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25mal soll eine reiche Erbtante ins Gras beißen, das Zeitliche segnen, endlich abkratzen und vor allem: Das Geld herausrücken. Die Erben warten schon. "Sich fügen heißt lügen" – so der vielleicht bekannteste Ausspruch von Erich Mühsam. Und nur zu gut lässt sich sein Leben an diesen vier Worten ableiten. Und so radikal seine politischen Texte waren (für die damalige Zeit), so absurd komisch zeigte er sich in diesem kleinen Traktat. Von Tante Amalia bis Tante Zerlinde gibt es 25 Möglichkeiten, zu Reichtum zu gelangen. Die Erben scharren schon mit den Hufen. Doch kein einziger Neffe, keine einzige Nichte kommt wirklich in den Genuss der Erbschaft - es darf gelacht werden, wieso nicht. Was bleibt dem Dichter als Fazit: "… (Ihr) Geld aber stinkt nicht …" Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 84
Erich Mühsam
Die Psychologie der Erbtante
Eine Tantologie aus 25 Einzeldarstellungen zur Lösung der Unsterblichkeitsfrage
Erich Mühsam
Die Psychologie der Erbtante
Eine Tantologie aus 25 Einzeldarstellungen zur Lösung der Unsterblichkeitsfrage
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-954189-83-0
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Inhaltsverzeichnis
Autor
Einleitung
Tante Amalia
Tante Berthchen
Tante Christine
Tante Dorothea
Tante Elfriede
Tante Friederike
Tante Gerta
Tante Henriette
Tante Julchen
Tante Kunigunde
Tante Ludovika
Tante Miriam
Tante Nanny
Tante Olly
Tante Paula
Tante Q.
Tante Rosa
Tante Sophie
Tante Therese
Tante Ursula
Tante Vera
Tante Werra
Tante X
Tante Yvette
Tante Zerlinde
Nekrolog
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»Sich fügen heißt lügen« – so der vielleicht bekannteste Ausspruch von Erich Mühsam. Und nur zu gut lässt sich sein Leben an diesen vier Worten ableiten. Mühsam (1878-1934) war ein Dichter und Denker, ein Pazifist und Anarchist.
Der gebürtige Jude aus gutem Hause (der Vater war Apotheker) eckt schon als Schüler mit »sozialistischen Umtrieben« an. Folglich wird er bereits 1903 unter ständige Polizeiaufsicht gestellt –zu unerhört ist sein Lebenswandel, zu frei seine Texte, zu radikal seine Forderungen (u. a. freie Rechte für Homosexuelle). Während des Ersten Weltkriegs betreibt Mühsam Antikriegspropaganda. Ein vorläufiger, trauriger Höhepunkt seiner »Karriere« als Volksfeind ist 1920 die Verurteilung wegen Hochverrats zu 15 Jahren Festungshaft. Nach sechs Jahren wird er begnadigt. Als Jude, linker und intellektueller Anarchist ist Mühsam ein bevorzugtes Feindbild der Nazis. 1933 wird er durch die Machthaber des Dritten Reichs verhaftet, gefoltert und 1934 im KZ Oranienburg von seinen SS-Bewachern ermordet. Er ist einer der ersten Opfer der Nazis, viele werden folgen.
Margarete Beutler zugeeignet.
Nicht der Drang, in das Heer literarischer Erzeugnisse einen neuen Rekruten einzustellen, war die Anregung zu diesem Buche, sondern das unabweisbare Bedürfnis, einen Stein zu dem Bau zu fügen, an dessen Aufrichtung die Philosophen und Theologen, die Dichter und Denker seit Menschengedenken ihr Bestes gaben. Die Frage nach der Unsterblichkeit der Dinge und Menschen, deren Beantwortung man getrost die Erkenntnis als solche nennen dürfte, ist von so einschneidender Bedeutung für das wirtschaftliche, soziale, psychische und physische Leben des Individuums und der Völker – handelt sie doch im letzten Grunde von deren Sein oder Nichtsein –, dass ich glaubte, meine partiellen Beobachtungen auf diesem Gebiete, welche immerhin geeignet erscheinen, die Frage ihrer Lösung näher zu bringen, der Menschheit nicht vorenthalten zu sollen.
Kein Geringerer als Gotthold Ephraim Lessing war es, der in einem seiner tiefgründigen Epigramme einen bemerkenswerten Beitrag zum Nachweis der Unsterblichkeit lieferte. Er singt von einem Jungfernstifte:
Denkt, wie gesund die Luft, wie rein Sie um dies Jungfernstift muss sein; Seit Menschen sich besinnen, Starb keine Jungfer drinnen.
Aber weiß dieser Dichter nur den Insassen dieses einen Hauses die köstliche Eigenschaft der Unsterblichkeit nachzurühmen, so gehe ich einen gewaltigen Schritt weiter, indem ich im vorliegenden Buche den Nachweis liefere, dass es eine ganze Gattung von Menschen gibt, welche gefeit ist gegen Klappermanns Würgehand: die Erbtanten. Das Problem ist zu wichtig, seine Erörterung zu ernsthaft, als dass ich mich damit aufhalten könnte, in langstieliger Polemik meine Erforschung denen begreiflich zu machen, die in Skepsis und Nörgelsucht befangen ihre Ohren vor allem Ungewöhnlichen, Umwälzenden mit Watte zustopfen. Knapp und schlagend wie die Behauptung: Die Erbtante ist unsterblich! sei meine Beweisführung. An 25 Beispielen mag die Welt ermessen, ob meine Wahrnehmung bedeutungsvoll, ob meine Rückschlüsse berechtigt sind. Lang waren die Dispute, schwer die Erwägungen, in welcher Form und unter welcher Flagge meine epochemachende Entdeckung in die Welt hinaus sollte. Besonders der Titel des Buches bereitete mir viel Sorge und Kopfzerbrechen.
Psychologie oder Physiologie? – das war die Frage. Schon wollte ich mich für die letztere Bezeichnung entscheiden.
Denn ist nicht das Sterben und noch viel mehr das Nichtsterben ein physiologischer Vorgang? Jedoch die Erwägung, dass sich gerade bei der Erbtante des Nichtsterben viel eher als eine Charaktereigenschaft, als ein seelischer Defekt darstellt, behielt endlich die Oberhand, und die Aufzählung der 25 Beispielstanten gibt mir das Recht, mein Buch »Die Psychologie der Erbtante« zu nennen. Eine weitere Schwierigkeit trat bei der Anordnung der Tanten in den Weg. Sicher wäre es gerecht gewesen, die Damen der Anziennität nach aufmarschieren zu lassen. Aber erstens war es mir trotz aller ungescheuten Bemühungen nicht möglich, das Alter der meisten derselben mit Sicherheit festzustellen, dann auch wäre es wenig höflich und nicht gerade rücksichtsvoll gewesen, alte, längst vergessene und begrabene Eifersüchteleien dadurch wieder aufzurühren, dass ich hier vor aller Öffentlichkeit den Mangel an Jugendlichkeit bei einer Tante noch mehr hervortreten lassen sollte als bei der andern. Die alphabetische Reihenfolge allein dürfte mich vor Anfeindungen von allen Seiten sichern und eine objektive Würdigung der 25 Tatbestände ermöglichen.
Ich denke mit der Herausgabe dieses Buches einem tief empfundenen Bedürfnis unserer Zeit, endlich Licht zu werfen in das Mysterium des Erbtanten-Erdenwallens, Rechnung zu tragen; ich denke all denen, die immer von neuem auf das Erblassen dieser oder jener Tante hoffen und sich immer von neuem über das Fehlschlagen ihrer Hoffnungen wundern, ein für alle Male den Star gestochen und nachgewiesen zu haben, wie töricht und unbedacht jener junge Mann handelte, der einst in einem Lokalblatte annoncierte: 3 gewöhnliche Tanten gegen eine Erbtante einzutauschen.
Allen gewöhnlichen Taten aber glaube ich dadurch zu ihrem guten Recht verholfen zu haben, dass ich sie als den Erbtanten gleichberechtigte Mitglieder der menschlichen Gesellschaft öffentlich anerkenne, jener Damen, welche ihr Titel zu einer wandelnden Vorspiegelung falscher Tatsachen stempelt.
Erich Mühsam.
Sie war im Grunde ihres Herzens eine gute Frau. Außerdem hatte sie viel – manche sagten: sehr viel – Geld und war mindestens 25 Jahre älter, als sie jedem erzählte, der es wissen wollte. Konnte es da wundernehmen, dass Tante Amalia von ihren Neffen – deren hatte sie drei: Hans, Ferdinand und Eberhard – und von ihren Nichten – vier an der Zahl: Charlotte, Anni, Else und Paula – vergöttert wurde?
Zu ihrem Vermögen war Tante Amalia erst gekommen, als sie schon längst Witwe war. Ihr Mann, Onkel Theodor, war ein braver Kürschner gewesen, der dadurch, dass er im Sommer Pelze wusch und gegen entsprechende Bezahlung in Verwahrung nahm und im Winter die elegante Welt mit neuen Wärmehüllen versah, sich und die trotz aller Bemühungen kinderlose Tante Amalia recht und schlecht ernährte. Zum letzten Weihnachten, das er erlebte, hatte er seiner teuren Ehehälfte ein Los einer Pferdelotterie geschenkt, und nachdem dies mit dem ersten Gewinn gezogen war und er noch die Freude gehabt hatte, den Verkauf des so in ihren Besitz geratenen Viergespanns für dreitausend Mark zu vermitteln, war er gestorben. Tante Amalia aber nahm von dem Geld so viel ab, wie sie zu seinem Begräbnis und zum Ankauf eines Viertel-Loses der sächsischen Staatslotterie brauchte, und legte das übrige auf Zinsen in die Bank der Firma Truggold & Co., eingetr. G.m.b.H.
Das sächsische Los kam wieder heraus, und Tante Amalia kaufte sich ein neues. Dieses Mal ein halbes Los in der thüringischen Lotterie. Auch das ward gezogen, und so ging es weiter. Sie spielte schließlich 26 ganze Staatslose der Lotterien deutscher Vaterländer, und ihr unerhörtes Glück setzte sie schon bald in den Stand, sich zur Ruhe zu setzen, von den Zinsen ihres gewonnen Vermögens, die ihr die Firma Truggold & Co., eingetr. G.m.b.H. monatlich auszahlte, zu leben und von der Eigenschaft einer gewöhnlichen Tante in die einer Erbtante ihrer drei Neffen und vier Nichten aufzurücken.
Diese sieben Erben hatten inzwischen eine Versicherung auf Gegenseitigkeit geschlossen, indem sie sich untereinander verlobten. Hans verlobte sich mit Paula, Ferdinand mit Anni, und Eberhard mit Else. Die älteste Nichte, Charlotte, aber blieb unverlobt. Sie sollte ihren Anteil an Tante Amalias Erbschaft für sich allein haben, um selbst eine glückliche Erbtante ihrer Neffen und Nichten zu werden.
Eines Abends saßen die sieben Erbschaftsaktionäre beisammen, und Charlotte las aus der Zeitung vor – unter »Lokales«. Plötzlich schrie sie auf. Da stand etwas Furchtbares: Der Inhaber des Bankhauses Truggold & Co., eingetr. G.m.b.H., Moses Truggold, war unter Hinterlassung eines Defizits von 6 Millionen Mark und unter Mitnahme einer jungen Zirkusdame ausgerückt. Die »Compagnie« hatte den Konkurs angemeldet.
Die sieben Erben stürzten entsetzt zu Tante Amalia, damit diese noch retten sollte, was zu retten war. Sie kamen zu spät.
Tante Amalia war keine Erbtante mehr. Sie saß auf einem Stuhle, den Oberkörper vorgeneigt, und auf ihrem Schoß lag das Zeitungsblatt mit der traurigen Botschaft vom Zusammenbruch der Firma Truggold & Co., eingetr. G.m.b.H.
Als aber die Neffen und Nichten sie mit Fragen bestürmten, erhielten sie keine Antwort. Tante Amalia war tot. Der Schlag hatte sie gerührt.
Die Versicherung der sieben auf Gegenseitigkeit löste sich auf. Charlotte aber gab die Hoffnung auf, durch Erbschaft selbst zur Erbtante zu werden. Sie verlegte sich daher, wie einstens die Verewigte, aufs Lotteriespielen.
Jeden Nachmittag um 3 Uhr nahm Tante Berthchen die grüne Gießkanne vom Nagel, hing sich ihren roten türkischen Schal über und ging auf den Kirchhof, dem sie seit nunmehr 23 Jahren der Bequemlichkeit halber gegenüber wohnte. Dort bog sie in die fünfte Gräberreihe ein und setzte sich auf die Bank, die beim sechzehnten Hügel stand, unter dem seit 24 Jahren ihr Gatte, der pensionierte Steuererheber Biefke, ruhte.
Nachdem Tante Berthchen sich ein Tränlein aus der gelben Runzel gewischt hatte, die ihr von der Grube, welche einst Augenbraue hieß, bis zum Mundwinkel führte, entnahm sie der rechten Tasche ihres grauschwarzen Kleiderrocks einen Strickstrumpf, der linken eine Tüte mit Schokoladenplätzchen, spannte bei Regenwetter den violettpunktierten Regenschirm auf, den sie hierzu täglich auf der Bank liegen ließ, und begann zu stricken, zu lutschen und zu denken.
Ja, Tante Berthchen dachte, dachte viel und tief und hörte nicht auf zu denken, bis ihr die Augen zufielen und bis dann um Punkt 6 Uhr der alte Kirchhofsaufseher kam und sie weckte.