Die Rache der Schmetterlinge - Simone Dark - E-Book

Die Rache der Schmetterlinge E-Book

Simone Dark

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Beschreibung

Ich beuge mich noch einmal zu Sandra herunter. Sie umarmt mich wieder und wispert mir einen Satz ins Ohr, den ich zunächst nicht verstehe. „Der Fleck muss weg.“ Ich sehe ihr hinterher, als sie langsam über den Krankenhausflur gefahren wird. Was meinte sie damit?

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Simone Dark, Jahrgang 1982, ist in der Nähe von Freiburg aufgewachsen, studierte Italienisch und Französisch im Raum Mainz. Seit 2008 lebt sie in Südtirol. „Die Rache der Schmetterlinge“ ist die Fortsetzung von „Offene Rechnungen“ und „Das zweite Leben“.

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen ist rein zufällig.

Die Rache der Schmetterlinge

Prolog

I Schneesturm

II Nummer Drei

III Der Fleck muss weg

IV Wahnsinn

V Trauer

VI Tatort Abendessen

VII Das Tatoo

VIII Der Fleck ist weg

IX Die Briefe

X Ohne dich

XI Kronzeugin

XII Vanessa

XIII Schlohweiße Weihnachten

XIV Sandra

Epilog

Prolog

Marco

Ich habe sie so sehr geliebt. Meine kleine, süße Eugenia. Sie war ein gefallener Engel. Ich wollte sie retten, aus den Klauen dieses Tieres befreien, doch ich war nicht dazu fähig. Ich hatte nicht genug Geld, um ihr ein würdiges Leben schenken zu können. Ich hatte nicht die Macht, nicht die Kraft, um mich gegen diese Verbrecher zu wehren, die tagtäglich die ärmsten Menschen ausnutzen, indem sie ihnen Hoffnungen machen, um sie anschließend zu verkaufen.

Eugenia war erst achtundzwanzig. Sie hatte das ganze Leben noch vor sich. Aufgewachsen in einem winzigen Ort im bulgarischen Pleven, hatte eine mittelmäßige Schulausbildung genossen und immer vom Westen geträumt. Sie war die Hoffnungsträgerin ihrer Eltern. Jeden Lev haben sie gespart, um ihr die Reise in den vielversprechenden Westen finanzieren zu können. Lange wartete sie auf ihre Chance, dann sah sie eines Tages die Annonce als Altenpflegerin in der Nähe von Innsbruck. Sie antwortete darauf, bewarb sich, wurde angenommen. Mit schweren Koffern und klopfendem Herzen nahm sie den Zug und machte sich auf den Weg ins vermeintliche Glück. Am Bahnhof weinte sie vor Glück, ohne größere Schwierigkeiten im gelobten Land angekommen zu sein. Ein Mann wartete bereits auf sie, ließ sie in sein Auto einsteigen und bat sie zunächst um ihre Papiere. Gutgläubig und naiv wie sie war, überließ sie ihm ihren Ausweis. Er brachte sie in seine Wohnung, gab ihr zu essen und ein Bett. Er erzählte ihr, er müsse noch einige bürokratische Dinge erledigen, bevor sie zu arbeiten beginnen könne, doch so lange sei sie sein Gast. Er kaufte ihr neue Kleider, hochhackige Stiefel, kurze Röcke, sie ließ es sich gefallen. Sie fragte nach, wann sie denn ihre neue Arbeit beginnen könne, doch er vertröstete sie Tag um Tag, Woche um Woche. Eines Abends bekam der Mann Besuch von zwei weiteren Herren, sie feierten und tranken und überredeten Eugenia, mit beiden zu schlafen. Sie bezahlten, lobten ihre Künste, und kamen am nächsten Abend wieder. Eugenia war zur Hure geworden, ohne dass sie es mitbekommen hatte. Nach einigen Monaten schickte der Mann sie auf die Straße. Jeden Abend fuhr er sie zum Stadtrand, sie ging anschaffen, er holte sie nach vielen Stunden wieder ab und steckte das Geld ein, das sie mit ihrem Körper verdient hatte. Eines Abends versuchte sie es bei mir, als ich gerade dabei war, zu tanken. Es ekelte mich, von einer Nutte angesprochen zu werden, doch dann sah ich in ihre traurigen, blauen Engelsaugen und es war um mich geschehen. Ich lud sie ein, etwas zu trinken. Sie fragte mich, ob ich keinen Sex wolle. Ich sah sie an und verneinte. Wir aßen gemeinsam in einer finsteren Spelunke, die ihrer völlig unwürdig war. Nie zuvor hatte ich eine so liebenswürdige Person getroffen, so eine feine, weiche Stimme gehört, solche Lust verspürt, sie in den Arm zu nehmen und ihre Wärme zu spüren. Ich hatte mich verliebt, schon am ersten Abend. Ich suchte sie immer wieder, Nacht für Nacht, ich gab ihr das Geld, dass sie anschließend ihrem Zuhälter geben musste, um nicht von ihm grün und blau geschlagen zu werden. Eines Tages hat er Lunte gerochen und uns aufgelauert, als wir aus dem Restaurant kamen. Er bedrohte uns mit einer Waffe, beinahe hätte er mich erwischt, doch dann haben wir es geschafft, abzuhauen. Eugenia hatte nur das, was sie am Leib trug, keine Papiere, kein Geld, keine Kleidung, nichts. Ich habe sie in dieser Nacht bei mir aufgenommen und wir liebten uns zum ersten Mal. Sie war so warm, so weich, so süß, ich konnte nicht mehr ohne sie sein. Wir liebten uns zärtlich und langsam. Nie hat mich eine Frau so innig geküsst, so liebkost, sich mir so hingegeben. Ich kann mich noch an ihr Gesicht erinnern, als sie mir flüsternd ihre Liebe gestand. Ich hätte sie noch am selben Abend geheiratet. Wir waren füreinander geschaffen. Der Schauspieler und die Hure. Was für eine Lovestory in diesem gesellschaftlichen Sumpf. Eine Weile lang ging es gut, sie hielt sich bei mir versteckt, wir veränderten ihr Aussehen und irgendwann konnte sie sich auch wieder vor die Tür wagen. Unsere Liebe war verzehrend, wir konnten nicht genug voneinander bekommen. Doch dann starb ihr Vater, und sie wollte nach Hause zu ihrer Familie. Für die Reise brauchte sie ihre Papiere, die noch immer bei dem Zuhälter lagen.

I Schneesturm

„Ich weiß es nicht. Ich…“ Er hebt die Arme, ich bin versucht, seine Hände zu berühren, doch er macht einen Schritt zurück. Ich trete ins Zimmer, setze mich auf das Bett. „Du hast gesagt, es würde sich nichts ändern. Du hast versprochen, mich nicht zu verlassen. Und trotzdem bist du gestern Abend nicht zurückgekommen.“ „Jetzt bin ich ja hier.“ „Ja, aber das bist nicht du.“ Ich schlucke die aufsteigenden Tränen herunter. „Was meinst du damit, dass ich das nicht bin? Ich stehe hier vor dir, ich bin da. Was willst du mehr, dass ich dir um den Hals falle, nach all dem was du mir gestern Abend gesagt hast? Findest du nicht, dass das ein bisschen viel verlangt ist?“ „Es ist Vergangenheit. Es hat nichts mit uns zu tun. Das war vor fast zwanzig Jahren!“ Ich werde laut. „Ja, eine zwanzig Jahre alte Geschichte, die uns gerade eben wieder eingeholt hat und drei Monate, in denen du mich nach Strich und Faden belogen hast. Ich fühle mich verarscht, Simone, richtig verarscht! Kannst du dich daran erinnern, was wir uns von Anfang an versprochen hatten? Patti chiari, amicizia lunga!“ Er setzt sich neben mich, ich ziehe die Beine an. Die Tränen brennen in meinen Augen, doch ich werde mir jetzt nicht die Blöße geben, zu weinen. „Ich konnte es nicht sagen, ich habe es einfach nicht hinbekommen. Ich war so oft kurz davor, dann war ich doch nicht in der Lage dazu. Ich bin feige. Das weißt du.“ „Du bist nicht feige, aber wenn es unbequem wird, beginnst du zu lügen. Hast du mir vielleicht sonst noch etwas zu sagen?“ Ich sehe ihm in die Augen und nicke. Er atmet durch. „Was?“ „Ich liebe dich. Bitte geh nicht. Das heißt, ich könnte verstehen, wenn du es tust, aber ich bitte dich, tu es nicht.“ Seine Hand nähert sich in unerträglicher Langsamkeit meiner Wange, streichelt mich kurz, sie ist angenehm kühl auf meiner vom vielen Heulen erhitzten Haut. Ich greife nach ihr, halte mich an ihr fest, wie an einem Grashalm. „Wieviel hat er bekommen?“ „Sieben Jahre, zwei auf Bewährung. Wir sind jetzt frei. Wir brauchen keinen Polizeischutz. Er hat sich bei mir entschuldigt. Uns wird nichts passieren, das kann ich dir garantieren.“ „Wie kannst du das wissen?“ Er sieht mich skeptisch an. „Wir haben Frieden geschlossen. Ich bin nach dem Richterspruch aufgestanden und habe ihn umarmt. Ich musste es tun, um meiner eigenen Frieden Willen. Ich weiß, das ist schwer zu verstehen. Er hat mich an sich gedrückt und mich um Verzeihung gebeten. Dann haben sie ihn abgeführt. Ich bin auf die Toilette gegangen um mich zu beruhigen. Dann kam Samantha und hat mich ins nächste Kaffee geschleppt. Und dann sind wir hierhergekommen.“ Sein Blick flackert. Ich weiß nicht, ob er wütend ist oder kurz davor, in Lachen auszubrechen. „Moment mal… Entschuldige… Du hast mit ihm vor Gericht gekuschelt? Mein Gott, soviel Romantik und Drama hatte die Richterin sicher auch nicht erwartet. Ich kann das alles nicht glauben, ich bin hier vermutlich im falschen Film gelandet…“ „Ich habe nicht mit ihm ‚gekuschelt‘! Ich kann es nicht erklären, ich bin aus einem Impuls heraus zu ihm gegangen und habe ihn umarmt, sonst nichts.“ „Der Mann wollte dich zweimal vergewaltigen, hat dich bedroht und unsere Tochter vergiftet! Und du gehst zu ihm und umarmst ihn! Echt, sorry, ich versteh dich nicht.“ Ich stehe auf, ich verstehe mich ja selbst nicht mehr. „Können wir es nicht einfach dabei belassen?“ rufe ich. „Ich habe so dermaßen die Schnauze voll, ich will einfach nur nach Hause und diese ganze Scheiße hier vergessen!“ Ich stehe vor dem Schrank, und habe schon wieder diese verdammte Lust, meine Faust in die Tür zu donnern. „Tu das nicht!“ Er springt vom Bett auf und steht in einem Satz neben mir. Ich sehe ihn erschrocken an. „Was soll ich nicht tun?“ „Der Schrank ist unschuldig. Nicht reinschlagen. Ich will nicht deine kaputten Fingerknochen erklären müssen.“ Er nimmt meine bereits geballte Faust in seine Hände, streichelt sie sanft, öffnet sie. Mein Herz schlägt zum Zerbersten. Mit dieser Geste hatte ich nicht gerechnet. „Du verlässt mich, stimmt’s?“ Ich bin verzweifelt. Ich flehe innerlich um ein Nein aus seinem Mund. Er senkt den Blick, hält meine Hand. „Ich... Herrgott, ich weiß es nicht... Ich liebe dich. Ich kann dich nicht verlassen. Aber ich kann auch nicht mit einer Frau leben, die mich belügt, wenn es ihr gerade in den Kram passt. Weißt du was, gib mir einfach ein bisschen Zeit um das Ganze zu verdauen. Wir werden sehen, was passiert. Ich kann es im Moment nicht abschätzen. Jetzt lass uns nur bitte nach Hause fahren. Ich will zu den Kindern.“

Die Stille zwischen uns ist beinahe unerträglich. Wir sitzen im Auto Richtung Süden, je mehr wir uns den Bergen nähern, desto dichter werden die Wolken. Ich starre Löcher in die Gegend, die an uns vorbeifetzt. Ich fühle mich leer. Ab und zu blicke ich ihn von der Seite an, er schenkt mir ein angedeutetes Lächeln, dann noch eines. Er schenkt mir Hoffnung, wenn auch nicht zuviel davon. Ich werde um sein Vertrauen kämpfen müssen, das wird keine einfache Aufgabe. Gäbe es doch nur einen Reset-Knopf. „Woran denkst du?“, fragt er sanft. „An alles und nichts. Dass das Leben manchmal ganz schön scheiße sein kann.“ „Denk nicht an die Vergangenheit. Dafür ist es eh zu spät. Und hör auf, dir Sorgen wegen uns zu machen. Noch bin ich da. Ich will nur, dass du verstehst, dass ich Zeit brauche.“ Ich nicke. Der Himmel ist so grau wie meine Laune. Die ersten Schneeflocken fallen. „Wünsch dir was...“, murmele ich. „Was?“ „Du sollst dir was wünschen. Der erste Schnee erfüllt angeblich Wünsche...“ Endlich, sein Bart verzieht sich zu einem Schmunzeln. „Was hast du dir gewünscht?“, frage ich. „Verrat ich dir nicht.“ „Ich habe mir einfach nur noch mehr Schnee gewünscht.“ „Ja super, damit wir hier stecken bleiben oder was? Und ich auch noch Schneeketten anlegen darf?!“ „Ja, denn ich brauche Zeit mit dir alleine, ich habe etwas gut zu machen!“

Mein Wunsch wurde erhört. Das Schneechaos in Österreich ist perfekt. Wir bewegen uns mit fünfzig Stundenkilometern auf der Autobahn, viele Autos fahren bereits rechts ran. „Und Schatz, bist du zufrieden?“ Ich blicke ihn schuldbewusst an. „Fast ein bisschen zuviel des Guten. Sorry...“ Er streicht mir kurz über die Haare, schüttelt den Kopf. „Na dann will ich nur hoffen, dass mein Wunsch auch in Erfüllung geht.” „Komm schon, sag mir was du dir gewünscht hast...“ „Bist du angeschnallt?“ Ich sehe an mir herunter. „Ja... wieso?“ „Weil ich nicht will, dass du mir vor Schreck vom Sitz rutschst.“ „Oh Gott, was kommt jetzt?“ „Also zunächst wünsche ich mir eine Autobahnausfahrt. Und was zu essen. Ich hab tierischen Hunger. Und ich glaube, wenn es so weiter geht werden wir nochmal irgendwo schlafen, was meinst du?“ „Wir wollten doch nach Hause... die Kinder... und deine Mutter ist sicher auch froh, wenn sie wieder etwas Ruhe hat.“ „Sie erwarten uns erst morgen Nachmittag. Darf ich dich was fragen?“ „Ja?“ „Wann hattest du zum letzten Mal deine Regel?“ Ich sehe ihn irritiert an. „Vor zwei Wochen, wieso?“ „Die Pille hast du abgesetzt, oder?“ „Ja, seit September... wir waren uns doch einig, oder?“ Er nickt. „Du willst doch nicht etwa...?“ Er nickt wieder. Stille, das einzige Geräusch wird durch die angestrengten Scheibenwischer verursacht, die ihr Bestes geben, um uns den Blick freizuschaufeln. Ich kann es nicht fassen. „Schatz ich bin vierundvierzig... ich weiß nicht, ob das noch mal klappt... das wäre ein richtiges Risiko.“ „Du bist doch gesund, oder? Hattest du Probleme in letzter Zeit?“ „Nein, aber... ich denke nur daran, wenn das Kind zwanzig ist bin ich schon Mitte sechzig und du Mitte siebzig... Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“ „Kann ja auch sein, dass es gar nicht klappt... aber du wolltest meinen Wunsch wissen. Jetzt weißt du ihn. Fahren wir hier raus?“ „Ok...“ Ich fühle mich wie auf Wolken. Ein drittes Kind. Mit allem hatte ich gerechnet, aber damit nicht. Und plötzlich, trotz all der Zweifel, trotz unseres Alters, meldet sich mein verliebtes, verwegenes, abenteuerlustiges Herz zurück. Wieso nicht, denke ich. Es kann uns doch nur gut tun. Wir haben es mit Nora und Alan geschafft, wieso dann nicht auch mit einem dritten Kind? Gleichzeitig denke ich an die Schwangerschaft, die wahrlich kein Spaziergang ist. Obwohl es mir jedes Mal recht gut dabei ging. Mit war selten schlecht, keine Komplikationen bei den Geburten, auch meine Figur durfte ich behalten. Ich lächle in mich hinein, während wir durch den Schneesturm am Arlberg schleichen und vor dem ersten Restaurant Halt machen. Wir steigen aus dem Auto, der Wind bläst mir die Flocken ins Gesicht, ich sehe die Hand kaum vor Augen. Chris kommt um das Auto herum, nimmt mich beim Arm. Es ist rührend, ihn so rücksichtsvoll zu erleben. „Komm wir schauen, ob die ein Zimmer frei haben. Und dann gibt‘s was zu Essen.“

Die Wirtsleute sind freundlich, ein Zimmer ist auch noch frei. Obwohl es erst fünf Uhr nachmittags ist, servieren sie uns alles, was unsere ausgehungerten Mägen begehren. Chris ruft seine Mutter an, es geht ihnen gut. Auch zuhause ist bereits der erste Schnee gefallen. Wir essen, der Fernseher läuft. Die Nachrichten sprechen vom heftigsten Schneefall seit vielen Jahren. In den letzten Stunden sind bereits zwei Meter gefallen, und es hört nicht auf. Einige Dörfer sind bereits von der Außenwelt abgeschnitten, Stromausfälle, Verkehrschaos, die Menschen sind in ihren Häusern eingeschneit. Dann zeigen sie das Bild einer jungen Frau, die erdrosselt in ihrer Wohnung aufgefunden wurde. Die Polizei ermittelt gegen eine Bande, die scheinbar vielversprechende Anzeigen schaltet, Mädchen aus dem Osten herlockt und sie dann zur Prostitution zwingt. Diese Schweine, denke ich, und höre nicht weiter hin. Gedankenverloren sehe aus dem Fenster, die Gegend ist weiß und so ruhig, dass es fast unheimlich ist. Keine Menschenseele weit und breit. Wir haben gerade den letzten Bissen getan, das Besteck beiseitegelegt, als plötzlich der Fernseher mit einem zischenden Geräusch ausgeht und wir im Dunkeln sitzen. Aus der Restaurantküche ertönt ein herzhaftes Fluchen. „Ach du scheiße... Jetzt ist der Strom hier auch noch weg...“ „Mann bin ich erschrocken... Gibt‘s hier irgendwo Kerzen?“ In diesem Moment erscheint die Wirtin, ihr Gesicht wird vom Schein einer kleinen Kerze erhellt. Aufgeregt entschuldigt sie sich bei uns. „Brauchen Sie Hilfe?“, bietet Chris ihr an. „Naa, der Notstrom geht schon. Aber lang hält der auch nicht durch. Den Kaffee kann ich Ihnen leider nicht bringen, dafür seid‘s morgen zum Frühstück eingeladen!“ „Welches Zimmer haben wir denn? Haben Sie vielleicht eine Taschenlampe?“ „Die Nummer drei habt‘s, ja, ich bring euch eine. Na entschuldigt bitte, aber wir können nichts machen, das ganze Viertel ist ohne Strom, ich hoffe das sie es bis morgen früh hinkriegen.“ Hilflos sieht sie uns an, wir beruhigen Sie. Viel brauchen wir ja nicht, nur ein warmes Bett und ein wenig Ruhe. „Sollen wir hinaufgehen?“, fragt Chris. „Ja, dürfen wir die Kerze mitnehmen?“ Ich sehe die Wirtin an. „Ja selbstverständlich, ich bring euch noch welche. Wenn es geht, macht das Licht nicht an, wir müssen sparsam mit dem Notstrom umgehen.“ „Danke, die Kerzen reichen völlig.“ Ich lächle sie an. Schneechaos, Übernachtung im Zimmer Nummer drei, ein Stromausfall, fünf Kerzen – eine vielversprechende Nacht.

Ich lasse mich auf das weiche Bett sinken, das Zimmer ist kalt. „Mein Gott, machen die hier nie die Heizung an? Hier drin sind ja keine achtzehn Grad!“, brummt er und befühlt die Heizkörper. „Wahrscheinlich haben sie nicht mit Gästen gerechnet. Komm ins Bett, uns wird schon warm werden.“ Wir sehen uns im Schein der Taschenlampe im Zimmer um. Es ist winzig, spartanisch eingerichtet, gerade genug Platz für zwei. Chris stellt die Kerzen auf den kleinen Tisch und zündet sie an, das Zimmerchen wird in warmes, flackerndes Gelb getaucht. Wir liegen nebeneinander im Bett, einander zugedreht, betrachten uns gegenseitig. Wir sprechen kein Wort, berühren uns nicht. Langsam erwärmt sich das Bett durch unsere beiden Körper, ich ziehe etwas umständlich meinen Pulli aus, um nicht am Ende noch ins Schwitzen zu geraten. Er beobachtet mich, ist immer noch still. „Was ist?“, flüstere ich. „Willst du es versuchen?“ „Was denn?“ „Mir meinen Wunsch zu erfüllen.“ „Würde es dich denn glücklich machen?“ Er nickt. „Sehr sogar.“ Ich ziehe mich bis auf die Unterwäsche aus und lege mich wieder unter das warme Federbett. Ich bekomme Gänsehaut, als er seine Hand auf meinen Bauch legt. Langsam, als wäre es unser erstes Mal, nähert er sich mir und küsst sanft meine Stirn, meine Augen und Wangen und erst dann meinen Mund, schiebt vorsichtig seine Zunge hinein, knabbert an meiner Oberlippe, seine Finger streichen durch meine Haare, ziehen zärtlich daran, die Atmosphäre lädt sich auf. Lange Zeit küssen und streicheln wir uns, ohne Eile, im Halbdunkel. Sein Körper reibt sich an meinem, es scheint, als wollten wir beide den einen, wichtigen Moment herauszögern, der unser Leben noch einmal verändern und verbessern wird. Ich weiß, dass ich dieses Zimmer schwanger verlassen werde. Der Gedanke daran treibt mir die Hitze ins Gesicht, er spürt es. „Hast du etwa Fieber?“, fragt er und sieht mich besorgt an. „Du hast ganz rote Wangen.“ Ich lächle, schüttle den Kopf. „Nein, aber ich spüre, dass es klappen wird. Ich bin nur ein wenig aufgeregt.“ „Schatz... stress dich nicht... Es muss nicht sofort sein...“ Seine Hand streicht sanft über meine Brüste. „Ich stresse mich nicht. Ich weiß es einfach... Es ist ein schönes Gefühl...“ Er tastet zwischen meine Beine, schiebt sie vorsichtig auseinander, berührt mich. Dann endlich legt er sich auf mich, erwartungsvoll sehe ich in an, seine langen Haare rutschen in mein Gesicht. Er bewegt sich langsam in mir, hält sich zurück, es soll nicht zu schnell geschehen. Ich suche seine Lippen, seine Küsse, doch er lässt mich leiden, hält meinen Kopf mit den Händen fest. Ich sehe Strenge und Liebe in seinem Gesicht. Er fixiert mich, stößt in mich hinein und hält inne. „Belüg mich nie wieder.“, sagt er plötzlich mit fester Stimme. Ich bringe ein heiseres „Nein!“ zustande. Noch ein Stoß, vor Schreck bäume ich mich auf. „Versprich es.“ „Versprochen!“ Ein drittes Mal. „Du weißt, dass es sonst vorbei ist mit uns. Egal, wie sehr ich dich liebe und du mich, wenn wir nicht ehrlich zueinander sind, hat das alles keinen Sinn.“ Unter diesen Worten zucke ich zusammen, ich will mich vor Scham zur Seite drehen, um ihm nicht mehr in die Augen sehen zu müssen. „Sieh mich an.“ Ich schaffe es nicht, ich weiche seinem Blick aus, kann die Tränen nun doch nicht mehr zurückhalten. „Dreh dich um...“, sagt er sanft, rollt mich auf den Bauch, presst seinen Körper auf meinen.