Die Poggenpuhls - Theodor Fontane - E-Book + Hörbuch

Die Poggenpuhls E-Book

Theodor Fontane

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Beschreibung

Fontanes Novelle "Die Poggenpuhls" spielt im Dreikaiserjahr 1888, als in einem Jahr drei Kaiser regieren. Eine verarmte Offiziersfamilie, deren Familienoberhaupt lang schon gefallen ist, muss nun in einer Mietskaserne hausen. Die Familie, immer darauf bedacht, auch mit den kärgsten Mitteln den Stand zu wahren, schlittert von einer hochnotpeinlichen Situation in die nächste. Hoffnung keimt noch einmal auf, als der reiche Erb-Onkel zu Besuch erscheint. Kann er die prekäre Lage der Poggenpuhls lindern? Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 162

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Theodor Fontane

Die Poggenpuhls

Theodor Fontane

Die Poggenpuhls

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-954188-62-8

null-papier.de/angebote

Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

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Eine Weih­nachts­ge­schich­te

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Erstes Kapitel

Die Pog­genp­uhls – eine Frau Ma­jo­rin von Pog­genp­uhl mit ih­ren drei Töch­tern The­re­se, So­phie und Ma­non – wohn­ten seit ih­rer vor sie­ben Jah­ren er­folg­ten Über­sie­de­lung von Pom­mersch-Star­gard nach Ber­lin in ei­nem ge­ra­de um jene Zeit fer­tig ge­wor­de­nen, also noch ziem­lich mau­er­feuch­ten Neu­bau der Groß­gör­schen­stra­ße, ei­nem Eck­hau­se, das ei­nem bra­ven und be­hä­bi­gen Man­ne, dem ehe­ma­li­gen Mau­rer­po­lier, jet­zi­gen Ren­tier Au­gust Not­te­b­ohm ge­hör­te. Die­se Groß­gör­schen­stra­ßen-Woh­nung war sei­tens der Pog­genp­uhl­schen Fa­mi­lie nicht zum we­nigs­ten um des kriegs­ge­schicht­li­chen Na­mens der Stra­ße, zu­gleich aber auch um der so­ge­nann­ten »wun­der­vol­len Aus­sicht« wil­len ge­wählt wor­den, die von den Vor­der­fens­tern aus auf die Grab­denk­mä­ler und Erd­be­gräb­nis­se des Mat­thäi­kirch­hofs, von den Hin­ter­fens­tern aus auf ei­ni­ge zur Kulm­stra­ße ge­hö­ri­ge Rück­fron­ten ging, an de­ren ei­ner man, in ab­wech­selnd ro­ten und blau­en Rie­sen­buch­sta­ben, die Wor­te »Schul­zes Bon­bon­fa­brik« le­sen konn­te. Mög­lich, ja so­gar wahr­schein­lich, daß nicht je­dem mit die­ser ei­gen­tüm­li­chen Dop­pelaus­sicht ge­dient ge­we­sen wäre; der Frau von Pog­genp­uhl aber, ei­ner ge­bo­re­nen Püt­ter – aus ei­ner an­ge­se­he­nen, aber ar­men Pre­di­ger­fa­mi­lie stam­mend -, paß­te jede der bei­den Aus­sich­ten gleich gut, die Fron­taus­sicht, weil die et­was sen­ti­men­tal an­ge­leg­te Dame gern vom Ster­ben sprach, die Rück­fron­taus­sicht auf die Kulm­stra­ße aber, weil sie be­stän­dig an Hus­ten litt und al­ler Spar­sam­keit un­ge­ach­tet zu gu­tem Tei­le von Gers­ten­bon­bons und Brust­ka­ra­mel­len leb­te. Je­des­mal, wenn Be­such kam, wur­de denn auch von den großen Vor­zü­gen die­ser Woh­nung ge­spro­chen, de­ren ein­zi­ger wirk­li­cher Vor­zug in ih­rer großen Bil­lig­keit und in der vor meh­re­ren Jah­ren schon durch Ren­tier Not­te­b­ohm ge­mach­ten Zu­si­che­rung be­stand, daß die Frau Ma­jo­rin nie ge­stei­gert wer­den wür­de. »Nein, Frau Ma­jo­rin«, so etwa hat­te sich Not­te­b­ohm da­mals ge­äu­ßert, »was die­ses an­geht, so kön­nen Frau Ma­jo­rin ganz ru­hig sein und die Fräu­leins auch. Gott, wenn ich so al­les be­den­ke … ver­zei­hen Frau Ma­jo­rin, das Ma­non­chen war ja noch ein Quack, als Sie da­mals, zu Mi­chae­li, hier ein­zo­gen …, un als Sie dann Neu­jahr run­ter­ka­men und die ers­te Mie­te brach­ten und al­les noch leer stand von we­gen der nas­sen Wän­de, was aber ein Un­sinn is, da sag­te ich zu mei­ner Frau, denn wir hat­ten es da­mals noch nich: ›Li­ne‹, sag­te ich, ›das is Hand­geld und bringt uns Glück.‹ Und hat auch wirk­lich. Denn von das­sel­be Vier­tel­jahr an war nie was leer, un im­mer re­pu­tier­li­che Leu­te – das muß ich sa­gen … Und dann, Frau Ma­jo­rin, wie werd ich denn gra­de bei Ih­nen mit so was an­fan­gen … ich mei­ne mit das Stei­gern. Ich war ja doch auch mit da­bei; Don­ner­wet­ter, es war eine ganz ver­fluch­te Ge­schich­te. Hier sitzt mir noch die Ku­gel; aber der Dok­tor sagt: sie wür­de schon mal raus­fal­len und dann hätt ich ein An­den­ken.« Und da­mit schloß Not­te­b­ohm eine Rede, wie er sie län­ger nie ge­hal­ten und wie sie die gute Frau Ma­jo­rin nie freund­li­che­ren Ohres ge­hört hat­te. Das mit dem »Da­bei­ge­we­sen­sein« aber be­zog sich auf Gra­ve­lot­te, wo Ma­jor von Pog­genp­uhl, spät ge­gen Abend, als die pom­mer­sche Di­vi­si­on her­an­kam, an der Spit­ze sei­nes Ba­tail­lons, in dem auch Not­te­b­ohm stand, eh­ren­voll ge­fal­len war. Er, der Ma­jor, hin­ter­ließ nichts als einen gu­ten al­ten Na­men und drei blan­ke Krö­nungs­ta­ler, die man in sei­nem Por­te­mon­naie fand und spä­ter sei­ner Wit­we be­hän­dig­te. Die­se drei Krö­nungs­ta­ler wa­ren, wie das Erbe der Fa­mi­lie, so selbst­ver­ständ­lich auch der Stolz der­sel­ben, und als sech­zehn Jah­re spä­ter die erst et­li­che Mo­na­te nach dem Tode des Va­ters ge­bo­re­ne jüngs­te Toch­ter Ma­non kon­fir­miert wer­den soll­te, wa­ren aus den drei Krö­nungs­ta­lern – die bis da­hin zu kon­ser­vie­ren kei­ne Klei­nig­keit ge­we­sen war – drei Bro­schen an­ge­fer­tigt und an die drei Töch­ter zur Erin­ne­rung an die­sen Ein­seg­nungs­tag über­reicht wor­den. Al­les un­ter geist­li­cher Mit­wir­kung und Bei­hil­fe. Denn Ge­ne­ral­su­per­in­ten­dent Schwarz, der die Fa­mi­lie lieb­te, war am Abend des Kon­fir­ma­ti­ons­ta­ges in die Pog­genp­uhl­sche Woh­nung ge­kom­men und hat­te hier die in Ge­gen­wart ei­ni­ger al­ter Ka­me­ra­den und Freun­de statt­fin­den­de Bro­schen­über­rei­chung fast zu ei­ner kirch­li­chen Ze­re­mo­nie, je­den­falls aber zu ei­ner Fei­er er­ho­ben, die so­gar dem et­was gro­ben und ge­gen die »Adel­spacka­ge« stark ein­ge­nom­me­nen Por­tier Ne­be­lung im­po­niert und ihn, wenn auch nicht ge­ra­de­zu be­kehrt, so doch den wohl­wol­len­den Ge­sin­nun­gen sei­nes Haus- und Bro­therrn Not­te­b­ohm um et­was nä­her ge­führt hat­te.

Wie sich von selbst ver­steht, war auch die Pog­genp­uhl­sche Woh­nungs­ein­rich­tung ein Aus­druck der Ver­hält­nis­se, dar­in die Fa­mi­lie nun mal leb­te; von Plüschmö­beln exis­tier­te nichts und von Tep­pi­chen nur ein klei­ner Schmie­de­ber­ger, der mit schwar­zen, et­was aus­ge­fus­sel­ten Woll­fran­sen vor dem Sofa der zu­nächst am Kor­ri­dor ge­le­ge­nen und schon des­halb als Empfangs­sa­lon die­nen­den »gu­ten Stu­be« lag. Ent­spre­chend die­sem Tep­pi­che wa­ren auch die schma­len, hier und dort ge­stopf­ten Gar­di­nen; al­les aber war sehr sau­ber und or­dent­lich ge­hal­ten, und ein mut­maß­lich aus ei­nem al­ten mär­ki­schen Her­ren­hau­se her­stam­men­der, ganz vor kur­z­em erst auf ei­ner Auk­ti­on er­stan­de­ner, weiß­la­ckier­ter Pfei­ler­spie­gel mit ein­ge­leg­ter Gold­leis­te lieh der ärm­li­chen Ein­rich­tung trotz ih­res Zu­sam­men­ge­sucht­seins oder viel­leicht auch um des­sen wil­len et­was von ei­ner er­lö­schen­den, aber doch im­mer­hin mal da­ge­we­se­nen Feu­da­li­tät.

Über dem Sofa der­sel­ben »gu­ten Stu­be« hing ein großes Öl­bild­nis (Knie­stück) des Ritt­meis­ters von Pog­genp­uhl vom Sohr­schen Husa­ren­re­gi­ment, der 1813 bei Groß­gör­schen ein Carré ge­sprengt und da­für den Pour le méri­te er­hal­ten hat­te – der ein­zi­ge Pog­genp­uhl, der je in der Ka­val­le­rie ge­stan­den. Das halb wohl­wol­len­de, halb mar­tia­li­sche Ge­sicht des Ritt­meis­ters sah auf eine fla­che Glas­scha­le her­nie­der, drin im Som­mer Au­ri­keln und ein Ver­giß­mein­nicht­kranz, im Win­ter Vi­si­ten­kar­ten zu lie­gen pfleg­ten. An der an­dern Wand aber, ge­nau dem Ritt­meis­ter ge­gen­über, stand ein Schreib­tisch mit ei­nem klei­nen er­höh­ten Mit­tel­bau, drauf, um bei Be­su­chen eine Art Gast­lich­keit üben zu kön­nen, eine hal­be Fla­sche Kap­wein mit Li­queur­gläs­chen thron­te, bei­des, Fla­sche wie Gläs­chen, auf ei­nem gold­ge­rän­der­ten Tel­ler, der be­stän­dig klap­per­te.

Ne­ben die­ser »gu­ten Stu­be« lag die ein­fens­te­ri­ge Wohn­stu­be, dar­an sich nach hin­ten zu das so­ge­nann­te »Ber­li­ner Zim­mer« an­schloß, ein blo­ßer Durch­gang, wenn auch im üb­ri­gen ge­räu­mig, an des­sen Längs­wand drei Bet­ten stan­den, nur drei, trotz­dem es eine vier­glied­ri­ge Fa­mi­lie war. Die vier­te La­ger­stät­te, von mehr am­bu­lan­tem Cha­rak­ter, war ein mit Rohr über­floch­te­nes So­fa­ge­stell, drauf sich, wo­chen­weis wech­selnd, eine der zwei jün­ge­ren Schwes­tern ein­zu­rich­ten hat­te.

Hin­ter die­sem »Ber­li­ner Saal« (Not­te­b­ohm selbst hat­te den Grund­riß dazu ent­wor­fen) lag die Kü­che mit­samt dem Hän­ge­bo­den. Hier haus­te das alte Dienst­mäd­chen Frie­de­ri­ke, eine treue See­le, die noch den gnä­di­gen Herrn ge­kannt und als Ver­trau­te der Frau Ma­jo­rin al­les Glück und Un­glück des Hau­ses und zu­letzt auch die Über­sie­de­lung von Star­gard nach Ber­lin mit durch­ge­macht hat­te.

So wohn­ten die Pog­genp­uhls und ga­ben der Welt den Be­weis, daß man auch in ganz klei­nen Ver­hält­nis­sen, wenn man nur die rech­te Ge­sin­nung und dann frei­lich auch die nö­ti­ge Ge­schick­lich­keit mit­brin­ge, zu­frie­den und bei­na­he stan­des­ge­mäß le­ben kön­ne, was selbst von Por­tier Ne­be­lung, al­ler­dings un­ter Kopf­schüt­teln und mit ei­ni­gem Wi­der­stre­ben, zu­ge­ge­ben wur­de. Sämt­li­che Pog­genp­uhls – die Mut­ter frei­lich we­ni­ger – be­sa­ßen die schö­ne Gabe, nie zu kla­gen, wa­ren le­bensklug und rech­ne­ten gut, ohne daß sich bei die­sem Rech­nen et­was stö­rend Be­rech­nen­des ge­zeigt hät­te.

Da­rin wa­ren sich die drei Schwes­tern gleich, trotz­dem ihre sons­ti­gen Cha­rak­tere sehr ver­schie­den wa­ren.

The­re­se, schon drei­ßig, konn­te (was denn auch red­lich ge­sch­ah) auf den ers­ten Blick für un­prak­tisch gel­ten und schi­en von al­ler­hand klei­nen Küns­ten ei­gent­lich nur die eine, sich in ei­nem Schau­kel­stuh­le ge­fäl­lig zu wie­gen, ge­lernt zu ha­ben; in Wirk­lich­keit aber war sie ge­ra­de­so le­bensklug wie die bei­den jün­ge­ren Schwes­tern und be­bau­te nur ein sehr andres Feld. Es war ihr, das stand ihr fest, ih­rer gan­zen Na­tur nach die Auf­ga­be zu­ge­fal­len, die Pog­genp­uhl­sche Fah­ne hoch­zu­hal­ten und sich mehr, als es durch die Schwes­tern ge­sch­ah, in die Welt, in die die Pog­genp­uhls nun mal ge­hör­ten, ein­zu­rei­hen. In den Ge­ne­rals- und Mi­nis­ter­fa­mi­li­en der Beh­ren- und Wil­helm­stra­ße war sie denn auch hei­misch und er­ziel­te hier al­le­mal große Zu­stim­mung und Er­fol­ge, wenn sie beim Tee von ih­ren jün­ge­ren Schwes­tern und de­ren Er­leb­nis­sen in der »sein­wol­len­den Ari­sto­kra­tie« spöt­tisch lä­chelnd be­rich­te­te. Selbst der alte Kom­man­die­ren­de, der, im gan­zen ge­nom­men, längst auf­ge­hört hat­te, sich durch ir­gend et­was Ir­di­sches noch be­son­ders im­po­nie­ren zu las­sen, kam dann in eine ver­gnüg­lich lie­bens­wür­di­ge Hei­ter­keit, und der der Ge­ne­rals­fa­mi­lie be­freun­de­te, schräg ge­gen­über woh­nen­de Un­ter­staats­se­kre­tär, trotz­dem er sel­ber von al­ler­neus­tem Adel war (oder viel­leicht auch eben des­halb), zeig­te sich dann je­des­mal hin­ge­ris­sen von der fei­nen Ma­li­ce1 des ar­men, aber stan­des­be­wuß­ten Fräu­leins. Eine wei­te­re Fol­ge die­ser ge­sell­schaft­li­chen Tri­um­phe war es, daß The­re­se, wenn es ir­gend et­was zu bit­ten gab, auch tat­säch­lich bit­ten durf­te, wo­bei sie, wie be­merkt wer­den muß, nie für sich selbst oder aber, klug ab­wä­gend, im­mer nur um sol­che Din­ge pe­ti­tio­nier­te, die man mü­he­los ge­wäh­ren konn­te, was dann dem Ge­wäh­ren­den eine ganz spe­zi­el­le Be­frie­di­gung ge­währ­te.

So war The­re­se von Pog­genp­uhl.

Sehr an­ders er­wie­sen sich die bei­den jün­ge­ren Schwes­tern, die, den Ver­hält­nis­sen und der mo­der­nen Welt sich an­be­que­mend, bei ih­rem Tun so­zu­sa­gen in Com­pa­gnie gin­gen.

So­phie, die zwei­te, war die Haupt­stüt­ze der Fa­mi­lie, weil sie das be­saß, was die Pog­genp­uhls bis da­hin nicht aus­ge­zeich­net hat­te: Ta­len­te. Mög­lich, daß die­se Ta­len­te bei güns­ti­ge­ren Le­bens­ver­hält­nis­sen ei­ni­ger­ma­ßen zwei­fel­voll an­ge­se­hen und mehr oder we­ni­ger als »un­stan­des­ge­mäß« emp­fun­den wor­den wä­ren, bei der be­drück­ten Lage je­doch, in der sich die Pog­genp­uhls be­fan­den, wa­ren die­se na­tür­li­chen Ga­ben Tag für Tag ein Glück und Se­gen für die Fa­mi­lie. Selbst The­re­se gab dies in ih­ren ru­hi­ge­ren Mo­men­ten zu. So­phie – auch äu­ßer­lich von den Schwes­tern ver­schie­den, sie hat­te ein freund­li­ches Pu­del­ge­sicht mit Löck­chen – konn­te ei­gent­lich al­les; sie war mu­si­ka­lisch, zeich­ne­te, mal­te, dich­te­te zu Ge­burts­ta­gen und Pol­ter­aben­den und konn­te einen Ha­sen spi­cken; aber al­les dies, so­viel es war, hät­te für die Fa­mi­lie doch nur die hal­be Be­deu­tung ge­habt, wenn nicht ne­ben ihr her noch die jüngs­te Schwes­ter ge­we­sen wäre, Ma­non, das Nest­häk­chen.

Ma­non, jetzt sieb­zehn, war, im Ge­gen­sat­ze zu So­phie, ganz ohne Be­ga­bung, be­saß aber da­für die Gabe, sich über­all be­liebt zu ma­chen, vor al­lem in Ban­kier­häu­sern, un­ter de­nen sie die nicht­christ­li­chen be­vor­zug­te, so na­ment­lich das hoch­an­ge­se­he­ne Haus Bar­ten­stein. Bei dem Kin­der­se­gen der Mehr­zahl die­ser Häu­ser war nie Man­gel an an­ge­hen­den Back­fi­schen, die mit den An­fän­gen ir­gend­ei­ner Kunst oder Wis­sen­schaft be­kannt ge­macht wer­den soll­ten, und ein über die ver­schie­dens­ten Dis­zi­pli­nen an­ge­streng­tes län­ge­res oder kür­ze­res Ge­spräch en­de­te re­gel­mä­ßig mit der leicht hin­ge­wor­fe­nen Be­mer­kung Ma­n­ons: »Ich hal­te es für mög­lich, daß mei­ne Schwes­ter So­phie da aus­hel­fen kann«, eine Be­mer­kung, die sie gern ma­chen durf­te, weil So­phie tat­säch­lich vor nichts er­schrak, nicht ein­mal vor Phy­sik und Spek­tral­ana­ly­se.

So war die Rol­len­ver­tei­lung im Hau­se Pog­genp­uhl, aus der sich, wie schon an­ge­deu­tet, al­ler­lei fi­nan­zi­el­le Vor­tei­le her­aus­stell­ten, Vor­tei­le, die zu­zei­ten nicht un­be­trächt­lich über die klei­ne Pen­si­on hin­aus­wuch­sen, die den ei­ser­nen Ein­nah­me­be­stand der Fa­mi­lie bil­de­te. Sämt­li­che drei jun­ge Da­men ver­ga­ben sich da­bei nicht das ge­rings­te, wa­ren viel­mehr (be­son­ders die zwei jün­ge­ren) eben­so leicht­le­big wie dank­bar, ver­mie­den es takt­voll, in ge­schmack­lo­se Hul­di­gun­gen oder gar in Schmei­che­lei zu ver­fal­len, und stan­den über­all in Ach­tung und An­se­hen, weil ihr Tun, und das war die Haupt­sa­che, von ei­ner großen per­sön­li­chen Selbst­lo­sig­keit be­glei­tet war. Sie brauch­ten we­nig, wuß­ten sich, zu­mal auf dem Ge­bie­te der Toi­let­te - was aber ein ge­fäl­li­ges Er­schei­nen nicht hin­der­te -, mit ei­nem Mi­ni­mum zu be­hel­fen und leb­ten in ih­ren Ge­dan­ken und Hoff­nun­gen ei­gent­lich nur für die »zwei Jun­gens«, ihre Brü­der, Wen­de­lin und Leo, von de­nen je­ner schon ein äl­te­rer Pre­mier über drei­ßig, die­ser ein jun­ger Dachs von kaum zwei­und­zwan­zig war. Bei­de, wie sich das von selbst ver­stand, wa­ren in das hin­ter­pom­mer­sche, neu­er­dings üb­ri­gens nach West­preu­ßen ver­leg­te Re­gi­ment ein­ge­tre­ten, drin schon ihr Va­ter sei­ne Lauf­bahn be­gon­nen und am denk­wür­di­gen 18. Au­gust in Ruhm und Ehre be­schlos­sen hat­te.

Die­sen Ruhm der Fa­mi­lie wo­mög­lich noch zu stei­gern war das, was die schwes­ter­li­che Tri­as mit al­len Mit­teln an­streb­te.

Hin­sicht­lich Wen­del­ins, der ih­rem ei­ge­nen Be­mü­hen in al­len Stücken ent­ge­gen­kam, be­son­ders auch dar­in, daß er zu spa­ren ver­stand, hin­sicht­lich die­ses äl­te­ren Bru­ders un­ter­lag das Er­rei­chen höchs­ter Zie­le kaum ei­nem Zwei­fel. Er war klug, nüch­tern, ehr­gei­zig, und so­viel durch Auf­hor­chen in dem mi­li­tär-ex­zel­lenz­li­chen Hau­se zur Kennt­nis The­re­sens ge­kom­men war, konn­te sich’s bei Wen­de­lin ei­gent­lich nur noch dar­um han­deln, ob er dem­nächst in das Kriegs­mi­nis­te­ri­um oder in den Ge­ne­ral­stab ab­kom­man­diert wer­den wür­de. Nicht so glück­lich stand es mit Leo, der, we­ni­ger be­an­lagt als der äl­te­re Bru­der, nur der »Schnei­dig­keit« zu­streb­te. Zwei Duel­le, von de­nen das eine ei­nem Ge­richts­re­fe­ren­da­ri­us einen Schuß durch bei­de Ba­cken und den Ver­lust et­li­cher Ober­zäh­ne ein­ge­tra­gen hat­te, schie­nen ein ra­sches Sich­nä­hern an sein Schnei­dig­keit­s­ide­al zu ver­ber­gen und hät­ten eben­so­gut wie Wen­del­ins Ta­len­te zu großen Hoff­nun­gen be­rech­ti­gen dür­fen, wenn nicht das Ge­s­penst der Ent­las­sung we­gen be­stän­dig an­wach­sen­der Schul­den im­mer ne­ben­her ge­schrit­ten wäre. Leo, der Lieb­ling al­ler, war zu­gleich das Angst­kind, und im­mer wie­der zu hel­fen und ihn vor ei­ner Ka­ta­stro­phe zu be­wah­ren, dar­auf war al­les Dich­ten und Trach­ten ge­rich­tet. Kein Op­fer er­schi­en zu groß, und wenn die Mut­ter auch ge­le­gent­lich den Kopf schüt­tel­te, für die Töch­ter un­ter­lag es kei­nem Zwei­fel, daß Leo, »wenn es nur mög­lich war, ihn bis zu dem ent­spre­chen­den Zeit­punkt zu hal­ten«, die nächs­te große Rus­sen­schlacht, das Zorn­dorf der Zu­kunft, durch ent­schei­den­des Ein­grei­fen ge­win­nen wür­de.

»Aber er ist ja nicht Gar­de du Corps«, sag­te die Mama.

»Nein. Aber das ist auch gleich­gül­tig. Die nächs­te Schlacht bei Zorn­dorf wird durch In­fan­te­rie ge­won­nen wer­den.«

bos­haf­te Äu­ße­rung  <<<

Zweites Kapitel

Es war ein Win­ter­tag, der drit­te Ja­nu­ar.

Eben kam Frie­de­ri­ke von ih­rem re­gel­mä­ßi­gen Mor­gen­ein­kauf zu­rück, einen Korb mit Früh­stücks­sem­meln in der einen, einen Topf mit Milch in der an­dern Hand, bei­des, Sem­meln und Milch, aus dem Kel­ler ge­gen­über. Die Fin­ger, trotz wol­le­ner Hand­schu­he, wa­ren ihr bei der Käl­te klamm ge­wor­den, und so nahm sie denn beim Ein­tre­ten in ihre Kü­che den Tee­kes­sel aus dem Koch­loch und wärm­te sich an der Glut. Aber nicht lan­ge, denn sie hat­te sich, weil sie ge­gen Mor­gen noch ein­mal ein­ge­schla­fen war, um eine hal­be Stun­de ver­spä­tet, was na­tür­lich wie­der ein­ge­bracht wer­den muß­te.

So mach­te sie sich denn eif­rig an ihre vom Brett ge­nom­me­ne Kaf­fee­müh­le, schüt­te­te, so daß sie nach­her nur noch auf­zu­gie­ßen brauch­te, das brau­ne Pul­ver in den Beu­tel und ging nun, nach­dem sie schließ­lich noch den Tee­kes­sel wie­der in die Glut ge­stellt hat­te, mit ih­rem Holz­korb (des­sen Bo­den üb­ri­gens je­den Au­gen­blick her­aus­zu­fal­len droh­te) nach vorn, um da das ein­fens­te­ri­ge Wohn­zim­mer zu hei­zen. Hier knie­te sie vor dem Ofen nie­der und bau­te Holz und Preß­koh­len so kunst­ge­recht auf, daß es nur ei­nes ein­zi­gen Schwe­fel­hol­zes, al­ler­dings un­ter Zutat ei­nes aus Zei­tungs­pa­pier zu­sam­men­ge­dreh­ten Zop­fes, be­durf­te, den künst­li­chen Bau in Brand zu set­zen.

Kei­ne hal­be Mi­nu­te ver­ging, so be­gann es im Ofen auch wirk­lich zu knacken und zu knis­tern, und als Frie­de­ri­ke nun wuß­te, daß es bren­nen wür­de, stand sie von ih­rem Ofen­platz wie­der auf, um sich ih­rer zwei­ten Mor­ge­n­auf­ga­be, dem Staub­ab­wi­schen, zu un­ter­zie­hen. Hier­bei, weil das, was sie leis­te­te, die drei Fräu­leins doch nie zu­frie­den­stell­te, ver­fuhr sie, so ge­wis­sen­haft sie sonst war, ziem­lich oben­hin und be­schränk­te sich dar­auf, eine über dem Sofa hän­gen­de Bil­der­rei­he, die Leo, trotz­dem es Zeit­ge­nos­sen wa­ren, die »Ah­nen­ga­le­rie des Hau­ses Pog­genp­uhl« zu nen­nen pfleg­te, leid­lich blank zu put­zen. Drei oder vier die­ser Bil­der wa­ren Pho­to­gra­phien in Ka­bi­nett­for­mat; die äl­te­ren aber ge­hör­ten noch der Da­guer­reo­ty­p­zeit an und wa­ren so ver­bli­chen, daß sie nur bei be­son­ders güns­ti­ger Be­leuch­tung noch auf ih­ren Kunst­wert hin ge­prüft wer­den konn­ten.

Aber die­se »Ah­nen­ga­le­rie« war doch nicht al­les, was hier hing. Un­mit­tel­bar über ihr prä­sen­tier­te sich noch ein Öl­bild von ei­ni­gem Um­fang, eine Kunst­schöp­fung drit­ten oder vier­ten Ran­ges, die den his­to­risch be­deu­tends­ten Mo­ment aus dem Le­ben der Fa­mi­lie dar­stell­te. Das meis­te, was man dar­auf se­hen konn­te, war frei­lich nur Pul­ver­qualm, aber in­mit­ten des­sel­ben er­kann­te man doch ziem­lich deut­lich noch eine Kir­che samt Kirch­hof, auf welch letz­te­rem ein ver­zwei­fel­ter Nacht­kampf zu to­ben schi­en.

Es war der Über­fall von Hoch­kirch, die Ös­ter­rei­cher bes­tens »ajus­tiert«, die ar­men Preu­ßen in ei­nem pi­toya­blen Be­klei­dungs­zu­stan­de. Ganz in Front aber stand ein äl­te­rer Of­fi­zier in Un­ter­kleid und Wes­te, von Stie­feln kei­ne Rede, da­für ein Ge­wehr in der Hand. Die­ser Alte war Ma­jor Bal­tha­sar von Pog­genp­uhl, der den Kirch­hof eine hal­be Stun­de hielt, bis er mit un­ter den To­ten lag. Eben die­ses Bild, wohl in Wür­di­gung sei­nes Fa­mi­li­en­af­fek­ti­ons­wer­tes, war denn auch in einen brei­ten und statt­li­chen Barock­rah­men ge­faßt, wäh­rend die bloß un­ter Glas ge­brach­ten Licht­bil­der nichts als eine Gold­b­or­te zeig­ten.

Alle Mit­glie­der der Fa­mi­lie, selbst der in Kunst­sa­chen et­was skep­ti­sche Leo mit ein­be­grif­fen, über­tru­gen ihre Pie­tät ge­gen den »Hoch­kir­cher« – wie der Hoch­kirch-Ma­jor zur Un­ter­schei­dung von vie­len an­dern Ma­jors der Fa­mi­lie ge­nannt wur­de – auch auf die bild­li­che Dar­stel­lung sei­ner ruhm­rei­chen Ak­ti­on, und nur Frie­de­ri­ke, so­sehr sie den Fa­mi­li­en­kul­tus mit­mach­te, stand mit dem al­ten, halb an­ge­klei­de­ten Hel­den auf ei­ner Art Kriegs­fuß. Es hat­te dies ein­fach dar­in sei­nen Grund, daß ihr ob­lag, mit ih­rem al­ten, wie Spinn­web aus­se­hen­den Staublap­pen doch min­des­tens je­den drit­ten Tag ein­mal über den über­all Berg und Tal zei­gen­den Barock­rah­men hin­zu­fah­ren, bei wel­cher Ge­le­gen­heit dann das Bild, wenn auch nicht ge­ra­de­zu re­gel­mä­ßig, so doch sehr, sehr oft von der Wand her­ab­glitt und über die Leh­ne weg auf das Sofa fiel. Es wur­de dann je­des­mal bei­sei­te ge­stellt und nach dem Früh­stück wie­der ein­ge­gipst, was al­les in­des­sen nicht recht half und auch nicht hel­fen konn­te, Denn die gan­ze Wand­stel­le war schon zu schad­haft, und über ein klei­nes, so brach der ein­ge­gips­te Na­gel wie­der aus, und das Bild glitt her­ab.

»Gott«, sag­te Frie­de­ri­ke, »daß er da so ge­stan­den hat, nu ja, das war ja viel­leicht ganz gut. Aber nu so ge­ma­len … es sitzt nich und sitzt nich.«

Und nach­dem sie dies Selbst­ge­spräch ge­führt und die Ofen­tür, was im­mer das letz­te war, wie­der fest zu­ge­schraubt hat­te, tat sie Hand­fe­ger und Wisch­tuch wie­der in den Holz­korb und trat lei­se durch die lan­ge Schlaf­stu­be hin ih­ren Rück­zug in die Kü­che an. Es war aber nicht mehr nö­tig, da­bei so vor­sich­tig zu sein, denn alle vier Da­men wa­ren be­reits wach, und Ma­non hat­te so­gar den einen nach dem Hof hin­aus­füh­ren­den Fens­ter­flü­gel halb auf­ge­macht, da­von aus­ge­hend, daß vier Grad un­ter Null im­mer noch bes­ser sei­en als eine vier­schläf­ri­ge Nacht- und Stu­ben­luft.

Kei­ne Vier­tel­stun­de mehr, so kam der Kaf­fee. Die Da­men sa­ßen schon vorn in der war­men Stu­be, die Ma­jo­rin auf dem Sofa, The­re­se in ih­rem Schau­kel­stuhl, wäh­rend Ma­non, einen Hand­werks­zeug­kas­ten vor sich, eben die­sen Kas­ten nach ei­nem et­was län­ge­ren Na­gel, und zwar für den al­ten, wie­der her­ab­ge­fal­le­nen »Hoch­kir­cher«, durch­such­te.

»Frie­de­ri­ke«, sag­te die Ma­jo­rin, »du soll­test dich mit dem Bil­de doch et­was mehr in acht neh­men.«

»Ach, Frau Ma­jo­rin, ich tu es ja, ich rühr ihn ja bei­nah nich an; aber er sitzt im­mer so wack­lig … Gott, Ma­non­chen, wenn Sie doch bloß mal einen recht lan­gen fän­den oder, noch bes­ser, wenn Sie mal so ’nen rich­ti­gen Ha­ken ein­schla­gen könn­ten. In acht neh­men! Gott, ich den­ke ja im­mer dran, aber wenn er denn so mit ein­mal rutscht, krieg ich doch im­mer wie­der ’nen Schreck. Un is mir im­mer, als ob er viel­leicht sei­ne Ruhe nich hät­te.«

»Ach, Frie­de­ri­ke, rede doch nicht solch dum­mes Zeug«, sag­te The­re­se halb är­ger­lich. »Der, ge­ra­de der. Als ob der sei­ne Ruhe nicht hät­te! Was das nur hei­ßen soll! Ich sage dir, der