Die Rede von Gott Vater und Gott Heiligem Geist als Glaubensaussage -  - E-Book

Die Rede von Gott Vater und Gott Heiligem Geist als Glaubensaussage E-Book

0,0
24,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: UTB GmbH
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Systematischer Theologie Das Apostolische Glaubensbekenntnis fasst in seinem ersten und in seinem dritten Artikel wesentliche Aspekte des christlichen Bekenntnisses zu Gott dem Schöpfer und Gott dem Heiligen Geist zusammen. Der vorliegende Band erkundet zu jeder einzelnen Teilaussage der beiden Artikel sowohl biblisch-theologische Grundlagen als auch systematisch-theologische Dimensionen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 1080

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Anne Käfer / Jörg Frey / Jens Herzer

Die Rede von Gott Vater und Gott Heiligem Geist als Glaubensaussage

Der erste und der dritte Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik

Mohr Siebeck GmbH & Co. KG

Inhaltsverzeichnis

VorwortZur EinführungJens Herzer: Was sollen wir mit den Bekenntnissen der Kirche anfangen? Eine kurze Einführung in das Credo-ProjektPeter Gemeinhardt: Vom Werden des ApostolikumsReinhard Achenbach: Gottesverehrung und Gottesbekenntnisse im religionsgeschichtlichen HorizontI. »Ich glaube an Gott Vater …«Christiane Zimmermann: Referenzen und Konnotationen der Vaterschaft Gottes im frühen ChristentumMalte Dominik Krüger: »Godfather«? Das religiöse Vaterbild aus systematisch-theologischer SichtJan Quenstedt: Reflexionen und Impulse zur DiskussionWeiterführende FragenII. »… Allmächtigen …«Markus Witte: Vom Glauben an den Allmächtigen und von der Bosheit des Menschen - Fünf Thesen aus der Perspektive des Alten TestamentsMichael Moxter: Ich glaube an Gott den Allmächtigen - Was heißt das?Eike Christian Herzig: Reflexionen und Impulse zur DiskussionWeiterführende FragenIII. »… Schöpfer Himmels und der Erden …«Lutz Doering: Neustestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung im Kontext der Schriften Israels und antiker jüdischer LiteraturChristopher Zarnow: Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer - Phänomenologische Annäherungen und theologische DeutungenChristiane Nagel: Reflexionen und Impulse zur DiskussionWeiterführende FragenIV. »Ich glaube an den Heiligen Geist …«Jens Herzer: Leben im Glauben - Leben im Geist. Biblisch-theologische Aspekte der Geistesgegenwart GottesMartin Laube: Christliches Leben im Geist - Überlegungen zur PneumatologieNadine Ueberschaer: Reflexionen und Impulse zur DiskussionWeiterführende FragenV. »… ein heilige christliche Kirche, die Gemeine der Heiligen …«Markus Öhler: Von »Kirche«, Gemeinschaft und Heiligem GeistHans-Peter Großhans: Die Kirche - Sozialform versöhnten LebensCarsten Baumgart: Reflexionen und Impulse zur DiskussionWeiterführende FragenVI. »… Vergebung der Sünden …«Matthias Konradt: »Deine Sünden sind vergeben« (Lk 7,48) Die Vergebung der Sünden im Neuen Testament unter besonderer Berücksichtigung des lukanischen Doppelwerks und des MatthäusevangeliumsChristine Schliesser: Vergebung der Sünden - Befreiung zum LebenSabine Joy Ihben-Bahl: Reflexionen und Impulse zur DiskussionWeiterführende FragenVII. »… Auferstehung des Fleisches, und ein ewiges Leben«Christina Hoegen-Rohls: Physischer Tod, metaphorischer Tod und die lebenstransformierende Kraft Gottes - Befunde und Thesen zu Tod, Auferstehung und ewigem Leben im Neuen TestamentHenning Theißen: Der letzte Feind - Was die christliche Gemeinde vom Tode bekenntMichael R. Jost: Reflexionen und Impulse zur DiskussionWeiterführende FragenZur Aktualität des BekennensMichael Beintker: Was wir glauben sollen - Von der Zeitgemäßheit alter BekenntnisseJörg Frey/Anne Käfer: Reflexionen zum Gebrauch des ApostolikumsBiogramme der Autorinnen und Autoren
[Zum Inhalt]

|V|Vorwort

Das interdisziplinäre Gespräch über die Aussagen des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, das wir 2015 in Leipzig begannen, haben wir 2018 auf einer Tagung in Münster fortgesetzt. Thema waren diesmal der erste und der dritte Artikel des Apostolikums.

Renommierte Kolleginnen und Kollegen aus den bibelwissenschaftlichen Fächern, aus den Bereichen der Kirchengeschichte und der Systematischen Theologie haben sich überaus ertragreich dem Austausch gestellt. Engagierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler haben auf die im Band abgedruckten Paarvorträge respondiert und sie ausdrücklich aufeinander bezogen. Ihnen allen sei sehr herzlich für ihre Beiträge gedankt.

Ein herzlicher Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Seminar für Reformierte Theologie (Münster), die zum Gelingen der Tagung beitrugen und die die Satzvorlage dieses Bandes sowie die Register erstellten. Insbesondere Herrn Eike Herzig, Herrn Bastian König, Frau Jana Neuenhöfer, Frau Johanna Baumann, Frau Victoria Lakebrink, Herrn Lennart Luhmann sowie auf Leipziger Seite Frau Sylvia Kolbe, Frau Nicole Oesterreich und Herrn Carlo Simon Christiansen danken wir sehr.

Die Finanzierung der Tagung haben maßgeblich die Westfälische Wilhelms-Universität Münster sowie die Universität Zürich übernommen. Die Drucklegung wurde möglich durch finanzielle Unterstützung der Universität Zürich, der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens.

Bei Frau Elena Müller, Rebekka Zech und Herrn Tobias Stäbler vom Verlag Mohr Siebeck bedanken wir uns für die professionelle und freundliche Zusammenarbeit.

 

Münster, Leipzig, Zürich, Erntedank 2019

 

Anne Käfer

Jens Herzer

Jörg Frey

[Zum Inhalt]

|1|Zur Einführung

|3|Was sollen wir mit den Bekenntnissen der Kirche anfangen?

Eine kurze Einführung in das Credo-Projekt

Jens Herzer

Obwohl die ursprüngliche Idee eine andere war, machte der 2018 erschienene Band zum zweiten Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses[1] und vor allem die konkrete interdisziplinäre Arbeit auf der Tagung recht schnell deutlich, dass es dabei nicht bleiben kann. Nicht nur, dass die Interpretation des zweiten Artikels notwendig die Frage nach dem Zusammenhang mit dem ersten und dritten Artikel aufwirft und damit auch der Anspruch einer vollständigen Behandlung des Credos im Raum stand, wie sie nun mit den beiden Bänden in kompakter Weise vorliegt. Es war vielmehr auch der nachdrückliche Wunsch der Beteiligten nach einem fortgesetzten (und erweiterten) interdisziplinären Gespräch, der zur Konzeption einer Folgetagung führte, die in noch breiterem Umfang verschiedene theologische Disziplinen an dem Gespräch über eine der wichtigsten Bekenntnisgrundlagen der christlichen Tradition beteiligen sollte.

Anfangs ging es eigentlich zunächst um die Frage nach der Bedeutung der Christologie und damit des spezifisch Christlichen des Gottesglaubens angesichts der Macht des faktischen religiösen Pluralismus in Europa und der Probleme einer Verhältnisbestimmung des christlichen Glaubens zu anderen religiösen Überzeugungen, die nicht nur selbst einen exklusiven Anspruch stellen, sondern dadurch auch in deutlicher Spannung, mitunter sogar in offener und gewalttätiger Feindschaft zum Christusglauben stehen. Umso wichtiger wird natürlich die trinitarische Form des Bekenntnisses, innerhalb derer der christologische Artikel eingebettet ist in das Bekenntnis zum allmächtigen Vater und Schöpfergott und das Bekenntnis zum Wirken des Heiligen Geistes. Dass diese beiden Artikel aufgrund ihrer über |4|das spezifisch Christliche hinausweisenden Dimension für den interreligiösen Dialog eine besondere Bedeutung haben, liegt auf der Hand.

Gleichzeitig ist aber auch deutlich, dass unter den Voraussetzungen unserer Lebensbedingungen kaum eine der traditionellen Bekenntnisaussagen aus sich selbst heraus evident ist, auch nicht im Kontext eines ernsthaften christlichen Glaubensvollzuges. Angesichts der medialen Herausforderungen unserer Zeit und den damit verbundenen Veränderungen von Sprach-, Denk- und Diskursstrukturen ist es keineswegs selbstverständlich und gehört deshalb immer wieder zu den strittigen Aspekten des kirchlichen Lebens, wenn alte Bekenntnisse als verbindlicher Teil einer gottesdienstlichen Agende gesprochen werden sollen, deren Inhalte nicht mehr verstanden oder nicht mehr geglaubt werden.[2] Hier bestehen deutliche Diskrepanzen zwischen einem scheinbar selbstverständlichen Evidenzbewusstsein in der verfassten Kirche und auch in der akademischen Theologie einerseits, die beide von der Beschäftigung mit diesen Fragen gewissermaßen leben, und dem ebenso realen Evidenzverlust andererseits, der selbst in den Gemeinden in Bezug auf das Verständnis von traditionellen Bekenntnisinhalten und rituellen Vollzügen unverkennbar ist.

Vor diesem Hintergrund erscheint es umso mehr geboten, diese Fragestellungen sowohl grundsätzlich als auch im Detail in Bezug auf die konkreten Bekenntnisaussagen zu thematisieren und diese respektvoll und sachbezogen, aber eben auch ohne Umschweife und ohne falsch verstandene Loyalität zu alten Traditionen zu problematisieren. Das ist nur in einem interdisziplinären Diskurs überhaupt möglich und sinnvoll. Dieser Diskurs soll so viele Disziplinen wie möglich einbeziehen, auch wenn dieses Ideal in der konkreten Pragmatik einer Tagungsplanung nicht immer befriedigend umgesetzt werden kann. Es bleiben stets Wünsche und Fragen offen, manche Bereiche können nicht bedient werden. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass mit Konferenzen wie denen in Leipzig 2015 und Münster 2018 ein Weg beschritten wird, der Mut und Lust macht, darauf weiter unterwegs zu bleiben.

In der Struktur entspricht der vorliegende Band seinem Vorgänger. Die einzelnen Bekenntnisaussagen des ersten und dritten Artikels werden jeweils aus bibelwissenschaftlicher und |5|systematisch-theologischer Perspektive behandelt, wobei jeder Autor und jede Autorin natürlich frei war, innerhalb der thematischen Vorgaben ihre bzw. seine eigenen Akzente zu setzen. Doch gerade das macht die interdisziplinäre Lektüre so interessant, auch und vor allem dort, wo man scheinbar »nicht zusammenkommt«. Solche inhaltlichen Überhänge und Dissonanzen regen weiteres Gespräch und weitere Auseinandersetzung an. Zu diesem Zweck haben wir wieder Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen gebeten, jeweils ein Vortragspaar in einer substantiellen Response kritisch zu reflektieren und aufeinander zu beziehen. Diese Beiträge sind in ausgearbeiteter Form als »Reflexionen und Impulse zur Diskussion« in diesem Band beigefügt und bringen frischen theologischen Wind in die Debatte um die Inhalte des Bekenntnisses. Wir sind ausgesprochen dankbar für den akademischen Mut und die Bereitschaft unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich damit gleichsam »in die Höhle des Löwen« zu begeben und selbstbewusst, engagiert und scharfsinnig ihre kritische Sicht vorzutragen.

Eingeführt wird der Band durch zwei themenübergreifende Beiträge. Ebenso informativ wie kurzweilig beschreibt zunächst Peter Gemeinhardt das »Werden des Apostolikums« von den Anfängen des Bekenntnisses in der apostolischen Verkündigung, über die frührömischen Bekenntnisfragen und die Bekenntnisformeln der frühen Kirche bis hin zur Endgestalt des Apostolikums als »entfaltete Summe des Christusgeschehens« (22). Mit dieser spannenden Wegbeschreibung wird schnell deutlich, wie komplex und verzweigt die Geschichte des Credos im Kontext der Geschichte des Taufsakraments ist und wie problembehaftet der Versuch, sich davon ein angemessenes Bild zu machen. Entsprechend offen ist der aktuelle Diskurs darüber in der Forschung. Das Apostolikum wird konsequent als Zeugnis »am Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter« (20) interpretiert und nicht als Ergebnis einer Dekadenzgeschichte verstanden, sondern gleichsam als »Konjunkturen des Apostolischen« (56). Vorformen dieses Bekenntnisses, insbesondere die des sog. »Romanum«, machen die regionale Vielfalt von konkurrierenden Bekenntnistraditionen deutlich, wobei das Attribut »apostolisch« keineswegs exklusiv für eine Überlieferung reserviert war. Erklärtes Ziel des Beitrages ist es aufzuzeigen, »was Dichtung und was Wahrheit des Apostolischen am Apostolikum ist« (23).

Als zweiten Akkord des Auftaktes schlägt Reinhard Achenbach unter dem Titel »Gottesverehrung und Gottesbekenntnisse im |6|religionsgeschichtlichen Horizont« einen weiten und beeindruckenden Bogen in die Religionsgeschichte des Alten Orients. Er führt damit bereits in jenen Kontext hinein, der für den ersten Artikel über den Vater- und Schöpfergott von Bedeutung ist. Insbesondere Schöpfungsmythen erweisen sich in altorientalischen Texten als Bestandteile weisheitlicher Lehre durch »Erzählungen, die die Wirklichkeit erschließen, und die in einer für den Menschen transzendenten Erschlossenheit des Wirklichkeitsbezugs ihren Ursprung erkennen« (60) lassen. Der Gottesbegriff wird in diesen Erzählungen in seiner Bedeutung für die Erschließung von Wirklichkeit konkret in der Verehrung Gottes zur Geltung gebracht, die zugleich das Gottesbekenntnis einschließt und damit gemeinschaftsstiftende Kraft entfaltet. Exemplarisch wird dies anhand der Debatten um die Ursprünge des Jahwismus gezeigt, wobei Achenbach hervorhebt, dass bereits im Pentateuch selbst eine bemerkenswerte und komplexe Theorie über die »Geschichte der Gotteserkenntnis Israels (als) Teil einer universalen Erkenntnisgeschichte« (72) entwickelt wird.

Die Auslegung des ersten Artikels eröffnet Christiane Zimmermann mit einem Beitrag über die Vater-Metaphorik als Ausdruck des Wesens Gottes. Sie zeichnet darin die biblischen Linien bis zu den apostolischen Vätern nach und legt dabei großen Wert auf die Tatsache, dass die christliche Vateranrede tief in der alttestamentlich-jüdischen Tradition verankert ist. Für die christliche Adaption sei wesentlich »die Verbindung von ekklesiologischer und christologisch-hoheitlicher Referenz der Vaterschaft Gottes« (96). Die Sohnschaft Christi korreliert mit der Kindschaft der Glaubenden, bezogen auf denselben Vater. Zugleich geht dies einher mit einer »kreatorisch-kosmologischen Referenz der Vater-Metapher« (99). Dadurch werde nicht zuletzt deutlich, warum im Apostolikum die Vateranrede an den Anfang gestellt wird. Aus systematisch-theologischer Perspektive beschreibt und erörtert Malte Krüger in Anknüpfung an den englischen Begriff des »Godfather« aus dem gleichnamigen Film von Francis F. Coppola die multiperspektivische Krise des religiösen Vaterbildes als Beispiel für die Notwendigkeit eines programmatischen Neuansatzes evangelischer Theologie. Insofern Religion »im menschlichen Bildvermögen und seiner Einbildungskraft fundiert« (125) sei und also als eine Projektion des Menschen zu gelten habe, stehen die Begriffe Imagination und Phantasie für eine neue »bildhermeneutische Theologie«, die kulturanthropologisch zu begründen sei (133).

|7|Das Attribut der Allmacht Gottes erschließt Markus Witte aus alttestamentlicher Sicht mit einem spezifischen Blick auf das Judentum der hellenistischen Zeit. Dessen theologische Perspektiven insbesondere auf das Wesen Gottes angesichts einschlägiger Krisenerfahrungen sind auch für das Neue Testament außerordentlich bedeutsam geworden. Dabei spielen Fragen nach der Herrschaft Gottes, seiner Gerechtigkeit und Güte eine besondere Rolle, insofern sich darin seine Allmacht in einer sehr konkreten Weise für den Glauben manifestiert. »Der Glaube an den Allmächtigen«, so die abschließende These, »ist Ausdruck eines monotheistischen, dynamischen und personalen und partizipatorischen Gottesverständnisses« (172). Die systematisch-theologische Herausforderung durch die Frage nach der Allmacht Gottes ist für Michael Moxter maßgeblich von politischer Natur: »Pointiert das Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer die Einzigkeit seiner Herrschaft, so kann es zur Kritik bestimmter Herrschaftsformen ermuntern und eine Art Sperrklinkeneffekt für imperiale Selbstinszenierungen auslösen« (180). Zugleich müsse man sich aber auch der Gefahr eines solchen Gottesbildes, das von einer potentia absoluta bestimmt werde, bewusst sein. Es komme daher darauf an, wie bzw. wovon der Begriff von Macht verstanden wird.

Mit dem schöpfungstheologischen Aspekt des ersten Artikels beschäftigen sich Lutz Doering und Christopher Zarnow. Lutz Doering kommt es in seiner detailreichen Studie insbesondere darauf an, das Bekenntnis zu Gott als Schöpfer anhand neutestamentlicher Schöpfungsaussagen im Kontext der alttestamentlich-jüdischen Tradition zu verstehen und »die kosmologischen, heilsgeschichtlichen, identitätspolitisch-sozialen, ethischen, christologischen und eschatologischen Implikationen des Bekenntnisses vor Augen« zu stellen (237). Christopher Zarnow geht von der Beobachtung aus, es genüge »nicht mehr, die Aufgabe der systematischen Theologie als kritische Reflexion positiv irgendwie gegebener Glaubensbestände zu bestimmen«. Vielmehr sei von der Dogmatik regelrecht »Aufbauarbeit am Symbol zu leisten«, um noch zeitgemäß sagen zu können, was es bedeutet (239). So schreitet Zarnow buchstäblich einen weiten und spannend beschriebenen Horizont ab, der von einer Bestandsaufnahme des »blauen Planeten« Erde in den Himmel und von dort mit neuen Perspektiven zurück zur Welt als Schöpfung und damit zur Erschließung des Symbolgehalts des Bekenntnisses zu Gott als Schöpfer Himmels und der Erden führt, der zugleich der das Geschöpf »persönlich angehende[.] Gott« ist (264).

|8|Auch der dritte Artikel des Apostolikums birgt seine eigenen Herausforderungen. Dass damit, wie der Untertitel des dritten Hauptteils aussagt, im Kern »Von der Neuschöpfung des Menschen« die Rede sein muss, gibt bereits einen wichtigen zu entfaltenden Grundgedanken dieses Artikels wieder. Ein Unterschied zum ersten und zweiten Credoartikel besteht darin, dass die erste Bekenntniszeile über den »Glauben an den Heiligen Geist« nicht ohne Weiteres durch die anderen Aussagen des Artikels entfaltet wird. Diese stehen zunächst syntaktisch in einem offeneren, komplementären Verhältnis zur Aussage über den Glauben an den Geist. Gleichzeitig sind natürlich Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben konkreter Ausdruck des schöpferischen Wirkens des Geistes Gottes.

In einem ersten Diskursgang erörtert mein eigener Beitrag zunächst das Verhältnis von Glauben und Geist, und zwar unter der Maßgabe, dass die Rede vom Heiligen Geist stets unter den Bedingungen menschlicher Existenz und menschlicher Erfahrung geschieht und daher die anthropologische Frage nach dem Selbst und dem Bewusstsein des Menschen zentral ist. Die neutestamentliche Überlieferung wird auf diese Aspekte hin vorgestellt und interpretiert und ein personhaftes Verständnis des Geistes im Sinne der klassischen Trinitätslehre kritisch hinterfragt. Das Ziel ist eine Antwort auf die Frage, was konkret vom neutestamentlichen Befund her mit dem »Glauben an den Heiligen Geist« bekannt wird. In systematisch-theologischer Hinsicht stellt Martin Laube sehr grundsätzliche Überlegungen zur Pneumatologie zur Diskussion. Er geht dabei von der Feststellung aus, dass die Lehre vom Heiligen Geist ein »ungelöstes Dauerproblem der Dogmatik« darstelle (322). Eine forschungsgeschichtliche Orientierung erhellt diese Problematik und mündet in bemerkenswerte Anregungen unter den Aspekten der Sozialität, der Medialität und der Kreativität des Geistes. Gerade im Blick auf seine Wirkungen im religiösen Kommunikations- und Sinnbildungsprozess des Glaubens erweise sich der Geist als »das geschichtliche Traditionsprinzip des Christentums« (344).

Für die ekklesiologische Aussage des dritten Artikels erläutert Markus Öhler facettenreich die neutestamentlichen Zeugnisse für das Verständnis der Gemeinde als ecclesia und zugleich als »Gemeinschaft der Heiligen«. Dies geschieht unter der Maßgabe, dass der Geist das bestimmende Moment des dritten Artikels sei. Der Fokus liegt auf der paulinischen Ekklesiologie, wobei dem Epheserbrief in mancher |9|Hinsicht eine Sonderstellung zukommt. Doch auch die Linien anderer Traditionsbereiche des Neuen Testaments werden anschaulich ausgezogen. Hans-Peter Großhans fragt – von reformatorischer Ekklesiologie speziell lutherischer Prägung ausgehend – sehr grundsätzlich, was die Kirche sei. Wichtig ist ihm dabei vor allem die Frage nach der Katholizität und Heiligkeit der Kirche als Leib Christi, die er »im Geheimnis Jesu Christi, in Jesus Christus als dem Sakrament« begründet sieht (392). Besonders interessant erscheint die These, dass die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen »ihre Heiligkeit in einem dreifachen Diakonat« unter den Aspekten der Wahrheit, der Liebe und der Hoffnung realisiere (393). Freiheit sei die besondere Ambition und Herausforderung der sich evangelisch nennenden Kirche, die der Wahrheit des Evangeliums verpflichtet sei.

Matthias Konradt behandelt das »weite Feld« der Vorstellung von der Vergebung der Sünden, zweifellos ein zentrales Thema neutestamentlicher Theologie insgesamt, wie es die kurze und eher unscheinbare Zeile im Bekenntnis kaum anzudeuten vermag. Konradt konzentriert sich auf das lukanische Doppelwerk und das Matthäusevangelium (allerdings nicht ohne einen informativen und erhellenden Blick auf die übrige neutestamentliche Überlieferung zu werfen), die jeweils unterschiedliche Konzeptionen bieten, wobei sich hier in je besonderer Weise ekklesiologische und ethische Dimensionen verbinden. Lukas habe die Vergebung der Sünden zum Leitmotiv seines Doppelwerkes in Bezug auf das Wirken Jesu, der Apostel und des Geistes gemacht. Auch bei Matthäus ist dieses Motiv programmatisches »Zentrum der Sendung Jesu« (450, mit U. Luz), aber er fasst es doch mit seiner spezifischen Verankerung der Sündenvergebung im Kontext der Gemeinde anders als Lukas. Einen besonderen Blick auf den dogmatischen Topos der Sündenvergebung wirft Christine Schliesser. Ausgehend von der ekklesiologischen Verankerung im Glaubensbekenntnis als Taufbekenntnis und unter Voraussetzung von CAVII geht es ihr neben begrifflicher Klärung (etwa in der Unterscheidung von Sünde und Schuld) und theologischer Durchdringung vor allem um die empirische Bewährung dessen, was Vergebung der Sünden bedeutet. Sündenvergebung sei in der Lebenswirklichkeit zu verorten; vorgeführt und »auf die Spitze getrieben« (455) wird dies an einem ebenso bemerkenswerten wie erschütternden Fallbeispiel der jüngeren Geschichte Ruandas nach dem Völkermord der Hutu an den Tutsi und der schwierigen Frage nach Möglichkeiten von Vergebung und Versöhnung.

|10|Die eschatologische Aussage des Credos »Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben« erörtern Christina Hoegen-Rohls und Henning Theißen. Nach einer informativen Problematisierung begrifflicher Aspekte, die sich aus den sprachlichen Veränderungen des Credos in seiner neueren Fassung ergeben, erschließt und interpretiert Christina Hoegen-Rohls auf profunde Weise die komplexen neutestamentlichen Befunde zum Thema »Tod« sowie zu den Topoi »Auferstehung des Fleisches« und »ewiges Leben«. Ihr geht es dabei insbesondere um eine Problematisierung und Differenzierung der Vorstellung vom Tod als Transitus aus biblischer Perspektive sowie um die Frage, wie sich die Aussage von der Auferstehung und ewigem Leben im Kontext des dritten Artikels verankern lassen. Besonderes Gewicht liegt dabei auf der johanneischen Vorstellung vom »ewigen Leben«. Aus dogmatischer Sicht legt Henning Theißen dar, »(w)as die christliche Gemeinde vom Tode bekennt«. Theißen nimmt einen Faden des exegetischen Beitrags auf und geht von der provozierenden These aus, dass der Tod kein Transitus sei. »Wäre er es, so wäre […] die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten vergeblich« (523f.). Vielmehr sei in Bezug auf den Tod systematisch einzuholen, dass dieser nach 1 Kor 15,26 als »letzter Feind« und damit als »Siegel unserer Endlichkeit« (523) verstanden werde. Theißen versteht es, in einer geradezu spannend zu lesenden Darstellung biblische Befunde mit dem dogmatisch notwendig zu Denkenden so zu verbinden, dass nicht nur ein plausibles Verstehen der eschatologischen Aussagen des Credos möglich wird, sondern auch die existentielle Einsicht, dass es tatsächlich Hoffnung geben kann.

Eine grundlegende systematisch-theologische Reflexion von Michael Beintker unter dem Thema »Was wir glauben sollen. Von der Zeitgemäßheit alter Bekenntnisse« schließt die thematischen Beiträge des Bandes ab. Angesichts der Erfahrung, dass Bekenntnistraditionen in der Praxis des Glaubens eine durchaus ambivalente Rolle spielen, bietet Beintker damit eine wichtige Richtungsweisung für den Umgang mit Bekenntnissen. Zugespitzt und mit einem Augenzwinkern formuliert er: »In den christlichen Kirchen glauben wenige viel und viele wenig« (553). Doch das »Was« des Glaubens stehe stets unter der Maßgabe, »Wem« geglaubt werden könne im Sinne eines Vertrauensaktes, der »das Zentrum und die tragende Achse des Glaubens« sei (555). Von hier aus erschließe sich konsequent die Bedeutung der expliziten Glaubenssätze des Bekenntnisses. Zugleich macht Beintker deutlich, wie sehr Glaube und Theologie in unserer Zeit |11|herausgefordert sind, die alten und allzu dichten Formulierungen mit dem anzureichern, was als theologisch in einer konkret zeitbezogen Weise geboten ist und zugleich als Bekenntnisinhalt intersubjektiv – im Sinne der communio sanctorum – diskutabel bleiben muss. Dies gilt auch und gerade im Hinblick auf »bestimmte Unverträglichkeiten mit den Aussagen des Glaubensbekenntnisses, vor denen man nicht einfach die Augen verschließen darf« (563).

Am Schluss des Bandes nehmen Anne Käfer und Jörg Frey diese von Beintker aufgeworfene Problematik in der Sache auf und blicken aus der Perspektive der Herausgeber noch einmal zurück auf das Gesamtprojekt. Mit einem exemplarischen und sehr anschaulichen Bezug auf eine recht komplexe Bekenntnissituation im Schweizer Kontext thematisiert Jörg Frey die Schwierigkeiten, mit denen sich Menschen heute im konkreten Umgang mit dem Bekenntnis konfrontiert sehen. Er stellt dabei die Verantwortung der Kirchen und ihrer ordinierten Theologinnen und Theologen heraus, mit »hermeneutischem Sachverstand« dazu beizutragen, dass das Bekenntnis in seiner für den Glauben integrativen Funktion vor dem Hintergrund gegenwärtiger Wirklichkeitserfahrung und -deutung verstehbar werde und darin die Freiheit des Evangeliums zur Geltung komme. Anne Käfer unterlegt diesen »Nutzen des Apostolikums« für das Glaubensleben mit systematischen Überlegungen unter der Perspektive des Taufgeschehens als einer Sünde und Tod überwindenden Wirklichkeit, die das Leben der Glaubenden nachhaltig bestimmen soll. Daher ist das Apostolikum gerade als Taufbekenntnis[3] auf die Verkündigung des Evangeliums als interpretierendes Geschehen angewiesen und kann – eingebunden in dieses Interpretationsgeschehen – zu einer Lektüre biblischer Texte anleiten, »die das Evangelium nicht mit lebensbeschränkenden Forderungen verwechselt, sondern als befreiend erlebt« (578).

Auch wenn in den beiden Konferenzen nicht alle denkbaren Aspekte behandelt werden konnten, so liegt nun mit den beiden »Credo-Bänden« eine durchaus ambitionierte, facettenreiche und vor allem konsequent interdisziplinäre Gesamtdeutung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses vor, das wohl schon aufgrund seines verbreiteten Gebrauchs das bekannteste und wichtigste Bekenntnis der Kirche sein dürfte. Die beiden Bände bringen sehr unterschiedliche Perspektiven auf die einzelnen Topoi miteinander in ein mitunter |12|recht kontroverses Gespräch und ermöglichen hoffentlich in einer breiten Rezeption eine neue Weise der Annäherung an alte Inhalte. Das gilt auch und wohl vor allem für diejenigen, die als Studierende der Theologie auf ihrem Weg ins Pfarramt auf die Bekenntnisse der Kirche ordiniert oder als Religionslehrerinnen und Religionslehrer mit der Vocatio durch die Landeskirchen doch zumindest auf diese Bekenntnisse vor ihrem Gewissen verpflichtet werden. Wer, wenn nicht sie, müsste sprachfähig werden, um darüber in den jeweiligen Berufsfeldern zeitgemäß Auskunft geben zu können! Und zwar so, dass Menschen in den Bekenntnissen nicht (nur) verstaubte Inhalte sehen, die man eben irgendwie glauben müsse, um Christ oder Christin sein zu können. Vielmehr geht es darum zu entdecken, welchen weiten Raum des Glaubens und des theologischen Denkens Bekenntnisse eröffnen, welche Möglichkeiten und Ermutigungen, den je eigenen Glauben zu formulieren und bewusst mit dem »Glauben der Alten« in einen kritischen und innovativen Dialog zu bringen. Die von Anne Käfer und Jörg Frey formulierten und jedem thematischen Teil vorangestellten Leittexte sowie die sich an die Themenbeiträge anschließenden Fragen zu weiterführender theologischer Arbeit sollen insbesondere Studierenden der Theologie Anregungen geben, den Weg eigener Entdeckungen mit dem Bekenntnis zu beschreiten.

Schließen möchte ich mit einer persönlichen Bemerkung. Als ich selbst mich vor mehr als dreißig Jahren auf das erste theologische Examen vorbereitete, ist mir ein Satz aus einer Vorlesung zu den lutherischen Bekenntnisschriften besonders in Erinnerung geblieben, dessen Bedeutung mir zwar zunächst verschlossen blieb, der aber für mein theologisches Arbeiten wie für meine Glaubensweise dann zunehmend wichtig geworden ist: Bekenntnisse seien dazu da, sich selbst überflüssig zu machen.[4] In jemandem, der »Theologie |13|durchaus studiert, mit heißem Bemühn«[5], regt sich natürlich sofort der Widerspruch: Bekenntnisse sind doch schließlich die Grundlage des Glaubens und der Kirche, auf die man ordiniert wird und damit eine bleibende Verbindlichkeit erlangen. Warum um alles in der Welt sollten sie sich selbst überflüssig machen? Vielleicht helfen ja die Beiträge der beiden »Credo-Bände«, gerade diese Dimension des Bekenntnisses zu entdecken und sie als Herausforderung anzunehmen. In seinem Beitrag zu diesem Band spricht Michael Beintker etwas ganz Ähnliches an, wenn er im Hinblick auf Theologinnen und Theologen von der lebenslangen Aufgabe des Glaubens spricht, nämlich zu lernen, was es mit dem Bekenntnis und den darin formulierten Verheißungen auf sich hat: »Die Beschäftigung mit dem Glaubensbekenntnis ist nicht das Privileg von Theologinnen und Theologen, aber gerade Theologinnen und Theologen sollten sich auf diesen lebenslangen Lernprozess einstellen. Weil sie durch ihr Studium und ihre Profession über gewisse Erkenntnisvorsprünge verfügen und ihnen beachtliche Theoriestrategien zur Verfügung stehen, können sie schneller übersehen, dass auch sie Lernende bleiben und mit dem Entdecken und Verstehenwollen nicht aufhören dürfen« (566).

Ehe die Lektüre der Beiträge begonnen wird, sei noch auf vier Abkürzungen hingewiesen, die vielleicht nicht allen Lesenden so geläufig sind wie den Autorinnen und Autoren. Diese verweisen vielfach auf Artikel aus den beiden großen theologischen Lexika TRE (Theologische Realenzyklopädie, Berlin/New York 1977–2004) und RGG (Religion in Geschichte und Gegenwart, Tübingen 1998–2007). Die Abkürzungen BSLK und BSELK weisen auf zwei unterschiedliche Ausgaben der lutherischen Bekenntnisschriften hin, die beide in Göttingen erschienen. Die ältere Edition trägt den Titel »Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche« (BSLK) und stammt aus dem Jahr 1930. 2014 wurde eine vollständige Neuedition unter dem Titel »Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche« (BSELK; hg. v. I. Dingel) publiziert.

Fußnoten

1

Vgl. J. Herzer/A. Käfer/J. Frey (Hg.), Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Der zweite Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik (UTB4903), Tübingen 2018.

2

Vgl. dazu auch R. LEONHARDT, Die Bedeutung von Bekenntnissen in Theologie und Kirche zwischen Anspruch der Tradition und aktuellen Herausforderungen, in: Herzer/Käfer/Frey, Die Rede von Jesus Christus (s. Anm. 1), 55–82.

3

Vgl. dazu den Beitrag von Peter Gemeinhardt in diesem Band.

4

Vgl. dazu E. JÜNGEL, Bekenntnis und Bekennen (1968), in: DERS., Ganz werden. Theologische Erörterungen V, Tübingen 2003, 76–88, 88: »Bekenntnisse sind also kein Besitz für immer. Sie sind für die jeweilige Zeit und gehören zum täglichen Brot. Sie sind dem wahr machenden Worte Gottes folgsame menschliche Worte, die nichts anderes wollen können, als andere menschliche Worte zu derselben Folgsamkeit gegenüber dem Worte Gottes zu ermuntern und zu verpflichten. Sie sind also gerade im Gebrauch dazu da, sich selber überflüssig zu machen. Aber eben dazu sind sie da. Und je besser ein Bekenntnis sich selbst überflüssig und Gottes wahr machendes Wort allein notwendig macht, desto bleibender ist seine Bedeutung.«

5

J. W. von Goethe, Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil, hg. v. K.-M. Guth, Berlin 2015, 16. Aus hier nicht zu erörternden Gründen setzt Goethe in diesem berühmten Text des Gelehrten Faust bekanntlich ein »und leider auch« vor die Theologie, das hier bewusst nicht mit zitiert wird, weil das Theologiestudium natürlich alles andere als eine bedauerliche Veranstaltung ist, sondern eines der interessantesten und anregendsten studiorum, die man sich vorstellen kann.

|15|Vom Werden des Apostolikums

Peter Gemeinhardt

1.Die apostolische Schöpfung des Credos – Dichtung und Wahrheit

Das Faltblatt mit dem Programm der Tagung, auf der dieser Text vorgetragen wurde, zeigte einige der zwölf Apostel mit Büchern, auf deren Seiten einzelne Zeilen des Apostolikums zu lesen sind. Die Bilder stammen von einem 1424 geschaffenen Altar aus der Kirche des Barfüßerklosters in Göttingen.[1] Zwar steht die Kirche seit fast zweihundert Jahren nicht mehr, der Altar befindet sich im Niedersächsischen Landesmuseum in Hannover. Er leitet aber die hier zu verfolgende Fragestellung auf kongeniale Weise ein: Setzt er doch eine, ja die Vorstellung des abendländischen Mittelalters vom Werden des Apostolikums ins Bild. Und dieses beginnt, wie mancher vielleicht überrascht zur Kenntnis nehmen wird, mit dem Pfingstwunder:

»Danach ›kehrten‹ die Jünger des Herrn ›nach Jerusalem zurück‹ und ›hielten einmütig fest am Gebet‹ (Apg 1,12.14) bis zum zehnten Tag, welcher Pfingsten ist und der Fünfzigste genannt wird, einem Sonntag; und an diesem Tag zur dritten Stunde ›geschah plötzlich vom Himmel ein Geräusch wie das eines gewaltigen herbeikommenden Windes und erfüllte das ganze Haus, in dem‹ die Apostel ›saßen. Und es erschienen unter ihnen zerteilte Zungen wie von Feuer, und dieses saß auf jedem einzelnen von ihnen, und alle wurden sie erfüllt vom Heiligen Geist und begannen in anderen Zungen zu sprechen, wie ihnen der Heilige Geist zu reden eingab‹ (Apg 2,2–4), und sie stellten ein Symbol zusammen, nämlich dieses:

Petrus sagte: ›Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde.‹ – Johannes: ›Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn.‹ – Jakobus: ›Empfangen aus dem Heiligen Geist, geboren aus der Jungfrau Maria.‹ – Andreas: ›Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben.‹ – Philippus sagte: ›Er stieg |17|hinab in die Unterwelt.‹ – Thomas: ›Am dritten Tage erstand er von den Toten auf.‹ – Bartholomäus: ›Er stieg hinauf zum Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters.‹ – Matthäus: ›Von dort wird er kommen, um die Lebenden und die Toten zu richten.‹ – Wiederum Jakobus, (Sohn) des Alphäus: ›Ich glaube an den Heiligen Geist.‹ – Simon Zelotes: ›Die heilige katholische Kirche.‹ – Judas, (Sohn) des Jakobus: ›die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden.‹ – Ebenso Thomas: ›die Auferstehung des Fleisches, das ewige Leben. Amen.‹«[2]

Wie unschwer zu erkennen ist, tritt in dieser Erzählung das Apostolikum an die Stelle, die in der Apostelgeschichte die Pfingstpredigt des Petrus (Apg 2,14–36) einnimmt. Statt eines individuellen folgt ein kollektiver Sprechakt: Nicht einer spricht für alle, vielmehr sind alle Apostel namentlich und mit einem jeweils präzise benannten Beitrag an der Verkündigung des Evangeliums beteiligt. Genauer gesagt nehmen sie teil an der Verfertigung des »Symbols«, d.h. des »Leitfadens« oder der »Richtschnur« für diese Verkündigung, das zugleich auch als |18|»Passwort« verstanden werden konnte, das den Taufbewerbern den Weg zum Empfang des Sakraments eröffnet – wir kommen auf diese Praxis weiter unten zu sprechen. Hier sei zunächst festgehalten: Das Apostolikum, wie wir es bis heute kennen und im Gottesdienst der evangelischen und katholischen Kirchen gebrauchen, ist ein Gemeinschaftswerk aller zwölf Apostel.

Wirklich aller? Wer genau hinsieht, bemerkt, dass einer, nämlich Thomas, zwei Redebeiträge liefert. Es treten also nur elf Sprecher auf, obwohl doch dem Narrativ der Apostelgeschichte zufolge ein neuer zwölfter Apostel, Matthias, bereits vor dem Pfingstereignis ausgelost worden war (Apg 1,15–26) und sich an der geistbewegten Formulierung des Symbols hätte beteiligen können, ja sollen. Hat der Verfasser der Erzählung diesen Ergänzungsspieler übersehen oder bewusst übergangen? Oder gibt es einen inhaltlichen Grund dafür, dass ausgerechnet Thomas eine so prominente Rolle einnimmt? Schon Ferdinand Kattenbusch vermutete, Pirmin lege nicht zufällig beide Erwähnungen der resurrectio – die bereits erfolgte Christi und die noch erwartete der Gläubigen – dem Auferstehungszweifler Thomas in den Mund.[3] Das ist eine ansprechende Vermutung, die freilich in der Quelle keinen ausdrücklichen Anhalt findet. Auch wenn man andere mittelalterliche Texte einbezieht, in denen eine solche zwölfteilige Formulierung des Apostolikums zu finden ist, wird die Sache nicht eindeutiger: Manche gewähren ebenfalls Thomas einen doppelten Auftritt, andere nicht; dort kommt, wie zu erwarten wäre, Matthias zu Wort. Darüber hinaus lässt sich die jeweilige Reihenfolge der apostolischen Wortmeldungen nur in einigen Fällen auf die im Neuen Testament bezeugten (schon hier voneinander abweichenden) Apostellisten (Mt 10,1–4 parr Mk 3,13–19 und Lk 6,12–16; Apg 1,13f.26) zurückführen; andere Texte, so auch der eingangs erwähnte Göttinger Barfüßeraltar, ordnen die Redebeiträge der Apostel ohne erkennbaren biblischen Bezug an.[4] Halten wir also als ein weiteres |19|vorläufiges Ergebnis fest: »Die« Geschichte von »der« gemeinsamen Formulierung des Glaubensbekenntnisses für die individuell zu leistende, aber kollektiv zu verantwortende Mission gibt es nicht.

Dieser Befund lässt sich generalisieren: »Das« Werden »des« Apostolikums, von dem dieser Beitrag handeln soll, ist nicht mit knappen und eindeutigen Strichen zu beschreiben. Denn das Apostolikum war über Jahrhunderte im Werden. Der oben zitierte Text stammt von Pirmin, der im späten Merowingerreich das Kloster Hornbach am Rande der Vogesen gründete und dort bis zu seinem Tod 753 wirkte. Pirmins Scarapsus gilt oft als erster Zeuge für das Apostolikum, genauer: für dessen textus receptus, also für denjenigen Text, der als »Normtext« für die abendländischen Kirchen gelten kann, insofern er im Ordo Romanus aus dem Jahr 1568 und in den 1580 kodifizierten lutherischen Bekenntnisschriften zu finden ist.[5] Das trifft cum grano salis auch zu, wenn man über einige marginale Abweichungen hinwegsieht[6] und wenn man die Frage der möglichen Priorität anderer Kandidaten mangels eindeutiger Indizien für eine Entscheidung auf sich beruhen lässt: Praktisch buchstabenidentische Textfassungen finden wir in einem ohne Kontext überlieferten Text des Credos, in einem Sakramentar aus der sogenannten Collectio Gallica Vetus (dazu sogleich) |20|und in zwei pseudaugustinischen Predigten, von denen eine sogar auf das 6. Jahrhundert zurückgehen mag.[7] Wie dem auch sei: »Der« Text »des« Apostolikums ist erst am Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter bezeugt, und er war nur einer von zahlreichen Texten, die unter dem Label »apostolisch« kursierten. So hat der Textbestand des Bekenntnisses, das wir bis heute als »Apostolisches Glaubensbekenntnis« liturgisch verwenden, zwar ein stolzes Alter von immerhin über 1200 Jahren, aber er reicht in keinem Fall volle 2000 Jahre, also in die Zeit der Apostel, zurück – und, wie wir sehen werden, auch nicht in die Zeit der Apostelschüler oder -enkel.

Die bisherigen Bemerkungen sollten deutlich gemacht haben, dass die Frage nach dem »Werden des Apostolikums« von der Existenz einzelner Textzeugen ausgehen muss, die teils unmittelbar durch die handschriftliche Überlieferung, teils in indirekter Bezeugung in späteren literarischen oder liturgischen Kontexten zugänglich sind. Wir müssen also beachten, was in welcher Zeit und in welchem geographischen Raum »wurde« und wo sich Ähnlichkeiten, ja Konvergenzen ergeben. Um bei den bisher genannten Texten zu bleiben: Diese werden in der Forschung übereinstimmend in Gallien verortet; daher kam Pirmin, und dort entstand auch das bereits erwähnte, in der Collectio Gallica Vetus erhaltene Sakramentar, in das vielleicht schon in der Mitte des 7. Jahrhunderts der Textus receptus des Apostolikums eingefügt wurde. Auch hier spricht nicht Matthias, sondern Thomas den letzten Satz.[8] John N.D. Kelly hat vor fast einem halben Jahrhundert mit Blick auf das mehrfache frühe Auftreten dieses Textes die These vertreten, dass das Apostolikum in seiner später universal gültigen Form im Laufe des 7. Jahrhunderts in Südwestgallien entstanden sei; im Zuge der Reformmaßnahmen in der Zeit Karls des Großen sei es im Frankenreich als Taufbekenntnis quasi kanonisiert und im 10. Jahrhundert auf fränkischen Druck dann auch – »endlich!«, so |21|mag man zwischen den Zeilen lesen – in Rom übernommen worden.[9] Ob der Überlieferungsbefund eine so eindeutige Lokalisierung zulässt, ist allerdings fraglich. Es bieten sich auch andere Kandidaten an: Den ersten Text, der der später normativen Fassung erkennbar ähnelt und der in der Forschung klassischerweise als »Romanum« bezeichnet wird, findet man schon im 4. Jahrhundert, allerdings ausgerechnet in einem im Jahr 341nach Rom gerichteten Brief und obendrein in griechischer Sprache. Ob mit dieser Schrift etwas Neues nach Rom kam oder im Gegenteil etwas Römisches durch einen in Rom um Hilfe nachsuchenden Kleinasiaten zitiert wurde, ist Thema einer angeregten Forschungskontroverse in jüngerer Zeit und wird unten eingehender diskutiert werden.

In den Jahrhunderten zwischen diesem ersten Auftreten des Romanums und der textlichen Stabilisierung des Apostolikums bieten die Quellen eine regionale Vielfalt von mehr oder weniger voneinander abweichenden Texten des Glaubensbekenntnisses, das den Aposteln zugeschrieben wird. Liuwe Westra hat vorgeschlagen, diese Varianten als konkrete regionale »Typen« zu verstehen.[10] Das erklärt manches, aber nicht alles. Mögen auch, wie schon Kelly betonte, die Zeugen für den späteren Textus receptus überwiegend aus Gallien stammen, so trifft dies für den ersten bekannten Zeugen der Zuweisung einzelner Sätze an die Zwölf nicht zu: Es handelt sich um eine anonyme Schrift aus dem 5. oder 6. Jahrhundert, die weder in Rom noch in Gallien, sondern in Norditalien entstand. Unter dem Titel »Über den Glauben an die Trinität, auf welche Weise man ihn auslegt«[11] beginnt dieser Text mit einer Einleitung, die wörtlich mit den ersten Sätzen des Athanasianums übereinstimmt,[12] lässt dann das »apostolische« Credo folgen und schließt mit einer Reflexion der |22|Trinität, die stark an das Nizäno-Konstantinopolitanum erinnert und in knapper Form das entfaltet, was man als lateinischen Neunizänismus bezeichnen kann.[13] Diese Zusammenstellung erinnert an das Neben- und Miteinander der tria symbola Apostolikum, Athanasianum und Nizänum in den lutherischen Bekenntnisschriften, nur dass hier alle drei Zugänge zum Glauben in einen textlichen Zusammenhang gebracht werden. Für das frühe Mittelalter ergibt sich damit ein wichtiger Hinweis: Auf unterschiedliche Weise entstandene Texte werden zusammen gelesen und ergeben ein de facto nicht spannungsfreies, aber offenbar als kohärent wahrgenommenes Ensemble, und zwar insgesamt mit apostolischer Autorisierung. Wir müssen also nicht nur zwischen verschiedenen Textvarianten und -formen des werdenden Apostolikums unterscheiden, sondern auch die Einbettung dieser Texte in ihre Kontexte bedenken, denn ein apostolisches Pedigrée wurde offensichtlich auch weiteren Texten zugeschrieben.

Damit dürften hinreichend Warnschilder aufgestellt sein, um endlich in medias res gehen zu können. Im Folgenden will ich dem Werden des Apostolikums in drei Schritten nachspüren: Ein erster Gang führt uns vom apostolischen Kerygma zur Entstehung als apostolisch deklarierter Glaubensbekenntnisse (Abschnitt 2.). Sodann kommen frühe Formen des späteren »Apostolikums«, insbesondere das jüngst wieder diskutierte »Romanum« in den Blick; es ist dabei zu fragen, ab wann wir mit welchen Gattungen rechnen können und wo »Römisches« und »Apostolisches« zusammenfinden (Abschnitt 3.). Schließlich muss untersucht werden, was dem Glaubensbekenntnis vom frühchristlichen Kerygma bis zum »fertigen« Apostolikum an Glaubensgehalten zugewachsen ist – das ist vor allem eine entfaltete Summe des Christusgeschehens, aber auch die communio sanctorum (Abschnitt 4.).

Ich stütze mich bei alledem auf neuere Forschungen zu den Glaubensbekenntnissen aus dem zurückliegenden Vierteljahrhundert, insbesondere aber auf die 2017 erschienene, umfassende Quellensammlung »Faith in Formulae« von Wolfram Kinzig und auf dessen |23|weitere Arbeiten, denen nicht nur die Erschließung und Einordnung bisher unbeachteten Materials, sondern auch neue Erkenntnisse und Hypothesen zum Thema zu verdanken sind.[14] Doch stellt gerade die erwähnte Quellensammlung die Komplexität der Überlieferungs- und Interpretationsgeschichte vor Augen und macht en passant deutlich: Über das Apostolikum und seine zahlreichen Verwandten ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Es kann naturgemäß auch im begrenzten Rahmen dieses Beitrags nicht gesprochen werden. Was Dichtung und was Wahrheit des Apostolischen am Apostolikum ist, hoffe ich freilich aufzeigen zu können; damit den Rahmen für die weiteren Beiträge im vorliegenden Band abzustecken, ist das Ziel meines Beitrags, weshalb dessen Einsichten in der Schlussbemerkung (5.) noch einmal pointiert zusammengefasst werden.[15]

2.Vom apostolischen Kerygma zu apostolischen Glaubensbekenntnissen

2.1.Das eine Symbolum und die vielen Apostel

Die Vorstellung, die auf dem Göttinger Barfüßeraltar dokumentiert ist, dass die zwölf Apostel je einen Satz zum authentischen Bekenntnis des christlichen Glaubens beisteuerten, begegnet – wie gesagt – erst am Ausgang der Spätantike. Der Gedanke einer gemeinsamen Verantwortung der Apostel für den von ihnen zu verkündigenden Glauben und seine Formulierung ist jedoch erheblich älter. Das Missionsnarrativ der Apostelgeschichte wurde seit dem 2. Jahrhundert |24|einerseits im Blick auf das individuelle Geschick der ersten Jünger Jesu fortgeschrieben – das Ergebnis ist das Corpus der sogenannten apokryphen Apostelakten.[16] Doch gilt schon dem 1. Clemensbrief (verfasst um das Jahr 100 n. Chr.) auch die kollektive Tätigkeit der Apostel als fundamental für die Ausbreitung des Evangeliums:

»(Die Apostel) wurden durch die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus mit Gewißheit erfüllt und durch das Wort Gottes in Treue gefestigt, zogen dann mit der Fülle des Heiligen Geistes aus und verkündeten die frohe Botschaft vom Kommen des Gottesreichs.«[17]

Ein Dreivierteljahrhundert später stellt Irenaeus von Lyon († nach 190 n. Chr.) fest, die christliche Wahrheit sei nirgendwo anders als in der Kirche zu finden, »denn die Apostel haben in ihr wie in einem großen Vorratsraum alles in größter Vollständigkeit zusammengetragen, was zur Wahrheit gehört, so daß jeder, der will, aus ihr den Trunk des Lebens nehmen kann (vgl. Offb 22,17).«[18] Tertullian († nach 215) beschreibt, wie Christus seine zwölf Jünger als »Lehrer für die Heiden bestimmte«,[19] und postuliert (wie bereits Irenaeus), dass die rechte christliche Lehre in den von den Aposteln selbst gegründeten Gemeinden zu finden sei, da die Wahrheit das sei, »was die Gemeinden von den Aposteln, die Apostel von Christus, Christus von Gott empfingen.«[20] Wir beobachten hier jenen Prozess der Formierung kirchlicher Identität, den Georg Kretschmar vor dreißig |25|Jahren treffend als »Sammlung um das apostolische Evangelium« bezeichnet hat,[21] den man in moderner Diktion aber auch als Institutionalisierung beschreiben könnte, als Entwicklung von Formen und Medien der Gewährleistung von Dauerhaftigkeit im Wandel.[22] In einer Phase der Herausbildung trennscharfer Unterscheidungen von »Orthodoxie« und »Häresie« – was voraussetzt, dass solche Differenzbestimmungen material und kategorial eben noch nicht fixiert waren – diente die Berufung auf »das Apostolische« als Kriterium,[23] und zwar gerade nicht aufgrund der individuellen, sondern der kollektiven Verkündigung der Apostel. Die rechten Jünger Jesu konnten in Bezug auf den ihnen von Christus anvertrauten Glauben auf keinen Fall uneins gewesen sein!

Die Frage ist nun, in welcher Form der apostolische Glaube zugänglich war, den die Apostel den Gemeinden hinterlassen hatten. Für spätere Generationen galt diese Frage längst als geklärt. Ambrosius von Mailand (†397) leitete seine Explanatio Symboli ad initiandos, eine Darlegung des bei der Taufe zu bekennenden Glaubens, die um 390 geschrieben wurde, mit einer Bezugnahme auf die Gestalt dieses Glaubens ein:

»Die heiligen Apostel kamen also zusammen und verfertigten eine kurze Zusammenfassung des Glaubens, damit wir in knapper Form die folgerichtige Anordnung des ganzen Glaubens erfassen sollen. Kürze tut nämlich not, damit dieser stets im Gedächtnis und in lebhafter Erinnerung gehalten werden möge.«[24]

|26|Wenige Zeilen später spricht Ambrosius ausdrücklich von einem symbolum – einem »Erkennungszeichen« für Christen, mit dem die Katechumenen, an die er seine Predigt richtete, vertraut gemacht werden sollten.[25] Zutreffend leitet Ambrosius den Begriff symbolum aus dem Griechischen ab, bestimmt seine Bedeutung im Lateinischen aber irrigerweise als collatio, dessen Etymologie nicht zu σύμβολον, sondern zu συμβολή führt.[26] Auch Rufin von Aquileia (†411/12) referiert die fälschliche Ableitung, bietet daneben als Alternative jedoch die zutreffenden Synonyme indicium und signum.[27] Der Begriff symbolum, den später auch Pirmin verwendet, begegnet im Christentum seit Tertullian, jedoch erst seit dem späten 4. Jahrhundert mit Bezug auf einen fixierten Text.[28] So definiert der jüngere Zeitgenosse des Ambrosius, Niketas von Remesiana († ca. 414), symbolum wie folgt:

»Ein symbolum ist ein Medium der Erinnerung an den Glauben und ein heiliges Bekenntnis, welches gemeinschaftlich von allen gehalten und gelernt wird.«[29]

Hier und ebenso bei etwa zeitgleich wirkenden Theologen wie Rufin oder Augustin (†430), aber schon bei Ambrosius sind die symbola, die Katechumenen erklärt werden, Glaubensbekenntnisse im Sinne feststehender Texte, die dem uns bekannten Apostolikum mehr oder weniger ähneln. Auf die Textgestalt(en) kommen wir noch zu sprechen. Hier sei zunächst darauf hingewiesen, dass die Autorisierung durch alle Apostel, die schon im frühen Christentum zu beobachten ist, bei Ambrosius noch durch die Präzisierung als zwölf Apostel erweitert wird: »Da es nun also zwölf Apostel sind, gibt es auch zwölf einzelne Sätze«[30] – die dann auch zitiert werden, aber ohne sie in |27|diesem Text ausdrücklich mit Namen zu verbinden. Umgekehrt zählen die zwischen 375 und 400 n. Chr. in Antiochien aus teils viel älterem Material kompilierten Apostolischen Konstitutionen namentlich alle zwölf Apostel (nach Mt 10,1–4 und Apg 1,26) auf, referieren aber ohne eine konkrete Aufteilung in Bekenntnissätze »die katholische Lehre als Stütze für euch, denen die Aufsicht über die ganze (Kirche) anvertraut ist.«[31] Eine ähnliche Transformation ist im 4. Jahrhundert in frühchristlichen Kirchenordnungen zu verzeichnen: So wurden Textteile aus der um 100 n. Chr. verfassten Didache in mindestens zwei Fällen auf elf (!) Apostel aufgeteilt.[32] Es lag offensichtlich nahe, auch das dem Apostelkollektiv zugeschriebene symbolum des Glaubens zu (re-)individualisieren.

2.2.Der eine Glaube und die Vielgestalt von Credotexten

Daneben ist noch eine weitere Autorisierungsstrategie in der lateinischsprachigen Christenheit zu erkennen: der Bezug auf die Kirche von Rom. Ambrosius stellt diesen Bezug dort her, wo er über die Unveränderlichkeit des symbolum spricht: So wie die Johannesapokalypse verbietet, ihrem Text etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen (Offb 22,18f.), »wie sollten wir das Bekenntnis, das wir als überliefert und erstellt von den Aposteln empfangen haben, besudeln?« Das sei ferne! Denn, so Ambrosius weiter, »das ist das Bekenntnis, das die römische Kirche bewahrt, wo der erste unter den Aposteln, Petrus, saß und die (allen) gemeinsame Äußerung übermittelte.«[33] In einem Brief |28|an Siricius von Rom erwähnt Ambrosius um 390 ausdrücklich »das apostolische Glaubensbekenntnis, welches die römische Kirche stets unbefleckt hütet und bewahrt.«[34] Rom als »petrinischer« Bischofssitz ist demnach der Ort, wo die normative Formulierung des Glaubens zwar nicht produziert, aber zuverlässig tradiert wird. Woran man das sachlich festmachte, verdeutlicht Rufin in seinem um 404 verfassten Kommentar zum Symbolum, nämlich an dessen in Rom bewahrter Unversehrtheit:

»In verschiedenen Kirchen finden sich einige Zusätze zum Wortlaut (des Bekenntnisses der Apostel). In der römischen Kirche jedoch nicht, ein Umstand, den ich daher ableite, dass keine einzige Irrlehre dort ihren Ursprung genommen hat; zudem, weil dort die alte Sitte besteht, dass diejenigen, welche das Sakrament der Taufe empfangen wollen, öffentlich, d.h. in Gegenwart des gläubigen Volkes das Symbolum laut hersagen; die Beifügung aber auch nur eines einzigen Wortes hören zu müssen, hätten die, welche schon früher den Glauben angenommen, nicht ertragen. An andern Orten aber – soweit ich sehe – scheinen in Rücksicht auf gewisse Häretiker einige Zusätze gemacht worden zu sein und zwar solche, durch welche man den Sinn einer neuen Lehre gänzlich auszuschließen glaubte. Wir indes werden jenem Wortlaut folgen, den wir in der Kirche von Aquileia bei der Taufe empfangen haben.«[35]

Rom ist – so könnte man pointiert sagen – der Ort, an dem Orthodoxie durch Orthopraxie bewahrt wird, nämlich durch die richtige Praxis des Umgangs mit dem rechten Glauben. Die Berechtigung dieses Anspruchs mag hier auf sich beruhen; die Berufung auf das »von den Aposteln überlieferte Glaubensbekenntnis« wird jedenfalls im 5. Jahrhundert bei römischen Päpsten zur stehenden |29|Redewendung.[36] Wichtiger ist im vorliegenden Zusammenhang, dass Rufin ausdrücklich auf den Umstand hinweist, dass das eine Bekenntnis der Apostel je vor Ort in unterschiedlichen Textfassungen existiert, sodass zwar – knapp gesagt – der Glaube der Römer vorbildlich sein mochte, der Text es aber nicht ohne Weiteres war. Das macht ein Vergleich zwischen den aus Rufins Kommentar zu rekonstruierenden, in Aquileia bzw. Rom in Gebrauch befindlichen Texten des Credos deutlich:[37]

Credo von Aquileia (A)

Romanum (R)

Credo in deo, patre omnipotente,

invisibile et impassibile,

Credo in deo, patre omnipotente,

et in Iesu Christo,

unico filio eius, domino nostro,

et in Iesu Christo,

unico filio eius, domino nostro,

qui natus est de spiritu sancto ex Maria virgine,

qui natus est de spiritu sancto ex Maria virgine,

crucifixus sub Pontio Pilato et sepultus,

crucifixus sub Pontio Pilato et sepultus,

descendit in inferna;

tertia die resurrexit;

tertia die resurrexit;

ascendit in caelos; sedet ad dexteram patris;

ascendit in caelos; sedet ad dexteram patris;

inde venturus iudicare vivos et mortuos;

inde venturus iudicare vivos et mortuos;

et in spiritu sancto,

et in spiritu sancto,

sanctam ecclesiam,

sanctam ecclesiam,

remissionem peccatorum,

remissionem peccatorum,

carnis resurrectionem.

carnis resurrectionem.

Die Abweichungen sind nicht sehr zahlreich, aber inhaltlich signifikant, so insbesondere der Hinabstieg in die Unterwelt. Rufins eigener Erklärung zufolge müsste in Aquileia eine diesbezügliche Häresie vorgelegen haben, auf die mit der Einfügung des Halbsatzes descendit in inferna geantwortet worden wäre. Für die hier verfolgte Fragestellung ist weniger wichtig, inwiefern dies zutrifft – Rufin selbst »konnte nicht viel Licht über die Interpolation der Klausel verbreiten«[38] –, |30|sondern was daraus für die Herausbildung des Textes des Apostolikums zu lernen ist. Das führt uns zur Frage, wie sich apostolischer Glaube und apostolisches Glaubensbekenntnis zueinander verhalten, konkret: was es zu bedeuten hat, dass das Credo von Aquileia dem Apostolikum textlich tatsächlich nähersteht als das Romanum – und zu welchem Zeitpunkt wir letzteres überhaupt als Vergleichsgröße nachweisen können.

3.Vom »markellischen« Romanum (zurück) zu den frührömischen Tauffragen

3.1.Markell von Ankyra als Urheber des Romanums? Eine rezente Debatte

Rufin ist einer der ältesten Zeugen für das Romanum, und er ist zudem der erste, der die Vielfalt der Bekenntnisse in der westlichen Kirche ausdrücklich reflektiert.[39] In der zitierten Passage nimmt er |31|darüber hinaus Bezug auf die Riten der traditio und redditio symboli: Vor der Taufe, entweder noch im Zusammenhang des katechetischen Unterrichts oder bereits während des liturgischen Ritus, mussten die Täuflinge das Bekenntnis »zurückgeben«, d.h. auswendig rezitieren, das ihnen der Bischof oder Katechet zuvor »übergeben«, nämlich vorgesprochen und ausgelegt hatte.[40] Um das Jahr 400 war das in Aquileia, Rom, Mailand und Hippo ein fest etablierter Usus. Diese Praxis verband sich mit der »Arkandisziplin«, mit der rein mündlichen Weitergabe des Glaubens, damit dieser nicht von unberufenen Ohren mitgehört und dadurch profaniert würde. Schon vor den ersten ausdrücklichen Zeugnissen aus dem Westen des Reiches ist dieser Brauch auch in Jerusalem nachzuweisen: Dort bezeugt die Pilgerin Egeria für die 380er Jahre die traditio und redditio symboli,[41] ebenso Bischof Kyrill (†387) in seinen 351 gehaltenen Tauf- und den vermutlich späteren Mystagogischen Katechesen.[42] Um die Mitte des 4. Jahrhunderts ist aber auch in Rom bereits der Ritus und damit die Verwendung eines Glaubensbekenntnisses nachweisbar, sofern man der allerdings erst um 400 verfassten Darstellung in Augustins Confessiones in dieser Hinsicht Glauben schenken darf:

»(Das Glaubensbekenntnis) pflegt von denen, die (als Täuflinge) hintreten zu deiner Gnade, in Rom in festgesetztem Wortlaut, der dem Gedächtnis eingeprägt worden ist, von erhöhtem Ort im Angesicht des Volkes abgelegt zu werden.«[43]

Welcher Text wurde bei diesem öffentlichen Akt verwendet? Augustin selbst bietet keine eingehenderen Informationen und zitiert das |32|Bekenntnis auch nicht. Nach Rufin wäre es das von ihm selbst bezeugte Romanum. Doch schreibt auch er ein halbes Jahrhundert nach der Zeit, in der Augustins Bericht von der Taufe des Marius Victorinus spielt, in dessen Zusammenhang Augustin den katechetischen Brauch erwähnt.[44] Es gibt freilich noch eine frühere Textform des Romanums, die in der Forschung seit jeher eine große Rolle gespielt hat, und dies seit mehr als dreihundertfünfzig Jahren.

Schon im Jahr 1647 identifizierte der Erzbischof von Armagh, James Ussher,[45] als ältesten Zeugen für das Romanum einen 341 auf Griechisch verfassten Brief des Markell von Ankyra (†374) an Bischof Julius von Rom (†352).[46] Markell, in den auf das Konzil von Nizäa folgenden Auseinandersetzungen kirchenpolitisch ins Abseits geraten und seines Bischofsamtes enthoben, suchte Rehabilitation mithilfe römischer Autorität.[47] Eine Synode behandelte seine Causa im Frühjahr 341. Julius schrieb den in Antiochien versammelten Gegnern Markells, dieser habe, »als er von uns gebeten wurde, über seinen Glauben zu sprechen, mit einer solchen Freimütigkeit geantwortet, daß wir erkannten, daß er nichts außerhalb der Wahrheit bekannte.«[48] Markell selbst verfasste im Anschluss an die Synode eine theologische Darlegung, die er dem Synodalbrief beizulegen bat.[49] Vieles spricht dafür, dass er in diesem Schriftstück zusammenfasste, was er bereits auf der Synode vorgetragen hatte, um seine |33|Orthodoxie zu untermauern.[50] Und hierin findet sich ein Abschnitt, der dem von Rufin bezeugten Romanum und dem späteren Apostolikum frappierend ähnelt:[51]

Romanum (R)

Romanum nach Markell (griechisch)

Credo in deo, patre omnipotente,

Πιστεύω οὖν εἰς θεὸν παντοκράτορα

et in Iesu Christo,

unico filio eius, domino nostro,

καὶ εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν,

τὸν υἱὸν αὐτοῦ τὸν μονογενῆ, τὸν κύριον ἡμῶν,

qui natus est de spiritu sancto

ex Maria virgine,

τὸν γεννηθέντα ἐκ πνεύματος ἁγίου

καὶ Μαρίας τῆς παρθένου,

crucifixus sub Pontio Pilato

et sepultus,

τὸν ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου σταυρωθέντα

καὶ ταφέντα

tertia die resurrexit;

καὶ τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἀναστάντα

ἐκ τῶν νεκρῶν,

ascendit in caelos;

sedet ad dexteram patris;

ἀναβάντα εἰς τοὺς οὐρανοὺς

καὶ καθήμενον ἐν δεξιᾷ τοῦ πατρός,

inde venturus iudicare vivos et mortuos;

ὅθεν ἔρχεται κρίνειν ζῶντας καὶ νεκρούς·

et in spiritu sancto,

καὶ εἰς τὸ ἅγιον πνεῦμα,

sanctam ecclesiam,

ἁγίαν ἐκκλησίαν,

remissionem peccatorum,

ἄφεσιν ἁμαρτιῶν,

carnis resurrectionem.

σαρκὸς ἀνάστασιν,

ζωὴν αἰώνιον.

Dieser Text ist für die Frage nach dem Werden des Apostolikums von größtem Interesse, weil es sich um den ältesten erhaltenen Bekenntnistext aus dem Westen des Römischen Reiches handelt. Zwar war bereits von der Synode von Nizäa (325) ein Glaubensbekenntnis formuliert worden, dem in den 340er und besonders in den 350er Jahren eine ganze Reihe ähnlich gebauter Formeln folgen sollte. Solche deklaratorischen Texte, die der Sicherung des Glaubens in einer knappen Formel dienten, waren im Westen aber offenbar weder gebräuchlich noch überhaupt bekannt: Noch 359 informierte Hilarius von Poitiers (†367) gallische, germanische und britische Bischöfe über die Existenz und Notwendigkeit solcher Glaubensbekenntnisse, |34|die diesen bislang noch gar nicht untergekommen seien.[52] In Rom gab es zu diesem Zeitpunkt immerhin schon eins – aber was für einen Text haben wir da vor uns?

Die Frage, die sich nun stellt, ist letztlich die nach der Henne und dem Ei: Zitierte Markell um der Anerkennung seines rechten Glaubens willen ein Bekenntnis, das die römischen Synodalen als ihr eigenes erkennen würden? Das ist die klassische These, die von Ussher bis Kelly vertreten und in der neueren Diskussion von Westra bekräftigt worden ist.[53] Der Brief und das darin enthaltene Bekenntnis wurden auf Griechisch verfasst, damit beides den Adressaten im Osten zugänglich wäre. Der griechischsprachige Markell hätte dann ein lateinisches Bekenntnis selbst übersetzt (oder übersetzen lassen) oder auf einen Text zurückgegriffen, der aus der Zeit stammt, als die Liturgiesprache in Rom noch das Griechische war, also vermutlich aus dem 3. Jahrhundert oder gar noch früher. Oder übernahm die römische Gemeinde für den katechetischen Gebrauch ein Credo, das Markell ad hoc formuliert und der Synode vorgelegt hatte? Das ist die These, die Markus Vinzent 1999 vorstellte und die gut ein Jahrzehnt lang die Diskussion über die Entstehung des Romanums bzw. des Apostolikums befeuert hat.[54] Dann wäre zu überlegen, wann und von wem ein von Markell selbst auf Griechisch formuliertes Bekenntnis ins Lateinische übersetzt worden wäre, um in die römische Taufunterweisung integriert zu werden.

Was die Übersetzungen in die eine oder andere Richtung anbelangt, gibt es m. W. keine plausiblen Hypothesen. Gestritten wurde aber engagiert über die Vinzent’sche These eines markellischen Ursprungs des Apostolikums. Verhielte es sich so, wäre das nicht zuletzt durch den Umstand bemerkenswert, dass das meistgebrauchte Bekenntnis im Westen, das Apostolikum, von einem Theologen stammt, |35|dessen Vorstellung einer eschatologischen Wiederzusammenfassung der heilsgeschichtlich entfalteten Trias zur uranfänglichen Monas im 381 abgefassten Nizäno-Konstantinopolitanum mit scharfem Widerspruch bedacht wird.[55] Das mag auf sich beruhen. Wichtiger für die hier verfolgte Fragestellung ist, dass Vinzent nicht als erster beobachtet, aber die weitestgehenden Schlüsse daraus gezogen hat, dass das Romanum unstrittig erstmals bei Markell zu finden ist und vor dem Jahr 341 als Text keine unmittelbare Vorgeschichte hat – jedenfalls keine, die in der heute zugänglichen Überlieferung Spuren hinterlassen hätte. Dann bestünde konsequenterweise das Apostolische am Apostolikum nicht in einer personalen Traditionskette, sondern in der kreativen und letztlich sehr erfolgreichen Zuschreibung neuerer Lehrbildungen an die Apostel. Es gäbe dreihundert Jahre nach dem Ausschwärmen der Apostel über den Erdkreis also durchaus ein Werden des Apostolikums, das aber nicht zuerst in Rom und nicht als Romanum, sondern gewissermaßen als »Markellum« das Licht der Welt erblickt und dann in Rom Karriere gemacht hätte.[56]

Diese These hat nur zum Teil Anklang gefunden; die Diskussion ist mittlerweile wieder abgeebbt.[57] Uta Heil hat in Auseinandersetzung |36|mit Vinzent die Vermutung vorgetragen, dass möglicherweise die römische Synode, die sich mit Markells Orthodoxie befasste, selbst ein Bekenntnis formulierte und ihm vorlegte, das dann dieser übernahm (und nicht andersherum).[58] Träfe dies zu, trüge »diese Passage aus Markells Brief doch zu Recht den Namen Romanum«.[59] Wenn freilich auf dieser Synode »die Theologie Markells verhandelt wurde«, erklärt dies m.E. – gegen die These Uta Heils – gerade nicht, »warum in diesem Text die im Osten heftig umstrittenen Begriffe und Thesen kaum vorkommen«. Ihr zufolge sei »traditionelles Material«, teils aus frühchristlichen regulae fidei, und Informationen aus der Frühphase des trinitarischen Streites (von Alexander von Alexandrien übermittelt) verarbeitet worden. Dass der meinungsstarke und literarisch produktive Markell als Protagonist der jetzt laufenden Debatte, der eindeutig die Sympathien der römischen Synode genoss, keinen Einfluss auf die inhaltliche Präzisierung gehabt hätte, erscheint jedenfalls erklärungsbedürftig, zumal die verwendete Gattung des Bekenntnisses im Westen offensichtlich neu war. Man hätte daher auch, wenn man Uta Heil folgt, eher mit einem neuen Romanum als einem traditionellen Text zu rechnen.

|37|3.2. (Fast) zurück zu den Aposteln: Die frührömischen Tauffragen

Bei alledem ist unbestritten, dass ein in Rom genutzter Bekenntnistext vor dem 4. Jahrhundert nicht zu identifizieren ist – wenn man nicht aus dem Brauch der Taufkatechese automatisch auf ein dieser zugrundeliegendes Bekenntnis schließen will, was reine Spekulation wäre. Der vielleicht ernüchternde Befund passt freilich zu der weiter ausgreifenden These, dass überhaupt erst die Reichssynoden des 4. Jahrhunderts deklaratorische Bekenntnisse formuliert hätten. Das betonte nicht erst Markus Vinzent, sondern schon lange zuvor Hans von Campenhausen, und Adolf Martin Ritter ist ihm darin mit guten Gründen und weitgehender Zustimmung der Zunft gefolgt.[60] Das Nizänum (oder das in seiner Authentizität freilich notorisch umstrittene und zudem nur in späterer syrischer Übersetzung erhaltene Credo der Synode von Antiochien 324/25) wäre dann das erste Bekenntnis seiner Art.[61] Hingegen handelt es sich bei dem von Euseb von Caesarea († ca. 340) auf dem Konzil von Nizäa vorgelegten Bekenntnis entgegen einer lange vorherrschenden Ansicht[62] nicht um das in seiner Heimatgemeinde übliche Taufbekenntnis, sondern um ein frühes Exemplar der sogenannten »Theologenbekenntnisse«, wie es im selben Zeitraum z.B. auch Arius und ihm folgende alexandrinische Kleriker verfassten.[63]

Wie aber konnte man in der älteren Forschung auf den – teils auch noch in der gegenwärtigen Literatur nachwirkenden – Gedanken kommen, dass es schon länger das Romanum und damit eine Vorstufe |38|des Apostolikums gegeben habe, wenn dies doch textlich nicht nachweisbar ist? Dafür lassen sich drei Gründe nennen, denen neuerdings einhellig widersprochen wird:

Die Unterscheidung von Glaubensregeln und deklaratorischen Bekenntnissen wurde nicht hinreichend beachtet.[64] Es gibt durchaus konfessorische Kontinuität seit dem frühen Christentum, nur liegt diese offensichtlich nicht in der Existenz und Nutzung von textlich fixierten Bekenntnissen zu antihäretischen, katechetischen oder liturgischen Zwecken, sondern in dem flexiblen Instrument der regula fidei, das etwa bei Irenaeus von Lyon oder Tertullian belegt ist. Deklaratorische Bekenntnistexte sind vor dem 4. Jahrhundert nicht belegt, weder in Rom noch anderswo.

Freilich hat man seit der Entdeckung der Traditio apostolica und deren Zuschreibung an Hippolyt von Rom († ca. 235) gemeint, einen direkten Blick in die Praxis der römischen Kirche werfen und aus der Nähe des (postulierten) Taufbekenntnisses dieses Textes mit dem Romanum und einigen Texten bei Tertullian eine römische Bekenntnistradition rekonstruieren zu können.[65] Die Möglichkeit, aus der nicht im Original erhaltenen und wohl fälschlich Hippolyt zugewiesenen Traditio apostolica Schlussfolgerungen über römische Riten im frühen 3. Jahrhundert ziehen zu können, ist mittlerweile allerdings nachhaltig erschüttert.[66] Gerade die Tauffragen scheinen das Gepräge der trinitätstheologischen |39|Debatten der Zeit nach Markell zu tragen. Würde man daher die lateinische Übersetzung der Traditio apostolica auswerten, die in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts entstand, hätte man es mit einem zeitlich nach Markells Brief zu verortenden Text zu tun,[67] nicht mit einer älteren oder gar apostolischen Tradition.

Schließlich ist die Forschung über weite Strecken davon ausgegangen, dass auch schon in vorkonstantinischer Zeit die Taufunterweisung anhand eines fixierten Bekenntnisses vorgenommen worden sei, obwohl dafür ein klarer Beleg aus der Zeit vor Kyrill von Jerusalem, Augustin und anderen fehlt.[68] Weithin üblich waren hingegen Tauffragen, meist in trinitarischer Gestalt, und blieben es auch im 4. Jahrhundert und weit darüber hinaus.[69] Nicht deklaratorische, wohl aber interrogatorische Bekenntnisse hat es also im Christentum lange vor den Konzilien der Reichskirche gegeben! Auf Tauffragen weist möglicherweise schon der »westliche« Einschub in der Perikope über die Taufe des Kämmerers aus Äthiopien hin (Apg 8,37), der ins 2. Jahrhundert gehört;[70] sicher ist der Bezug auf Tauffragen bei Cyprian von Karthago, d.h. in der Mitte des |40|3. Jahrhunderts.[71] Und dieser Brauch, der zunächst ein rein »westliches« Phänomen gewesen zu sein scheint, führt uns sehr wohl auf römische Spuren.

Es ist eine bemerkenswerte Ironie der Forschungsgeschichte, dass von Harnack und Kattenbusch bis Lietzmann und Kelly die in der Traditio apostolica und anderen Texten überlieferten Tauffragen, die es offensichtlich gab, immer wieder zur Rekonstruktion von etwas anderem benutzt worden sind, was es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gab – ein deklaratorisches Bekenntnis, das in der Katechese oder Taufliturgie Verwendung gefunden hätte.[72] Dagegen hat Wolfram Kinzig gezeigt, dass die Tauffragen für sich genommen Interesse verdienen, wenn es um eine römische Traditionslinie geht. Dieses Set von Fragen ist im Sacramentarium Gelasianum Vetus, der ältesten erhaltenen römischen Agende aus dem 7. Jahrhundert,[73] überliefert und wird hier den Tauffragen aus der Traditio apostolica gegenübergestellt:

|41|Traditio apostolica (lat.)

Sacramentarium Gelasianum Vetus

[Credis in deum, patrem omnipotentem?][74]

Credis in deum, patrem omnipotentem?

Credis in Christum Iesum,

filium dei,

Credis et in Iesum Christum,

filium eius unicum, dominum nostrum,

qui natus est de spiritu sancto ex Maria virgine

natum

et crucifixus sub Pontio Pilato

et mortuus est et sepultus

et passum?

et resurrexit die tertia

et ascendit in caelis et sedit ad dexteram patris

venturus iudicare vivos et mortuos?