Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der zweite Fall für das Kult-Duo Magnabosco und Pasqualina Simona, Winzerstochter aus dem Überetsch, ist verschwunden! Dabei hätte sie bald ihren Verlobten Hartwig heiraten sollen. Kommissar Magnabosco und Assistentin Pasqualina verfolgen ihre Spur bis ins Bergdorf Tiers am Fuße des sagenumwobenen Rosengartens. Zuletzt wurde Simona dort mit ihrer Schwester Martha, einer selbsternannten Hexe, im Restaurant des Hotel-Königs Angerer gesehen. Je weiter die Ermittlungen voranschreiten, desto mysteriöser wird der Fall. Gleichzeitig scheint der berühmte Zwergenkönig Laurin wieder in den Dolomiten unterwegs zu sein … » inspiriert von der berühmten Sage um Zwergenkönig Laurin » spannender Pageturner in den Südtiroler Dolomiten » witzige Dialoge, originale Schauplätze und schräge Charaktere
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 157
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
SIMONE DARK
EIN KRIMI AUS SÜDTIROL
DER ZWEITE FALL FÜR MAGNABOSCO UND PASQUALINA
Mit freundlicher Unterstützung der Abteilung Deutsche Kultur in der Südtiroler Landesregierung
Verlag und Autorin danken für die freundliche und zuvorkommende
Unterstützung bei der Recherche:
Cyprianerhof Dolomit Resort, Tiers
Parkhotel Mondschein, Bozen
Tschamin Schwaige, Tiers
© Edition Raetia, Bozen 2023
1. Auflage
Grafisches Konzept und Druckvorstufe: Typoplus, Frangart
Umschlaggrafik: Philipp Putzer, Farbfabrik
Umschlagfotos:
Vorderseite: Michael Rucker, Adobe Stock
Rückseite: Manni Kostner
Lektorat: Verena Zankl
Korrektorat: Gertrud Matzneller
ISBN: 978-88-7283-854-9
ISBN E-Book: 978-88-7283-855-6
Unser Gesamtprogramm finden Sie unter www.raetia.com.
Bei Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an [email protected].
TEIL 1
Dieter Pardeller
Carmela Pasqualina
Elisabeth Pardeller
Martha Pardeller
Ulrich Angerer
Andreas Schmalzl
Hartwig Ploner
Martha Pardeller
Hartwig Ploner
TEIL 2
Elisabeth Pardeller
Claudia Lomberda
Andreas Schmalzl
Filippo Magnabosco
Simona Pardeller
Filippo Magnabosco
Martha Pardeller
Elisabeth Pardeller
Dieter Pardeller
TEIL 3
Simona Pardeller
Filippo Magnabosco
Carmela Pasqualina
Hartwig Ploner
Hannah
Simona Pardeller
Dr. Alfred Gruber
Elisabeth Pardeller
TEIL 4
Martha Pardeller
Hartwig Ploner
Markus Nothdurfter
Der König von der Etsch
Der König von Tiers
EPILOG
Filippo Magnabosco
Simone Dark
Filippo Magnabosco setzte sich an diesem Montagnachmittag mit einem lauten Ächzen auf seinen Bürostuhl. Jeder einzelne Muskel tat ihm weh und er hatte schrecklichen Hunger. Carmela Pasqualina, seine Assistentin und seit einigen Monaten auch Lebensgefährtin, hatte ihn gegen seinen Willen in einem Bozner Fitnessstudio eingeschrieben.
„Pesi statt Pasta“, hatte sie ihm an diesem Morgen liebevoll ins Ohr geflüstert und ihm einen grünen Tee und eine Schüssel ungesüßtes Müsli mit entrahmter Milch vorgesetzt.
„Gewichtheben statt Nudeln essen“, wozu sollte das gut sein? Magnabosco hatte sein ungewöhnliches Frühstück, das sonst aus einer Brioche und einem Cappuccino in der Bar bestand, zunächst angestarrt und dann hinuntergewürgt.
Während er sich rasierte, hatte Carmela ihm erklärt, dass man ihn in der Mittagspause in einem Fitnessstudio in der Innenstadt erwarte. Magnabosco war irritiert. „Dein Personal Trainer“, hatte Carmela gesagt, ihm ein Küsschen auf den weiß umschäumten Mund gedrückt und das Bad verlassen, bevor er etwas entgegnen konnte.
Erstaunlicherweise war er an diesem Morgen voller Energie zur Arbeit gefahren – mit dem Fahrrad, wohlgemerkt.
Nun, als die Mittagspause vorbei war und Magnabosco endlich seine Vesper verzehren durfte – sie bestand aus einer Stange Sellerie, einer Biokarotte und einem Vollkornbrötchen mit kalorienarmem Frischkäse –, übermannte ihn heftige Müdigkeit wegen der sadistischen Gewichtsübungen im Fitnessstudio. Er legte das Gemüse zurück in die Lunchbox, machte die Augen zu und träumte von einem Wiener Schnitzel mit Pommes frites. Oder Knödel mit Krautsalat, so wie seine Mutter sie immer zubereitet hatte. Dann musste er an die Lasagne seiner Großmutter denken. Dieser Duft … allein beim Gedanken daran lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Gerade als seine Beine sich zu entspannen schienen, wurde mit einem Poltern die Tür zu Magnaboscos Büro aufgerissen. Nothdurfter, sein Vorgesetzter, schrie ihn an und riss ihn aus dem Halbschlaf: „Magnabosco! Was ist mit Ihrem Telefon? Warum antworten Sie nicht?“
Magnabosco fing sich, stand ein wenig zu ruckartig auf und spürte ein heftiges Ziehen im Lendenwirbel, das ihn sofort wieder in den Bürostuhl zwang.
„Entschuldigung, ich habe es nicht gehört“, stammelte er und suchte den Tisch nach dem Mobiltelefon ab.
„Kein Wunder, es ist ja auch ausgeschaltet“, gab Nothdurfter zurück. „Und das während der Arbeitszeit! Aber das besprechen wir nachher in meinem Büro.“ Dann ging er beiseite und ließ einen Herrn eintreten. „Magnabosco, das ist Herr Dieter Pardeller aus Eppan. Er ist der Besitzer einer bekannten Kellerei in St. Pauls. Seine Tochter ist seit vorgestern Abend abgängig.“
„Für die Abgängigkeitsanzeigen sind die Kollegen im oberen Stock zuständig.“
„Herr Pardeller ist der Meinung, es könne sich um eine Entführung handeln. Schließlich ist seine Tochter die nominierte Weinkönigin.“
Nothdurfter bot dem Winzer einen Stuhl an, dieser setzte sich und zog einen weißen Umschlag aus seinem ledernen Herrentäschchen. Magnabosco blieb still und nickte, es brachte ja doch nichts, seinem Vorgesetzten zu widersprechen.
„Einen Moment bitte noch“, sagte er zu Pardeller, nachdem er ihm kurz die Hand gedrückt hatte, rief Carmela an und bat sie zu sich. Einige Sekunden später betrat sie schwungvoll sein Büro, drückte Herrn Pardeller freundlich die Hand und zückte einen Stift, um die Aussage des besorgten Vaters zu notieren. Zwischendurch betrachtete sie ihn mitfühlend.
„So, Ihre Tochter ist also verschwunden?“, begann Magnabosco das Gespräch.
Pardeller nickte. „Sie war am Samstagabend bei einer Weinverkostung in Kaltern eingeladen und ist nicht zurückgekommen.“
„Freunde, Verwandte, bei denen sie vielleicht untergekommen ist?“, erkundigte Magnabosco sich.
„Nein, haben wir alle angerufen. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt.“
„Hat Sie vielleicht einen Freund, von dem Sie nichts wissen?“
Carmela hob ihre linke Augenbraue und schielte zu Magnabosco hinüber.
„Von dem Sie bislang nichts wussten, meinte ich natürlich“, verbesserte Magnabosco sich schnell. Er musste dringend richtige Nahrung zu sich nehmen, sonst funktionierte er nicht. Wieder roch er die Lasagne seiner Großmutter.
„Simona, also meine Tochter, ist mit Hartwig verlobt.“
„Artewigge … Nachname? Adresse?“, fragte Carmela nach.
Pardeller buchstabierte den vollständigen Namen des Mannes und nannte ihr die Adresse.
„Meine Frau wird fast verrückt vor Sorge, also finden Sie sie bitte. Außerdem wird Simona nächste Woche offiziell zur Weinkönigin gekrönt. Und in drei Wochen ist die Hochzeit mit Hartwig“, sagte Pardeller.
„Haben Sie ein Foto von Ihrer Tochter dabei?“, fragte Magnabosco.
„Ja, hier, das können Sie behalten“, antwortete Pardeller und entnahm seiner Tasche einen weißen Umschlag. Magnabosco öffnete ihn und betrachtete Simonas hübsches, strahlendes Gesicht.
„Erzählen Sie mir von Ihrer Tochter. Umfeld, Probleme, wirklich alles.“
Seine Tochter war fünfundzwanzig Jahre alt und studierte im letzten Semester Weinbau, um irgendwann in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Sie war allseits beliebt, hatte einen großen Bekanntenkreis und war sehr in Hartwig verliebt. Die beiden kannten sich schon einige Jahre und hatten nun beschlossen, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Soweit Pardeller wusste, hatte sie keine finanziellen Probleme, schließlich unterstützten er und seine Frau Elisabeth sie ja auch mit monatlichen Zuwendungen für das Studium. Außerdem konnte sie weiterhin zu Hause wohnen. Simona, die von allen nur Simmi genannt wurde, war ein fröhliches Mädchen, kannte sich im Weinbau bestens aus und schien ein rundum glückliches Leben zu führen.
„Was macht sie in ihrer Freizeit?“, fragte Carmela und knabberte an ihrem Kugelschreiber.
„Sie klettert oft und geht gern wandern“, erklärte Pardeller.
„Mit wem?“
„Mit Hartwig. Meistens sind auch seine zwei Cousins und ein paar Freunde dabei.“
„Hat sie eine beste Freundin, eine Vertraute?“, ergänzte Magnabosco. In diesem Alter erzählte man die eigenen Probleme nicht mehr seinem Vater.
„Mit einer gewissen Claudia trifft sie sich des Öfteren, zumindest hat sie sie ein paarmal beim Abendessen erwähnt. Die beiden studieren zusammen.“
„Ich brauche alle Namen und Adressen“, sagte Magnabosco und stand auf. Nun schmerzten nicht nur seine Muskeln, sondern auch sein leerer Magen. Er bat Carmela, gemeinsam mit Pardeller alle Einzelheiten an ihrem Schreibtisch aufzunehmen. Sie nickte, er verabschiedete sich von dem Winzer und schloss die Bürotür hinter ihnen.
Dann stürzte er sich auf sein Vollkornbrötchen, biss hinein und stieß mit den Zähnen auf etwas Hartes. Es knirschte, ein stechender Schmerz durchfuhr Magnaboscos Oberkiefer und er konnte gerade noch die Plombe auffangen, die sich von seinem Zahn gelöst hatte.
„So eine schöne Erbste“, schwärmte Carmela, während sie den Dienstwagen aus Bozen heraus und über die Weinstraße nach Kaltern lenkte.
„Herbst“, brummte Magnabosco und wusste in diesem Moment nicht, was mehr schmerzte: sein kaputter Zahn, sein leerer Magen oder die Muskeln nach dem ersten Besuch im Fitnessstudio.
„Wie war die Sport?“, fragte Carmela, trat aufs Gas, um einen deutschen Urlauber zu überholen, und bremste dann scharf hinter einem Rennradfahrer ab. Magnabosco wurde auf dem Beifahrersitz vor- und zurückgeworfen.
„Fahr rechts ran“, bat er sie freundlich.
„Warum?“
„Weil mir sonst schlecht wird.“
„Dai, wir sind gleich da“, lachte Carmela.
„Fahr rechts ran. Das ist keine Bitte, sondern eine Dienstanweisung. Ich bin schließlich immer noch der Capo.“
Carmela setzte den Blinker, verdrehte die Augen und fuhr die nächste Bushaltestelle an. Sie tauschten die Plätze. Als Magnabosco sanft Gas gab, fühlte er sich schon ein wenig sicherer.
„Auf dem Rückweg gehen wir eine Pizza essen“, beschloss er. „Ich brauche Nahrung.“
„Va bene, aber mit impasto al farro“, lenkte Carmela ein.
Die Antwort, ob Magnabosco mit einer Pizza mit Dinkelmehl einverstanden war, blieb aus.
Magnabosco parkte den Wagen gegenüber der Kalterer Kellerei, in der am vergangenen Samstagabend die Weinverkostung stattgefunden hatte und zu der auch die designierte Weinkönigin Simona Pardeller geladen worden war. Sie betraten das Foyer, die Luft war angenehm kühl und duftete leicht nach Wein. Carmela atmete tief ein und sah sich um. Eine junge Frau in schwarzer Hose und weißer Bluse erschien.
„Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen? Möchten Sie gerne verkosten?“
Magnabosco lächelte sie an, Carmela drehte sich instinktiv zu ihnen um und zeigte ihren Dienstausweis.
„Kriminalpolizei Bozen, guten Tag. Wir sind hier wegen der degustazione dei vini letzte Samstag.“
Magnabosco erklärte der jungen Frau, die von Carmelas Auftreten sichtlich eingeschüchtert war, ihr Anliegen.
„An dem Abend war ich nicht hier. Da müssen Sie den Kellermeister fragen.“
„Wenn Sie ihn bitte herrufen würden“, bat Magnabosco freundlich.
Sie nickte und verschwand hinter einer großen, hölzernen Schiebetür. Wenige Minuten später kam sie wieder, gefolgt von einem Herrn in Arbeitskleidung.
„Buongiorno“, sagte Carmela nun mit einem Lächeln auf den Lippen. „Carmela Pasqualina, Kripo Bozen.“
Dieses Mal war es Magnabosco, der mit leicht zusammengekniffenen Augen näher herantrat, seinen Dienstausweis zückte und sich als Capo Commissario vorstellte.
„Ja, die war hier. Zusammen mit ihrer Schwester Martha. Wir haben eine Weile miteinander gesprochen, auch weil sie demnächst Weinkönigin wird.“
„Simona hat eine Schwester? Hat Pardeller das erwähnt?“, fragte Magnabosco leise Carmela und wandte sich dann wieder an den Kellermeister. „Woher wissen Sie jetzt schon, dass sie Weinkönigin wird?“
„Ach“, winkte der Kellermeister ab, „Interna. Jedenfalls sind die beiden bis etwa elf Uhr geblieben. Simona war noch einigermaßen nüchtern, ihre Schwester hingegen ziemlich beschwipst. Ich habe sie gebeten zu gehen, weil Martha schon ein wenig ausfällig wurde. Ich habe den beiden ein Taxi gerufen.“
„War es eine geschlossene Gesellschaft?“, fragte Magnabosco in der Hoffnung, nicht Hunderte von Verdächtigen befragen zu müssen.
„Nein, aber es war eher ein ruhiger Abend. Vielleicht dreißig Leute. Darf ich Ihnen ein Glas anbieten?“
„Ja, aber nur eine kleine Schluck“, säuselte Carmela.
„Nein, danke“, lehnte Magnabosco entschieden ab. Er hatte aus seiner Erfahrung mit dem Pfarrer, der ihm im letzten Fall seinen Messwein angeboten hatte, gelernt. „Wir sind im Dienst. Ist Ihnen denn sonst noch etwas aufgefallen? Hatte Simona vielleicht Streit mit irgendjemandem? Wie war die Stimmung zwischen den Schwestern?“
„Simona ist bei allen beliebt, ich glaube, die kann überhaupt nicht streiten. Es hat sie höchstens genervt, dass Martha so tief ins Glas geschaut hat und ich sie bitten musste zu gehen. Aber sonst ist nichts Auffälliges vorgefallen.“
„Gibt es Kameraaufnahmen?“, erkundigte Carmela sich.
„Ja, aber nur vom Parkplatz.“
Sie gingen gemeinsam zum Computer hinter dem Tresen.
„Hier, das ist Simmi mit ihrer Schwester“, sagte der Kellermeister plötzlich und zeigte auf zwei Personen. Sie stiegen in ein Auto und fuhren davon.
„Können wir eine Kopie der Aufnahmen bekommen?“
„Natürlich“, sagte der Kellermeister und kopierte die Datei auf einen USB-Stick, den das Logo der Kellerei zierte.
„Schenke ich Ihnen, Frau Pasquale“, sagte er mit einem Lächeln.
„Pasqualina. Wie die Spinat-Torta. Torta Pasqualina“, antwortete sie, während Magnabosco sie in Richtung Ausgang schob.
Vorsichtig wurde die Haustür neben der Kellerei in der Ortschaft St. Pauls bei Eppan geöffnet. Eine Frau, deren Alter Magnabosco auf Mitte fünfzig schätzte, ließ ihn und Carmela wortlos eintreten. Sie schluchzte auf und nahm ein Taschentuch aus der kleinen Tasche ihres altrosafarbenen Tweedjäckchens. Sie schnäuzte sich leise, kontrollierte dann kurz ihr Aussehen in einem kleinen Wandspiegel, der den Korridor zierte, und bat die beiden Ermittler, im Wohnzimmer Platz zu nehmen.
Magnabosco sah sich um, eine Wand war den Auszeichnungen der Weine gewidmet, die andere wurde von einem überfüllten Bücherregal belegt. An der dritten hingen Familienfotos, die glückliche Eltern mit zwei kleinen Mädchen zeigten. Dann mit zwei Teenagern, dann nur noch mit einer einzigen Tochter als junge Erwachsene: Simona.
„Haben Sie schon etwas herausgefunden?“, fragte Elisabeth Pardeller mit tränenerstickter Stimme.
„Nein, bei der Kellerei in Kaltern konnte man uns nur bedingt weiterhelfen. Wir haben noch keine gesicherten Informationen“, erklärte Magnabosco. „Hat man sich denn bei Ihnen gemeldet?“
„Nein“, schüttelte Frau Pardeller den Kopf und trocknete eine weitere Träne. „Kein Anruf, nichts. Auch kein Brief.“
„Ist Ihr Mann denn da?“, fragte Carmela.
„Nein, also ja, aber er ist unten im Weinkeller. Soll ich ihn holen?“
„Das ist im Moment nicht nötig“, winkte Magnabosco ab. „Wir haben erfahren, dass Simona am Samstagabend in Begleitung ihrer Schwester Martha bei der Weinverkostung war. Ihr Mann hat das gar nicht erwähnt, als er bei uns im Präsidium war.“
Die Röte in Elisabeth Pardellers verweintem Gesicht wich einer ungesunden Blässe. Sie setzte sich in ihren Ohrensessel und atmete schwer aus.
„Ist sie also wieder aufgetaucht“, zischte sie.
„Was meinen Sie damit, Frau Pardeller?“, fragte Carmela, die bei der Antwort ein wenig erschrocken war.
„Martha lebt schon lange nicht mehr bei uns. Wir mussten sie in eine geschützte Anstalt bringen, als sie fünfzehn war, weil sie an einer schizophrenen Störung litt. Ein paar Jahre später haben wir versucht, sie wieder in die Familie aufzunehmen. Eine Weile lang ging das auch gut, doch dann hatte sie einen Rückfall und wurde noch seltsamer und aggressiver. Sie hielt sich selbst für eine Schlernhexe, stellen Sie sich das mal vor.“
„Eine Exe?“, fragte Carmela verwundert. „Habe ich richtig verstanden?“
„Ja genau, mal für eine Hexe, dann wieder für eine Salige, je nach Stimmung. Daraufhin haben wir dafür gesorgt, dass sie in eine Anstalt kommt, in der man sich um sie kümmerte. Der letzte psychologische Gutachter befand vor zwei Jahren, dass sie sich nun selbst versorgen könne. Sie ist dann auf einen alten Bauernhof bei Seis gezogen, wo sie den Besitzern als Magd hilft. Uns Eltern hat sie seitdem einen einzigen Brief geschrieben, in dem sie uns Rache schwor. Wir haben versucht mit ihr zu sprechen, hatten aber keinen Erfolg.“
„Hat Martha Sie oder Simona in irgendeiner Form angegriffen?“
„Nicht körperlich. Aber einmal im Jahr kommt sie nachts bei uns vorbei und verschandelt unseren Garten. Vor allem auf die Rosen hat sie es abgesehen.“
Magnabosco runzelte die Stirn. Was für eine seltsame Art der Rache.
„Warum tut sie das?“
„Sie will uns verletzen, uns ihre Abneigung zeigen.“
„Wann sucht Martha Sie denn normalerweise heim?“
Plötzlich lachte Elisabeth Pardeller spöttisch auf. „In der Nacht auf den 1. Mai natürlich, sie glaubt schließlich, sie sei eine Hexe. In der Walpurgisnacht.“
„Vielleicht gehen wir besser zu Fuß dorthin“, sagte Carmela, nachdem sie mit dem Auto eine halbe Stunde lang das Dörfchen Seis am Schlern nach dem Gutshof abgesucht hatten, den Elisabeth Pardeller ihnen beschrieben hatte.
Magnabosco öffnete die Tür und stieg aus. Seine Beine waren bleischwer und schmerzten bei jeder Bewegung.
Langsam gingen sie über den asphaltierten Weg, der zum Bauernhof führte, auf dem Martha lebte und arbeitete. Sie blickten kurz auf das angrenzende Grundstück: Der Nachbar hatte begonnen, sein Schilfdach zu restaurieren, schien aber mit den Arbeiten kaum voranzukommen. Die provisorische grüne Regenabdeckung hing in Fetzen vom Dach.
Vor dem Gutshof sah es nicht besser aus. Es herrschte Chaos, überall lag Holz herum, Baumaschinen standen im Weg. Hinter dem Hof führte ein kleiner Wanderweg am Stadel vorbei in Richtung der Kirche, die sich strahlend weiß in die herbstliche Landschaft schmiegte. Vorsichtig gingen sie über die erdigen Steine, sie waren rutschig, die Mauer auf der linken Seite war mit dunkelgrünem Moos bewachsen. Carmela fröstelte ein wenig, der schattige Weg war empfindlich kühl. Hinter ihr huschte eine rote Katze vorbei, Carmela zuckte vor Schreck zusammen.
Hinter dem Hof blieben sie auf der Wiese stehen und blickten zu der kleinen, weißen Kirche hinauf, die direkt unter dem majestätischen Schlern zu stehen schien. Wie ein kleines Mahnmal war sie auf der Anhöhe platziert worden, strahlte wie ein unschuldiges Brautkleid, davor ein paar Kastanienbäume mit rötlichem Laub. Auf halber Höhe der vorgelagerten Santnerspitze hatte es sich eine kleine, weiße Wolke gemütlich gemacht.
„Was für eine perfekte Panorama“, schwärmte Carmela und ging auf Magnabosco zu, sah sich kurz um, ob sie auch nicht beobachtet wurden, und küsste ihn.
„Carmela, wir sind im Dienst“, rügte er sie liebevoll und bat sie, vorzugehen. Carmela murmelte sarkastisch: „Ja, commandante“, und ging über die Wiese zum Gutshof hinunter. Wieder huschte die rote Katze an ihnen vorbei, dieses Mal erschrak Carmela nicht, sondern streichelte sie kurz.
Eine junge Frau trat aus der Tür. Sie trug dreckige Jeans und ein kariertes Hemd, die dunklen Haare hatte sie hockgesteckt. Ein paar Strähnen fielen ihr ins Gesicht. Ihre hellblauen Augen stachen so sehr hervor, dass Magnabosco ihrem Blick nur schwerlich standhielt.
„Grüß Gott“, sagte sie mit einem freundlichen Lächeln und stemmte die Hände in die Hüften. „Wie kann ich helfen?“
„Wir suchen Frau Martha Pardeller“, erklärte Magnabosco.
„Steht vor Ihnen“, grinste die junge Frau und zeigte eine Reihe schneeweißer Zähne. Erst jetzt bemerkte Magnabosco das kleine, dunkle Muttermal an ihrem Mundwinkel.
„Buongiorno“, brachte sich nun auch Carmela ins Gespräch ein, während die rote Katze weiterhin um ihre Beine schlich und sich an ihnen rieb. „Wir müssen mit Ihnen sprechen. Ihre Schwester ist abhängig.“
„Abgängig“, verbesserte Magnabosco sie. „Sie wird seit Samstagnacht vermisst. Sie waren ja gemeinsam bei der Weinverkostung in Kaltern, soweit wir wissen.“
„Ja, das stimmt. Ich habe sie überzeugt, nach der Verkostung bei mir zu schlafen und am Sonntag noch mit mir wandern zu gehen. Wir sehen uns ja nicht oft, und am Sonntag hatten mir die Herrschaften freigegeben. Da bot es sich an, den Tag zu nutzen.“
„Wo waren Sie beide am Sonntag wandern?“
„Im Rosengarten.“
„Wann genau haben sich Ihre Wege getrennt? Und wo?“, hakte Magnabosco nach. Er musste das kleine Muttermal fixieren, um nicht von Marthas blauen Augen hypnotisiert zu werden.
„Wir sind gegen sechzehn Uhr zum Parkplatz bei Tiers zurückgekehrt und haben noch eine Kleinigkeit gegessen. Wir waren beide mit dem Auto gekommen, damit danach jede direkt nach Hause fahren konnte. Ich bin gegen sechs hierher zurück und Simmi ist nach Eppan gefahren.“
„Und seitdem haben Sie nichts mehr von Ihrer Schwester gehört?“
Martha schüttelte den Kopf. Plötzlich ertönte ein lautes Pfeifen aus den Innenräumen des Gutshofes.
„Oh“, sagte sie und drehte sich abrupt um. „Das Wasser kocht. Kommen Sie doch rein, ich wollte gerade Tee kochen.“
Carmela schüttelte die Katze ab und folgte Magnabosco und Martha in die Küche. Martha goss einen Kräutertee auf und servierte ein paar Kekse.
„Sind die Hofbesitzer gar nicht hier?“, fragte Carmela.
„Nein, sie sind ins Dorf gefahren. Werden erst gegen Abend wiederkommen.“
Magnabosco nippte vorsichtig an seinem Tee und verzog das Gesicht, als sein kaputter Zahn mit dem heißen Getränk in Berührung kam.