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Die Anthologie 'Die phantastische Welt der Literatur: 90+ Romane, Märchen & Zauberhafte Geschichten' vereint eine beeindruckende Sammlung von Werken, die die reiche Tradition der phantastischen Literatur durchziehen. Mit Beiträgen von Meistern wie Lewis Carroll, Oscar Wilde und den Brüdern Grimm, bietet diese Sammlung eine breite Palette literarischer Stile, von tiefgründigen Märchen bis hin zu komplexen Romanen. Diese Anthologie spiegelt die evolutionäre Entwicklung phantastischer Erzählungen wider und hebt deren anhaltende Relevanz in der Weltliteratur hervor, indem sie klassische Elemente mit zeitlosen Fragen der Menschheit verwebt. Die Autoren und Herausgeber dieser Sammlung repräsentieren entscheidende Stimmen der europäischen Literatur. Persönlichkeiten wie Charles Dickens und Hans Christian Andersen tragen durch ihre unverwechselbare kulturhistorische Bedeutung und literarische Vormachtstellung zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit Märchen und phantastischen Geschichten bei. Die in dieser Anthologie vertretenen literarischen Bewegungen reichen von der Romantik bis zum Symbolismus, und ihre Werke reflektieren oft soziale und ethische Fragestellungen ihrer Zeit, die durch phantastische Elemente veranschaulicht werden. 'Die phantastische Welt der Literatur' ist eine unerlässliche Sammlung für Leser, die sich für die Vielschichtigkeit phantastischer Narrative interessieren. Die Anthologie bietet eine einzigartige Gelegenheit, diverse literarische Techniken und Themenwelten innerhalb eines Bandes zu erkunden und fördert den Dialog zwischen den verschiedenen Erzählungen. Sie ist besonders empfehlenswert für literarische Entdecker und jene, die in die tiefen und vielfältigen Gewässer der phantastischen Literatur eintauchen möchten.
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Books
Rittersinn, Zauberei und Liebe bilden den Inhalt und den Geist jener schönen alten Romane, welche den größten deutschen Dichtern der schwäbischen Zeit und etwas später auch den italienischen den Stoff zu ihren herrlichen Ritterliedern gaben.
Die erfindungsreichsten und bedeutendsten unter diesen alten Romanen sind wohl überhaupt diejenigen, welche sich auf die Tafelrunde und den König Artus beziehen; und unter diesen ist wiederum nicht leicht einer wunderbarer und eigentümlicher als der vom Zauberer Merlin.
Die gegenwärtige deutsche Bearbeitung dieser Dichtung ist aus den besten französischen Quellen auf der Pariser Bibliothek in den Jahren 1803 und 1804 gezogen worden.
Friedrich Schlegel
Der böse Feind war voller Zorn, als Jesus Christus zur Hölle hinabgestiegen war und Adam und Eva daraus erlöste, samt allen, die mit ihnen in der Hölle waren. »Wer ist dieser Mensch«, sagten die Teufel voller Furcht, »welcher die Pforten der Hölle zerbricht, und dessen Macht wir nicht widerstehen können? Hätten wir doch niemals geglaubt, daß ein Mensch, vom Weibe geboren, nicht uns angehören sollte, und dieser da zerstört unser Reich. Wie kommt es wohl, daß er geboren werden konnte, ohne daß wir ihn versündigten, so wie es den andern Menschen geschieht?« Da antwortete ein andrer: »Er ist ohne Sünde geboren und nicht aus des Mannes Samen, sondern nach dem Willen Gottes durch seinen heiligen Geist im Jungfrauen-Leib. Darum wäre es wohl gut, wenn wir Mittel finden möchten, gleichfalls einen Leib in einem Weib zu bilden, der nach unserm Ebenbild geformt sei, der nach unserm Willen täte, und alle geschehenen Dinge und alles, was geschieht und gesprochen wird, wüßte so wie wir. Ein solcher könnte uns von großem Nutzen sein. Denn wir müssen darauf sinnen, wie wir wiedergewinnen, was der Welterlöser uns raubte.« Da waren alle Teufel einstimmig und riefen: »Ja, laßt uns Mittel finden, wie einer von uns einen solchen Menschen durch das Weib erzeugen kann.« Da rief einer von ihnen: »Ich habe Gewalt über ein Weib, so daß sie mir gehorcht, und vieles tut, was ich will; auch habe ich die Macht, Menschengestalt anzunehmen. Dieses Weib nun, über welches ich Gewalt habe, wird mir sicherlich Mittel verschaffen, mit einer Jungfrau einen Menschen zu erzeugen.« Es ward also unter ihnen beschlossen, daß dieser darangehen sollte, das Werk auszuführen; aber sie trugen ihm vorher noch auf, daß er ja sorgen solle, daß der Mensch, den er erzeuge, ihnen ähnlich werde und nach ihrem Willen handle.
Der Rat des Satans ging wieder auseinander; der Abgesandte aber eilte, und versäumte keine Zeit, um zu dem Weib zu kommen, über welches er Gewalt hatte.
Es war dies die Frau eines sehr reichen Mannes, der viele Güter besaß, viel Vieh und andre Schätze, von denen manches zu erzählen wäre; er hatte mit dieser Frau drei Töchter und einen Sohn. Satan fand das Weib ganz bereit, alles zu tun, was er verlangte. Er fragte, ob es ein Mittel gäbe, ihren Mann zu betrügen, oder ihn in seine Gewalt zu geben. Das Weib antwortete, das könne nur geschehen, wenn er ihn erzürnte und betrübe. Sie riet ihm deshalb, daß er hinginge und einen Teil seines Viehs umbrächte. Das tat der Teufel sogleich. Als die Hirten die Hälfte der Herden erschlagen sahen, liefen sie zu ihrem Herrn und sagten es ihm an, worüber er sehr erschrak. Als der Böse merkte, daß er schon um die Hälfte seiner Herden so erschrak, ging er in den Stall und tötete in einer Nacht zehn der besten Pferde. Als der reiche Mann das erfuhr, fehlte wenig, daß er rasend wurde; er schrie und tobte und rief: da der Teufel schon so viel geholt habe, gäbe er ihm das übrige alles dazu.
Als Satan dies hörte, war er sehr erfreut und nahm auch alles übrige. Der Mann, der auf einmal sich aller Schätze beraubt sah, betrübte sich so darüber, daß er ganz schwermütig wurde, sich ganz von all den Seinigen entfernt hielt, sich nicht um sie kümmerte und sie nicht um sich leiden mochte, sondern beständig einsam lebte. Der Teufel, der ihn nun so die Menschen hassen sah und wie er alle Gesellschaft floh, war jetzt gewiß, alle Gewalt über ihn zu haben und in seinem Hause schalten und walten zu können. Er ging auch sogleich hin und erwürgte des guten Mannes einzigen schönen Sohn. Darüber wollte der Vater vor Herzeleid und Betrübnis ganz vergehen. Der Teufel ging darauf zur Frau, die er ganz allein fand, und versuchte sie mit der Vorstellung ihres Unglücks dergestalt, daß sie einen Strick nahm und sich daran aufhing. Bald darauf starb der gute Mann, aus Gram über den schrecklichen Tod seiner Frau und seines Sohnes.
Nachdem der Böse dieses vollbracht hatte, überlegte er, wie er die Jungfrauen, die jungen Töchter dieses reichen Mannes, in seine Gewalt bekommen könne; um sie zu betrügen, mußte er erst sich ihnen gefällig bezeigen. Er holte also einen schönen Jüngling, den er schon längst in seiner Gewalt hatte, und brachte ihn zu den Jungfrauen. Der Jüngling brachte es mit lieblichen Reden, mit Hin- und Wiedergehen so weit, daß eine der Jungfrauen sich in ihn verliebte, worüber Satan sehr vergnügt war. Nun ruhte er auch nicht eher, sie mußte dem Jüngling ganz zu eigen werden. Dann ging er hin und entdeckte es der ganzen Welt, damit die Jungfrau zu Schanden werden sollte; denn damals war das Gesetz so: wenn ein Mädchen, das kein öffentliches war, des Umgangs mit einem Manne überführt wurde, so mußte es sterben. Satan brachte es durch Verrat dahin, daß die Richter es erfuhren. Der Jüngling entfloh, und die Jungfrau ward vor Gericht geführt. Die Richter hatten großes Mitleiden mit ihr, um ihres Vaters willen, der ein sehr braver Mann gewesen war. »Wunder!« sagten die Richter, »wie konnte dem armen Mädchen solches Leid widerfahren, es ist ja noch gar nicht lange her, daß ihr Vater, der frömmste Mann im Lande, starb.« Sie wurde verurteilt und lebendig begraben, aber aus Achtung vor ihren Anverwandten geschah es in der Nacht, um Aufsehen zu vermeiden.
So geht es denjenigen, die sich dem Satan einmal ergeben haben.
Es lebte nicht weit von dem Ort, wo die Jungfrauen wohnten, ein Einsiedler, der einen überaus frommen Wandel führte. Als dieser nun die wunderbare Begebenheit erfuhr, daß die eine der Jungfrauen lebendig begraben worden sei, ging er hin zu den anderen Schwestern, um ihnen mit seinem Rat beizustehen. Zuerst fragte er sie, auf welche Weise sie Vater und Mutter und alle Güter verloren hätten. »Das Schicksal«, sagten sie, »hat es so gewollt; wir werden von Gott gehaßt, und er hat uns zu solcher Betrübnis bestimmt.«
»Gott haßt keinen Menschen«, sagte der fromme Einsiedler; »vielmehr geht ihm alles, was Ihr Böses tut, sehr nahe; durch die Einwirkung des Teufels ist Eure Schwester zu solcher Schande verführt worden. Da Ihr aber nichts davon wißt und bis jetzt befreit davon seid, so hütet Euch ferner vor schlechter Gesellschaft und bösen Eingebungen.«
Der fromme Mann gab ihnen darauf noch viele vortreffliche Lehren. Er unterrichtete sie im Glauben, lehrte sie die göttlichen Gebote und die Tugenden des Heilands. Der ältesten Tochter gefielen diese Lehren wohl, und sie nahm sie sehr zu Herzen, gab sich auch große Mühe, alles zu erlernen, und alles das jeden Tag zu tun, was der fromme Einsiedler ihr zu tun gebot.
»Wirst Du«, sagte er zu ihr, »dem Rat immer so folgen, meine Tochter, und pünktlich so tun, wie ich es Dir heiße, so wirst Du zu vielen Ehren und großem Gut kommen; also folge meinem Rat. Komm zu mir, so oft Du über etwas in Zweifel bist oder in Versuchung gerätst, damit ich Dich mit Hilfe Gottes wieder auf den rechten Weg führe. Laß Dich von nichts bestürzt machen, sondern vertraue auf Gott.« Nachdem der fromme Mann die beiden Jungfrauen so gestärkt und unterrichtet hatte, ging er wieder in seine Einsiedelei, schärfte ihnen aber vorher noch einmal ein, daß sie zu ihm kommen und ihn um Rat fragen sollten, so oft ihnen etwas begegnen würde.
Dem Satan war der Zuspruch des frommen Mannes nicht lieb, er fürchtete sehr, die beiden Jungfrauen zu verlieren; sah auch ein, daß er sie nie würde betrügen können, außer mit Hilfe eines anderen von ihm besessenen Weibes. Er kannte eine, die schon oft seinen Willen getan, und deren er ganz mächtig war. Diese schickte er zu den Jungfrauen; sie wandte sich sogleich an die jüngste, denn mit der ältesten zu reden wagte sie nicht, weil sie zu fromm war. Das Weib nahm also die jüngste auf die Seite und fragte sie, wie sie lebte, und wie sie sich mit ihrer Schwester stände. »Meine Schwester«, antwortete das junge Mädchen, »ist über die vielen Begebenheiten, die wir hintereinander erlebt haben, so nachdenklich geworden, daß sie Essen und Trinken vergißt, und weder mir noch andern ein freundliches Gesicht zeigt. Ein guter, frommer Mann hat ihr Gemüt ganz zu Gott gewendet, sie glaubt und tut nichts, als was dieser Mann ihr sagt.«
»Schade,« sagte das Weib darauf, »daß ein so schönes Mädchen wie Du unter einer solchen Vormundschaft steht; denn niemals wirst Du Dich bei Deiner Schwester Deiner Schönheit erfreuen können. Mein süßes Töchterchen«, fuhr sie fort, »wenn Du wüßtest, welche Freude und welches Wohlleben die anderen Frauen genießen, Du würdest alles, was Du bei Deiner Schwester hast, für nichts achten. Trocknes Brot in Gesellschaft von Männern ist angenehmer, als alle Güter der Welt bei Deiner Schwester. Wie kannst Du es nur so allein aushalten; eine Frau, die keinen Mann kennt und mit keinem umgeht, weiß gar nicht, was Freude ist. Ich sage es Dir, schönes Kind, Du wirst niemals die Liebe eines Mannes genießen, Deine Schwester wird sie eher genießen als Du, denn sie ist die älteste und wird heiraten; dann wird sie sich aber gar nicht mehr um Dich bekümmern, und Du wirst die Freuden Deines schönen Leibes nicht kennen lernen.« Diese Reden machten das junge Mädchen ganz nachdenklich.
»Wie dürfte ich das wohl tun«, fing sie wieder an, »man würde mich lebendig begraben, wie meine Schwester.« – »Deine Schwester«, sagte das Weib, »war eine Törin und hat es sehr übel angefangen; wenn Du mir folgen willst, sollst Du alle Lust Deines Leibes genießen, und kein Mensch soll Dir etwas anhaben können.« – »Jetzt darf ich nicht länger mit Euch reden«, sagte das junge Mädchen, »meine Schwester möchte es gewahr werden; entfernt Euch jetzt, und kommt einen andern Tag wieder.« Das Weib ging fort, und Satan freute sich des guten Anfangs.
Als das Mädchen nun allein geblieben war, überlegte sie unaufhörlich die Reden des Weibes und sprach immer mit sich selber davon. Dadurch wuchs die Lüsternheit, die der Teufel durch jene Reden in ihr entzündet hatte, in ihr immer mehr, so daß als sie des Abends ihre Kleider abgelegt hatte, sie ihren schönen Leib betrachtete und sich dessen freute. »In Wahrheit«, sagte sie, »die kluge Frau hat Recht, ich wäre ohne den Genuß eines Mannes ganz verloren.« Sie ließ bald darauf jenes Weib wieder zu sich rufen und fragte sie, wie sie es machen müßte, einen Mann zu lieben, und nicht verraten und getötet zu werden, wie ihre Schwester. »Du brauchst nur«, sagte jene, »Dich einem jeden öffentlich hingeben. Fliehe wie erzürnt hier aus dem Hause und sage, daß Du es nicht länger mit Deiner Schwester zusammen aushalten kannst; nachher kannst Du tun, was Dir gefällt, und niemand darf Dich vor Gericht fordern oder Dich verurteilen. Wenn Du dann einst des wilden Lebens müde bist, kannst Du immer noch einen Mann finden, der Dich heiratet, um Deiner vielen Reichtümer willen; so wirst Du aller Freuden dieser Welt froh.«
Die Jungfrau folgte wirklich dem verderblichen Rat des verfluchten Weibes, entfloh aus dem Hause ihrer Schwester, und gab sich öffentlich jedem preis.
So sehr der böse Feind sich freute, diesen Anschlag gelungen zu sehen, so sehr entsetzte sich die Schwester des Mädchens darüber. Es fehlte wenig, so wäre sie aus Betrübnis wahnsinnig geworden; und sogleich machte sie sich auf den Weg und lief zu dem Einsiedler. Als dieser sie ankommen sah, ging er ihr entgegen und sagte: »Mache ein Kreuz, meine Tochter, und empfiehl Dich Gott; ich sehe, Du bist sehr niedergeschlagen.« – »Ich habe wohl Ursache dazu«, sagte jene, und erzählte ihm, wie ihre Schwester entflohen sei und sich, wie man ihr gesagt, der Schande öffentlich preisgegeben. Der fromme Mann war sehr betrübt über diese Nachricht und sagte: »Noch ist der böse Feind um Dich her und wird auch nicht sobald aufhören, Dich zu verfolgen, um Dich in seinen Schlingen zu fangen, wenn Gott Dich nicht in seine besondere Obhut nimmt. Ich bitte Dich also und befehle Dir, daß Du Dich nicht dem Zorn und der Traurigkeit überläßt, denn über niemand hat der Böse mehr Macht als über die, die sich solchen Leidenschaften hingeben. Komm zu mir, sobald Dir ein Hindernis oder etwas Verderbliches in den Weg gelegt wird. Mache jeden Tag, ehe Du etwas issest oder trinkst, das Zeichen des Kreuzes an Dir; laß stets da, wo Du schläfst, ein Licht brennen, denn der Böse scheut das Licht.«
Nach diesen Lehren des frommen Mannes ging die Jungfrau wieder nach Hause. Viele Leute aus der Stadt besuchten sie und rieten ihr, sich zu verheiraten, damit sie nicht so allein und in Traurigkeit versenkt bliebe. Sie antwortete ihnen aber jedesmal: »Gott wird mir gewiß nichts anders zuschicken, als was mir gut ist.« Mehr als zwei Jahre lang blieb die Jungfrau in ihres Vaters Hause und führte ein sehr gottesfürchtiges frommes Leben. Der Böse konnte durchaus keine Gewalt über sie haben, weder in Gedanken noch in Werken; er suchte beständig sie zu erzürnen, damit sie im Zorn die Befehle des frommen Mannes vergessen möchte. Zu dem Zweck führte er eine Nacht ihre entlaufene Schwester wieder zu ihr, damit sie sich über sie erzürnen möchte; und gleich nach der Schwester schickte er einen Haufen junger Burschen ins Haus, die ihr nachliefen.
Als die Jungfrau dies erblickte, erschrak sie sehr und sagte zu ihrer Schwester: »So lange Du eine solche Lebensart führst, solltest Du nicht zu mir ins Haus kommen, denn Du bist Schuld, daß ich in üblen Ruf komme.« Jene, als sie hörte, daß ihre Schwester ihrem üblen Ruf die Schuld gab, ward ergrimmt und erhitzt und redete wie eine, die vom Teufel besessen ist; sie drohte ihrer Schwester und warf ihr vor, sie liebe den frommen Einsiedler mit weltlicher Liebe, und sie würde hingerichtet werden, wenn die Leute es wüßten. Die Jungfrau ward hoch erzürnt über diesen Vorwurf und befahl ihr, aus dem Hause zu gehen. Jene erwiderte aber, sie hätte zu dem Hause so viel Recht wie sie, und wollte nicht hinausgehen. Die Jungfrau wollte sie bei den Schultern hinaus stoßen, aber sie und die jungen Burschen, die mit ihr waren, wehrten sich und schlugen die arme, erzürnte Jungfrau. Sie entfloh ihnen endlich und schloß sich in ihr Zimmer ein; in ihren Kleidern warf sie sich aufs Bette, weinte sehr und vergaß in ihrer Betrübnis, das Zeichen des Kreuzes über sich zu machen, so wie ihr der fromme Mann befohlen hatte. Der Böse wachte neben ihr, und als er sah, daß sie sich selbst vergessen, dachte er: Nun ist es Zeit, daß wir den Menschen in ihr erschaffen, denn sie steht jetzt nicht in Gottes Obhut.
Darauf legte der Teufel sich zu ihr, und sie empfing, vergraben im festen Schlafe. Gleich nachher erwachte sie, und ihr erster Gedanke war an den frommen Einsiedler; sogleich machte sie das Zeichen des Kreuzes über sich. »Heilige Jungfrau Maria«, betete sie, »wie ist mir geschehen? Ich fühle mich entehrt! Selige Mutter Gottes, bitte Deinen glorreichen Sohn für mich, daß er meine Seele vor Verdammnis bewahre, meinen Leib vor Qualen, und mich schütze gegen die Macht des Bösen.« Nachdem sie so gebetet hatte, stand sie auf von ihrem Bett, und sann herum auf alle ihre Bekannte und suchte zu erraten, welcher Mensch ihr solches wohl möchte getan haben. Sie lief und untersuchte die Tür, fand sie aber dicht verschlossen, so wie sie selbst sie verschlossen hatte, ehe sie sich niederlegte; suchte auch allenthalben in ihrer Kammer herum, ohne etwas zu finden. Da ward sie es gewahr, daß sie vom bösen Feind überlistet und entehrt sei; warf sich sofort auf ihre Knie und betete lang und inbrünstig zu Gott, daß er sie in seinen Schutz nehmen und sie vor Schande bewahren möge. Als der Tag anbrach, führte der böse Feind die Schwester samt den jungen Leuten wieder zum Hause hinaus; da stand sie auf vom Gebet, öffnete ihre Kammer und überließ sich ganz ihrem übermäßigen Schmerz. Darauf ließ sie durch ihren Diener zwei ehrbare Frauen holen, und von diesen begleitet, ging sie sogleich zu ihrem Einsiedler, um zu beichten. Und wie der fromme Mann sie so voller Leid sah und sie darum befragte, erzählte sie ihm alles, was ihr in dieser Nacht geschehen war; gestand auch ein, daß sie im Zorn seinen Befehl vergessen, und wie sie dann im Schlafe sich entehrt gefühlt habe, ohne einen Mann zu kennen, von dem sie dies vermuten könne, da ihre Tür fest verschlossen gewesen und sie niemand in der Kammer gefunden habe.
Der fromme Mann glaubte ihr erst nicht und beschuldigte sie der Lüge; da sie aber fest auf allem bestand und große Betrübnis zeigte, legte er ihr eine strenge Buße auf, weil sie seinen Befehl vergessen hatte. Die nahm sie weinend an und versprach sie lebenslänglich zu halten; die Buße nämlich, so lange sie lebe, nur einmal am Tag zu essen. Nachdem sie dies gewiß zu halten versprochen, segnete er sie und betete über sie, sagte ihr auch, daß sie jedesmal wieder zu ihm kommen solle, wenn sie seines Trostes bedürfe. Sie ging nach Hause und der böse Geist fand sich zu seinem Verdruß durch ihre Reinheit und Frömmigkeit getäuscht, denn obgleich er sie im Schlafe betrogen, konnte er ihre Seele dennoch nicht verderben und hatte nicht im geringsten Gewalt über sie.
Nach einiger Zeit wuchs das Kind im Leibe der Jungfrau, und ihre Schwangerschaft wurde sichtbar vor den Augen aller Menschen. Es kamen dann viele Leute zu ihr und fragten sie, da sie ihren Zustand nicht leugnen konnte, wer der Mann sei. »So gebe Gott mir Freude«, antwortete sie, »ich weiß es nicht, von wem ich das Kind habe.« Da verspotteten sie sie, und sagten mit Gelächter: »Also hattest Du mit so vielen Männern zu schaffen, daß Du den Vater Deines Kindes nicht kennst?« – »Niemals«, antwortete sie, »mag ich erlöst werden, wenn ich jemals einen Mann gekannt oder ein Mann meines Willens oder Wissens mit mir zu schaffen gehabt!«
Da machten die anwesenden Frauen das Zeichen des Kreuzes. »Dies ist nicht möglich«, sagten sie, »dies geschieht keiner Frau. Vielmehr denken wir, Du liebst den Mann, der Dich verführte, mehr als Dich selbst, und willst ihn nicht anklagen. Sehr schade ist es um Dich; wenn die Richter es erfahren, so mußt du sterben.« Die Jungfrau wiederholte noch einmal, daß sie von keinem Manne wisse. Die Weiber entfernten sich, erklärten sie für wahnsinnig und meinten, die Reichtümer des Vaters müßten ein übel erworbenes Gut sein, weil nun alles so verloren gehe, und es an den Kindern gestraft werde. Die Jungfrau war sehr erschrocken, ging sogleich wieder zu dem Einsiedler und erzählte ihm alles das, was die Leute zu ihr gesagt hatten. Da der fromme Mann sie wirklich schwangeren Leibes sah, konnte er sein Erstaunen nicht verbergen, fragte sie auch, ob seitdem dieses Wunderbare sich nicht wieder ereignet, und ob sie ihre Buße und seine übrigen Befehle ordentlich gehalten habe. Das erste verneinte sie, auf das letzte aber antwortete sie mit Ja.
Der fromme Einsiedler, über dieses Wunder ganz erstaunt, schrieb Nacht und Stunde auf, wo sie zuerst ihm davon gebeichtet. »Jetzt«, sagte er, »werde ich es genau wissen, ob Du mir Lügen sagtest oder nicht; denn ich vertraue auf Gott und glaube, daß er Dich, wofern Du Wahrheit redetest, nicht wird sterben lassen; aber die Furcht vor dem Tode wirst Du doch ausstehen müssen. Denn sie werden sagen, daß die Strafe Dir von Rechtswegen zukomme; aber eigentlich werden sie Dich um Deines großen Reichtums willen gern umbringen wollen. Sobald Du aber ins Gefängnis gesetzt wirst, laß es mich wissen; ich will Dir, wo möglich, zu Hilfe kommen.«
Die Jungfrau wurde wirklich bald hernach vor die Richter gefordert, und alsbald sandte sie nach dem Einsiedler, der sich sogleich auf den Weg zu ihr machte. Als er aber ankam, stand sie schon vor Gericht. Sobald die Richter den frommen Mann erblickten, erzählten sie ihm die Begebenheit und fragten ihn, ob er wohl glaube, daß ein Weib empfangen könne, ohne mit einem Manne Umgang zu pflegen. »Ich weiß Euch hierüber nichts zu sagen«, antwortete er; »aber mein Rat ist, daß Ihr sie nicht während ihrer Schwangerschaft hinrichtet, denn es ist weder recht noch billig, daß das Kind mit bestraft werde, da es doch nicht gesündigt hat.« Diesen Worten beschlossen die Richter zu folgen. Er riet ihnen auch, sie in einen festgeschlossenen Turm zu bringen und ihr zwei Weiber mitzugeben, die ihr in der Stunde der Geburt hülfen; aber kein anderer Mensch dürfe zu ihr gelassen werden. Er riet ihnen ferner, die Mutter leben zu lassen, bis das Kind reden könne; »alsdann«, sagte er, »werdet Ihr die Wahrheit erfahren und sie nach der Gerechtigkeit richten können.« Die Richter taten alles nach dem Rat des frommen Einsiedlers, gaben ihr zwei Frauen mit in den Turm, die geschicktesten und verständigsten Hebammen und Wärterinnen zu der Zeit; oben im Turm ward ein Fenster gemacht, durch welches man ihnen alles, wessen sie benötigten, reichen konnte.
Ehe die Jungfrau hineingeführt wurde, sagte ihr der Einsiedler: »Meine Tochter, laß Dein Kind taufen, wenn Du niedergekommen bist; und sollten sie Dich hinrichten wollen, so sende nach mir und laß mich rufen.«
Als nun die Zeit der Geburt gekommen war, gebar sie einen Sohn, der die Macht und den Willen des bösen Feindes, seines Erzeugers, haben sollte; aber Satan hatte töricht sich betrogen, indem er die Jungfrau im Schlaf betrog, aber ihre Seele nicht verführte, die ganz des Herrn voll war. Auch war sie gleich, nachdem sie aufwachte, aufgestanden, hatte andächtig gebetet und sich der Dreieinigkeit empfohlen; war dann, so schnell sie konnte, zu dem frommen Mann gelaufen, hatte gebeichtet, Gott und die heilige Kirche angerufen, und Buße und Absolution empfangen; seitdem auch Gottes und der Kirche Gebote auf das treulichste befolgt. Daher kam es, daß der böse Feind wieder verlor, was er erobert zu haben glaubte.
Das Kind der Jungfrau ähnelte darin seinem Erzeuger, dem Teufel, daß es alles wußte, was in der gegenwärtigen Zeit geschah und gesprochen wurde, aber durch die Frömmigkeit der Mutter und vermittelst der Reinigung der Taufe und der Gnade Gottes, erhielt es von Gott die Gabe, die Zukunft vorher zu wissen; so daß das Kind sich Gott oder dem Satan anheim geben konnte, oder auch Gott wiedergeben, was es von ihm hatte, und dem Teufel, was es von dem Teufel hatte. Der Teufel hatte ihm bloß den Körper, Gott aber hatte ihm die Seele und den Verstand gegeben, und zwar diesem Kind mehr als jedem andern, weil es ihm Not tat.
Als er zur Welt kam, fürchteten sich die Frauen vor ihm, denn er war groß und ganz behaart, und niemals hatten sie ein solches Kind zur Welt kommen sehen. Sie überreichten ihn der Mutter, die ein Kreuz machte, als sie seiner ansichtig ward. »Mein Sohn, Du erschreckst mich«, sagte sie. »Auch wir«, sagten die Frauen, »sind so über seinen Anblick erschrocken, daß wir ihn kaum halten können.« Die Mutter befahl, daß man ihn zum Fenster hinunterlasse, damit er getauft würde. »Wie soll er heißen?« fragten die Frauen. »Gebt ihm den Namen, den mein Vater hatte«, antwortete sie, »er hieß Merlin.« Es geschah also; das Kind wurde zum Fenster hinunter gelassen, das Volk nahm ihn, ließ ihn taufen und gab ihm auf Verlangen der Frauen, im Auftrag der Mutter, den Namen Merlin, wie sein Großvater hieß. Darauf wurde er wieder zu seiner Mutter gebracht, denn keine andre Frau würde es gewagt haben, ihn an die Brust zu legen und säugen zu lassen, so sehr fürchteten sich alle vor ihm.
Bis er achtzehn Monate alt war, blieben die Frauen geduldig um die Mutter und leisteten ihr Gesellschaft, mußten sich aber immer mehr über das Kind wundern, das schon im Alter von zwölf Monden so groß und stark war, als wäre es mehr als zwei Jahre alt. Als es aber achtzehn Monate alt war, sagten sie zur Mutter: »Frau, wir wünschten nun wohl von hier weg und zu unsern Freunden und Verwandten zurückzugehen, die uns so lange nicht gesehen haben; uns dünkt, wir hätten nun schon lange genug bei Euch zugebracht.« Die arme Frau fing bitterlich an zu weinen: »O«, sagte sie, »wenn Ihr von mir weggeht, wird man mich hinrichten!« Sie bat die Frauen unter vielen Tränen und Wehklagen, sie doch jetzt noch nicht zu verlassen, und die Frauen traten weinend und die Arme bedauernd in ein Fenster. »Ach mein Sohn«, sagte die Mutter, indem sie ihr Kind auf dem Schoß betrachtete, »ach mein Sohn, um Dich muß ich sterben, und habe doch nicht den Tod verdient; niemand als ich weiß die Wahrheit, aber niemand will mir glauben!« Und als sie so über das Kind weinte und wehklagte, und unsern Heiland anrief, daß er sie stärken möchte, sah das Kind auf einmal sie lächelnd an und sprach zu ihr: »Fürchte Dich nicht, Mutter, Du sollst um meinetwillen nicht sterben.« Die Mutter erschrak so heftig, als sie ihn reden hörte, daß sie ohnmächtig zurücksank und das Kind fallen ließ, das heftig schrie, als es zur Erde fiel.
Die beiden Frauen liefen eilends herzu, und meinten, sie wolle aus Verzweiflung ihr Kind töten. »Warum schreit das Kind?« fragten sie. »Hast Du es töten wollen? Warum liegt es an der Erde?« – »Ich dachte nicht daran, ihm ein Leid zu tun«, sagte die Mutter, als sie aus ihrer Ohnmacht wieder erwachte, »aber ich habe ihn fallen lassen, denn Herz und Arme entsanken mir vor Schrecken über das, was er zu mir gesprochen.« – »Und was«, fragten jene, »hat er Euch gesagt, darüber Ihr so erschrocken seid?« – »Daß ich um seinetwillen nicht sterben würde!« – »Hat er dies wirklich gesagt, so wird er wohl noch mehreres sprechen«, erwiderten die Frauen; nahmen ihn auf den Arm, küßten und herzten ihn und sprachen freundlich zu ihm, um zu sehen, ob er ihnen etwas antworten würde. Aber er blieb ganz still und redete nicht ein Wort. Darauf nahm die Mutter, die nur wünschte, daß er in Gegenwart der Frauen reden möchte, ihn auf den Arm und sagte. »Droht mir einmal, sagt, ich würde um seinetwillen verbrannt werden.« – »Ihr seid doch sehr bejammernswert«, sagten sie, »daß Ihr um des Kindes willen müßt verbrannt werden, wäret Ihr doch lieber niemals geboren!« – »Ihr lügt«, sagte das Kind hierauf; »die Mutter befahl Euch so zu sprechen.« Die Frauen erschraken heftig, als sie ihn so reden hörten; »dies ist nicht ein gewöhnliches Kind«, sagten sie, »es ist ein böser Geist, er weiß alles, was wir gesprochen haben.« Darauf fragten sie ihn vielerlei und machten viel Worte. »Laßt mich in Ruhe«, sagte das Kind. »Ihr seid törichte Weiber und größere Sünderinnen als meine Mutter.« – »Dies Wunder darf nicht verborgen bleiben«, sagten die Frauen, »die Richter müssen es erfahren und die ganze Welt«; sie gingen darauf an das Fenster, riefen die Leute unten am Turm zusammen und erzählten ihnen alles, was das Kind gesprochen hatte. Die Leute liefen zu den Richtern und verkündigten ihnen das Wunder und die seltsamen Dinge, die das Kind geredet, da es doch überhaupt noch nicht in dem Alter war, wo gewöhnlich die Kinder zu reden anfangen. »Es ist Zeit«, sagten die Richter, »daß wir diese Frau hinrichten lassen«; sie ließen allgemein bekannt machen, daß nach vierzig Tagen über diese Frau Gericht gehalten würde.
Als sie dies erfuhr, fürchtete sie sich sehr und ließ es sogleich dem frommen Manne wissen, daß der Tag ihrer Hinrichtung schon festgesetzt sei. Als nun unter Klagen und Leiden der neununddreißigste Tag anbrach, da weinte die unglückliche Frau sehr und war im Herzen betrübt; das Kind aber sah seine Mutter an, war fröhlich und lachte. »Kind, Kind«, sagten die Frauen, »Du denkst wenig an die Leiden Deiner armen Mutter, die morgen um Deinetwillen verbrannt werden soll; verflucht sei die Stunde, in welcher Du geboren wurdest, denn Du bist schuld und die Ursache ihrer Leiden.«
Da lief das Kind zu seiner Mutter hin und sprach: »Höre mich, teure Mutter; ich verspreche Dir, so lange ich lebe, soll kein Mensch so kühn sein dürfen noch irgend ein Gericht so mächtig, daß sie Dich zum Tode verurteilen lassen; in Gottes Hand allein steht Dein Leben.« Die Mutter und die beiden Weiber freuten sich dieser Worte und hatten große Hoffnung zu der Weisheit des Kindes, das schon jetzt seine Mutter tröstete.
Als nun der Tag anbrach, an dem sie hingerichtet werden sollte, begaben die Richter sich an den Turm und ließen die Mutter mit den beiden Frauen zu sich herabkommen. Die Mutter trug das Kind auf ihrem Arm. In diesem Augenblick eilte der fromme Einsiedler herzu. Als die Richter ihn gewahr wurden, sagten sie der Jungfrau, sie solle sich zum Tod vorbereiten, denn sie müsse sterben. »Erlaubt«, sagte sie, »daß ich mit diesem frommen Mann in Geheim spreche.« Die Richter erlaubten es ihr, und sie ging mit ihm in ein besonderes Zimmer, das Kind aber ließ sie draußen bei den Richtern. Sie versuchten allerlei, um es zum Sprechen zu bewegen; aber es kümmerte sich nicht um sie und sprach kein Wort.
Als nun die Mutter dem frommen Einsiedler gebeichtet und unter heißen Tränen mit ihm gebetet hatte, ging er wieder hinaus zu den Richtern; sie aber zog ihre Kleider aus und hüllte sich bloß in einen Mantel, weil sie glaubte, zum Tode geführt zu werden. Darauf ging sie wieder hinaus; als sie die Tür öffnete, lief das Kind auf sie zu, sie nahm es auf den Arm und trat zu den Richtern. »Gute Frau«, sagten die Richter, »jetzt gesteht, wer Vater Eures Kindes ist, und gedenkt nicht länger zu leugnen oder uns etwas verbergen zu wollen.« Darauf antwortete sie: »Gestrenge Herren, ich weiß sehr wohl, daß ich schon jetzt zur Todesstrafe verurteilt bin, und so möge Gott sich meiner nicht erbarmen, noch mir Gnade erzeigen, wenn es nicht die Wahrheit ist, daß ich niemals einem Mann beigewohnt habe noch in irgend einer Gemeinschaft mit irgend einem gelebt habe.« – »Ihr seid zum Tode verdammt«, riefen hierauf die Richter, »denn nach dem Zeugnis aller anderen Frauen ist das unmöglich, und es ist weder Sinn noch Wahrheit in Eurer Aussage.«
Da sprang das Kind Merlin seiner erschrockenen Mutter vom Arm und sagte: »Fürchte Dich nicht, Mutter, Du sollst nicht sterben, so lange ich lebe.« Dann wandte er sich zum obersten Richter. »Du hast sie verurteilt, lebendig verbrannt zu werden, aber davor werde ich sie behüten, denn sie hat solches nicht verdient.
Geschähe allen den Männern und Frauen hier, die heimlich sündigten und mit andern als mit ihren Ehemännern und ihren Ehefrauen lebten, Recht, so würden sie von beiden Teilen verbrannt werden müssen. Ich weiß ihre heimlichen Taten so gut als sie sie selber wissen; wollte ich sie nennen, so müßten sie sich in Eurer Gegenwart all dessen schuldig bekennen, wessen Ihr meine Mutter beschuldigt, die in Wahrheit niemals schuldig war. Dieser fromme Mann hier ist auch so davon überzeugt, daß er vor Gott ihre Schuld auf sich lud.«
»Ja«, sagte der Einsiedler, »es ist wahr, sie hat mir gebeichtet, und ich habe sie ihrer Sünde ledig gesprochen. Sie selber hat Euch gestanden, wie sie im Schlafe und ohne Schuld betrogen worden. Da vorher noch nie ein solches Wunder ist gehört worden, so wird auch mir solches zu glauben sehr schwer.«
»Ihr habt«, sagte das Kind zum Einsiedler, »die Stunde und den Tag aufgeschrieben, an welchem sie zu Euch kam, und Euch ihren Fall beichtete, jetzt dürft Ihr nur nachsehen, ob es mit dem, was sie jetzt spricht, übereintrifft.« – »Du sprichst die Wahrheit«, antwortete der Einsiedler, »Du weißt auch wahrlich mehr als wir andern alle.« Hierauf sagten die beiden Frauen, die mit ihr im Turm gesessen hatten, die Stunde und den Tag aus, als sie, wie vorgegeben, betrogen worden sei, und diese stimmte genau mit der zusammen, die der Einsiedler aufgeschrieben hatte. »Dies alles spricht sie nicht los«, sagte der Richter; »sie muß den Vater des Kindes nennen, damit wir ihn bestrafen können.«
Da rief das Kind Merlin ganz erzürnt und heftig: »Herr, ich kenne meinen Vater besser als Ihr den Eurigen; Ihr wißt nicht, wer Euer Vater ist, aber Eure Mutter weiß genauer, wer Euch gezeugt hat, als meine Mutter weiß, wer mich erzeugte.« Da rief der Richter ergrimmt: »Weißt Du etwas über meine Mutter zu sagen, so sprich!« – »Ja«, antwortete das Kind, »wenn Ihr über Eure Mutter ebenso Gericht halten wollt, denn sie hat viel eher den Tod verdient als meine Mutter! Wenn ich Euch etwas über Eure Mutter sagen werde, das sie eingesteht, werdet Ihr alsdenn meine Mutter lossprechen? Denn ich sage Euch noch einmal, sie ist unschuldig und hat den Tod nicht verdient; sie kennt wirklich den, der mich erzeugt hat, nicht.« Der Richter, voll Zorn, seine Mutter vor allem Volke so geschmäht zu sehen, sagte: »Kannst Du das tun, wessen Du Dich rühmst, so soll Deine Mutter frei sein; aber wisse, wenn Du etwas sagst über meine Mutter, das nicht die Wahrheit ist, und sie es nicht bezeugt, so wirst Du samt Deiner Mutter verbrannt.« – »So sende hin, und laß Deine Mutter herholen«, sagte Merlin.
Der Richter sandte hin; Mutter und Kind wurden wieder ins Gefängnis geführt und genau bewacht, nach fünf Tagen sollten sie wieder vor Gericht erscheinen; der Richter selber war unter den Wächtern. Oft wurde während dieser Zeit das Kind von seiner Mutter wie auch von andern ausgefragt, und versucht, es zum Sprechen zu bringen; aber umsonst, es redete nicht ein einziges Wort bis zum fünften Tage, als die Mutter des Richters anlangte. »Hier ist nun meine Mutter«, sagte er zum Knaben Merlin, »von der Du so vieles sagtest, jetzt komm her und sprich; sie wird Dir auf alles, was Du willst, antworten.« Sogleich antwortete Merlin: »Es ist nicht vernünftig von Euch, daß Ihr nicht zuerst mit Eurer Mutter in Geheim redet, und sie selber befragt. Geht und schließt Euch erst mit ihr ein, mit Euren vertrautesten Räten: so wie auch ich die Räte meiner Mutter befragen will, diese sind keine andern als der allwissende Gott und der fromme Einsiedler.«
Alle Anwesende erschraken, als sie das Kind mit so viel Weisheit reden hörten, und der Richter sah wohl ein, daß es recht geredet hatte. Darauf fragte das Kind noch einmal die Richter und alle Anwesende: »Wenn ich meine Mutter diesmal von der gedrohten Strafe und Schande errette, wird sie dann auch auf immer frei sein, und keiner ihr weiter etwas anhaben?« – »Sie soll frei ausgehen«, antworteten alle, »und in Ruhe bleiben.« Darauf entfernte sich der Richter mit seiner Mutter, die Räte und Anverwandte folgten ihm, und sie blieben die ganze Nacht hindurch in ein besonderes Zimmer eingeschlossen.
Den andern Morgen ließ der Richter den Merlin insgeheim zu sich kommen. »Was wollt Ihr von mir?« fragte Merlin. »Höre«, sagte der Richter, »wenn Du eingestehen willst, daß Du nichts von meiner Mutter zu sagen weißt, so soll Deine Mutter frei sein; doch mir insgeheim mußt Du alles erzählen, was Du weißt.« – »Hat Deine Mutter nichts verbrochen«, sagte Merlin, »so werde ich nichts von ihr zu sagen haben, denn ich will weder meine Mutter noch sonst jemand gegen Recht und Gerechtigkeit verteidigen. Meine Mutter hat nie die Strafe verdient, die ihr zuerkannt worden ist von Euch, ich will nichts, als daß ihr Recht geschehe. Folgt mir, laßt sie frei, und wir wollen niemals mehr von dieser Sache reden; es soll dann von Eurer Mutter gar nicht mehr die Rede sein.« – »So kommst Du nicht davon«, sagte der Richter, »Du mußt uns noch ganz andere Dinge entdecken, wenn Du Deine Mutter befreien willst; und wir sind hier dazu versammelt, sie von Dir zu vernehmen.« Da antwortete das Kind und sprach: »Ich sage Euch, meine Mutter weiß nicht, wer mich erzeugte, doch weiß ich es, und kenne meinen Vater sehr wohl. Ihr aber kennt nicht den, der Euch erzeugte, obgleich Eure Mutter ihn sehr wohl kennt. Wenn sie die Wahrheit reden wollte, so könnte sie Euch sagen, wessen Sohn Ihr eigentlich seid; meine Mutter aber kann Euch nicht sagen, wer mich erzeugte, denn sie weiß es nicht.«
»Werte Mutter«, sagte der Richter, indem er sich zu ihr wandte, »bin ich denn nicht der Sohn Eures ehrenwerten Gemahls und Herrn?« – »O Gott, mein lieber Sohn!« antwortete die Mutter, »wessen Sohn könntest Du wohl sein, als der meines teuren Eheherrn, der gestorben ist, Gott sei seiner Seele gnädig.« Hierauf sagte Merlin: »Ich werde mich sicher nur an die Wahrheit halten; wird Euer Sohn mich und meine Mutter losgeben, so sage ich nicht ein Wort, will er aber nicht, so werde ich alles entdecken, sowohl was vorhergegangen, als was nachher geschehen.« – »Ich will nun«, rief der Richter, »daß Du alles sagest, was Du über diese Sache weißt.« – »Besinne Dich wohl«, sagte Merlin, »was Du tust, denn Dein Vater, den ich Dir nennen werde, lebt noch und soll meine Aussage selber bezeugen.« Da die Räte ihn so reden hörten, riefen sie Wunder und machten ein Kreuz über sich. »Nun, Dame«, sagte Merlin zur Mutter des Richters, »bekennt Eurem Sohne die Wahrheit und sagt ihm, wer sein Vater ist, denn ich weiß, wer er ist, und wo er anzutreffen ist.«
»Du Satan, Teufel aus der Hölle«, fing die Dame an, »habe ich es Dir nicht schon einmal gesagt?« – »Ihr wißt es gar wohl, daß er nicht der Sohn des Mannes ist, den er bis jetzt für seinen Vater gehalten.« – »Nun, wessen Sohn ist er denn?« fragte die Dame ganz bestürzt. »Er ist Eures Beichtvaters Sohn, und das wißt Ihr selber recht wohl, denn Ihr selber sagtet ihm, nachdem er das erstemal bei Euch gewesen, Ihr fürchtetet schwanger von ihm zu sein. Er sagte darauf, es könnte nicht sein, schrieb sich aber den Tag und die Stunde auf, in welcher er Euch beigewohnt hatte, damit Ihr ihn nicht betrügen und mit andern zu tun haben könntet, denn damals war Euer Herr und Gemahl unzufrieden mit Euch, und Ihr lebtet lange Zeit in Zwist mit ihm. Als Ihr Euch aber schwanger fühltet, eiltet Ihr, Euch mit ihm zu versöhnen, wozu der Beichtvater Euch verhalf. Ist es nicht so? sagt nein, wenn Ihr dürft; denn wenn Ihr es nicht gestehet, so will ich es den Beichtvater selber gestehen lassen.«
Der Richter geriet in großen Zorn, als er Merlin so mit seiner Mutter reden hörte, und fragte sie, ob es wahr sei. Die Mutter war ganz erschrocken, und sagte: »O Gott, willst Du, mein lieber Sohn, diesem Erbfeind glauben?« – »Werdet Ihr nicht sogleich die Wahrheit eingestehen«, sagte Merlin, »so will ich noch andre Dinge sagen, die Euch auch bekannt sind.« Die Dame schwieg, und Merlin fing wieder an: »Nachdem Ihr Euch mit Hilfe des Beichtvaters mit Eurem Eheherrn ausgesöhnt hattet, so daß er wieder mit Euch lebte und Euren Sohn, mit dem Ihr schwanger wart, für den seinigen halten konnte – und auch wirklich dafür hielt, so wie alle die andern Personen, die Euch kannten –, habt Ihr das Verständnis mit dem Beichtvater und Euer Leben mit ihm fortgeführt, und noch jetzt, noch täglich lebt Ihr mit ihm in Vertraulichkeit. Den Morgen eben, ehe Ihr hierher reistet, hat er Euch umarmt, hat Euch eine gute Strecke weit begleitet, und beim Abschied sagte er lachend: ›Gnädige Frau, tut ja alles, was Euer Sohn von Euch begehrt und was er wünscht.‹ Denn er weiß wohl, daß er für seinen eignen Sohn redete.«
Die Dame erschrak sehr, als das Kind dies erzählte, denn sie fürchtete sich, nun statt der andern verurteilt zu werden. Da redete der Richter sie an und sagte: »Geliebte Mutter, wer auch mein Vater sein mag, so bleibe ich doch immer Euer Sohn, und werde Euch als meine Mutter behandeln.« – »So erbarme Dich meiner um Gotteswillen, mein lieber Sohn«, rief die Dame, »denn ich kann Dir die Wahrheit nicht länger verbergen, dieses Kind weiß alles, und es hat die lautere Wahrheit erzählt.« »Er hat es mir wohl gesagt,« sagte der Richter, »daß er meinen Vater besser kenne als ich; ich kann also von Rechtswegen seine Mutter nicht verurteilen, weil ich die meinige nicht bestrafe. Ich bitte Dich, Merlin«, fuhr er fort, »im Namen Gottes, und um Deiner und Deiner Mutter Ehre willen, nenne mir Deinen Vater, damit ich Deine Mutter vor dem Volke rechtfertigen kann.«
»Gerne will ich ihn Dir entdecken«, antwortete Merlin, »viel lieber freiwillig als gezwungen. So wisse denn, ich bin der Sohn des Teufels, der meine Mutter durch List hinterging, und sie, während sie schlief, bezwang, so daß sie von ihm mit mir schwanger wurde. Wisse auch, daß ich seine Macht besitze, sein Gedächtnis und seinen Geist, wodurch mir denn alle geschehenen Dinge und alles was gesprochen ward, bekannt ist, daher weiß ich auch alles das, was Deine Mutter getan hat. Weil aber meine Mutter gleich gebeichtet, mit Leib und Seele Buße getan und die Absolution ihrer Sünde von dem frommen Einsiedler empfangen hatte, hat Gott um meiner Mutter willen mir die Gabe verliehen, daß ich die Zukunft und die Gegenwart weiß, so daß ich mehr Macht und höhere Gaben besitze, als sonst die Menschen von der Natur empfangen. Auch wirst Du über ein Kurzes von allem, was ich sagte, überzeugt werden.« – »Wie das?« fragte der Richter. Da nahm ihn Merlin beiseite und sagte ihm heimlich: »Deine Mutter wird dem, der Dich erzeugte, alles wieder erzählen, was hier vorgegangen; drauf wird er aus Furcht vor Dir entfliehen, und der böse Geist, der noch immer viel Gewalt über ihn hat, wird ihn zu einem Fluß treiben, da wird er sich hineinstürzen und sich ertränken. Du wirst also erfahren, ob ich nicht alles Zukünftige weiß.« – »Wenn dies wirklich geschieht«, sagte der Richter, »sollst Du und Deine Mutter auf immer von aller Verantwortung frei sein.«
Hierauf kamen Merlin, der Richter, seine Mutter und alle seine Räte heraus zum Volke; und der Richter sprach laut, und vernehmlich, so daß ihn jeder verstehen konnte: »Hört mich, Ihr Männer und Mitbürger, ich hatte die Mutter des Knaben Merlin fälschlich und ohne Recht verurteilt; durch seine große Weisheit und Wissenschaft aber hat er mir die wahren Begebenheiten seiner Mutter entdeckt und sie dadurch von der Todesstrafe befreit. Wegen der Weisheit und der Schuldlosigkeit des Knaben habe ich seine Mutter freigesprochen; auch befehle ich hiermit, daß man die Mutter wie auch ihren Knaben auf immer in Frieden lasse, und verbiete bei harter Strafe einem jeden unter Euch, ihnen etwas zuleide zu tun oder sie zur Verantwortung zu ziehen; meiner Einsicht nach wird man niemals einen weisern Menschen als diesen sehen.« Das versammelte Volk rief einstimmig: »Gott sei Lob und Dank!« Denn die Mutter war beliebt beim ganzen Volke, und sie hatten sie wegen ihres Unglücks sehr beklagt.
Der Richter schickte hierauf seine Mutter wieder zurück und zwei Frauen zu ihrer Begleitung, denen er heimlich Befehl gegeben, auf alles genau achtzugeben und ihm wieder zu sagen, was bei seiner Mutter geschehen würde. Sobald sie bei sich angelangt war, ließ sie den Beichtvater holen, und erzählte ihm Wort für Wort, was sich bei ihrem Sohne zugetragen, und alles was Merlin gesprochen hatte. Darüber entsetzte sich der Beichtvater gewaltig und konnte kein Wort hervorbringen. Er ging auch sogleich, ohne Abschied von ihr zu nehmen, aus der Stadt hinaus und gerade zum Fluß hin, denn er dachte, geblendet vom Satan und verzweifelnd, der Richter würde ihn gefangennehmen und schimpflich hinrichten lassen. Er zog also vor, sich selber den Tod zu geben, stürzte sich in den Fluß und ertrank.
Als der Richter dies von den beiden Frauen erfuhr, war er erstaunt, ging sogleich zu Merlin und sagte ihm, er habe wahr gesagt. »Ich lüge niemals«, erwiderte ihm Merlin, »aber ich bitte Dich, gehe zu dem frommen Einsiedler, Meister Blasius, und teile ihm diese Nachricht mit.« Der Richter tat es sogleich, worauf Merlin, seine Mutter und ihr Beichtvater Meister Blasius sich in Frieden zurück begaben zu ihrer Behausung.
Meister Blasius war ein frommer und sehr gelehrter Mann, der Gott von ganzem Herzen diente. Es erstaunte ihn, das Kind Merlin so weissagen zu hören und solchen übermenschlichen Geist bei ihm wahrzunehmen. Er war im Herzen über diese Seltsamkeit bekümmert und suchte auf allerhand Art Merlin hierüber auszufragen, um die Ursache davon zu erforschen. »Meister Blasius«, fing Merlin endlich an, »ich bitte Dich, gib Dir keine Mühe, mich zu erforschen, denn je mehr Du mich wirst reden hören, desto mehr Ursache wirst Du finden zu erstaunen; beruhige Dich, glaube mir, und tue was ich Dich heißen werde.« – »Wie soll ich Dir glauben«, erwiderte Blasius; »sagtest Du nicht selbst, Du wärst ein Kind des Teufels? Wenn ich dies nun glaube, so wie ich es wirklich glaube, muß ich dann nicht fürchten, daß Du mich täuschst und hintergehst?« – »Sieh«, sagte Merlin, »es ist die Macht der Gewohnheit aller bösen Gemüter, daß sie eher das Böse glauben und annehmen als das Gute. Der Böse sieht nichts als Böses, so wie der Gute nur das Gute sieht.«
Er erklärte ihm darauf das Geheimnis seiner Erzeugung, und wie der Teufel durch sich selber betrogen worden, indem er ihn in dem Leib einer gottgeweihten und reinen Jungfrau erzeugt habe. »Jetzt aber«, fuhr er fort, »höre mich und tue, was ich Dir sagen werde. Verfertige ein Buch, darin Du alle Dinge aufschreiben sollst, die ich Dir vorsagen werde. Allen Menschen, die künftig das Buch lesen werden, wird es eine große Wohltat sein, denn es wird sie bessern und sie vor Sünden bewahren.« – »Sehr gern«, sagte Blasius, »will ich das Buch auf Dein Wort, und nach Deinem Worte verfertigen, ich beschwöre Dich aber zuerst im Namen Gottes, der Dreieinigkeit und aller Heiligen, daß Du mich nichts schreiben läßt, was dem Willen und den Geboten unsers Herrn Jesu Christi entgegen ist.« – »Ich schwöre Dir«, sagte Merlin. »Nun so bin ich bereit«, erwiderte Blasius, »von ganzem Herzen und ganzer Seele zu schreiben, was Du mir befiehlst, ich habe auch Tinte und Pergament, und alles, was zu einem solchen Werke nötig ist.«
Nachdem er alles bereitgelegt, fing Merlin an, ihm vorzusagen; zuerst die Freundschaft von Christus und Joseph von Arimathia, wie auch von Adalam und de Perron und den anderen Gefährten, so wie es sich mit ihnen zugetragen, so wie auch das Ende des Joseph und aller anderen. Nach alledem sagte er ihm die Geschichte und die Ursache seiner wunderbaren Erzeugung vor, mit allen Umständen, so wie wir sie hier vor uns haben.
Blasius war immer mehr erstaunt über die wunderbaren Dinge, die er von Merlin vernahm; die Worte, die er schreiben mußte, dünkten ihm alle gut und wundervoll, und er schrieb eifrig fort. Als sie aber recht mit dem Werk beschäftigt waren, sagte Merlin eines Tages zu ihm: »Meister, es steht Dir große Not bei Deinem Werk bevor, mir selber aber eine noch weit größere.« – »Wie das?« fragte Blasius. »Man wird mich«, antwortete Merlin, »nach dem Abendland holen kommen; diejenigen aber, die von ihrem Herrn mich zu holen gesandt werden, haben ihm mit einem Eid zugesagt, mich zu erschlagen und ihm mein Blut zu überbringen. Sie werden jedoch, so bald sie mich gesehen und mich reden gehört, keine Lust haben, mir Übles zu tun; ich werde alsdenn mit ihnen gehen. Du aber begib Dich von hier weg, und zu denen hin, die das Gefäß des Heiligen Gral besitzen; sei aber stets bemüht, die Bücher weiter zu schreiben.
Diese Bücher werden immer und zu jeder Zeit gern von allen gelesen werden, aber man wird ihnen nicht glauben, weil Du kein Apostel Christi bist; denn diese Apostel schrieben nichts auf, als was sie mit eignen Augen sahen, mit ihren Ohren hörten, Du aber schreibst bloß das, was ich Dir sage. Und eben so, wie ich den Leuten jetzt verborgen und unbekannt bin, gegen welche ich mich nun rechtfertigen muß, eben so werden es wohl auch diese Bücher bleiben, nur wenige Menschen werden sie erkennen und Dir Dank dafür wissen. Auch das Buch von Joseph von Arimathia nimm mit Dir. Wenn Du einst Dein Werk vollendet haben wirst, muß dieses Buch von Joseph mit dazugehören; diese beiden Bücher zusammen werden ein schönes und herrliches Werk ausmachen. Diejenigen, die es künftig lesen und verstehen, werden uns für unsre Mühe segnen. Alle Gespräche und die eigentlichen Worte zwischen Christus und Joseph von Arimathia sage ich Dir nicht, die gehören nicht hierher.«
Zur selben Zeit regierte ein König, namens Constans. Wir erwähnen nichts von den Königen, die vor ihm regierten; wer aber ihre Anzahl und ihre Geschichte zu wissen verlangt, der muß die Historia von Bretagna lesen, welche Brutus genannt wird; Meister Martin von Glocester hat sie aus dem Lateinischen in die romanische Sprache übertragen.
König Constans hatte drei Söhne, die hießen Moines, Uter und Pendragon. Auch lebte in seinem Lande ein Mann, namens Vortigern, ein sehr tapfrer und mächtiger Ritter von großem Ansehen. Als König Constans starb, beratschlagte das Volk sich, wen es zum Nachfolger erwählen sollte; der größte Teil des Volkes wie die meisten Edlen waren dafür, den Moines, ältesten Sohn des verstorbenen Königs, zu erwählen, ungeachtet er noch ein Kind war; ihm aber, und keinem andern gehörte das Reich von Rechts wegen; Vortigern, als der Mächtigste und Verständigste im Lande, war derselben Meinung. Der junge Moines wurde also zum König und Vortigern einstimmig zu seinem Seneschall ernannt.
Damals war das Reich im Kriege mit den Heiden; sie kamen von Rom und von anderen Seiten her, verheerten das Land und bekriegten die Christen. Vortigern aber regierte das Reich nach eigener Willkür, ohne sich des jungen Königs anzunehmen; der war noch zu unverständig und zu kindlich, um sich selbst raten zu können. Nachdem Vortigern sich nun des ganzen Regiments bemächtigt, so daß ihm niemand entgegen sein durfte und das ganze Reich nur von ihm abhing, wurde er hochmütig und geldgeizig, bekümmerte sich weder um den König noch um das Land, denn er wußte wohl, daß niemand als er etwas unternehmen oder ausführen konnte; er zog sich von allem zurück und lebte bloß für sich. Die Heiden versammelten, als sie diese Nachricht über den Seneschall erhielten, sogleich ein großes Heer und fielen damit in das Land der Christen ein. König Moines ward sehr bestürzt, daß sein Seneschall das Regiment wie auch das Heer verlassen und sich zurückgezogen hatte; in seiner Bestürzung begab er sich sogleich zu ihm hin und bat ihn flehentlich, doch das Heer wieder gegen den Feind anzuführen. Vortigern aber entschuldigte sich mit seinem hohen Alter, das ihm nicht mehr erlaube, in den Krieg zu ziehen noch sich der Regierungsgeschäfte viel anzunehmen. »Nehmt«, sprach er zum König, »einen andern zu Eurem geheimen Rat; Euer Volk haßt mich, weil ich stets zu sehr auf Euern Vorteil bedacht war; erwählt also einen unter ihnen und übergebt ihm mein Amt, denn ich will nichts mehr damit zu schaffen haben.« Die, welche mit dem König bei Vortigern waren, beschlossen, als sie ihn so reden hörten, der König selber solle sich an ihre Spitze stellen, und mit ihm wollten sie gegen den Feind ziehen. Hastig wurde also ein Heer zusammengerafft, und sie zogen ins Feld, König Moines an ihrer Spitze; er war aber viel zu jung und zu unerfahren in Kriegssachen, zudem war das Heer der Heiden viel stärker als das ihrige, auch ihre Anführer sehr tapfer und verständige Männer, daher kam es, daß das Heer des Königs Moines geschlagen ward und floh; er selber entfloh mit ihnen. Nun jammerte und klagte das Volk um seinen Seneschall. »Hätte Vortigern«, riefen sie, »das Heer angeführt, nimmer hätte er die Schlacht verloren, nimmer hätten die Heiden so viel Christen erschlagen!« Auch murrten viele der Großen und Edlen des Reichs gegen den König; er hatte sie durch unvorsichtiges Betragen und durch allerlei Zumutungen sich zu Feinden gemacht. Es entstand also eine große Empörung unter dem Volk, und die vornehmsten und mächtigsten darunter gingen zu Vortigern und riefen ihn zu Hilfe. »Wir sind ohne Oberhaupt«, sagten sie, »denn unser König tut seine Pflicht nicht, wir bitten Euch, nehmt Euch um Gotteswillen unsrer an, seid Ihr unser König und unser Herr; kein Mann auf Erden ist weiser und tapferer als Ihr, also gibt es auch keinen, der dieses Amt besser als Ihr bekleiden könnte, und darum verlangen wir keinen andern als Euch.« Darauf antwortete Vortigern: »So lange Euer rechtmäßiger König noch lebt, kann und werde ich niemals Euer König sein.« »Ach«, riefen die andern, »wir wünschten ihn lieber tot als lebendig zu sehen.« – »Nun«, sagte Vortigern, »dann bringt ihn um, denn solange er am Leben ist, kann ich nicht Euer König sein.« Bei dieser Rede blieb er, was jene auch sagen mochten. Sie gingen also wieder fort, beratschlagten sich und hielten eine Versammlung, zu welcher sie ihre besten Freunde und nächsten Verwandte zogen; hier beschlossen sie, den König Moines wirklich ermorden zu lassen, in der Hoffnung, daß, wenn Vortigern durch ihren Verrat König würde, er ihnen diesen Dienst wohl belohnen werde, und sie durch ihn die eigentlichen Herrscher des Landes sein würden. Sie erwählten zwei der stärksten und gewandtesten Männer unter ihnen; diese gingen hin und ermordeten den jungen König Moines auf eine schändliche verräterische Weise, denn er war noch ein schwacher, wehrloser Knabe und hatte keinen Menschen um sich, der ihn bewachte oder verteidigte.