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London, 1843: Kronprinzessin Justine von Wesloria braucht dringend einen Gatten. In Kürze soll sie den Thron besteigen, und ihr Volk erwartet, dass sie dann verheiratet ist. In London will die schüchterne Prinzessin einen passenden Prinzgemahl finden. Damit sie nicht auf einen Wüstling hereinfällt, soll William, Lord Douglas, ihr helfen, ungeeignete Kandidaten auszuschließen. Immerhin ist er selbst einer der größten Schürzenjäger und erkennt seinesgleichen sofort! Je kleiner der Kreis der Bewerber wird, desto deutlicher merkt Justine, wen ihr Herz als Prinzgemahl auserkoren hat: ausgerechnet William! Doch einen Lebemann wie ihn würde das Volk von Wesloria niemals an ihrer Seite akzeptieren …
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Seitenzahl: 540
IMPRESSUM
HISTORICAL GOLD erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2022 by Dinah Dinwiddie Originaltitel: „Last Duke Standing“ erschienen bei: HQN Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL GOLD, Band 392 06/2023 Übersetzung: Charlotte Gatow
Abbildungen: Harlequin Books S. A., Jupiterimages, Pornsawan Baipakdee / Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 06/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751516235
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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1844
Als Justine vierzehn war, nahm ihr Vater sie in den bergigen Norden von Wesloria mit. Er sagte, er wolle sich mit den Kohlebaronen treffen. Sie seien unruhig und bräuchten jemanden, der zwischen ihnen vermittelte. Justine hatte sich gefragt, warum.
„Weil Kohlebarone immer unruhig sind und Vermittlung brauchen, Liebes“, hatte er gesagt, als sei das allgemein bekannt.
Sie hatte sich Männer in schweren Mänteln vorgestellt, mit verrußten Gesichtern, die vor Kaminen hin und her gingen und grollend vor sich hin murmelten. Aber in Wirklichkeit sahen die Kohlebarone wie alle Gentlemen in Weslorian aus und hatten saubere Gesichter.
Sie sahen sie mit Mienen an, die von Abneigung über Gleichgültigkeit bis zu Neugier reichten.
„Kümmere dich nicht um sie“, hatte ihr Vater gesagt. „Es sind keine zeitgemäßen Männer.“
Justine und ihr Vater waren auf Astasia Castle untergebracht. Es war eine Festung, die aus einer Felszunge herausragte und so hoch auf dem Berg lag, dass die Pferde Mühe hatten, die königliche Kutsche die steile Auffahrt hochzuziehen. Angeblich war es die beste Unterkunft der Gegend. Sie war Justine und ihrem Vater aufgrund der Tatsache zur Verfügung gestellt worden, dass Justines Vater König von Wesloria war und sie die Kronprinzessin, die legitime Thronerbin.
Justine sagte, die Burg sehe unheimlich aus. Ihr Vater erklärte, Burgen seien so gebaut, damit man sich nähernde Armeen und Plünderer schon in meilenweiter Entfernung sehen könne und flüchtende Bräute ebenso.
„Flüchtende Bräute?“ Justine war von der Idee, dass etwas so Romantisches so schrecklich schiefen laufen konnte, beeindruckt.
„Petr, der Irre, sah zu, wie seine Braut mit seinem besten Ritter davonlief und wie seine Männer sie meilenweit jagten, bevor sie entflohen. Er war so wütend, dass er das halbe Dorf niederbrannte.“ Ihr Vater führte das nicht weiter aus, denn die Tore hatten sich geöffnet und der Kastellan kam angelaufen, um dem König und seiner Nachfolgerin die alte Königsburg zu zeigen, die er so stolz verwaltete.
Sir Corin trug ein staubiges blaues Wams, das ihm bis zu den Schenkeln herabhing. Die unteren vier Knöpfe standen offen, damit sein Wanst Platz hatte. Sein zotteliges graues Haar war zu einem altmodischen Zopf gebunden. An seiner Taille hing ein Schlüsselbund, das bei jedem seiner Schritte klirrte.
Er sei mit der Geschichte vertraut, sagte er, und könne ihnen jede nur mögliche Frage über Astasia Castle beantworten und fuhr damit fort, sein detailliertes Wissen über das feuchte, zugige Gebäude mit seinen engen Fluren und niedrigen Decken darzulegen. Ein junger russischer Prinz war in diesem Zimmer gestorben. Eine frühere Königin hatte ihr Leben bei der Geburt ihres zehnten Kindes in jenem Zimmer verloren.
Sir Corin zeigte ihnen den Thronsaal. „Mehr als ein Herrscher hat hier Hof gehalten.“
Justine war an die Opulenz des Palastes in der Hauptstadt von Wesloria, St. Edys, gewöhnt. Dies hier sah eher wie ein Aufenthaltsraum in einem öffentlichen Gebäude aus. Er war klein und dunkel, die Throne des Königs und der Königin aus Holz und die Wandteppiche verblichen von Zeit und Rauch.
In einem anderen Raum, hob Sir Corin hervor, hatte König Maksim die Kapitulation seines Lehnsmanns König Igor angenommen und damit ganz Weslorian nach Generationen voller Zwietracht unter einem Herrscher vereinigt.
„Mein Namensvetter“, sagte ihr Vater stolz und vergaß dabei vielleicht, dass König Maksim die Truppen von König Igor allesamt abgeschlachtet hatte, um sie zu vereinigen.
Sie kamen zu einem kleineren Innenhof. Steinerne Mauern erhoben sich zu drei Seiten, die äußere Mauer aber hatte eine Brustwehr. Sir Corin zeigte auf eine Tür an einem Ende der Brustwehr, die zu einem Wehrturm mit schmalen Fenstern führte. „Heute benutzen wir ihn als Vorratsraum, aber in den alten Tagen haben sie dort Gefangene eingesperrt. Schlimmer als jedes Verlies, das ihre jungen Augen je gesehen haben, Eure Königliche Hoheit.“
Justine hatte noch nie ein Verlies gesehen.
„Wurde hier nicht Lord Rabat geköpft?“, fragte ihr Vater beiläufig. Zu Justine sagte er: „Rabat war dein Urgroßonkel.“
„Ja, Eure Majestät, der Block ist immer noch hier.“ Sir Corin zeigte auf einen großen Holzblock, der – ungefähr zwei Fuß hoch und zwei Fuß breit – für sich stand. Heftiger Sonne und elenden Wintern ausgesetzt, war er im Laufe der Zeit verwittert.
„Oh, wie furchtbar“, sagte Justine und krauste die Nase.
„Ziemlich“, stimmte ihr Vater zu und erklärte deutlich zu sehr begeistert, wie ein Mensch dazu gebracht wurde, sich vor dem Block hinzuknien und den Kopf daraufzulegen. „Ein guter Scharfrichter konnte mit einem einzigen Streich saubere Arbeit leisten. Wupp, und der Kopf rollte in den Korb.“
„Wenn Ihr erlaubt, Eure Majestät, ein guter Scharfrichter war schwer zu bekommen. In dieser Gegend gibt es mehr Bergarbeiter als Männer, die gut mit dem Breitschwert umgehen konnten. Tatsache ist, dass es drei Schwertstreiche brauchte, um Rabats Kopf vollständig abzutrennen.“ Sir Corin fand es erforderlich, die drei Schläge mit dem Arm zu demonstrieren.
„Ah.“ Justine schluckte eine Welle von Übelkeit herunter.
„Drei Versuche?“, wiederholte ihr Vater hingerissen. „Sie haben es nicht mit einem Mal geschafft?“
Sir Corin schüttelte den Kopf. „Das beweist, wie wichtig es ist, das Breitschwert scharf zu halten.“
„Und jemanden in der Nähe zu haben, der weiß, wie man es schwingt“, fügte ihr Vater hinzu. Die beiden Männer lachten unverhohlen.
Justine sah sich nach einem Platz um, wo sie sich setzen, den Kopf zwischen die Beine stecken und tief durchatmen konnte. Leider war der Richtblock der einzig mögliche Sitzplatz.
„Beruhige dich, meine Liebe. Ich habe dir noch nicht erzählt, wer die Enthauptung befohlen hat“, sagte ihr Vater.
Voller Vorfreude faltete Sir Corin die Hände. Er konnte offenbar sein Entzücken kaum zurückhalten.
„Deine Urgroßtante, Königin Elena.“
Königin Elena hatte Lord Rabat enthaupten lassen? „Ihren Ehemann?“
„Schlimmer noch. Ihren Bruder.“
Justine schnappte nach Luft. „Aber wieso?“
„Weil ursprünglich Rabat sie hinrichten lassen wollte. Derjenige, der als Sieger aus der Schlacht hervorgehen würde, würde zum Herrscher gekrönt werden.“
„Oh, es war außerdem eine blutige Schlacht“, sagte Sir Corin eifrig. „Viertausend getötete Seelen, viele davon fielen direkt von der Festungsmauer.“
Justine trat einen Schritt zurück. Irgendwo tief in ihrem Inneren begann ein Beben, das ihr den Atem nahm. Ihre Knie fühlten sich an, als wollten sie nachgeben und beim Gedanken an den Tod so vieler Menschen kribbelte ihre Haut. „Hätte sie ihn nicht einfach verbannen können?“
„Damit er sich wie eine Schlange wieder zurückschlängeln konnte?“ Ihr Vater legte einen Arm um sie, bevor sie bis nach St. Edys zurückgehen konnte. „Sie hat das Richtige getan. Denn nur Minuten vorher war sie es, deren Kopf auf dem Block lag.“
„Großer Gott“, flüsterte Justine.
„Aber im letzten Moment haben die Leute sie gerettet“, sagte ihr Vater. „Sie verurteilte ihren Bruder für seine Auflehnung zum sofortigen Tod und stand genau hier, wo wir jetzt stehen, um zuzusehen, wie sein Verräterkopf in den Korb rollte.“
„Nun“, sagte Sir Corin. „Ich würde es nicht rollen nennen.“
Wieder lachten die beiden Männer.
„Schließ die Augen nicht, Liebling!“, sagte ihr Vater und drückte sie an sich. „Schau dir diesen Block an! Elena war erst siebzehn, aber sie war sehr schlau. Sie wusste, was sie tun musste, um die Macht zu behalten und das Königreich zu regieren. Und sie hat sehr lange Zeit regiert.“
„Dreiundvierzig Jahre insgesamt“, sagte Sir Corin stolz.
„Königin Elena lernte, was jeder Herrscher lernen muss: Sei entschlossen und handele schnell. Verstehst du?“
„Ich glaube nicht.“ Justine hatte das Gefühl, als beginne sich alles um sie herum zu drehen.
„Das wirst du noch.“ Ihr Vater zog den Arm weg. Er ging zum Richtblock hinüber, um ihn zu inspizieren. „Wir hätten dich fast nach ihr benannt: Elena. Aber sie wurde Elena, die Schlam…, die Hexe genannt“, sagte er. „Und deine Mutter fürchtete, sie könnten dich ebenso nennen.“
„Du hast gesagt, sie sei eine gute Königin gewesen.“
„Sie war eine hervorragende Königin. Aber manchmal ist es schwierig, zu tun, was getan werden muss und gleichzeitig vom Volk bewundert zu werden.“
Das Drehen wurde stärker. Sie griff nach dem Arm ihres Vaters. „Warum?“
„Weil die Leute erwarten, dass sich eine Frau wie eine Frau verhält. Aber eine gute Königin muss manchmal zum Besten des Königreichs wie ein König handeln. Den Leuten ist das egal.“ Er zuckte mit den Schultern. „Kein König und keine Königin können ihre Untertanen immer glücklich machen.“ Plötzlich lächelte er. „Du siehst ein bisschen wie Königin Elena aus.“
„Ihr Ebenbild“, meldete sich Sir Corin zu Wort.
Später an diesem Tag sah Justine ein Porträt von Königin Elena. Sie lächelte nicht, sah aber auch nicht ganz und gar unfreundlich aus. Sie wirkte einfach entschlossen. Und ihr Kleid war ausgesprochen elegant, mit vielen aufgestickten Perlen.
Noch später, als sich ihr Vater und seine Männer zurückgezogen hatten, um Zigarren zu rauchen und über Kohle und andere Dinge zu reden, kehrte Justine allein in den Innenhof zurück. Niemand war da, keine Wache hielt Ausschau nach Plünderern oder entlaufenen Bräuten. Justine blickte hoch zu den Spitzen der windgepeitschten Kiefern, die an dem düsteren grauen Himmel zu schaben schienen. Sie ging die Treppen zur Brustwehr empor und blickte zu dem Bergtal unterhalb der Burg herab. Sie breitete die Arme weit aus, schloss die Augen und wandte das Gesicht zum Himmel.
Das war das erste Mal, dass sie es wirklich spürte: den Sog tief in ihrem Inneren, die Energie all der Könige und Königinnen vor ihr, die sich zur Krone auf ihrem Haupt erhoben und fest in dieser Erde verankert waren. Sie spürte die Jahrhunderte der Kriege und Kämpfe, der Menschen, die ihre Familie regiert hatte. Sie spürte die enorme Verantwortung, die sie alle getragen hatten, ihre Anstrengungen, eine Straße in die Zukunft zu bahnen.
Ihr Vater hatte oft gesagt, er spüre das Gewicht der Krone auf seinen Schultern. Aber Justine spürte etwas ganz anderes. Sie hatte nicht das Gefühl, dass die Krone sie niederdrückte, sondern eher, dass sie sie emporhob und dort festhielt. Justine glaubte nicht, dass sie sich das einbildete, sondern dass es eine Verbindung mit der Vergangenheit war. Sie würde Königin sein. Sie wusste es und als sie dort stand, spürte sie auch, dass sie es sein sollte. Sie war dafür bestimmt.
Ein Windstoß hätte sie beinahe fortgeweht; also verließ sie die Brustwehr. Vor dem Richtblock blieb sie stehen und stellte sich vor, sie kniete davor und wüsste, ihr Tod stehe unmittelbar bevor. Sie stellte sich vor, wie sie aussehen würde. Sie hoffte, sie würde stark und vornehm wirken, ohne den geringsten Hinweis auf ihre Angst vor dem Schmerz oder dem Unbekannten.
Königin zu werden war ihr bestimmt. Sie wusste, es würde so sein.
Aber sie hatte nicht gewusst, wie rasch es so weit sein würde.
1855
St. Edys, Hauptstadt von Wesloria
Die Kronprinzessin Justine Marie Edda Ivanosen machte einen zögernden Schritt hinterm Vorhang hervor und betrachtete das Podium in der Mitte der Plattform. Sie strich über ihren Rock und …
„Non, non, non, non.“ Ein drahtiger Herr mit sehr blondem Haar hob verzweifelt die Hände.
Die Prinzessin stöhnte zur Decke hinauf. „Was habe ich gemacht?“
Der unvergleichliche Monsieur DuPree, ein von Kaiserin Eugénie von Frankreich ausgeliehener Lehrer für Rhetorik und der Etikette, faltete die Hände und sagte bittend: „Eure Königliche Hoheit, s’il vous plait.“ Er sprang auf die Plattform und kam zu ihr, um es ihr noch einmal zu erklären.
Auf seinem Platz in der Königlichen Loge neben Ihrer Majestät Königin Agnes unterdrückte der Premierminister von Weslorian, Dante Robuchard, ein Seufzen. Die Prinzessin hatte schon beim Gedanken an öffentliche Reden entsetzliches Lampenfieber, was für eine zukünftige Königin ein Problem war, weil öffentliche Reden ganz oben auf der Liste der Voraussetzungen standen. Die Einwohner von Wesloria würden eine Königin brauchen, die bestimmt und schön sprach, die Zuversicht und Führungswillen ausstrahlte. Und nicht jemanden, der zitterte, sobald er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. Sogar jetzt verriet der Saum ihres Kleides ihre Aufregung und strahlte das Gegenteil von Zuversicht aus.
„Sie dürfen nicht zögern“, mahnte Monsieur DuPree.
„Es tut mir leid, aber das ist das erste Mal, dass ich den fertiggestellten Saal sehe“, sagte die Prinzessin.
Es wahr wahrhaftig ein beeindruckender Schauplatz. In der neuen Prince Vasilly Hall mit ihrer Kuppeldecke, die Szenen aus dem Leben von Jeanne d’Arc zeigte, den samtbehangenen Logen, den goldenen Kordeln über dem Gestühl, den riesigen Kristallleuchtern, von denen jeder hundert Gaslampen enthielt, und den fünfhundert Sitzplätzen wirkte die Prinzessin wie ein Zwerg. Nur in Paris, Rom und London gab es ähnlich beeindruckende Innenräume wie diesen. Nicht in Wesloria. Nicht, bis er Premierminister geworden war.
Immerhin, dachte er bei sich, wenn man etwas Gutes über Prinzessin Justine sagen wollte – und offen gesagt, hörte man wenig Gutes über sie –, dann, dass sie die Haltung und das gute Aussehen einer Königin hatte. Wie ihre Mutter war sie etwas größer als der Durchschnitt und besaß eine gute Figur – ebenfalls wie ihre Mutter. Jedoch hatte die Königin blaue Augen, während die Augen ihrer Tochter leuchtend und neugierig und von einem warmen Honigton waren, und sie neigten dazu, ihr Gegenüber direkt anzusehen, wenn die Prinzessin mit jemandem sprach.
Minister – die meisten waren alte Männer, die ihr sexuelles Verlangen bereits vor Jahrzehnten verloren hatten – würden einer attraktiven jungen Frau viele Fehler vergeben. Und die Prinzessin war genau das. Sie hatte langes, dunkelbraunes Haar, das in einer kunstvollen Frisur aus geflochtenen Schlingen und Knoten – wie es der Mode in Wesloria entsprach – in ihrem Nacken zusammengehalten wurde. Die weiße Haarsträhne, ein schmaler Strang, der sich jeder Farbe widersetzte und ein seltsames Familienmerkmal war, sah aus, als sei sie absichtlich weiß gefärbt worden. Die Prinzessin trug ein mit Sonnenstrahlen gemustertes Kleid aus goldfarbener Seide nach der französischen und englischen Mode: mit einem gestuften Rock und mächtigen Ärmeln. Der Saum endete an ihren Fußknöcheln, sodass man ihre bestickten Ziegenlederschuhe sah.
Über das Kleid hatten die Königin und er heftig diskutiert. Frauenkleidung in Wesloria war körpernah geschnitten und hatte eine lange bestickte Schleppe. Die jetzige Königin fand es wichtig, dass die zukünftige Königin ein solches Kleid trug. Aber Dante hatte argumentiert, dass die Menschen sich vor dem fürchteten, was sie nicht verstanden. Und weil die Prinzessin eine Handelsware auf einem internationalen Heiratsmarkt war, sollte sie sich in der Öffentlichkeit kleiden, wie Adelige es in Paris und London taten.
Am Ende hatte er die Schlacht gewonnen.
Die Prinzessin und Monsieur DuPree verschwanden wieder hinter dem Vorhang.
Prinzessin Justine war heute hier, um die Rede zu proben, die sie anlässlich der Eröffnung des Saals halten wollte. Die Veranstaltung war gleichzeitig der Auftakt zur jährlichen Carlarischen Kunstmesse, zu der Menschen aus aller Welt nach St. Edys strömten. Für gewöhnlich hatte der König den Vorsitz, doch sein prekärer Gesundheitszustand ließ das in diesem Jahr nicht zu. Der König litt an Tuberkulose. Er schwand immer mehr dahin. Unter vier Augen hatten die königlichen Ärzte gesagt, er werde das Jahr nicht überleben.
Der König kannte seinen schlechten Gesundheitszustand und hatte Dante gegenüber seinen sehnlichen Wunsch ausgedrückt, dass Prinzessin Justine ernsthaft auf die Thronbesteigung vorbereitet werden und – falls irgend möglich – ein Prinzgemahl ausgewählt werden sollte. „Ohne einen Mann an ihrer Seite werden sie sie bei lebendigem Leib verspeisen“, hatte er eines Abends gesagt.
Der König hatte recht damit und Dante gehörte gewiss zu den gemeinten Leuten. Immerhin war er der Premierminister. Er musste in der Lage sein, die junge Frau in die Richtung zu steuern, in der er sie haben wollte.
Jetzt betrachtete er die Prinzessin, ihre schmalen Schultern und ihr junges Gesicht und versuchte sich vorzustellen, wie sie ohne die Hilfe ihres Vaters die Last eines ganzen Landes tragen würde. Seiner bescheidenen Meinung nach war sie auf den Thron nicht vorbereitet und die Königin teilte seine Ansicht offenbar, jedenfalls gemessen an der Zahl der Seufzer, die sie in der Nähe ihrer Tochter hervorstieß. Er verstand ihre Ungeduld. Er selbst hatte schrecklich oft über Prinzessin Justine nachgedacht, wenn eigentlich dringendere Angelegenheiten seine Aufmerksamkeit forderten.
Aus den Augenwinkeln sah er zur Königin hinüber. Dabei fiel ihm ihr saurer Gesichtsausdruck auf, als sie ihre ältere Tochter betrachtete. Weil dies nur eine Probe war, saßen sie nur zu zweit in der Loge. Tatsächlich hatte Dante geglaubt, nur sie zwei wären überhaupt zugegen, doch unten im Saal hatte sich eine Handvoll Zuschauer versammelt. Die meisten waren Höflinge. Doch ohne Begründung war auch Prinzessin Amelia, die nächste in der Thronfolge, anwesend. Sie war in Begleitung ihrer ständigen Gefährtinnen. Dante betrachtete diese Mädchen als eine Art Kaninchen, von denen immer ein paar herumhoppelten und in Sachen gerieten, die sie nichts angingen. Erst neulich hatte er vorgeschlagen, Prinzessin Amelia könne Kunst in der Schweiz studieren, wie so viele erwachsene königliche und adelige Töchter es taten. Die Königin wollte davon nichts hören.
Dante hatte erst vor einem Jahr einen harten Kampf um sein Ministerium gewonnen. Er hatte früh verstanden, dass er vorsichtig vorgehen musste, wenn es um die Prinzessinnen ging. Amelia war das Lieblingskind der Königin und Justine, nun ja, Justine war das nicht. Vielleicht war sie es früher irgendwann mal gewesen. Aber die jüngst zurückliegenden Ereignisse hatten einen Schatten auf die junge Frau geworfen. So oder so würde sie Königin werden und da er lange an der Macht bleiben wollte, war sie die Prinzessin, die ihn am meisten anging. Er war entschlossen, die schlecht funktionierende Wirtschaft, unter der Wesloria seit Jahrhunderten litt, so umzubauen, dass Wohlstand und ein neues Zeitalter einkehrten. Unter König Maksim hatte das Land bedeutende Fortschritte gemacht. Aber es gab noch viel mehr zu tun. Angesichts der fortschreitenden Krankheit des Königs musste Prinzessin Justine so formbar wie möglich sein. Und darin lag das Problem.
Unter ihnen beendete Monsieur DuPree seine Unterredung, eilte zum Rand des Podiums, sprang auf den Boden und setzte sich zwischen die Höflinge.
Dantes erster Fehler war gewesen, dass er angenommen hatte, eine junge Frau in Prinzessin Justines Alter – sie würde in einigen Wochen fünfundzwanzig werden – sei leicht zu beeinflussen. Aber sie verhielt sich einfach weder vorhersagbar noch für ihn logisch. Das hatte ihn viele Monate lang verwirrt, bis er eines Tages realisiert hatte, dass er wollte, dass sie ein Mann war. Dass sie wie ein Mann dachte und ging und sprach. Und weil das unmöglich war, war die nächstbeste Lösung, sie mit einem zu verheiraten. Schnellstens. Ihr einen Gefährten zu verschaffen, wie der König vorgeschlagen hatte; jemand, der sie – unter Dantes beträchtlichem Einfluss – leitete.
„Nun, fangen Sie noch einmal an!“, bellte Monsieur DuPree.
Prinzessin Justine trat hinter dem Vorhang hervor und dieses Mal ging sie zielgerichtet über das Podest zum Rednerpult, während sich die Zuschauer erhoben. Sie bedeutete ihnen auf königliche Weise, sich zu setzen. Während der nächsten Augenblicke stand sie am Pult und sah genau wie die intelligente junge Frau aus, die von den besten Lehrern Weslorias unterrichtet worden war. Sie wirkte auch gesund und sportlich, was Dante sehr mochte, aber nie sagte, weil die Königin hinreichend deutlich gemacht hatte, dass ihr Sportlichkeit bei einer Prinzessin missfiel, insbesondere wenn es sich um Fechten handelte, ein Sport, von dem Dante gehörte hatte, dass die Prinzessin ihn ausübte.
Ausschlaggebend war, dass sie alle nötigen Eigenschaften besaß, um eine gute Königin zu werden und eine gute Ehefrau und ein guter Fang für die richtige Art Mann.
Die richtige Art Mann.
Und darin lag ein weiteres Problem. Dante traute der Prinzessin nicht zu, sich für die richtige Art zu entscheiden – vor allem vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse. Ihm verzog sich immer noch das Gesicht, wenn er daran dachte, wie sehr ihn die unpassende Beziehung der Prinzessin mit Aldabert, dem Sohn von Herzog Gustav, diesem dekadenten Freigeist, in seinem ersten Amtsjahr beschäftigt hatte.
Prinzessin Justine legte beide Hände aufs Rednerpult. Sie sah die kleine Zuschauerschar an und sagte: „Guten Abend!“
„Entschuldigen Sie, Königliche Hoheit, aber Sie müssen lauter sprechen“, ermahnte sie Monsieur DuPree.
Die Prinzessin senkte kurz den Kopf, um sich zu sammeln.
Aldabert Gustav. Wie sehr hatte es Dante gefreut, als dieser verlogene Schurke des Landes verwiesen worden war. Er war ein verwöhnter Bengel, dem sein sinnliches Vergnügen wichtiger war als die Pflicht und die Trophäe für die Eroberung einer jungen Prinzessin wichtiger als der nationale Skandal, der sich damit verband. Für ihn sprach nichts und er hatte frech gelogen, um das Herz der Prinzessin und weiß Gott noch was zu erobern. Doch selbst als der Prinzessin die Beweise für seine Niedertracht vorgelegt worden waren, hatte sie sich hartnäckig geweigert zu glauben, dass er bis auf die Knochen verdorben war.
Die gesamte schäbige Affäre war ein königliches Fiasko gewesen und es hatte einer bedeutenden Zahlung aus der Privatschatulle des Königs an Lord Gustav bedurft, damit dessen liederlicher Sohn sofort eine deutsche Erbin heiratete und aus dem Land verschwand.
Die Prinzessin hob erneut den Kopf. Sie sah nun blass und angegriffen aus. War es wirklich so quälend, vor wenigen Menschen zu reden? Es erschien Dante so seltsam. Privat konnte sie wirklich selbstbewusst sein. Aber wenn sie öffentlich reden musste, verlor sie jegliche Zuversicht.
Sie räusperte sich. Sie nahm das Blatt Papier mit ihrer Rede und selbst aus der Entfernung konnte Dante sehen, wie sehr sie zitterte.
„Wenn sie nur endlich reden würde“, flüsterte die Königin vernehmbar. „Ich hielte es für besser, wenn Amelia die Rede halten würde. Sie ist wesentlich aufgeweckter.“
Prinzessin Justine senkte das Papier und blickte zur königlichen Loge empor. „Es würde mich für Amelia freuen, wenn sie die Rede hielte, Mama.“
„Oh! Entschuldige, Liebling! Achte einfach nicht auf uns! Du machst das gut, Liebes!“, kicherte die Königin.
Die Prinzessin blickte wieder auf das Papier.
Dante war anderer Meinung als die Königin. Prinzessin Amelia erinnerte ihn an ein ungezogenes Kind, während Prinzessin Justine elegant wirkte.
„Guten Abend!“, wiederholte die Prinzessin deutlich lauter. Abwesend wischte sie sich die Handfläche wieder an ihrem Kleid ab. Die Königin schnalzte entnervt mit der Zunge. „Bonem owen!“, fuhr die Prinzessin fort und wünschte damit allen auf Weslorisch einen guten Abend. Und sie begann mit bebender Stimme unsicher auf Weslorisch zu reden. Sie sprach absurderweise, als ergäben die Worte für sie keinen Sinn. Natürlich war die Mutter der Prinzessin Deutsche, während die Muttersprache ihres Vaters Weslorisch war. Beide sprachen untereinander Englisch und die Prinzessin sprach das Weslorische flüssig.
„Ledia et harrad.“ Sehr geehrte Damen und Herren. Das klang jetzt besser. „Willkommen!“, sagte sie auf Englisch und vergaß offenbar, welche Sprache sie für eine Weile sprechen sollte. Und dann fuhr sie auf Weslorisch – gemischt mit Englisch – fort: „En honra e Unabhängigkeit.“ Sie hielt inne und schielte auf ihr Papier. „Wir …“
„Non!“, sagte Monsieur DuPree und stand auf. „Noch einmal bitte, Eure Königliche Hoheit!“
„Es tut mir leid, aber ohne meine Brille kann ich nicht lesen.“
„Darüber haben wir gestern erst gestritten“, flüsterte die Königin Dante zu. „Aber ich will nicht, dass sie wie ein Blaustrumpf aussieht.“ Als sei etwas falsch daran, wenn eine Tochter gebildet und belesen aussah.
„Vielleicht ist es das Weslorische“, fragte sich Dante laut. „Es ist nicht die Sprache, die sie gern spricht.“
Die Königin entgegnete empört: „Aber es ist ihre Muttersprache. Sie hätte sie besser lernen sollen.“
Das war gewagt, wenn man bedachte, dass die Königin selbst nie Weslorisch gelernt hatte.
„Par de … Kandidaten?“, sagte die Prinzessin unten. Sie blinzelte auf das Papier. „Oh, Entschuldigung. Candreda“, sagte sie.
Die Prinzessin hielt das Papier weiter weg. Unter ihr kicherten ihre Schwester und ihre Freundinnen. Die kleine Gruppe Höflinge wurde unruhig und die Prinzessin noch blasser. „Par de candreda“, sagte sie.
Monsieur DuPree stand langsam auf. Mit hinter dem Rücken verschränkten Händen stieg er die Treppe hoch, um sich noch einmal mit der Prinzessin zu besprechen. Die wandte sich ihm zu, als erwarte sie eine Ohrfeige.
„Ich habe mich oft gefragt, warum Amelia nicht meine Erstgeborene ist“, überlegte die Königin seufzend und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Sie ist so gesellig, ein Naturtalent für solche Dinge und …“
„Mama!“, sagte Prinzessin Justine scharf. „Ich kann dich hören!“
„Es tut mir leid, Liebling. Fahr fort!“ Die Königin kreuzte die Arme. „Was sollen wir machen, Robuchard?“, flüsterte sie. „Es ist hoffnungslos!“
Prinzessin Justine war alles andere als hoffnungslos. Doch das tat jetzt nichts zur Sache. Dies hier war der Moment, auf den Dante lange gewartet hatte, die Gelegenheit, seinen wohlbedachten Plan vorzulegen, ohne impertinent zu erscheinen. „Ich habe einen Vorschlag, Majestät, wenn Sie erlauben.“
„Wie lautet er?“
Er beugte sich so nah wie möglich, ohne Aufsehen zu erregen. Er flüsterte, während Monsieur DuPree hinter die Prinzessin trat, ihr die Hände um die Taille legte und sie vor das Rednerpult schob. „Ich möchte vorschlagen, Ihre Königliche Hoheit nach London zu schicken, um dort von einer Frau zu lernen, die selbst einmal eine junge Königin war. Victoria hat den Thron mit achtzehn bestiegen und ich glaube, sie kann unbezahlbare Ratschläge geben.“
Monsieur DuPree wedelte mit den Armen in Richtung Publikum, während er der Prinzessin etwas erklärte.
„Und – wenn ich das hinzufügen darf – es wäre auch vorteilhaft, sie und Prinzessin Amelia außer Landes zu wissen, bis die Ereignisse vergessen sind.“
Die Königin warf ihm einen düsteren Blick zu. „Sie meinen die Gustavs.“
Dante achtete darauf, dass seine Miene neutral blieb. „Wir könnten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wenn wir sie für eine Art Ausbildung nach London schicken, könnten wir auch dafür sorgen, dass die von uns in Betracht gezogenen Bewerber sich dort vorstellen. Denken Sie darüber nach: Es könnte sein, dass sie mit jemandem zurückkehrt, den sie heiraten möchte.“
„Sind Sie verrückt geworden, Robuchard? Bewerber?“ Die Königin betrachtete ihre Tochter auf dem Podest, beugte sich zu Dante und flüsterte: „Nach allem, was passiert ist? Ohne mich, um sie im Auge zu behalten? Ich kann meinen Mann nicht allein lassen.“
Dante hatte erwartet, dass sie die Chance ergreifen würde, dem für eine Weile zu entkommen, was die Zeitungen „Die missliche Lage der Prinzessin“ nannten. War es möglich, dass die Königin mütterlicher war, als er geglaubt hatte?
Nein, unmöglich. Sogar so unmöglich, dass es geradezu lächerlich war.
„Würden Sie mir nicht auch zustimmen, dass es besser wäre, wenn die Prinzessin heiratete? Vor allem im Hinblick auf das Thema Abdankung?“
Die Königin erstarrte. Das Thema war bereits ihr und dem König gegenüber zur Sprache gebracht worden. Aber nur in der Theorie. Und die Theorie war, dass die Gesundheit des Königs so stark abnahm, dass er seinen Pflichten nicht mehr nachkommen konnte. Wegen der Nation und der politischen Stabilität der Monarchie könnte es möglich werden, zugunsten von Prinzessin Justine abzudanken.
„Natürlich würde ich das nicht vorschlagen, bevor ich nicht sichergestellt habe, dass alle wichtigen Vorkehrungen getroffen worden sind. Sie würde von Lord Bardaline als Kammerherr und seiner Frau als Hofdame beraten und beaufsichtigt werden.“
Die Königin dachte darüber nach. „Lady Bardaline ist klug.“
Natürlich war sie das. Sonst hätte Dante sie nicht vorgeschlagen. Sie war eine enge Freundin der Königin, wusste aber auch, wie man sich alle Türen offen hielt und sich bei ihm permanent Gehör verschaffte. „Falls Sie und der König gestatten, würde ich ebenfalls vorschlagen, dass wir die Hilfe von Lady Lila Aleksander von Dänemark in Anspruch nehmen.“
Die Königin riss überrascht die Augen auf. Sie lehnte sich zurück und betrachtete ihn von oben nach unten. „Wie bitte?“
„Lady Aleksander ist eine Heiratsvermittlerin.“
„Ich weiß, wer sie ist, Robuchard.“
„Sie ist die beste in ganz Europa“, fuhr Dante ruhig fort. „Sie hat für die schwierigsten Persönlichkeiten einen Ehepartner gefunden. Sogar dem deutschen Prinzen Heinz Jäger, von dem jeder sagt, er sei ein Schwachkopf, hat sie erfolgreich geholfen. Stellen Sie sich vor, was für Ihre Hoheit getan werden könnte, wenn er jemand passenden gefunden hat.“
„Wollen Sie damit andeuten, dass meine Tochter ein schwieriger Fall ist?“
„Überhaupt nicht“, sagte er rasch, hob die Hand und gab sich geistig eine Ohrfeige. „Aber sie ist eine herausfordernde Partie, wenn man bedenkt, dass sie Königin werden wird. Wenn sie erfolgreich regieren soll, muss ihr zukünftiger Ehemann der Richtige sei. Wir kennen die wenigen Kandidaten, die wir einladen würden“, sagte er und ließ seine Sätze klingen, als seien es die Gedanken der Königin und nicht seine. „Aber wir müssen auch die Möglichkeit haben, dass die Prinzessin sie kennenlernt und zu einem von ihnen eine Zuneigung fasst.“
„Wir können keine Heiratsvermittlerin haben, Robuchard!“, flüsterte die Königin erregt. „Was sollen die Leute denken? Sie werden glauben, mit meiner Tochter stimme etwas nicht.“
„Deshalb schlage ich vor, dass Sie Lady Aleksanders tadellose Hilfe in Anspruch nehmen, während die Prinzessin in England ist. Sie wird sich darum kümmern, dass die Prinzessin bei ihrer Rückkehr nach Wesloria formal verlobt ist und zwar mit einem ausgezeichneten Mann, der sie zu führen vermag. Jeder gewinnt dabei.“
Königin Agnes starrte ihn mit offenem Mund an. Dann aber schloss sie den Mund und sah zum Podium hinunter, wo Monsieur DuPree sich so weit zu Prinzessin Justine gebeugt hatte, dass diese sich zurücklehnte. „Amelia auch?“
Ja, natürlich Amelia, diese kleine Querulantin, auch. „Prinzessin Amelia ist die passendste Begleiterin für ihre Schwester und würde ebenfalls von den Ratschlägen profitieren.“
Monsieur DuPree, der seine Anweisungen losgeworden war, sprang wieder vom Podium. Die Prinzessin stand mit hoch erhobenem Kopf da.
„Ihr Vater könnte den Sommer nicht überleben. Das ist Ihnen doch klar“, flüsterte die Königin.
„Ein Grund mehr, mit gebotener Eile zu verfahren, Eure Majestät. Die Kronprinzessin wird einen Mann benötigen, bei dem sie sich während der Zeit der Trauer, ihrer Krönung und der Erfüllung ihrer Herrscherpflichten anlehnen kann. Die Einwohner von Wesloria werden die feste Hand eines Mannes hinter dem Thron zu schätzen wissen.“
Sie schnaubte. „Sie überschätzen den Wert einer männlichen Hand, Sir, aber ich verstehe. Es ist klug von Ihnen, das vorzuschlagen. Wie sollen wir zu Victoria Kontakt aufnehmen?“
Dante wäre beinahe mit einem Siegesschrei aufgesprungen. „Es ist bereits geschehen, Eure Majestät.“
Sie kniff die Augen zusammen. „Tatsächlich? Und welche Garantie haben wir, dass Lady Aleksander so handelt, wie wir es wollen?“
Die Garantie bestand darin, dass Robuchard immer gut vorbereitet war. Er hatte jeden Teil seines Plans durchdacht, einschließlich der Hilfe von Lady Aleksander und eines Spions, der nur ihm berichten würde. „Die Entschädigung für ein erfolgreiches Ergebnis in dieser speziellen Angelegenheit ist Motivation genug. Das versichere ich Ihnen. Aber es gibt Telegramme und ich habe Augen in England. Wir werden alles wissen, was dort geschieht bis hin zur Menge der Milch, die Ihre Hoheit jeden Tag trinkt.“
Die Königin kaute auf ihrer Unterlippe, während sie auf ihre Tochter auf dem Podium hinunterblickte. Die war hinter dem Pult hervorgetreten und bat Monsieur DuPree: „Wirklich, Monsieur, ich glaube, das Problem wäre gelöst, wenn ich meine Brille hätte.“
„Es tut mir leid, Hoheit, das ist nicht vorgesehen“, sagte Monsieur DuPree sanft.
„Ich bitte darum, das zu ändern. Ich brauche sie für den Fall, dass ich vorlesen muss“, beharrte die Prinzessin nicht ohne Grund.
„Vielleicht halten Sie die Rede aus dem Gedächtnis. Das bietet Ihnen Gelegenheit, ihre Aussprache zu trainieren.“
Prinzessin Justine stieß einen Seufzer himmelwärts aus. „Was ist falsch daran, eine Lesebrille zu brauchen?“
„Ja“, sagte Königin Agnes. „Ja, Robuchard, ich glaube, das ist eine gute Idee.“
Vier Monate später
London, England
Das gestrige Abendessen hatte sich in ein verdammtes Bacchanal verwandelt und William spürte die Nachwirkungen. Beck sollte verflucht sein! Vor zehn Jahren hätte William mit voller Hingabe mitgemacht, doch schon seit langer Zeit war er nicht mehr bereit, die Stunden mit Trinken zu verbringen. Vor zehn Jahren hätte ihm ein solcher Abend nichts ausgemacht, aber heute tat ihm alles weh.
Das schien immer zu passieren, wenn er sich in London aufhielt. Es lag an ihm. Er hatte geglaubt, dass es nicht die Ausschweifungen von früher geben würde, weil sein alter Freund Beckett Hawke, Earl of Iddesleigh inzwischen verheiratet und Vater war. Wie dumm von ihm, das zu glauben.
Er war fälschlicherweise davon ausgegangen, das Abendessen in der Upper Brook Street werde früh zu Ende sein, denn Becks vier kleine Töchter wurden sehr frei aufgezogen und es war eine ganze Armee von Eltern und Dienstpersonal nötig, um sie ins Bett zu bringen.
Aber Becks Frau, die rothaarige, mollige Blythe Northcote Hawke, hatte die Kinder ins alte Honeycutt House gebracht, wo ihr unverheirateter Onkel Donovan üblicherweise wohnte. Donovan würde sich am Abend um sie kümmern und – das erzählte Blythe voll Freude – ihnen Geistergeschichten erzählen und sie zu Tode erschrecken. Ihrer Begeisterung tat die Tatsache, dass sich ihre Kinder vierzehn Tage lang sehr wahrscheinlich weigern würden, in ihren Betten zu schlafen, keinen Abbruch. Wichtiger war, dass Beck und sie sich einen Abend lang verhalten konnten, wie sie wollten.
Dieser Abend bezog auch Lord Montford und Sir Martin, Becks nichtsnutzige Freunde, mit ein.
Dass Ärger im Anmarsch war, hätte William in dem Moment spüren müssen, als er ins Gesellschaftszimmer gebracht wurde. Er hätte sich in dem Moment entschuldigen müssen, als Beck einen „sehr guten Scotch“, der möglicherweise „aus dem Versteck eines Schmugglers“ stammte, ankündigte. Aber er hatte sich nicht verabschiedet und das Nächste, woran er sich erinnerte, war, dass sein Diener, Ewan McDuff, ihn um vier Uhr morgens holen kam.
Und deshalb starrte er jetzt übernächtigt auf die imposante, dreistöckige Fassade von Prescott Hall. Er hasste Morgen wie diesen. Der Ritt von seinem Haus in Mayfair hatte jeden Knochen in seinem Körper durchgerüttelt und seine Kopfschmerzen verschlimmert.
Er zog sich die Handschuhe aus und dann seinen Hut und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Ewans Grimasse entging ihm nicht. Der Mann war sehr stolz auf seine Arbeit und auch wenn er Williams Haare nicht persönlich kämmte, so betrachtete er sie doch als Teil des Gesamteindrucks seines Bekleidungswerks.
William wandte sich von der verurteilenden Miene seines Dieners ab und damit fiel sein Blick auf einen jungen Stallburschen, der kam, um die Pferde zu holen. William wollte absteigen, schaute sich jedoch noch einmal mit zusammengekniffenen Augen das Haus an. Eigentlich mehr als ein Haus. Ein ausgedehntes Gebäude, das an den Rändern vor Pracht regelrecht anschwoll, eines der vielen Wohnhäuser des Dukes of Beauford und eines der wenigen, die groß genug waren, eine königliche Prinzessin und ihr Gefolge aufzunehmen. Er wusste, dass die Gärten außergewöhnlich waren. Er hätte sie sich gern angesehen. Wie schön wäre es, darin herumzulaufen, während die Sonne den Nebel aus seinem Kopf brannte. Aber jetzt war keine Zeit dafür. William hatte vor, seinen Besuch abzustatten und so schnell wie möglich in sein Haus in der Arlington Street zurückzukehren, sich von Ewan ein glühend heißes Bad einlaufen zu lassen und dann darüber nachzudenken, wie es sein konnte, dass er – in einem so gewaltigen Universum wie diesem – immer wieder in diesen unmöglichen Situationen landete.
Man sollte meinen, dass William Douglas of Scotland, der Marquess of Douglas and Clydesdale, der zukünftige Duke of Hamilton and Brandon, sein Leben im reifen Alter von dreiunddreißig ein bisschen mehr unter Kontrolle haben sollte. Aber trotzdem konnte nichts weniger wahr sein. Je älter er wurde, desto weniger schien er die Dinge kontrollieren zu können. Seine Schwester Susan hatte recht: Er sollte längst verheiratet sein und eigene Kinder haben. Er hätte einer dieser herumtüftelnden Landedelleute werden sollen, die in ihrer Freizeit malen, Berichte über die Anzahl ihrer Schafe anfordern und ihrer Frau Gedichte vorlesen. Aber nein, er war ein Junggeselle, der die vergangenen zehn Jahren so oft wie möglich im Ausland verbracht hatte und darum gebeten – nein, dem befohlen – worden war, eine verdammte europäische Prinzessin zu betüddeln.
Der Stallbursche warf Ewan Seitenblicke zu und fragte sich offenbar, was zum Teufel hier vorging. William zupfte seine Weste gerade, zog die Manschetten aus den Mantelärmeln und erwiderte mit einem Blick, der besagte, dass er es auch nicht wisse.
„Gut“, beschied William alle beide. Er ließ sich vom Pferd gleiten, gab dem ungeduldigen Stallburschen nickend zu verstehen, dass er die Zügel nehmen konnte und nickte dann Ewan zu, um ihm zu bedeuten, dass er losgehen und Williams Ankunft ankündigen solle.
Ewan, der zu der Sorte Mann gehörte, der Missionen liebte, ging sofort in Richtung Eingang. Er war sehr groß, größer und breiter als William und als er die Treppe zu den Doppeltüren empor sprang, erwartete man fast, dass die Erde bebte. Er klopfte so laut, dass William es auf der Auffahrt hören konnte.
William zog seine Handschuhe an, setzte aber den Hut nicht wieder auf. Er wandte das Gesicht der Nachmittagssonne zu. Gott, er könnte eine Tasse Tee und ein Nickerchen brauchen! Die Henkersmahlzeit!
Er lenkte den Blick auf den Park, der sich vor ihm ausbreitete. Das Gelände war perfekt gepflegt mit einer Wiese vor dem Haus, auf der Schafe weideten. Imposante Bäume säumten die Auffahrt. Kastanien, dachte er. Sie sahen wie die aus, die sein Vater vor vielen Jahren dutzendweise auf Hamilton Palace in Schottland hatte pflanzen lassen.
Vater. Er war derjenige gewesen, der ihn hier reingeritten hatte. Erst vor einem Monat hatte er William in einem dringenden Telegramm aus Paris nach Hause gerufen: Komm sofort! Natürlich hatte William geglaubt, sein Vater sei krank und sehe Gevatter Tod ins Auge. Und dann hatte er befürchtet, sein Vater werde sterben und ihm massive Schulden hinterlassen sowie eine Hamilton Palace genannte Monstrosität. Er wäre dann ein Duke und Kandidat für den Titel des schottischen Königs – wenn die Behauptungen seines Vaters zutrafen – und säße in Lanarkshire fest, weit weg von der Art Gesellschaft, in der er sich gern bewegte.
Doch wie sich herausstellte, war sein Vater bei bester Gesundheit und sehr froh, ihn zu sehen. Um zwei Uhr nachmittags in einen Schlafrock gekleidet, umarmte er William fest, klopfte ihm auf den Rücken und sagte, William sehe dicker aus als beim letzten Mal.
Sein Vater plauderte über die neuen Mutterschafe, die er persönlich auf dem Markt gekauft hatte, und die Hühnerpastete, die der Koch zum Abendessen zubereitet hatte. Er zeigte William eifrig die neuen Zimmer, die er anbauen ließ. Er berichtete, dass Williams Mutter zu ihrer Schwester gefahren sei und Susan die Kinder vergangene Woche vorbeigebracht hatte und dass sich der arme, kleine Arthur im Haus verlaufen hatte und sie ihn den größten Teile des Tages gesucht, bevor sie ihn weinend im blauen Gesellschaftszimmer gefunden hatten.
Oh ja, Williams Vater ging es prima. Besten Dank auch! Der Grund, warum William so dringend auf den Familiensitz beordert worden war, war die angespannte finanzielle Lage.
Wieder mal.
William liebte seinen Vater. Er hielt sich gern in dessen Gesellschaft auf. Der alte Mann war immer gut für einen Witz. Er war der beste Vater, den man sich wünschen konnte. Obwohl er anfällig für Ausschweifungen war, waren ihm Dinge wie Hamilton wichtig. Sein Vater hatte einen großen Fehler. Eigentlich zwei: William und Susan waren sich einig, dass die oft geäußerte Behauptung des Dukes, er habe den Stammbaum der Familie sorgfältig erforscht und sei der wahre und rechtmäßige Erbe des schottischen Throns, bestenfalls zweifelhaft sei. Aber sein größter Fehler war, dass er nicht mit Geld umgehen konnte. Ganz und gar nicht. Er hatte nicht den kleinsten Sinn für finanzielle Angelegenheiten und hörte Argumenten nicht zu. Mehr als einmal war er nahe dran gewesen, die geschichtsträchtige Familie Hamilton zu ruinieren.
Man musste sich nur den prächtigen und obszön großen Palast anschauen, den sein Vater sein ganzes Leben lang vergrößert hatte. Der hohe Monolith konkurrierte mit dem in Buckingham und erforderte enorm viel Geld, um ihn zu erhalten. Selbst jetzt noch ließ sein Vater weitere Zimmer bauen. Wegen diesem Haus war die Kasse leer. Der Duke hatte William sogar dazu gebracht, das Schiff zu verkaufen, das er mit Spielgewinnen erworben hatte. Die Summe hatte er dafür benutzt, einige der Schulden zu bezahlen.
Natürlich glaubten alle, William sei der Liderjan, der Verschwender, der bald kein Geld mehr haben würde. Aber in Wirklichkeit war er der Vernünftige.
Eine Bewegung fiel ihm ins Auge. William wandte den Kopf. In einem Teil des Gartens unweit des Hauses standen zwei Gestalten in Fechtkleidung. Masken bedeckten ihr Gesicht. Interessiert trat er näher, um sie besser sehen zu können.
Das Stück Rasen lag in der Nähe der Terrasse. Dort standen drei Gentlemen und betrachteten den Kampf. Die Gegner glichen sich nicht einmal in der Größe – einer war breiter und größer als der andere. Aber der Kleinere von den beiden war aggressiver und drängte seinen Gegner mit harten Attacken zurück. William zuckte zusammen, als der größere Gegner aus dem Gleichgewicht geriet. William war zwar kein Fechter, erkannte aber schlechte Fußarbeit, wenn er sie sah.
Er drehte das Gesicht wieder der Sonne zu. Woran hatte er gedacht? Ah ja, das letzte Debakel seines Vaters.
Obwohl William ihm nachdrücklich abgeraten hatte, hatte sein Vater in die Kohleindustrie von Wesloria investiert. Verleitet worden war sein Vater dazu von Dante Robuchard, dem neuen Premierminister von Wesloria, einem weitläufigen Verwandten der Familie. Wenn man einen Titel und ein Vermögen besaß, endete man in denselben Salons mit Menschen mit ähnlichen Titeln und Vermögen.
William wusste, dass Robuchard ehrgeizig war. So ehrgeizig, dass er einen wohlhabenden schottischen Duke dazu brachte, eine bedeutende Summe zu investieren. Das war, nahm William an, Robuchards Art, die Wirtschaft von Wesloria anzukurbeln. Und jetzt, hatte sein Vater ihm erklärt, gab es Sorgen wegen der Investition und des Wirtschaftswachstums von Wesloria. Der König lag im Sterben und die junge Kronprinzessin war in ein skandalöses Ereignis mit einem Rabauken verwickelt. Es sah so aus, als werde die Prinzessin in einigen Monaten den Thron besteigen. Robuchard fürchtete einen Aufstand, falls sie das unverheiratet tat. „Soweit ich es verstehe, hat sie das Hirn eines Spatzen“, hatte Williams Vater erklärt. „Unsere Investition könnte verloren sein.“
William hatte sich auf die Zunge beißen müssen, um seinen Vater nicht daran zu erinnern, dass es nicht unsere Investition war.
Dass Prinzessin Justine Ivanosen in ein skandalöses Ereignis verwickelt war, überraschte William überhaupt nicht. Er hatte sein skandalöses Ereignis mit ihr vor acht Jahren in London nicht vergessen. Als er fragte, was ihre derzeitige missliche Lage mit ihm zu tun habe, hatte sein Vater auf die Art gelächelt, wie er lächelte, wenn er etwas fragen wollte, wonach er nicht fragen sollte. In den nächsten Wochen, sagte er, werde die Prinzessin in London sein, um dort mögliche Bewerber zu treffen. William solle dorthin fahren und die Dinge im Auge behalten und … Robuchard jede Woche berichten, wie sich die Dinge entwickelten. Ein kleiner Gefallen, sagte er. Eine simple Aufgabe.
Zuerst hatte es William die Sprache verschlagen. Er verstand nicht so recht. Die Dinge im Auge behalten?
Also hatte es ihm sein Vater noch einmal erklärt. Es war unerlässlich, dass jemand Robuchard auf dem Laufenden hielt, sagte er.
„Nein“, hatte William kategorisch auf die unverschämte Bitte reagiert. „Das werde ich ganz bestimmt nicht tun, Vater. Ich bin kein Kindermädchen, oder?“ Er wusste, wie solche Dinge liefen. In eine solche Kandidatensuche waren eine Menge Leute verwickelt. Was hatte er damit zu tun? Besaßen die Weslorianer jede Menge Leute, die Bericht erstatten konnten?
Wie die Tatsache, dass er hier in London war und die Prinzessin besuchte, bewies, hatte er die Debatte verloren. Als klar wurde, dass sein Vater nicht nachgeben würde, hatte William gestöhnt und gefragt: „Wie lange?“
Sein Vater hatte die Lammkeule beiseitegelegt, die er gegessen hatte, sich die Hände an der mit einem gestickten H an den Ecken verzierten Leinenserviette abgewischt. „Bis das Mädel verlobt ist.“
„Gott!“, explodierte William. „Das kann Wochen dauern! Monate!“
„Monate“, hatte sein Vater verächtlich gesagt. „Sie wird vor Jahresende in Wesloria sein. Der König hat nicht mehr lange zu leben.“
„Ich mache es nicht“, hatte William nachdrücklich gesagt.
„Muss ich dich an den Gefallen erinnern“, fragte sein Vater, während er ein Stück Fleisch aus der Lammkeule zog, „den ich dir getan habe?“
Wieder stöhnte William, aber dieses Mal schmerzvoll. „Nein, du musst mich nicht daran erinnern.“
Dumm für die Hamiltons, aber sein Vater war nicht der Einzige, der unkluge Entscheidungen traf. Seine hatte mit einer Frau zu tun … Und natürlich – weil seine Entscheidung unklug gewesen war – hatte sie sich in eine finanzielle Belastung verwandelt. Das war seine Belohnung, weil er jemandem hatte helfen wollen. Er war wohl wirklich ein Kindermädchen.
Ewan erschreckte ihn, indem er plötzlich vor ihm auftauchte. „Um Himmels willen, Ewan“, sagte er und zog an den Enden seiner Weste. „Nun, was gibt’s?“
„Sie werden hineingebeten, Mylord.“
„Hineingebeten. Was soll das heißen? Was ist mit der Prinzessin?“
„Der Herr sagte, er werde Ihrer Königlichen Hoheit mitteilen, dass Sie da seien.“
William seufzte. „Haben Sie ihm gesagt, es sei der Marquess of Doug…“
„Ja, Mylord“, sagte Ewan.
William betrachtete Ewan. „Wissen Sie, dass ich …“
„Ja, ich glaube schon, Mylord.“
William runzelte die Stirn. „Sehr gut.“ Sie sollte besser hier sein, nachdem er den langen Weg gemacht hatte. Er drehte sich um und als er das tat, fielen ihm wieder die Fechter auf. Der größere lag auf dem Boden und hatte einen Degen an der Kehle, aufmerksam beugte sich der jüngere über ihn. Das hatte sich ja schnell zugespitzt.
Er drehte sich ganz in Richtung des Eingangs von Prescott Hall um und konzentrierte sich darauf, Prinzessin Justine nach acht Jahren wiederzusehen. Er erinnerte sich an eine junge, eingebildete Prinzessin mit schlechtem Benehmen. Er glaubte sich auch daran zu erinnern, dass sie hübsch war – allerdings mit keiner besonderen Figur. Ach ja, und die seltsame weiße Strähne, die typisch für die königliche Familie von Wesloria war. Alle hatten sie irgendwo auf dem Kopf, eine Strähne oder Stirnlocke, die sich gegen Farbe wehrte. Eigenartig.
Wie alt war sie damals gewesen? Sechzehn? Vielleicht siebzehn? Alt genug, um ihre Eltern nach London zu begleiten. Jung genug, um zu sagen, dass sie jedes Wochenende einen Ball veranstalten würde, wenn sie einmal Königin war. Das war zu erwarten, wenn Kinder den Thron bestiegen: Sie dachten an nichts als Pferde und Bälle.
Er würde es hinter sich bringen. William ging mit solch plötzlichem Elan auf den Eingang des Gebäudes zu, dass er Ewan, der ihm zu folgen versuchte, zum Stolpern brachte.
Er war der Prinzessin zum ersten Mal auf einem Ball begegnet. Er hatte zwei Mal mit ihr getanzt, zwei Tänze nacheinander, was ein Skandal gewesen war. Sie hatte entschieden, dass es zwei Tänze sein sollten und er hatte nicht abgelehnt, weil es unhöflich gewesen wäre. Er hatte es ganz witzig gefunden, dass dieses Mädchen ihm sagte, was er tun sollte. Sie hatte ein eng geschnittenes, hellblaues Kleid getragen im Stil von Alucia und Wesloria, den er bei erwachsenen Frauen sehr schmeichelnd fand, für ihre mädchenhaften Figur schien er zu schwer.
Er war ihr auf einer anderen Abendveranstaltung wieder begegnet, in jenem Haus in der Upper Brook Street, in dem William gestern Abend versackt war. Beck hatte ihn an diesen Zwischenfall erinnert, so etwas wie ein Missgeschick mit einem Stuhlspiel auf einer Weihnachtsfeier. William wurde natürlich dafür verantwortlich gemacht und das mochte vielleicht auch so gewesen sein. Zu seiner Verteidigung musste gesagt werden, dass seine Erinnerung darunter litt, dass er Absinth getrunken hatte. Er hatte das Getränk aus Frankreich für seinen Gastgeber mitgebracht. Es war reichlich geflossen und hatte für ein fröhliches Durcheinander gesorgt.
Das Spiel bestand darin, dass zehn Erwachsene um neun Stühle herumgingen, während die Musik spielte. Wenn die Musiker ihr Spiel unterbrachen, musste sich jeder hinsetzen. Die Person, die keinen Stuhl erwischt hatte, schied aus. Ein Stuhl wurde weggenommen und die nächste Runde begann.
Der Streit begann während einer Runde, in der nur noch William, die Prinzessin und jemand anders, an den er sich nicht mehr erinnern konnte, übrig waren. Im Lauf des Spiels hatte die Prinzessin einige unverschämte Bemerkungen gemacht und er hatte sie dafür in der letzten Rund mit der Hüfte aus dem Weg geschubst, um sich einen Stuhl zu sichern. Sie hatte empört herumgeschrien und er hatte gefunden, es klinge wie ein Werwolf. Jemand musste der kleinen Ausländerin erklären, was ein Werwolf war, und dann hatte sie ihm ihr hübsches kleines, mörderisch zorniges Gesicht zugekehrt und sie hatten miteinander gestritten. Na gut, na gut, es war schlecht gelaufen. Aber er glaubte nicht, dass Beck ihn am Ohr hinaus zerren gemusst hatte, wie er es getan hatte.
William erreichte die Treppe und nahm immer zwei Stufen auf einmal. Jeder Schritt brachte ihn dem Kind näher. Je früher er es hinter sich brachte, desto früher würde er sein Bad nehmen können.
Ewan, der – wahrscheinlich, weil er zehn Jahre älter und dreißig Kilo schwerer war – Mühe gehabt hatte, seinem Herrn die Treppen hinauf zu folgen, war noch immer außer Atem. Er erreicht William und klopfte wieder an die Tür. Ein livrierter Türsteher öffnete. „Seine Lordschaft … der Marquess … of Douglas“, keuchte Ewan.
„Bitte“, sagte der Türsteher und trat in die gewaltige Eingangshalle zurück.
William trat zur Seite und übergab dem Türsteher seinen Hut und die Handschuhe. Ein weiterer Diener erschien und bedeutete William, ihm durch die Halle in einen Salon zu folgen. Der Raum war rosa und weiß, mit rosafarbenen Samtvorhängen, die mit heiteren, goldenen Schnüren zusammengebunden waren. Die Farbpalette erinnerte an einen Marzipankuchen.
In der Mitte des Raums standen eine Polsterbank und zwei Armlehnstühle, die mit geblümten Brokat bezogen waren. Der Teppich – fiel ihm auf, als er tiefer ins Zimmer trat – war dick und von einem Grasgrün. Er blickte zu dem Gemälde über dem Kamin, das größer als er selbst war. Es zeigte eine Frau in einem schwarz-weißen Kleid, die über ihre Schulter lächelte, während zwei Spaniel zu ihren Füßen herumtollten.
Ein Geräusch von draußen erregte seine Aufmerksamkeit. Also ging er zu den bodenhohen Fenstern, die sich zur Terrasse und dem Rasen öffneten, wo er vorhin die Fechter gesehen hatte. Die Zuschauer waren gegangen. Jetzt standen die Fechter auf der Terrasse, wo der größere den kleineren offenbar unterwies.
Noch ein Geräusch, dieses Mal im Zimmer. William sah nach rechts und sah jemanden oder etwas hinter den schweren Vorhängen an der östlichen Wand verschwinden. Was für eine Albernheit war das? Er ging hinüber, zog die Vorhänge beiseite und schaute verblüfft auf die Frau, die zurück starrte. Sie kam ihm bekannt vor. Aber sie besaß nicht die goldenen Augen von Prinzessin Justine. Und ihr Haar war blond, während die Prinzessin dunkelbraunes Haar hatte. Er runzelte verwirrt die Stirn. „Es tut mir leid.“ War es möglich, dass er sich so irrte?
Die junge Frau stellte sich auf die Zehenspitzen, war ihm unangenehm nah, neigte den Kopf zurück und lächelte kokett. „Sie erinnern sich nicht an mich?“, fragte sie mit einem leichten Akzent in der Stimme.
So erinnerte er sich jedenfalls nicht an sie und war verdutzt, dass seine Erinnerung ihn durch und durch trog. „Natürlich. Aber ich …“
„Mylord!“
William drehte sich um. Ein Mann war durch die offenen Türen getreten. Dem langen Mantel mit dem grünen Aufnäher am Aufschlag nach war er ein Gentleman aus Weslorian. Es war ein seltsamer Brauch der Weslorianer, immer einen waldgrünen Aufnäher zu tragen, so wie die Schotten oft ein Plaid zu tragen pflegten.
„Sie erinnern sich nicht an mich.“ Die junge Frau klang beunruhigt und redete, als sei der Mann nicht da. Reflexhaft wandte sich William wieder ihr zu.
„Wir sind uns begegnet, als ich das letzte Mal in London war. Erinnern Sie sich jetzt an mich?“ Kokett hob sie den Blick und sah ihn mit ihren braunen Augen an.
„Ich glaube …“
„Mylord!“, sagte der Mann wieder und dieses Mal war William verblüfft, einen der Fechter eintreten zu sehen, als er den Kopf wandte. Und nach einem Augenblick des Zögerns kam dieser Fechter auf William zu. William wappnete sich, als müsse sich darauf vorbereiten, sich zu verteidigen.
Aber irgendwas regte sich in seinem Gehirn und lenkte ihn ab. Es hatte mit der Figur des Fechters zu tun. Oder besser: der Form dieser Figur. Oder vielleicht noch genauer: der Figur, die er sich vorstellte. Die Hosen saßen lose. Aber wenn sich der Fechter bewegte, erkannte William den Körper einer Frau. Hüften, die in schlanke Beine übergingen. Die Jacke, die am Oberkörper breiter geschnitten war, wurde zur Taille hin deutlich schmaler. Der Degen baumelte neben einer wohlgeformten Wade.
Diese Person, diese verlockende Gestalt, war diejenige, die ihren Degen an die Kehle ihres größeren Gegners gehalten hatte.
„Wenn ich vorstellen darf“, sagte der Gentleman zu dem Fechter. „Lord William Douglas of Hamilton, Marquess of Douglas and Clydesdale.“
Als Antwort nahm der Fechter seine Maske ab. Ein dicker, dunkelbrauner Zopf fiel über die Vorderseite der Fechtjacke. Die weiße Strähne – er würde sie nie vergessen – war ebenso auffällig wie immer. Aber ihr Haar wirkte dicker und luxuriöser, als er es in Erinnerung hatte. Das hier war nicht der Teenager, der in einer der Ecken seiner Erinnerung wohnte. Dies hier war eine erwachsene Frau mit Kurven und Lippen und dunklen Brauen, die sich überrascht über ihren Augen hoben und – Gott! – etwas Unangenehmes, Verwirrendes regte sich in seiner Brust.
Das dies hier wahrhaftig Prinzessin Justine im Fechtanzug war, ließ ihn schon wegen seiner Absurdität lächeln. Ehrlich gesagt, ein bisschen schief. Aber ein Lächeln war es allemal. Schau mal an, wie gut sie sich entwickelt hatte! Oh ja, das war Ihre Königliche Hoheit. William würde sie überall erkennen.
Keck sagte sie zu dem Gentleman: „Ich weiß, wer das ist. Vielen Dank!“ Und sie übergab dem Gentleman die Maske mit einem solchen Schwung, dass William hörte, wir der Mann die Luft ausstieß.
William verbeugte sich. „Eure Königliche Hoheit, willkommen in England!“
Die Frau, die er hinter dem Vorhang gefunden hatte, schlenderte um ihn herum, um sich neben Prinzessin Justine zu stellen. Die beiden sahen ihn an. Wie hatte er die eine fälschlicherweise für Prinzessin Justine halten können? Die Frau mit dem hellen Haar war offenbar die jüngere Schwester, Prinzessin Amelia.
„Sie sind inzwischen größer geworden“, sagte William. Das kam aus seinem Mund, bevor sein Kopf es verhindern konnte.
Die beiden Frauen wechselten einen beinahe identischen Blick. „Und Sie sind …. dicker“, sagte Prinzessin Justine.
Dicker? Er hatte sich gerade erst diesen Anzug schneidern lassen und der Schneider hatte ihn für absolut schlank erklärt.
„Er erinnert sich nicht an mich“, sagte Prinzessin Amelia und kreuzte die Arme. Wie ihre Schwester war sie größer als der Durchschnitt. Auch sie hatte die weiße Strähne. Doch weil ihr Haar goldblond war, wirkte die Strähne nur hellblond.
„Es tut mir leid, Eure Königliche Hoheit! Es ist schon viele Jahr her.“
Prinzessin Amelia schnaubte ungnädig.
„Wenn ich mich vorstellen darf: Ich bin der Kammerherr Ihrer Königlichen Hoheit, Lord Bardaline, zu Euren Diensten.“ Der Gentleman verbeugte sich und die beiden Prinzessinnen verdrehten fast synchron die Augen.
„Wie geht es Ihnen?“ William war sich höchst bewusst, dass Prinzessin Justine ihn musterte.
„Sind Sie allein gekommen?“, fragte Prinzessin Amelia. „Oder haben Sie Ihre Freunde mitgebracht?“
„Wie bitte?“
Prinzessin Justine legte die Hand auf den Arm ihrer Schwester, um sie zum Schweigen zu bringen. „Die bessere Frage ist: Warum sind Sie hier?“
Prinzessin Amelia seufzte, faltete die Arme hinter ihrem Rücken und entfernte sich zum anderen Ende des Raums, um ein Gemälde zu betrachten. Bardalines Blick folgte ihr.
Aber Prinzessin Justine hielt ihren Blick auf William gerichtet. Er schien sie zu amüsieren. Aber warum? Natürlich hatte sie gewusst, dass er kommen würde. Oder gab es da irgendwo einen Fehler? Vielleicht hatte sie ihn an einem anderen Tag erwartet? Oder – hoffentlich! – hatte sich sein Vater geirrt und von ihm wurde nicht erwartet, als Kindermädchen zu fungieren. In Hamilton Palace waren bereits gravierendere Fehler gemacht worden. Aber wie so oft war William sich selbst der größte Feind und sagte: „Werde ich nicht erwartet?“
Ihre Augenbrauen verzogen sich zu einem V. „Von mir ganz sicher nicht, Mylord.“
Was zum Teufel? Hatte es ihr niemand gesagt?
„Eure Königliche Hoheit?“ Bardaline trat mit einem Lächeln vor, dass so gezwungen und qualvoll war, dass William fand, er hätte es besser sein lassen. „Vielleicht würde es Ihnen besser passen, Lord Douglas zum Tee zu empfangen.“
William nahm es den Atem. Er hatte nicht die Absicht, zum Tee zu bleiben. Bis dahin waren es noch Stunden. Was wurde aus seinem kochend heißen Bad? Er hatte nur vorbeikommen wollen, sie begrüßen, sagen, was er sagen musste, und gehen. „Vielen Dank, aber ich …“
„Ja“, sagte sie, bevor er zu Ende sprechen konnte. „Ich sollte mich umziehen.“ Und damit drehte sie sich um und verließ den Raum, ohne zu fragen, ob es ihm passte, ohne überhaupt irgendeine höfliche Unterredung, weder fragte sie nach seiner Gesundheit noch danach, was er in all den Jahren gemacht hatte. Während ihres Abgangs schlug ihr Degen gegen ihre Wade und ihre Hüften bewegten sich so ausgesprochen weiblich, dass William schlucken musste.
Prinzessin Amelia huschte ihr hinterher.
William sah Bardaline an, der über ihren plötzlichen Abgang nicht sonderlich überrascht schien; er schien lediglich verärgert. Er zeigte zur Tür. „Wenn Sie mit mir kommen wollen, Sir.“ Er trat in die Eingangshalle.
William zögerte. Er hatte das Gefühl, ins Ungewisse geführt zu werden. Aber anstatt über die Entschuldigungen nachzudenken, die er hier und jetzt vorbringen konnte, heftete sich sein inneres Auge auf den Anblick der verschwindenden Prinzessin Justine.
Er folgte Lord Bardaline wie eine Milchkuh auf dem Weg zu ihrem Stall.
Amelia war beleidigt, weil Douglas sie nicht sofort erkannt hatte. Unauffällig zu sein, war in Amelias Welt schlimmer, als tot und vergessen zu sein. Ungläubig lief sie die große Treppe hinter der schnelleren Justine hoch. „Warum sollte er sich nicht an mich erinnern? Trifft er etwa jeden Tag Prinzessinnen?“
Justine erinnerte Amelia nicht daran, dass sie bei ihrem letzten Besuch in London noch ein Kind gewesen war und sich seitdem sehr verändert hatte, weil sie selbst so wütend war, dass sie fast explodierte. Bardaline, diese Schlange, musste sie aus ihrem Fechttraining reißen, um ihr zu sagen, sie habe einen Besucher, der auf die Bitte Robuchards hin gekommen war. Nun, das hatte sofort ihr Misstrauen erregt, dass sich ihr die Nackenhaare sträubten, weil Robuchard ebenfalls eine Schlange war, der sich sogar Hunderte von Meilen entfernt in ihr Leben einmischte.
Aber als sie gesehen hatte, wer auf die persönliche Bitte Robuchards hin gekommen war, wäre sie vor Wut beinahe erstickt.
Bardaline hätte sie warnen können. Irgendjemand hätte sie warnen können. Aber nein, sie hatten sie damit überrascht, sodass sie sich nicht dagegen hatte wehren können, diesem Mann wieder zu begegnen.
Es war etwas im Busch und verdammt, sie würde das Spiel nicht mitspielen. Denn sie konnte sich gut an Douglas erinnern und hatte keine guten Erinnerungen.
Doch jetzt rasten ihre Gedanken schneller, als ihre Füße sie trugen. Warum hatte Robuchard ihn geschickt? Warum ihn? Aus welchem Grund?
„Justine, hörst du überhaupt zu?“, schmollte Amelia, während sie durch den mit Teppich belegten Flur zu Justines Zimmern gingen. Ein Mädchen wich ihnen aus und knickste, als sie vorbeikamen. Nicht, dass es den Prinzessinnen auffiel. Justine plante den grausamen, spektakulären Tod von Lord Bardaline, ihres Kammerherrn, wie er sich genannt hatte, wahrscheinlich, um seine derzeitige Rolle als Zoodirektor wichtiger klingen zu lassen, als sie war.
Sie riss die Tür zu ihrem Ankleidezimmer auf und rief nach Seviana, ihrer Zofe. Die junge Frau kam so schnell aus dem Nebenzimmer gelaufen, dass sich eine der Nadeln lösten, die ihre Spitzenhaube an Ort und Stelle hielten.
„Eure Königliche Hoheit, was kann ich für Sie tun?“
„Ich muss mich umziehen.“ Justine begann damit, ihre Festjacke aufzuknöpfen. „Etwas, ich weiß nicht, was. Aber es muss blendend sein. Habe ich etwas Überwältigendes, Sevie?“
„Ja, Ma’am, Sie besitzen einige blendende Sachen.“
„Blendend!“ Amelia lachte, während sie sich mit dem Geräusch raschelnder Seide auf einen Stuhl fallen ließ. „Es ist nur Tee.“
„Darf ich das Blau-Weiße vorschlagen?“, fragte Seviana.
„Ja!“ Justine liebte dieses Kleid. Es war aus Paris gekommen. „Es steht mir sehr gut. Danke, Sevie!“