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Die Putzstelle – Es geht nicht um den Dreck Die Kellnerin Josefine kehrt unter einem Tisch ein paar Scherben zusammen. Eine ganz gewöhnliche Tätigkeit für eine Kellnerin? Weit gefehlt. Schließlich starrt ihr dabei spontan ein mysteriöser Unbekannter auf den Hintern und bezahlt sie auch noch dafür. Schon am nächsten Tag flattert ein unerwartetes Jobangebot ins Haus.
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Seitenzahl: 270
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Personen und Handlung sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig oder nicht beabsichtigt. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.
„Ist Herbert brav?“, fragt mich Jörg, mein Chef.
„Ich komm schon mit ihm klar.“ Ich lächle und nehme das bestellte Dunkle, um es Herbert zu bringen.
Herbert ist Stammkunde und kommt mit Vorliebe ins Lokal, wenn ich im Dienst bin, was häufig der Fall ist. Als ich an seinen Tisch trete, empfängt er mich anzüglich lächelnd.
„So, bitte schön“, sage ich und stelle das Glas vor ihn hin.
„Danke dir!“, antwortet er mit einer Stimme, die wohl sexy klingen soll. Sein Blick bleibt in meinem Ausschnitt hängen und ich strecke mich schnell wieder.
Auf dem Weg zur Theke kommt mir meine Kollegin Saskia entgegen. Sie arbeitet nur in Teilzeit bei uns.
„Kann ich mal eine rauchen gehen?“, fragt sie.
Doch bevor ich antworten kann, klirrt es im Nebenraum, der für eine geschäftliche Besprechung reserviert wurde. Nur am Rande habe ich mitbekommen, dass ein ganzer Haufen Anzugträger in dem Raum verschwunden ist. Saskia ist für diese Herren zuständig, während ich den Rest des Lokals versorge.
Saskia verdreht die Augen und streicht sich seufzend eine verklebte blonde Strähne aus dem Gesicht. „Lauter erwachsene Männer und dann geht ein Glas zu Bruch!“
Achselzuckend nicke ich ihr zu. „Geh du nur mal rauchen. Ich mach das schon.“
Schnell hole ich Eimer, Lappen, Schaufel und Handbesen und mache mich mit energischen Schritten an die Arbeit. Als ich den Nebenraum betrete, blicken mir erstaunte Gesichter entgegen. Anscheinend hatten die Herren mit Saskia gerechnet.
„Guten Abend zusammen“, sage ich laut und suche nach dem kaputten Glas.
Ein älterer Herr mit Halbglatze winkt mich zu sich. „Entschuldigen Sie bitte, mir ist das Glas im Eifer des Gefechts runtergefallen“, sagt er.
Ich gehe um die lange Tafel herum. Der Herr will mir zur Hand gehen, doch ich rufe schnell: „Lassen Sie nur! Dafür bin ich ja da.“
Dennoch steht er auf und zieht seinen Stuhl zurück, damit ich besser an die Bescherung herankomme. Ich gehe in die Hocke, obwohl ich einen sehr kurzen Rock anhabe. Zum Glück scheint das Glas leer gewesen zu sein. Mit geübten Handgriffen kehre ich die Scherben zusammen.
„Vorsicht, Ihr Haar hängt auf den Boden!“, ruft der ältere Mann und tatsächlich berührt mein langer Pferdeschwanz den Boden.
Gerade als ich mich aufrichten will, spüre ich eine Hand, die mir die Haare auf die Schulter legt und dabei sanft meinen Hals berührt. Mir stockt der Atem und ich wage nicht, nachzusehen, wer das ist, sondern beschäftige mich mit den kleinen Splittern.
„Da hinten liegt noch eine große Scherbe“, ruft ein anderer Mann, schiebt seinen Stuhl etwas nach hinten und deutet unter den Tisch.
Ich gehe auf alle viere, um die Scherbe unter dem Tisch hervorzuholen. Auf dem Rückweg werfe ich einen kurzen Blick auf die Beine des Mannes, der mich berührt hat. Edle Hose, glänzende Schuhe, wie die meisten anderen hier auch. Ich krieche unter dem Tisch hervor und wende mich sofort zu dem älteren Mann hin, der sich bedankt.
„Ja, danke!“, höre ich dann eine tiefe Stimme hinter mir. „Ich hatte schon lange keine so verlockende Aussicht.“
Ich ignoriere den Mann, denn der gehört offensichtlich zur ganz schlimmen Sorte. Glücklicherweise sind die anderen Männer in ihre Gespräche vertieft und haben von dem unverschämten Spruch nichts mitbekommen.
Rasch verlasse ich den Raum und atme erlöst auf, während ich hinter die Theke husche. „Puh, Saskia, die überlasse ich dir gerne! Da ist ein Kerl dabei, der ist schlimmer als Herbert.“
Sie sieht mich irritiert an. „Welchen meinst du? Die sind doch alle ganz in Ordnung.“
Ich runzle die Stirn. „Naja.“
Saskia versorgt den restlichen Abend die Geschäftsleute, während ich mich auf die Gäste in meiner Stube konzentriere.
Als die Gruppe den kleinen Saal verlässt, bin ich gerade mit einem Bier in der Hand auf dem Weg zu Herbert. Da hält mich der ältere Herr von vorhin auf und sagt: „Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, weil Sie wegen mir unter dem Tisch herumkriechen mussten.“
Lachend erwidere ich: „Das macht doch nichts. Das bin ich schon gewöhnt.“
„Noch einmal vielen Dank. Ich habe Ihrer Kollegin etwas Trinkgeld für Sie mitgegeben.“ Er zwinkert mir zu.
In diesem Moment ruft Herbert: „Hey, Schätzchen, lass mein Bier nicht warm werden!“
„Entschuldigen Sie mich bitte“, sage ich und der Herr tritt beiseite, damit ich an ihm vorbeigehen kann.
Saskia ruft aus dem Saal: „Josi, wo hast du Schaufel und Besen hin? Ich glaube, da sind noch Scherben.“
Ich stelle Herbert das Bier hin. Er lehnt sich so nach hinten, dass ich ihn mit meiner Brust streifen muss. „Hey, Herbert, das geht zu weit!“, schimpfe ich.
„Schätzchen, war ein Versehen, ehrlich.“
Mit zusammengepressten Lippen gehe ich zu Saskia und knurre: „Komm, wir tauschen! Ich mach den Raum fertig, wenn du Herbert in der Zwischenzeit im Auge behältst.“
Saskia nickt.
Ich nehme also wieder die Schaufel und den Besen und gehe in den Raum zurück. Nachdem ich einige Stühle vom Tisch weggeschoben habe, krieche ich erneut unter den Tisch und kehre den Boden.
Auf einmal geht das Licht aus. „Halt, ich bin noch hier!“, rufe ich. Da höre ich, wie die Tür zu dem Nebenraum geschlossen wird. Es ist stockdunkel. „Na super!“
Gerade will ich mich rückwärts unter dem Tisch hinauswinden, als ich spüre: Ich bin nicht alleine. Da ist jemand, eindeutig!
Ich sehe mich um: „Herbert? Bist du das?“
Keine Antwort. Aber ich höre, wie jemand durch den Raum schleicht.
„Das ist nicht lustig.“ Suchend schaue ich mich um. Weil meine Augen sich langsam an die Dunkelheit gewöhnt haben, erkenne ich die Beine einer Person, die um den Tisch herumgeht. Das sind ja die glänzenden Schuhe, die ich heute schon einmal näher betrachtet habe!
„Belästigt Sie dieser Herbert?“
Das gibt es doch nicht! Ich rühre mich nicht und verhalte mich ganz still, bis die Schritte plötzlich innehalten.
„Ich schreie“, rufe ich und höre ein leises heiseres Lachen.
„Ich will Ihnen nichts tun. Belästigt dieser Herbert Sie?“
„Nicht mehr als Sie“, fauche ich unter dem Tisch hervor und will mich auf den Boden setzen, da ich mir auf allen vieren langsam dämlich vorkomme.
„Bleiben Sie so!“ Der scharfe Ton des Mannes lässt mich gehorchen. Er zieht sich einen Stuhl in eine Position, die mir gar nicht gefällt, und setzt sich.
„Was wollen Sie?“
„Ich will Sie beobachten, wie Sie unter dem Tisch saubermachen.“
Mir läuft ein Schauer über den Rücken. „Es ist dunkel. Ich sehe fast nichts.“
„Dann müssen Sie eben umso gründlicher arbeiten.“
„Sind Sie pervers?“ Als er nicht antwortet, schnaufe ich genervt: „Das ist doch verrückt!“
„Ich gebe Ihnen 50 Euro, wenn Sie jetzt einfach die Klappe halten und auf allen vieren unter dem Tisch kehren“, knurrt er und fügt hinzu: „Ich verspreche, ich werde Sie nicht berühren und Ihnen nichts tun.“
„Also, so etwas hatte ich auch noch nie“, murmle ich mehr zu mir selbst und fange tatsächlich an, unter dem Tisch zu kehren. Mit einem Mal finde ich die Situation weniger beängstigend als absurd. Also gönne ich ihm den Spaß.
Als ich fertig bin und unter dem Tisch hervorkrieche, höre ich, wie der Mann aufsteht, seine Geldbörse zückt und einen Schein auf einen leeren Stuhl legt.
„Es war mir ein Vergnügen“, sagt er mit belegter Stimme und räuspert sich. „Sie haben wirklich einen knackigen Hintern.“ Seine Schritte entfernen sich.
Ehe ich mich versehe, geht das Licht an und er verlässt den Raum. Es dauert einen Moment, bis sich meine Augen an das Licht gewöhnen, und noch länger, bis ich auf die Idee komme, ihm nachzugehen, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Ich kann nicht glauben, was ich gerade eben getan habe. Was mich aber am meisten beunruhigt, ist die Tatsache, dass es mir überhaupt nichts ausgemacht hat für diesen Typen unter dem Tisch zu kehren. Im Gegenteil. Eigentlich hat es mich sogar erregt.
„So leicht möchte ich mein Geld auch mal verdienen“, gesteht Anja, die tagtäglich in der örtlichen Bankfiliale schuftet.
Der merkwürdige Vorfall ist jetzt schon eine Woche her und ich habe bisher keinem ein Wort erzählt, sondern mir die Geschichte für den Mädelsabend in unserer Stammkneipe aufgehoben.
„Sah er wenigstens gut aus?“, fragt Carina.
„Keine Ahnung. Ich habe sein Gesicht nicht gesehen. Aber seine Beine sahen schon eher schlank aus und die Füße in den edlen Schuhen kamen mir zwar groß vor, aber nicht besonders breit.“
„Du würdest ihn also nicht erkennen, wenn er dich auf der Straße anspricht?“, ruft Jana aus.
„Vielleicht an der Stimme, aber wenn er jetzt hier irgendwo sitzen würde, dann wüsste ich nicht, dass er es war.“
Natürlich habe ich in den letzten Tagen alle Männer, die unser Lokal betraten, unter die Lupe genommen. Wir haben sogar einen neuen Stammgast, der ist aber groß und breit wie ein Schrank.
„Und wie hat sich seine Stimme angehört?“, fragt Anja.
„Er war definitiv ein Mann.“
Alle lachen und ich überlege genauer, während Carina fragt: „Alt oder jung?“
„Eher so mittel.“
Jana seufzt: „Also so wie wir?“
„Vielleicht etwas älter, so Mitte bis Ende dreißig würde ich sagen.“
„Hey, ich bin 36!“, protestiert Carina und ich stupse sie entschuldigend an. Sie grinst. „Klar, dass unser Küken das als ‚etwas älter‘ bezeichnet.“
Wir prosten uns zu. „Auf alle Ü-30-Frauen!“
Der Abend wird noch lustig, vor allem, als an einem Nachbartisch ein Glas zu Bruch geht und meine Freundinnen kreischen. „Josi, komm schon, zeig uns, wie das geht!“ Ich kichere mit.
Als ich am nächsten Tag von der Frühschicht nach Hause komme und den Briefkasten leere, fällt mein Blick auf ein wichtig aussehendes Schreiben. Der Absender: eine hiesige Anwaltskanzlei. Neugierig reiße ich den Brief auf.
Sehr geehrte Frau Wagner,
im Auftrag unseres Mandanten setze ich mich mit Ihnen in Verbindung. Unser Mandant hat Interesse an einer geschäftlichen Zusammenarbeit mit Ihnen.
Bitte rufen Sie mich in den nächsten Tagen an.
Mit freundlichen Grüßen Angelika Preu
Was soll das denn? Ich habe mich nirgendwo beworben, bin bei Jörg als Vollzeitkraft eingestellt und habe kein Interesse an einer weiteren Tätigkeit.
Dennoch bringt mich meine Neugier dazu, die angegebene Telefonnummer zu wählen.
„Preu“, meldet sich eine scharfe Frauenstimme und ich fühle mich sofort wie eine Angeklagte im Gerichtssaal.
„Guten Tag, ich bin Josefine Wagner. Ich hatte heute ein Schreiben von Ihnen in meiner Post. Da muss es sich um einen Irrtum handeln.“
„Frau Wagner, um was geht es denn genau? Helfen Sie mir auf die Sprünge!“ Frau Preu redet unangenehm schnell.
„Es geht um einen Mandanten von Ihnen, der nicht namentlich genannt ist, und Sie schreiben, er hätte Interesse an einer geschäftlichen Zusammenarbeit mit mir. Ich habe mich aber gar nicht beworben. Von daher …“
„Ah, ja, jetzt habe ich die Angelegenheit vor Augen. Könnten wir uns treffen? Ich möchte Ihnen ein Angebot unterbreiten.“
„Ich habe einen Job und ich habe nicht vor zu kündigen.“
„Das ist schon in Ordnung. Es ging hier um eine wirklich ganz einfache Tätigkeit, zweimal in der Woche immer am Abend von 19 bis 21 Uhr. Sie könnten sich die Tage selbst aussuchen.“
„Wie kommt denn Ihr Mandant auf mich und wie heißt er?“
„Er wird anonym bleiben, auch bei Vertragsabschluss. Wie er auf Sie kommt, weiß ich nicht, aber er hat mir Ihre Anschrift genannt.“ Ich muss wohl mal wieder mit Jörg darüber diskutieren, ob es wirklich notwendig ist, Namensschilder mit unserem vollen Namen zu tragen. Jeder Idiot kann meine Adresse im Telefonbuch nachschlagen.
Gegen eine zusätzliche Einnahmequelle hätte ich nichts einzuwenden. Seit ich vor fünf Jahren, als mein Vater starb, das Erbe nicht ausgeschlagen habe, sondern seine belastete Wohnung übernahm, verschlingt der Kreditvertag den Großteil meines Einkommens. Ständig muss ich mein Geld einteilen und knausern.
Frau Preu bemerkt mein Zögern. „Wie wäre es, wenn wir uns träfen? Ich erkläre Ihnen alles ganz unverbindlich und Sie denken dann in Ruhe darüber nach.“
„Was ist denn das für eine Tätigkeit?“
„Das erkläre ich Ihnen am besten, wenn wir uns persönlich sehen. Wäre es Ihnen morgen Vormittag recht?“
Am nächsten Vormittag stehe ich pünktlich an der angegebenen Adresse und warte vor der Tür eines Wohnhauses. Auf mein Klingeln hin hat niemand geöffnet. Aber als ich mich umdrehe, sehe ich eine groß gewachsene Frau auf mich zukommen: Hosenanzug, flache Schuhe, Mitte vierzig, lange, ganz glatte blonde Haare. Sie lächelt und fragt: „Frau Wagner?“
Ich lächle zurück. „Die bin ich.“
Wir geben uns kurz die Hand.
„Dann lassen Sie uns hinaufgehen und ich zeige Ihnen alles.“
Sie öffnet die Haustür und geht voran. Wir fahren mit dem Aufzug in den dritten Stock und Frau Preu sperrt eine Wohnung auf. Ich starre auf das merkwürdige Feld neben der Tür.
„Das ist ein Fingerabdruckscanner“, erklärt sie. „Wenn Sie hier arbeiten, dann kommen Sie mit Ihrem Abdruck herein.“ Ich verziehe den Mund, weil ich das aus der 24h-Videothek kenne und dort schon öfter das Problem hatte, dass mein Fingerabdruck erst nach vielen Versuchen akzeptiert wurde.
Frau Preu deutet meinen Gesichtsausdruck richtig und ergänzt: „Wenn Sie sich frisch geduscht haben, sollten Sie die Hände eincremen, dann funktioniert es problemlos.“
Wir betreten die Wohnung. Hinter der Tür empfängt uns ein großer Raum, von dem aus offenbar alle Zimmer zu erreichen sind.
„Hier finden Sie die Garderobe, wo Sie Ihre Jacke aufhängen können, und wie Sie sehen, ist da auch ein Schuhregal.“
Ich will mich schon meiner Schuhe entledigen, aber Frau Preu schüttelt den Kopf. „Nicht heute, nur für den Fall, dass Sie hier arbeiten. Ich soll Sie übrigens von meinem Mandaten herzlich grüßen. Er wünscht sich sehr, dass Sie den Vertrag unterzeichnen.“
„Vertrag?“
„Ich habe ihn dabei. Wir können ihn gemeinsam durchsehen, nachdem ich Ihnen die Wohnung gezeigt habe.“
Wir gehen in jeden Raum. Wohnzimmer, Schlafzimmer, Büro, Küche und Badezimmer. Im Bad zeigt Frau Preu auf einen Stuhl. „Wenn Sie die Wohnung pünktlich um 18.45 Uhr betreten, liegt hier Ihre Arbeitsuniform bereit. Sie ziehen alles an, was dort liegt, aber auch nicht mehr. Sollten Schuhe dabei stehen, ziehen Sie diese an, sollten keine da sein, bleiben Sie barfuß. Das gilt auch für Ihr Haar. Liegt ein Haarband oder eine Klammer bereit, dann machen Sie sich damit eine Frisur, wenn nicht, lassen Sie Ihr Haar offen.“
„Moment, ich komme nicht mehr ganz mit! Worum geht es hier eigentlich?“
„Sie sollen die Wohnung putzen“, antwortet Frau Preu locker, „und mein Mandant wird während dieser Zeit anwesend sein, um Sie dabei zu … überwachen.“
Ich lache auf. „Das soll wohl ein schlechter Scherz sein.“
Mittlerweile habe ich so eine Idee, wer der geheimnisvolle Mandant der Anwältin sein könnte.
Frau Preu bleibt ernst. „Ich denke nicht. Können Sie jetzt verstehen, warum mein Mandant anonym bleiben will? Er hat einige spezielle Vorlieben, die er zwar gerne auslebt, aber dennoch nicht jedermann mitteilen möchte.“
Ich pruste los und verschränke die Arme. „Ich bin keine Nutte! Soll er sich doch eine Professionelle engagieren, die schleckt den Boden wahrscheinlich nackt für ihn ab.“
„Ist das ein Nein?“
Ich zögere. Warum nur zögere ich?
Glücklicherweise klingelt in diesem Augenblick das Telefon der Anwältin. „Entschuldigen Sie, da muss ich rangehen.“ Sie verlässt das Badezimmer.
Ich bleibe zurück, immer noch kopfschüttelnd. Mein Blick fällt auf den Spiegel. Was findet der Typ nur an mir? Nicht, dass ich mich für hässlich halte. Aber anscheinend scheitert es nicht an seinen finanziellen Möglichkeiten, dass er sich gezwungen sieht, ausgerechnet mich zu fragen. Wenn er sogar eine Anwältin engagiert, die ihm seine Putzfrau einstellt, kann er nicht knapp bei Kasse sein. Die Zimmer wirken weniger bewohnt als ein Möbelhaus. Die Wohnung scheint einzig und allein seinen speziellen … Vorlieben zu dienen.
„… ich glaube nicht, dass sie sich darauf einlässt …“, höre ich Frau Preus Stimme im Gang.
Ich gehe an die Badezimmertür und lausche: „Nein, darüber habe ich sie noch nicht informiert.“
Nach einer Pause höre ich die Anwältin sagen: „Sie fragt sich, warum Sie keine Professionelle engagieren.“ Es bleibt lange still. Bestimmt muss sich die Anwältin so einiges anhören.
Plötzlich nähern sich ihre Schritte und sie drückt die Badezimmertür auf. „Er will Sie sprechen.“
Nach kurzem Zögern nehme ich ihr Telefon und wispere eingeschüchtert in den Apparat: „Hallo?“
„Sie meinen also, ich soll Sie in Ruhe lassen und stattdessen eine Nutte anstellen?“
Er ist es, ich erkenne die Stimme sofort. Und sie klingt empört. Weil es mir nun doch peinlich ist, was ich vorgeschlagen habe, verschlägt es mir die Sprache.
„Ich will Sie!“, erklärt er laut.
Jetzt wird es mir doch etwas zu viel: „Wie schön für Sie! Ich will aber nicht. Außerdem …“
Er fällt mir sofort ins Wort: „Die 50 Euro waren doch leicht verdientes Geld. Sie sollten wissen, es geht mir nicht darum, dass Sie wirklich etwas putzen. Der Putzdienst kommt einmal die Woche, um die ganze Wohnung auf Hochglanz zu bringen. Ich will Ihnen lediglich dabei zusehen, wie Sie auf dem Boden herumkriechen.“
Ich lache und merke, dass ihn das ärgert.
„Wenn Sie das so lustig finden, warum tun Sie es dann nicht einfach? Sie erhalten 450 Euro im Monat und für jede Woche, die Sie durchhalten das Vierfache meines letzten Trinkgelds.“
Er ist still und ich bin es auch, weil ich verwirrt versuche, zu errechnen, wie viel Zusatzverdienst ich dadurch jeden Monat hätte.
„Das sind 1.250 Euro jeden Monat“, klärt er mich auf und ich merke, wie ich ernsthaft über sein Angebot nachdenke. Muss ich mich dafür schämen?
Was ist das für ein Stundenlohn? Das ist der Wahnsinn!
Als habe er meine Gedanken gelesen, sagt er: „Das sind im Schnitt ungefähr 80 Euro pro Stunde, dafür, dass ich Ihnen nur zusehe.“
Tu das nicht, warnt mich mein Gewissen. Aber ich fühle, wie ich mehr und mehr in Versuchung gerate.
„Warum ich?“
„Weil Sie eine Anfängerin sind und mein Interesse geweckt haben. Außerdem hat mich meine letzte Putzfrau gelangweilt“, informiert er mich sachlich. An seinem Tonfall merke ich, dass er genau spürt, wie er mich an der Angel hat.
Plötzlich sagt er kurz angebunden: „Geben Sie Frau Preu Ihre Handynummer, lesen Sie sich den Vertrag durch und schlafen Sie eine Nacht darüber! Ich rufe Sie morgen an.“ Dann legt er auf, bevor ich noch etwas sagen kann.
Frau Preu lächelt mich schief an, als ich ihr das Telefon zurückgebe. „Haben Sie noch Fragen?“
„Erklären Sie mir alles!“
Sie zeigt keinerlei Regung über mein Einknicken, sondern führt mich in die Küche. „Wenn Sie sich im Badezimmer umgezogen haben, dann sollten sie pünktlich um 19 Uhr hier in der Küche sein und auf ihn warten. Er ist immer sehr pünktlich, deshalb sollten Sie sich nie verspäten. Wenn Sie Termine ausfallen lassen, aus welchen Gründen auch immer, kann das zur sofortigen Sperrung Ihres kompletten Monatsgehaltes führen. Leisten Sie den Aufforderungen meines Mandanten Folge! Er wird Sie während der zwei Stunden duzen, Sie sollen ihn siezen und mit Siransprechen. Wenn er Sie ins Bad zurückgeschickt hat, ziehen Sie sich wieder um. Dann gehen Sie ins Wohnzimmer und verabschieden sich von ihm. Wenn er Fragen hat, beantworten Sie diese.“
„So viele Regeln!“, ächze ich. Mir wird immer unwohler. Aber ich habe ja noch nicht zugesagt.
„Er wird Sie nicht berühren, aber es bleibt ihm überlassen, wie nah er Ihnen kommt, wenn er Sie beobachtet. Er hat einen Stab, mit dem er Sie im Bedarfsfalle berühren kann. Aber keine Angst, er wird Sie nicht schlagen“, erklärt die Anwältin sachlich.
„Im Bedarfsfall?“ Mir ist schlecht. Allerdings schleicht sich auch eine merkwürdige Erregung in meinen Unterleib.
„Der Vertrag gilt immer nur einen Monat, wird dann neu verhandelt und neu unterzeichnet.“
„Ah, das ist gut.“
„Die meisten kommen über den ersten Monat nicht hinaus, allerdings nicht, weil sie nicht mehr wollen, sondern weil mein Mandant nicht verlängert. Er scheint sich schnell zu langweilen.“ Die Anwältin kann ein Grinsen nicht unterdrücken.
„Kann ich mir gut vorstellen. Ich fände es auch langweilig, wenn ich zweimal in der Woche zwei Stunden jemandem beim Putzen zusehen müsste.“
Frau Preu lacht kurz, doch sie fängt sich sofort wieder. „Natürlich beinhaltet der Vertrag auch eine Verschwiegenheitsklausel. Sollte Ihnen zufällig die Identität meines Mandanten bekannt werden und sollten Sie diese preisgeben oder anderweitig über Ihre Arbeitsstelle sprechen, machen meine Kollegen und ich Ihnen die Hölle heiß. Darauf können Sie Gift nehmen.“ Dabei lächelt Frau Preu, als wolle sie mir die Zähne zeigen.
„Was soll ich denn sagen, wenn meine Freunde mich fragen sollten? Vorausgesetzt ich unterschreibe überhaupt.“ Ich versuche meine Stimme locker klingen zu lassen, bin aber schrecklich angespannt.
„Sie haben eine Putzstelle bei einem älteren Herrn, der alleine nicht mehr zurechtkommt. Auf dem Klingelschild steht Alfons Mader, ein Deckname, den Sie erwähnen dürfen.“
„Ist er ein älterer Herr?“
Frau Preu zuckt mit den Schultern. „Tut mir leid, aber ich darf Ihnen darüber nichts sagen, sonst machen meine Kollegen mir die Hölle heiß.“ Sie grinst.
Wieder nicke ich, allerdings eher widerwillig. „Okay, dann gehe ich mal.“
Frau Preu reicht mir einen großen Umschlag. „Hier ist alles drin. Der Vertrag enthält keine neuen Informationen mehr. Ich habe Ihnen alles gesagt. Lesen Sie ihn trotzdem aufmerksam, und wenn Sie etwas nicht verstehen, rufen Sie mich an!“
Mir fällt noch etwas ein. „Er meinte, ich solle Ihnen meine Handynummer geben. Er wollte mich morgen anrufen.“
„Wirklich?“ Frau Preu zieht überrascht die Augenbrauen hoch.
„Das sagte er.“
„Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals die Privatnummer einer Klientin haben wollte.“ Sie zückt ihr Smartphone, ich nenne ihr meine Nummer und sie tippt rasend schnell die Ziffern ein.
Später, während der Arbeit, komme ich mit Jörg ins Gespräch.
„Sag mal, Jörg, würde es dir eigentlich etwas ausmachen, wenn ich einen Job auf 450-Euro-Basis annehme?“
„Willst du eine Gehaltserhöhung?“, fragt er scherzhaft und ich boxe ihm freundschaftlich in die Seite.
„Ich habe ein Angebot bekommen, über das ich nachdenke.“ Während ich das so sage, wird mir klar, dass ich es wirklich ernsthaft in Betracht ziehe.
„Du hast doch nicht vor, bei mir aufzuhören?“ Während Jörg das sagt, verschwindet der Schalk aus seinem Gesicht.
„Natürlich nicht!“
Er atmet hörbar aus. „Gott sei Dank! Ich dachte schon, du willst mich verlassen.“
„Jörg, es geht um zwei Abende in der Woche. Ich dachte, Dienstag und Donnerstag. Da habe ich ja meist Frühschicht.“
Jörg nickt, während er ein Bierglas unter den Zapfhahn hält. „Du weißt doch, dass du mich nicht fragen musst, wenn du einen 450-Euro-Job annimmst.“
Da gehe ich zu ihm und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. Mir ist durchaus bewusst, dass ich mich damit sehr weit aus dem Fenster lehne, aber wir sind gute Freunde, zumindest inzwischen. „Ich weiß, dass ich dich nicht fragen muss. Ich würde jedoch nie ohne deine Zustimmung … fremdgehen.“ Damit entlocke ich ihm ein Grinsen.
„Hier, bring deinem Herbert mal sein Bier!“
Er drückt mir das Bierglas in die Hand und ich gehe zu Herbert, der wie immer bereits am frühen Nachmittag mehr getrunken hat, als ihm guttut.
„Krieg ich auch ein Küsschen, mein Schätzchen?“, fragt er und ich sehe mich beunruhigt nach Jörg um, der ist aber bereits in der Küche verschwunden.
Lediglich der neue Gast, der Schrank, wie ich ihn heimlich nenne, sitzt an seinem Stammplatz. Doch auch er beachtet uns nicht.
„Herbert, hier dein Bier. Lass es dir schmecken!“ Ich bemühe mich, meine Stimme freundlich klingen zu lassen.
„Mir würde etwas ganz anderes schmecken, weißt du, Schätzchen.“ Er grinst mich frech an, sodass ich seine schlechten Zähne sehen kann.
Ich versuche, ihm das Bier mit größtmöglichem Abstand zu servieren. Aber er besitzt tatsächlich die Frechheit, mir in die Pobacke zu kneifen.
„Nimm deine Hand da weg! Sofort!“, rufe ich laut und hoffe, dass Jörg in der Küche mich hört.
„Sie haben doch gehört, was die Dame gesagt hat!“ Unser neuer Stammgast steht so plötzlich neben mir, dass ich zusammenfahre.
Doch nicht nur ich bin erschrocken. Auch Herbert scheint Respekt vor dem großen Mann zu haben und erklärt sofort kleinlaut: „War doch nur Spaß.“
Der Schrank wendet sich an mich. „Sie sollten mit Ihrem Chef reden, damit der Kerl endlich Hausverbot bekommt!“
Ich nicke und als ich an dem Riesen vorbeigehe, hauche ich: „Danke! Dafür gebe ich Ihnen einen aus.“
Während ich schnell hinter die Theke gehe, sehe ich, wie der Schrank Herbert etwas ins Ohr flüstert. Leider kann ich es nicht verstehen, aber Herbert fällt die Kinnlade runter. Der Schrank kehrt wieder zu seinem Tisch zurück, an dem ich ihn ebenso gut sehen kann wie Herbert, und ich frage ihn laut: „Was darf ich Ihnen spendieren?“
„Eine Tasse Kaffee wäre nett.“
Ich lasse zwei Tassen Kaffee aus der Maschine. Es ist momentan noch nicht viel los und ich beschließe, mich zu unserem neuen Stammkunden zu setzen. Als ich mit den zwei Tassen auf ihn zugehe, schaut er mich überrascht an. Aber da er ein wenig lächelt, setze ich mich an seinen Tisch und frage: „Sie haben doch nichts dagegen?“
„Natürlich nicht“, erwidert er, klingt aber nicht ganz ehrlich.
„Verstehe. Ich kann meinen Kaffee hinter der Theke trinken.“ Dabei versuche ich, nicht so enttäuscht zu klingen, wie ich mich fühle.
„Bleiben Sie! Es war nicht so gemeint“, brummt er und ich grinse so lange, bis er ebenfalls ein Lächeln zulässt.
Ich kann Herberts Blick in meinem Rücken spüren. Es muss ihn sehr wurmen, mich hier mit dem Schrank am Tisch zu sehen, weil ich mich noch nie zu ihm gesetzt habe. Jörg hat das ein paar Mal gemacht, aber immer nur, wenn Herbert noch nicht zu viel Alkohol intus hatte.
Jörg streckt seinen Kopf aus der Küche und fragt, als er mich beim Schrank sitzen sieht: „Josi? Alles klar?“
„Alles in Ordnung!“, antworte ich.
Als ich mich dem Schrank wieder zuwende, sieht er mich mit gerunzelter Stirn an. „Sie werden es ihm nicht sagen, oder?“
Ich weiß sofort, was er meint. „Nein, Herbert ist unser Stammkunde. Wenn der nicht mehr herkommen darf, bricht eine Welt für ihn zusammen. Wir sind für ihn ja fast schon sein zweites Zuhause.“
„Deswegen darf er sich hier noch lange nicht so benehmen, als ob er zu Hause wäre.“
Ich nicke. „Schon klar, aber es wäre mir trotzdem lieber, wenn der Vorfall unter uns bliebe. Ich werde schon mit Herbert fertig.“
„Sie tun ja gerade so, als ob das die normalste Sache der Welt wäre“, wendet der Schrank ein.
„Wenn Sie wüssten, was ich hier schon alles erlebt habe! Ich glaube, die Bedienung rangiert bei manchen Leuten, was die erotischen Phantasien angeht, gleich hinter den armen Zimmermädchen.“
Der Schrank lacht auf. „Damit könnten Sie recht haben.“
„Das bringt mich zu der Frage: Was verschlägt Sie denn seit Neuestem jeden Tag in unser Lokal?“
Er antwortet ernst: „Ich bin beruflich in der Gegend und sozusagen auf Abruf.“
„Aha, was machen Sie denn beruflich, wenn ich fragen darf?“, hake ich nach.
„Streng geheim“, brummt er nur, schwächt die Aussage aber mit einem Lächeln ab.
„Darf ich dann wenigstens wissen, wie Sie heißen? Ich nenne Sie hinter Ihrem Rücken nämlich immer …“
„… den Schrank. Das habe ich schon mitbekommen.“ Er lacht.
„Was?“, hauche ich entsetzt. Doch weil sein ganzer Körper unter dem Lachen bebt, stimme ich mit ein.
„Ich heiße Hendrik, aber Sie können mich auch Henry nennen.“
„Sie sehen ja ein bisschen aus wie der Ex-Mann von dieser amerikanischen Schauspielerin, von …“ Wie peinlich, dass mir der Name nicht einfällt! Während er mich überrascht ansieht, hasple ich weiter: „Sie wissen schon, diese Brünette, die so gut deutsch spricht, weil sie in Nürnberg aufgewachsen ist.“
„Sie meinen Sandra Bullock?“
„Ja!“
„Glauben Sie mir. Wenn meine Frau Sandra Bullock und ich Jesse James heißen würde, dann wäre Sandra jetzt mit Sicherheit nicht meine Ex.“
Weil ich wegen dem Arbeitsvertrag und Herberts Unverschämtheit noch ganz durcheinander bin, rede ich einfach weiter. „Sie sehen wirklich aus wie dieser Jesse James. Da haben Sie bestimmt auch ein paar Tattoos.“
Er zögert kurz, dann schiebt er seine Ärmel eine Handbreit hoch. In diesem Moment klingelt sein Telefon.
Sofort steht er auf und verlässt das Lokal. Der Schrank telefoniert viel, wobei er meist angerufen wird. Ich räume die leeren Kaffeetassen zurück zur Theke.
Durch das Fenster sehe ich ihn vor dem Lokal auf und ab gehen. Als sich unsere Blicke treffen, wendet er sich ab. So wie er sich über die Stirn fährt, scheint es ein sehr ernstes Gespräch zu sein. Während ich die Gläser spüle, beobachte ich ihn weiter. Plötzlich wirft er mir erneut einen Blick zu, als würde er über mich sprechen. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich, doch ich schüttle den Gedanken ab.
Herbert motzt leise vor sich hin: „Ist dir schon aufgefallen? Der verschwindet immer erst, kurz nachdem du gegangen bist. Will der was von dir?“
Als er meinen erstaunten Blick sieht, fügt er beleidigt hinzu: „Oder warum droht er mir, dass er mir die Nase bricht, wenn ich dich nicht in Ruhe lasse?“
Ich höre nicht auf Herbert, weil der eine blühende Phantasie hat, wenn er betrunken ist. Einmal hat er behauptet, er bekäme das Bundesverdienstkreuz, weil er sich schon seit über 20 Jahren aktiv gegen das Kneipensterben engagiert.
Die ersten Mittagsgäste kommen herein und ich bin viel zu beschäftigt, um mir weiter Gedanken zu machen. Irgendwann höre ich, wie das Telefon im Lokal klingelt und Jörg eine Weile telefoniert. Er kommt dabei nicht viel zu Wort, ist aber ganz Ohr.
Als der Mittagstrubel vorbei ist, nimmt Jörg mich zur Seite: „Sag mal, hat der Herbert dir tatsächlich an den Arsch gefasst?“
„Hast du das von unserem Schrank?“, platzt es aus mir heraus und ich schaue zu Henry hinüber. Der aber sitzt, wie immer, ruhig an seinem Platz und schaut auf sein Handy.
„Nein, ich habe einen Anruf bekommen. Da war ein Mann dran und hat behauptet, ich würde nicht gut auf dich aufpassen, weil ich zulasse, dass sich dieser, ich zitiere, ‚alte Sack‘ an dir aufgeilt.“
Ich bin sprachlos: „Das war aber sicher nicht Henry am Telefon, oder?“
„Henry?“
„Der Schrank“, bemerke ich und deute mit dem Kinn in dessen Richtung.
„Nein, ganz sicher nicht“, erwidert Jörg und fragt: „Also, hat dich Herbert nun angetatscht oder nicht?“
„Ja, hat er.“
Jörg ist kurz vor dem Ausflippen und hält nur mit Mühe seine Stimme im Zaum. „Und warum in aller Welt erfahre ich das von einem anonymen Anrufer, der mich beschimpft und mir droht, er würde mich fertigmachen, wenn dir hier etwas passiert?“ Jörg schnappt nach Luft.
Jetzt bin ich genauso aufgebracht wie er. „Es tut mir leid, Jörg!“, seufze ich. „Henry hat mir geholfen und Herbert hat sich mehr oder weniger entschuldigt. Damit war die Sache für mich erledigt.“
Jörg wendet sich ab und geht wütend in die Küche. Ich weiß, dass er nicht lange böse mit mir sein wird, weil er nie jemandem lange böse sein kann. Trotzdem nehme ich mir vor, den guten Henry in nächster Zeit etwas im Blick zu behalten. Von wem, wenn nicht von ihm, kann dieser anonyme Anrufer erfahren haben, was geschehen ist?
Abends zahlt Henry, als abzusehen ist, dass ich bald Feierabend mache. Er verlässt das Lokal, ohne sich noch einmal umzusehen, und fährt mit seinem Wagen, einem alten Transporter, davon. Bevor ich mich auf den Heimweg mache, verabschiede ich mich von Jörg, der mir noch immer nur mit einem Brummen antwortet.
Den ganzen Abend über beschäftige ich mich mit dem Vertrag, den mir die Anwältin gegeben hat. Es handelt sich um ein mehrseitiges Exemplar in der üblichen Juristensprache.
Letztendlich hat Frau Preu nicht gelogen, als sie sagte, sie hätte mir alle Details genannt. Mir fällt noch auf, dass ich die Kleidung nach dem Gebrauch wieder im Badezimmer zu lassen habe und nicht behalten darf. Ich darf den Sir nur ansehen, wenn er mich dazu auffordert, und er wird sein Gesicht immer unter einer Maske verbergen, wenn er die Wohnung betritt. Das ist auch der Grund, warum ich auf keinen Fall im Flur sein darf, wenn er ankommt. Die 450 Euro werden mir jeden Monat überwiesen, ein Trinkgeld ist Verhandlungssache und wird direkt nach erledigter Arbeit in bar ausbezahlt.
Ich lege den Vertrag auf den Küchentisch. Der kann mir ja viel erzählen! Hinterher verarscht er mich nur und ich mache die ganze Sache doch nur für 450 Euro, auch wenn das für vier Stunden Pseudoputzen immer noch gut bezahlt ist. Habe ich etwas zu verlieren? Es geht nur um einen Monat, dann kann ich wieder aufhören. Ich könnte sogar jederzeit aufhören und verzichte dann eben auf die Bezahlung für diesen einen Monat.
Spät am Abend gehe ich ins Bett und versuche, alle Gedanken an diesen Job zu verdrängen.