Die Rundum-Gesund-Formel - Christina Berndt - E-Book

Die Rundum-Gesund-Formel E-Book

Christina Berndt

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  • Herausgeber: dtv
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Wie wir besser leben, wenn wir das Zusammenspiel der Psychoneuroimmunologie verstehen Das neue Buch von Christina Berndt über die faszinierende Wissenschaft der Psychoneuroimmunologie Rundum gesund zu sein, heißt ganzheitlich gesund sein, und dazu tragen Seele, Nerven und Immunsystem gemeinsam bei. Gefühle und Überzeugungen wirken auf unser Immunsystem, und umgekehrt beeinflusst das Immunsystem Gedanken und Verhalten. Ob Seele, Nerven oder Abwehrkräfte: Wenn nur eines aus dem Gleichgewicht gerät, hat das Folgen für die beiden anderen. Doch wir können viel tun, um dieses Netzwerk gezielt zu stabilisieren. Christina Berndt zeigt, welche Strategien unsere Selbstheilungskräfte und Resilienz steigern und wie wir so unsere Gesundheit ganzheitlich fördern können. »Es gibt keine rein psychischen Krankheiten und auch keine rein körperlichen. Dieses Buch erklärt, wie alles zusammenhängt, und hilft Ihnen, Ihre Gesundheit positiv zu beeinflussen.« Christina Berndt Weitere Bücher der Autorin: - Resilienz - Zufriedenheit - Individuation»Eine der renommiertesten Wissenschaftsjournalistinnen dieses Landes.« Markus Lanz

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Seitenzahl: 414

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Über das Buch

Psychoneuroimmunologie: Das ist das Zusammenspiel von Seele, Nerven und Immunsystem, das für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden immens wichtig ist. Fundiert, sehr anschaulich und lebendig zeigt Christina Berndt, was dieses Netzwerk für uns bedeutet und wie wir es nutzen können.

Wir erfahren: Warum die Kraft der Überzeugung extreme Folgen haben kann und wie wir dieser Macht der Seele Positives abgewinnen können. Warum schlechte Gefühle unseren Abwehrkräften zusetzen, aber Stress in Maßen das Immunsystem auch stärken kann. Wie wir Stress lustvoll erleben und gefährlichen Stress abwenden können. Weshalb Menschen so unterschiedlich mit ein und derselben Krankheit fertigwerden und was wir daraus lernen. Warum der Darm ein Immunwunder ist und wie wir diesen Schatz bewahren können. Was Depressionen mit dem Immunsystem zu tun haben und wie Traumata mit einem geschädigten Nervensystem zusammenhängen. Und natürlich erfahren wir, wie wir dieses faszinierende Netzwerk von Seele, Nerven und Immunsystem für ein gesünderes Leben, für Glück und Ausgeglichenheit nutzen können und welche Strategien dabei am besten wirken.

Christina Berndt

Die Rundum-Gesund-Formel

Das Zusammenspiel von Psyche, Nerven und Immunsystem gezielt stärken

Inhaltsverzeichnis

Widmung

1 Einleitung oder Der Kern der Ganzheitlichkeit

2 Die Macht der Seele

Die Kraft der Gedanken

Die Geburtsstunde der Psychoneuroimmunologie

Ein buntes Miteinander von Wechselwirkungen

3 Ein starkes Team

Das Immunsystem – wie es funktioniert und was es leistet

Wenn das Immunsystem über das Ziel hinausschießt

Weshalb die Immunabwehr von Mensch und Hai so ähnlich ist

Die Immunrevolution

Die Neuen unter den Abwehrzellen

Das Nervensystem – was man darüber wissen sollte

Die Vielfalt des Nervensystems

Die Stressachse – eine direkte Verbindung von Psyche und Nervensystem

Die Seele – was ist das eigentlich?

Die Konzeption der Seele

Wie sich Nahtoderlebnisse erklären lassen

Seele im Gehirn

4 Den Stress zum Freund machen

Die negativen Seiten von Stress

Mehr Infektionen durch Stress

Eine Fehlentwicklung der Evolution?

Stress ohne Ende

Wann Stress gefährlich wird

Wenn das Immunsystem plötzlich um Jahre altert

Was Krebs mit dem Immunsystem zu tun hat

Psychisches Leid oder Infektion – was war zuerst da?

Die fatale Macht negativer Gefühle

Die heilende Rolle von Stress

Wie man schlimmen Stress aussortiert

Zurück zur Kontrolle

Der eigene Blick auf den Stress

Stress lustvoll begegnen

5 Das Rätsel der Pandemie

Risikofaktor Männlichkeit

Mehr als nur ein schwaches Herz: Was Vorerkrankungen so gefährlich macht

Weshalb betagte Menschen besonders gefährdet sind

Wie man sein Immunsystem jung hält

6 Der Darm, das Immunwunder

Die erstaunlichen Leistungen des Darm-Hirns

Geballte Immunpower

Die Krankheiten des Darm-Hirns

Was der Darm für seine Gesundheit braucht

Wie man seinem Darm helfen kann

7 Ein neuer Blick auf Depressionen

Entzündete Seelen

Wenn Autoimmunerkrankungen depressiv machen

Wie sich das Immunsystem am Gehirn zu schaffen macht

Hoffnung gerade für die besonders Kranken

Und jetzt?

8 Das Trauma sitzt in den Nerven

Weshalb manche Menschen stärker gestresst sind

Auch die Nerven außerhalb des Gehirns verändern sich

Der Einfluss der genetischen Grundausstattung

Was Traumata mit Autoimmunerkrankungen zu tun haben

Ein Trauma muss nicht lebenslänglich bedeuten

9 Kraft für Seele, Nerven und Immunsystem

Hab acht!

Der gute alte »gesunde Lebensstil«

Stressbremse Bewegung

Ein Marathon muss wirklich nicht sein

Sport als Antidepressivum

Weshalb frische Luft so gesund ist

Immungesunde Ernährung

Mindful Living

Schlaf als Immun-Booster

Training für den Geist

Die Kraft der Pause

Nicht immer nur Entspannung

Liebe fürs Immunsystem

Gute Laune erfreut Seele, Nerven und Immunsystem

Mehr Resilienz

Dank

Literaturverzeichnis

2 Die Macht der Seele

3 Ein starkes Team

Das Immunsystem – wie es funktioniert und was es leistet

Das Nervensystem – was man darüber wissen sollte

Die Seele – was ist das eigentlich?

4 Den Stress zum Freund machen

Die negativen Seiten von Stress

Die heilende Rolle von Stress

5 Das Rätsel der Pandemie

6 Der Darm, das Immunwunder

7 Ein neuer Blick auf Depressionen

8 Das Trauma sitzt in den Nerven

9 Kraft für Seele, Nerven und Immunsystem

Register

Für meine Doktorväter

Peter H. Krammer und Kurt S. Zänker (verst.),

die meine Begeisterung für die Immunologie weckten

1Einleitung oder Der Kern der Ganzheitlichkeit

Menschen möchten als Ganzes gesehen und auch so behandelt werden, auf der Arbeit, von Freundinnen und Freunden – und erst recht beim Arzt. Und das ist auch vollkommen richtig so. Schließlich ist man nicht als »Bandscheibe« oder »Knie« im Krankenhaus, selbst wenn Ärzte und Pflegende immer wieder genau so über ihre Patientinnen und Patienten sprechen: von der »Hüfte auf Zimmer 117« statt von Frau Michalski. Dabei weiß doch mittlerweile jeder: Ein kranker Mensch ist mehr als seine morschen Knochen, seine schmerzenden Gelenke oder seine außer Rand und Band geratenen Immunzellen. Er hat neben diesem gelegentlich kränkelnden Körper auch noch eine Seele in wechselnder Verfassung, mehr oder weniger gereizte Nerven, eine ihm zeitweise erheblich zusetzende, schwankende Stimmung, ein eher schwaches oder starkes, mitunter gar zu aggressives Immunsystem und natürlich auch seine speziellen Empfindlichkeiten. Zu Recht fordern Patientinnen und Patienten deshalb ein, dass all das auch gesehen und berücksichtigt wird. Gerade, weil dies im modernen Medizinbetrieb kaum noch geschieht.

Seit Ärztinnen und Ärzte immer weniger Zeit für Gespräche haben, seit manche Mediziner mit größerem Stolz ihr neues Ultraschallgerät vorstellen als die hilfsbereite Assistentin, und seit immer teurere Apparate immer häufiger eingesetzt werden müssen, damit sie sich amortisieren, ist der Wunsch von Patientinnen und Patienten nur umso größer geworden, dass man sie doch bitte als ganzen Menschen betrachten und ganzheitlich behandeln möge. Unter solcher ganzheitlichen Medizin verstehen die meisten, dass Ärzte all das im Auge behalten sollen, was den Menschen nun einmal ausmacht: den Körper ebenso wie die Seele und den Geist, die eigene Geschichte ebenso wie die Beziehungen, die man hat, und die Welt, in der man lebt, und natürlich auch die persönlichen Vorlieben. Darauf zu bestehen, ist mehr als nur das Bedürfnis nach Wohlfühl-Medizin, es ist total klug.

Schließlich hat die Seele zusammen mit dem Geist und dem sozialen Umfeld einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Gesundheit des Menschen. Diese Erkenntnis ist mittlerweile so breit akzeptiert, dass sogar die Weltgesundheitsorganisation Gesundheit ganzheitlich definiert: Gesundheit sei »ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen«, schreibt sie. Es reicht deshalb auch nicht, eine Krankheit allein mit Skalpell, Strahlen oder Tabletten zu behandeln. Denn die Seele und der Geist haben mit ihren Gefühlen, Überlegungen und Überzeugungen einen enormen Einfluss auf den Heilungsprozess. Positive Gedanken, Zuversicht und Hoffnung können ihn befördern, Ängste, Verzweiflung, bohrende Sorgen, Schuldgefühle und fatalistische Gedankenspiralen hingegen können die Gesundheit und das Gesundwerden torpedieren, etwa wenn Angehörige die Kranken beunruhigen, statt sie zu unterstützen, wenn Ärzte ihre Patienten mit ihren Worten stärker verletzen als mit dem Skalpell und wenn sich Patientinnen und Patienten mit ihren eigenen Vorstellungen und Denkmustern selbst übel zusetzen, statt die ihnen innewohnenden heilenden Kräfte zu nutzen.

Das Zusammenspiel von Körper und Seele geht jedoch noch weit über diese allgemeine Erkenntnis hinaus: Körper und Seele sind nicht einfach zwei Teile des Menschen, die nebeneinander existieren und nur deshalb in der Medizin berücksichtigt werden sollten, weil sie beide für sich genommen wichtig sind und sich dabei auf geheimnisvolle Weise irgendwie gegenseitig beeinflussen. Ihr Miteinander ist mehr als das. Beide sind eng verwoben, wie die Fäden in einem Webteppich, die sich gegenseitig halten und die auseinanderfallen, wenn das Gegenstück nicht mehr existiert. So funktioniert nichts im Menschen ohne den anderen, den zweiten Teil.

Wie intensiv und auf welch bemerkenswerte Weise Körper und Seele zusammenwirken, zeigt die neuere Forschung. Das Spannende dabei ist: Ihre Vernetzung ist keineswegs mystisch, esoterisch oder geheimnisvoll. Die Wissenschaft weiß inzwischen ziemlich genau, weshalb die Seele und auch der Geist einen so großen Einfluss auf die Gesundheit und das Gesundwerden des Menschen haben und worin er besteht; was genau im Körper passiert, wenn die Seele leidet oder Trost findet, und wie die Psyche aktiv Prozesse im Körper befördert, die zur Heilung beitragen – was also die Ganzheitlichkeit in ihrem Kern ausmacht. Der Schlüssel dazu nennt sich »Psychoneuroimmunologie«.

So lang und abschreckend der Begriff beim ersten Lesen wirkt: Er reiht einfach all die faszinierenden Kräfte des Menschen aneinander, die so wichtig für seine Gesundheit sind – die Psyche ebenso wie die Nerven und das Immunsystem. Diese drei verbinden sich zusammen zu dem Geflecht, das Körper und Seele miteinander verwebt. Die Seele hat also über das Nervensystem und die Immunzellen einen direkten Einfluss auf die Gesundheit des Körpers, und umgekehrt beeinflussen die Reaktionen von Nerven und Immunsystem den Zustand der Seele. Auch Nerven und Immunsystem wechselwirken: Gereizte Nerven lassen die Abwehrkräfte schwinden, gute Stimmung macht sie stärker. Und ein angeschlagenes Immunsystem trübt die Lebensfreude.

Lange Zeit dachte man, das Immunsystem agiere völlig unabhängig vom Rest des Organismus. Doch mittlerweile hat sich gezeigt: Dem ist nicht so. Es steht vielmehr in engem Austausch mit der Seele und dem Nervensystem, also den beiden anderen – für die Gesundheit des Menschen ebenso unabdingbaren – Mächten im Körper.

Wenn nur eine dieser Mächte Schaden nimmt, dann wirkt sich das auch negativ auf die beiden anderen aus. Wer gestresst ist, leidet damit nicht nur an seiner Seele, auch die Nerven werden angegriffen und das Immunsystem kann Krankheiten nicht mehr gut bekämpfen. Wenn der Geist auf Probleme fokussiert ist, zieht er die Seele und die Abwehrzellen mit in den Abgrund, die Abwehrkräfte schwinden; so sind bei Menschen mit Depressionen oder Ängsten weniger Killerzellen des Immunsystems im Blut aktiv als bei Gesunden. Und wenn das Immunsystem gerade mit aller Kraft gegen ein gefährliches Virus kämpft, dann leiden wiederum Nerven und Seele mit.

Die Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie bilden damit die Grundlage für ein völlig neues Verständnis von Ganzheitlichkeit in der Medizin: Stand diese früher für etwas, von dem man irgendwie wusste, dass es für die Gesundheit wichtig ist, ohne dass es konkret zu greifen war, lässt sich Ganzheitlichkeit mittlerweile mehr und mehr biologisch erklären. Das Zusammenspiel von Seele, Nerven und Immunsystem wird bis in die molekularen und biochemischen Abläufe entschlüsselt.

Je mehr rund um die Psychoneuroimmunologie geforscht wird und je genauer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei tief ins Innere des Menschen blicken, desto deutlicher wird auch: Die Teilung des Menschen in Körper und Psyche, wie sie vor rund 400 Jahren der große Denker René Descartes mit seiner Leib-Seele-Theorie vorgenommen hat, ist problematisch. Einst gab Descartes damit wichtige Anstöße, doch letztlich verhindert diese Vorstellung den ganzheitlichen Blick auf den Menschen. Denn der Mensch lässt sich nicht aufspalten in Körper und Seele, er ist immer beides. An allem, was er tut, was er denkt und was ihm geschieht, sind Körper und Seele beteiligt. Beide sind über physiologische Prozesse so eng miteinander verzahnt, dass man sie nicht trennen kann.

Daraus folgt unmittelbar noch eine weitreichende Erkenntnis: Es gibt keine rein psychischen Krankheiten – und auch keine rein körperlichen. Die Befunde der Psychoneuroimmunologie zeigen vielmehr, was all jene, die schon immer eine ganzheitliche Medizin eingefordert haben, lange wissen: dass alle Krankheiten beides sind, seelisch und körperlich. Dass sie immer psychische, geistige und immunologische Auswirkungen haben. Dass sie folglich so ganzheitlich sind, wie sie behandelt werden sollten. Ganzheitliche Antworten auf Krankheiten hatte der Körper schon gefunden, bevor der Mensch überhaupt nur über ganzheitliche Medizin nachzudenken begann.

Eine Krankheit mag zunächst von der einen Seite ausgehen: Sie mag augenscheinlich erst einmal einen rein körperlichen Ursprung haben, etwa wenn man sich gerade bei einem Unfall das Bein gebrochen, den falschen Pilz gegessen oder sich ein gefährliches Virus eingefangen hat. Sie mag ihren Ursprung auch in der Seele haben, weil man vielleicht schlecht über sich und das Leben denkt oder weil man durch ein schreckliches Erlebnis aus der Bahn geworfen wird und dadurch eine Depression entwickelt. Aber letztlich betrifft sie immer auch die andere Seite. Weil die Reaktion des Menschen sowohl körperlich als auch seelisch ist, geraten beide im Laufe der Erkrankung aus dem Gleichgewicht. Und bei der Vermittlung dieser Wechselwirkungen spielen Nerven und Immunsystem eine maßgebliche Rolle.

Das eröffnet große Chancen. Man hat dadurch nämlich mehrere Möglichkeiten auf einmal, etwas für sein Gesundwerden und Gesundbleiben zu tun. Schließlich ist die Vernetzung von Psyche, Nerven und Immunsystem nicht nur bei der Entstehung einer Krankheit von Bedeutung, diese Kräfte beeinflussen einander auch auf positive, förderliche Weise. Ob Nerven, Seele oder Immunsystem: Jedes Einzelne davon wird stärker, wenn man einen der anderen Teile kräftigt. Man kann sein Immunsystem unterstützen, indem man Geist oder Seele stärkt, und Geist und Seele werden widerstandsfähiger, wenn man etwas für seine Immunabwehr tut. Wer sein Immunsystem aktiviert, zum Beispiel durch Imaginationstechniken, Spaziergänge an frischer Luft, Kaltwassergüsse ins Gesicht oder auch einfach durch kräftiges Singen, der beugt nicht nur der nächsten Erkältung vor, sondern kann im besten Fall auch depressiven Symptomen begegnen.

Umgekehrt können positive Emotionen aber auch das Immunsystem aktivieren und das Gehirn vor Krankheit bewahren. Die förderlichen Effekte von Entspannungstechniken auf die Immunantwort sind inzwischen nachgewiesen, das geht so weit, dass man die Qualität der Entspannung ebenso am Immunsystem ablesen kann wie die Zeit, die man für seine Entspannung aufwendet. Auch kann man seine Körperabwehr pimpen, wenn man lernt, negative Emotionen wie Ärger besser zu kontrollieren, oder wenn man seine Selbstwirksamkeit stärkt, indem man sich mit netten Menschen umgibt, es sich schön macht oder anderen hilft. Gutes für die Seele tun, heißt immer auch: Gutes für sein Immunsystem tun.

Deshalb unterstützen auch soziale Beziehungen, Selbstliebe, Optimismus und ein gutes Selbstwertgefühl – also all jene Faktoren, die zur psychischen Widerstandskraft, der Resilienz, beitragen – zugleich den Geist und das Immunsystem. Das führt dazu, dass herzhaftes Lachen die Produktion von Antikörpern anschiebt, die wiederum den Körper vor Krankheitserregern schützen. Freundliche Worte morgens im Spiegel zu sich selbst sind ähnlich gut für die Gesundheit wie das Obst im Müsli. Sich jeden Tag auf die Suche nach guten Erlebnissen zu machen und nette Überraschungen des Alltags mit einem kleinen – echten oder innerlichen – Luftsprung zu feiern, steigert die Abwehrkräfte und schützt das Gehirn. Und wer lernt, Nervenstärke auch in schwierigen Situationen zu bewahren, unterstützt damit zugleich seine psychische und körperliche Widerstandskraft.

Letztlich kann also alles, was man für seine Seele tut, auch bei der Bewältigung solcher Krankheiten helfen, die klassisch als körperlich verstanden werden. Nicht nur, weil man selbstverständlich besser mit einem Leiden des Körpers, mit Krebs, Schmerzen oder Immobilität zurechtkommt, wenn man psychisch gestärkt wird. Sondern ganz direkt, weil die Seele, die Nerven und das Immunsystem so phantastisch zusammenarbeiten und sich gegenseitig stützen können. Davon kann man jeden Tag profitieren.

Die Psychoneuroimmunologie kann somit helfen, einen wahren Schatz zu heben. Denn dank ihrer Erkenntnisse können wir Krankheit und Gesundheit in ihrer Ganzheitlichkeit verstehen, sie können zudem für die Krankheitsbewältigung förderlich sein und den Weg zur Heilung ebnen. Die Psychoneuroimmunologie ist sozusagen die Rundum-Gesund-Formel, die Möglichkeiten für eine von Grund auf ganzheitliche Gesundheit eröffnet. Deshalb wird dieses Buch nicht nur die überraschenden Zusammenhänge aufzeigen, die durch sie ans Licht kamen, sondern auch eine wissenschaftlich fundierte Anleitung bieten, wie man das faszinierende Netzwerk von Seele, Nerven und Immunsystem für ein gesünderes Leben nutzen kann. Die Strategien dazu sind vielfältig. Wir werden sie in den folgenden Kapiteln näher kennenlernen.

2Die Macht der Seele

Als Meret Oppenheim36 Jahre alt war, hatte sie einen Traum: Sie stand in einem gotischen Dom vor einer hohen, aus Holz geschnitzten Statue eines Heiligen. Farblos und wurmzerfressen hielt der Heilige eine Sanduhr in der Hand, und während Oppenheim ihn ansah, drehte er die Sanduhr plötzlich um. Die Künstlerin glaubte zu wissen, was das bedeutete: Ihr halbes Leben war vorbei.

Als Vertreterin des Surrealismus hatte Meret Oppenheim immer ein Faible für Übernatürliches, für Traumdeutung und drastische Symbolik gehabt. Als 22-Jährige war die in Berlin geborene Schweizerin damit berühmt geworden, dass sie eine Porzellantasse mit Fell überzog und Damenschuhe wie ein Brathähnchen auf einem Silbertablett präsentierte. So war auch die umgedrehte Sanduhr für sie bedeutungsschwer. Für Oppenheim war diese Sanduhr das Symbol für Halbzeit. Halbzeit in ihrem Leben. Mit 36 Jahren sagte Oppenheim voraus, dass sie mit 72 Jahren sterben werde. Und als das Jahr 1985 begann, das Jahr, in dem sie 72 Jahre alt werden würde, da sagte sie: »Dieses Jahr werde ich nicht überleben.«

Tatsächlich starb Meret Oppenheim im November 1985, bald nach ihrem 72. Geburtstag.

Die Künstlerin hatte in einer Galerie einen Herzinfarkt erlitten. Einen leichten nur, es war nichts Lebensbedrohliches. Doch Oppenheim griff im Krankenwagen dem Sanitäter an den Arm und sagte: »Ich werde jetzt sterben. Hören Sie, ich will keine Musik und keinen Pfarrer.« Und als sich ein Kardiologe am nächsten Tag nach der Visite von ihr mit den Worten verabschiedete, auf Wiedersehen, Madame Oppenheim, bis morgen, da antwortete sie: »Ich glaube nicht.« Zehn Minuten später erlitt sie einen weiteren Herzinfarkt und starb.

»Unerwartet« schrieben die Biografen. Doch für die Künstlerin war es das nicht. Sie hatte diesen Tag 36 Jahre lang vorhergesehen. Fünf Wochen vor ihrem Tod, an ihrem 72. Geburtstag, hatte sie ein weiteres Mal prophezeit: »Ich sterbe noch vor dem ersten Schnee.« Seine Tante habe »einen unangreifbaren Willen« gehabt, erzählte ihr Neffe Adrian Bühler viele Jahre später der Basler ›TagesWoche‹. »Nicht einmal beim eigenen Tod ließ sie sich auf Kompromisse ein. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, dass es mit 72 zu Ende sein würde, und so kam es auch.«

Die Kraft der Gedanken

Zufall? Wille? Oder die Kraft der Überzeugung, die eine Vorstellung Wirklichkeit werden lässt? Beispiele für selbsterfüllende Prophezeiungen, die bis zum Tod gehen, gibt es viele. Da sind die Berichte über Zen-Mönche und Indianer, die sich, in der festen Überzeugung, dass ihr Ende nun gekommen sei, zum Sterben zurückziehen und dann auch tatsächlich aus dem Leben scheiden. Oder von Ureinwohnern Afrikas und Südamerikas, die von Stammesmitgliedern mit einem Voodoo-Zauber belegt werden und sterben, einfach nur, weil sie fest daran glauben, verflucht zu sein und sterben zu müssen. Und immer wieder hört man von Eheleuten, die viele Jahrzehnte miteinander verbracht haben und sich nicht einmal vom Tod scheiden lassen. So wie Les und Helen Brown aus Long Beach in Kalifornien, die nach 75 gemeinsamen Jahren noch ihre Kronjuwelenhochzeit feierten und dann kurz nacheinander starben, beide 94 Jahre alt.

Krank waren die beiden da schon lange gewesen. Helen hatte zuletzt mit Magenkrebs zu kämpfen, Les litt unter der Schüttellähmung Parkinson. Doch dass es so plötzlich mit beiden zu Ende gehen würde, hatten auch die Angehörigen nicht erwartet. Am Abend des 16. Juli schloss Helen für immer die Augen. Und keine elf Stunden später, am nächsten Morgen, folgte Les ihr nach. Nur ein paar Abendstunden, keinen einzigen Tag hatte Les mehr ohne seine Frau zugebracht.

Romantiker werden sagen, dass Les ohne seine geliebte Helen einfach keinen Lebenswillen mehr hatte; dass er nun, da sie nicht mehr da war, versuchte, im Tod wieder mit ihr vereint zu sein. Nüchterne Zeitgenossen dagegen könnten das zeitnahe Ableben der beiden alten Herrschaften auch als Zufall abtun: Die Browns waren hochbetagte Menschen. Für beide war es eben an der Zeit zu gehen.

Weshalb Les direkt nach Helen starb, wird nie mit Gewissheit zu ergründen sein. Doch nicht nur Romantiker, auch Mediziner erkennen mittlerweile an, dass Menschen mitunter ohne offenkundig tödliche äußere Einflüsse sterben, wenn sie glauben oder wenn sie wollen, dass es an der Zeit ist. Sie sterben offenbar, wenn durch Vorstellungen, Überzeugungen oder Trauer Prozesse in ihrem Inneren ausgelöst werden, die dazu führen, dass lebensnotwendige körperliche Funktionen aussetzen.

Wahrscheinlich ist diese Art von Tod, auch psychogener oder Seelentod genannt, nicht einmal so selten. Immerhin finden Ärzte für zehn Prozent aller Todesfälle keine medizinische Erklärung, sagt Wolfgang Eisenmenger, der ehemalige Leiter der Rechtsmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er erzählt von einer Mutter mittleren Alters, der ihr eigener Sohn ein Messer in den Oberschenkel gestochen hatte. »Obwohl die Wunde nicht tief war, starb sie noch im Krankenwagen«, so Eisenmenger. Ähnlich wie bei dieser Frau komme es immer wieder vor, »dass Erwachsene im besten Alter aus voller Gesundheit heraus sterben«.

Auch Sam Shoeman ist wahrscheinlich seiner Überzeugung erlegen. Als der US-Amerikaner gut 70 Jahre alt war, erzählten ihm Ärzte im Krankenhaus, er habe nur noch wenige Monate zu leben. Auf Röntgenaufnahmen hätten sie einen gigantischen Tumor in seiner Leber entdeckt, der schon gestreut habe. Shoeman fasste im Angesicht des Todes einen Entschluss: Wenigstens bis Weihnachten wollte er noch durchhalten. Tatsächlich stabilisierte sich sein Zustand, im Kreis seiner Lieben verbrachte er ein letztes Weihnachtsfest. Doch am Neujahrstag ging es ihm wieder schlechter, er kam ins Krankenhaus und starb am Tag darauf.

Nur: Sam Shoeman hatte gar keinen tödlichen Krebs. Bei der Autopsie fanden Ärzte lediglich einen winzigen Knoten, der ihn gewiss nicht umgebracht hatte. Getötet hatte ihn offenbar seine Überzeugung, bald sterben zu müssen. »Nicht nur er, auch seine Verwandten glaubten fest an sein baldiges Ableben«, so erklärte es der Endokrinologe Clifton Meador von der Vanderbilt University, der viele solcher Fälle von einem psychisch bedingten Tod gesammelt hat. Sein Fazit: »Der Mann starb nicht an Krebs, sondern daran, dass er glaubte, an Krebs zu sterben.«

Der Tod durch Vorstellungskraft ist der wohl extremste Vorgang, der aus dem Zusammenspiel von Seele, Nerven und Immunsystem resultieren kann, aus den Vorgängen also, die die Psychoneuroimmunologie erforscht. Im Grunde handelt es sich um eine besonders drastische Form des Nocebo-Effekts, des Gegenteils vom Placebo-Effekt. Menschen können durch den Glauben, ein Medikament helfe ihnen, tatsächlich gesund werden – auch wenn es sich nur um ein Scheinpräparat mit Traubenzucker handelt. Ebenso anerkannt ist der Nocebo-Effekt. Manche Menschen müssen nur den Beipackzettel mit den vielen Hinweisen auf Nebenwirkungen lesen. Schon werden sie krank.

Die Verbindung zwischen dem Geist, der von Dingen überzeugt ist, und dem Körper, der krank wird oder gar seine Lebensfunktionen einstellt, mag geheimnisvoll wirken, aber überirdisch ist sie nicht. Denn bei beiden spielen Nerven- und Immunsystem eine fundamentale Rolle. So kann der Stress, den die Vorstellung vom baldigen Ableben auslöst, die Zellen des Nerven- und Immunsystems dazu anregen, ihre hochwirksamen Botenstoffe auszuschütten. Beim psychogenen Tod scheinen diese den Organismus so stark anzugreifen, dass er aufhört zu leben. »Trauer und Depression bestehen ja nicht aus Luft«, sagt Wolfgang Eisenmenger, vielmehr werden sie im Gehirn zu biochemischen Substanzen. Hormone können dann zusammen mit Veränderungen des vegetativen Nervensystems, das die inneren Organe versorgt, den Tod auslösen.

Die Geburtsstunde der Psychoneuroimmunologie

Auch Voodoo ist damit weit mehr als nur Magie. Das hat man vor rund 50 Jahren zu verstehen begonnen. Damals machte ein Psychologe nämlich eine Beobachtung, die er selbst zunächst kaum glauben konnte. Er entdeckte, dass Süßstoff tödlich sein kann. Ja, einfacher Süßstoff, in kleinen Mengen. Verblüffend: Wenn die Ratten in seinem Labor nur den Geschmack des künstlichen Süßmachers wahrnahmen, starben sie am kleinsten Schnupfen. Ihr Immunsystem wehrte Viren nicht mehr ab. Es reagierte einfach nicht mehr auf diese und andere Erreger, es war wie tot. Dabei beeinträchtigt Süßstoff, gleich welche Marke, gleich welche Substanz, doch gar nicht die Fähigkeit, Infektionen abzuwehren. Wie also konnte das sein? Was war passiert?

So tragisch das Ergebnis für die Ratten war, so erhellend war es für die Menschheit: Als der US-amerikanische Psychologe Robert Ader im Jahr 1974 die tödliche Anfälligkeit der Nagetiere nach dem Schlecken des Süßmachers beobachtete, war er verzückt. Denn der Tod der Ratten bewies, was Ader lange vermutet hatte: Das Immunsystem wird durch die Kraft von Geist und Seele beeinflusst. Es wird schwach, sobald im Kopf die Überzeugung herrscht, dass es gerade geschwächt sein müsste.

Der Süßstoff hatte natürlich nicht gleich beim ersten Mal und auch nicht einfach so diese verheerende Wirkung. Sonst wären künstliche Süßungsmittel mittlerweile wohl längst nicht mehr auf dem Markt, statt täglich Hunderten Millionen Menschen bei der Kontrolle ihrer Kalorienzufuhr beizustehen. Die Ratten starben, weil ihnen zuvor ein unheilvoller Zusammenhang nahegebracht worden war: Eine Zeit lang hatte Ader den Tieren immer dann, wenn er ihnen Süßstoff ins Futter mischte, zugleich Cyclophosphamid gespritzt – eine Substanz, die das Immunsystem schwächt.

Am Ende waren die Ratten so konditioniert wie einst der Hund des Doktor Pawlow, der in Erwartung seines Futters schon sabberte, wenn er bloß ein Klingeln hörte. Nur ging die Konditionierung der Ratten weit über einen einfachen Reflex hinaus: Ihr ganzes Immunsystem fuhr beim Geschmack des Süßstoffs herunter, so als hätten sie zusammen mit der süßen Substanz wieder Cyclophosphamid bekommen. Der Süßstoff wirkte plötzlich ganz allein wie das Arzneimittel – er hatte bei den konditionierten Ratten fortan die gleiche Wirkung wie ein starkes Immunsuppressivum aus der Klinikapotheke.

Für diese überraschende Folge konnte es nur eine Erklärung geben, dachte sich Robert Ader: Offensichtlich hört das Immunsystem auf die Signale des Geschmackssinns, beide scheinen miteinander verbunden zu sein. Es musste also eine Beziehung zwischen dem Nervensystem und dem Immunsystem existieren. Eine damals ungeheuerliche Idee.

Sie erschütterte nämlich ein Dogma über das Immunsystem, das sich in den Köpfen festgesetzt hatte – die Überzeugung, dass die Immunabwehr völlig autonom arbeitet. Diese Überzeugung hatte sich über viele Jahrzehnte der Erforschung des Immunsystems in Wissenschaft und Medizin etabliert. So komplex und verwirrend das Immunsystem selbst auch ist mit seinen vielen verschiedenen Akteuren (von den evolutionär bodenständigen und eher einfach gestrickten Fresszellen bis hin zu den hochentwickelten B-Zellen mit ihren intelligenten Präzisionswaffen, den Antikörpern), so fein abgestimmt seine orchestrierten Antworten auf Erreger, die von außen kommen, auch wirken – so faszinierend autark scheint es auf den ersten Blick zu arbeiten. Es funktioniert nämlich auch außerhalb des Körpers, in Petrischalen im Labor. Auch dort vermag es seine Feinde zu erkennen und effektiv zu bekämpfen. Daher dachte man, es handle sich beim Immunsystem um eine eigene Macht im Körper, die selbstständig dafür sorgt, dass der Organismus gesund bleibt, und die nicht weiter auf andere Teile des Körpers reagiert.

Robert Aders überraschende Experimente aber stellten diese Ansicht auf den Kopf. Sie gelten heute als die Geburtsstunde der Psychoneuroimmunologie. Denn sie machten klar: Seele, Nerven und Immunsystem haben direkten Einfluss aufeinander, keines dieser Systeme ist unabhängig. Im Körper findet vielmehr ein großes Konzert all dieser Akteure statt, und wenn einer von ihnen aus dem Takt gerät, fangen auch die beiden anderen an, den Rhythmus zu verlieren. Ebenso gilt aber: Wenn ein Akteur gesundet, dann kann er die anderen mit zurück auf die gute Seite des Lebens ziehen. Jeder kennt das Gefühl dieser unvergleichlichen Euphorie, wenn es einem nach einer Woche mit einer schweren Erkältung im Bett endlich besser geht und man wieder klar denken kann.

Dass Körper und Seele einander irgendwie beeinflussen, wusste man zu dieser Zeit längst, die Idee beschäftigt die Medizin schließlich seit Anbeginn, schon aus der Antike existieren dazu Schriften. Etabliert hatte sich mittlerweile auch die Psychosomatik, wonach eine kranke Seele den Körper krank machen kann und ein kranker Körper sich im Zustand der Seele niederschlägt. Doch erst mit der Psychoneuroimmunologie erhielt dieses Konzept eine naturwissenschaftliche Grundlage. Man begann nun wirklich zu verstehen, weshalb die Seele, weshalb Erlebnisse, weshalb Erwartungen, weshalb Trauer, Wut und Freude sich nachweislich auf den Körper auswirken können – und wie.

Seither ist immer deutlicher geworden, wo die Schnittstellen zwischen Körper und Seele bei der Entstehung und Bewältigung von Krankheiten genau liegen. Die Psychoneuroimmunologie verrät, weshalb und auf welchem Weg Stress unseren Körper beeinflusst. Weshalb Psychotherapie überhaupt wirken kann. Und weshalb sich manche Krankheitsbilder – Multiple Sklerose zum Beispiel oder Rheuma – verschlechtern, wenn der Patient oder die Patientin Belastendes erlebt.

Wie das funktioniert, haben mittlerweile zahlreiche Experimente und Untersuchungen gezeigt: Wenn Seele und Immunsystem miteinander in Wechselwirkung treten, läuft vieles davon über die Nerven. Denn Nerven- und Immunsystem können direkt miteinander kommunizieren, weil sie eine gemeinsame Sprache entwickelt haben: Auf den Nervenzellen finden sich Moleküle, an denen die Botenstoffe des Immunsystems direkt andocken können, und umgekehrt haben Immunzellen Antennen für Botenstoffe, die von Nervenzellen hergestellt werden.

Die Psychoneuroimmunologie schließe daher eine Lücke, sagt Christian Schubert, der als Arzt, Psychologe und Psychotherapeut an der Medizinischen Universität Innsbruck forscht. »Sie baut eine Brücke zwischen den harten Daten der molekularen Medizin und der Labormedizin auf der einen Seite und der Seele auf der anderen, dem Menschen als sozialem Wesen also.« Mit Hilfe dieser neuen Brückenwissenschaft, sagt Schubert, sei es in der Wissenschaftsgeschichte zum ersten Mal gelungen, nichtstoffliche Aspekte des Lebens, wie soziale Beziehungen, Gesellschaft und letztlich auch Kultur, in Verbindung zu bringen mit dem Körperinneren – bis tief hinein in die Zellen und Zellkerne. Somit eröffnet die Psychoneuroimmunologie nicht weniger als einen neuen Blick auf den menschlichen Organismus mit seinem Zusammenspiel von Körper, Seele und Geist.

Ein buntes Miteinander von Wechselwirkungen

Das Immunsystem ist nämlich viel mehr als nur ein Spiegel der Seele, es bestimmt über die Seele und sogar über unser Verhalten mit. Und wie gut es arbeitet, wird umgekehrt auf biochemischem Weg von der Seele und ihrem Zustand beeinflusst, also auch von den Erlebnissen, die ein Mensch hat. Wie nachhaltig äußere Einflüsse auf die Abwehrkräfte des Körpers einwirken, ist gut belegt. So bekommen Menschen nach einschneidenden Veränderungen wie dem Tod des Partners oder dem Verlust des Arbeitsplatzes besonders leicht einen Infekt und leiden besonders lange daran. Körperliche Wunden heilen langsamer, wenn Menschen etwa durch die Pflege eines Angehörigen sehr in Anspruch genommen sind. Und vernachlässigte Kinder bekommen häufiger Infekte als Kinder, die in einem liebevollen Umfeld aufwachsen.

Die Effekte können erstaunlich hartnäckig sein: Psychisch belastende Ereignisse wirken sich oft ein ganzes Leben lang auf die Abwehrkräfte aus. So sterben Kinder, die Vernachlässigung oder Misshandlung erleiden mussten, durchschnittlich 20 Jahre früher als solche ohne eine derart befrachtete Vorgeschichte. Psychische Belastungen erwiesen sich in Langzeitstudien sogar als größerer Risikofaktor für einen Herzinfarkt als die klassischen Risikofaktoren wie Übergewicht und Rauchen. Allerdings kann man auch hier gegensteuern, wie wir in den folgenden Kapiteln sehen werden. Denn auch das gehört zu den Ergebnissen der Psychoneuroimmunologie: Wenn man mit psychischen Belastungen positiv umgeht, wenn man sie dosiert, indem man nicht zu viele Baustellen im Leben eröffnet und schlimme Erinnerungen nicht immer zulässt, wenn man Belastungen in sein Leben integriert und das Beste daraus macht, kann man schwerwiegende negative Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit abwehren.

Das Immunsystem ist aber nicht nur Opfer von Krankheiten, es mischt bei der Entstehung von Krankheiten und bei den Reaktionen darauf auch kräftig mit. So verschieden die Auslöser von Krankheiten sein können, so unterschiedlich sind auch die Reaktionen des Immunsystems. Es reagiert im Grunde genommen auf all jenen Wegen, auf denen ein Mensch auch krank werden kann.

Wir haben im Vorwort schon gesehen: Jede Krankheit ist irgendwie alles – sie ist körperlich und psychisch. Und sie ist darüber hinaus auch sozial. Schließlich machen auch soziale Umstände krank – Armut zum Beispiel, Vernachlässigung, Mobbing oder Einsamkeit. Genauso reagiert die Immunabwehr: Auch sie hat körperliche, psychische und soziale Auswirkungen. Selbstverständlich arbeitet das Immunsystem zunächst einmal körperlich, indem es seine Zellen aktiviert und Botenstoffe ausschüttet, um die Wundheilung anzukurbeln, Viren zu bekämpfen oder ein ins Stottern geratenes Kommunikationssystem im Körper wieder zum Laufen zu bringen. Dieser Abwehrkampf ist vor allem eine Entzündungsreaktion; man entwickelt Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen allein dadurch, dass das Immunsystem im Körper tobt.

Über seine Wechselwirkung mit dem Nervensystem beeinflusst das Immunsystem zugleich unsere Gedanken und Gefühle – und damit auch unser Verhalten. Sobald die Körperabwehr merkt, dass sie gegen einen Krankheitserreger kämpfen soll, signalisiert sie das dem Gehirn. »Das Immunsystem funktioniert dabei wie ein Frühwarnsystem«, sagt der Psychoneuroimmunologe Christian Schubert.

Die Folgen sind psychisch und sozial: Man fühlt sich krank, schon bevor der Körper richtig krank ist. Man hat keine Lust mehr auf fremde Menschen, ist antriebs- und appetitlos, man will nur noch seine Ruhe. Der Körper geht in den Energiespar- und Gefahrenminimierungsmodus. Und die Abwehrkräfte rufen: ab ins Bett!

Das ist ein geschickter Schachzug des Immunsystems. Denn mit diesem Ruf nach Schonung gibt das Immunsystem bei einer akuten Infektion eine Handlungsanleitung dafür, was jetzt gut und richtig wäre zum Wohle des Gesamtkonzepts Mensch. Der Körper braucht das jetzt so, damit man sich wirklich ins Bett legt und er sich regenerieren kann, schließlich hilft der Schlaf dem Immunsystem, und wenn man ruht, spart man Energie – die Ressourcen können in den Heilungsprozess fließen. Es hilft natürlich, wenn der Mensch Keime und andere Angriffe auf seine Gesundheit nicht nur biologisch bekämpft, sondern sich auch vernünftig benimmt.

So sorgt das Immunsystem mit Hilfe des Gehirns dafür, dass man die richtigen Dinge tut. Man sucht lieber den Kontakt zu vertrauten Personen, von denen man sich gerne gesundpflegen lässt. Auf diese Weise schützt man sich davor, sich noch zusätzliche oder gar unbekannte Keime einzufangen und seelischen wie körperlichen Risiken auszusetzen, die eine Begegnung mit Fremden mit sich bringt. Und Appetit hat man sowieso keinen, so mindert man ganz nebenbei die Gefahr, sich mit dem Essen weitere Infektionen einzuhandeln. Experten sprechen von »Sickness Behaviour«, dem Krankheitsverhalten, man könnte es auch Gesundwerdverhalten nennen. Ganz ähnlich wie Menschen mit einem akuten Infekt fühlen sich übrigens Menschen mit einer Depression. Neuere Forschung geht deshalb davon aus, dass zumindest manche Depressionen vom Immunsystem gesteuert sein könnten (siehe Kapitel 7). Demnach könnte es mehr als nur die erwartbare Folge der Krankheit sein, dass viele Leiden, bei denen das Immunsystem eine Rolle spielt, mit einer Depression einhergehen – Rheuma zum Beispiel, Schuppenflechte oder Morbus Bechterew. Hier leidet die Seele offenbar nicht nur deshalb, weil der Mensch eben schwer krank ist und die unangenehmen körperlichen Auswirkungen der Krankheit seine Stimmung beeinträchtigen. Vielmehr befördern die Abwehrkräfte den Wunsch nach Ruhe. Obwohl das bei diesen Krankheiten anders als bei einer Infektion gar nicht nötig ist und sogar kontraproduktiv sein kann.

Mit seinen Anweisungen dringt das Immunsystem aber natürlich nicht immer durch. Allzu oft setzen wir uns über seine Signale hinweg, und manchmal reicht ein bisschen Ausruhen auch nicht mehr. Ist der Stress zu groß, werden Körper und Immunsystem nachhaltig geschädigt. Allerdings kann Stress auch förderlich für die Immunabwehr sein: Wenn er nicht zu stark wird und wir ihm positiv begegnen, stimuliert er die Immunfunktion, wie wir in Kapitel 4 noch genauer sehen werden. Kein Wunder also, dass die Stressforschung ein wesentliches Betätigungsfeld von Psychoneuroimmunologen ist.

Manches reflexhafte Verhalten soll uns auch davor schützen, überhaupt krank zu werden. Auch hier spielen Nervensystem, Psyche und Immunsystem zusammen: Über die Nerven nehmen wir unsere Umwelt ständig wahr. Wenn wir dabei etwas Unangenehmes riechen, suchen wir das Weite. Das hält uns davon ab, Gifte einzuatmen oder verdorbenes Essen zu uns zu nehmen. Auch der Anblick von Krankheit sorgt dafür, dass wir – so unsozial das mitunter auch wirken mag – von Natur aus mit Ekel oder Vorsicht reagieren und zumindest Abstand halten. Die Immunzellen fahren bei der Gelegenheit sicherheitshalber schon mal in den Aktivitätsmodus.

Somit erklärt die Psychoneuroimmunologie, weshalb wir intuitiv oft richtig reagieren, wenn wir unseren Körper schonen oder Gefahren aus dem Weg gehen; weshalb sich Schieflagen in unserem Leben aber oft auch ausdehnen und weshalb Stress oder Sorgen dazu führen, dass man Infekte nicht mehr gut abwehren kann. Ebenso macht sie aber deutlich, dass das Immunsystem stark werden kann, wenn man seinen Geist und seine Seele dahingehend trainiert. Wie einfach das mitunter geht, zeigt ein lustiges Experiment mit Fotos von Schnupfennasen. Schon beim bloßen Anblick solcher Bilder fährt das Immunsystem hoch – die Abwehrzellen bilden mehr von dem Botenstoff Interleukin-6, dem Dirigenten der Immunantwort. Der Körper wappnet sich für den Schnupfen, obwohl dieser noch fern ist, obwohl nur der Geist gerade eine Bedrohung wahrnimmt, noch dazu keine reale, sondern einfach ein Foto davon. So bedrohlich Ängste und Sorgen also sind: Sie demonstrieren zugleich eine beeindruckend positive Fähigkeit der Suggestion. Und man kann sie für sich nutzen, denn so dramatische Ausmaße die Überzeugung annehmen kann, dass man krank wird oder gar sterben muss – es gilt auch das Umgekehrte. Auch die Überzeugung, dass man eine Krankheit bewältigen wird, hat eine ungeheure Kraft.

3Ein starkes Team

Das Immunsystem – wie es funktioniert und was es leistet

Selbst wenn wir uns einsam fühlen, sind wir alles andere als das. Um uns herum ist Leben, immerzu. Uns umgibt ein wahrer Ozean an Organismen, es sind Aber- und Abermilliarden. Und viele davon sind uns sehr, sehr nah: Rund 100 Trillionen Mikroorganismen leben in und auf unserem Körper, das sind satte zwei Kilogramm an Bakterien, Viren und Parasiten. Sie tummeln sich auf unserer Haut, in der Mundhöhle und in unserem Darm – all jenen Gegenden unseres Körpers, wo Haut oder Schleimhaut unsere Grenze zur Außenwelt bilden. Im Vergleich zu dem, was auf und in uns lebt, ist diese Außenwelt, gleich, ob es sich um die Toilettenschüssel handelt, die Computertastatur, die Spüle oder den Putzlappen, sogar wenig belebt. Aber Keime gibt es auch dort jede Menge. Keime gibt es überall.

Unter ihnen sind viele freundliche Wesen. Etwa 99 Prozent der Mikroorganismen »da draußen« belasten den Menschen nicht weiter oder tun ihm sogar gut. Aber es sind auch immer wieder feindliche darunter, die uns schwer krank machen können. Deshalb brauchen wir unser Immunsystem. Sein Job ist es, uns gesund zu erhalten, während wir tagtäglich durch ein Meer voller Mikroben tauchen.

Es ist allerdings ein großes Missverständnis, dass das Immunsystem dazu alles bekämpft, was fremd ist. Das ist keineswegs der Fall – und wenn es das täte, wäre das desaströs, nicht nur für das Leben all der freundlichen Mikroben um uns herum, sondern auch für das Leben des Menschen. Schließlich brauchen wir nicht nur das, was wir selbst sind, unsere eigenen Zellen. Wir brauchen auch viele dieser Fremdlinge, die uns umgeben. Nur mit ihnen gemeinsam sind wir gesund, nur mit ihnen können wir die Nahrung bestmöglich verdauen, nur mit ihnen entsteht auf der Haut ein Milieu, das für genügend Feuchtigkeit und eine geschlossene Schutzschicht sorgt.

In der Pandemie hat sich die Idee noch einmal stärker durchgesetzt, Keime aller Art seien gefährlich und schädlich. Aber dem ist nicht so. Keime auf der Haut sind vielmehr sehr nützlich, und gesund sind eher jene Menschen, auf denen eine besonders große Vielfalt an Mikroben lebt. So zeichnen sich Patientinnen und Patienten mit der Hautkrankheit Neurodermitis durch eine besonders geringe Keimvielfalt aus. Auch bei anderen Hautkrankheiten wie Akne, Schuppenflechte und Rosazea, einer chronischen Entzündung der Gesichtshaut, scheint das Gleichgewicht der Mikroben, des sogenannten Mikrobioms, gestört zu sein.

Das Immunsystem wird oft wie eine hochgerüstete Armee beschrieben, wie eine gefährliche Eingreiftruppe oder eine wild gewordene Gang. Das Bild passt ja auch gut, wenn es um die Aufgabe des Immunsystems geht, Eindringlinge abzuwehren oder subversive Kräfte im Inneren ausfindig und unschädlich zu machen. Doch dabei muss das Immunsystem sehr genau unterscheiden, wen es bekämpft. Es darf eben nicht wild um sich schießen. Es darf auch nicht einfach alles »Fremde« angreifen, sondern nur feindliche Wesen, das ist nicht dasselbe. Im Grunde ist es wie ein Türsteher, der alle reinlässt, die fröhlich und friedlich mitfeiern wollen, auch wenn er sie nicht kennt, aber all jene abweist oder wieder rausschmeißt, die nur gekommen sind, um Stunk zu machen.

In der Regel weiß das Immunsystem bestens zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, da ist ihm klar, was nur fremd ist, aber trotzdem ein Freund, und was der Feind. Mit den allermeisten Mikroben, mit denen wir unseren Körper und diesen Planeten teilen, geht das Immunsystem friedlich um, in fruchtbarer Kooperation zum beiderseitigen Vorteil. Das liegt daran, dass es sich von klein auf in Toleranz übt. Gegenüber dem eigenen Körper, aber auch gegenüber den freundlichen Mitbewohnern – im Grunde gegen alle Strukturen, die ihm regelmäßig in großer Zahl begegnen. Darunter sind auch viele, die nicht zum eigenen Körper gehören. Pflanzenpollen zum Beispiel oder Bakterien, die immer wieder auf der Haut vorkommen oder im Fell der Tiere, mit denen man zusammenwohnt. »Für diese Toleranz verwendet das Immunsystem sehr viel Energie«, sagt Carsten Watzl, Professor für Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung der TU Dortmund und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Weil diese Prozesse in der Regel sehr gut funktionieren, bekämpft das Immunsystem nicht grundsätzlich alles Fremde. Sondern es beäugt alles, was ihm neu erscheint. Im Neuen, Unbekannten sieht das Immunsystem eine potenzielle Gefahr. Und es versucht dann herauszufinden, ob dieses Neue gefährlich oder ungefährlich ist.

Wenn tatsächlich ein Problemkeim in den Körper eindringt, ist die Aufgabe des Immunsystems sonnenklar: Es muss die Bedrohung ganz schnell erkennen und zerstören, damit der Keim sich gar nicht erst gefährlich vermehren kann. Und zwar möglichst, ohne dabei Schaden am eigenen Körper anzurichten, also das eigene Gewebe mit seiner Munition versehentlich in Mitleidenschaft zu ziehen oder die eigene Gesundheit zu beeinträchtigen. Das, so muss man auch als größter Fan des Immunsystems einräumen, gelingt ihm leider nicht immer.

Der koordinierte Angriff des Immunsystems auf einen wie auch immer gearteten Gegner heißt »Entzündung«. Der Begriff kommt wohl daher, dass der Ort der Immunreaktion rot und warm ist, als wäre da etwas in Brand gesetzt worden, aber Feuer legt hier niemand. Tatsächlich gibt es vier zentrale Kennzeichen, die eine Entzündung charakterisieren und deren lateinische Bezeichnungen alle auf »or« enden: Dort, wo Immunzellen ihre wichtige Aufgabe erledigen, herrschen Calor, Rubor, Tumor und Dolor – Wärme, Rötung, Schwellung und Schmerz. So hat es schon der Römer Aulus Cornelius Celsus, einer der großen Medizinschriftsteller der Antike, kurz nach Christi Geburt erstmals beschrieben. 150 Jahre später fügte der Arzt und Universalgelehrte Galenus von Pergamon noch als fünftes Merkmal die Funktionseinschränkung (Functio laesa) hinzu, leider ohne Endung auf »or«, weshalb sie bei der Aufzählung oft vergessen wird, obwohl sie eigentlich die schwerwiegendste Folge einer Entzündung ist. Aber auch wenn man für diese fünf mitunter durchaus unangenehmen Erscheinungen einer Entzündung gern den eingedrungenen Fremdkörper oder die Verletzung verantwortlich macht: Schuld daran ist weniger der fremde Keim, sondern vornehmlich das Immunsystem selbst.

Dieses besteht aus rund 20 verschiedenen Zelltypen, die alle sehr spezielle Aufgaben haben. Damit in diesem hin und wieder etwas chaotisch wirkenden Team die eine Zelle weiß, was die andere tut, kommunizieren die Immunzellen über Botschaften, die sie in Form von Molekülen aussenden, die Zytokine. Diese Moleküle informieren andere Zellen, was sie zu tun haben, sie aktivieren sie, locken sie zum Infektionsort oder regen sie zur Teilung an. Sie heißen Zytokine, weil sie Zellen (»Zyto…«) in Bewegung (»Kinesis«) setzen. Und es gibt jede Menge davon: Entdeckt wurden mittlerweile allein 34 verschiedene Interleukine und drei verschiedene Klassen von Interferonen (alpha, beta und gamma), die bei der Abwehr von Viren und der Zerstörung von Tumorzellen direkt mithelfen. Aber das sind längst noch nicht alle Zytokine, mit denen Immunzellen eine Entzündung befördern können.

Gemeinsam rufen die Immunzellen und ihre Nachrichtenmoleküle die fünf Entzündungszeichen hervor. Wärme entsteht durch Zytokine wie Interleukin-1, Interleukin-6, Interleukin-8 und auch den Tumornekrosefaktor. Sie alle kurbeln den Stoffwechsel an, wodurch – wie oft, wenn jemand arbeitet – Wärme entsteht, und sie können letztlich auch zu Fieber im ganzen Körper führen. Weil zugleich manche Zytokine dafür sorgen, dass sich die Blutgefäße weiten, damit weitere Immunzellen herbeieilen können, kommt es zu einer erhöhten Durchblutung am Ort der Entzündung: Die Rötung entsteht. Je mehr Immunzellen einwandern, desto mehr Platz brauchen sie, das Gewebe muss sich zwangsweise ausdehnen, so kommt es zur Schwellung. Und weil der Platz mitunter gar nicht reicht und sich zu viele Zellen und zu viel Gewebsflüssigkeit am Entzündungsort zusammendrängen, ist am Ende oft ein mehr oder weniger ausgeprägter Schmerz die Folge. Den Schmerz verursachen manche Zytokine aber auch direkt, zum Beispiel der Tumornekrosefaktor. Das hat seinen Sinn, denn der Schmerz sorgt im besten Fall dafür, dass der Mensch, der ihn empfindet, den entsprechenden Körperteil ruhigstellt – und die Wunde dadurch besser abheilen kann.

So wichtig die Entzündungsreaktion ist: Es handelt sich um ein ganz schön aggressives Unterfangen. Zahlreiche schwer bewaffnete Zellen kommen zusammen, werfen mit Molekülen um sich, die die Temperatur des ganzen Körpers erhöhen, spritzen Gift, verschlucken, was ihnen in die Quere kommt, entsenden Präzisionswaffen und produzieren Stoffe, die noch mehr Zellen anlocken, die dann wiederum das Gleiche tun. Sie haben dabei nur ein Ziel: den feindlichen Eindringling aus dem Körper zu werfen.

Das tut dem Gewebe, in dem diese Verteidigungsaktion stattfindet, nicht unbedingt gut. Man spürt das auch – als geschwollene Nase, als Halsweh, Fieber oder Kopfschmerz. Ja, es stimmt, manche dieser Erkältungssymptome verursachen die Viren selbst, die sich in unseren Körperzellen vermehren und diese zum Platzen bringen. Aber am Unwohlsein während einer Infektion hat das eigene Immunsystem einen erheblichen Anteil. Da ist auch durchaus Absicht mit dabei. Man soll sich ja krank fühlen und sich ins Bett legen, damit genügend Energie für das Immunsystem bereitsteht und es erfolgreich seine Arbeit machen kann.

Wenn das Immunsystem über das Ziel hinausschießt

Es gibt ein Kunststück, das der Körperabwehr bei ihrer Auseinandersetzung mit feindlichen Zellen unbedingt gelingen muss: Sie muss aggressiv genug vorgehen, um erfolgreich zu sein. Aber sie darf auch nicht zu aggressiv sein und den eigenen Körper zu stark in Mitleidenschaft ziehen, der Nutzen durch die Abwehr des Eindringlings soll ja überwiegen. Das ist im Einzelfall schwer zu kontrollieren.

So passiert es immer wieder, dass das Immunsystem über die Stränge schlägt. Mitunter ist das so extrem, dass die Immunzellen in einen regelrechten Blutrausch geraten und einen erheblichen Schaden im Körper anrichten. Während der Covid-Pandemie ist das PIMS-Syndrom (»Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome«) als eine seltene, aber besonders erschreckende Spätfolge einer Corona-Infektion bei Kindern bekannt geworden: Dabei kommt es zu einer umfassenden Entzündung der Blutgefäße, die mit tagelangem hohem Fieber einhergeht und auch die inneren Organe angreifen kann, vor allem das Herz und den Magen-Darm-Trakt. »Das Immunsystem läuft plötzlich Amok und spielt völlig verrückt«, so erklärte das einmal Michael Schroth, der als Chefarzt der Cnopfschen Kinderklinik in Nürnberg eines der ersten deutschen Kinder mit PIMS in der Pandemie behandelte.

Schon lange sind auch weitere Auswüchse von Immunreaktionen bekannt: Allergien und Autoimmunerkrankungen sind letztlich nichts anderes als überschießende Immunreaktionen, bei denen das Verhältnis von Abwehrkampf und Eigenschutz nicht mehr gewahrt ist. Das Immunsystem hat hier falsche Entscheidungen getroffen. Bei Allergien setzt sein Gespür für die Unterscheidung von harmlos und gefährlich aus, deshalb reagiert es völlig übertrieben auf unschuldige Pollen oder gesunde Nahrungsbestandteile. Und bei Autoimmunerkrankungen fehlt es ihm am Feingefühl für Selbst und Fremd, für Freund und Feind – es bekämpft Strukturen des eigenen Körpers, als wären sie schlimme Angreifer. Dabei wird auch seine gewaltige Schlagkraft deutlich: Beim Rheuma fügen die Immunzellen den Gelenken schweren Schaden zu, bei der Multiplen Sklerose zerstören sie nach und nach die Umhüllungen der Nerven. Die Folgen für den Körper sind beträchtlich, Patientinnen und Patienten mit Rheuma haben starke Schmerzen, und die Multiple Sklerose kann zu Schmerzen, Missempfindungen und Behinderungen führen.

Weshalb es dem Immunsystem in der langen Zeit seiner Evolution nicht gelungen ist, solche Auswüchse der eigenen Abwehrzellen zu verhindern, erklärt der Immunologieprofessor Carsten Watzl so: »Es ist eine Riesenaufgabe für das Immunsystem, angesichts unzähliger Keime und unzähliger Strukturen, gegen die es sich potenziell richten kann, immer die richtigen Entscheidungen zu treffen.« So überrascht es nicht, dass bei den vielen Tausend Entscheidungen täglich ab und zu auch mal was schiefgeht – aber statistisch betrachtet passiert das nicht häufig. »Insgesamt sind solche überschießenden oder fehlgeleiteten Immunreaktionen zum Glück relativ selten«, sagt Watzl. Wenn sie auftreten, wirken meist mehrere Auslöser zusammen. Zu genetischen Veranlagungen der Patientinnen und Patienten kommen meist noch Umweltfaktoren hinzu, zum Beispiel frühere überstandene oder chronische Infektionen, die es noch im Körper gibt. Denn wenn Eltern eine Autoimmunerkrankung haben, entwickeln deren Kinder nicht zwangsläufig dieselbe Krankheit, sie ist also nicht direkt erblich, die Kinder haben nur eine genetische Disposition, die durch äußere Einflüsse hervorgekitzelt werden kann. Dabei macht es die Umwelt dem Immunsystem nicht immer leicht: Manche Strukturen in der Natur sind Molekülen im Körper sehr ähnlich, sodass ein Versehen leicht passieren kann.

Weshalb die Immunabwehr von Mensch und Hai so ähnlich ist

Insgesamt scheint die Evolution beim Immunsystem aber mit ihrem Werk zufrieden zu sein. Denn es besteht schon seit unfassbar langer Zeit in kaum veränderter Form. Während sich manche Erfindungen der Natur im Laufe der Jahrmillionen erheblich gewandelt haben – man denke nur an die Unterschiede zwischen dem menschlichen Auge und dem Facettenauge der Fliege oder dem Grubenauge des Regenwurmes –, ist sich das Immunsystem über einen solch langen Zeitraum treu geblieben.

Man teilt seine Zellen und Moleküle in zwei Abteilungen ein – die ältere »angeborene Immunabwehr« und die jüngere »erworbene Immunabwehr«. Wobei »jünger« in diesem Fall auch schon 400 Millionen Jahre bedeutet. Die Teams des Immunsystems haben sich nacheinander entwickelt, aber sie arbeiten miteinander. Und es gibt sie im Tierreich genauso wie beim Menschen.

Als sich die ersten Immunmoleküle vor 500 bis 600 Millionen Jahren entwickelten, entstanden zunächst nur Eiweiße, die Defensine, die Menschen auch heute noch in sich tragen. Die Defensine waren bereits in der Lage, Krankheitserreger zu beschädigen, indem sie Löcher in deren Außenhülle (Membran) bohrten. Dann läuft ungehindert Wasser in die Erreger ein, sie platzen. Defensine durchbohren im Prinzip alles, was nach einem Bakterium aussieht, denn sie bevorzugen Membranen mit einem geringen Cholesteringehalt; die Membranen von höheren Wesen, die viel Cholesterin enthalten, fallen deshalb nicht in ihr Beuteschema.

Verstärkung erhielten die Defensine schon bald durch ein opulentes System von Abwehrmolekülen, das Komplementsystem. Neun Proteine, die Komplementfaktoren, aktivieren sich dabei nacheinander wie in einer Kaskade und bilden am Ende gemeinsam einen Komplex, der ebenfalls Zellmembranen durchbohrt und so den Untergang der Zellen einleitet. Auch das Komplementsystem gibt es im Menschen und vielen Tieren bis heute.

Neben dem Anbohren von Membranen hat es noch eine weitere Funktion: Die Komplementfaktoren markieren kranke oder gefährliche Zellen, damit sie von Immunzellen gefressen werden. Auch erste Zellen gehören nämlich schon zur angeborenen Immunabwehr. Die wohl ältesten sind die Phagozyten, eine Art Müllabfuhr im Körper: Diese Fresszellen verspeisen alles, was nicht in Ordnung ist – kranke Zellen ebenso wie alle möglichen anderen herumschwirrenden Bestandteile, die besser nicht herumschwirren sollten; Bruchstücke von Zellen oder Molekülen zum Beispiel. Dabei können sie im wahrsten Sinne des Wortes rund um sich herum fressen, denn sie haben weder einen Mund noch eine spezielle Öffnung, um Nahrung aufzunehmen. Sie stülpen einfach ihre eigene Umhüllung, die Membran, um die Zellen oder Moleküle, die sie verschlingen wollen, und nehmen sie so in ihr Inneres auf, dann verdauen sie sie.