessert seine Kompetenzen“ (Grimmer & Neukom 2010, S. 46). Die Partnerschule kann in unterschiedlichsten Settings zum Einsatz kommen, etwa in dem einer Ehe- und Familienberatungsstelle oder als Paarcoaching; mit ausgewählten Elementen auch als Erwachsenenbildungsmaßnahme im Rahmen der Ehebegleitung, präventiv in einem Familienzentrum als „Partnerschule for Beginners“ oder als Ehevorbereitung (Slowik 2018). Deshalb wählen die Anwender*innen die jeweils für sie passende Bezeichnung ihres Berufsstandes. 

1.4 Was brauchen Paare? Was suchen sie? Was fehlt ihnen?

1.4.1 „Ich bin dir ein Anderer“

Die Auseinandersetzung mit frühen traumatischen Kindheitsgeschichten, mit Verletzungen, die die Partner sich gegenseitig ohne böse Absicht zugefügt haben, und das Ausprobieren ganz neuer Wege des Miteinanders beinhalten immer auch Rückfälle und Rückschläge. Von der Therapeutin sind deshalb Wohlwollen und Präsenz gefragt, vor allem aber auch ermutigende Hinweise, was beide gerade miteinander hinbekommen. Die Partner*innen werden so in die Lage versetzt, die Scham zunehmend hinter sich zu lassen und Stolz auf das zu entwickeln, was sie aus ihrem Leben bereits gemacht haben (Fleckenstein 2020). Zudem werden beide immer mehr Lust entwickeln, diesen persönlichen Entwicklungsweg im Angesicht des Anderen weiterzugehen. Durch dessen Anderssein wird es immer mehr möglich, das Eigene zu entdecken, zu entwickeln, zu pflegen und in Konsequenz sich mit berechtigtem Stolz selbst wahrzunehmen.

Der Andere wird immer zu einer Bereicherung – für jeden von uns. Damit ist die systemische Integration des Fremden als Erweiterung unserer Fühl-, Denk- und Handlungsmuster gemeint. Dieses geschieht in einem reflektierten Miteinander- und Andersseins (Shotter 2015, Sanders 2019). Dem Anderen kommt so (deshalb wird das Wort in diesem Buch weitgehend großgeschrieben) eine ganz besondere Bedeutung zu, denn er ist weit mehr als nur der andere Partner. Um diese Einmaligkeit des Anderen immer wieder zu unterstreichen, spielt eine sich wiederholende leibhaftige Erfahrung eine ganz besondere Rolle, die Standübung (siehe 4.1.11).

Jedes Paar hat die Sehnsucht nach Verschmelzung, danach „ein Leib“ zu werden, ganz ineinander aufzugehen. Doch das ist eine Illusion. Denn erst das Wahrnehmen und Anerkennen der Andersheit und Einmaligkeit des Anderen, das Wahrnehmen und Anerkennen der Differenzen, konstituiert den Ort der Grenze, an dem Begegnung möglich wird. Erst Grenzen ermöglichen ein Aufeinandertreffen, ein leibhaftiges Spüren, ohne die Grenze im Letzten jemals aufheben zu können. Das Du bietet eine letzte Grenze, deren Widerständigkeit und dessen Widerhall ein Ich erst ermöglichen. Und nach jedem Verschmelzungserlebnis ist man immer wieder bei sich. Seinen Tod stirbt jeder allein (Sternberger 1981). „Niemand kann mich ersetzen in meinem Tod“ (Lévinas 2012). So bleibt der Andere im Letzten unerreichbar, genauso, wie die eigene Tiefe unauslotbar bleibt. Die Erfüllung liegt in der Bescheidung, sowohl in dem Wunsch, sich des Anderen zu bemächtigen, als auch in dem Hunger nach sich selbst. Das Glück liegt in der Möglichkeit der Annäherung und Nähe. Ohne Beschränkung und Selbstbeschränkung werden diese nicht möglich (Petzold 1996).

Das Anderssein des Anderen stellt (oft) eine große Herausforderung dar. Jemand musste vielleicht in der Kindheit lernen, sich möglichst anzupassen (in der Hoffnung, dafür geliebt zu werden) und auf eine eigene Meinung, einen eigenen Standpunkt besser zu verzichten. Jetzt, in einer nahen Beziehung, wiederholt sich die alte Szene (Lorenzer 1983). Vielleicht spürt er: So nett ich auch zu ihr bin, so sehr ich mich darum bemühe, sie glücklich zu machen, das alles führt nicht dazu, dass sie zufrieden ist und mich liebt. Sie ist einfach „irgendwie“ unzufrieden und unglücklich, und ich weiß nicht, warum eigentlich.

Die Andere braucht den Anderen, um Grenzerfahrungen zu machen, um sich selbst spüren zu können. Wenn Sie, liebe Leserin, beim Lesen dieser Zeilen einmal die Sitzfläche spüren, auf der Sie sitzen, oder die Lehne im Rücken, dann spüren Sie nicht nur die Sitzfläche oder die Lehne, sondern Sie spüren auch immer sich selbst, etwa Ihre Schulterblätter oder die beiden Sitzhöcker. Und das Gleiche gilt für jede authentische Beziehung auf Augenhöhe. Erst an der Grenze des Anderen – Schellenbaum (2006) spricht vom „Nein in der Liebe“ – hat man die Möglichkeit, sich selbst zu erfahren und weiterzuentwickeln. Selbstverwirklichung braucht den Wunsch nach Abgrenzung; nur so wird ein offenes und ehrliches Ja zum Partner möglich.

1.4.2 Nähe, Sicherheit, Verbindung und Entwicklung

Beobachten wir die Entwicklung kleiner Kinder, so fällt auf: Immer wieder suchen sie Kontakt zur Mutter bzw. zum Vater, um sich zu vergewissern „Bist du da, wenn ich dich brauche, wenn ich mich vielleicht verletze, wenn ich bei der Lösung eines Problems nicht weiterweiß oder wenn ich einfach zum Ausruhen deine Wärme und Nähe spüren will?“ Die Versicherung, dass das so ist, geschieht durch Blickkontakt, durch den Klang einer ermutigenden Stimme und durch Präsenz, die nicht immer wieder durch einen Blick aufs Smartphone blockiert ist (Spitzer 2018). Diese Gewissheit, Mutter oder Vater immer als sicheren Hafen zu haben (und wenn wir älter werden, auch andere Menschen), brauchen wir für unsere Entwicklung (Becker-Stoll et al. 2018). Die Sicherheit einer zuverlässigen Bindungsbeziehung ermöglicht die Exploration, die Erkundung dieser Welt, um die Potenziale zu entdecken und zu entfalten, die in jedem Menschen stecken.

Bereits in den Monaten der Schwangerschaft, in denen sich jeder Mensch sicher durch eine Nabelschnur verbunden weiß, wird diese Sicherheit angelegt. Im Leibgedächtnis speichert sich das Eingebundensein in eine berechenbare und zuverlässige Umwelt innerhalb des Mutterleibs als eine tief verankerte Erfahrung ein: Die Verbindung zur Mutter über die Nabelschnur ermöglicht es, nach und nach zu wachsen und sich zu entwickeln. Diese Erfahrung des Wachstums durch Verbundenheit zu einem anderen Menschen ist in uns verleiblicht, sodass sie auch unser weiteres Leben bestimmt. Sie ist die Voraussetzung für jede Entwicklung im weiteren Leben.

Wir brauchen die Bindung an einen Menschen, um Vertrauen in unsere (Selbst-)Entwicklung zu gewinnen. Dieser Entwicklungsprozess geht bis zum Lebensende und findet seine Vollendung im Tod. Martin Buber, der große jüdische Philosoph, drückt dieses folgendermaßen aus: Am Du zum Ich werden. Deshalb erweist sich eine feste, stabile und glückliche Partnerschaft als einer der besten Prädikatoren für Lebenszufriedenheit, Glück, Wohlbefinden und Gesundheit. Der Wunsch, dass nahe Beziehungen gelingen, ist tief verleiblicht, und die meisten Menschen wünschen sich deshalb eine glückliche, harmonische und vor allem langfristige Partnerschaft (Bodenmann 2016).

Zu diesem Ergebnis kommt auch der Soziologe Müller-Schneider (2019). In einer biokulturellen Analyse der spätmodernen Paargesellschaft weist er nach, dass in einer Welt von nahezu unbegrenzten Möglichkeiten nach wie vor und mit großem Abstand die exklusive und dauerhafte Paarbeziehung zwischen Mann und Frau überwiegt. „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die empirischen Befunde in ihrer Eindeutigkeit kaum zu überbieten sind. Das alltägliche Liebesleben folgt in westlichen Gesellschaften – so irritierend das in unseren spätmodernen Zeiten wirken mag – klar dem konventionellen Muster. Das heißt nicht, dass es keine Neuerungen gegeben hätte, sie verändern aber nicht das Gesamtbild, sondern bekräftigen es zum Teil sogar. Das heutige Liebesleben findet ganz überwiegend in einer festen und sexuell exklusiven Beziehung statt. Die meisten Menschen streben diese als ideale Beziehungsform an. Untreue ist nicht nur recht selten, sie wird heute sogar noch strenger bewertet als vor wenigen Jahrzehnten“ (Müller-Scheider 2019, S. 33).

Menschen, die sich mit einer existenziellen Bedrohung ihrer Partnerschaft konfrontiert sehen, reagieren sehr häufig mit Aggressivität (Beer 2006). Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt „hochstrittige Paare“, so lässt sich vielleicht ein ganz anderer Ansatzpunkt der Arbeit mit ihnen finden, indem man Aggression immer als in den Diensten des Strebens nach Anerkennung, Beziehung, Kooperation und sozialer Zugehörigkeit stehend betrachtet (Bauer 2009). Dieser Ansatz bedeutet: Paaren wird die Möglichkeit eröffnet, anstelle von Kampf und Rosenkrieg in einem gemeinsamen Entwicklungsweg genau die Erfahrungen zu machen, die sie sich eigentlich wünschen. Der Schlüssel dazu ist Vertrauen, zunächst zum Therapeuten und dann immer mehr zum Partner / zur Partnerin.

John Gottman, einer der bedeutendsten Forscher zum Thema Interaktion von Paaren in Langzeitbeziehungen, bezeichnet Vertrauen als Gegenmittel zu Destruktion (Gottman & Silver 2014). Für Gottman ist Vertrauen nichts Undefinierbares, sondern etwas, das zwischen zwei Menschen wächst. „Es ist ein ganz bestimmter Zustand, in dem beide Seiten bereit sind, zum Wohl des Partners das eigene Verhalten zu ändern. Je mehr Vertrauen in einer Beziehung vorhanden ist, umso mehr achtet man aufeinander und findet Rückhalt im Partner. In einer vertrauensvollen Beziehung freut man sich über den Erfolg des anderen und macht sich Sorgen, wenn er in Schwierigkeiten steckt“ (a. a. O., S. 26). Vertrauenswürdige Partner geben einander zu verstehen, dass sie und die Beziehung einzigartig und nicht ersetzbar sind.

1.4.3 Wie sich Paare daran hindern, das zu bekommen, was sie suchen und brauchen

Wer eine Beratung aufsucht und dort von der Therapeutin kein herzliches Willkommen spürt (im Unterschied zu fühlen bedeutet spüren, eine leiblich prägnante Erfahrung zu machen), wird kaum persönliche Entwicklungsprozesse durchlaufen. Das hängt mit unserem Autonomen Nervensystem (ANS) zusammen, dessen Rolle für die psychische Verfasstheit und wie wir diese erleben von der Polyvagal-Theorie beschrieben wird (Porges 2010).

Das ANS ist die grundlegende neuronale Plattform für alles, was wir erleben. Ob wir uns jemandem zuwenden oder ob wir uns abwenden, wird substanziell vom ANS beeinflusst. In jeder unserer Beziehungen lernt das ANS etwas über die Welt, und infolgedessen entwickelt es Gewohnheiten der Verbundenheit oder der Schutzsuche. Die Reaktion des ANS auf Signale für Sicherheit, Gefahr und Lebensgefahr bezeichnet man als Neurozeption. Das sind Signale, die aus dem eigenen Körper kommen, aus der Umgebung oder die durch Kontakte mit anderen Menschen hervorgerufen werden. Wir haben es hier mit einem „Erkennen ohne Gewahrsein“ zu tun, das unterhalb der Bewusstseinsschwelle stattfindet, und es äußert sich ein Bedürfnis, das zwingend erfüllt sein muss, um das Leben zu erhalten. Hier wird deutlich, dass mit dem Begriff Ökologie weit mehr verbunden ist als umweltschonendes Verhalten. Wir Menschen sind eingebunden in eine Mitwelt von Menschen und Tieren, von Natur und allem Unbelebten. Wir können gar nicht anders, als permanent zu spüren, ob es uns hier in diesem Kontext gut geht oder nicht. Je nachdem, wie ein Mensch mit sich selbst im Kontakt ist, kann er spüren und die Signale richtig interpretieren sowie sein bewusstes Handeln danach ausrichten. Im Sinne des eigenen Überlebens, sozusagen als biologischer Imperativ, können wir eigentlich gar nicht anders, was mit dem Begriff der Co-Regulation bezeichnet wird. Angesichts der Umweltzerstörung durch den Menschen kommen einem allerdings auch Zweifel.

Eine zentrale Rolle für Vertrauen, Wohlgefühl und Beruhigung spielt der Vagusnerv (Breit, Kupferberg et al. 2018), der sich in zahlreichen Windungen durch den gesamten Körper zieht. Er löst Reaktionen aus, die uns zeigen, wie es uns wirklich geht, auch wenn wir das selbst gar nicht wollen. Für den Speichel z. B., der uns vor Appetit im Mund zusammenläuft oder für den vor Schreck trockenen Mund ist der Vagusnerv verantwortlich (Hassler 2019, S. 18). 

Aufgrund der reziproken Regulation unserer autonomen Zustände spüren wir, ob wir sicher genug sind, um uns auf Verbundenheit, auf eine vertrauensvolle Beziehung zu einem anderen Menschen einzulassen. Wird diese Sicherheit nicht gespürt, reagiert das ANS mit Kampf, Flucht oder Immobilisation (Dana 2019). Jeder Mensch hat seine ganz eigene Fähigkeit zu spüren. Im Miteinander entsteht daraus das Dazwischen zweier Persönlichkeiten, die Zwischenleiblichkeit. Diese generiert sich immer wieder neu durch die aktuelle Verfasstheit des Einzelnen.

Gottman & Silver (2014, S. 54) bezeichnen solche Situationen als „Mausefalle für Liebende“: Mindestens einer von beiden Partnern nimmt einen (tatsächlichen oder vermeintlichen) Angriff wahr oder verharrt in negativen Gedanken und Gefühlen. Auch wenn es de facto keinen Angriff gab, kommt es zu einer Überflutung mit einem wirkmächtigen Cocktail von Hormonen. Unterhalb der Bewusstseinsebene führt er dazu, dass die Pulsfrequenz und der Blutdruck steigen. Es kommt zu weiteren körperlichen Reaktionen wie Schweißbildung und spürbarem Stress. Das ANS versetzt damit den Betroffenen in die Lage, einen Angriff abzuwehren oder selbst anzugreifen. Gleichzeitig setzt das rationale Denken aus, und die visuelle und akustische Sinnesleistung steigern sich in der Suche nach potenziellen Warnsignalen und Fluchtwegen. Verbunden mit dem sogenannten Tunnelblick befindet sich der Mensch auf einer archaischen Verhaltensstufe. Seine Fähigkeit zuzuhören, Probleme zu lösen oder die Emotionen des Anderen überhaupt zu verstehen ist nicht mehr vorhanden. Keine noch so liebevolle Botschaft erreicht ihn.

Im Folgenden möchte ich Impulse betrachten, die Partner*innen daran hindern können, sich Nähe, Geborgenheit, persönliche Weiterentwicklung und Exploration in ihrer Zwischenleiblichkeit zu ermöglichen. Alle Paare haben bereits die Erfahrung ihrer Verbundenheit gemacht, sonst hätten sie nicht zueinander gefunden. Wie jeder einzelne Organismus ist auch ein Paarsystem in einem permanenten Wachstums- und Entwicklungsprozess. Manchmal ist dieser so heftig, dass es zu Kampf-, Flucht- oder Immobilisationsreaktionen kommt und es anscheinend keinen Zugang zur Co-Regulation mehr gibt (s. o.). Nicht selten wird dann die Beziehung beendet, es wird aber nicht der Sinn des Chaos ergründet. Eine Trennung wird so zur „Lösung erster Ordnung“, mit der großen Wahrscheinlichkeit, dass in einer neuen Beziehung alte Muster wiederholt werden.