Die Scheich-AG - Michael Backfisch - E-Book

Die Scheich-AG E-Book

Michael Backfisch

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Beschreibung

Öl, Gas, Wolkenkratzer, sündhaft teure Autos: Die Golfstaaten gelten als gesellschaftlich rückwärtsgewandte, aber wirtschaftlich extrem erfolgreiche Öl-Imperien. Doch die Scheichs planen bereits fieberhaft für die Zeit nach dem schwarzen Gold. Solartechnik, Flugzeugbau, Computerchips und energiesparendes Bauen sind die Schlüsselbranchen der Zukunft. Dabei spielen deutsche Firmen eine entscheidende Rolle, für sie birgt dieses Wirtschaftswunder enorme Chancen. Nicht nur im klassischen Export winken Milliardenaufträge. Auch beim Bau der neuen Hightech-Oasen ist Deutschland als Knowhow- und Technologiepartner heiß begehrt. Ein Riesenpotenzial für alle, die frühzeitig die Dynamik auf der Arabischen Halbinsel erkennen und sie zu nutzen wissen. Die Märkte in Europa sind gesättigt. Die Wachstumsländer und die Jobs von morgen liegen in Regionen wie Nahost.

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Information zum Buch

Die Golfstaaten gelten als gesellschaftlich zurückgebliebene, aber wirtschaftlich extrem erfolgreiche Öl-Imperien. Doch die Scheichs planen bereits fieberhaft für die Zeit nach dem »schwarzen Gold«. Solartechnik, Flugzeugbau, Computerchips und energiesparendes Bauen zählen zu den Schlüsselbranchen der Zukunft. Dabei spielen deutsche Firmen eine entscheidende Rolle. So investiert Abu Dhabi 1,3 Milliarden Euro in eine Dresdner Chipfabrik und schafft so Hunderte neuer Arbeitsplätze. Die Deutsche Bahn ist in Katar am Aufbau eines 17 Milliarden Euro teuren Schienennetzes beteiligt. Siemens, EADS und zunehmend auch Mittelständler profitieren vom arabischen Wirtschaftswunder. Der Nahe Osten wird für die Exportbastion Deutschland ein Eldorado sein – vorausgesetzt, sie erkennt frühzeitig ihren Vorsprung und weiß ihn zu nutzen.

Informationen zum Autor

Michael Backfisch ist seit 2008 Nahostkorrespondent für das Handelsblatt in Dubai. Er führte Exklusivinterviews mit Spitzenpolitikernund Wirtschaftsführern wie dem Chef der weltweit größten staatlichen Investmentfirma Abu Dhabi Investment Authority. Von 2006 bis 2008 war er Vize-Chefredakteur des Handelsblatts; zuvor leitete er fünf Jahre lang das Washingtoner Büro der Zeitung.

Michael Backfisch

Die Scheich-AG

Wie unsere Unternehmen vom Wirtschaftswunder am Golf profitieren

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Copyright © 2011 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am MainUmschlaggestaltung: Anne Strasser, HamburgUmschlagmotiv: corbis, Düsseldorf

ISBN der Printausgabe: 978-3-593-39341-4E-Book ISBN: 978-3-593-41047-0

Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de

|5|Für Lola

|11|Vorwort

Jedes Mal, wenn ich aus dem Dubai International Airport ins Freie trete, empfängt mich eine feucht-schwüle Hitzewalze. Gleichzeitig blicke ich in eine Menschenmenge, die vor Energie vibriert. Es ist ein farbenfrohes Völkergemisch, das wuselt, gestikuliert, schimpft – den Menschen nach zu urteilen ist Dubai ein Mix aus Mumbai, Peschawar, Kairo und Manila. Ich schaue in eine Ansammlung unterschiedlichster Gesichter. Die wenigsten sind hier, um im Palmenhain einer Fünf-Sterne-Anlage am orientalischen Luxus zu nippen – obwohl sich die Nobelhotels der Golf-Metropole über regen Zuspruch freuen. Die Menschen am Dubaier Flughafen warten, hoffen, sie sehnen sich nach einem Zipfel mehr Wohlstand. Oder sie sind einfach hier, weil es in ihren Heimatländern keine Jobs gibt.

Dubai ist nur ein Beispiel, wenn auch ein schillerndes. Doch Abu Dhabi, Doha, Dschidda oder Manama bieten ein ähnliches Bild: Sie sind ebenfalls bedeutende Dreh- und Angelpunkte für die wirtschaftliche Dynamik auf der Arabischen Halbinsel. Sie gehen mit dem gleichen Fortschrittsglauben ans Werk. Und sie verfügen über einen vergleichbaren Bevölkerungsflickenteppich unterschiedlicher Ethnien. Was mir an diesen Städten imponiert, ist der Wille der Regierungen, der Wüste ein Stück Modernität abzutrotzen. Und es ist der Kampf ihrer Bewohner, aus sich und ihrem Leben mehr herauszuholen. Diese Anstrengungen sind sehr vielfältig. Da ist der indische Bauarbeiter, der 150 Dollar pro Monat verdient und die Hälfte davon an seine Familie zu Hause überweist. Da ist die philippinische Hotelangestellte, die 400 Dollar bekommt und für ihre Schwester in |12|Manila das Schulgeld bezahlt. Da ist der Manager eines deutschen Mittelständlers, der nach drei Jahren Härteeinsatz am Persischen Golf von einem Karrieresprung träumt. Da ist der Nahost-Chef einer britischen Bank, der sich durch Finanztransaktionen auf schwierigem Terrain neue Meriten zu erwerben erhofft. Und da ist der arabische Abteilungsleiter, der in seinem Land neue Zukunftstechnologien einführen will. Sie alle haben meinen höchsten Respekt.

Die Staaten am Persischen Golf gelten hierzulande noch immer als politisch rückwärtsgewandte Öl-Imperien. Doch längst haben die Länder in Nahost begonnen, die Weichen für die Ära nach dem schwarzen Gold zu stellen. Sie drehen am großen Rad der Diversifizierung. Auf der Arabischen Halbinsel werden Straßen, Eisenbahnlinien, Fabriken und Kraftwerke in einem Volumen von mehr als zwei Billionen Dollar gebaut. Insbesondere zwischen Abu Dhabi, Saudi-Arabien und Katar entsteht ein Hightech-Kranz aus Solaranlagen, Petrochemiewerken und Aluminiumschmelzen. Die Chefplaner am Golf tüfteln bereits an der Herstellung von Flugzeugteilen und Computerchips. Seit 2008 trifft sich das »Who’s who?« der internationalen Energiefirmen jeweils im Januar zum World Future Energy Summit in Abu Dhabi. Das Ereignis ist bereits heute ein globaler Mega-Event, zu dem alles pilgert, was im Bereich der erneuerbaren Energien Rang und Namen hat.

Auf Unternehmen aus der Exportnation Deutschland wartet eine Vielzahl von Chancen. Vorausgesetzt, sie erkennen frühzeitig die Zukunftstrends in der Region. Viele Entwicklungen stehen noch am Anfang, stecken quasi noch in den Kinderschuhen. Es kommt darauf an, sich jetzt in das Geschehen hineinzuzoomen. Wer zu lange wartet, riskiert, nur noch die Rücklichter vom Zug zu sehen. Und er kann sicher sein: Die Chinesen und Südkoreaner sind dann schon da. Deutsche Betriebe haben in Nahost einen exzellenten Ruf. Es gilt, diesen Bonus gezielt in Aufträge umzumünzen.

Ich habe die Arabische Halbinsel seit 2008 immer wieder bereist, um die rasante Entwicklung vor Ort einzufangen. Mehr als 100 Gesprächspartnern bin ich zu Dank verpflichtet. In höherem Maße als |13|anderswo beruhen Geschäfte im Orient auf Diskretion. Kontaktanbahnungen verlaufen selten auf dem direkten Weg, sie sind verschlungen und gewunden wie Arabesken. Unternehmer wollen ihre ungeschminkten Einschätzungen in einem häufig sensitiven politischen und wirtschaftlichen Umfeld nicht an die große Glocke hängen. Und Politiker möchten das harmonische Bild des Miteinanders, dem die arabische Höflichkeit zugrunde liegt, nicht durch Misstöne stören. Daher musste ich in einigen Fällen Informationen in anonymisierter Form verwenden oder allgemein Institutionen zuschreiben, um meine Quellen zu schützen und um den Gesprächspartnern konkrete Aussagen statt vager PR-Phrasen zu entlocken.

Dieses Buch will neugierig auf eine Region machen, deren Wahrnehmung oft durch Klischees verzerrt wird. Es wendet sich an alle politisch und wirtschaftlich interessierten Leser, die sich einen Überblick verschaffen möchten, wie Arabien den ehrgeizigen Sprung von der Öl- und Gasbastion zu einem Mekka der Diversifizierung wagt. Und natürlich an Reisende, die tiefer eintauchen wollen in die Dynamik des Nahen Ostens. Einen besonderen Mehrwert bietet es Firmen, die sich vorgenommen haben, mit der Region ins Geschäft zu kommen. Und den Angestellten dieser Firmen, die verstehen möchten, was ihre Arbeitgeber antreibt.

Abschließend noch ein Wort zu Dubai. Mit ihrem Hang zum Superlativismus wurde die Metropole zur funkelnden City, die mittlerweile fast jeder zwischen New York und Sydney kennt. Wie keine andere Stadt verkörperte sie die Vision, Arabien ins 21. Jahrhundert zu hieven. Erst wurde sie als strahlendes Symbol eines »Über-Morgenlandes« in den Himmel gehoben. Dann, nach dem Immobiliencrash, hielt man die Totenmesse für eine riesige Ruine aus Wolkenkratzern. Beide Bewertungen sind aus meiner Sicht falsch. Es ist kein Zufall, dass Dubai vor allem in Ländern kübelweise mit Spott überschüttet wurde, die besonders heftig von der Finanzkrise gebeutelt wurden: Großbritannien und Deutschland. Ökonomischer Stillstand schien einen fruchtbaren Nährboden für Schadenfreude abzugeben. »Wie lebt es sich in Dubai, einer untergegangenen Stadt?«, |14|fragte mich ein hoher Funktionär eines Wirtschaftsverbandes in Berlin.

Ich glaube nicht, dass Dubai von der Bildfläche verschwinden wird. Das einstige Glitzerparadies wird sich nach der abrupten Bauchlandung bei der Grundstücksspekulation neu positionieren. Hierzu sind ein schmerzhafter Anpassungsprozess und eine disziplinierte Schuldenrückzahlung nötig. Aber die Metropole wird ihr Geschäftsmodell als Drehscheibe für Handel, Logistik, Tourismus und Finanzen weiterentwickeln. Bescheidener, nachhaltiger, aber dafür langfristig erfolgreicher.

Zu guter Letzt noch ein persönliches Anliegen: Während meiner Tätigkeit in Nahost führten mich Kurztrips immer wieder nach Deutschland. Es war für mich jeweils eine Rückkehr in ein museal wirkendes Land mit einer alternden Bevölkerung. Ein Land, das zwar viel Vergangenheit und allen erdenklichen Komfort aufweist, aber saturiert ist. Statt Zukunftsdebatten zu führen, zieht man vielerorts den diskreten Charme der Stagnation vor. Die Diskussionen rund um Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab waren weniger von offensiver Politikgestaltung als von Abschottungsdenken geprägt. Ich würde mir wünschen, dass auf Deutschland ein Funken der Bewegung überspringt, die in den quirligen Fortschrittslabors am Golf spürbar ist. Und dass beherzt um eine Antwort auf die Frage gerungen wird, wie unser Land in fünf, zehn oder 15 Jahren aussehen soll.

Dubai, im Dezember 2010

|15|1. Die arabische Wachstumsmaschine

Paradies für deutsche Exportunternehmen

Jagd auf Nobelmarken: Der Daimler- und der Porsche-/VW-Coup

Spätestens 2009 hat man in Deutschland begriffen, dass arabische Akteure in unserer Wirtschaft ganz groß mitmischen. Im März 2009 kaufte die staatliche Investmentgesellschaft Aabar aus dem Öl-Emirat Abu Dhabi einen Anteil von 9,1 Prozent am Parade-Unternehmen Daimler.1 Mit einem Schlag waren die Scheichs der gewichtigste Einzelaktionär bei der Weltfirma mit dem Stern. Wenn es nach Khadem Al Qubaisi geht, dem smarten Vorsitzenden von Aabar mit dem stets akkurat gestutzten Dreitagebart, soll der Anteil bald auf 15 Prozent hochgeschraubt werden. Wenige Monate nach dem Daimler-Deal zog die Gashochburg Katar nach: Der Staatsfonds Qatar Investment Authority (QIA) erwarb 10 Prozent der Stammaktien an der Porsche Automobil Holding SE und beteiligte sich mit 17 Prozent an Volkswagen. Die Jagd auf die deutschen Premiumhersteller der Autobranche hatte ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht.2 Die Nobelmarken »made in Germany« stehen bei gut betuchten Arabern für Status, technologische Spitzenqualität und verlässlichen Profit. Und anders als etwa im Fall staatlicher Anleger aus Russland oder China waren die »Retter aus dem Morgenland«3 in Deutschland höchst willkommen: Politik, Öffentlichkeit und die Betriebsräte der betroffenen Firmen jubilierten. Nach den drastischen Absatzeinbrüchen im Zuge der globalen Finanzkrise verschafften die frischen Kapitalspritzen den Konzernen eine Atempause. Vor allem aber stehen arabische Investoren in dem Ruf, zumindest bei Anlagen in Deutschland weniger |16|an kurzfristiger Gewinnmaximierung als an einer guten langfristigen Rendite interessiert zu sein.4 Zudem nimmt man in Deutschland den Arabern das Bekenntnis ab, keine politische Einflussnahme anzustreben.5

Der arabische Exportmarkt steht bei deutschen Unternehmen hoch im Kurs:

Bereits Platz 4 hinter den USA, China und Russland

Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Denn umgekehrt entdecken deutsche Unternehmen zunehmend den Nahen Osten als Exportparadies. So haben die Ausfuhren auf die Arabische Halbinsel 2010 schätzungsweise rund 15 Milliarden Euro in deutsche Kassen gespült, mehr als doppelt so viel wie vor zehn Jahren.6 Wenn in diesem Buch von der Arabischen Halbinsel die Rede ist, umfasst dies die sechs Staaten Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Katar, Kuwait, Bahrain und Oman. Das sind die Länder des Golf-Kooperationsrates, eines lockeren politischen Zusammenschlusses. Rein geografisch zählt auch der Jemen zur Arabischen Halbinsel, doch wirtschaftlich fällt das Armenhaus Arabiens kaum ins Gewicht. Der beliebteste Exportmarkt sind aus deutscher Sicht die Vereinigten Arabischen Emirate mit ihren beiden Metropolen Dubai und Abu Dhabi, die Saudi-Arabien den Rang abgelaufen haben. Die Emirate lagen im ersten Halbjahr 2010 mit einem Volumen an deutschen Importen in Höhe von 3,4 Milliarden Euro nur knapp hinter der Wachstumslokomotive Indien, das auf 4,3 Milliarden Euro kam. Insgesamt ist die Arabische Halbinsel für Deutschland der viertgrößte Überseemarkt nach den USA, China und Russland.7

Die Bedeutung der Region wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Es ist eine einfache Gleichung: Die Preise für Öl und Gas liegen relativ hoch, die nationalen Haushalte schwimmen in Geld, die Bevölkerung ist jung und wächst, verglichen mit westlichen Industrienationen, überproportional. Der Bedarf an Straßen, Flug- und |17|Seehäfen, Eisenbahnlinien, Häusern, Schulen, Krankenhäusern und Kraftwerken ist enorm. Im Oktober 2010 waren auf der Arabischen Halbinsel Infrastrukturprojekte im Wert von rund 2,3 Billionen Dollar im Bau oder in der Planung. Das sind 2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.8 Die Region verfügt über 37 Prozent der nachgewiesenen Ölreserven und 23 Prozent der globalen Gasvorkommen.9 Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Kuwait sind gewichtige Öl- und Gasimperien, das Rohstoff-Reservoir von Oman und Bahrain ist deutlich geringer. Nach Berechnungen des in Washington ansässigen Institute of International Finance (IIF) strich der Sechser-Club 2010 Brutto-Exporteinnahmen von 419 Milliarden Dollar ein, für 2011 werden sogar 457 Milliarden Dollar geschätzt.10 Das sorgt zumindest bei den fossilen Großmächten für luxuriös ausgestattete Budgets. So prognostizierte die Emirates Industrial Bank (EIB) in Abu Dhabi den Staaten der Arabischen Halbinsel für 2010 ein Etatplus von rund 50 Milliarden Dollar.11 Und das trotz opulenter staatlicher Ausgabenprogramme.

Experten gehen davon aus, dass die Konjunktur im Nahen Osten unter Dampf bleibt. »Wir glauben, dass der Weltwirtschaft 2011 eine robuste Erholung bevorsteht«, bekräftigt Kamran Butt, Chefökonom des Schweizer Bankhauses Credit Suisse in Dubai. »Die Nachfrage nach Rohstoffen und insbesondere das unverändert starke Wachstum in Asien unterstützen die Volkswirtschaften am Golf.«12 Für 2011 prognostiziert Butt den Staaten der Arabischen Halbinsel ein durchschnittliches Wachstum von 4 bis 5 Prozent. Das Gasimperium Katar lege hingegen aufgrund der Errichtung neuer Industrieanlagen zwischen 13 und 15 Prozent zu.13 Der Internationale Währungsfonds (IWF) sagt der Region Nordafrika, Nahost und Pakistan für 2011 ein Plus von 4,8 Prozent voraus.14

Die Chancen, dass deutsche Unternehmen ein möglichst großes Stück von diesem Kuchen abbekommen, stehen gut. Deutsche Produkte und Qualität genießen im Nahen Osten traditionell einen exzellenten Ruf. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass Deutschland aufgrund seiner fehlenden Kolonialvergangenheit in dieser Region keine politische |18|Hypothek mit sich herumschleppt wie etwa England oder Frankreich.

Wettrennen um Milliardenaufträge: Deutsche Firmen in den Startlöchern

Bei einigen Mega-Vorhaben in der Region haben sich deutsche Firmen bereits eine hervorragende Startposition gesichert. So ist die Deutsche Bahn an der Planung eines 17 Milliarden Euro teuren Schienennetzes im Emirat Katar beteiligt.15 Dort drücken etliche deutsche Unternehmen der Bahn die Daumen und bauen auf einen Huckepackeffekt. Der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern EADS ist bereits gut im Geschäft. Die Münchner entwickeln für Saudi-Arabien eine elektronische Grenzsicherung mit einem Auftragsvolumen von 3 Milliarden Euro.16

Kein Wunder, dass sich die Stimmung der Industriekapitäne beim Thema Nahost immer weiter aufhellt. Viele Firmen haben in der Region in den vergangenen Jahren ein durchschnittliches Umsatzwachstum von 10 bis 15 Prozent per annum erzielt.17 Selbst im Krisenjahr 2009, als die Exportzahlen in Europa und den USA ins Bodenlose stürzten, erzielten einige in Arabien zumindest ein einstelliges Plus. Für 2011 und 2012 bauen die Topmanager wieder auf zweistellige Raten. »Die Fundamentaldaten der Region sind stark: Die Bevölkerungszahlen steigen, die Länder sind reich an Rohstoffen, das Geld wächst nach«, fasst der Nahost-Chef eines DAX-Unternehmens zusammen.18 Auch Siemens ist optimistisch, in den kommenden Jahren beim Umsatz auf der Arabischen Halbinsel zweistellig zuzulegen. »Der Nahe Osten zählt für uns weltweit genauso zu den wichtigsten Wachstumsregionen wie die BRIC-Länder Brasilien, Russland, Indien und China«, erläutert Joachim Kundt, Siemens-CEO für die Untere Golfregion.19 Der Konzern ist mit rund 3500 permanent beschäftigten Mitarbeitern der größte deutsche Arbeitgeber zwischen Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien. Die Münchner erwarten vor allem im Bereich Energie, |19|der fast zwei Drittel ihrer Einnahmen in der Region ausmacht, Milliardenaufträge. Allein ein einziges Gas- oder Öl-Kraftwerk spielt mehrere Hundert Millionen Euro ein. Auch Stromleitungen von Siemens stehen bei den Scheichs ganz oben auf der Wunschliste. Dahinter folgen Industrieprojekte wie Flughäfen oder Gepäckverarbeitungssysteme sowie der Sektor Medizintechnik.

Allein der Gesundheitsmarkt am Golf steht vor einer massiven Expansion. Nach Angaben der US-Forschungsgesellschaft Acorn Research werden in den kommenden Jahren neue Krankenhäuser, medizinische Forschungsstätten und Labors gebaut, die Höhe der Aufträge soll sich auf 57 Milliarden Dollar summieren.20 Derzeit werden die Gesundheitsausgaben auf 15 bis 18 Milliarden Dollar pro Jahr beziffert. Die in Abu Dhabi erscheinende Zeitung The National schätzt, dass sich das Volumen in den nächsten 15 Jahren vervier- oder verfünffachen könnte.21

Für den Chemieriesen Bayer liegt der Nahe Osten beim Umsatzwachstum bereits auf Platz 3 – nach Asien und Südamerika. Das größte Geschäft macht die Firma in den Bereichen Gesundheit und Chemie. Auf dem Pharmasektor verkauft sie insbesondere Präparate für Herz-Kreislauf- und Thromboseerkrankungen, zur Krebsbekämpfung und Empfängnisverhütung. Letzteres, so die Einschätzung in Branchenkreisen, werde auch als gesellschaftliches Thema immer wichtiger. »Die Liberalisierung der Frau findet statt, auch wenn man dies nicht unbedingt auf der Straße erkennt«, sagt ein Konzernmanager.22

Mit Blick auf die Chemiesparte setzt Bayer große Hoffnungen in »grüne« Bautechniken. So stellt das Unternehmen in Nahost eine steigende Sensibilisierung für Energieeffizienz und ökologische Verfahren fest. »Die Kunden sind interessierter und besser informiert. Sie fordern Dinge von uns ab, die sie vor zwei Jahren noch nicht auf dem Radarschirm hatten«, betont ein Spitzenmanager.23 Dies schlage sich etwa in einer erhöhten Nachfrage nach Wärme- und Geräuschdämmung nieder. Auch Farben und Oberflächen, die lösungsfrei und langlebiger sind, stünden neuerdings hoch im Kurs. Schrittmacher |20|dieser Entwicklung seien institutionelle Investoren wie Bau-Entwicklungsgesellschaften: Sie pochten auf nachhaltige Materialien für Wohnkomplexe, Einkaufszentren, Fabrikhallen oder Krankenhäuser. Insbesondere in Abu Dhabi und Dubai drängten die lokalen Verwaltungen zunehmend auf Energiespareffekte bei Neubauten.24 Sobald auch die Privatverbraucher nachzögen, sei mit einem »wahren Durchbruch« zu rechnen, unterstreichen Bayer-Manager.

Der Industriegüterkonzern ThyssenKrupp hat im Zuge der Finanzkrise zwar vorübergehend einen Rückgang der Auftragseingänge verbucht. Doch die Geschäfte im Nahen Osten liefen mittlerweile wieder »sehr gut«, erklärt ein Topmanager.25 Die Region steuere zwischen 5 und 7 Prozent des gesamten Jahresumsatzes von rund 40 Milliarden Euro bei. Und der Anteil werde weiter wachsen, heißt es. Ein großer Vorteil bestehe darin, dass die arabischen Länder aufgrund ihres Rohstoffreichtums leichter Finanzierungen zustande brächten als andere Märkte.

Seine Haupteinnahmen erzielt ThyssenKrupp als Anlagenbauer. So kostet eine Petrochemiefabrik – hier geht es vor allem um die Produktion von Düngemitteln – in der Regel einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag in Euro. Beim Bau von Kraftwerken wird das Unternehmen oft als Zulieferer beauftragt, zum Beispiel von Siemens oder der Schweizer ABB. Ein derartiges Projekt bringt bis zu 500 Millionen Euro. Dennoch sei der Preiswettbewerb härter geworden, räumen Manager ein. Insbesondere Firmen aus Südkorea und China mischten den Markt auf. ThyssenKrupp denkt nun verstärkt darüber nach, noch mehr Teile, die nicht zum Kernbereich einer Industrieanlage gehören, an billigere Subkontraktoren abzugeben. Der Konzern würde sich dann vor allem auf Ingenieur-Dienstleistungen konzentrieren.

Lukrativ sind für die Firma auch die massiven Investitionen in eine flächendeckende Infrastruktur quer durch die Wüste. Dies betrifft die Errichtung von Eisenbahnlinien, aber auch den Auf- und Ausbau von Flughäfen. Mit Aufzügen, Rolltreppen, horizontalen Rollsteigen und Fluggastbrücken für Airports verdient ThyssenKrupp bereits |21|gutes Geld. Ein größerer Auftrag beläuft sich auf einen unteren dreistelligen Millionenbetrag in Euro. Die Flughäfen in Dubai, Doha (Katar) und Kairo hat ThyssenKrupp schon ausgestattet, das Projekt in Muskat (Oman) ist in der Pipeline.

Auch der Gas- und Anlagenbaukonzern Linde erwartet einen starken Auftrieb durch das Nahostgeschäft. Die Region werde eine »wesentliche Säule«« für den künftigen Auftragseingang sein, prophezeit Linde-Vorstand Aldo Belloni, der für die Abteilung Engineering-Division zuständig ist.26 Die starke Nachfrage aus Arabien habe 2009 den Rückgang der Aufträge aus Asien und den Pazifikstaaten abmildern können. »Ohne das Geschäft im Nahen Osten wäre unsere Engineering-Division 2009 stärker von der weltweiten Krise getroffen worden«, betont Belloni.

Doch nicht nur für die großen Dax-Kaliber ist Arabien ein Export-Paradies. Auch Mittelständler entdecken zunehmend das Potenzial der Region. »Für uns ist der Nahe und Mittlere Osten weltweit der größte Wachstumsmarkt«, sagt Jürgen Wild, Chef des Stuttgarter Anlagenbauers M+W Group.27 »Wir erhoffen uns von dort in den nächsten drei Jahren Aufträge über mehrere hundert Millionen Dollar.« Die Firma, die 2009 einen Jahresumsatz von 1,3 Milliarden Euro erwirtschaftete, sieht einen hohen Bedarf für Produkte aus dem eigenen Hightech-Portfolio: Photovoltaik- und solarthermische Fabriken in der Sonnenenergie, Forschungs- und Rechenzentren sowie Biotechnologie-Werke. »Das Emirat Abu Dhabi ist bislang der Schrittmacher, doch Saudi-Arabien dürfte der nächste Markt werden«, betont Wild.

Auch kleinen und mittleren Firmen bieten sich goldene Gelegenheiten. So bekam der nordrhein-westfälische Türenspezialist Simonswerk beim Bau des größten Gebäudes der Welt, des 828 Meter hohen Burj Khalifa in Dubai, den Zuschlag für einen Auftrag. Er stattete das Armani-Hotel für 350 000 Euro mit Scharnieren aus. Es war die größte Einzelorder in der Unternehmensgeschichte. Und der schwäbische Betonpumpenhersteller Putzmeister lieferte Geräte, womit das Baumaterial bis auf 600 Meter Höhe transportiert werden konnte.

|22|Geschäfte im politischen Krisenbogen: Risiken und Chancen

Begünstigt wird der Handel mit Nahost durch den hervorragenden Standort der Länder zwischen Asien, Afrika, Europa und Amerika. Auch die innenpolitische Stabilität der Golfstaaten sorgt dafür, dass die Region für die deutsche Wirtschaft äußerst attraktiv ist. Die dynastisch organisierten Herrscherhäuser haben die Lage bislang unter Kontrolle. Gelegentlich kommt es zwar zu ethnischen und religiösen Spannungen, etwa in Bahrain.28 Eine ernsthafte Gefährdung dieser Balance drohte jedoch bisher nicht. Inmitten einer Reihe von regionalen Krisenherden konnten sich weite Teile der Arabischen Halbinsel vielmehr als Zone relativer Ruhe behaupten. Trotz der Gefahr durch militante Islamisten wie Al-Qaida, des Dauerkonflikts zwischen Israel und Palästina, der fragilen Situation im Irak sowie des internationalen Atomstreits mit dem Iran blieben die Golfstaaten bis dato von Terroranschlägen oder einer gewaltbereiten Opposition weitgehend verschont.

Gleichwohl sind Risiken nicht von der Hand zu weisen. Es ist zwar nicht abzusehen, dass den Monarchien größere innenpolitische Erschütterungen bevorstehen. Doch eine Garantie für die Zukunft ist das nicht. Die meisten Fragezeichen hängen derzeit über Saudi-Arabien. König Abdullah bin Abdulaziz al Saud fährt einen äußerst vorsichtigen, aber dennoch delikaten Modernisierungskurs, der von den meisten wahhabitischen29 Geistlichen abgelehnt wird. Viele spekulieren mit Sorge, wer auf den 87-jährigen Herrscher folgt. Zudem ist das Königreich im Visier der Terrorgruppe Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel. Das Netzwerk hat seine Basis im Jemen, einem wirtschaftlich armen und politisch instabilen Land.

Die Regierung in Riad blickt daher mit zunehmender Sorge nach Süden. In den letzten Jahren bekämpfte sie Al-Qaida mit aller Härte. Vor allem seit den Terror-Attacken auf Wohnkomplexe westlicher Ausländer 2003 und 2004 haben die Sicherheitsbehörden die Kontrollen massiv ausgeweitet. Jeder Wagen wird am Eingang der »Compounds« auf möglichen Bombenbesitz untersucht, der Fahrer muss |23|einen Ausweis vorzeigen. In den Wohnvierteln geht es hingegen relativ liberal zu: Westliche Ausländerinnen brauchen keinen traditionellen schwarzen Umhang, eine Abaya, zu tragen und dürfen hinters Steuer, was im Rest des Landes für Frauen tabu ist. Alkohol ist zwar auch in diesen Enklaven strikt verboten. Der eine oder andere tröstet sich aber mit einem herben Rebensaft, den er aus den Gewächsen im eigenen Garten erzeugt. Seit der Anschlagswelle vor ein paar Jahren gab es in den abgeriegelten Wohngebieten keine Terrorakte mehr.

Der Konflikt birgt auch Gefahren für die internationale Gemeinschaft. Dies wurde im Oktober 2010 deutlich, als zwei Passagiermaschinen der katarischen Fluggesellschaft Qatar Airways ein Paket mit Druckerpatronen an Bord hatten, in denen der geruchlose Sprengstoff PETN versteckt war. Die Sendung wurde in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa aufgegeben und sollte über Doha und Dubai nach Chicago fliegen. Erst in Dubai wurde die brisante Fracht entdeckt.

Der Atomstreit mit dem Iran ist ein weiterer Unsicherheitsfaktor in der Region. Das Regime in Teheran hat seinen Kurs nach den stark umstrittenen Präsidentschaftswahlen am 12. Juni 2009 in jeder Hinsicht verhärtet. Innenpolitisch wurde die Opposition blutig niedergeschlagen, und auch beim Nuklearprogramm bleibt die Regierung kompromisslos. Die internationalen Sanktionen gegen den Mullah-Staat wurden daraufhin 2010 nochmals verschärft. Klar ist: Sollte der Konflikt mit dem schiitischen Iran eskalieren, würde dies auch die traditionell auf gute Handelsbeziehungen setzenden sunnitisch regierten Golf-Staaten in Mitleidenschaft ziehen.

Die Angst vor einer iranischen Atombombe und der damit einhergehenden politischen Bevormundung durch Teheran ist jedenfalls weit verbreitet. Öffentlich artikuliert dies zwar keiner der arabischen Herrscher. Doch hinter verschlossenen Türen entlädt sich eine umso schärfere Rhetorik, wie die Veröffentlichung von mehr als 250 000 diplomatischen Depeschen der USA durch das Internetportal Wikileaks im November 2010 enthüllte.30 Arabiens Monarchen machen sich für drastische Maßnahmen stark, um einen nuklear aufgerüsteten |24|Iran zu verhindern. Manch einer fordert deutlich schärfere Sanktionen, andere haben sogar Sympathien für einen Militärschlag. So wird Saudi-Arabiens König Abdullah mit dem Satz zitiert: »Schlagt der Schlange den Kopf ab, bevor es zu spät ist.« Der mächtige Kronprinz des Emirats Abu Dhabi, Scheich Mohammed bin Zayed Al Nahyan, verglich die aktuelle Situation mit der vor dem Zweiten Weltkrieg in Europa und brandmarkte Irans Präsidenten mit den Worten: »Ahmadinedschad ist Hitler.« Bahrains König Hamad bin Isa Al Khalifa verlangte kurz und knapp: »Das Programm muss beendet werden, egal mit welchen Mitteln.« Selbst Katars Premierminister Hamad bin Jassim bin Jaber Al Thani, der sich guter Kontakte zu Teheran rühmt, äußerte sich wenig diplomatisch: »Die Iraner belügen uns, und wir belügen die Iraner.«31

Angesichts dieser Spannungen haben fast alle deutschen Unternehmen ihr Engagement im Land deutlich heruntergefahren. Dennoch unterhalten etliche Firmen nach wie vor zumindest eine kleine lokale Präsenz in Teheran. Die reichhaltigen Öl- und Gasvorkommen Irans, eine relativ junge und gut ausgebildete Bevölkerung von mehr als 70 Millionen Einwohnern locken die deutsche Exportwirtschaft. Im Gegensatz zu den bis auf Saudi-Arabien relativ bevölkerungsarmen Golfstaaten bietet der Iran einen hoch lukrativen Absatzmarkt.

Ähnlich gespalten ist die Haltung der deutschen Unternehmen zum Irak. Die unsichere politische Lage und die unverändert hohe Gefahr von Anschlägen und Entführungen haben viele bislang von größeren Investitionen abgehalten. Hinzu kommen Berichte über eine sich virusartig ausbreitende Korruption, die die Wirtschaftskontakte mit der Regierung in Bagdad massiv erschweren. Dennoch: Das Interesse, mit dem Irak ins Geschäft zu kommen, ist auf deutscher Seite riesig.32 Die opulenten Rohstoffreserven und die Notwendigkeit, ein durch jahrelangen Bürgerkrieg zerrüttetes Land wiederaufzubauen, bieten deutschen Firmen theoretisch ein enormes Potenzial.

Die deutsche Wirtschaft genießt sowohl im Iran wie auch im Irak einen exzellenten Ruf. Die Geschäftsbeziehungen wurden zum Teil |25|über mehrere Jahrzehnte hinweg aufgebaut. Viele Betriebe haben daher den »Tag X« auf dem Radarschirm: Sollten sich der Iran und der Irak langfristig politisch stabilisieren, würden neue ökonomische Kraftpole entstehen und die Region wirtschaftlich noch interessanter werden.

Hightech-Oasen in der Wüste: Die Doppelstrategie der Scheichs

Für deutsche Unternehmen ist der Nahe Osten weniger als Markt von Endverbrauchern interessant: Zwischen Kuwait und Riad leben gerade einmal 44 Millionen Mensche – ein Klacks verglichen mit Indien, das über mehr als eine Milliarde Einwohner verfügt. Der Reiz der Arabischen Halbinsel besteht darin, dass die Scheichs ihre Staaten mit Lichtgeschwindigkeit ins 21. Jahrhundert katapultieren wollen. In der Wüste sollen Städte, Kraftwerke, Schnellstraßen und Bahnnetze für Hochgeschwindigkeitszüge entstehen. Die Öl- und Gas-Milliarden fließen zunächst in den Aufbau einer Infrastruktur nach dem neuesten Stand der Technik. Ein gewaltiger Kraftakt, wenn man bedenkt, dass die Länder am Persischen Golf vor wenigen Jahrzehnten noch aus dünn besiedelten Beduinengebieten oder verschlafenen Nestern bestanden, in denen Fischer, Perlentaucher, Schmuggler und Piraten ihr Auskommen suchten.

Doch der Ehrgeiz der arabischen Herrscher reicht weiter. Sie wollen nicht nur aus Öl Beton machen. Ihr Ziel ist vielmehr die Errichtung von Hightech-Oasen, die es mit den aufstrebenden Schwellenländer-Metropolen Hongkong oder Singapur aufnehmen können. Die nächste Stufe des Fortschritts besteht deshalb darin, die Wirtschaft der arabischen Länder zu diversifizieren und sie auf die Zeit nach Öl und Gas vorzubereiten. Öl, Stahl, Silizium: Den Scheichs schwebt vor, ihre Rohstoffmilliarden in kapital- und zumeist auch energie-intensive Branchen zu pumpen, die die Wüste in moderne Städte und Industriestandorte verwandeln. Arabiens Zukunftsindustrien sind die Solartechnologie, die Produktion von Computerchips, die |26|Fertigung von Flugzeugteilen, die Veredelung von Plastik und Aluminium.

Vor allem mit Petrochemiefabriken wollen die Regierungen die Wertschöpfungskette in der Öl- und Gasproduktion verlängern. Bereits 2010 produzierte die Arabische Halbinsel 10 Prozent aller petrochemischen Erzeugnisse weltweit. Einen ähnlichen Marktanteil hat die Region bei Düngemitteln und dem in der Automobil- und Flugzeugindustrie heiß begehrten Aluminium.33 Bis 2015 will der Nahe Osten seine Kapazität durch eine Reihe neuer Petrochemiewerke und Aluminiumschmelzen massiv erhöhen. So sagte der Generalsekretär der Gulf Petrochemicals & Chemicals Association, Abdulwahab Al Sadoun, eine »Gewichtsverlagerung von West nach Ost« voraus.34 Beim wichtigen petrochemischen Produkt Polypropylen werde der Weltmarktanteil der Golf-Region einschließlich Irans von 16 Prozent (2010) auf 20 Prozent (2015) steigen. Im gleichen Zeitraum erhöhe sich der Anteil Asiens von 31 auf 36 Prozent, während Europas Anteil von 23 auf 20 Prozent sinke.35

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die arabischen Herrscher bei ihrer Zukunftsstrategie zweigleisig fahren: Auf der einen Seite fließen die Öl- und Gaseinnahmen in den Aufbau einer umfassenden Infrastruktur. Auf der anderen Seite wird ein Netz von Hightech-Projekten aufgebaut. Diese kommen in den Genuss billiger Energie und haben dadurch einen immensen Start- und Wettbewerbsvorteil. Auf lange Sicht sollen sich die neuen Branchen jedoch vom Rohstoffprivileg emanzipieren und eigene Kompetenzfelder auf dem Weltmarkt entwickeln.

Von »C« wie Computer bis »S« wie Solar: Arabiens Zukunftsbranchen

Öl, Gas, Wolkenkratzer und sündhaft teure Autos: Keine andere Region auf der Welt wird derart mit diesem Vierklang assoziiert wie der Nahe Osten. Der Wohlstand der Region basiert noch immer auf einem festen fossilen Fundament. Doch die Scheichs wissen, dass |27|die Rohstoffe endlich sind. Daher wollen sie ihre Volkswirtschaften auf breitere Beine stellen und planen schon heute für die Zeit nach Öl und Gas. Sie legen umfangreiche Diversifizierungsprogramme auf und bauen zunehmend auf erneuerbare Energien, um das Einkommen der künftigen Generationen zu sichern. Auf diese Weise schlagen die Herrscher zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen wird dadurch mehr Öl und Gas für den Export frei. Zum anderen haben alternative Quellen das Potenzial, sich in einigen Jahrzehnten zu einem wichtigen Wirtschaftsfeld in Nahost zu entwickeln.

Es ist also nicht primär das ökologische Gewissen, das die Regierungen antreibt. Dahinter stecken vielmehr blanke Notwendigkeit und ökonomisches Kalkül. Die Staaten der Arabischen Halbinsel konsumieren im Schnitt 18 Prozent ihrer Öl-Produktion selbst, jedes Jahr legt der eigene Bedarf um weitere 5 Prozent zu.36 Die Länder werden Opfer ihrer eigenen wirtschaftlichen Dynamik. Das Energieproblem resultiert aus verschiedenen Faktoren: Erstens wächst die Bevölkerung im Schnitt zwischen 2 und 3 Prozent pro Jahr, was zusätzliche Kapazitäten an Strom, Wohnraum, Gebäudekühlung und Wasser erforderlich macht. Zweitens verschlingt die industrielle Expansion (Petrochemie, Düngemittel, Aluminium, Stahl) immense Mengen an Öl und Gas. Und drittens wirken sich fehlende Energieeffizienz, energieintensive Trinkwassergewinnung mittels Meerwasser-Entsalzungsanlagen sowie der Mangel an öffentlichen Verkehrsmitteln erschwerend aus.

Als neue Energieträger eignen sich in erster Linie Sonne und Wind. Nach Berechnungen des Beratungsunternehmens Booz & Company bergen der Nahe Osten und Nordafrika (MENA-Region) 45 Prozent des weltweiten Potenzials für erneuerbare Energien. Würden diese Möglichkeiten voll ausgeschöpft, könnte der globale Energiebedarf mehr als dreimal gedeckt werden.37 Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) schätzt, dass jeder Quadratkilometer im Nahen Osten und in Nordafrika pro Jahr die Menge an Sonnenenergie erhält, die 1,5 Millionen Barrel Rohöl entspricht. Da lediglich Oman und Ägypten über nennenswerte Windvorkommen verfügen, |28|steht vor allem der »Rohstoff« Sonne hoch im Kurs. Insbesondere die Schwergewichte im Hinblick auf fossile Energie, also die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Katar, legen sich kräftig ins Zeug, ihre Volkswirtschaften mit Solartechnik umzukrempeln. Kuwait hat zwar auch beträchtliche Ölvorkomen, hinkt aber bei der Diversifizierung um Längen hinterher.

Die Dynamik der großen Drei ist der Stoff, der die Fantasien der Industriebosse beflügelt. »Die Region hat sehr großes Potenzial«, freut sich Dietmar Siersdorfer, der für Siemens das Energiegeschäft im Nahen Osten leitet.38 Der Münchner Konzern ist in Saudi-Arabien aktiv, wo er sich insbesondere auf solarthermische Anlagen konzentriert. Diese Fabriken funktionieren folgendermaßen: Sonnenenergie, die durch einen Spiegel eingefangen wird, erhitzt eine Flüssigkeit. Diese wiederum setzt eine Dampfturbine in Gang, die Strom produziert. Grundsätzlich kann sich Siemens aber auch vorstellen, als Generalunternehmer für Photovoltaikkraftwerke aufzutreten. Im Gegensatz zur Solarthermie wird bei Verfahren der Photovoltaik Sonnenlicht mittels Solarzellen direkt in elektrische Energie umgewandelt. Nach Berechnungen von Siemens wächst der Bedarf an Photovoltaikanlagen in der Region zwischen 2010 und 2020 jährlich um 24 Prozent. An zweiter Stelle liegen solarthermische Kraftwerke mit 22 Prozent Wachstum.39

Auch andere deutsche Unternehmen haben das Solarpotenzial der Arabischen Halbinsel erkannt. »2009 ist im Nahen Osten der Knoten geplatzt«, sagt Oliver Beckel, Chef für Internationale Projekte beim Solarhersteller Q-Cells.40 Der Bonner Photovoltaik-Anbieter SolarWorld rechnet gar mit einem Quantensprung: »Bis 2020 werden mehr als 30 Prozent der Stromversorgung auf der Arabischen Halbinsel aus der Solarenergie kommen«, sagt Frank Asbeck, Vorstandsvorsitzender von SolarWorld im Exklusivinterview. Das Energieunternehmen E.on sieht ebenfalls einen langfristigen Wachstumsmarkt. »Die Region verfügt über eine junge Bevölkerung mit einem Bedürfnis nach steigender Lebensqualität. Daher wird der Strom- und Wasserbedarf weiter zunehmen«, unterstreicht Frank |29|Mastiaux, der die Tochtergesellschaft für Erneuerbare Energien und Klimaschutzprojekte des Düsseldorfer Konzerns leitet.41 Im Zuge der steigenden Nachfrage greifen die Nahost-Regierungen tief in die Tasche, sind sich Experten sicher. »Im Sonnengürtel von Marokko bis zum Persischen Golf wird es in den kommenden Jahrzehnten massive Investitionen im Bereich der Solarenergie geben«, prophezeit Eckart Woertz, Chefökonom beim Gulf Research Centre, einer unabhängigen Denkfabrik in Dubai.42 Experten schätzen, dass auf der Arabischen Halbinsel in den nächsten zwei Jahrzehnten rund 200 Milliarden Dollar für etwa 120 Solarprojekte ausgegeben werden.43

Doch die Diversifizierungspläne befassen sich mit viel mehr als nur Solarenergie. »Grundsätzlich haben allen deutschen Betriebe große Chancen in Industrien, in denen Hochtechnologie entscheidend ist«, sagt Torsten Hohe, CEO der in München und Abu Dhabi ansässigen Beratungsfirma Gulf Business & Management Development Associates.44 Kommende Branchen, wie sich bereits abzeichnet, sind erneuerbare Energien insbesondere Solartechnik, energieeffizientes Bauen, Computertechnologie und Softwareprogramme, Metallveredelung, Wasserversorgung sowie Abwassermanagement, Medizintechnik sowie Gesundheitsversorgung und der Sektor Ausbildung. Insbesondere der letzte Aspekt könnte zu einem wettbewerbsentscheidenden Pluspunkt werden. Das deutsche Schul-, Universitäts- und praxisorientierte Ausbildungswesen (duales System) genießt im Nahen Osten ein hervorragendes Ansehen. Wo immer deutsche Firmen ein Exportprodukt mit einem Trainings-, Praktikums- oder Ausbildungsblock für arabische Nachwuchskräfte kombinieren können, steigen ihre Chancen enorm.45

Auch der Bereich Wissenschaft öffnet sich langsam für deutsche Expertise. So ist die Fraunhofer-Gesellschaft, Europas größte Organisation für angewandte Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen, in mehreren Ländern der Arabischen Halbinsel aktiv. »Die stärkste Nachfrage herrscht in den Sektoren Solarenergie, Innovationsberatung, energieeffizientes Bauen und Umwelttechnologie«, sagt Dieter Fuchs, der von Dubai aus das Nahostgeschäft von |30|Fraunhofer leitet.46 Der Auftrag für die Konzeption des Dubai Institute of Technology brachte Fraunhofer mehr als eine Million Euro. Den gleichen Umsatz machte das Institut mit der Entwicklung eines Solarreaktors zur Umwandlung von Erdgas in den umweltfreundlichen Energieträger Wasserstoff – Partner ist hier der Qatar Science & Technology Park.

Allerdings beschränkt sich das Engagement bislang im Wesentlichen auf Forschung. »Eine echte industrielle Diversifizierung, also zum Beispiel Zusammenarbeit in der Produktionstechnik oder Materialentwicklung, spielt kaum eine Rolle«, unterstreicht Fuchs. Neue Perspektiven sieht Fuchs jedoch in Gesprächen mit der King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) in Saudi-Arabien.47

Die großen Drei: Vereinigte Arabische Emirate, Saudi-Arabien, Katar

Die treibenden Kräfte für Arabiens Wachstumsmaschinerie sind die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Katar. Kuwait ist zwar reich an Rohstoffen, verfügt aber nicht über die wirtschaftliche Dynamik der drei erstgenannten Staaten. Oman und Bahrain haben geringere Öl- und Gasvorkommen, befinden sich jedoch auf einem interessanten Diversifizierungspfad. Dieser kann sich allerdings infolge der schwächeren Kapitalkraft nicht mit den Anstrengungen der »Großen Drei« messen.48 Auch hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Diversifizierung liegen die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Katar vorn. Sie sind die Schrittmacher in der Region, auf die sich die Augen der ausländischen Unternehmen richten.

Insbesondere Abu Dhabi, das größte der sieben Emirate, hat in der Region eine führende Rolle übernommen. Mit strategischem Weitblick bastelt die Öl-Hochburg an mehreren Hightech-Clustern. Diese umfassen Solarkraftwerke, die erste CO2-neutrale Stadt der Welt, die Umsetzung neuer Maßstäbe für energieeffizientes Bauen, die Produktion von Computerchips und Flugzeugteilen sowie die Herstellung |31|von Plastik und Metall in Petrochemiefabriken beziehungsweise Aluminiumschmelzen. Einige dieser Diversifizierungsbausteine wie etwa Solartechnik, Plastik und Metall sind auch in Saudi-Arabien und Katar en vogue. Beide Länder bemühen sich sehr stark, neue Felder außerhalb ihrer fossilen Stammquellen zu entwickeln. Mit Macht arbeiten die Wüstenstaaten daran, ein Hightech-Paradies auf die Arabische Halbinsel zu zaubern. Es ist der erste Schritt in eine Zukunft, die nicht mehr nur auf Öl setzt.

Das globale Technologienetzwerk: Warum Araber Arbeitsplätze in Deutschland schaffen

Nicht alle Deals zwischen Deutschland und Arabien spielen sich auf der reinen Ausfuhrschiene ab. In Zeiten der Globalisierung werden lohnende Geschäftsbeziehungen immer komplexer. Sie laufen nicht mehr unbedingt nach dem alten Schema des Technologieexports von West nach Ost und des Rohstoffexports von Ost nach West ab. So wollen kapitalkräftige staatliche Investmentgesellschaften aus dem Emirat Abu Dhabi sowohl in Deutschland als auch am Persischen Golf Hightech-Zentren schaffen – und neue Jobs! Beispiel 1: Die Advanced Technology Investment Company (ATIC) hat die Mehrheit am internationalen Chiphersteller Globalfoundries erworben, der auch die Dresdner Halbleiterfabrik betreibt. Das arabische Unternehmen steckt 1,3 Milliarden Euro in den Ausbau des Werks in »Silicon Saxony«, die Zahl der Arbeitsplätze soll von 2 600 auf 3 000 erhöht werden.49 Gleichzeitig peilen die Scheichs bis 2015 die Errichtung einer Fabrik in Abu Dhabi an. Dabei geht es nicht um einen Verdrängungswettbewerb, vielmehr bastelt Abu Dhabi am Aufbau eines globalen Chipimperiums, in dem Dresden seinen Platz im Netzwerk zwischen New York, Abu Dhabi und Singapur hat.50 Das gleiche Prinzip lässt sich in der Solarbranche beobachten. Beispiel 2: Die im thüringischen Ichtershausen beheimatete Firma Masdar PV gehört zu 100 Prozent dem staatlichen Investmentunternehmen Abu Dhabi |32|Future Energy Company. Masdar PV produziert seit 2009 Dünnschicht-Photovoltaik-Module – eine Technik, bei der Sonnenenergie mittels Solarzellen direkt in Strom umgewandelt wird. Die neu errichtete Fabrik, die 240 Mitarbeiter beschäftigt, soll in den kommenden Jahren in der Nähe von Abu Dhabi nachgebaut werden.51

Diese Fälle zeigen, dass der Aufbau von technologisch hochwertigen Betrieben in Deutschland und am Golf zum Nutzen aller Beteiligten sein kann. Untergangsszenarien sind daher fehl am Platz. So befürchtet Journalist und Buchautor Constantin Schreiber einen »flächendeckenden Aufkauf Deutschlands« und einen »ökonomischen Raubzug« von Investoren aus der arabischen Welt, China, Russland und Indien.52 Nach dem Einstieg von Abu Dhabi bei Daimler und dem Essener Anlagenbauer MAN Ferrostaal folgert Schreiber: »Vielleicht verspürt die Scheichfamilie von Abu Dhabi bald Lust, selbst Autos zu entwerfen.«53 Der Gipfel der Verschwörungstheorie über die finsteren Mächte in Abu Dhabi, Peking, Moskau und Neu-Delhi: »Die Großen Vier sind auf dem Weg, die neuen Weltmächte zu werden. Politisch, militärisch, wirtschaftlich.«54

Mutmaßungen, dass arabische Investoren ein Zuffenhausen, Wolfsburg oder Leverkusen am Golf hochziehen wollen, halten der Realität nicht stand. Die Scheichs sind weder größenwahnsinnige Illusionisten noch karitativ gestrickte Weltbeglücker. Natürlich sind die Anleger aus Arabien knallharte Rechner, sie schauen auf Synergien, Skaleneffekte und eine gute Rendite. Im rauen Wind der Globalisierung muss dies jedes Unternehmen tun, um im Wettbewerb bestehen zu können. Deutsche Firmen sind da keine Ausnahme. Die Daimlers, Siemens’, Bayers oder ThyssenKrupps lassen längst einen Teil ihrer Produkte im Ausland produzieren, um die Kosten zu kontrollieren. Wichtig ist, dass Deutschland auch in Zukunft über genügend Innovationszentren und hochqualifizierte Arbeitsplätze verfügt. Die Vorstellung, dass die Araber die deutsche Industrie plattmachen wollen, ist jedenfalls ein grelles Schreckensgemälde, das der nuancenreichen realen Wirtschaftswelt nicht gerecht wird.

|33|Standortliebling: Warum sich viele deutsche Unternehmen in den Vereinigten Arabischen Emiraten niederlassen

Nach dem wirtschaftlichen Einbruch, bedingt durch die Finanzkrise, saß auch in Arabien das Geld nicht mehr locker: Im Dezember 2008 sank der Öl-Preis auf 32 Dollar pro Barrel, in den Regierungen gingen die Alarmlampen an. 2009 stand in vielen Bereichen günstige Massenware hoch im Kurs, was die Exporteure aus China oder Südkorea in die Hände klatschen ließ. Doch 2010 stabilisierte sich der Öl-Preis über der Marke von 80 Dollar pro Barrel.55 Plötzlich war nicht mehr nur »billig« gefragt, sondern auch hochwertige Artikel, die einen Technologievorsprung bringen und Nischenbedürfnisse befriedigen. Das ist der Mix, der Lieferungen aus Deutschland attraktiv macht. Begehrt sind sowohl die klangvollen Namen aus dem DAX wie auch die vielen stillen Stars aus dem Mittelstand, der das Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist.

Alles spricht dafür, dass deutsche Unternehmen in den kommenden Jahren noch mehr Geschäfte im Nahen Osten machen. Nach einer im Sommer 2010 veröffentlichten Umfrage des Deutschen Orient-Instituts in Berlin wollen 86 Prozent der befragten Firmen ihr Engagement in der Region ausweiten. Knapp 70 Prozent konnten demnach ihre Umsätze in den vergangenen Jahren deutlich steigern. Spitzenreiter unter den wichtigsten Exportmärkten im Nahen und Mittleren Osten ist die Türkei (knapp 44 Prozent) vor den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien (je knapp 41 Prozent). Die Emirate sind jedoch unangefochten der beliebteste Standort für eine eigene Niederlassung, gefolgt von Saudi-Arabien. Dubai erlitt zwar 2009, als die Immobilienblase platzte, einen wirtschaftlichen Absturz und einen immensen Imageverlust. Doch die Golf-Metropole verfügt nach wie vor über die mit Abstand beste Infrastruktur in Nahost. Sie ist als Drehscheibe für Handel, Logistik und Finanzen unverzichtbar.56

|34|Der trügerische Traum vom schnellen Deal: Warum Geschäftsabschlüsse Zeit brauchen

Trotz der hervorragenden Export-Bedingungen auf der Arabischen Halbinsel muss vor Blauäugigkeit gewarnt werden. Draufgängertum und zu schnelles Tempo zahlen sich nicht aus. Davon kann manch einer ein Lied singen wie jener Unternehmer aus Darmstadt, der mit viel Enthusiasmus auf eine Messe nach Abu Dhabi reiste. Er war vom Interesse seiner arabischen Gesprächspartner regelrecht berauscht und glaubte, den dicken Auftrag schon in der Tasche zu haben. Zurück in Deutschland, berief er in seinem Betrieb eine Serie von Brainstorming-Sitzungen ein, um den Eintritt in den arabischen Markt vorzubereiten. Als die Leute vom Golf auch nach längerer Zeit nichts von sich hören ließen, schwante dem Hessen, dass er einer schillernden Luftblase aufgesessen war.

Alte Hasen wissen, dass der goldene Deal in Nahost keine Hauruck-Aktion, sondern ein mit vielen vertrauensvollen Begegnungen gepflasterter Prozess ist. Firmen, die bereits in der Region aktiv sind, geben Geduld und eine hohe Frustrationstoleranz als Leitmotto aus. »Man braucht einen langen Atem«, empfiehlt Jürgen Wild, Chef des Stuttgarter Anlagenbauers M+W Group.57 »Araber sind in der Regel exzellente Verhandlungspartner, die geschickt mal mit dem Preis, mal mit der Leistung argumentieren.« Die hohe Qualität der eigenen Produkte sei jedenfalls kein Ruhekissen. Auch Martin Berlin, Leiter der Strategie-Abteilung beim Immobilien-Unternehmen Dubai Properties Group, rät zur Vorsicht: »Als Faustregel sollte man sich darauf einstellen, mindestens ein Jahr ohne Umsatz über die Runden zu kommen. Kann man dies darstellen und hat das Potenzial definiert, sollte man den Markteintritt erwägen. Unerlässlich sind zudem Investitionen in ein Netzwerk.«58

Hilfreich ist auch die Gründung einer Tochterfirma oder eines Joint Ventures in Nahost, die ein lokales Gesicht verleihen. Wer zudem berücksichtigt, dass Araber eine Vorliebe für schlüsselfertige Anlagen und Paketlösungen haben, ist bereits einen ganz wichtigen |35|Schritt weiter. »Deutsche Betriebe müssen sich nach Möglichkeit zusammentun«, betont M+W-Chef Wild. »Sie dürfen sich nicht im Kleinklein verlieren: Das ist eine deutsche Gefahr.«

Unternehmen, die sich außerhalb von Freihandelszonen59 niederlassen, brauchen einen arabischen Partner als Sponsor. Hier fängt das Problem schon an: Fast jeder potentielle Kompagnon am Golf verkauft sich als hervorragend verdrahteter Geschäftsmann, der sogar zum Scheich die besten Kontakte hat. Darauf sollte man sich jedoch nicht verlassen. Zunächst gilt es festzustellen, ob die arabische Adresse am Markt bekannt ist. Die Deutschen Außenhandelskammern60 können zumindest eine erste Orientierung bieten und bei Bedarf an eine Consulting-Firma oder Unternehmensberatung weiterleiten.