Die Prüfungen der Götter - Florian Drescher - E-Book
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Die Prüfungen der Götter E-Book

Florian Drescher

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Beschreibung

Grim befindet sich noch immer auf der Suche nach den übrigen Schlüsseln. Als er und seine Gefährten von einer absonderlichen Erfindung im Königreich Rosion, einem Land der Wissenschaft und Technik, erfahren, reisen sie durch die Wüste, um endlich den übrigen Schlüsseln näherzukommen. Gleichzeitig hat sich Tamara in eine Kleinstadt zurückgezogen, ohne zu wissen, wie es nun weitergehen soll. Mit kleinen Gelegenheitsjobs als Assassine verdient sie ihr Geld, bis die Rache einer nun einsamen Zwillingsschwester sie wie ein Sturm erreicht. Und obwohl die Suche nach den Schlüsseln schon schwer genug ist, schickt der Gott Morroh seine Magier los, um die beiden letzten Assassinen einzufangen. Begleitet Grim und Tamara auf ihrem Rachefeldzug!

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Über mich

Hi,

danke für den Kauf meines Buches. Um ein paar Worte über mich zu verlieren: Ich bin 25 Jahre alt, studiere BWL und mein Berufswunsch liegt in einer vollkommen anderen Richtung – ich möchte Schriftsteller werden! (Wer hätte das gedacht?)

Na ja, zwischen Hobby und Beruf liegt ein gewaltiger Unterschied. Eine schmerzhafte Lektion. Anfang 2015 habe ich mit einem Hobby gestartet, 2023 das Fundament für den Beruf gelegt und nun veröffentliche ich 2024 den zweiten Band. Aber sind wir ehrlich, die Verkäufe sind meilenweit von einem Beruf entfernt und es bleibt ein schönes Hobby. Aber wenigstens hat es jetzt mit der Veröffentlichung geklappt. Ich bin aber guter Dinge, ab 2025 noch näher an meinen Berufswunsch heranzurücken.

Dabei habe ich dieses Buch von Sommer 2019 bis Mai 2021 geschrieben, aber bis zur Publikation sind wie beim Vorgänger mehrere Jahre vergangen. Aber egal … ich hoffe, es gefällt euch genauso gut wie mir! Und da ich Band 3 auch schon verfasst habe, ist dessen Veröffentlichung 2025 garantiert. (Genaueres dazu im Nachwort.)

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!

Florian Drescher

Inhaltsverzeichnis

Was bisher geschah

Prolog

5. Geschichte: Das Königreich der Wissenschaften

Kapitel 41: Die Zeit danach

Kapitel 42: Die alte Frau aus dem Süden

Kapitel 43: Die Grenze

Kapitel 44: Der Händler Martin Sauveleign

Kapitel 45: Zwischenspiel

Kapitel 46: Die Entdeckung

Kapitel 47: Die Gaukler von Mornheim

Kapitel 48: Eine Erfindung und ein Kabinettstück

Kapitel 49: Die Frau, die Paladin hasst

Kapitel 50: Flucht aus der Stadt der Freiheit

Kapitel 51: Die Gefährten sind verstreut

Kapitel 52: Zwischenspiel

6. Geschichte: Eine Assassine namens Schwarzhaar

Kapitel 53: Ein Auftrag in Löv

Kapitel 54: Die ehrenwerte Monica Sedano

Kapitel 55: Zwischenspiel

Kapitel 56: Ein unverzeihlicher Verrat

Kapitel 57: Assassine vs. Magierin

Kapitel 58: Das dunkle Haus

Kapitel 59: Herea, der Magier

Kapitel 60: Die Stadtschlacht

Kapitel 61: Todesritt

Kapitel 62: Eine Spur zurück in die Heimat

7. Geschichte: Die Schlüsselprüfungen

Kapitel 63: Im Unbekannten Gebirge

Kapitel 64: Ein wildes Volk

Kapitel 65: Der Drache, der ein Mensch war

Kapitel 66: Der Drache, der ein Gott war

Kapitel 67: Der Drache, der ein Labyrinth war

Kapitel 68: Die Ruinen

Kapitel 69: Der Weg zurück nach Arakan

Kapitel 70: In der Heimat, wo die Nymphen lauern

Kapitel 71: Das Geheimnis der dritten Prüfung

Kapitel 72: Die wahre Giulia Vanzetti

Kapitel 73: Nasarets Gnade

8. Geschichte: Heimat

Kapitel 74: Zwischenspiel

Kapitel 75: Das Haus der Frische

Kapitel 76: Die Stadt Valet

Kapitel 77: Ein überraschendes Wiedersehen

Kapitel 78: Widerspruch um Widerspruch

Kapitel 79: Zwischenspiel

Kapitel 80: Zwischenspiel

Kapitel 81: Grims Rückkehr

Kapitel 82: Tamaras Erkenntnis

Kapitel 83: Der wahre Kampf

Kapitel 84: Die letzte Schlacht

Kapitel 85: Aus alten Problemen werden neue

Epilog

Nachwort

Was bisher geschah

Grim wächst auf einem Bauernhof in der Nähe von Rachon auf, beim Surjean-Fest lernt er seine erste Liebe Tamara kennen. Schnell erkennt er, wie sie unter dem Joch ihres Adoptivvaters leidet. Gemeinsam mit ihren jüngeren Geschwistern kehren sie dem Wirt den Rücken zu, wobei sich die beiden endgültig ineinander verlieben.

Am Bauernhof angekommen, überzeugt Grim seine Eltern, die Waisen aufzunehmen, da sowieso eine Erweiterung des Hofes geplant ist. Erleichtert beginnen diese ein neues Leben, bis Sev auftaucht und sein Eigentum zurückfordert. Tamara hatte damit gerechnet und einen Plan gesponnen, der Sevs Tod zur Folge hat. Sogar den Ermittlungen der Kirche kann sie entkommen.

Im folgenden Sommer genießen beide ihre Liebe, bis im frühen Herbst der Zirkus Oseris im Dorf erscheint, bei dem Tamara wegen ihrer Hilfsbereitschaft einen gratis Hochseilauftritt gewinnt. Während dieser stattfindet, erklärt Marion Grim, dass der neue Glaube an Macht gewinnt und der Magier-Orden gierig seinen Blick auf den Thron richtet.

Gleichzeitig taucht Cassandra – Lisas Lehrmädchen - auf, die gegen ihren Willen eine Rolle in dem Krieg spielen muss. Eigentlich will sie Rache für ihre getötete Familie nehmen, kann sich jedoch nicht gegen ihre Meisterin wehren und verkommt zur unfreiwilligen Massenmörderin.

Als die junge Frau in Rachon ankommt, befinden sich Grim und Tamara glücklicherweise auf einem Ausflug, welcher ihnen das Leben rettet. Als die Situation im Dorf nämlich eskaliert, sterben alle Bewohner. Kurz darauf entsteht ein weiteres Massaker auf dem Hof, bei diesem verliert Cassandra den Verstand. Ihr zweites Ich - eine Persönlichkeit, die seit Sevon ihr ungewollter Begleiter ist - übernimmt die Kontrolle über ihren Körper.

Als Grim und Tamara ins Tal zurückkehren, geraten sie in einen Kampf gegen Cassandra. Dank der Rettung ihres späteren Meisters, dem Magier Paladin, überleben sie knapp das Duell, während Cassandra stirbt. Gegenseitig geben sie sich das Versprechen, für dieses scheußliche Verbrechen Rache zu nehmen und gegen den Orden vorzugehen, bis alle Mitglieder unter der Erde liegen.

*

Cassandras Geliebter – Leonard Marquis - übernimmt die Kontrolle über die Truppen. Die Soldaten entdecken Tamaras Bruder, Jamie, von dem sie alle Details über die Mörder erzählt bekommen. Auf dem Bauernhof soll der finale Kampf stattfinden, doch die Jugendlichen sehen die Soldaten kommen; knapp gelingt ihnen die Flucht.

Gleichzeitig erfährt Naomi von Cassandras Tod. Anstatt in der eigenommenen Provinzhauptstadt zu bleiben, bricht sie genauso wie Leonard zur Rache auf.

In den folgenden Tagen kämpfen sich Grim und Tamara durch den Wald, während ihnen zwei Verfolger im Nacken liegen. Eines Nachts taucht ein Unbekannter auf, tötet die Verfolger und stellt sich als Baal vor. Er unterbreitet ihnen das lukrative Angebot, Assassinen zu werden, wobei er mysteriös und rätselhaft erscheint.

Beide stimmen zu, obwohl Grim Bedenken hat. Doch um ihren Racheschwur erfüllen zu können, müssen sie ihrem neuen Meister vertrauen – ansonsten wäre der Orden für immer unerreichbar! Diese Entscheidung kostet Grim mehr Überwindung als Tamara.

In Morst wird ein Anschlag auf die Jugendlichen ausgeübt, dem sie knapp entkommen. Baal findet mehrere Fahndungsplakate von ihnen, woraufhin sie überstürzt die Stadt verlassen müssen. Jeder rätselt darüber, woher die Verfolger ihre Gesichter kennen, aber keiner möchte die naheliegende Lösung akzeptieren.

Sie reisen daraufhin zum Tor von Ophalt, da die Schüler Magie erlernen sollen und anders ein Kampf gegen den Orden nicht gewonnen werden kann. Auf dem Weg zum Tor heilt Baal Tamaras zerstörte Füße.

Anstatt Vorfreude auf die Magie zu verspüren, eskaliert jedoch die Beziehung zwischen Grim und Tamara. Sie beichtet ihm, wie sie sich früher ihren Tabak beschafft hat. Der tobende Streit, stärker als jeder Sturm, führt beinahe zur Trennung, die aber knapp vermieden werden kann.

Zur Rettung wird – ironischerweise – ihr Feind, als er sie vor dem Tor angreift. Im Kampf gegen den Kopfgeldjäger agieren sie perfekt zusammen, und werden sich wieder bewusst, warum der andere ein würdiger Partner ist. Als Tamara ihm erklärt, sobald sie zusammengekommen sind, den Tabak stets gestohlen zu haben, kann Grim ihr verzeihen. Der große Streit findet hier sein Ende, obwohl die Beziehung ab diesem Moment angeknackst scheint.

*

Als sie das Tor öffnen wollen, steht Grim plötzlich alleine vor den Göttern, die verkünden, Tamara abzulehnen. Sobald er wieder bei seinen Gefährten ist, lügt er, damit Tamara nicht von der Wahrheit verletzt wird. Jedoch verraten die Götter, dass es einen Weg gibt, um ein reines Herz zu beweisen. Doch dieser ist fast unmöglich zu schaffen, da es sich um drei Prüfungen handelt.

Baal kann das Verhalten der zehn Herren nicht verstehen; Grim bezweifelt zeitgleich, ob sein Meister ihm vollständig glaubt. Trotzdem brechen sie auf, um den zweiten Weg zu absolvieren, damit beide ihr reines Herz beweisen können. Auf der Reise zum Priester Carlo Laforte erzählt Baal, was es mit den Prüfungen, Nasaret und den Vanzetti-Geschwistern auf sich hat.

Leonard hat sich derweil mit den Deserteuren ins Nachtgebirge zurückgezogen. Ihm will keine Möglichkeit einfallen, die Mörder zu ergreifen. Am Ende taucht Naomi auf und hilft ab diesem Augenblick Cassandras Geliebten bei seiner Rache.

In Sondra übernimmt der Magier-Orden endgültig die Kontrolle und tötet die königliche Familie mitsamt der Erbfolge. Es kommt zur Nacht des weinenden Königs, in der 77 Hinrichtungen vollzogen werden, um die königliche Blutlinie endgültig auszumerzen.

Tamara und Grim suchen den Priester auf, der sein Leben den Prüfungen gewidmet hatte und Leonas Aufenthaltsort kennen sollte. Er leitet sie jedoch zu Sorono weiter, bei dem sie mit vielen Umwegen und Schwierigkeiten von Leonas Turm erfahren.

Im Turm angekommen, treffen sie auf Leona, mit der sich beide direkt anfreunden und das luxuriöse Leben in ihrem Gefängnis genießen.

Es kommt zur verschiedenen Vorgehensweise der beiden Assassinen. Dabei verfällt Tamara Leona. In der folgenden Zeit wird Tamara von der Last der Schuld geplagt. Kurz darauf bietet Leona sich auch Grim an, der ihre Avancen ablehnt. Als er die Wahrheit ihres Kommens verrät, tritt der Fluch ein. Sie verwandelt sich in eine grausige Bestie und greift an.

Er und Tamara ziehen schweren Herzens in den Kampf; beide wollen ihre neugewonnene Freundin verschonen, aber müssen der bitteren Wahrheit ins Gesicht blicken und sie erschießen. Da die erste Prüfung auch Reueprüfung genannt wird, erwacht Leona, nachdem sie an ihrer Seite weinen. Daraufhin erscheint der goldene Schlüssel; zu dritt verlassen sie den Turm.

*

Sobald sie ihren Lehrmeister wiedersehen, reisen sie nach Porta-Rosa zurück. Auf dem Heimweg benimmt sich Tamara sehr abweisend. Leona entdeckt nach der Amnesie ihre neugefundene Liebe für Grim, als sie gemeinsam eine Reitstunde an der Mühle verbringen und sie später sogar in sein Bett huscht. Jedoch lehnt er sie wieder ab.

Gleichzeitig treffen sich Sorono, der in echt ein verborgener Magier ist, und Naomi. Als bei dem Gespräch Baals wahre Identität herauskommt, trennen sich die Wege von Naomi und Leonard. Er bricht nach Porta-Rosa auf, sie will Paladins Grabmal aufsuchen. Außerdem hegt sie den Verdacht, dass der König lebe. Widerwillig begleitet Sorono sie auf ihr Abenteuer.

Als die Jugendlichen beim Priester ankommen, bewundert dieser glücklich den goldenen Schlüssel. Über den Nutzen der Prüfung entflammt ein Streit, wegen dem Tamara wütend davonrennt. Erst später, inmitten einer Wirtshausschlägerei, wird ihr der Unterschied zwischen Morroh und Nasaret bewusst. Sie erkennt auch wieder, wie heiß die Liebe zu Grim brennt.

Auf dem Rückweg zur Kirche gestehen sich Grim und Tamara ihre Liebe, werden jedoch dort von Leonard gefangen genommen. Er richtet den Priester und nutzt Jamie als Geisel, während Paladin verschwunden scheint.

Kurz vor dem Gespräch mit Leonard sitzen sie in einer kalten Zelle fest. Leona dankt Grim, dass er sie gerettet hat. Er schwört, sie irgendwann mit ihren vermissten Geschwistern zusammenzubringen. Es soll der letzte ruhige Moment sein, bevor der Sturm losbricht.

Leonard verhält sich zuerst freundlich im Verhör, bis er die wahre Identität des Meister offenbart. Ab diesem Moment überlässt er Tamara die Wahl, wer gefoltert werden soll. Mutig und tapfer stellt sie sich der Gefahr, doch erleidet schwere Schmerzen und eine erneute Verstümmelung der Füße.

Baal, der in Wahrheit Paladin ist, mobilisiert derweil die Zirkusleute zum allerletzten Angriff. Dabei wird klar, dass Mendoza sein langjähriger Freund gewesen ist und die zehn Herren einst normale Magier waren, bevor sie zu den Göttern aufgestiegen sind.

Da Tamara verletzt ist, muss Grim das finale Gefecht alleine bestreiten. Wegen eines riskanten Schusses stirbt Jamie, was zur Trennung der Liebenden führt. Obwohl Paladin ihn kurz darauf heilt, brach Tamara bereits auf und erfährt nicht von der Rettung ihres kleinen Bruders.

Tamara reist mit Marion allein durch Arakan; Naomi und Sorono heften sich an ihre Fersen, nachdem sie herausfinden, dass Paladin Grabmal leer ist; Grim, Ernesto – der eine magische Begabung besitzt -, Leona, Jamie und Paladin machen sich auf die Suche nach dem zweiten Schlüssel.

Am Ende kommen noch zwei Szenen. Eine zeigt Mendoza im Herrscherpalast, als er darüber lacht, weil Paladin nicht weiß, dass Morroh eine reale Person ist. Die andere zeigt den König Sebastian, wie er in seinem Versteck im Gebirge zum Himmel aufblickt.

Prolog

Sein prachtvolles, schillerndes Gewand widersprach seiner früheren Garderobe. Vor dem Umsturz hatte er sich diskret gekleidet, und nur so viel Prunk geduldet, dass er am Hofe nicht unschicklich auffiel. Es war zu einer Zeit gewesen, als Paladin sein Freund gewesen war und die Familie Numeres den König stellte. Eine Zeit, in der die Macht der Magier verschenkt wurde.

Er brodelte vor Zorn, seit er mitbekommen hatte, was alles geschehen war. Das Mobiliar in seinem Zimmer durfte fliegen und zerbrechen; die Finte seines früheren Freundes hatte ihn seine Prinzipien vergessen lassen. Sein Verhalten erinnerte an ein bockiges Kind, nicht den gegenwärtigen Herrscher eines Großreiches.

Er ließ sich auf die Matratze fallen, die zerrissen und in Einzelteilen auf dem Boden lag. Ein Trauergeständnis, wenn man bedachte, welcher Mann dafür die Verantwortung trug. In Gedanken ging Mendoza die Geschehnisse durch. Zuerst hatte sein Freund sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, glaubhaft eine Krankheit simuliert, augenscheinlich den König im Stich gelassen. Mendoza witterte zu keiner Sekunde einen Verdacht!

Viele Monate vor dem Putsch tauschte Paladin bereits die Königfamilie aus. Dieser Kraftakt, plus die Verschleierung der eingesetzten Marionetten, war für Mendoza unvorstellbar. Anscheinend besaß sein Freund eine weitaus größere Macht, wie sein dritter Rang im Orden vermuten ließ; ob er sich mit den Göttern messen könnte?

Als er starb, ruhte sein Ebenbild im Sarg. Mendoza und die restlichen Ordensmitglieder nahmen an der Trauerfeier teil, aber keiner entdeckte eine Ungereimtheit. Nicht einmal dann, als er die Stirn seines Freundes küsste und eine rote Rose zu dessen Ehren niederlegte.

Die Königsfamilie wurde ins Exil gebracht, der mächtigste Zauberer der Welt war auf freiem Fuß und heizte eine verdammte Rebellion an. Die oberste Priorität musste sein …

„Hallo, Henry“, drang eine Frauenstimme durch die Stille, ließ ihn erschrocken zusammenfahren, bescherte ihm eine eisige Gänsehaut.

Er hasste es, wenn Esmeralda ihn aufsuchte. Er hasste diese Frau, weil sie Morrohs treuste Verbündete war. Dem Gott, der diesen ganzen Krieg ins Rollen gebracht hatte und sich nie persönlich offenbarte. Ständig kommunizierte er mittels einer Sprecherin, als gäbe es etwas Besonderes an ihm zu verbergen.

„Was willst du?“.

Als er sich umdrehte, erspähte er sie angelehnt an der Wand; Türen benutzte sie prinzipiell nicht. Ihr pechschwarzes Haar war zum Zopf gebunden, das Gesicht zeitlos, die Haut straff, die Schönheit unübersehbar. Ihre dunkle Kleidung verschmolz mit den Schatten, die Augen glänzten vor Intelligenz und Raffinesse – ein weiterer Grund, sie zu fürchten. Sie war keine schwächliche Fürsprecherin, sondern eine fähige Magierin, die Mendoza allemal ebenbürtig – wenn nicht überlegen? - war.

Durch ihren leicht rötlichen Hautteint sowie dem schwachen Akzent konnte angenommen werden, dass sie ursprünglich aus Revina stammte. Eine andere Erklärung fand Mendoza nicht, warum so eine außergewöhnliche Magierin ansonsten dem Blick des Ordens entgehen sollte. Plötzlich war sie aus dem Nichts aufgetaucht; dieses Phänomen hatten sie und ihr Meister gemeinsam.

Es erklärte jedoch nicht, wie die Begabung in das Nachbarland kam, da Magie eigentlich nur in Arakan auftrat. Die Existenz einer zaubernden Revianerin war bereits ein Mysterium. Jedoch fiel es unter den Tisch, weil alle großen, entscheidenden Rätsel sich um Morroh drehten.

„Ich habe gute Nachrichten, Henry. Gute Nachrichten und einen Auftrag von unserem Anführer“.

Er stand auf, strich sein Gewand glatt und probierte sich in Autorität. Vor Esmeralda gelang es ihm nie. Am Hof oder auf dem Thron klappte es mit Leichtigkeit, bei dieser seltsamen Dame scheiterte er durchgehend. Ihre Ausstrahlung überbot seine um Längen.

„Worum geht es?“, er widerstand dem Verlangen, sich durch den buschigen Bart zu fahren. Schon seit Jahrhunderten wuchsen ihm die Haare einzig im Gesicht, sein Kopf besaß eine glattpolierte Glatze.

„Die zehn Herren sind gefangen worden“, sie konnte den Hohn nicht aus ihrer Stimme halten.

Seine Stimmung hellte sich postwendend auf. „Die zehn Herren? Heißt das, der Krieg ist gewonnen, bevor Paladins lächerliche Rebellion beginnen konnte?“.

Esmeralda lachte abwertend, er lief rot an. Der Herrscher eines Landes, verspottet im eigenen Gemach.

Sie schritt erhaben durch das Zimmer, setzte die Stiefel so, dass sie bloß den Boden und keine Tintenflecke, Weinpfützen oder Essensreste berührte.

„Nein, der Krieg ist nicht gewonnen. Nur sind wir auf dem richtigen Weg, ihn zu unseren Gunsten zu entscheiden. Wenn du deinen Zorn im Griff hast“, sie ließ ihren Blick durchs Zimmer kreisen, „wirst du merken, dass alles einem größeren Plan dient. Glaube mir, Morroh plant, dass Paladin den Winter nicht überlebt. Und dann, sobald dieser Tag kommt, können wir vom Sieg sprechen“.

Er seufzte. „Dann rücke mit der Sprache heraus. Weshalb bist du hier? Welchen Auftrag hast du?“.

Sie hob einen Stuhl hoch, stellte ihn aufrecht hin, setzte sich darauf, ließ lässig einen Arm hinter der Lehne baumeln. Erneut zeigte sie eindrucksvoll, dass sie dem Herrscher des mächtigsten Landes keine Autorität oder Macht einräumte. Sie stand über ihm; so weit über ihm, dass sie mitten in der Nacht in sein Zimmer kam und ihm einen Auftrag ohne Möglichkeit zur Widerrede erteilte.

„Bevor ich ihn dir verrate, lass mich dir eine Frage stellen. Bist du zornig, weil dein Freund lebt, oder, weil er gegen dich agiert?“.

„Nenn ihn nicht meinen Freund!“, fauchte Mendoza, die Luft knisterte. „Er war mein Freund, jetzt ist er mein ärgster Feind“.

„Du weichst der Frage aus“.

„Okay … es ist keines von beidem. Ich bin zornig, weil er wieder beweist, wie leicht es ihm fällt, mich zu düpieren. Er hat im Geheimen gegen den Orden gekämpft, seinen Tod inszeniert und die Königsfamilie evakuiert. Mich wurmt es, wenn ich sehe, dass ich noch immer nicht sein Niveau erreicht habe“.

Esmeralda hob zwei Finger. „Aus diesem Grund bekleidest du auch den zweiten statt den dritten Rang. Keine Sorge, sobald Paladin gestorben ist, wirst du der mächtigste Magier auf Erden sein“, als sie das Leuchten in seinen dunklen Augen erkannte, schob sich nach: „Dann gibt es nur noch mich und einen Gott, die über dir stehen“.

Das Leuchten flackerte, erlosch aber nicht. Der mächtigste Mann der Welt, darum gingen seine Träume in jeder Nacht; ein Wunsch seit Kindertagen!

„Komm jetzt endlich zu deinem Auftrag, denn ich bin nicht in der Stimmung, lange Gespräche zu führen“.

„Oh, entschuldige, aber dir werden in der heutigen Nacht noch viele Gespräche bevorstehen, Henry. Sobald ich dir den Auftrag erteilt habe, musst du ihn an die anderen Mitglieder weiterleiten. Er muss schnellstmöglich durchgeführt werden, das befahl Morroh“.

„Ich entscheide, wann ich mit den anderen spreche“, er wollte stolz klingen, aber es kam trotzig und flehend herüber, als stritte er mit seiner Mutter.

Wieder umspielte ein Lächeln ihre Lippen. „Okay, solange du es tust, darfst du gerne deinen Willen durchsetzen. Und jetzt lass mich von der Gefangenschaft der zehn Herren sprechen … oder interessiert dich das nicht?“.

Mit einer Handbewegung signalisierte er ihr, fortzufahren. Alleine der Gedanke, wie Nasaret verzweifelt in seinem Reich festsitzt, besserte seine Laune ungemein. Er hatte diesen Mann seit jeher gehasst …

„Ah, dachte ich mir. Eigentlich lässt es sich leicht zusammenfassen, denn es war Nasarets Fehler, von denen er mehr als eine schwangere Sechzehnjährige beging. Hochmütig, wie er war, kapselte er sein Götterreich von der Menschenwelt ab. Es existiert ein einziger Eingang: Das Tor von Ophalt!

Morroh hatte es lange Zeit gemieden; aus Angst, die zehn Herren würden ihn im Kollektiv vernichten. Mit meiner Hilfe hat er sich jedoch in den Wald gewagt, in dem weder Mensch noch Tier existiert.

Gemeinsam versiegelten wir die Felswand und sperrten damit die Götter in ihr Reich ein. Sie können nicht mehr eingreifen, niemanden zu sich holen, keine Hilfe den Recken Paladins zukommen lassen. Jetzt sitzen sie jammernd in ihrem Käfig, während wir unsere Macht ausbauen. Und sobald der Tag kommt, an dem wir stark genug für den finalen Kampf sind, können wir hinübertreten und sie endgültig beseitigen“.

Bei ihrer Erklärung wurde sein Grinsen breiter und breiter. „Das heißt, sie sitzen wie Ratten in der Falle“.

„Genau“, stimmte Esmeralda zu, woraufhin lautes Gelächter durch das Zimmer hallte.

Ihr stärkster Feind saß in der Falle, diese Rebellion würde niemals zu einem wahren Krieg ausarten. Ohne die zehn Herren ähnelte Paladins Rebellionsversuch einem kindischen Aufbegehren. Was wollten ein König, ein Magier und zwei Assassinen gegen einen Gott ausrichten?

„Und wann stellt sich unser Gott vor, Nasaret und dessen Brut zu töten? Wie lange sollen sie in ihrem Rattenkäfig schmoren?“.

„Du weißt selbst, noch sind nicht alle Bündnisse geschlossen. Es gibt mächtige Parteien, die wir auf unsere Seite ziehen sollten, bevor wir gegen Nasaret die Schlacht wagen. So stark Morroh auch ist, alleine gegen die zehn Herren wäre ein Kampf mehr als riskant“.

„Natürlich. Dennoch bin ich überzeugt, mit der geballten Macht des Ordens im Rücken gewinnen zu können“.

Sie schüttelte den Kopf, ein paar entflohene Strähnen ihres Zopfes umwehten träumerisch ihr Gesicht. „Nein, wir wagen diese Schlacht erst, wenn Morroh bereit ist. Du sollst jedoch wissen, dass wir Nasaret gefangen haben und uns ab jetzt auf deinen Freund konzentrieren“.

Diesmal ließ Mendoza das Wort durchgehen. „Ich werde mich um Paladin kümmern, keine Sorge“.

„Dennoch werden Morrohs Befehle befolgt – diese Sache hat momentan oberste Priorität. Sollten wir jedoch Paladin in unsere Gewalt bekommen, darfst du gerne mit ihm verfahren, wie du willst“.

Er rieb sich freudig die Hände. „Danke“, er schluckte bitter. „Wir haben das zusammen begonnen, also wäre es nur richtig, wenn ich es auch für ihn beende. Ich habe diesen Mann einst wie einen Bruder geliebt, doch unsere Wege trennten sich; jetzt ist er mein ärgster Widersacher. Solange er weiterhin gegen mich agiert, kann meine Vorstellung eines guten Reiches nie entstehen. Deshalb darf ich nicht einmal bei ihm Gnade walten lassen!

Er hat sich für die Seite des Königs entschieden, damit stellte er sich gegen den Orden. Sein Weg kann nur noch einen Ausweg kennen …“, er schaute in Esmeraldas braune Augen, „… den Tod“.

Sie zuckte mit den Achseln. „Meinetwegen, ermorde ihn. Mich interessiert nicht der alte Mann, sondern seine Schüler sind es, die Morroh fürchtet. Er denkt, sie könnten seine ärgste Bedrohung werden, sollten wir sie weiterhin frei herumlaufen lassen“.

„Die Schüler?“.

„Ja, die Schüler. Verschließe deine Augen nicht vor ihnen, Henry, denn in ihnen schlummert ein ungeahntes Potenzial. Am liebsten wäre mir, wir könnten sie auf unsere Seite ziehen, aber nach der Ermordung ihrer Familien haben sie nur noch Hass für uns übrig. Und wie heißt es so schön: Was man nicht für sich nutzen kann, darf man seinem Gegner nicht überlassen.

Grim Balanour und Tamara Nero sollen nach Sondra gebracht werden. Dort werde ich mit ihnen reden und über deren Leben und Tod entscheiden. Trichtere den Magiern, die du losschickst, ein, dass ich sie lebend will“.

Er antwortete nicht gleich, weil er dachte, sie müsse einen schlechten Witz erzählen. Grim und Tamara sollten die größere Bedrohung als Paladin sein? Der mächtigste Gott der Welt fürchtet sich vor Kindern? Esmeraldas Gesicht kam todernst herüber …

„Welche Bedrohung soll von ihnen ausgehen?“, er musste sich anstrengen, nicht abwertend zu klingen.

„Morroh entdeckte sie in einer Vision. Es gibt für die Zukunft ein paar Möglichkeiten - manche sind für uns günstig, andere wiederum nicht. Doch egal, wie sich die Zukunft entwickelt, sie ist immer mit den Jugendlichen verknüpft. Das heißt, wir müssen handeln und sie in unsere Gewalt bringen, bevor sie zur handfesten Bedrohung werden“.

„Sie haben nicht einmal eine Begabung!“.

„Ja, die fehlt ihnen, aber mit Wut und Zorn streben sie nach weit mehr als einer Begabung. Glaube mir, bevor sich dieser Krieg entscheidet, werden sie ihre Rolle einnehmen. Welche Auswirkungen das haben wird, muss sich erst zeigen. Doch ich befürchte, Lisas Lehrmädchen hat bereits den Grundstein für ihr Handeln gelegt“.

Mendoza begann, unruhig durch den Raum zu schreiten. „Und was willst du jetzt von mir? Paladin verbirgt sie vor meinem Blick, ich kann sie nicht finden“.

„Ja, das tut er“, Esmeralda starrte ihn schief an. „Und wen versuchst du zu finden?“.

„Paladin“.

„Hier haben wir das erste Problem. Tamara wird von jemandem verdeckt, der weitaus schwächer wie Paladin ist. Sie treibt sich irgendwo im Norden von Movina herum, den genauen Ort kann ich hinter dem magischen Schleier nicht entdecken. Doch solltest du einen Magier in dieses Gebiet entsenden, müsste er sie spätestens nach ein paar Wochen gefunden haben, wenn er seinen Kopf anstrengt und seine Fähigkeiten beherrscht“.

Anstatt zu antworten, schloss Mendoza die Augen, um Tamara Nero zu finden. Seine Magie durchströmte ihn, trug seinen Geist an die fernsten Orte, ließ ihn selbst den Flügelschlag einer Libelle erkennen. Mit ein bisschen Glück würde er sie finden.

Nach mehreren frustrierenden Minuten der Suche musste er abbrechen. Er konnte zwar eine kleine Spur entdecken, aber der wahre Aufenthaltsort entzog sich ihm jedes Mal. Sie wurde eindeutig verschleiert, wobei es sich um einen Amateur handelte.

„Das bringt nichts, ich habe es oft genug versucht. Der, der sie verbirgt, beherrscht sein Handwerk gut genug, um eine exakte Ortung zu unterbinden. Schicke einen deiner Magier ins nördliche Movina, er soll sich umhören und eine Spur finden. Wir müssen verhindern, dass dieses außergewöhnliche Mädchen länger auf freiem Fuß bleibt“.

Am liebsten hätte Mendoza ihr vorgeworfen, sie solle selbst monatelang durch Movina reisen und ein Kind jagen. Keiner seiner Magier wäre erpicht auf den Auftrag. Doch er schwieg lieber und stimmte zu. Er hatte schon zu Sebastians Zeiten gelernt, dass man höhergestellten Vorgesetzten keinesfalls widersprechen durfte. Anders hätte er niemals den Thron des Landes errungen; leider musste er lernen, dass selbst ein König keine uneingeschränkte Macht besaß.

Schnell hatte er sich für Herea als Jäger entschieden. Erstens könnte er ihn erübrigen, zweitens wäre der Mann fähig genug, mit Paladins Schülerin fertig zu werden, und drittens besaß er einen Palast in Movina, sodass ihn die Abreise aus Sondra nicht allzu schwer fiele. Na ja, solange Tamara keine Begabung hatte, müsste auch ein Lehrling ihr überlegen sein. Die Frage war eher, wer sich an ihrer Seite befand und sie verschleierte.

„Okay, ich werde Herea schicken. Er wird nicht scheitern, glaube mir“.

„Gut, gut“, Esmeralda seufzte; sie wirkte genervt, wenn sie länger mit ihm sprechen musste. „Jetzt lass uns über Grim und Paladin reden, der weitaus größeren Bedrohung. Mein Ziel ist es, sie noch vor Winterbeginn unschädlich zu machen“.

„Wie können wir sie fangen?“, fragte er knapp. Er wollte endlich seinen Fehler, Paladins Täuschungsmanöver übersehen zu haben, austilgen. Solange sein Freund frei herumlief, kam er sich vor, als habe ihn dieser wie ein Kind an der Nase herumgeführt.

„Morroh vermutet zu wissen, wo sie hingehen. Sie suchen die Schlüssel, absolvieren die Prüfungen. Die erste Prüfung, die Reueprüfung, wurde von ihnen abgelegt. Als nächstes strecken sie ihre Fühler nach Romero, der Stärkeprüfung, aus. Es muss dir gelingen, sie mit diesen vorhandenen Informationen einzufangen“.

„Wie?“

Esmeralda stand auf. „Jetzt kommen wir zu meinem und Morrohs Plan, wie ihr sie einfangen könnt. In Rosion, dem Königreich der Wissenschaften, gibt es eine Maschine, mit der Menschen aufgespürt werden können. Jetzt darfst du kombinieren, wohin sie ihr Weg mit größter Wahrscheinlichkeit führt“.

„Das ist dein Plan?“, er kam Mendoza lächerlich vor.

In Rosion nach einem Magiemeister zu suchen, war, als versuche er eine Nadel im Heuhaufen - mit geschlossenen Augen und auf dem Rücken verbundenen Armen, versteht sich - zu erspüren.

„Finde Tamara und Grim! Das ist dein Auftrag … und vergesse nicht, dass damit der Krieg entschieden wäre. Solltest du scheitern, wird dich Morrohs Zorn treffen … behalte das in Gedanken!“.

Bevor Esmeralda verschwinden konnte, hielt Mendoza sie an der Schulter fest. Abschätzig und angewidert verzog sie ihr Gesicht.

„Wenn Tamara von Paladin getrennt wurde, muss der Zauberer, der sie schützt, schwach sein. Sie finden wir leicht … aber gegen Paladins Bann kommt keiner meiner Untergebenen an …“, zähneknirschend fügte er hinzu: „Nicht einmal ich!“.

„Aus diesem Grund müsst ihr ihm eine Falle stellen. Schicke also jemanden los, der gewieft ist, Henry. Ich verlasse mich dabei auf dich, immerhin kennst du deine Mitglieder besser als jeder andere“.

Lässig nahm sie seine Hand von ihrer Schulter, in dieser kurzen Bewegung schlummerten Unmengen an verborgener Kraft. Hätte er sich geweigert, hätte sie ihm mit einer einzigen Körperbewegung das Handgelenk gebrochen.

Bevor Mendoza etwas sagen konnte, verging sie wie Rauch im Wind. Ein Meisterstück, von dem selbst Paladin nur träumen konnte. Welche unendliche Macht schlummerte in Esmeralda? Warum war eine Fürsprecherin derart mächtig?

Wieder alleine im Zimmer, ärgerte sich Mendoza, dass er wie ein zorniges Kind randaliert hatte, zuckte jedoch versucht lässig mit den Achseln, weil ihn Esmeraldas Meinung wenig interessierte. Anstatt sich der Scham hinzugeben, raffte er sein Gewand zurecht und fasste einen Entschluss: Aktuell befinden sich alle Magier in Sondra, noch heute Nacht muss es zur Versammlung kommen.

Von der Gefangenschaft der zehn Herren wären sie beeindruckt, aber ob das gleiche für die Suche galt, bezweifelte er. Herea wäre auf seine Mission sicherlich nicht erpicht, da er das dekadente Leben in der Hauptstadt liebte.

Bei Grim und Paladin fehlte ihm sogar ein würdiger Kandidat. Sollte sich jemand freiwillig melden, dürfte dieser gerne sein Glück versuchen. Ansonsten müsste er – alleine für seinen Ruf als stärkstes Mitglied – sich eigenständig auf die Suche nach seinem einstigen Freund begeben.

Bevor er das Zimmer verließ, schickte er den anderen Ordensmitgliedern die Nachricht, sie mögen sich um Mitternacht im Thronsaal einfinden.

Draußen herrschte tiefschwarze Nacht, als fünf Männer und eine Frau an einem langen Tisch vor dem Thron saßen. Wein wurde ausgeschenkt; selbstverständlich von den Lehrlingen, da kein Unbeteiligter Zutritt zu den Treffen des Rates hatte. Jedem stand die späte Stunde ins Gesicht geschrieben.

Lisa von Moscharith war, sogar zur mitternächtlichen Stunde, ein prachtvoller Anblick. Ihr Kleid aus roter, nobler Seide überließ kaum etwas der Phantasie, ihr Gesicht ertrank in Schminke.

Sie saß direkt neben dem neusten Mitglied des Ordens. Artemis war ein hübscher Mann, dem die Jugend in den Zügen stand, obwohl er bereits drei Menschenleben lebte. Herea, Sand und Nozomi bildeten den Abschluss der Anwesenden. Sie saßen willkürlich verteilt am Tisch, sogar Mendoza wählte niemals den Platz an der Spitze.

Mit euphorischer Stimme verkündete er Esmeraldas Nachricht, die zehn Herren seien gefangen worden. Unter den Anwesenden brach Jubel aus. Es wurde auf Nasarets Niederlage angestoßen, die Lehrlinge durften eifrig die Gläser von Neuem füllen.

Am Ende war es Lisa, die sich Gehör verschaffte und dabei mit dem Weinglas schwenkte. „Ich bezweifle, dass Ihr, Henry, deswegen eine nächtliche Audienz einberufen habt. Warum wolltet Ihr uns unbedingt sprechen?“.

„Es geht nicht um die Gefangenschaft der zehn Herren, sondern um jenen Mann, der einst an unserer Seite trank. Der mit mir von dieser neuen Welt träumte und dann, als sie zum Greifen nahe war, einen Rückzieher machte“.

Er formulierte es bewusst so, dass Paladin und nicht dessen Schüler die Bedrohung waren. Er verlöre seine Glaubhaftigkeit, sollte er zugeben, dass Morroh sich wegen Tamara Nero und Grim Balanour sorgte.

„Wieder Paladin?“, fragte Herea genervt, selbst zu dieser Stunde adrett gekleidet.

„Er ist die allergrößte Bedrohung“, erinnerte Artemis, der ehemalige Schüler. „Die zehn Herren sind gefangen, damit hat sich fürs erste jedoch wenig geändert. Nasaret saß sowieso nur im Himmelreich herum!

Mit Paladin haben wir den mächtigsten Magier unseres Ordens verloren, der den König gerettet hat und auf eine Rebellion pocht. Er hat …“, weiter kam Artemis nicht, denn Sand schlug laut auf den Tisch. Anders wie die restlichen Mitglieder ähnelte er am wenigsten dem volkstümlichen Bild eines Magiers. Seine Haut war sonnengebräunt, der Körper muskulös, das Haar lang und fettig, sein Verhalten meistens respektlos.

„Was gibt es, Nathan?“, fragte Artemis spöttisch. „Wurdest du von deiner Kurtisane weggeholt? Hast du deswegen schlechte Laune?“.

Er kniff wütend die Augen zusammen. „Sobald du einmal eine Frau hattest, darfst du mit mir darüber reden, Junge“.

„Nenne mich nicht Junge, solange wir den gleichen Rang bekleiden!“.

Mendoza empfand eine Mischung aus Respekt und Abneigung gegen Artemis. Einerseits brauchte es Mut, seinen früheren Meister zu hintergehen, um für das Richtige einzustehen. Anderseits konnte er ihm niemals ganz vertrauen; ein Mann, der jemandem in den Rücken fiel, um die Seiten zu wechseln, könnte dieses Kunststück jederzeit wiederholen, sobald die Karten schlecht für ihn aussahen.

„Es ist zu spät, um mit dir zu streiten, Nile“, Sand gähnte herzhaft. „Komm, Henry, verrate uns, warum dein Freund mich von Gillian weggelockt hat“.

Mendoza wandte sich an alle, die Lehrlinge standen am Rande des Saals. Er erinnerte sich an die Zeit, als ein König den Thron hinter ihnen nutzte und mit wachsamem Blick den Audienzen lauschte.

„Es wird nach Paladin und dessen Schülern gefahndet. Nachdem die zehn Herren von Morroh eingesperrt wurden, gab seine Fürsprecherin bekannt, mit Paladin existiere die letzte Bedrohung unserer Ziele.

Einer muss sich um Tamara Nero kümmern, sie wird von einem unbekannten Zauberer verborgen. Grim Balanour versucht derweil mit Paladin die zweite Schlüsselprüfung zu absolvieren. Diese Personen werden gefangen genommen, nicht getötet.

Vermutlich befindet sich Nero im nördlichen Movina, Balanour und Paladin voraussichtlich im südlichen Königreich. Einer von uns sechs muss Nero gefangen nehmen, ein weiterer sollte sich einen klugen Plan überlegen, wie er Balanour und Paladin in die Finger bekommen kann. Das Wichtigste bei der zweiten Person ist, dass sie die beiden erst einmal überzeugen muss, nach Rosion zu gehen.

Sie sind auf der Suche nach Romero Vanzetti und im Süden existiert eine Maschine, mit der Menschen gefunden werden können. Die beiden müssen das mitbekommen! Sollte euch das gelingen, könntet ihr eine Falle in Rosion vorbereiten, Paladin dadurch überraschen und, so will ich hoffen, auch besiegen.

Jetzt füge ich noch einen eigenen Auftrag hinzu. Rosion ist ein enorm friedlich gesinntes Land, heißt, dass sie Krieg bewusst ablehnen. Es sind Pazifisten. Der Jäger von Paladin und Grim soll einen Friedensvertrag aushandeln, sodass wir unseren Einflussbereich ausdehnen und Rosion ohne Soldaten einnehmen können.

Wem das gelingt, das schwöre ich, wird direkt einen Rang befördert. Und jetzt hoffe ich, dass es Freiwillige für die jeweiligen Aufträge gibt“.

Als Mendoza mit seiner Ansprache endete, herrschte eisiges Schweigen. Keiner der Magier ergriff gerne die Initiative, denn eine Reise durch Arakan oder ins fremde Rosion klang höchst anstrengend. Den Wohlstand, der im Palast herrschte, gaben die wenigsten freiwillig auf.

Als keiner die Hand hob, erteilte Mendoza den ersten Auftrag. Schon beim Gespräch mit Esmeralda hatte er Herea für Tamara eingeplant. Da kein anderer wollte, schlug er vor, dass dieser sich darum kümmern sollte.

Giftig funkelte Herea ihn an. Obwohl Mendoza es als Frage stellte, durfte Herea nicht grundlos dem neuen Oberhaupt widersprechen, wenn er im Orden höher aufsteigen wollte.

„Mein Schüler Severin steht kurz vor der Absolvierung seiner Lehrzeit“, erinnerte Herea. „Es wäre unklug, das weiter hinauszuzögern“.

Mendoza schüttelte den Kopf. „Severin wird warten, das hat er lange genug getan. Oder, Severin?“.

Ein junger Mann, wie bei allen Magiern trügerisch, trat vor. „Ihr solltet gehen, Meister. Es würde mich mit Stolz erfüllen, zu wissen, dass Ihr eine Feindin unseres Reiches zur Rechenschaft zieht“.

Wütend biss Herea die Zähne zusammen, allein der Gedanke an seinen Palast ließ ihn schwach werden. Der wunderschöne Ausblick im Sommer auf den Ladojasee; ein Genuss, dem er Jahr für Jahr erlag. Selbst, wenn er dem luxuriösen Leben in der Hauptstadt gelegentlich den Rücken zukehrte, konnte er sich in seine Residenz zurückziehen. Aber bei einer Hetzjagd quer durch Arakan müsste er davon träumen, wenigstens wie ein gewöhnlicher Bürger leben zu können.

„Gibt es keinen anderen?“.

Fragend breitete Mendoza die Hände aus, kein anderer meldete sich. So blieb es an Herea hängen, der ein Gesicht zog, als hätte er vom Tod seines Vaters erfahren. Zumindest stellte ihm Mendoza in Aussicht, dass er bei erfolgreichem Abschluss der Mission den zweiten Rang innehaben dürfte. Dieses kleine Versprechen weckte eine Gier, die seit seiner Kindheit in ihm schlummerte. Eine Beförderung im Orden kam sehr selten vor; Lisa hatte es zuletzt geschafft, dabei galt sie als Jahrhunderttalent.

Nachdem Herea für die Jagd nach Tamara auserkoren wurde, kam der schwierigere Auftrag an die Reihe. Paladins Vernichtung, Balanours Ergreifung, das friedliche Unterjochen Rosions und die perfekte Konstruktion einer Falle - es schien sogar für einen Magier unmöglich!

Doch wem es gelänge, der dürfte von sich behaupten, er habe die Saat der Rebellion im Keim erstickt.

„Wer will sich mit dem Abtrünnigen duellieren?“, fragte Mendoza frei heraus.

„Wird dann auch eine Beförderung drinnen sein?“, Nathan Sands Augen flackerten.

„Normalerweise ist eine Beförderung nur dann möglich, wenn der Magier beweist, genügend Macht angehäuft zu haben. Sonst hätte ich mir längst den dritten Rang verliehen. Doch wem es gelingt, Paladin zu besiegen, beweist eindeutig, wie viel Macht in ihm ruht. Ich denke, es sollte kein Problem sein, dann aufzusteigen.

Doch außer mir kennt keiner Paladin gut genug, um ihm eine Falle zu stellen. Es scheint, als würde dieser Auftrag an mir hängen bleiben“.

„Nein“, sagte Lisa und zog alle Blicke auf sich. Als einzige Frau, sogar unter den Lehrlingen, kam sie wie ein Fremdkörper herüber. „Ich jage Paladin und schließe das Abkommen mit dem Königreich. Ich bin im zweiten Rang, also mächtig genug, um zumindest theoretisch zu gewinnen“.

„Ihr werdet aber nicht befördert, wenn Ihr es schafft“, warf Mendoza ein.

Das hatte mehrere Gründe. Erstens hatte sie gerade erst den zweiten Rang erreicht und Aufstiege konnten nur innerhalb vieler Jahre geschafft werden; zweitens würde Mendoza lieber ein Duell gegen sie ausfechten, als die Spitzenposition abzugeben; drittens hasste er Lisa, seitdem sie mit der Kreuzigung in Sevon den Namen des Ordens beschmutzte. Ihr Feldzug in Movina trug dazu bei, die Angst vor Magiern im Volk zu schüren. Sollte eine Rebellion Realität werden, trüge sie mit ihren rabiaten Methoden eine große Teilschuld.

„Die Beförderung interessiert mich nicht. Ich will sie nicht durch einen Auftrag erringen, sondern erst erhalten, wenn ich des dritten Ranges würdig bin“, sie schaute ihn aus ihren tiefblauen Augen an. „Henry, Ihr wisst, nur wir beide haben gegen Paladin überhaupt eine minimale Chance. Wollt Ihr alles aufs Spiel setzen, was Ihr erreicht habt, weil Ihr mir misstraut?“.

Mendoza lehnte sich zurück. „Was garantiert mir, dass ich die Stadt der Freiheit nicht in Flammen sehe, wenn ich Euch schicke? Woher weiß ich, dass die Hauptstadt des Königreiches Euren Einsatz übersteht, wenn Ihr dort kämpft?“.

„Niemand. Aber wer garantiert, dass Herea nicht den Norden Movinas in ein Flammenmeer verwandelt?

Der Unterschied ist, dass Ihr es Euch nicht leisten könnt, mich zurückzuhalten. Wenn die Feinde des Ordens stärker werden, kann es sein, dass unser Traum einer neuen Welt im Wind verweht. Wir müssen zuschlagen, Henry! Oder wollt Ihr wirklich mitansehen, wie Paladin an seinen Plänen feilt, während wir zögern?“.

Wieder musste er an die Grausamkeiten dieser Frau denken. Ihre Intelligenz war unbeschreiblich, ihr Talent schier unendlich, ihr Wille unnachgiebig – ihre grausame Ader ein Dorn im Auge. Es durfte nicht passieren, dass Morde im Namen des Ordens begangen wurden.

Er massierte seine Schläfen. „Ihr dürft meinetwegen reisen, aber ich will ein paar Warnungen aussprechen, die Ihr besser beherzigen solltet“, er hob drei Finger. „Erstens will ich nicht, dass Ihr Paladin tötet. Er soll an den Hof gebracht werden, all seine Geheimnisse offenbaren und dann durch meine Klinge sterben. Er hat es als mein Freund verdient, dass ich sein Henker bin.

Zweitens erwarte ich, dass Ihr den Vertrag mit Rosion in friedlicher Absicht schließt. Wir können das südliche Land im Nachhinein noch immer militärisch unterwerfen, aber der richtige Weg ist der friedliche.

Drittens erwarte ich, dass weder Paladin noch Grim gefoltert werden. Wir sind ein Orden, der für das Gute eintritt! Ich schwöre bei Morroh, dass Ihr verbannt werdet, solltet Ihr eine dieser Grundregeln brechen.“.

Wieder legte sich eisiges Schweigen über die Audienz, eine Angewohnheit, die in letzter Zeit häufiger auftrat.

„Ich werde mich an Eure Regeln halten … unter einer Bedingung!“.

„Und die wäre?“, fragte Mendoza herausfordernd.

Lisa lächelte boshaft. „Wenn ich meiner Schülerin begegne, darf ich mit ihr verfahren, wie ich will“.

Ihm kam sein Besuch in Lisas Folterkeller in den Sinn, damals hätte er fast den Glauben an die Menschheit verloren. Ihm tat das Mädchen leid, auch wenn er es nur selten gesehen hatte.

Cassandras Tod war wie eine Hiobsbotschaft gekommen, denn sie hatte gezeigt, dass auch Magier sterblich sind. Wie konnte Lisa ein Kind, das bloß ihre Schwester rächen wollte, von ganzem Herzen hassen? Diese Frau blieb für ihn ein hässliches Rätsel!

„Ich gewähre Eure Bedingung“, er seufzte. Klamm und heimlich hoffte er, Naomi möge sich weiterhin den Fängen ihrer Meisterin entziehen.

„Und ich die Euren“, verkündete Lisa, stand in einer fließenden Bewegung auf. Das bildhübsche Kleid umspielte ihren Körper wie eine sanfte Böe, ihr Dekolleté war frivol und einladend zugleich. Sie setzte bei jedem Treffen – in denen bloß Männer saßen! – ihre Schönheit wie ein scharfes Schwert ein.

„Wenn Ihr mich jetzt entschuldigt, ich breche auf“.

Mendoza erhob sich zum Abschluss. „Wartet noch, ich will eines betonen. Sollte Paladin sterben, wäre es tragisch, aber verschmerzbar. Seine Schüler müssen unbedingt am Leben bleiben!“, als jeder der Magier ihn schief anstarrte, fügte er an: „Morroh hat mit ihnen noch große Pläne. Lasst sie auf jeden Fall leben!“.

Herea und Lisa nickten andächtig. Daraufhin verließen die Magier mit ihren Lehrlingen den Saal, während Mendoza seine Auserwählten zurückhielt. Es gab einen speziellen Auftrag, den er ihnen gerne auf den Weg gäbe, bevor sie endgültig in die finale Schlacht zögen.

Schlussendlich kannte er die Legende über die Schlüssel sehr gut, und obwohl Esmeralda diesen Artefakten keine Bedeutung beimaß, wusste er, dass sie unbedingt in den Besitz des Ordens wandern müssten. Dieser Sonderauftrag zur Beschaffung der Schlüssel sollte ebenfalls ausgeführt werden. Vielleicht wäre es sogar notwendig, manchmal im Hintergrund zu bleiben, weil Paladin bereits die Spur eines weiteren Schlüssels verfolgte?

Behutsam nickten Lisa und Herea, würden auch diesen Auftrag im Gedanken an eine neue Welt ausführen. Danach reisten sie ab. Eine feilte bereits an ihrem Plan, wie sie Paladin fangen könnte, während der andere erst einmal zu seiner Residenz am Ladojasee reisen würde, die im Norden Movinas lag, sodass er weiterhin einen Funken Luxus genießen könnte. Für Herea gab es nichts Wichtigeres!

Danach blieb einzig Mendoza zurück, strich seinen Mantel zurecht, blickte zum Thron empor. Ein Gebilde aus purem Gold, wertvoller wie der Rest des Palastes. Als er sich hinsetzte, verspürte er erneut das verlockende Gefühl der Macht. Sanft und wohltuend wie ein Rausch; süchtig machend und verzehrend wie eine Droge, von der man nie genug bekam – er liebte den goldenen Thron!

5. Geschichte

Das Königreich der Wissenschaften

Kapitel 41:

Die Zeit danach

Die Umgebung war geröllartig. Ein paar vereinzelte Hügel erhoben sich aus der umliegenden Landschaft, unscheinbar und flach, gingen keinesfalls als Berge durch. Manche der Hügel waren gesplittert, wiesen riesige Risse an den Seiten auf und zierten den Boden mit Geröll. Für Grim stand fest, Magier hatten vor langer Zeit für die Gestaltung dieser Gegend gesorgt. Ob es hier vor langer Zeit zu einem Kampf zwischen den Übermächtigen gekommen war?

Er warf einen Blick zu Baal hinüber, der in echt Paladin hieß und ein mächtiger Magier war. Das einst blinde Vertrauen in seinen Meister war erschüttert worden; stets musste er daran denken, dass dieser eine Lüge gelebt hatte. Am liebsten hätte Grim ihn im Zorn fortgeschickt, aber für sein Ziel, ein Assassine zu werden, bräuchte er ihn. Nachdem sich Tamara bereits abgewandt hatte, durfte er auf keinen Fall seinen Meister verlieren.

Irgendwo dort draußen befand sich seine frühere Freundin auf einem einsamen Rachefeldzug, den sie zusammen begonnen hatten, aber getrennt beenden würden. Die Befürchtung, sie könnte auf ihrer Jagd von den Grauen dieser Welt verschlungen werden, brannte tief in seinem Inneren und bescherte ihm schlaflose Nächte.

„Der Himmel reißt auf …“, rief Ernesto von vorne, bisher in ein Gespräch mit Paladin vertieft. Sein Schrei ließ jeden der Gefährten zum Himmel blicken.

Die dunklen Wolkenschichten lichteten sich und offenbarten eine schwache Sonne zwischen all dem Grau; eine willkommene Abwechslung. Der Sommer lieferte bisher eine erbärmliche Vorstellung, passend zu seiner niedergeschlagenen Stimmung, ab.

„Wird Zeit, dass die Sonne herauskommt“, antwortete Leona vom Rücken ihres Pferdes Mira aus, vor ihr saß Jamie. Die beiden verstanden sich blendend, als hätte die gegenseitige Amnesie besondere Sympathien aufkeimen lassen und die Zwei zu guten Freunden gemacht.

„Wenn’s nochmal regnet, würde ich ausflippen!“, moserte der schwarzgekleidete Mann. Als er sich umdrehte, prangte ein breites Grinsen in seinem Gesicht. Dieses Grinsen trug er so oft zur Schau, dass Grim am liebsten gekotzt hätte, als er es bemerkte.

Leona erwiderte: „Was willst du dann machen, Ernesto? Den Göttern für den Regen einen Arschtritt verpassen?“.

„Ich kann es ja versuchen, immerhin wollen wir zu ihnen. Ich sage Nasaret gerne, warum es im Sommer nicht regnen darf“.

„Wenn’s so weit ist, hole mich, denn das will ich mir nicht entgehen lassen“.

Paladin ließ sich zurückfallen. Leona schloss zu Ernesto auf, der mit einem weiteren Witz ihr und Jamie ein Lachen entlockte.

Vielleicht hätte der Lehrmeister ihnen erklären können, dass die Götter nicht für das Wetter zuständig seien, aber die Irrlehren der Kirche vereinten sich in den Worten seiner neuen Schüler. Das alles richtig zu stellen, wäre den Aufwand keinesfalls wert.

„Denkst du wieder an sie?“, Paladins Stimme klang ernsthaft besorgt, in seinen dunklen Augen spiegelte sich Verständnis wider. „Wie oft hast du dir im letzten Monat schon Sorgen um sie gemacht?“.

Als Grim schwieg, fuhr der Meister fort: „Glaube es oder nicht, aber ich war auch schon verliebt. Das ist zwar lange her, und weit von einem Happy End entfernt, aber ich meine …“.

„Worauf läuft deine Geschichte hinaus?“, fragte Grim missmutig, der jeden Verliebten gerne erdrosselt hätte. Eine Geschichte vom Verliebtsein ging ihm gehörig auf die Nerven; besonders zu einer Zeit, in der er Paladin – oder Baal – sowieso gerne die Vorwürfe wegen dessen Lügen ins Gesicht geschleudert hätte.

„Eine Trennung. Selbst eine perfekte Liebe kann untergehen, wenn sie nicht gepflegt wird. Die wenigsten Menschen bleiben für immer mit ihrem ersten Partner zusammen. Vielleicht wurden Fehler gemacht, die du bei deiner nächsten Freundin besser vermeidest – ich weiß es nicht. Aber …“.

„Wenn du sie mir vorhalten willst, verzichte ich gerne“.

Paladin schüttelte den Kopf. „Ich will nur sagen, dass wegen dieser Trennung nicht die Welt untergehen wird“, obwohl genau dieses Szenario Paladin beschäftigte.

Sein harmonierendes Rachekommando verschwand; dabei wären sie die idealen Recken der Götter geworden! Das Mädchen hatte er unbedingt gewollt, er hatte einen ganz besonderen Grund dafür.

„Ich weiß“, fuhr der Meister fort, weil Grim weiterhin ein verzweifeltes Gesicht zog, „dass das herzlos klingt, aber am besten kommt man über ein Mädchen hinweg, in dem man sich ein neues nimmt. Das hilft bei der Trauer, glaube mir“.

Ein neues Mädchen?

Unbewusst huschte sein Blick zu Leona hinüber, die lachend im Sattel saß. Damals an der Mühle hatte sie ihm einen Kuss geschenkt, doch er huschte, während sie schlief, in Tamaras Bett und zeigte ihr die kalte Schulter. Der Kuss war – zumindest in seiner Erinnerung – wunderschön und hauchzart gewesen.

Sollte er sein Glück bei ihr versuchen?

„Weißt du, dass Leona mich liebt?“, fragte er zögerlich.

„Ja, ich sehe es ihr an“.

„Weißt du, dass ich sie nicht liebe?“.

„Ja“, er schluckte, schaute ebenfalls zur blonden Schönheit hinüber.

Schweigend ritten sie durch das Geröllfeld. Die gespaltenen Berge blickten wie Riesen auf sie herab.

Obwohl Tamara ihm mit ihrem Verrat einen metaphorischen Dolch ins Herz rammte, konnte er kein anderes Mädchen lieben. Sie hatte ihm vor einem Jahr das Herz gestohlen. Leider hatte sie es ihm niemals zurückgegeben, weshalb er verzweifelt an dem Gedanken, sie irgendwann zurückzubekommen, hing.

Kurz nach der Trennung hatte er gedacht, der Betrug könne eine dumme Lüge von ihr gewesen sein, die sie geäußert hatte, weil er Jamies Mörder war. Dann erinnerte er sich an ihre Augen, ihre Worte, ihre kühle Art. Selbst in diesem Moment hatte sie es bereut; diese Reue bildete den unwiderruflichen Beweis, dass es Realität war, die vom Zahnabdruck auf ihrem Busen unterstrichen wurde.

Häufig hatte er sich daraufhin die Frage gestellt, warum ihr Verlust trotzdem schmerzte, obwohl sie ihn hinterging. Die Antwort konnte er sich eines Nachts geben, als er schlaflos zum sternenbedeckten Firmament starrte: Das Mädchen, das ihn betrog, konnte er vielleicht hassen. Doch das Mädchen, mit dem er den schönsten Sommer seines Lebens verbrachte, würde er bis ans Ende seiner Tage im Herzen bewahren und für immer lieben.

Als das Schweigen drückend wurde, murmelte er: „Falls wir uns wiedersehen, zeige ich ihr Jamie. Selbst wenn wir nach allem, was passiert ist, kein Liebespaar sein können, hoffe ich doch, dass wir Freunde werden können“.

Es schnürte Paladin das Herz zu, seinen Schüler so sehnsuchtsvoll zu sehen.

„Du wirst sie wiedersehen, denn eure Wege sind …“.

„Das ist das Schlimme!“, klagte Grim, wegen seines Schreies flohen zwei Steinböcke auf einem nahen Anstieg. „Sie will noch immer Rache, aber hat keinen der Schlüssel. Am Ende wird sie alleine gegen den Orden antreten und dann … dann …“, er konnte seine Sorge nicht aussprechen, sie nicht einmal denken.

„Sie ist klug, Grim. Ich wählte euch, weil ich von eurem Talent überzeugt bin. Tamara wird nicht die Prüfungen machen, da diese für sie sinnlos wären – Magier jagen wird sie aber auch nicht! Ich denke, sie wird mit Marion ein eigenes, friedliches Leben führen“.

Paladin wusste selbst, wie unrealistisch die Worte klangen. Seine Schülerin hatte ihre geliebten Geschwister an den Orden verloren, ungesühnt würde sie das nicht beruhen lassen. Doch das musste er Grim verschweigen.

„Weißt du, was mich am meisten beschäftigt?“, fragte sein Schüler.

Egal, was er sagen würde, es risse eine neue Wunde in seine Seele.

„Ihre Liebe …“, seine Augen schwammen vor Nässe. „Es ist die Liebe zu ihren Geschwistern, die sie Stück für Stück in den Abgrund stoßen wird. Und da ich ihr Jamie nicht zeigen kann, wird sie denken, ich habe ihr diesen Schmerz beschert. Ich, der doch ihr Freund bin!“.

Grim schaute stur nach vorne. Innerlich kämpfte er gegen die Tränen an, denn vor seinen Gefährten durften sie keinesfalls fließen. Wenn er wegen Tamara weinen müsste, dann an einem Ort, wo es keiner mitbekam.

„Du wirst sie wiedersehen“, wiederholte Paladin eisern, entschlossen. „Vielleicht weder heute noch morgen, aber irgendwann. Dann kannst du ihr Jamie präsentieren und die vielen Irrtümer aus der Welt räumen“.

Es hörte sich beruhigend an.

Ernesto und Leona verschwanden aus ihrem Blickfeld, da der Weg einen Bogen schlug und hinter dem nächsten Hügel weiterführte.

„Versprich mir nur, unsere Mission trotz dieses Verlustes im Auge zu behalten“, ergänzte der Lehrmeister.

„Ich … ich verspreche es“.

Der Satz kam ihm schwer über die Lippen. Ob er der Wahrheit entsprach, musste die Zukunft zeigen. Seine Gedanken hingen trotz Paladins Worten bei Tamara; seiner Partnerin und bisherigen Stütze. Die gemeinsamen Monate vergäße er niemals … aber hieß das, er dürfe seine Verantwortung vergessen? Nein, er musste die Prüfungen absolvieren und die Mission vor Augen behalten. Das hatte, so bitter es klang, oberste Priorität.

Er hatte keine Ahnung, ob Paladin etwas sagen wollte, aber Leona winkte ihn her. Dankbar für die Aufmunterungsversuche nickte er seinem Meister zu und ritt los. Kriegers Hufen rauschten über die steinige Ebene hinweg.

Als Paladin sah, wie Leona und Ernesto ihn empfingen, wusste er, bald käme sein Schüler über den Verlust hinweg. Er hatte Freunde, die ihm in diesen schweren Stunden den notwendigen Halt boten. Doch diese Änderung verwarf seine Pläne, und das nervte ihn. Jetzt musste er ohne Tamara auskommen, und wie sich das letztendlich auswirken würde, konnte, wie auch bei Grims Versprechen, einzig die Zukunft zeigen.

Als der Abend kam, schlugen die Gefährten ihr Nachtlager auf. In den vergangenen Wochen hatte Paladin Grim trainiert, Ernesto die Grundlagen der Magie beigebracht, Leona und Jamie die ersten Techniken des Kampfstils gelehrt. Somit würden die beiden zumindest gegen einen unausgebildeten Mann gewinnen können, ein guter Anfang.

Ihr Lager bauten sie hinter einem der Hügel auf, das Geröll wurde von einer weichen Wiese unterbrochen. Das Gras war nicht hochgewachsen und perfekt als Schlafplatz geeignet. Ernesto kümmerte sich um die Pferde, Grim suchte Feuerholz, Leona und Jamie bereiteten das Essen zu, während Paladin sich geschickt den Verpflichtungen entzog.

Nachdem alles erledigt war und jeder einen warmen - trotz mangelnder Lebensmittel - schmackhaften Eintopf in Händen hielt, konnte über die Mission gesprochen werden. Das Problem war, dass das Ziel klar vor Augen lag, aber der Weg sich hinter hunderten Biegungen verbarg. Weil sie keine Ahnung hatten, wie sie an Romero herankommen sollten, irrten sie seit Wochen ziellos umher.

„Kennst du keinen weiteren Priester, der uns den Weg weisen kann?“, fragte Grim mit vollem Mund.

Leona hielt beim Essen inne. Grim war überzeugt, sie erinnere sich an Carlos grausamen Tod. Eine dunkle Erinnerung, die ihre kurze Vergangenheit zeigte.

„Nein. Wieso hätte ich mich ansonsten so aufgeregt, all die Prüfungen machen zu müssen?“.

Grim zuckte mit den Achseln. „Möglicherweise, weil du ungern reitest?“.

„Haha … nein! Ich habe mich aufgeregt, weil wir Jahre mit dieser Suche verschwenden“.

„Aber …“, er schloss wieder den Mund. Ihm fiel keine Antwort ein.

Eine Suche ohne Anhaltspunkte glich einem unmöglichen Unterfangen. Sie irrten ziellos durch die Dunkelheit, und klammerten sich an eine Hoffnung, an die nur Narren glaubten.

„Ich hatte gehofft, dass wir durch Leona einen Hinweis auf ihre Geschwister bekämen. Da sie aber das Gedächtnis verloren hat, können wir uns von ihr keine Hilfe versprechen“.

„Das klingt nach einem Vorwurf“, sagte Grim kühl. Leona und Jamie, beide von fehlenden Erinnerungen geplagt, warfen ihm grimmige Blicke zu.

Entschuldigend hob Paladin die Hände. „Das ist kein Vorwurf, sondern eine unerfüllte Hoffnung. Und Carlos Informationen bezüglich Romero können wir ebenso streichen, weil er vom irren Leonard Marquis getötet wurde“.

„Wir könnten …“, Grim brach mitten im Satz ab.

„Nur zu“, ermunterte Paladin ihn, „Verbesserungsvorschlägen stehe ich offen gegenüber. Ich habe nämlich keinen! Außerdem ist mir alles willkommen, um diese karge Steinlandschaft zu verlassen“.

„Der war dumm“.

„Lieber einen dummen als gar keinen“.

„Ich habe vergessen, dass Porta-Rosa abgebrannt ist. Ich dachte, vielleicht gibt’s in Carlos Kirche Hinweise“, bitter fügte er an: „Aber die wurden vom Feuer verschlungen!“.

Er nahm einen Bissen vom Eintopf, alle anderen verkniffen sich ein Grinsen.

Nur Ernesto nicht, der keine Zurückhaltung kannte. „Obwohl wir zwei Gefährten haben, die unter Amnesie leiden, hast du das löchrigste Gedächtnis“.

Diesmal konnte sich keiner das Lachen verkneifen, sogar Grim schmunzelte ungewollt.

„Ich bitte jeden“, sagte Paladin glucksend, als wieder Ruhe eingekehrt war, „der eine gute Idee hat, sie auszusprechen. Keine Sorge, solange sie nicht unmöglich wie Grim seine ist, können wir darauf aufbauen“.

Ernesto stellte seine geleerte Essensschale auf den Boden, rieb sich erwartungsvoll die Hände. „Hat irgendjemand Lust auf eine kleine Wette? Wir könnten tippen, wer als erstes eine Idee kriegt“.

Paladin schüttelte den Kopf. „Ich habe dir doch erklärt, dass du unbewusst mit deiner Gabe die Wetten manipuliert hast. Sobald wir wetten, zerstörst du die Kreativität von Leona, Jamie und Grim unbewusst mit deiner Magie. Also keine Wetten!“.

„Stimmt“, ihm fiel wieder die Lektion ein, sie hatte eine Menge erklärt. Wie damals, als er eine Wette mit Violetta hundertprozentig verloren hätte, bis ihr geworfener Ball wie ein Stein kurz vor seinem zu Boden fiel. Dabei hatte er eine Kurve hingelegt, mit der er die doppelte Länge fliegen müsste.

„Das heißt, du darfst auch innerlich keine Wette abschließen. Sobald du überzeugt bist, du könntest verlieren, keimt deine Gabe auf und verhindert es. Ich weiß, es dürfte dir schwerfallen, aber bleibe fair“.

Ernesto nickte nochmals. „Jaja … keine Wetten, ihr Spaßverderber“.

„Ernesto“, zischte Paladin, „das meine ich ernst!“.

Theatralisch und sarkastisch tönte er: „Also, werte Freunde, ich bitte euch inständig, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Wenn’s jemand vor mir hat, gratuliere ich diesem aus vollem Herzen“.

„Ein bisschen ironischer noch, dann glaube ich dir“, erwiderte Grim. Ernesto setzte tatsächlich zum erneuten Versuch an, den Paladin unterbrach, weil sie auf diese Weise niemals ans Ziel kämen.

Leise räusperte sich Leona. „Paladin, denkst du, er kann sich an mich erinnern?“.

Ihre Stimme klang schwach und verletzlich, als könnte sie eine Verneinung keineswegs ertragen. Es war einer der wenigen Male, in denen sie offen zeigte, wie bitterlich der Verlust ihres Gedächtnisses schmerzte. In diesen Momenten war das lebensfrohe Mädchen weggefegt, die Trauer trat offen zutage.

Kurz zuvor mahnte Paladin sie noch, jeder solle sich Gedanken über eine Lösung machen, doch nur ein herzloser Mensch könnte Leonas ängstliche Frage unbeantwortet lassen. Leider hatte selbst ein mächtiger Magier keine Vorstellung, welche Banne Nasaret vor sechshundert Jahren wirkte

Ihre blauen Augen schwammen. Tröstend umarmte Jamie sie, ihre Wangen wurden trotzdem nass.

Weiterhin konnte Grim nicht glauben, dass Jamie kein einziges Mal wegen Tamara weinte; er vergaß einfach seine Schwester. Regelmäßig hatte Grim versucht, sie ihm mit ein paar Geschichten näherzubringen, aber es interessierte den Jungen nicht. Der Preis für die Wiederbelegung schien höher, als es den Anschein hatte.

„Selbst, wenn er sich nicht an dich erinnert, wird er schnell merken, was für ein wundervoller Mensch du bist. Ich bin überzeugt, er wird dich als Schwester lieben“, so rührend Paladins Worte klangen, sie bescherten Leona einen weiteren Schwall Tränen.

Für sie hatte die Suche nach Romero eine andere Bedeutung. Ihr ging es nicht um die Schlüssel, die Macht der Magie, die Rache toter Eltern – sie wollte Bruder und Schwester zurück! Und bei allem, was heilig ist, Grim würde ihr dabei helfen. Das hatte er geschworen!

Mühsam packte erneut jeder das Problem an, sogar Leona konzentrierte sich wieder. Jeder zerbrach sich den Kopf, wie ein Ziel ohne Anhaltspunkte erreicht werden könnte. Es schien unmöglich. Dennoch widersprach aufzugeben der Mentalität der Gefährten. Es musste eine Möglichkeit geben, Romero ohne Lafortes Hilfe zu erreichen.

Wortlos saßen sie im dunkler werdenden Tag, und die versinkende Sonne im Westen, die die Welt – besonders das Geröll - in schillernde Farben tauchte, würde bald vom Mond ersetzt werden. Die Berge warfen lange Schatten über das unbewohnte Gebiet, ihr Lagerfeuer zog als einziges gegen die Dunkelheit in die Schlacht. So leer die Landschaft auch aussah, so leer kamen zugleich ihre Köpfe herüber.

„Haben wir noch Eintopf?“, fragte Jamie nach einer Weile.

Schweigend bekam er den letzten Rest. Erstmals verstand Grim, wie kompliziert die Prüfungen waren. Er verspürte Zorn auf Nasaret, weil dieser nicht verstand, wie die Qualität eines Reckens geprüft wurde. Wie sollten auf diese Weise heroische Charakterzüge bewiesen werden? Ging es einzig um Findigkeit? Nein, dreimal jemanden suchen zu lassen, machte keinen Sinn.

Umso länger sich Grim über Nasaret aufregte, desto fester glaubte er, sie müssten ihre Hinweise beim Priester finden.

Bevor er dem Gedanken Farbe verlieh, unterbrach Leona die Stille:

„Mein Turm!“, rief sie laut.

Alle Blicke richteten sich auf sie, ein leicht rötlicher Teint umspielte ihre Wangen. Bei einem Mädchen ihres Alters wirkte es niedlich.

„Wir haben keinen Anhaltspunkt. Wäre es dann nicht logisch, am Ende der letzten Prüfung anzusetzen? Der Recke muss drei Prüfungen bestehen, das wissen wir. Er ist also im Turm und hat mich besiegt, den Schlüssel bekommen und will jetzt das nächste Rätsel lösen. Klingt es dann nicht sinnvoll, dass in meinem Turm die Lösung versteckt liegt?“.

Es klang plausibel.

„Nein“, sagte Paladin, riss jeden aus seiner Träumerei heraus, „es ist unsinnig. Erstens wurde der Turm von den Unsichtbaren auseinandergenommen. Falls es einen Hinweis gab, wurde er gefunden. Zweitens sind die Prüfungen so aufgebaut, dass es egal ist, mit welcher begonnen wird. Es kann natürlich sein, dass Nasaret bei jeder Prüfung Hinweise versteckt hat, aber sollte das stimmen, hätten die Unsichtbaren sie entwendet. Drittens hat Nasaret die Vanzettis mit einem Fluch belegt, aber wir wissen nur von Leona, dass sie eingesperrt wurde. Es kann sein, dass Romero oder Giulia sich frei bewegen können; sollte das stimmen, wäre es verdammt schwer, darauf einen Hinweis zu geben“.

„Ich finde Leonas Vorschlag gut …“, krähte Jamie, während er den letzten Rest aus seiner Schüssel kratzte.

„Danke, Jamie“, sagte Leona, nahm den kleinen Jungen in den Arm – eine aufkeimende Freundschaft, die mit jedem Tag stärkere Bande knüpfte.

„Wir können den Grund auf die Warteliste stellen“, beschloss Ernesto.

Doch Grim und Paladin waren noch nicht fertig, beide mussten ein bisschen darauf herumhacken. Grim fiel ein, dass manche Unsichtbaren im Turm geblieben waren und ihn als neues Heim beanspruchten - sie hätten jedwede Erinnerung an ihre Gefangenschaft niedergebrannt. Paladin ergänzte, wie nah der Turm an dem Haus stand, in dem es zur Schlacht gekommen war. Falls ein Magier der Entladung nachging, die durch Jamies Heilung freigesetzt wurde, könnten sie ihm direkt in die Falle tappen. Das Risiko war gigantisch.

Bockig verschränkte Leona die Arme vor der Brust. „Na gut, dann macht bessere Vorschläge. Wenigstens hatte ich einen!“.

„Ich habe ihn zumindest mit einem Vielleicht versehen“, erinnerte Ernesto sie.

Ganz kurz überlegte Leona, ob sie ihm danken oder die Zunge herausstrecken sollte. Bei Ernesto konnte man sich nie sicher sein, wie er etwas meinte. Letztendlich ignorierte sie den Kommentar bestmöglich.

„Suchen wir einen weiteren Vorschlag“, beendete Paladin die Diskussion. „Außerdem war deiner nicht schlecht, Leona, sondern bloß unrealistisch“.