Die Rock'n'Roll-Diät - Lüc Carl - E-Book

Die Rock'n'Roll-Diät E-Book

Lüc Carl

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Beschreibung

Für den Barkeeper und Vollblutrocker Lüc Carl gehört es zum Geschäft, mit seinen Gästen und Kollegen abends einen über den Durst zu trinken - und er macht seinen Job mit Leidenschaft. Als sich jedoch Alkohol und schlechtes Essen sichtbar auf seinen Körperumfang auszuwirken beginnen, fasst Lüc Carl einen Entschluss: Wenn Leute es mit einer Keks-Diät zum Idealgewicht bringen, dann schafft er das auch mit einer Rock'n'Roll-Diät, die ihm seine allabendlichen Drinks weiterhin gestattet. Dieses Buch dokumentiert die einzigartige Geschichte eines überzeugten Rockers, der innerhalb von zwei Jahren 20 Kilo abgenommen hat. Er absolviert ein Sportprogramm, das beim Zwei-Kilometer-Lauf beginnt und sich konstant bis zur Teilnahme am Marathon steigert. An seinem Lifestyle jedoch ändert sich nichts - Lüc Carl steht nach wie vor hinter der Bar und trinkt einen mit seinen Gästen - nur macht er neuerdings eine bessere Figur dabei.

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Seitenzahl: 341

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LÜC CARL

DIE ROCK’N’ROLL-DIÄT

WIE MAN SICH IN FORM TRINKT

INHALT

Was du hier liest, ist eine wahre Geschichte; nur die Namen wurden geändert, um die Schuldigen zu schützen.

FÜR BABY DOLL

DISCLAIMER

Liebes Arschloch,

mein Verleger meinte, ich müsste für euch Schwachköpfe da draußen einen Disclaimer schreiben. Ihr wisst schon: »Dieses Buch kann den Rat eines Arztes oder Gesundheitsspezialisten nicht ersetzen; bevor du deine Ernährung oder dein Trainingsprogramm umstellst, solltest du einen Arzt oder irgendeinen anderen Vollidioten konsultieren«, bla bla bla. Okay, pass auf:

Früher habe ich mir bei der Arbeit regelmäßig einen angetrunken, die Bar dicht gemacht, Eye of the Tiger aufgelegt und versucht, die Frauen, die vom Abend übrig geblieben waren, mit einarmigen Liegestützen zu beeindrucken. Eines Samstags konnte ich nach so einer Aktion meine rechte Schulter nicht mehr bewegen. Danach war meine Schulter ganze zwei Wochen im Arsch – und das nur, weil ich es in meinem Rausch für eine grandiose Idee gehalten hatte, um vier Uhr morgens in einer Bar eine Show abzuziehen.

Die Rock’n’Roll-Diät ist kein Diätplan nach dem Motto »Sauf dir ordentlich einen an, bevor du ins Fitnessstudio gehst und dein Crosstraining machst«, okay? Der Sinn der Rock’n’Roll-Diät ist nicht, erst zu saufen und dann zu trainieren. Und wer denkt, ich wollte Leute zum Trinken bewegen, ist bescheuert. Jedes Kind weiß doch, dass man sich nicht sechs Shots Jacky hinter die Binde kippen und dann 5 Kilometer laufen gehen kann. Die Rock’n’Roll-Diät ist einfach nur meine Art, mich als Klugscheißer aufzuspielen und jedem anderen »[bitte ausfüllen] Diät«-Buch im Regal den Stinkefinger zu zeigen.

Das hier ist meine Geschichte. Wenn du ein Problem damit hast, schreib dein eigenes Scheißbuch.

Lüc Carl

Vorwort

DIE ABWÄRTSSPIRALE

Es war der Tag vor meinem 28. Geburtstag und ich machte zusammen mit meinen zwei Freunden Newman und Seth Urlaub auf den Bahamas. Nachdem wir den ganzen Nachmittag damit verbracht hatten, am Strand kaltes Bier zu trinken, fuhren wir mit dem Taxi in ein hübsches Hotel, das ungefähr 25 Kilometer von unserem siffigen entfernt war. Dort hingen wir ein paar Stunden im Hotelkasino rum, haben Steaks gegessen, uns ein paar Drinks genehmigt, Zigarren geraucht und richtig schön die Sau rausgelassen. Es war ein Montagabend, was bedeutete, dass wir rechtzeitig wieder in unserem siffigen Hotel sein mussten, um unsere Wetten für das Montagabend-Footballspiel abzugeben. (Wir wussten von vornherein: Hätten wir uns das Spiel in dem schönen Hotel angeschaut, hätten wir es nie nach Hause zurück geschafft. Also tauschten wir unsere Chips ein und nahmen uns ein Taxi zum runtergekommenen Teil der Insel, wo wir hingehörten.)

Wir hatten den ganzen Tag, wie eigentlich jeden Tag, getrunken, was das Zeug hielt, aber irgendein Kick fehlte uns noch. Also quatschte Seth den Fahrer an, wo wir Gras besorgen könnten. »Kein Problem«, meinte der. »Ich weiß da jemanden, ich bring euch hin.« Da es nur noch 15 Minuten bis zum Kickoff waren, ließen Newman und ich uns zum Hotel fahren, damit wir rechtzeitig unsere Wetten abgeben konnten. Seth blieb im Taxi, gab mir 100 Dollar und meinte, ich solle mir eine Mannschaft aussuchen und 50 Dollar auf sie setzen – ich habe natürlich die ganzen 100 Dollar verwettet. In der Zwischenzeit gaben Newman und ich unsere eigenen 100-Dollar-Wetten ab, bestellten noch ein paar Cocktails und schauten uns das Spiel an.

Als das erste Viertel vorbei war, hatte Seth sich immer noch nicht blicken lassen. Wir waren in einem fremden Land ohne Handys unterwegs und mit unseren langen Haaren und den Tattoos konnten wir mehr Aufsehen erregen als die bärtige Frau von Coney Island. Aber Seth ist ein harter Kerl, dachte ich. Mit ein paar Dealern kommt der schon klar – zu Hause in Brooklyn steht an jeder Ecke einer rum. Außerdem waren Newman und ich schon richtig gut dabei und kümmerten uns einen Scheiß um irgendwas, außer unserem Kartenspiel und Biernachschub natürlich. (Dummerweise war ich beim Telefonat mit dem Football-Typen zu Hause so betrunken gewesen, dass ich das Geld auf die falsche Mannschaft setzte und wir die 300 Dollar verloren.)

Als das zweite Viertel losging, setzten wir uns hin und spielten eine Runde Blackjack. Dann tauchte endlich Seth auf. »Wo zum Teufel hast du so lange gesteckt?«, fragte ich.

Seth warf die Arme in die Luft. »Ich hatte eine AK-47 in der Fresse!«

Und das kam so: Als das Taxi vor dem Haus des Dealers hielt, kamen zwei riesige Typen raus, um sich Seth genauer anzusehen. Sie waren Einheimische, die sich im Militär-Look rausgeputzt hatten. Schulter an Schulter und mit verschränkten Armen liefen sie auf ihn zu. Dann machten beide gleichzeitig einen Schritt zur Seite und ein dritter Mann kam zum Vorschein, der mit einem vollautomatischen Maschinengewehr bewaffnet war und es direkt auf Seths Gesicht richtete.

»Ach du Scheiße! Was hast du gemacht? Ich hätte mir vor Angst in die Hosen geschissen!«, meinte ich.

»Hab ich auch!«, rief er. Aber zum Glück hatten die Dealer dem weißen Typen, der den Arsch in der Hose hatte, sie in ihrem Viertel aufzusuchen, nur einen Schrecken einjagen wollen. Sie waren so nett, ihn gehen zu lassen, ohne ihm vorher die Seele aus dem Leib zu prügeln.

»Das heißt dann wohl, du hast das Gras nicht gekriegt, oder?«, meinte ich abschließend.

»Und wie ich das gekriegt hab! Lass mal nach oben gehen, einen drehen.«

Dass wir keine Papers hatten, war nicht weiter schlimm, denn wir konnten uns ja an der Hotelbibel, genauer gesagt, an der ersten Seite des Lukasevangeliums, bedienen. Dann haben wir die Lautsprecher aus dem Zimmer eingesackt und uns auf den Weg zum Strand gemacht. Wir hatten einen iPod voller Rock’n’Roll, eine Flasche Whiskey und eine Tüte Gras dabei – es roch nach Ärger. So lief ein ganz gewöhnlicher Tag in meinem verrückten, vor Alk triefenden Leben ab. Ziemlich ungewöhnlich ist allerdings, dass ich mich daran erinnern kann.

Ende 2008 bestand mein Leben nur noch aus Party. Die Tage habe ich verpennt, die Nächte durchgesoffen. Zu der Zeit habe ich einen richtig geilen, abgeranzten Laden auf der Rivington Street in der Lower East Side geschmissen. Das Viertel war echt das Letzte, voll von krassen Rockern – Typen mit Haaren bis über die Schultern und Lederhosen zum Schnüren. Ich habe einfach nur die zwei Sachen an den Mann gebracht, die mir das Liebste auf der Welt waren – Black Sabbath und billiges Budweiser –, und konnte gut davon leben. Es war ein Gefühl, als würde mir die Welt zu Füßen liegen. Meine Kumpels und ich hatten drei Dinge gemeinsam: Wir liebten Alkohol, wir liebten Rock’n’Roll und wir wollten nichts anderes als Partymachen und Spaß haben. Keiner von uns war wirklich verheiratet, auch wenn wir die Frauen, die wir liebten, »unsere Frauen« nannten. Für unsere Freundinnen hatten wir nie irgendwelche Namen. (Es ist nämlich so, wie ich immer sage: Wenn du deine Freundin nicht fickst, ist sie nicht mehr deine Freundin. Aber wenn du deine Frau nicht fickst, ist sie trotzdem deine Frau.) Wir nannten uns die »Rivington Rebels«, jeder Tag in unserem Leben war ein neues Kapitel im interaktiven Rock’n’Roll-Spielbuch – wir wussten nie, wie die Nacht verlaufen würde, aber sie nahm garantiert ein abenteuerliches Ende. Die Sache hatte nur einen Haken: Das jahrelange Saufen begann, sich langsam zu rächen. Mein Normalzustand bewegte sich ständig irgendwo zwischen betrunken und verkatert. Ich war alles andere als in Form, war übergewichtig, fühlte mich beschissen und musste mir stündlich Ibuprofen einwerfen, um irgendwie durch den Tag zu kommen. Je lustiger die Nacht, so schien es mir, desto weniger konnte ich mich am nächsten Morgen selbst ertragen.

Ich erinnere mich vor allem an einen Abend, als einer von meinen Jungs Geburtstag hatte und wir alle zusammenkamen, um mit ihm zu feiern. Wir hatten auch eine Mission, die darin bestand, in jeder Bar auf unserem Weg Irish Car Bombs zu trinken. (So was würden wir normalerweise nie bestellen, und genau deshalb haben wir es an diesem Abend gemacht. Schließlich hatte mein Kumpel Geburtstag.) Und da wir jeden Barkeeper in NYC kannten, der es wert war, gekannt zu werden, mussten wir eh nirgends bezahlen. (Doch da wir echt noble Typen sind, haben wir natürlich überall genug Trinkgeld dagelassen, um unsere Getränke und unseren Klopapierverbrauch zu decken. Also geht uns deswegen nicht auf den Sack, wenn ihr wollt, dass wir wiederkommen.) Wie auch immer, irgendwann gegen drei Uhr morgens haben das Geburtstagskind und ich beschlossen, wir sollten mit »One Bourbon, One Scotch, One Beer« weitermachen, wie in dem Song von John Lee Hooker/George Thorogood. Das lief so, dass wir die beiden Shots direkt hintereinander in uns reingeschüttet und dann mit Bier nachgespült haben. Wie man sich vorstellen kann, endete diese Nacht in einem Desaster.

Das Letzte, woran ich mich erinnere, sind zwei Polizisten, die mich mitten auf der Straße wachgerüttelt haben. Ich lag mitten auf dem Weg auf dem Rücken und hatte keinen blassen Schimmer, wie ich dahin gekommen war. Einer von den beiden tippte mich an und meinte: »Hey, wo wohnst du?« Ich setzte mich auf, schaute mich um und starrte direkt auf meine Haustür. Irgendwie hatte ich es zurück nach Brooklyn geschafft, was echt nicht ohne ist, nur um dann vor meiner Wohnung auf dem Gehweg zu ratzen.

»Ich wohne genau in diesem Haus. Wie zur Hölle bin ich hier auf der Straße gelandet?«

»Keine Ahnung«, antwortete der Polizist. »Aber du solltest schleunigst da raufgehen und deinen Rausch ausschlafen.« Es war ein Wunder, dass er mich nicht auf der Stelle festgenommen hat.

An mehr kann ich mich nicht erinnern, aber anscheinend bin ich danach in die Wohnung getorkelt, habe meine »Frau« angerufen (die gerade nicht in der Stadt war) und dann erst mal zehn Minuten lang gekotzt. Im Gegensatz zu mir konnte sie sich daran erinnern. Es gibt solche Erlebnisse, die einen dazu bringen können, sein Leben zu überdenken. Zum Beispiel, wenn man feststellt, dass man sich nicht mal mehr daran erinnern kann, dass man gekotzt hat.

Jeder normale Mensch wäre vor Schreck sofort nüchtern geworden. Aber jetzt mal ehrlich, was ist schon normal? Am nächsten Abend war ich jedenfalls schon wieder am Start und habe mir die Kante gegeben, so wie immer eben. Mir ging ganz einfach alles am Arsch vorbei. Ich war ein »Whiskey Rock a Roller« und ich konnte mir nichts vorstellen, was etwas daran hätte ändern können. Im Nachhinein habe ich richtig Schwein gehabt. Eigentlich sogar mehrmals die Woche. Die Alkoholvergiftungen und die »Wie-bin-ich-bloß-nach-Hause-gekommen?«-Fragen wiederholten sich in kürzer werdenden Abständen. Mir fiel immer wieder diese Szene aus Ich glaub’, mich knutscht ein Elch ein, in der Egon (von den Ghostbusters) mit Bill Murray um drei Dollar wettet, dass er keine fünf Liegestütze schafft. Und tatsächlich bewegt sich Bill Murray kaum einen Zentimeter. »Ich muss wieder in Form kommen«, sagt er. »Es wird Zeit, dass ich trocken werde. Sonst erlebe ich nicht mal mehr meinen dreißigsten Geburtstag.«

Irgendwann um den Dreh starb dann auch noch mein Großvater (bei seiner Beerdingung habe ich mich vollkommen abgeschossen) und daraufhin habe ich angefangen, mich mit meiner Familiengeschichte auseinanderzusetzen: Im Alter von 58 Jahren hatte mein Großvater bereits drei Herzinfarkte und vier Bypass-Operationen hinter sich, auch so ziemlich alle anderen Männer in seiner Familie hatten mit Mitte, Ende Fünfzig einen Herzinfarkt erlitten. Mein anderer Großvater war bereits an einem Schlaganfall gestorben, der durch Alkohol und Zigaretten verursacht worden war. Er war Hardcore - Raucher gewesen. Bevor er sich eine Zigarette anzündete, hat er immer die Filter von seinen Zigaretten abgerissen. (Als ich zehn war, habe ich ihn einmal gefragt, warum er das machte, worauf er wörtlich antwortete: »Weil, als ich in deinem Alter war, nur Pussys Filterzigaretten geraucht haben.«) Seiner Frau, meiner Stiefoma (mein Opa hat übrigens nicht nur keine Party ausgelassen, sondern war noch dazu ein Frauenheld), wurde eine halbe Lunge entfernt, was sie aber nicht davon abgehalten hat, sich nach ihrer Entlassung als Erstes eine Zigarette anzuzünden. Mit der einen Hand schob sie den Wagen mit dem Sauerstoffbehälter, in der anderen hielt sie eine Zigarette. Mein Vater war früher auch so ein Hurensohn gewesen, der nur ans Feiern dachte (bis er Vater wurde jedenfalls). Aber er hatte das Glück, eine gute Frau zu haben, die ihm die meisten seiner schlechten Angewohnheiten austreiben konnte.

Die hatte ich zu der Zeit nicht. Mein Liebesleben war ein einziges Chaos (meine »Frau« hatte die Nase voll von dem ganzen Scheiß), meine Wohnung sah aus wie Sau, ich war fett und aufgeschwemmt und in meinem Kopf wütete ein Zirkus voller Tiger und Trapezkünstler. Das Einzige, was sie dazu brachte, ihre Kunststücke sein zu lassen, war eine Gehirnamputation, die wiederum nur mit einer Flasche Whiskey glückte. Alle meine Freunde hatten ein Suchtproblem, doch ich rechtfertigte meinen Lebensstil damit, dass die anderen viel tiefer in der Scheiße steckten als ich. Um mich herum nahmen alle Kokain, rauchten Gras, schluckten Schmerztabletten und schliefen mit Frauen, die sie sonstwo aufgabelten – und das jeden Tag. Da ich ja fast nur legale Drogen nahm, Alk und Zigaretten, hielt ich mich allen Ernstes für das gute Vorbild in unserer Gruppe. (Ich bin auch nie fremdgegangen. Im Gegensatz zu den anderen »Rebels« konnte ich Frauen nie auf die Liste meiner Laster setzen.) Es war einfach nur so, dass ich keine Ahnung hatte, dass es da draußen eine ganze Welt voller glücklicher, gesunder Menschen gab, die ein »normales« Leben ohne Alkohol und Drogen führten. Selbst wenn ich Normale-Leute-Sachen gemacht habe, zum Beispiel ins Kino gegangen bin, habe ich immer noch einen Joint geraucht und ein Sixpack mit reingeschmuggelt.

Abgesehen vom vielen Feiern war mir überhaupt nicht bewusst, wie schlecht ich mich auch sonst ernährte. Jede Nacht habe ich mir, wenn ich sturzbetrunken nach Hause kam, erst mal ein Cheesesteak-Sandwich reingefahren. Jeden Morgen bin ich neben einer leeren Bierflasche aufgewacht, in der natürlich ein aufgeweichter Kippenstummel am Boden lag, habe mir dann irgendwas Fettiges vom Diner bestellt und nach dem Essen weitergeschlafen, bis es Zeit war, zur Arbeit zu gehen. Es kam mir noch nicht mal in den Sinn, dass ich mich ungesund ernährte. Ich hatte ganz einfach keinen Schimmer, dass man auch was anderes essen konnte als frittiertes Zeug oder rotes Fleisch. Ich wusste ja noch nicht mal, was rotes Fleisch war. (Ich dachte, damit wären rohe Hamburger gemeint, rohes Fleisch ist schließlich rot. Wenn ich aber keine rohen Hamburger esse, esse ich folglich auch nur normales Fleisch. Logisch, oder?) Auf die Gefahr hin, dass ich mich jetzt wie der letzte Schwachkopf anhöre – ich glaube, es geht vielen Singles so. Oder auch den Amerikanern im Allgemeinen. Wir denken kaum darüber nach, was wir essen, es ist eher eine Gewohnheitssache. Und an diesen Gewohnheiten halten wir unser Leben lang fest. Von den meisten Sachen, die wir täglich essen, wissen wir nicht, dass sie einen hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren, Cholesterin oder Natrium haben – was auch immer gesättigte Fettsäuren sind.

Jedenfalls habe ich mich mal hingesetzt und ein bisschen gerechnet: Ein Erwachsener nimmt bis zu seinem Tod pro Jahr durchschnittlich ein halbes Kilo zu. Ich hatte noch ungefähr sechzig Jahre vor mir, aber schon knapp 20 Kilo zu viel auf den Rippen. Demnach würde ich mit mindestens 50 Kilo Übergewicht unter die Erde kommen. (Allerdings war es bei meinem Umfang realistischer, dass mir nur noch dreißig oder vierzig Jahre blieben.) Obwohl meine Kumpels alle den gleichen Scheiß gegessen haben wie ich, sind sie nicht fett geworden – was, wie mir erst später klar wurde, mit den Drogen zu tun hatte. Offensichtlich war ich der Einzige von den Jungs, der mit seinem Körper unzufrieden war, und das hat mich angekotzt. Ich wollte sexy sein. Ich wollte mich einfach nur in meiner Haut wohlfühlen (ohne mich schämen zu müssen, mein T-Shirt auszuziehen). Ich konnte mich selbst nicht so lieben, wie ich es wollte. Und je unglücklicher ich wurde, desto mehr habe ich getrunken, um meinen Frust zu verdrängen. Doch dann geschah etwas, das mir endgültig den Rest gab: Meine Frau hat mich verlassen. Sie meinte, sie könnte sich das Elend nicht mehr mit anschauen, packte ihren Kram zusammen und fuhr Richtung Westen, um ihre Träume zu verwirklichen. Am Anfang habe ich sie dafür gehasst. Ich dachte, dann verpiss dich halt, wenn du keinen Bock mehr hast. Doch nach einer Woche habe ich kapiert, dass sie recht hatte. Ich war ein Häufchen Elend und es war nicht ihre Schuld, sondern meine. Ich war das saufende Arschloch. Ich selbst hätte mich auch verlassen.

Was ich fast 28 Jahre lang nicht kapiert habe: In der ganzen Zeit hatte ich, neben Alk und Zigaretten, noch mit einer ganz anderen Sucht zu kämpfen. Wenn man übergewichtig ist und sich beschissen ernährt, ist das auch eine Sucht, und da wieder rauszukommen, kann genauso so schwer sein wie aus einer Heroinabhängigkeit. In meinem Job bekommt man einiges mit und ich habe oft erlebt, dass Freunde von mir mit den Drogen übertrieben haben. Wenn sie es dann schafften, clean zu werden, fing es immer damit an, dass sie vollkommen am Boden waren, jenseits von Gut und Böse.

Mein Freund Kurt, ein langhaariger Bassist, wurde einmal auf dem Weg zu seiner Mutter nach Pittsburgh von der Polizei angehalten … mit 3,5 Gramm Kokain. Das Koks haben die Bullen nie gefunden (er hatte es in seinem Hosenbund versteckt), dafür aber eine leere Tüte, die er in die Getränkehalterung in seinem Van gestopft hatte. (Ich habe diesen Van geliebt! Er war ein ausgebauter GMC-Van und hieß Michelle. Michelles Einrichtung bestand aus schwarzem Leder, einem ausklappbaren Bett und einer gut gefüllten Bar im hinteren Teil des Wagens. In diesem Van habe ich viele Nächte verbracht. Wenn wir von Bar zu Bar cruisten, kuschelte ich mich mit meiner Traumfrau ins Bett, rauchte einen Joint und hörte Humble Pie.) Aber zurück zu Kurt: Die Bullen haben das Tütchen gefunden und ihn auf der Stelle festgenommen. Irgendwie hat er es aber geschafft, das Koks aus dem Hosenbund zu nehmen und runterzuschlucken, bevor sie im Revier ankamen. So wurde er nur wegen des Besitzes von Drogenutensilien angeklagt und kam am nächsten Morgen frei. Von dort musste er allerdings geradewegs ins Krankenhaus und sich den Magen auspumpen lassen. Als sie ihn dann eine Woche später endlich entließen, ging er direkt zu den NAs (Narcotics Anonymous). Seitdem ist er clean.

Mein Kumpel Slob Rob hatte ein ernsthaftes Koksproblem. Seiner Familie zuliebe ging er immer wieder in die Entzugsklinik, in der er mit der Zeit zum Dauergast wurde. Denn kaum kam er raus, war er wieder voll dabei. Sein Markenzeichen war, dicht bis oben hin zu irgendeiner Afterparty aufzubrechen, sich hoffnungslos zu verfahren, sein Auto irgendwo abzustellen und mit dem Taxi weiterzufahren. Dem Fahrer versuchte er dann eine ganze Weile verständlich zu machen, wo er vielleicht, vielleicht aber auch nicht, hin wollte. Wo er sein Auto geparkt hatte, konnte er sich natürlich auch nicht merken. So zuverlässig, dass man die Uhr danach stellen konnte, riefen am nächsten Tag die Bullen an, um ihm mitzuteilen, dass sein Wagen beschlagnahmt worden war. Slob Rob konnte sich jedoch nicht dazu entschließen, clean zu werden, bevor er seinen Job, seine Wohnung, seine Frau, und im Grunde auch den Verstand verloren hatte. Er musste wieder nach Hause zurückziehen, weil ihn in der Stadt alles an sein altes Leben und seine Sucht erinnerte.

Man muss ganz unten angekommen sein, um die Motivation und die Willensstärke aufzubringen, sein Problem in Angriff zu nehmen – ob mit 55, weil einen gesundheitliche Probleme plagen, oder mit 25, weil man per Gerichtsbeschluss einen Entzug aufgebrummt bekommt. Mein persönlicher Tiefpunkt war die Trennung von meiner Frau. Sie brachte mich endlich so weit, dass ich abspecken und mir mein Leben zurückholen wollte. Von nun an würde ich alles daran setzen, das gesündeste, attraktivste und reizendste Arschloch auf dem Planeten zu werden.

Doch das war schwieriger als gedacht. Einen ganzen Monat lang versuchte ich erfolglos, mir einen Plan auszudenken. Da ich nicht die geringste Ahnung hatte, wo ich anfangen sollte, beschloss ich, mich weiterzubilden, und stattete der Gesundheits- und Fitnessabteilung im Buchladen einen Besuch ab. Ich las mich durch einen Haufen Bücher, die alle von irgendwelchen Ärzten und anderen Arschlöchern geschrieben waren und mir gehörig auf den Sack gingen. Die Sixpack-Diät, Die Big-Breakfast-Diät, Die Ich-Diät, Die Scarsdale-Diät, Die South-Beach-Diät, Die Atkins-Diät, Die neue Atkins-Diät, Die aktuelle Atkins-Diät und– das glaubt einem kein Mensch – Die Keks-Diät. Ich dachte, ich spinne. Ein Buch mit dem Titel Die Keks-Diät, wollen die mich verarschen?

Mit meinem Job ist es so gut wie unmöglich, gesund zu leben. Allein schon die Arbeitszeiten können einen in den Wahnsinn treiben – man sieht nie das Tageslicht und ist obendrein ständig von Betrunkenen umgeben. In diesen Büchern stand allerdings immer dasselbe: Wenn du schlank werden willst, musst du dir das Trinken abgewöhnen. Das kam absolut nicht infrage, und außerdem: Ich darf nicht trinken, aber in dem Regal da steht ein Buch, das Die Keks-Diät heißt? Die haben ja wohl einen Knall!

Ich würde so abnehmen, wie ich das wollte, und ein Buch darüber schreiben – Die Rock’n’Roll-Diät –, um es den Ärzten unter die Nase zu reiben. Es geht mir nicht darum, den Leuten was vorzuschreiben; ich will einfach nur erzählen, wie ich es geschafft habe. Ich bin kein Scheißyogalehrer oder Ernährungsberater oder Olympiasieger. Ich bin Barkeeper, ein ganz normaler Mensch. Und da ich nicht zu den Leuten gehöre, die in einem perfekten Körper geboren wurden, will ich mit dieser Geschichte auch anderen Mut machen, die genauso sind wie ich.

Eines Tages habe ich mich mit einer Flasche Wein an den Computer gesetzt und angefangen, zu tippen, das ging anderthalb Jahre so weiter. Ich fing auch an, Leuten zu erzählen, dass ich an einem Buch schrieb. Denn ich dachte mir, wenn ein paar Leute davon wissen, dann wird der Traum auch wahr. Wer mich kennt, weiß, dass ich keine Scheiße laber – wenn ich sage, dass ich ein Buch schreibe, dann schreibe ich das verdammte Buch auch. Und wie man sieht, habe ich es geschrieben. In der Zeit, in der ich nicht mit Arbeiten, Trainieren oder Joggen beschäftigt war, saß ich in meinem kleinen quadratischen Zimmer, das ich mein Zuhause nenne, tippte Buchstabe um Buchstabe und erzählte meine Geschichte: Wie ich mich bei der Arbeit betrank und am nächsten Morgen 15 Kilometer laufen ging – wie ich Schritt für Schritt wieder in Form kam, abnahm und ein Stück meines Lebens zurückgewann.

An einem kühlen Dezembermorgen, es war mein dreißigster Geburtstag, lief ich meinen ersten vollständigen Marathon – 42,195 Kilometer – und das unter vier Stunden. Was ich damit sagen will: Wenn dieses fette, betrunkene, kettenrauchende Arschloch das kann, dann kannst du es auch. Und jetzt will ich euch erzählen, wie ich mich »in Form getrunken« und 20 Kilo abgenommen habe.

1. Teil

POMMES UND METHADON ODER: SCHEISS AUF DEN KETCHUP

WARNUNG: Dieses Buch wurde nicht ganz nüchtern geschrieben.

1. Kapitel

Wie bin ich bloß so fett geworden?

Lücs Gesetz: Wenn dir was auf den Sack geht, tu was dagegen

Ich bin in einem Maisfeld 30 Kilometer südlich von Omaha, Nebraska, bei einem Rocker - Paar aufgewachsen. Ohne Scheiß, zu ihrem 30. Hochzeitstag sind meine Eltern zu einem Ozzy - Osbourne - Konzert gegangen. Wäre mein Vater nicht gewesen, wäre ich heute wahrscheinlich so ein Weichei mit Kurzhaarfrisur und würde Michael Bolton hören. (Obwohl, wäre es nach meiner Mutter gegangen, wäre ich ganz einfach ein Mädchen geworden.)

Meine Mutter war Friseurin und ihr Salon war bei uns im Keller, wofür ihr mein Vater neben der Garage einen eigenen Eingang gebaut hatte. Sie hat sich Tag für Tag den Arsch abgerackert und irgendwelchen Bauersfrauen und Lutheranern Stachelfrisuren und Dauerwellen verpasst, weshalb es im ganzen Haus immer nach Wasserstoffperoxid und Mentholzigaretten roch.

In dem Salon bin ich groß geworden. Meine ersten Jahre verbrachte ich in einem Kinderbett neben den Waschbecken. Als ich ein bisschen größer war, hatte ich ganz gut damit zu tun, einen 35 Jahre alten Föhn hochzuklettern und 65-jährigen, blauhaarigen Frauen die Lockenwickler aus den Haaren zu ziehen, während sie im National Enquirer lasen und jede einzelne dieser Scheißgeschichten glaubten – wie die über den Hund mit zwei Köpfen oder die über den Gouverneur von South Dakota, der überraschenderweise keine Eier hatte. Im Nachhinein ist klar, woher ich die Obsession mit meinen Haaren hatte – meine Mutter hat es zwar nicht geschafft, ein Mädchen aus mir zu machen, aber der Versuch war verdammt gut.

Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem ich den Rock’n’Roll für mich entdeckte – ich war neun und hatte die Nase voll von dem ganzen Mädchenkram. Dass ich neun war, weiß ich, weil mein Vater zu der Zeit einen blauen 1989er Dodge Dakota hatte, den er in der Auffahrt direkt unter dem Basketballring parkte. (Der Truck war ungefähr ein Jahr alt, das macht das Jahr 1990, und da war ich neun Jahre alt.) An jenem Nachmittag war mein Vater mit dem Auto meiner Mutter in die Stadt gefahren und ich warf in der Auffahrt ein paar Körbe. Aber nach fünf Minuten hatte ich keinen Bock mehr, ständig dem Basketball hinterherzurennen, der vom Dach des Wagens abprallte und in alle Richtungen sprang. Da mir anscheinend nicht Besseres einfiel, kletterte ich in den Truck und setzte mich auf den Fahrersitz.

Mein Vater ist so ein Alleskönner – die Sachen am Auto macht er immer alle selbst und mein Bruder und ich waren früher meistens auch dabei, um ihm Werkzeug zu bringen und so. Als ich also im Auto saß, entdeckte ich, dass der Schlüssel steckte, und dachte, wow, du kannst das Teil hier in Bewegung setzen. Bloß keine Zeit verlieren! Ich drehte den Schlüssel ein kleines Stück nach vorn, voller Sorge, dass mir meine Eltern alle meine Videospiele wegnehmen würden, sollte irgendjemand jemals dahinterkommen, dass ich den Motor gestartet hatte. Und in dem Moment geschah es: Das Radio ging an. Mir gefiel, was ich da hörte. Nein, noch besser, ich war hin und weg davon. Nachdem der erste Song vorbei war, ging der zweite los und ich erkannte – nach einer Weile jedenfalls –, dass sie beide von derselben Band waren. Das konnte kein Radio sein. Das war ein Tape! Ich nahm es aus dem Kassettendeck, ein cremefarbenes Tape, auf dem in schwarzer Schrift »ZZ Top. Deguello« stand. Damals hatte ich keinen Plan, was davon der Name der Band und was der Name des Albums war. Ich hatte auch keine Ahnung, wie »Deguello« ausgesprochen wurde, aber das war egal, ich schob das Tape wieder rein, drehte die Lautstärke auf und beschloss, mich ein wenig umzusehen. Die Musik gefiel mir so gut, dass ich mehr davon wollte.

Andere Tapes fand ich nicht, dafür aber die neueste Ausgabe des Playboy unter dem Fahrersitz und eine Flasche Pfefferminzschnaps. Da saß ich also und blätterte mich durch seitenweise kurvige, nackte Frauen, während Cheap Sunglasses in voller Lautstärke aus den Lautsprechern dröhnte. In dem Moment wusste ich, dass es mich erwischt hatte, ich war nun offiziell ein Rock’n’Roll-Junkie.

Einige Monate später, als ich zehn wurde, schickten mich meine Eltern zu einem Schnupperkurs bei der Schulband. (Meine Eltern waren große Fans von Wahlkursen und die Band war einer davon.) Eigentlich hatte ich Posaune lernen wollen, aber ZZ Top hatte keinen Posaunisten. Daher beschloss ich, Schlagzeuger zu werden. Doch leider musste ich, bevor sie mich überhaupt an die Trommel ließen, bis zum Umfallen Xylophon spielen, um Melodien und Notenlesen zu lernen. Was für eine riesige Scheiße. Ein Xylophon ist wie ein beknacktes Keyboard, nur dass man es noch nicht mal einstecken kann. Hätte ich Klavierspielen lernen wollen, hätte ich mich für eine gottverdammte Klavierstunde angemeldet. Und wie sich herausstellte, war ich, auch wenn ich am Xylophon abkackte, ein genialer Schlagzeuger (nur eben nicht vom ersten Tag an). Meine erste Band hatte ich in der siebten Klasse. Wir nannten uns FLUX und gaben in der Kirche im Ort unsere Metallica-Cover zum Besten. Unseren ersten Gig machten wir klar, bevor wir überhaupt einen Sänger hatten, aber mein Bruder sprang ein – er stand die komplette Show über mit dem CD-Booklet auf der Bühne, um die Lyrics nicht zu versieben.

Im Jahr darauf gründete ich zusammen mit ein paar Typen, die auch in der Gegend zur Schule gingen, eine »richtige« Band. Wir nannten uns 5th Street Capitol (bescheuerter Name, ich weiß), aber wir haben unsere eigenen Sachen gemacht und ganz schön gerockt. Wir waren sogar so gut, dass wir am »Battle of the bands«-Wettbewerb teilnahmen, bei dem man 500 Dollar Preisgeld gewinnen konnte. Wir traten gegen eine Highschool-Band an, die aus lauter reichen Schnöseln bestand, alle älter als wir. Das waren total die Angeber, Schönlinge mit superteuren Gitarren und Amps, die Mami und Papi ihnen spendiert hatten (in meiner Band mussten wir alle nach der Schule arbeiten gehen, um uns unser Equipment anschaffen zu können), aber wir haben sie fertiggemacht. Und kurz darauf wurden uns Gigs in der ganzen Stadt angeboten. Ich war gerade mal 15, als wir eine Show im angesagtesten Rock’n’Roll - Schuppen in Omaha bekamen. Er hieß »The Ranch Bowl«, ein ranziger kleiner Laden mit Platz für 400 Personen, der im Hinterzimmer einer Bowlingbahn untergebracht war. Im Laufe der Jahre hatte ich dort jede Menge Bands spielen sehen – Pearl Jam, Slipknot, 2 Skinnee J’s (die ich mir ganze 14 Mal angeschaut habe), the Urge, 311, the Nixons, lauter Bands, die ich inzwischen nicht mehr höre. Als Teenager in einer Kleinstadt hatten mir die großen Namen der Bands, die jedes Wochenende vorbeikamen, Ehrfurcht eingeflößt. Und auf einmal spielte ich selbst in dem Club, noch bevor ich überhaupt alt genug war, mich selbst dorthin zu transportieren.

5th Street Capitolüberlebte ganze anderthalb Jahre. Der Sänger machte einen auf Primadonna und ich, wenn ich ganz ehrlich bin, auch. Irgendwann zog er weg, um ein Collegestudium zu beginnen, und pendelte noch ein paar Monate zu den Proben, aber da wir uns eh nur noch zofften, löste sich die Band schließlich auf. Danach beschloss ich, dass es an der Zeit war, bei den Großen mitzumischen. Nachdem ich in allen Gitarren- und Schlagzeugläden der Stadt Anzeigen ausgehängt hatte, landete ich in einer Band mit Typen, die alle doppelt so alt waren wie ich. Ich war 17, der Bassist arbeitete tagsüber als Kabelträger und hatte eine Frau und ein Kind durchzubringen. Unsere Musik war zum Kotzen, aber das ging mir am Arsch vorbei. Solange ich Schlagzeug spielen durfte, war ich glücklich.

ZU VIEL DES GUTEN

Bis zu meinem 18. Geburtstag war ich ein ziemlich anständiger Kerl, der nie irgendwelche Scheiße baute. Wenn ich nicht in der Schule war, war ich zu Hause und spielte Schlagzeug. Der einzige Grund, weshalb ich überhaupt zum Unterricht ging, war der, dass die Bandprobe in der ersten Stunde stattfand. Für Mathe oder Chemie hätte ich meinen Arsch garantiert nicht hinbewegt, da wäre ich schön zu Hause geblieben. Doch als ich aufs College wechselte, wurde alles anders. Ich »studierte« Musik an der städtischen Universität, wo sie uns allerdings nur einen Haufen Blödsinn über klassische Musik und Klavierspiel beibringen wollten. Ich wollte Rock’n’Roll-Musik machen und so richtig auf die Kacke hauen. Im Grunde langweilte ich mich dort zu Tode. Und in der vielen freien Zeit, in der ich mich eigentlich mit Musiktheorie hätte beschäftigen sollen, entdeckte ich eine neue Liebe: meine Liebe zum Bier. (Zugegeben: In Sachen Alkohol war ich ein Spätzünder.)

Man kann fast sagen, dass meine Liebe zur Flasche vorprogrammiert war, da ich sie sozusagen im Blut habe. Mein Urururgroßvater, Louis Hanson, war mit den bedeutendsten Bierunternehmern aller Zeiten befreundet: mit Eberhard Anheuser und seinem Schwiegersohn Adolphus Busch. Lustigerweise sind Hanson und Anheuser 1860 zusammen im selben Boot aus Deutschland gekommen. Mein Urururgroßvater fasste letzten Endes in Omaha, Nebraska, Fuß und machte dort eine Bar auf, die er »Hanson’s Saloon« nannte. In der Zwischenzeit kaufte Anheuser eine heruntergewirtschaftete Brauerei in St. Louis, Missouri, auf. Anheuser-Busch war die erste US-amerikanische Brauerei, die ihr Bier pasteurisierte, um es haltbar zu machen (und gekühlte Zugwaggons benutzte), während Hanson’s Saloon als erste Bar außerhalb von St. Louis Budweiser verkaufte. Meiner Familie ist ihr Bier so wichtig, dass meine Eltern ihrem Erstgeborenen – meinem Bruder – Adolphus Busch zu Ehren den Namen Andrew Adolph Carl gaben.

Ich erinnere mich noch an das erste Mal, dass ich mich betrunken habe. Ich hatte vor kurzem am College angefangen, war gerade 18 geworden und überredete meinen Bruder Andy dazu, mir zwei Sixpacks Bier zu besorgen. Dann rief ich die schärfste Braut an, die ich kannte. Sie hieß Lacy (und nein, sie war keine Stripperin … im Gegensatz zu ihrer besten Freundin) und besaß eine weiße Corvette mit roten Ledersitzen. Wir fuhren auf einen Parkplatz, wo wir warmes Bier tranken, bis wir breit waren. Wie ich so mit einer heißen Braut in einem heißen Schlitten saß und Bier trank, das mein Bruder für mich gekauft hatte, kam ich mir vor wie ein ziemlich toller Typ. Nach ein paar Wochen hatte ich allerdings keinen Bock mehr, jedes Mal meinen Bruder anzuhauen, wenn ich in Bierlaune war. Also ging ich mit seiner Geburtsurkunde und seinem Sozialversicherungsausweis zur Führerscheinstelle und meinte, ich hätte meinen Führerschein verloren. Wir lebten in einem so kleinen Kaff, dass sie dort noch nicht einmal Computer hatten. Und zehn Minuten später wurde mir ein Originalausweis des Staates Nebraska ausgehändigt – mit dem Namen und Geburtsdatum meines Bruders, der zweieinhalb Jahre älter ist als ich, und einem hübschen Foto von mir! Kurz darauf fing ich an, jeden Abend Bier zu trinken, und ernährte mich nur noch von Ravioli aus der Dose und gebratenem Hähnchen. Innerhalb weniger Monate hatte ich auf meine ursprünglichen 75 Kilo knapp 15 Kilo draufgeschlagen.

Mit meiner neuen Liebe zum Bier erwachte auch eine neue Liebe zum Feiern. Meine Mitbewohner waren dazu leider nicht zu gebrauchen – der eine war komplett vernarrt in seine Bibel, der andere war ein Computernerd und der dritte eine bekennende schwule Jungfrau, die sich regelmäßig fröhlich in der Badewanne einen runterholte. (Nicht, dass ich dabei gewesen wäre, aber jedes Mal, wenn er ein Bad nahm, konnte ich hören, wie sieben Minuten lang enorme Flutwellen gegen den Rand schwappten.) Mit meinen Mitbewohnern habe ich nur an einem Abend Bier getrunken, was stinklangweilig war, zumal sie nicht getrunken haben und ich als Einziger betrunken war. Ich hatte von einer Party Wind bekommen, die bei irgendeinem Mädchen zu Hause stattfinden sollte, und meinen Bibel-Kumpel so lange bequatscht, bis er mich in meinem Wagen hinfuhr. (Ich war vielleicht ein Suffkopp, aber immerhin ein vernünftiger.)

»Party« war eigentlich zu viel gesagt, sie bestand einfach nur aus einem Haufen 18 - und 19 - Jähriger, die zum ersten Mal allein wohnten und sich das Trinken beibrachten. Eigentlich genau wie die Highschool - Partys, mit dem einzigen Unterschied, dass man hier mit einem Bier in der Hand ganz gute Chancen hatte, abgeschleppt zu werden. (Wahrscheinlich war das bei Highschool-Partys in Wirklichkeit auch nicht anders, ich bin nur nie hingegangen.) Ich saß eine Weile mit meinem öden Mitbewohner und seiner ebenso öden Freundin auf der Couch rum und starrte in die Luft, bis ich einen Typen bemerkte, der sich auch an seinem Bier festhielt. Zu der Zeit hatte ich schon angefangen, mir die Haare wachsen zu lassen, sie waren gerade unterhalb der Ohren angekommen und wussten noch nicht so recht, wohin mit sich. Der andere Typ war haarmäßig genauso unterwegs wie ich und das gefiel mir. Aber am besten gefiel mir, dass er auf einer Kiste Budweiser saß. Also ging ich rüber und meinte: »Hey, ich hab von ’ner Party bei mir im Wohnheim gehört, ich glaub, da gibts die schöneren Frauen. Hast du Bock?«

»Die Party hier ist scheiße«, meinte er. »Lass uns mal losgehen, in meinem Kofferraum ist noch Bier.«

Der Typ, Ryan hieß er, sollte für die nächsten zwei Jahre mein Bandkollege werden (ich war dabei, eine Band mit Typen zu gründen, die ungefähr in meinem Alter waren; wir nannten uns Smith Victer) – und ein Freund fürs Leben. Es dauerte nicht lange und wir beide waren berühmt dafür, dass wir die coolsten Partys auf dem ganzen Campus schmissen. Jede einzelne fand in meinem Zimmer statt – was schon eine krasse Leistung war, da ich direkt über dem Wohnheim-Nazi wohnte, diesem Arschloch, das dafür sorgte, dass auf dem Campus nicht gesoffen wurde. (Mein Kühlschrank war trotzdem bis oben hin voll mit Bier und ich hatte immer einen kleinen Vorrat unter meinem Bett.)

Mein Onkel hatte damals so eine alte Schrottkarre, einen Van, bei dem nur noch fünf von sechs Zylindern funktionierten, und er meinte, wenn ich die Versicherung dafür bezahle, würde er ihn mir schenken. Geile Scheiße! Wir räumten den Wagen aus, pinselten unser Bandlogo auf die Heckscheibe, bauten Sitze ein und legten den ganzen Wagen mit Teppich aus. Zwischen dem vorderen Teil mit den Sitzen und dem hinteren Teil zog ich eine Holzwand ein, damit wir Stauraum für unser Equipment (und natürlich den ganzen Alk) hatten. In die Wand sägte ich eine geheime Luke, die man mit einem Stück Teppich auf- und abdecken konnte und die unsichtbar war, da wir die ganze Wand mit Teppich verkleidet hatten. Sie erwies sich als ziemlich praktisch, wenn wir mit minderjährigen Mädels im Gepäck in eine Polizeikontrolle gerieten. Denn vom Fahrersitz aus konnte man, wenn man nicht von der geheimen Luke wusste, nicht bis nach hinten durch gucken. Schwieriger war es, betrunkene 19 - Jährige dazu zu bringen, zumindest so lange ihre verdammte Klappe zu halten, bis die Bullen mir meinen Strafzettel für das kaputte Rücklicht – oder was immer das Problem des Tages gewesen sein mochte – überreicht hatten.

Nach meinem ersten Jahr war ich acht Mal mit Alkohol erwischt worden, woraufhin ich aus dem Wohnheim flog. (Nach der offiziellen Regel wurde man schon nach drei Mal rausgeschmissen, aber ich konnte eben mit Engelszungen reden.) Außerdem wollten sie, dass ich an den Treffen der Anonymen Alkoholiker auf dem Campus teilnahm, aber das habe ich natürlich schön bleiben lassen. Ich bin ja noch nicht mal zu meinen Kursen gegangen, warum also sollte ich bei so einem Quatsch mitmachen? Am Anfang des vierten Jahres merkte ich plötzlich, dass ich mich für Kurse einschrieb, in denen ich schon drei Mal durchgefallen war. Und dann dachte ich mir: Scheiß doch einfach drauf. Ich hatte eh andere Pläne, wollte in die Großstadt und mit meiner Musik Geld verdienen.

Ich hatte von einer Band gehört, die aus Lincoln, Nebraska, nicht weit von meinem Kaff, nach New York City gezogen war. Da ich keinen von ihnen persönlich kannte (der Name der Band spielt keine Rolle, die kennt ohnehin keine Sau), stöberte ich sie im Internet auf und schrieb ihnen eine E-Mail. (Das war lange vor MySpace und Facebook und Twitter und was uns sonst noch alles erwartet.) Wie sich herausstellte, war die Band gerade auf Tour und plante, ihr Abschiedskonzert in meinem Kaff außerhalb von Omaha zu geben und anschließend wieder nach New York zurückzufahren. Sie antworteten, dass sie mich nicht nur nach New York mitnehmen würden, sondern mir auch ein freies Zimmer in ihrer Wohnung in Brooklyn vermieten könnten! Wie geil! Nach der Show traf ich mich mit meinen neuen Mitbewohnern und wir pennten alle bei einem Freund auf dem Boden. Am nächsten Morgen dann machten wir uns, nachdem wir ein paar Bier gefrühstückt hatten, auf den Weg nach NYC. In nur einer Woche hatte ich die Schule geschmissen, meinen einzigen Besitz verkauft (mein Auto, für 1800 Dollar), meine Band verlassen und mich von meiner Mutter verabschiedet. Dann stieg ich mit zwei Typen, die ich kaum kannte, in einen blauen Van und überquerte zum ersten Mal in meinem Leben die Grenze des Mittleren Westen.

AB IN DIE GROSSSTADT

Wir kamen um fünf Uhr morgens in Brooklyn an und ich war so fertig, dass ich den ganzen ersten Tag verpennte. Am nächsten Tag ging ich zu »Manny’s Music« in der 48th Street und bewarb mich um einen Job. (Einer meiner neuen Mitbewohner arbeitete bei »Rudy’s«, einem Laden für Blechblasinstrumente gegenüber von »Manny’s«. Da ich keinen Plan hatte, wie man von A nach B kam, hatte ich mich einfach an ihn drangehängt, als er zur Arbeit ging.) Da ich zwei Jahre lang Schlagzeuge verkauft hatte, gaben sie mir den Job auf der Stelle. Für 48 Stunden die Woche bekam ich 226 Dollar Netto. Meine Miete betrug 575 Dollar im Monat, es blieb also nicht wirklich viel fürs Feiern übrig – oder auch für eine gesunde Mahlzeit.